Die Missionsaufgabe und die Sorge um Jerusalem
Jetzt lesen wir weiter in Jesaja 49,14-15. Jesaja 49 in den ausgelegten Bibeln, Seite 690. Jesaja 49,14-15.
Das ist ein ganz wunderbares Kapitel, in dem zuerst noch einmal die Missionsaufgabe Jesu geschildert wird. Es heißt: „Es ist mir zu wenig, nur die Stämme Israels aufzurichten.“ Er soll das Heil Gottes zum Licht der Heiden sein. Er ist gesetzt, das Heil aufzurichten bis an die Enden der Erde.
Aber dann kommt noch einmal die Frage: Was wird aus Jerusalem, den zerbrochenen Mauern, dem verwüsteten Erbe? Gottes Plan ist, Israel noch einmal zu sammeln und neu zu bauen.
Da kommt die Stimme der Resignation im Vers 14: „Zion aber sprach: Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat mich vergessen.“
Doch es folgt die tröstliche Antwort: „Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet.“
Herr, mach uns diese Basis unseres Glaubens groß. Amen.
Das Bild der Titanic als Sinnbild für menschliche Verzweiflung
In den letzten Tagen habe ich wohl etwas verpasst. Wie ich hörte, lief im Fernsehen ein interessanter Film. Ich meine nicht Derrick oder den Denver Clan, sondern den Untergang der Titanic.
Ich habe gespürt, wie viele Menschen dadurch wieder angesprochen wurden. Dieses Ereignis gehört ja in den Anfang unseres Jahrhunderts. Es war gleichsam der Siegeszug des Fortschritts, all dessen, was der Mensch mit seinen großen Gaben schaffen kann. Dieses Luxusschiff sollte natürlich das schnellste über den Atlantik sein und war mit allen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet.
Man sagte, es sei unsinkbar. Die Schotten, die das Schiff dicht machen sollten, waren so konstruiert, dass es selbst bei einem Zusammenstoß mit einem Eisberg nicht untergehen könnte. Doch dann geschah alles so plötzlich. Das Schiff lief auf einen Eisberg auf, und selbst in diesem Moment dachte noch niemand daran, dass dies für viele hundert Menschen den Tod bedeuten könnte.
Man hatte ja vorgesorgt für solche Augenblicke. Es muss ergreifend dargestellt worden sein in diesem alten Film, welche Szenen sich beim Aussteigen in die Rettungsboote abspielten. Wie da ein Junge noch eine alte Frau an seinen Platz im Rettungsboot steigen ließ und selbst mit dem Schiff unterging.
Bekannt ist auch die eine Stelle, an der das Bordorchester, das eben noch zum Tanz aufgespielt hatte, sich auf dem schon schiefen Schiffsboden sammelt und das Lied „Näher, mein Gott, zu dir“ spielt. In so einem Augenblick, in dem man plötzlich weiß, dass es nichts mehr gibt, was einen halten kann.
Zweifel und die Suche nach Gottes Gegenwart in Notlagen
Nun sind ja die Jahrzehnte seit dem damaligen Untergang der Titanic vergangen. Ich meine manchmal, es ist heute so, dass sehr viel mehr Menschen als damals sputten, lästern und sagen: „Das ist ja verrückt!“
Da fangen sie plötzlich in einer solchen Lage an, auf Gott zu bauen – als ob Gott in solch einem Augenblick helfen könnte. Hat er denn überhaupt geholfen? Es fielen ja keine Rettungsboote vom Himmel. Es blieb dabei, dass die anderen Schiffe ihre Funkanlagen abgeschaltet hatten und gar nicht hörten, dass da ein SOS funkte. Keiner hörte die Hilferufe, da war doch niemand da.
Ist das nicht ein Trugschluss? „Vergessen bist du. Keiner kümmert sich um dich.“ Ist das nicht bloß ein frommer Wahn, wenn man glaubt, Gott könnte man in solchen Augenblicken anrufen? Ich denke, viele Menschen sind heute Morgen von dieser Frage umgetrieben.
Aus den ganz großen Nöten, in denen sie stehen, kommt die Frage: Hat Gott mich vergessen? Wir leben die ganzen Tage lange Zeit in großer Gleichgültigkeit Gott gegenüber, weil es uns gut geht, weil Menschen uns umgeben, wir Erfolg haben, gesund und stark sind und unsere Arbeiten tun können.
