Samir Fischer sitzt also gemütlich beieinander, und meine Tochter sagt: „Morgen gehe ich nicht in den Gottesdienst.“
Das war der Moment, in dem ich etwas unwirsch reagiert habe. Ich habe mich später bei meiner Tochter dafür entschuldigt, denn ich wollte eigentlich nur meine Bibel holen, die irgendwo hinten liegen muss. Ich habe aber noch keine Bibel herausgekramt. Ich kann ihr auch ohne Bibel sagen, dass das nicht geht.
Sie hat das ziemlich schnell mit einem Bibelvers abgefertigt: Hebräer 10,24-25 – „Ihr sollt die Versammlung nicht versäumen.“ Ende der Durchsage.
Sie hat geweint, und ich habe gemerkt, dass ich zu scharf reagiert hatte. Wir haben angefangen zu streiten, obwohl wir eigentlich noch einen Film schauen wollten. Den Film haben wir erst mal ausgemacht, die Stimmung war im Keller.
Okay, wir sind wieder zueinandergekommen, haben uns vergeben, und alles war wieder gut.
Ich habe angefangen nachzudenken. Ich habe überlegt: Ich habe eine Tochter, die sich wirklich für Gott hingibt. Und sie wollte nicht in den Gottesdienst gehen, nicht weil sie keine Lust hatte, sondern weil sie am Tag davor bei einer Familie ausgeholfen hat. Diese Familie hat vier kleine Kinder und ist total überfordert. Meine Tochter hat sich dort investiert, ist danach noch in die Jugend gefahren, um Schlagzeug zu spielen und Verantwortung zu übernehmen. Abends ist sie nach Hause gekommen und hat gesagt: „Ich brauche irgendwo mal einen Ruhetag.“
Das war der Hintergrund. Es war nicht einfach ein „Ich habe keine Lust“.
Ich habe dann überlegt, wie ich meiner Tochter erklären kann, dass es gut ist, in den Gottesdienst zu gehen. Dabei habe ich mich selbst ertappt, dass ich manchmal auch denke: Sonntagmorgen um zehn Uhr, das ist nicht immer ein Privileg. Es ist manchmal, ich will nicht sagen Zwang, aber es ist auch nicht immer so ein „Wow, wie schön, dass es jetzt Gottesdienst ist.“
Ich habe in der Woche danach ein bisschen darüber nachgedacht und möchte mit euch etwas teilen.
Wie gesagt, keine typische Predigt, sondern eher ein paar Gedankensplitter. Ich möchte euch ein paar Punkte nennen, und zwar unter der Überschrift: Warum es ein Privileg ist, am Sonntagmorgen in den Gottesdienst zu gehen.
Nicht unbedingt Sonntagmorgen, aber hier halt früh. Warum es ein Privileg ist.
Ich habe fünf Punkte zusammengestellt, die mir wichtig sind. Sie sind mir wichtig, weil ich die Jugend ermutigen möchte, am Sonntagmorgen hier zu sein und nicht zu sagen, der Samstagabend-Gottesdienst sei unser Gottesdienst.
Ich glaube nämlich, dass das nicht so ist. Ich halte es für wichtig, am Sonntagmorgen hier zu sein. Wenn hier am Sonntagnachmittag Gottesdienst wäre – oder falls wir am Sonntagnachmittag Gottesdienst hätten –, dann wäre das Sonntagnachmittag. Aber diese Veranstaltung hier ist etwas ganz Besonderes, das auf eine besondere Weise zu einem geistlichen Leben dazugehört.
Mir sind fünf Gründe eingefallen. Wenn euch noch mehr einfallen, schickt mir gerne eine E-Mail. Ich würde dieses kleine Plädoyer gerne noch erweitern.
Eine Predigt habe ich mal gehalten mit dem Titel: „Fünf Dinge, die du von Gott wissen musst, damit du nicht enttäuscht wirst.“ Später hieß es dann: „Sieben Dinge, die du von Gott wissen musst, damit du nicht enttäuscht wirst.“ Und irgendwann wurden daraus neun Dinge. Irgendwann war die Predigt zu lang.
