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Kinder ahmen ihren Vater nach - auch Gottes Kinder. Sie ahmen ihren lieben, ihren reichen und ihren großen Vater nach und nicht die Diana von Ephesus. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart. [Das Manuskript ist nicht wortidentisch mit der Aufnahme.]


Kinder ahmen ihren Vater nach, liebe Gemeinde. Der eine ist Lehrer. Die Kinder spielen Schule. Das Esszimmer ist zum Klassenzimmer umfunktioniert. Der Bub steht an der Wand und kritzelt mit Filzschreiber auf die neue Tapete. Dann werden Mutters Schnittmusterbogen als Klassenhefte verteilt und darin Schönschreiben geübt. Höhepunkt ist immer die Vesperpause mit Fangespielen in allen Räumen. Kinder ahmen ihren Vater nach. Der andere ist Doktor. Seine Kinder spielen Krankenhaus. In der Küche ist die Ambulanz eingerichtet. Das Mädchen bittet jedes Familienglied zur Vorsorgeuntersuchung. Der Puls wird mit der Eieruhr gezählt und die Zunge mit dem Maro abgestrichen. Die Küchenwaage bricht bei der Gewichtskontrolle zusammen. Kinder ahmen ihren Vater nach. Der dritte ist Pfarrer. Seine Kinder spielen Kirche. Das ganze Pfarrhaus wird zum Gotteshaus. Die Mutter darf Mesnerin spielen und die Hausglocke bedienen. Die Schwester wird Organistin und schaltet den Plattenspieler ein. Der kleine Bruder tritt als Geistlicher auf den Balkon und ruft auf die Straße: “Liebe Gemeinde”.

Kinder ahmen immer ihren Vater nach. Das ist nötig, denn ohne Nachahmung gibt es kein geistiges Wachstum. Das ist wichtig, denn ohne Nachahmung gibt es keine psychische Entwicklung. Das ist entscheidend, denn ohne Nachahmung gibt es keine menschliche Reifung. Kinder müssen ihren Vater nachahmen, wenn sie nicht geistig verkrüppeln wollen, Lehrerskinder, Doktorskinder, Pfarrerskinder, alle Kinder, auch Gottes Kinder. Dazu gehören die, die er in der Taufe angenommen hat, obwohl in ihrem Leben nicht viel Annehmbares steckt. Dazu gehören die, die er in der Bekehrung aufgenommen hat, obwohl in ihrem Leben nicht viel Aufnehmbares liegt. Dazu gehören die, die er durch Taufe und Bekehrung in seine Familie hinein adoptiert hat. Sie mögen an Mikos leiden, weil sie mit ihrer Figur nicht viel hermachen, in Gottes Augen sind sie wer. Sie mögen mit Komplexen kämpfen, weil sie nur eine ganz kleine Nummer sind, in Gottes Augen sind sie wer. Sie mögen zum Mülleimer und Spucknapf degradiert werden, Gott deklariert sie zu seinen geliebten Kindern und der Apostel proklamiert: Ahmt ihn nach. Folgt seinem Beispiel. Wörtlich: Werdet Mimen Gottes. Nicht Pantomimen, die für zwei Stunden die Leute faszinieren, nicht Schauspieler, die einen Abend lang die Leute unterhalten, nicht Bühnendarsteller, die in andere Rollen schlüpfen und Frömmelei mimen. Fromme Schminke, religiöse Masken, fadenscheinige Kostüme sind schrecklich. Mimen Gottes sind Nachahmer, die sein Wesen erfassen und es in sich aufnehmen wollen. Mimen Gottes sind Nachahmer, die durch ihn wachsen und reifen wollen. Mimen Gottes sind Nachahmer, die seinem Bild ähnlich werden und keine geistigen Krüppel werden wollen. Kinder Gottes ahmen ihren Vater nach. Das unterstreicht Paulus in seinem Brief an die Epheser und fügt drei Attribute hinzu.