Aber wenn das alles plötzlich auf einen Schlag weggenommen wird, stehen wir da und fragen: „Ist denn Gott wirklich noch da?“ Da müssen Zweifel kommen. Wir haben ja gar nicht nach Gott gefragt, ob er uns wirklich in diesem Augenblick tragen würde. Wir können es ja gar nicht sicher beantworten. Es war uns immer nur eine vage Sache, gar nie genau bewusst.
Darum will ich heute die Frage beantworten, ob Gott uns vergessen hat oder ob er uns vielleicht abgeschrieben hat. Das will ich vor dem Hintergrund dessen sagen, was viele von Ihnen im Augenblick Schweres durchleiden und erleben.
Drei Gründe, warum Gott uns nicht vergessen kann
Hat Gott mich vergessen? Es gibt drei Gründe, die dagegen sprechen.
Erstes Argument: Die Natur Gottes als Mutterliebe
Der erste Grund ist die Natur Gottes. Gott benutzt dafür ein sehr eindrückliches Bild, das fast jeder von uns verstehen kann: Mutterliebe.
Ich hatte gestern einen Obdachlosen in meiner Küche, der etwas zu essen wollte. Wir sprachen über sein Leben, und es hat mich ein wenig berührt, weil er genau mein Jahrgang war. Dabei dachte ich: Jetzt muss ich wieder eine Predigt für morgen vorbereiten. Ich wollte anrühren, wo jeder Mensch noch etwas von Liebe fühlt, und fragte ihn: Lebt Ihre Mutter noch? Er antwortete: Meine Mutter hasst mich, sie will mich nicht mehr sehen. Ich dachte, das ist sicher das Schwerste, was ein Mensch durchmachen muss. Da mag die Obdachlosigkeit noch das kleinste Übel sein. Aber die meisten von uns wissen, was Mutterliebe ist.
An diesem Bild hängt Gott seine Treue zu uns auf und sagt: Ihr wisst das doch, ihr Menschen, obwohl ihr alle sehr beschädigte Charaktere habt. Und wir als Eltern wissen ja, wie viele Schwachstellen wir haben, gerade unseren Kindern gegenüber. Wir sind bedrückt über unsere Versäumnisse. Doch Gott nimmt dieses Bild, weil es so aussagekräftig ist, für seine Liebe und seine Güte.
Jetzt wollen wir uns das einmal genauer vorstellen. Unsere Kinder wissen das nie, sie merken es erst, wenn sie selbst einmal Eltern sind. Wie Eltern für ihre Kinder wachen, nachts aufstehen, wenn sie einen Schrei hören. Wie sie auf viele Bequemlichkeiten verzichten, um ihrer Kinder willen. Kinder kommen ja nie geschickt und werden nie zu einem passenden Zeitpunkt geboren. Sie fordern immer Opfer. Und Eltern tun das gerne. Sie sind beschenkt aus Liebe zu ihren Kindern. Sie wollen einfach alles, was sie sind, ihren Kindern schenken.
Man kann nicht erklären, was hinter dieser Mutterliebe steckt. In einer Zeit, in der hinter Liebe oft selbstsüchtige Lusterwartungen stehen, ist die Mutterliebe ganz anders. Sie ist eine reine, schenkende Liebe. Und es ist gewaltig, wie die Mutterliebe dem Kind alles gibt.
Nun sollen wir wissen: Gott kann mich gar nie vergessen. Wie eine Mutter sorgt er für mich und wacht über mich. Auch wenn es in Ihrem Leben ganz dunkel ist und Sie nur noch Ihre Not sehen, sollen Sie dieses Wort hören: Der Glaube kommt aus dem Hören, nicht aus dem Sehen. Hören Sie es heute! Gott kann Sie nicht vergessen. Das, was er einmal über Ihnen ausgesprochen und festgemacht hat, das gilt.
Jetzt muss ich aber doch noch ein Wort zur Mutterliebe sagen, weil unser Jahrhundert es geschafft hat, die Mutterliebe so zu beschädigen. Da steht etwas vom Sohn ihres Leibes. Das verbindet eine Mutter mit ihrem Kind ganz besonders: Sie gehören zusammen. Es fällt mir schwer, über dieses Thema zu sprechen, weil ich weiß, dass ich damit Wunden rühre.