Jetzt merke ich, dass ich nicht noch mehr brauche. Und so geht es mir auch hier ein Stück weit ähnlich.
Die Bedeutung des Gottesdienstes am Sonntagmorgen
Warum ist es gut, heute Morgen hier zu sein? Warum ist es ein Vorrecht, gemeinsam Gottesdienst zu feiern? Gottesdienst ist gemeinsames Feiern.
Im Alten Testament trifft sich das Volk Gottes mehrmals im Jahr regelmäßig zu Festen. Man liest von verschiedenen Festen: spaßige Feste wie das Laubhüttenfest, bei dem man in Hütten wohnt; eher ernste Feste wie der große Versöhnungstag, an dem der Priester hinausgeht und sagt: „Ich vergebe euch, das Opfer ist gebracht“; dankbare Feste wie das Passahfest, bei dem man für die Erlösung dankt; und Pfingsten, bei dem man für die Ernte dankt.
Aber immer trifft sich das ganze Volk und hat miteinander Freude. Es ist wichtig, gemeinsam zu feiern. Diese Feiern finden nicht isoliert statt – nicht jeder in seinem Zelt oder in seiner Familie oder Clique –, sondern alle ziehen nach Jerusalem. Das ist ein großer Aufwand: Man unterbricht die Arbeit, nimmt seine Sachen und läuft mehrere Tage nach Jerusalem, um in der großen Gemeinschaft Gott anzubeten. Dabei wird bewusst ein bisschen Abstand vom Alltag genommen.
Ich glaube, dass das, was wir hier sonntags erleben, vielleicht im Moment noch etwas schwer vorstellbar ist, aber dass der Gottesdienst am Sonntag die größte, nächste und engste Parallele zu diesen alttestamentlichen Festen darstellt. In Jesus sind viele Feste erfüllt: Er ist unser Passah, unser großer Versöhnungstag. Durch ihn sind wir befreit und erlöst.
Wenn ich im Alten Testament sehe, dass die Menschen Befreiung, Vergebung, Freude und Dankbarkeit feiern, frage ich mich: Wo sollte in meinem geistlichen Leben der Ort sein, an dem ich das in Gemeinschaft tun kann? Natürlich im Gottesdienst!
Deshalb ist der erste Punkt: Gottesdienst ist gemeinsames Feiern.
Als ich das für mich formulierte, stellte ich mir die Frage: Was macht eigentlich eine gute Feier aus? Ich bin kein großer Partygänger, aber eins weiß ich: Wenn ich mich bei einer Party in die Ecke setze, nur beobachte und darauf warte, dass mich jemand anspricht, werde ich keinen Spaß haben.
Was muss ich also tun, damit mir eine Party Spaß macht? Ich muss in die Küche gehen. Dort ist immer etwas los, ich kann mithelfen, die Leute ansprechen und mich auf das einlassen, was gerade passiert. Dann macht es mir auch Spaß.
Um diese Parallele zu ziehen: Damit Gottesdienst ein Stück Freude bereitet und den Aspekt des Feierns hat, muss ich hierher kommen und bewusst sagen: Ja, ich möchte das, ich möchte mich auf das einlassen, was Gott mir hier mit den anderen geben will. Dann wird es gelingen.
Gottesdienst als Hören auf Gottes Wort
Zweiter Punkt: Wieder Altes Testament
Gottesdienst ist ein Vorrecht, weil wir gemeinsam auf Gottes Wort hören. Auch im Alten Testament finden wir das am Laubhüttenfest. Das ist dieses etwas spaßige Ereignis mit Zelten oder eigentlich Laubhütten. Damals gab es noch keine modernen Outdoor-Equipment, mit dem man sich schnell ein Feld einrichten konnte. Die Sache mit den Heringen ist auch eine relativ neue Erfindung, ebenso wie Nylonplanen. Aber es waren eben Laubhütten.
Alle sieben Jahre sollte das komplette Gesetz vorgelesen und erklärt werden. Auch im Neuen Testament finden wir die Apostel, die im Tempel predigen. Wenn man das Neue Testament durchliest, gewinnt man den Eindruck, dass es wichtig ist, ab und zu von vorne eine Ansage oder Predigt zu hören.
