Lieber Herr, lass uns jetzt wieder teilhaben an der Freude dieses Philippabriefs – Freude an Dir!
Unser Blick ist oft nur deshalb verdunkelt, weil wir eine bestimmte Richtung einnehmen und alles verzerrt sehen. Dabei sehen wir nicht mit Dir.
Du kannst uns heute Abend die Sorgen abnehmen und uns fröhlich machen, ganz gleich, was uns bedrückt. Du kannst uns auch in Deine Nähe hineinnehmen, besonders im Hinblick auf das, was morgen kommt.
Wir wollen durch Dich gestärkt werden und danken Dir, dass Du uns diese Gemeinschaft schenkst. Amen.
Dankbarkeit und Herausforderungen der Übersetzung
Philippa II. Ich bin immer wieder dankbar, dass sie dieses schwierige Stück bewältigt haben, die Umänderung unserer Zeit. Ich weiß, das ist nicht ideal, aber es ist eben besser als vorher, besonders wegen der Chorsänger.
Philippa II. Man wollte ja immer wieder bei Bibelworten einfach stehenbleiben und dann bloß so einen Vers auslegen. Heute haben wir eine ganze dichte Fülle.
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid, tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achtet einer den anderen höher als sich selbst. Und an jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht (Philipper 2,1-5).
Also, Sie haben ganz recht, Luthers Text war besser, aber das ist eben bei der Übersetzung. Jeder weiß, dass jede Übersetzung irgendwo an irgendeiner Stelle nicht richtig übertragen kann. Darum ist es immer wieder gut, wenn man Verschiedenes hat und hört.
Das Vorbild Jesu als Grundlage unseres Handelns
Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Stattdessen entäußerte er sich selbst und nahm Knechtsgestalt an. Er wurde den Menschen gleich und erschien als Mensch.
Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott auch erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.
So sollen sich in dem Namen Jesus alle Knie beugen – die im Himmel, auf Erden und unter der Erde. Und alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Man sitzt in einer Gefängniszelle, und vor einem weitet sich der Blick. Man sieht schon die Vollendung der Welt, wie Jesus Christus die große Königsherrschaft antritt und alle Knie sich vor ihm beugen. Auch die Lästerer, Spötter und Leugner der Größe Gottes werden ihn anbeten.
Das kann man nicht immer verstehen, wie sich das alles entwickeln wird. Aber er sieht es, und wir sollten heute Abend irgendwo still werden vor diesem Wunder.
Es ist schon alles gelöst. Wenn wir unsere Freizeiten auf dem Michelsberg abschließen, ist es immer ein schöner Moment, wenn wir am Ende sagen, dass Jesus’ Sieg ewig besteht. Die ganze Welt ist oder wird ihm gehören.
Wir, die wir hier noch in Auseinandersetzungen stehen oder, wie wir am Sonntag bedrückend feststellen mussten, in schweren Versuchungen leiden und bedrückt sind, wissen, dass Jesus jetzt diese Herrschaft aufrichtet.
Wir dürfen mithelfen, dass heute schon viele Menschen ihre Knie vor ihm beugen.
Die Bedeutung der Gebetshaltung und Anbetung
Das beugende Knie ist eine große Hilfe, auch für mich beim Beten. Ich weiß nicht, ob Sie das genauso empfinden. Es gibt Augenblicke, in denen man knien und beten muss, Momente, die einen geradezu auf die Knie zwingen. Dieses Beugen ist ein Ausdruck, der darin liegt.
Gleichzeitig darf man die Gebetshaltung nicht überbetonen. Es gibt Menschen, die sagen, erst wenn wir die Hände ausstrecken, kann der Geist Gottes zu uns kommen. Die Haltung des Knies ist eine Beugung, und es ist für uns immer wieder gut, uns unserer ganzen Schwäche bewusst zu werden.
Die gefalteten Hände sind ein Zeichen unserer Sklavenart – wir sind die Gebundenen Christi. Doch das Beugen der Knie hat auch in der Anbetung eine wichtige Bedeutung für uns. Wir werden vor Jesus niederfallen und ihn anbeten, der Herrschaft Gottes im Himmel Ehre geben und seinen Namen laut bekennen.