Aber wenn es heute so leichtfertig getan wird, dass eine Mutter ihre Leibesfrucht, ihr Kindlein im Leib töten darf – in dem Leib, der das Kindlein bergen soll – dann müsste unsere ganze Menschheit aufschreien. Wir wollen uns nicht gegen Mütter wenden, sondern darauf hinweisen, dass es Väter gibt, die ihre Geliebten in eine solche Situation bringen können. Dass der Sohn ihres Leibes im Mutterleib getötet werden muss und man das als normal ansieht – wen wundert es da, dass es Störungen gibt, die tiefgreifend sind und ein Leben lang nicht heilen, außer durch die Vergebung Jesu.
Das ist wieder natürlich. Das geht nur, wenn man sagt, das sei gar kein Kind im Mutterleib. Dabei widersprechen alle Erkenntnisse der Embryoforschung dem. Jede Mutter weiß das besser.
Wir wollen das festhalten, nicht um jemanden zu verletzen, sondern um andere zu retten und sie vor einer schweren Schuld zu bewahren, die ihr Leben zerstört. Ich sage das heute so klar um der jungen Leute willen: Das Heiligste und Größte ist, dass sie Mutter- und Vatergefühle haben dürfen, auch für das ungeborene Leben. Das fordert uns zu einer großen Verantwortung heraus – auch mit den Gaben, die Gott uns gegeben hat, dass wir Nachkommen zeugen dürfen.
Das ist wieder die Natur Gottes. Noch viel mehr: Wenn eine Mutter ihres Kindes vergisst, sagt der Herr: Ich will dich doch nicht vergessen. Auch wenn es das geben sollte und vielleicht die Bild-Zeitung einmal von einer Rabenmutter berichtet, sagt Gott: Ich bin es nicht. Mit mir könnt ihr euch nicht vergleichen.
Nun fragen wir: Kann man das auch so auslegen, dass das wieder die Natur Gottes ist? Wir sind doch nicht seines Leibes. Doch darin liegt das Evangelium, das uns immer wieder auf den Punkt bringt: Gott hat es über den Leib seines Sohnes gemacht, dass wir ihm gehören. Er hat dieses Opfer hingelegt, und wir sind blutsverwandt durch das Blut Jesu.
Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, für den dieses Blutopfer nicht gilt. Darum betont die Bibel immer wieder dieses anstößige Wort vom Blut. So heilig ist Gott, dass er uns nicht vergessen will. Er will uns seine ganze Erlösung schenken, weil wir ihm gehören – um des Opfers seines Sohnes willen.
Das wäre wieder die Natur Gottes, nachdem er seinen Sohn hat opfern lassen. Das sind keine abenteuerlichen Vorstellungen, sondern das hat Gott getan, damit ich mich daran halten kann – in den Tiefen meines Verzagtseins, wenn die Zweifel über mich hereinbrechen. Er kann mich nicht vergessen. Es wäre wieder seine Natur. Nur Menschen bringen es fertig, ihre eigene Natur als Kind zu vergessen. Gott kann das nicht. Wir gehören zu ihm, und er hat uns seine ganze Liebe zugesprochen.
Zweites Argument: Gottes Wille, uns nicht zu vergessen
Zweiter Punkt, an dem ich es befestigen will: Gott will uns nicht vergessen.
Das Erste war, es wäre wieder seine Natur. Und das Zweite: Er will uns nicht vergessen. Vergessen ist etwas sehr Heilsames. Haben Sie es auch schon entdeckt? Wenn man einmal in alten Erinnerungen zurückgräbt, merkt man, dass wir vieles in unserem Gedenken längst einfach verdrängt haben – und das ist gut so.
Wenn wir all die schweren Dinge noch in Erinnerung hätten, könnten wir nie mehr lachen. Das ist der Vorteil, wenn man sagt: „Schlaf mal drüber.“ Am nächsten Tag wird es leichter, weil schon das Vergessen beginnt. Die schwere Last, die uns heute niederdrückt, fällt dann von uns ab. Darum ist das Vergessen eine gute Sache. Man vergisst die unangenehmen Dinge des Lebens, obwohl man sie leider oft besser behält als die guten Sachen – in der Undankbarkeit unseres eigenen Herzens.