Ich habe einen Bibelvers aus dem Alten Testament, Psalm 16, Vers 20, der mir persönlich schon vor langer Zeit sehr wichtig geworden ist. Dort heißt es: „Wer auf das Wort achtet, findet Gutes“, oder in der Anmerkung steht: „findet Glück“. Und glücklich ist, wer dem Herrn vertraut.
Das ist doch genau das, was wir eigentlich wollen. Zumindest ich möchte euch das wirklich sagen: Ich möchte in meinem Leben Glück finden. Und ich kann eines sagen: Nachdem ich jetzt über zwanzig Jahre Christ bin, habe ich diesem Wort vertraut, an jeder Stelle, wo ich es leben konnte. Und ich habe Glück gefunden, schlicht und ergreifend.
Ich lebe das Leben, das ich leben wollte. Ich habe Heilung an vielen Punkten erfahren, ich bin mittendrin in einer Entwicklung und erlebe Gott in meinem Leben. Ich bin noch nicht fertig, und er ist noch nicht mit mir fertig, aber ich würde mein Leben einfach als Glück bezeichnen.
Woran liegt das? Weil ich viele gute Predigten gehört habe und erleben durfte, wie Gott selbst durch Menschen, Lieder und Zeugnisse in mein Leben hineingesprochen hat. Deswegen ist es ein Vorrecht, wenn wir uns einmal in der Woche Zeit nehmen, um auf Gottes Wort zu hören. Ich glaube, Gott will uns mit dem, was gesagt wird, tatsächlich beschenken.
Wer auf das Wort achtet, auf das Wort Gottes achtet, findet Glück. Es war schön zu sehen, was wir in der Ansage mit Sammy hatten: Wenn du das Wort missachtest, wirst du kein Glück finden. Es mag noch so gut klingen, wenn du sagst: „Ja, ich gehe meinen eigenen Weg.“ Aber ich verspreche dir, du wirst es am Ende bereuen.
Es mag fünf Jahre gut gehen, zehn Jahre gut gehen. Es mag so aussehen, als wäre alles okay. Aber ich verspreche dir, du wirst das Glück nicht finden. Das Einzige, was du finden wirst, ist die Einsicht am Ende: „Mann, wie gut wäre es gewesen, wenn ich es anders gemacht hätte.“
Ich glaube, dass in jeder guten Predigt auch ein prophetisches Element steckt. Dieses Element ist der Moment, in dem Gott in mein Leben hineinspricht. Jeder kennt das: Man hört eine Predigt und hat danach das Gefühl, persönlich von Gott angesprochen worden zu sein.
Wenn man dann den Prediger fragt: „Boah, du hast da genau getroffen!“, steht der Prediger manchmal da und sagt: „Mit welchem Satz war das? Nö, das wollte ich gar nicht sagen.“ Aber es passiert trotzdem, dass Gott immer wieder, vielleicht nicht mit jeder Predigt gleich, aber immer wieder in mein Leben persönlich hineinspricht.
Und das ist ein Vorrecht. Das ist keine Pflicht, kein Zwang. Es mag langweilig klingen, aber es ist ein Vorrecht, dass Gott zu mir spricht, dass Gott mich persönlich mal so bei den Ohren nimmt, schüttelt und sagt: „Hey, ich meine dich!“ Also, das ist ein Vorrecht.
Die Kraft des gemeinsamen Lobpreises
Weiteres Vorrecht Gottesdienst ist gemeinsamer Lobpreis. Das muss ich erklären. Wenn man die Psalmen liest, findet man immer wieder Formulierungen, in denen der Psalmist sagt, er möchte Gott in der Versammlung loben. Ich weiß nicht, ob euch das schon einmal aufgefallen ist. Irgendwann habe ich mir das genauer angeschaut und bin dann auf Psalm 22 gestoßen.