Es ist schade, dass wir tagsüber oft nur klagen können und in der Nacht, wenn wir bedrückt sind, meist nur unsere Sorgen hin und her wälzen.
Die Kraft der Anbetung in dunklen Zeiten
In der IDEa-Ausgabe, die am Mittwoch erscheint, hat Horst Klaus Hoffmann anlässlich des Todes von Siegfried Wiesinger einen wichtigen Artikel geschrieben. Darin sagt er, dass es sicher viele Menschen gibt, die nicht mehr hinaussehen und bedrückt sind. Er erwähnt außerdem, dass er am Sonntag in der Predigt vergessen hat, die Lieder von Paul Gehrt zu erwähnen, die alle aus der Dunkelheit der Depression stammen.
Wäre mein Gott nicht gewesen, hätte mich sein Angesicht nicht geleitet, wäre ich nicht außer mancher Angst genesen.
Die Anbetung Jesu und das Wissen, dass er der Herr ist, führen ihn aus den Tiefen der Dunkelheit heraus, in denen wir oft genug feststecken. Paulus schreibt dies als Häftling. Heute ist es ein Irrweg, immer wieder zu meinen, wir hätten mehr Selbstvertrauen. In uns selbst ist da nichts, sondern wir blicken auf den Sieger. Von dort kommt unsere Zuversicht.
Die Weltgeschichte ist gelöst. Paulus hat sich nicht mehr über die Schrecken des Römischen Reiches geärgert, weil er wusste, dass Christi Herrschaft den Sieg behält. Das Reich Gottes geht seinen Weg durch die Weltgeschichte. Nur das ist wichtig: dass mein Tun und Arbeiten in dieses Reich Gottes, in diese Gottesherrschaft hineingehört.
Und der Lobgesang soll erschallen.
Wir hatten das auf der Freizeit oft betont und auch die Liederbücher dabei. Es war immer so schön, wenn wir beim Essen schon drei, vier, fünf oder manchmal auch sechs Verse gesungen haben. Wir singen doch viel zu wenig Lob- und Danklieder. Schon beim Singen eines solchen Liedes, "Lob meines seligen Herrn", weichen Ängste und Sorgen.
Auch das belastete Gewissen wird geheilt unter der Schuld, die uns bedrückt. Er heilt, was dir gebricht.
Ermahnung in Christus als Weg zur Veränderung
Aber jetzt fangen wir noch einmal von vorne an. Für Paulus ist es jetzt wichtig, wie sich unser Glaube im Leben verwirklicht. Das ist ja immer eine Schwierigkeit: Wie setzen wir das um?
Er verwendet eine Formulierung, die wir heute kaum gebrauchen, die aber ganz wichtig ist: Ermahnung in Christus. Sie wissen ja, wie das oft mit der Ermahnung ist – mit Schimpfen erreicht man gar nichts. Haben Sie schon einmal durch Schimpfen etwas erreicht? Die Ermahnung bewirkt hingegen etwas.
Bunyan, ich weiß nie genau, wie ihn die Engländer aussprechen – wissen Sie, wie ich es mache? Ich sage Bunyan, aber die sprechen ihre Namen oft anders aus. Bunyans Pilgerreise kennen Sie doch. Dort sind geistliche Wahrheiten so eindrücklich festgehalten. Es ist ja immer noch, glaube ich, das meistverbreitete Buch nach der Bibel. Es ist wirklich großartig, wie dort die Sachverhalte bildlich dargestellt werden.
Bunyan erzählt, wie eine Magd im Haus des Auslegers – das ist der Bibelausleger – zuschaut, wie die Bühne gefegt wird. Dabei entstehen riesige Staubwolken. Kennen Sie das noch aus Ihrer Kindheit, wenn man gekehrt hat und es dabei so gestaubt hat? Dann kommt jemand und spritzt ein bisschen Wasser hinein. Daraufhin erklärt der Ausleger: So ist es mit dem Gesetz. Das Gesetz wirbelt nur Staub auf, während das Evangelium bewirkt, dass das Gesetz nicht mehr Staub aufwirbelt, sondern wirklich zur Reinigung führt.