1. Sie ahmen ihren lieben Vater nach

… und nicht die liebe Diana, so wie in Ephesus. Sie war Stadtgöttin und funkelte in purem Gold durch den marmorschweren Artemision-Tempel. Einfach eine goldige Frau, die die Männerwelt nur so blendete. Sie war Kult­göttin und trug mit Kornähren auf dem Arm ihre Fruchtbarkeit zur Schau. Liebesdienerinnen standen ihr und den Besucher zu Diensten. Sie war Liebes- und Lustgöttin und verkörperte das dolce vita. Ausschweifende Feste wogten um sie her. Lieb ist die Diana von Ephesus, hieß der viel tausendstimmige Chorus jenes Besucher- und Pilgerstromes, der sich jahraus, jahrein zum Tempel hinaufwälzte - und der bis heute nicht abgerissen ist. Auch wenn sie nicht mehr im Tempel funkelt, weil dieses sogenannte siebte Weltwunder längst zu Staub geworden ist, so lächelt sie in Illustrierten, so agiert sie auf Postern, so flirtet sie auf Leinwänden und verführt auf Videos. Wo dargestellt wird ohne Scham, dort ist Diana. Wo befriedigt wird ohne Gewissen, dort ist Diana. Wo geliebt wird ohne Liebe, dort ist Diana. Sie ist zur allgegenwärtigen Citykönigin geworden, die immer mehr in ihren Bann schlägt. Und der Apostel mahnt, auch wenn er nur ein einsamer Rufer in der Wüste ist: Ahmt sie nicht nach. Hände weg von Unzucht und Unreinigkeit. Spielt nicht mit dem Feuer! Glaubt denen nicht, die meinen, vor der Ehe Erfahrungen sammeln zu müssen. Glaubt denen nicht, die meinen, ohne Ehe mit Lebenspartnern glücklich zu werden. Glaubt denen nicht, die meinen, neben der Ehe ein größeres Glück zu finden. Diana blendet. Diana betrügt. Diana lügt, denn sie verbindet Liebe mit Lust, und das führt in die Last der Sünde. Jesus verbindet Liebe mit Opfer, und das führt in die Freude. Liebe zeigt sich nie an ihrem Lustgewinn, sondern nur an ihrer Opferfähigkeit. Und das ist bei unserem himmlischen Vater zu beobachten. Er war hochgradig opferfähig. Aus Liebe zu seinen Geschöpfen, die ihm aus den Händen gelaufen sind, gab er seinen einzigen Sohn in den Schoß einer armen Magd. Aus Liebe zu seinen Menschen, die nach eigenem Gusto leben wollten, gab er seinen einzigen Sohn in die Hände roher Knechte. Aus Liebe zu Ihnen und mit, die wir keine rühmliche Ausnahme verkörpern, gab er seinen Sohn in den Tod. “Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben gibt für seine Freunde.” Ahmt ihn nach, dann wird das Thema Eins nicht mehr in gemeinen Zoten und zweideutigen Worten abgehandelt, sondern im Schönen, Edlen und Beglückenden variiert. Folgt seinem Beispiel, dann wird das Verliebtsein kein Rauschzustand, in dem man den andern ausplündert, sondern ein Wartestand, in dem man sich gemeinsam auf Morgen freut. Werdet Mimen Gottes, dann wird Ehe keine Nomadenexistenz, wo man Zelte abreißt und unverantwortlich weiterzigeunert, sondern lebenslängliche Zweierschaft auf Gedeih und Verderb. Kinder Gottes ahmen ihren lieben Vater nach, und:

2. Sie ahmen ihren reichen Vater nach

… und nicht die reiche Diana, so wie in Ephesus. Sie kassierte als Stargöttin die Millionen. Arme Schlucker und reiche Bonzen griffen tief in die Taschen, um wenigstens einen Hauch dieses angeblichen Glückes zu genießen. Reich ist die Diana von Ephesus und nicht arm wie ein Flittchen aus dem Milieu, das wussten alle, auch Demetrius der Juwelier in der Stadt. Dieser Römer war ein smarter Bursche, dem es durch den Kopf ging: Eine käufliche Diana muss auch verkäuflich sein. Eine reiche Diana muss auch reich machen. Mit dieser Diana mache ich die schnelle Mark. So entstanden in seiner Werkstatt silberne Nachbildungen, Dianas en miniature. Kaum waren sie im Schaufenster, fanden sie reißenden Absatz. Meister Demetrius musste Leute anstellen, Zulieferer engagieren, Nachtschichten fahren. Das Kaufhaus platzte aus allen Nähten. Meister Demetrius musste Filialen eröffnen, Arbeitsplätze schaffen, Werkstätten bauen. Der Markt für wunderwirkende Dianas schien unersättlich. Meister Demetrius Modeboutique wuchs sich zum mittelständischen Betrieb aus. Reich, reicher, am reichsten, Diana machts möglich. Und der Apostel mahnt, auch wenn er gegen den modischen Strich bürstet: Ahmt sie nicht nach. Hände weg von Habsucht und Mehr-haben-wollen. Hütet euch vor dem Geiz. Glaubt denen nicht, die meinen, Geld regiert die Welt. Glaubt denen nicht, die meinen, Besitz mache nicht glücklich, aber beruhige. Glaubt denen nicht, die meinen, ein Mehr an Verdienst sei ein Plus an Leben. Glaubt dem Apostel, der den reichen Vater vorzeigt. Der hat gegeben, damals bei Mose. Als die Habenichtse nichts mehr zu beißen hatten, da gab er ihnen ein Land voll Milch und Honig. Er hat gegeben, damals bei Jesaja. Als die Gefangenen am Ende waren, da gab er ihnen mit Hoffnung auf Heimkehr eine neue Perspektive. Er hat gegeben, damals bei Jesus. Als das Volk unter der Last der Sünde zugrunde ging, da gab er seinen Sohn. Gott ist ein Gebergott. Ahmt ihn nach, dann macht Ihr es vielleicht wie Martin Luther. Als ein gequälter Bauer vor seiner Tür stand und um Hilfe bat, schaute er seinen letzten Georgstaler an, den er in der Tasche hatte und sagte: “Komm heiliger Georg, der Herr Christus ist draußen!” Wir müssten es zum 10-Mark-Schein sagen: “Komm Carl Friedrich Gauß, der Herr Christus steht draußen”, oder zum 50-Mark-Schein: “Balthasar Neumann, der Herr Christus steht draußen”, oder zum 100-Mark-Schein: “Komm Clara Schumann, der Herr Christus steht draußen.” Folgt Gottes Beispiel, dann macht Ihr es vielleicht wie jene frischgebackene Krankengymnastin Ilse, die vom ersten selbstverdienten Lohn 50,- DM auf den Tisch legte und sagte: “Für einen Notfall”. Werdet Mimen Gottes, dann macht Ihr es vielleicht wie jene alte Christin, die betete: “Herr, hier hast du mein Geld. Schenk mir die Devisen der Ewigkeit.” Kinder Gottes ahmen ihren Vater nach.