Psalm 22 beginnt markant mit dem Satz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist genau der Psalm, den Jesus am Kreuz betet. Jesus hängt am Kreuz und zitiert Psalm 22. Warum tut er das? Weil die Psalmen die emotionale Seite des Christseins oder des Lebens mit Gott zum Ausdruck bringen. Psalm 22 spiegelt die Emotionen von Jesus Christus am Kreuz wider. Dort, wo der Messias am Kreuz hängt, betet er den Psalm, der sein Innerstes am besten widerspiegelt.
Wenn wir das verstanden haben, möchte ich euch jetzt zeigen – und das ist für mich der ultimative Ansporn –, warum wir hier singen, mitsingen und beten, mitbeten. Es ist einfach, das in Gemeinschaft zu tun.
In diesem Psalm, der wirklich einen tiefen Blick in das Innenleben von Jesus gibt, möchte ich euch zeigen, was in Vers 23 steht – was die Sehnsucht des Messias ist. Wonach sehnt sich Jesus? Wenn du sagst, du bist ein Nachfolger Jesu, bedeutet das ja irgendwie, dass du Jesus ähnlicher werden möchtest. Du möchtest mitleben, was er empfindet und lebt.
Schaut euch an, wonach sich der Messias am Kreuz sehnt: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.“ Das bedeutet nicht, dass du nicht auch im stillen Kämmerchen beten kannst. Oder im Auto deine Worship-CD einlegen und fröhlich mitsingen sollst. Ja, das ist gut. Aber es gibt ein Element im geistlichen Leben, das Jesus sich sehnt und das wir meiner Meinung nach wieder lernen müssen zu sehnen. Nämlich das Element, dass wir Lust haben oder begreifen, dass es eine besondere Qualität von Lobpreis in der Versammlung gibt – dort, wo das Volk Gottes sich trifft.
Dort betet nicht nur der Einzelne an, sondern die Anbetung wird auf viele Schultern verteilt. Ich kann es nicht anders erklären: Ich bin ein Kind dieser Zeit, ein Individualist. Mir reicht es, wenn ich und mein PC da sind. Dann kann ich die Tür zumachen, ein rotes Schild anbringen: „Da darf keiner von meiner Familie rein“, und ich bin glücklich. Aber die Bibel sagt: „Jürgen, du magst glücklich sein, aber du bist im Kopf nicht ganz klar.“ Denn richtig gesund ist das nicht.
Richtig gesund ist es nicht, wenn ich immer nur an mich denke, mich abschotte und hoffe, dass niemand mich stört. Richtig gesund wäre es, die andere Seite zu sehen – die Seite, nach der Jesus sich hier sehnt oder nach der sich der Psalmist sehnt. An anderen Stellen heißt es im Psalm: „Ich werde den Herrn in den Versammlungen preisen“ (Psalm 26) oder „Ich werde dich preisen in der großen Versammlung, unter zahlreichem Volk dich loben.“ Da stellen sich Leute hin und sagen: „Ich werde es auf keinen Fall zulassen, egal, wenn hier tausend Leute sind, ich werde dich loben.“ Wahnsinn!
Warum tun sie das? Weil sie ein übersteigertes Ego haben? Weil sie sagen: „Mich muss man mindestens mal gehört haben, sollen alle wissen, dass ich im Gottesdienst war“? Nein, ich glaube, es geht darum, einer heiligen Verpflichtung und einem heiligen Vorrecht Ausdruck zu geben. Dieses Vorrecht besteht darin, Gott gemeinsam in der Versammlung zu loben – dort, wo wir uns als Familie Gottes treffen.
Bei uns ist das am ehesten der Gottesdienst. Ich wüsste keine andere Veranstaltung, wo ich sagen würde: „Ich möchte Gott anbeten, ich möchte gemeinsam Lieder singen, ich möchte inmitten einer gottfeindlichen Welt einen Raum schaffen, in dem ihm sichtbar Ehre zukommt.“ Wir denken oft, dass das sichtbare Element im Christentum nicht so wichtig ist. Dass alles nur so ist: „Gott ist Geist, und Anbetung ist Geist, und alles ist irgendwie geistlich und nicht greifbar.“ Das ist falsch!