Genau das ist hier gemeint: Ermahnung ist trotzdem nötig, aber Ermahnung in Christus. Wir können einem Menschen sagen: Du darfst dich verändern, dein Leben kann neu werden. Es ist nicht so, dass jemand jetzt mit Druck versucht, dich zu verändern, sondern es ist das Angebot des Evangeliums.
Natürlich muss ich mich auch wehren. In der Gemeinschaft schulden wir einander auch manches kritische Wort.
Gemeinschaft und gegenseitige Ermutigung
Wenn man wissen möchte, warum die Gemeinschaft unter Christen in unseren Kreisen und Gruppen oft so wenig gelebt wird, ist es wichtig zu verstehen, dass Gemeinschaft nicht nur aus wohlklingenden Lobeshymnen besteht. Echte Gemeinschaft erlebt man wie in einer Familie, in der man sich auch einmal kritisch etwas sagen kann. Und das ist notwendig.
Es gehört dazu, dass man sich auch zurechtweist und einander korrigiert – aber nicht, um zu verurteilen, sondern um zu zeigen: „Du kannst dich verändern. Christus möchte das in dir verbessern.“ Dabei sollten wir uns überlegen, wie wir das möglichst freundlich und gütig ausdrücken können, mit einem ermutigenden Wort. Denn wir sind alle sehr verletzlich, und in unserer Zeit wird das immer schlimmer. Es fällt uns kaum noch leicht, wenn jemand sagt: „Das war vielleicht nicht optimal.“
Vielleicht können wir es so machen, dass wir Mut zusprechen und sagen: „Schau mal, das könnte man noch geschickter anpacken und besser machen.“ Manchmal stehen einem dabei die Haare zu Berge. Oder, wie Paul Deidenbeck sagt: „Die Haare gehen durch den Stahlhelm“, wenn man hört, wie manche Leute erzählen, was sie so tun. Da denkt man: „Du kannst doch als Christ nicht so handeln, so reden oder so sein.“
Es ist wichtig, dass wir immer wieder das richtige Wort finden, um einem anderen zu helfen und den richtigen Moment zu ergreifen, um Ermahnungen zu geben. Dadurch ermöglichen wir Christus, dass wir aufeinander hören. Oft sind das große Schätze und Möglichkeiten. Der andere kann uns viel besser beraten, weil er die Situation aus seiner Perspektive besser sieht und einschätzen kann, was man in dieser Lage tun kann.
Die Kraft der herzlichen Liebe und Barmherzigkeit
Trost der Liebe
Trost der Liebe ist eine wunderbare Kombination aus Gemeinschaft des Geistes, die verbindet und zusammenschließt, herzlicher Liebe und Barmherzigkeit. Es gibt ja auch eine kalte Liebe, eine kühle Liebe, eine distanzierte Liebe – aber diese ist dann keine Liebe mehr. Die Liebe ist immer herzlich, sie kommt aus den Gedärmen, aus den Eingeweiden. Sie geht richtig tief ins Fleisch hinein und wirkt sich auch aus.
Ich finde es so wunderbar, wie man hier in dieser Gemeinde Liebe erfahren kann. Und ich möchte einmal sagen, dass ich große Hochachtung vor so viel Liebe habe, die ich hier erlebt habe. Wissen Sie, lassen wir jetzt auch nicht theoretisch darüber reden. Ich weiß, wie hier Menschen über Wochen hinweg zum Sterben begleitet wurden, und wo Berufstätige aus Liebe die Nacht um die Ohren geschlagen haben.
So kann man sagen, wie Dienste miteinander getan wurden, wie Feste gefeiert wurden, wie man alles miteinander erlebt und geteilt hat, weil man zusammengehörte. Es gibt sicher immer wieder Leute, die sagen: „Ja, aber ich merke nichts.“ Gerade jemand, der von außen kommt, muss auch hineintreten. Und es ist immer am schönsten, wenn sie fragen: „Wo kann ich mich einmal einbringen? Wo darf ich selber teilhaben?“ Vielleicht steht man manchmal zu weit abseits und dreht sich auch nicht um. Aber das ist das Geschenk der Gemeinde.