Und darum wäre es nur zu natürlich, wenn Gott auch vergessen würde. Das, was er hier sagt, war zuerst einmal zum Volk Israel gesprochen – Zion, so fängt es doch an. Dieses Volk Israel hat doch das Erbarmen Gottes auf das Schlimmste enttäuscht. Gott müsste das doch einmal vergessen können, die ganze Geschichte. Warum hat er mit Abraham bloß begonnen? Warum hat er das mit Mose noch einmal fortgeführt? Hätte er doch die Finger von diesem Volk gelassen. Sie haben ihm doch nur Mühe und Arbeit gemacht.
Jetzt bliebe doch eigentlich nur noch übrig, dass Gott sagt: „Das Gericht habt ihr verdient, der Tempel ist zerbrochen, Jerusalem ist eine Trümmerwüste, ich will das einmal abschließen, ich will mir ein anderes Volk erwählen.“ Und selbst über der Trümmerwüste will Gott nicht vergessen. Er sagt nicht einfach: „Jetzt ist Schluss und jetzt höre ich auf.“ Das ist für uns geschrieben, weil Gott, was er einmal begonnen hat, zu Ende bringt.
Ich will nicht vergessen, auch wenn eine ganze große, lange Geschichte mit Ungehorsam, Untreue und Gottlosigkeit dazwischensteht. Ich will nicht vergessen. Ja, was willst du denn dann, Gott? Haben Sie es gehört, wie ich Sie heute in diesem Gottesdienst gegrüßt habe? „Mit ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen.“ Ich warte nur auf den Augenblick, wo dir einmal die Augen übergehen und du merkst, was meine Geduld und meine Liebe erst ist.
Was Liebe ist, das können Sie nur an Gott studieren. Sie werden es erst richtig verstehen und merken über der Schuld Ihres Lebens, über der Untreue, über dem, was Sie Gott zugefügt haben. Heute gibt es viele, die können das alles nicht fassen, dass Gottes Gericht so streng sei. Sie sagen immer wieder: „Ja, muss man nicht das alles einfach wegwerfen? Gott ist vielleicht einfach gutmütig zu uns, und er ist eben eine Liebe, die gar nichts Böses will.“
Es sind ja ganz viele Stimmen, die heute so sprechen und sagen: „Nimm doch weg aus dem Alten Testament mit seinen harten Worten.“ Aber das ist ja nicht nur Altes Testament. Offenbar haben die Leute noch nie das Neue gelesen, denn in den Worten Jesu finden sich ja die härtesten und klarsten Worte des Gerichts und der Verdammnis.
Aber wie hängt das dann mit der Liebe zusammen? Das ist die Wirklichkeit unserer Welt, dass es eine Verdammnis gibt. Machen Sie doch bloß die Augen auf! Wo ist ein Mensch, der es nicht verstehen kann, dass es eine Hölle gibt, wo wir doch schon so viel erleben, von dem, dass diese Welt ohne Gott dahingeht?
Aber Gott will erbarmen, er will! Was soll er denn tun, wenn der Unglaube dauernd sagt: „Ich will das gar nicht.“ Wie soll denn Gott uns sein Erbarmen groß machen, wenn wir es ja gar nicht hören wollen? Wir verharmlosen, wir drehen das Wort der Bibel um. Gott will nicht vergessen, er will erbarmen in der ganzen Größe seiner Liebe.
Er will das deutlich machen, gerade weil es ein Gericht gibt. Das ist ja Gottes nicht das letzte Ziel, obwohl es eine Realität ist, auf die wir zulaufen. Gott will es nicht. Darum ruft er, darum klopft er, darum mahnt er auch. Dieser Ruf damals an Israel sollte das Ziel haben: eine Umkehr zu Gott.
Und wenn Sie das alles heute hören, wird es Sie nicht trösten, wenn Sie nicht umkehren, wenn Sie sich nicht beugen in der Buße und wenn Sie sich nicht ganz neu in die Hände Gottes geben. „Ich will deiner nicht vergessen“, obwohl es diese grausame Realität gibt, dass man Gott verlieren kann. An dem Ernst will ich kein Wörtchen abbrechen. Und es ist wahr, dass man verloren gehen kann.