Wisst ihr, warum das falsch ist? Weil ihr den Namen vergessen habt. Schaut doch mal auf: Gott ist nicht nur Geist. Man kann ihn anfassen. Und weil wir ihn anfassen können, braucht unsere Anbetung immer ein doppeltes Element. Auf der einen Seite die geistige Komponente, weil Gott Geist ist. Aber es braucht auch etwas zum Anfassen.
Lieder, die wir nicht singen, aus denen keine Schallwellen herauskommen, sind keine Lieder. Du kannst sie dir denken, aber du singst nicht wirklich. Anbetung, die nicht wirklich im Herzen gesprochen wird, die besser noch in der Versammlung laut ausgesprochen wird, sodass andere „Amen“ sagen können, ist im eigentlichen Sinne keine Anbetung. Es ist etwas anderes, aber nicht das, was ich mit meinem Leben ausdrücke – mit dem sichtbaren Leben, das von dem Inneren geprägt ist.
Ja, wir haben eine geistliche Komponente, aber unser Leben hat auch eine fleischliche Seite, eine materielle Seite. Anbetung hat diese fleischliche, materielle, sichtbare, greifbare, erlebbare, fühlbare, schmeckbare, riechbare Seite. Und ich glaube, es ist hier im Gottesdienst, wo wir das tun, wonach der Psalmist sich sehnt und wonach ich denke, dass Gott sich sehnt.
Gottesdienst als Raum für Gemeinschaft
Noch zwei Punkte: Gottesdienst ist Genuss von Gemeinschaft. Gott möchte ein Volk in dieser Welt haben, in dem Jung und Alt zusammenarbeiten, um das Reich Gottes in einer verlorenen Welt zu bauen. Das ist die Gemeinde, das ist das Team, das Gott zusammengestellt hat.
Ihr habt mich nicht ausgesucht, ich habe euch nicht ausgesucht, aber Gott hat das so entschieden. Er hat uns zusammengestellt. Und er sagt: „Hey, ihr werdet das gemeinsam schaffen.“ Deshalb ist Gottesdienst der Raum – und ich meine mit Gottesdienst nicht nur die Zeit während des Treffens, sondern auch die Zeit davor und danach, wo wir uns einfach begegnen. Nicht nur die Zeit von zehn bis elf oder zehn bis halb zwölf.
Es ist der Raum, den Gott schafft, damit wir uns aneinander freuen können und sehen, was Gott im Leben eines anderen tut. Ich freue mich sehr darüber, dass die Ansage von Volker kam, dass im Leben von Sammy etwas passiert ist. Ich freue mich wirklich von ganzem Herzen. Und ich hoffe, ihr freut euch mit. Falls das an euch vorbeigegangen ist, weil ihr gefühlskalte Egoisten seid, die keinen Sinn für Gemeinschaft, Liebe und solche Dinge haben, dann tut es mir leid. Aber das ist nicht Gottes Idee.
Gottes Idee ist es, dass in euch etwas entsteht, das sagt: „Boah, da hat jemand etwas durchgemacht, super, danke Vater.“ Das muss Raum bekommen. Gottesdienst ist Raum, um sich zusammenzustellen und zu sagen: „Ich möchte füreinander beten, ich möchte vielleicht auch miteinander weinen, ich möchte...“ Im Neuen Testament gibt es Stellen, wo es heißt, füreinander und miteinander da zu sein. Man liest diese Stellen, aber wo sollen sie denn praktisch werden? Nur zwischen Johnny und Maren? Das ist unser Miteinander-Team. Das ist doch Quatsch.
Natürlich ist das ein Miteinander-Team, aber das ist nicht das, was das Neue Testament meint. Die Stellen sind viel weiter gefasst. Und jetzt könntest du sagen: „Ja, aber ich kann doch nicht mit allen Christen.“ Ja, stimmt, miteinander sein mit Christen in Spanien, Marokko oder anderswo, das geht nicht.