Paulus hat das besonders empfunden, auch aus der Gefangenschaft heraus. Es war ihm ganz besonders wichtig, den Leuten zu zeigen, wie schön Gemeinschaft ist – gerade er, der isoliert leben muss. Er sagt, dass es doch so wunderbar bei euch ist, dass ihr zusammensteht und in herzlicher Liebe und Barmherzigkeit beieinander seid.
Man kann in Zukunft einfach die Tür ein bisschen weiter öffnen, dann brauchen Sie sich hinten nicht mehr zu sehen. Jetzt nicht mehr, aber das nächste Mal machen wir das hinten beim Chor, da ist es ja sowieso warm. Die äußere Tür muss zu sein, denn sonst kühlt der Chorraum so aus, dass sich draußen ein Kamin mit der kalten Decke bildet. Also: die herzliche Liebe und Barmherzigkeit.
Einheit in der Vielfalt als Ausdruck der Gemeinschaft
Und jetzt sagt er: Macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid. Man bemüht sich ja immer wieder, Einigkeit unter Christen zu schaffen. Heute spielt das die größte Rolle, wie man Organisationen vereinheitlicht.
Heute gilt es als das schlimmste Verbrechen, wenn es verschiedene Organisationen gibt, die etwa Dienste tun, Missionsdienste oder wie wir bei Hilfe für Brüder. Das finde ich jedoch nicht schlimm. Es wäre schlimm, wenn wir uns gegenseitig Schwierigkeiten machen. Aber wenn sich diese Dienste ergänzen, ist das wunderbar.
Wir haben uns noch nie mit Brot für die Welt überschnitten; sie machen etwas ganz anderes. Aber heute ist es so schlimm, dass es nebenher etwas geben darf und da nichts mehr nebenher existieren soll. Ich kenne das von vielen Kollegen, die sagen, es ist doch unmöglich, dass es so viele Gruppen gibt, die sich nicht mehr unterstellen. Das ist normalerweise Machtdenken.
Ich kannte einen Gemeinschaftsleiter, der dann in den Pfarrdienst überwechselte, als Spätberufener. Er hatte also eine landeskirchliche Gemeinschaft geleitet. Kaum war er im Pfarrdienst, sagte er: „Du, der CVdM unterstellt sich mir gar nicht.“ Da habe ich gesagt, das ist auch nicht das letzte Ziel, dass alles dem Pfarrer folgt und gehorcht.
Die Gemeinde ist ja nicht durch den Pfarrer konstituiert, sondern die Gemeinde ist durch die Vielfalt dargestellt. Es gibt Gruppen und Kreise, die nicht dem Pfarrer unterstehen – seine ganzen Gemeinschaften und den Hauskreis. Warum denn nicht? Er soll dem Herrn Jesus unterstehen.
Die Gemeinde erkennt man nicht daran, dass wir einen Papst haben, dem alle folgen, sondern daran, dass wir eines Sinnes sind, nämlich nach den Worten der Schrift und nach Jesus Christus. Wenn wir das haben, sind wir alle eins.
Ob jemand in einer Intergemeinde oder außerhalb der Gemeinde organisiert ist, es gibt eine Fülle von Gruppen, Kreisen und Bewegungen. Die Einigkeit besteht darin, dass wir nach dem Wort Gottes leben und Christus allein dienen.
Da müssen wir wirklich aufpassen, weil immer wieder so stark hervorgehoben wird, dass diese äußeren Sachen so wichtig sind – diese Ordnungen und wer das Sagen hat.
Merkwürdig ist doch, dass unser Herr immer in vielfältigen Gruppen durch ganz viele freie Bewegungen gewirkt hat. Mir ist es ganz wichtig, immer wieder jedem die Fülle der Freiheit evangelischen Gemeindelebens zu unterstreichen.