Ja, aber Gott kann doch, ja, er will sogar gar nichts anderes. Aber wenn wir uns nicht öffnen für seine Liebe – da steht im Evangelium die Geschichte von einem verlorenen Sohn, der davonläuft und all das vergisst und er pfeift auf diese Liebe des Vaters, die ihm da offensteht. Und dann steht der Vater tagtäglich auf dem Dach seines Hauses und späht hinaus: „Wann kommt er endlich zurück?“
Sie können dies alles nur haben, wenn Sie zurückkehren, zum Vater kommen und sagen: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ Dann erleben Sie, was Erbarmen Gottes ist und dass Sie nicht vergessen waren.
Es laufen viele Menschen über diese Welt, die sagen: „Wo ist denn die Liebe Gottes?“ Nur wenn ich heimkehre, habe ich Liebe Gottes, und da habe ich nichts, und da gehe ich verloren, fern von Gott, in der Ungnade der Welt. Umkehren, heimkehren – Gott will nicht vergessen.
Drittes Argument: Gottes unvergängliche Erinnerung an uns
Und noch ein letzter Punkt zur Befestigung unseres Glaubens: Das Erste war, es wäre wieder die Natur. Das Zweite: Gott will es nicht, es vergessen. Das Dritte: Es geht ja überhaupt nicht mit dem Vergessen. Was mit dem Verlorengehen geht, leider, aber mit dem Vergessen geht es nicht.
Siehe: „In die Hände habe ich dich gezeichnet.“ Es ist so, als würde ein Schüler für eine Klassenarbeit eine schwierige Algebraformel auf die Hand schreiben. Wenn man sie geschickt platziert, kann man sie später wieder abdecken und im richtigen Moment parat haben. Die Hand hat man vor Augen. Sie ist nicht wichtig, um etwas anzupacken, sondern weil man sie ständig sieht.
Im fünften Buch Mose steht die Mahnung, dass die Gesetze Gottes – die Juden nennen sie die Tora – auf die Hand gebunden werden sollen. Damit wollen sie zum Ausdruck bringen, dass das Wissen um die Gesetze gleichzeitig zum Tun führt. Aber vor allem soll es immer vor Augen sein, so wie man es auf der Hand trägt.
Gott gebraucht in diesem unvergesslichen Bild nicht nur die Mutterliebe, sondern auch das „In-die-Hand-Gzeichnet-Sein“. Das ist so viel Trost, dass es für viele Tiefen unseres Lebens reicht. Da steht nicht nur: „Dein Name ist eingeschrieben in die Hand Gottes.“ Stellen Sie sich wirklich einmal vor, wenn in diesem Augenblick Ihr Name – Vor- und Nachname – Gott vor Augen ist, gerade in den Tiefen, wo wir denken: „Gott hat mich doch vergessen.“ Er hat den Namen so gut vor Augen, dass er uns sieht.
Aber da steht nicht nur, dass der Name geschrieben ist. Es ist wichtig, dass der Name eingeschrieben ist, aber noch wichtiger: Sie sind eingezeichnet. Ich bewundere Porträtzeichner, die mit ein paar Strichen einen ernsten Gesichtsausdruck und die Physiognomie einfangen – all das, was den Charakter ausmacht: Sehnsüchte, Hoffnungen, Enttäuschungen.
Ich bin Gott eingezeichnet in die Hand. Er sieht mich vor Augen – mit meinen Schwächen, Enttäuschungen, Sünden und Werken, mit allem, was ich bin. Ich bin ihm so vor Augen, und er kennt mich. Das ist Trost: Er kann mich gar nicht vergessen.
Wenn ich noch daran denke, dass die Hände Jesu, in denen ich eingezeichnet bin, gleichzeitig die Hände sind, die die Nägelmale tragen, bin ich überzeugt: Wenn wir einmal in der Ewigkeit vor Jesus stehen, werden wir an seinen Händen noch die Nägelmale sehen – als Zeichen seiner Liebe. Dann werden wir noch einmal sehen, was er getan hat. Da bin ich eingezeichnet, mit allem, was ich bin.
Da möchte ich hinsehen und ihm danken. Der Unglaube hat kein Recht mehr, mich in die Abgründe hinunterzustoßen. Gott gibt mir einen festen Grund, dass ich glauben und danken darf. Amen.