Weil Gott klug ist, schafft er kleinere Einheiten. Deshalb gibt es Gemeinde. Und jetzt kann man sagen: „Ja, aber Gemeinde ist irgendwie kulturell geprägt.“ Stimmt, das ist sie. Aber in dem Fall ist mir das egal, weil es mir schon reicht, was ich hier an Gemeinde habe, um miteinander leben zu können.
Gottesdienst ist ein Moment in der Zeit, in dem ich dieses Miteinander genießen kann – aber natürlich nur, wenn ich es richtig nutze, wenn ich bereit bin, mich zu öffnen und ehrlich zu werden. Wenn ich bereit bin, anderen Anteil zu geben und auch mal zu hören, wie es dem anderen geht. Das ist eine Herausforderung, das ist mir völlig klar. Aber das ist eigentlich ein Stückchen der Gedanke Gottes.
Gottesdienst als Herausforderung zum geistlichen Wachstum
Und der letzte Punkt dreht sich um Hebräer 10,24-25. Ich kann diesen Vers nicht völlig ignorieren, denn er ist der beste Vers im Neuen Testament, der etwas zu diesem Thema sagt. Insofern habe ich meiner Tochter da keinen Bären aufgebunden.
Ich möchte den Vers einmal vorlesen: Hebräerbrief Kapitel 10, Verse 24 und 25. Mein Punkt heißt: Gottesdienst ist eine Herausforderung zum Wachstum. Dort, wo wir einander begegnen, sollen wir uns zum Wachstum herausfordern.
In Vers 24 heißt es: In einer kritischen Situation, einer Gemeinde unter Verfolgung, in einer Stadt – wahrscheinlich Jerusalem –, wo es noch ein sehr lebendiges Judentum gibt und alle darauf gewartet haben, dass endlich der Tempel verschwindet und das alte Judentum endet, aber das ist nicht geschehen. Seit 30 Jahren laufen beide parallel, und jetzt fängt die Verfolgung richtig an.
Die Leute überlegen sich: Sollen wir nicht lieber diese Gemeinschaft mit den Judenchristen, mit den messiasgläubigen Juden, aufgeben? Ist das nicht besser? Paulus oder wer auch immer den Brief geschrieben hat – ich glaube, es war Paulus, obwohl das nicht ausdrücklich in der Bibel steht – sagt in Vers 24: „Und lasst uns aufeinander Acht haben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen.“
Dann heißt es weiter: „Indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen oder im Stich lassen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht.“
Gottesdienst ist nicht immer nett, zumindest wenn wir ihn so leben, dass dieses „Acht haben“ und „zur Liebe anreizen“ irgendeinen Wert hat. Das ist mein Traum von Gottesdienst: Ich komme hierher, und Leute haben ein Stückchen Acht auf mich.
Ja, aber das klingt so: „Acht haben“ – ich weiß nicht, da sagt mir ein anderer womöglich noch, was ich tun soll. Ja, wenn der Gottesdienst vorbei ist, werde ich zur chirurgischen Notaufnahme mit meinem Zahn gehen, weil ich da nochmal vorbeischauen muss. Ich habe da hinten ein Stück Metall reingebohrt bekommen am Mittwoch, und da muss der Arzt nochmal draufschauen.
Ist das nett? Nein, das ist nicht nett. Aber weißt du was? Dass da ein kompetenter Zahnchirurg nachher nochmal draufschaut, ist ein Vorrecht. Es ist nicht nett, aber es ist ein Vorrecht.
Und so ist Gottesdienst: Es ist nicht immer nett, wenn jemand noch mal auf mein Leben schaut und sagt: „Das eitert da ein bisschen, ja, ist das so richtig?“ Das ist nicht nett, aber es ist ein Vorrecht. Es ist ein Vorrecht, dass jemand, der mich liebt, von außen mich einfach mal spiegelt und sagt: „Sag mal, warum lebst du dein Leben eigentlich so, wie du es lebst? Wo führt dich das hin? Bist du sicher, dass das dir, deiner Ehe, deinen Kindern, deinem Job, deiner Beziehung zu Gott usw. wirklich gut tut?“
Deshalb steckt ein riesiges Potenzial für echte, tiefe Veränderung und Korrektur in einem biblisch gelebten Gottesdienst.