Es gibt die verschiedensten Formen, und sie entwickeln sich nach ihren Gaben. Aber sie sind alle unter Jesus, damit ihr eines Sinnes seid. Es ist nicht die organisatorische Einheit, sondern die innere Einheit im Heiligen Geist.
Der Heilige Geist ist die Anbetung Jesu und das Hören seines Wortes. Gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid – das ist der einzige Weg, Einheit herzustellen.
Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen.
Überwindung von Eigennutz und Eitelkeit
Und dann weist er uns auf eine Schwierigkeit hin, bei der viel blockiert ist: Eigennutz oder eitler Ehrgeiz. Aus Eigennutz handeln wir oft, und das hindert uns in unserem Tun.
Ehre oder das eigene Wohl stehen dabei im Vordergrund. Wenn ich das nie ausschalte, spielt das eine große Rolle. Dass ich meinen Gefühlen hörig bin, ist verletzend.
Heute stellt sich mir immer wieder die Frage: Es ist so schwierig, etwa bei Wahlen, die jetzt wieder bevorstehen, zum Beispiel für den Kirchengemeinderat. Man könnte ja alle wählen, aber dann wird doch jemand abgewählt. Das ist immer unangenehm. Es gibt ja Ehrfragen: Dem einen wird die Gruppe übertragen, dem anderen nicht – und so weiter.
Wir sind ja auch empfindlich und verletzlich. Paulus sagt: Ihr müsst das mit Rumpf und Stumpf auslegen. Im Reich Gottes darf nichts mehr aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen getan werden.
Das betrifft auch das Zusammenwirken der Gemeindeglieder. Es ist sehr wichtig, wie er hier zu einer brüderlichen Ordnung kommt, in der er wirklich so denken und planen kann, dass niemand aus Eigennutz oder eitler Ehre handelt. Stattdessen sollen wir in Demut einander höher achten als uns selbst.
Die Bedeutung von Demut im christlichen Leben
Das Wort Demut ist heute kaum noch gebräuchlich und wird kaum noch verwendet. Ich hatte einmal Schwierigkeiten bei einem Traugespräch. Ein sehr mutiges Paar war dabei, das sich auflehnte, weil es hieß, man solle sich gegenseitig unterordnen, einander untertan sein. Sie sagten: „Wir sind niemandem untertan, keiner von uns beiden. Wir sind beide mündige Menschen.“ Das sei ein richtiges neues Bewusstsein. Aber ich muss sagen: So kann die Ehe nicht funktionieren.
Liebe kann sich immer nur im Untertanensein beweisen. Das ist sicher die schwächste Stelle unseres heutigen Denkens. Viele merken nicht mehr, dass das Untertanensein, das Sich-darunter-Stellen, die entscheidende Tat der Liebe ist. In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.
Warum ist das für uns so wichtig? Weil es das Bild Jesu war. Wissen Sie, dass wir Schwierigkeiten mit unserem Prospekt von CFI – Christliche Fachkräfte International – hatten, weil wir das Wort „Demut“ darin verwendet haben? Die Kammer hat es dann herausgenommen. Ich weiß nicht genau, was der Grund war. Wir wollen demütige Leute, doch politische Gruppen haben dagegen rebelliert. Sie haben das nicht verstanden.
Draußen, unter Afrikanern und Asiaten, spielen die Einheimischen oft die zweite Geige. Sie haben nicht das große Wort, sondern achten die Einheimischen an ihrem Platz höher als sich selbst. Das ist sicher das Geheimnis, um überhaupt jemanden zu gewinnen.
Darum haben Amerikaner bei uns manchmal Schwierigkeiten, wenn sie großspurig auftreten, überall nur ihre Programme entwickeln und nicht erst hören, was schon vorhanden ist. Sie achten die anderen nicht in ihrer stilleren und bescheideneren Art. Dann erlebt man, dass sie gar nicht richtig „die Füße auf den Boden bekommen“.