3. Sie ahmen ihren großen Vater nach

… nicht die große Diana, so wie in Ephesus. Dort war Alarm. Die Predigt des Paulus, Gott wohne nicht in Miniaturtempelchen, hatte geschäftsschädigende Wirkung. Die Verkaufszahlen zeigten ein Nullwachstum. Meister Demetrius blieb auf seinen glückbringenden Souvenirs sitzen. Aus war’s mit 6 % Lohnzuschlag und vorbei war’s mit gesicherten Arbeitsplätzen. Die Furcht vor Arbeitslosigkeit ging um wie ein Gespenst. Deshalb wurde eine Demo angezettelt. Alles rannte Richtung Theater. Die 25 000 Sitzplätze waren im Nu besetzt. Dann fing einer an zu schreien: Groß ist die Diana der Epheser. Andere fielen ein: Groß ist die Diana der Epheser. Schließlich tobte der ganze Hexenkessel und grölte zwei Stunden lang: Groß ist die Diana der Epheser. Kaum einer wusste warum. Kaum einer blickte durch. Kaum einer kannte den Grund dieses Heidenspektakels. Weil alle liefen, lief man mit. Weil alle schrien, schrie man mit. Weil alle beteten, betete man nach: Groß ist die Diana. Der Sog der Masse ist ungebrochen bis heute. Weil alle rennen, rennt man mit. Weil alle heulen, heult man mit. Weil alle klagen, klagt man mit. Weil alle schimpfen, schimpft man mit. Weil alle brüllen, plappert man nach: Groß sind unsere Ziele. Unschlagbar unsere Truppen. Global unsere Ideen! Und der Apostel mahnt, auch wenn seine Stimme im Orkan der Meinungsmacher fast untergeht: Ahmt sie nicht nach. Hände weg von aufgeputschten Massen. Lasst euch von niemanden verführen mit leeren Worten. Glaubt denen nicht, die mit den Wölfen heulen. Glaubt denen nicht, die nach dem Mund reden. Glaubt den Angepassten nicht. Auch um Jesus tobte dieser Hexenkessel. Weil alle den Namen riefen, rief man mit: Barrabas. Weil alle die Kreuzigung forderten, forderte man mit: Lass ihn kreuzigen. Weil alle das Blut beschworen, beschwor man mit: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder. Aber dieser Herr ging seinen Weg, so wie Paulus aus Ephesus, allein und verachtet, aber getragen und getrost. Ahmt ihn nach, dann seid ihr auf einem zwar einsamen, aber auf dem einzig richtigen Weg. Ahmt ihn nach, dann seid ihr zuweilen verspottete Einzelgänger, aber in jeder Lage von ihm versorgte Kostgänger. Ahmt ihn nach, dann versteht ihr den fast vergessenen Christian Morgenstern: “Sieh nicht was andere tun, der andern sind so viel. Du kommst nur in ein Spiel, das nimmermehr wird ruhn. Geh einfach Gottes Pfad, lass nichts sonst Führer sein, so gehst du recht und grad, und gingst du ganz allein.” Allein wie Jesus auf dem Passionsweg, allein wie Paulus auf dem Missionsweg, allein wie Nachahmer des lieben, reichen und großen Vaters auf dem Lebensweg, aber in der Gemeinschaft derer, die nicht nachbeten: Groß ist die Diana, sondern vorsingen: “Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke”.

Amen