So, ich wollte nur ein Plädoyer machen, warum ich das so sehe.
Vorher eine Frage: Wer von euch würde so einen Gottesdienst gerne erleben? Hand hoch! Ja, ich wollte es nochmal sehen. Ihr traut euch nicht, die Hände hochzuheben, weil ihr nicht wisst, was danach kommt, das ist mir völlig klar.
Aber wenn jemand ehrlich sagt: „Nee, so einen Gottesdienst will ich gar nicht haben“, dann denke ich, der hat nicht nachgedacht.
Ich möchte jetzt nicht mit Steinen werfen. Was ich mir wünsche, ist, euch eine Vision vor Augen zu malen.
Wir hatten vor einer Woche in Schwante in der Jugend eine Veranstaltung, bei der wir über Sex und Drugs und Rock and Roll reden sollten – also ohne Drugs und Rock and Roll, nur über Sex. Der Punkt war, dass alle erwarteten, ich würde ihnen die Bibelstellen an den Kopf hauen. Das habe ich nicht gemacht.
Ich wollte, dass sie sagen, wie ihre Ehe aussehen soll, wenn sie vierzig plus sind. Dann haben wir gesammelt: Wie soll eine Ehe aussehen, wenn ich vierzig plus bin, wenn ich zwanzig Jahre verheiratet bin? Wo möchtest du ankommen?
Dann habe ich gesagt: Jetzt überlegen wir uns, was du heute tun musst, damit du da ankommst.
So möchte ich mit euch jetzt gerne mal überlegen: Wie wäre das, wenn ihr mit dieser Einstellung zu einem Gottesdienst kommt? Mit dieser Feiereinstellung.
Ich habe meinen Kindern vor kurzem etwas ganz Verrücktes geschenkt. Sie waren auf einem Popkonzert – sie waren noch nie auf einem Popkonzert –, und ich habe ihnen das geschenkt, damit sie das mal erleben.
Boah, die haben sich ein Vierteljahr vorher schon wie kleine Kinder gefreut. Dann kamen die Karten nicht, die Karten kamen nicht. Ich sag dir, das hat gedauert, bis die Karten kamen.
Jetzt stell dir mal vor, du würdest mit dieser Einstellung zum Gottesdienst gehen: „Man, hoffentlich geht die Zeit ein bisschen schneller, ich freue mich auf den Gottesdienst, wann fängt es endlich an? Wir sind schon zwei nach zehn, Jürgen, jetzt gib mal Gas, wir wollen endlich Gottesdienst haben.“
Das ist so mein Bild, wie Gottesdienst sein kann.
Oder stell dir vor, wir erwarten wirklich, dass im Gottesdienst Gott zu uns spricht – durch eine Predigt, ein Zeugnis, ein Lied.
Und wenn wir singen, dann singen wir ganz bewusst gemeinsam. Ich stelle mich hin und sage: „So, jetzt ist die Zeit, in der ich Gott in der Versammlung Lobpreis geben möchte, der ihm gebührt.“
Und nachdem er sich zeigt, sage ich wirklich bewusst: „Ich möchte das mitsingen, egal ob das ein altes Lied ist, bei dem ich denke: ‚Wer hat sich das denn gewünscht?‘ Oder ob das ein neues Lied ist, das mir eigentlich ein bisschen zu schnell im Rhythmus ist.“
Beides einfach, wo wir gemeinsam anbeten – die tiefen alten Lieder und die etwas rhythmischeren neuen Lieder. Denn unterm Strich geht es nicht darum, ob das Lied dir gefällt.
Um es einmal klar zu sagen: Es geht nicht darum. Es geht darum, ob du dieses Lied Gott singst und ob Gott seinen Lobpreis bekommt.
Stellt euch einen Gottesdienst vor, wo wir bewusst reingehen und sagen: „Ich werde Gott in der Versammlung anbeten. Ich werde hier nicht rausgehen, bevor Gott nicht aus meinem Mund, mit meinen Worten und meiner Einstellung, ein bisschen Lob gekriegt hat, weil ich jetzt hier bin.“
Stellt euch das einfach mal vor.
Stellt euch vor, wie es wäre, wenn wir den Gottesdienst tatsächlich nutzen würden, um füreinander da zu sein.
Danach nicht einfach nur so Smalltalk: „Hast du die Bundesliga-Ergebnisse gesehen? Herr der Biesti? Boah.“
Stellt euch vor, nach dem Gottesdienst würden – und das ist jetzt eine Mahnung an die Älteren – ich erlaube mir das zu sagen, weil es mir langsam wirklich gegen den Strich geht, was Ältere hier in der Gemeinde tun.
Man hackt immer so leicht auf die Jüngeren herum. Ich möchte die Älteren herausfordern.
Ich wünsche mir, dass die Älteren zu den Jüngeren hingehen und sagen: „Sag mal, wie geht es dir wirklich?“ Dass die Älteren ihr geistliches Leben mit den Jüngeren teilen, dass die Älteren mit den Jüngeren beten nach dem Gottesdienst, dass die Älteren die Jüngeren segnen.
Dass hier nach dem Gottesdienst nicht nur Smalltalk stattfindet, sondern dass man sich zurückzieht, dass ich überall kleine Gruppen von Leuten sehe, wo ehrliches Interesse ist und wo auch ehrliches Gebet, Anteilnahme und Miteinander da ist.
Das ist die Vorstellung Gottes.
Ich merke, wenn ich das so denke, Mann, stell dir das mal vor: Du kommst irgendwie beladen hierher und weißt, boah, danach werden noch zwei, drei Leute über mich beten, und ich kann vielleicht da noch wirklich guten Rat abgreifen. Mann, das wäre so schön.
Ja, vielleicht können auch die Jungen den Älteren praktische Hilfe anbieten, ganz praktisch: „Was brauchst du? Soll ich mal vorbeikommen? Kann ich dir irgendwo helfen?“
Stellt euch mal das vor, wenn Gemeinschaft wirklich gelebt würde.
Stell dir einen Gottesdienst vor, bei dem du in den Tag oder in die Woche startest mit ganz vielen guten Ideen für dein Leben, mit einem Stück in der Liebe der Geschwister, in dem, was du gehört hast, in dem, was du selber getan hast, und du Gott ganz nah gekommen bist.
Ich sehe manches versteinertes Gesicht. Und wenn ich das spiegle, dann heißt das so: „Ja, Jürgen, du kannst das noch glauben, ich kann das nicht mehr glauben. Ich glaube nicht mehr, dass es noch so einen Gottesdienst geben kann.“
Die Frage ist, ob ich da richtig lese in euren Gesichtern.
Ich weiß es nicht, und das ist der Tatsache geschuldet, dass ich drei Jahre hauptsächlich in Spandau war mit wie vielen Enttäuschungen du in puncto Gemeinde in den letzten Jahren fertig werden musstest.
Ich weiß es nicht.
Und ich bin außerdem noch so ein Typ, der immer nach vorne schaut.
Ich weiß, ich habe schon vergessen, was ich letztes Jahr zu Weihnachten bekommen habe. Ich weiß es nicht mehr.
Ich bin einfach so ein komischer Typ an der Stelle.
Ich lasse die Vergangenheit hinter mir, und sie belastet mich auch fast nicht mehr.
Ich gehe immer nach vorne.
Ich weiß nicht genau, wie es euch geht, aber eines weiß ich: Diese Vorstellung von Gottesdienst, wenn wir sie leben würden, wenn wir sie wirklich leben würden – in unserem Leben, in unseren Familien, in der Gemeinschaft miteinander – würde radikal etwas ändern.
Das ist einer der Gründe, warum ich dieses komische Gottesdienstteam angestoßen habe.
Weil ich nicht glauben will, dass das, was wir im Moment leben, alles ist, was wir leben können und leben wollen.
Ich glaube es einfach nicht.
Ich glaube, dass in uns eine ganz tiefe Sehnsucht ist, den Gottesdienst zu einem Ort zu machen, wo wir einander und Gott begegnen.