Es ist so schön, dass das, was Jesus selbst als Demut gelehrt und gelebt hat, hier zum Vorbild für uns wird. Sie wissen, wo es bei Jesus steht: „Ich bin von Herzen demütig.“ (Matthäus 11). „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, lernt von mir; ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“
Das ist nicht diese oft gespielte Demut, bei der man eigentlich nur das Lob des anderen erwartet. Wo man sagt: „Ich kann nichts, aber du bist prima, so gut wie du ist keiner.“ Sondern es ist dieses echte Zurücktretenkönnen.
Mir hat es immer Eindruck gemacht, wie Paul Deidenbeck diesen Punkt betont hat. Sie kennen ihn ja, er war Pfarrer in Lüdenscheid und wirkte später in der Allianz. Er sagte immer wieder: In der Gemeinde wird sich zeigen, ob Leute sich selbst suchen oder ob sie Ausschau halten nach denen, die zu kurz gekommen sind. Nach denen, denen ich etwas geben darf, denen ich helfen kann. Wo ist jemand, dem ich etwas bringen kann?
Vielleicht ist es auch ein Problem, dass viele mit der Erwartungshaltung kommen: „Was nehme ich mit?“ Statt mit dem Gedanken: „Wem kann ich heute ein ermutigendes Wort geben? Wem kann ich ein Lob zusprechen? Wen kann ich aufrichten und ermutigen?“
In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst. Das erfordert eine ganz andere Blickrichtung. Wer kann das? Ich sage: Seine Meinung ist wichtiger als meine.
Das ist auch eine Frage beim Diskutieren oder in einer Gesprächsrunde: Höre ich den anderen überhaupt an oder falle ich ihm ins Wort? Achte ich den anderen höher als mich? Gebe ich ihm Raum, damit er sich wirklich entfalten kann?
Wunderbar, wie Paulus das hier auf das Leben Jesu zurückführt und seine Anweisung: Nicht auf das Seine sehen, sondern darauf, was dem anderen dient.
So kann man ja gar nicht leben, und doch ist es das Leben, das Jesus von uns will, das er uns zeigt und das auch Verheißung für unser Leben hat.
Von dort her zeigt er ganz praktisch, was diese Anweisung für unser Verhalten bedeutet: „Seid so gesinnt, wie Jesus Christus auch war.“ Genau das ergänzt sich. Die Luther-Übersetzung hat hier das volle Recht, auch wenn die neue Übersetzung vom Text her ebenfalls gerechtfertigt ist: „Seid so gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“
Leben Sie das doch einmal! Ich bin überzeugt, dass Sie das auch in Ihren Ehekrisen leben können. Und darüber wollen wir auch im Seelsorgegespräch sprechen – dort, wo es mit Ihren Kindern schwierig wird.
Ich glaube, dass wir uns oft versündigen, wenn wir uns durchsetzen wollen. Das entspricht nicht der Art Jesu: „Jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient. Und wie Jesus Christus auch war, so sollt ihr gesinnt sein.“
Beispiele gelebter Demut und Dienstbereitschaft
Ich habe mich nach ein paar Beispielen umgesehen, weil ich dachte, es ist sicher hilfreich, wenn man es noch einmal an Geschichten sehen kann, an Lebensbildern, wie Menschen das auch praktiziert haben.
Ein Doktor Bräukle, er war wahrscheinlich Engländer, wie er sich sprachlich ausdrückte. Er war eine geschichtliche Person, die in jungen Jahren angesprochen wurde und schon einflussreich war. Er wurde von seiner Kirche abgestoßen und traf dann auf die Heilsarmee. Er sagte, die kämpfen wenigstens entschlossen, und das wäre etwas für ihn, da könnte er eintreten.
Die Heilsarmee ist ja dann hart mit solchen jungen Leuten, die noch keine erfolgreiche akademische Laufbahn hinter sich haben. Am ersten Tag in der Kadettenschule erhielt er seinen ersten Auftrag: Er sollte die Schuhe der Kadetten putzen. Später sagte er, das war ein Augenblick, in dem er dachte: „Nein, ich trete wieder aus. Ich wollte doch mit meinen Geistesgaben dienen und nicht die Dreckarbeit tun.“
Er erklärte, dass genau das das Geheimnis eines segensreichen Wirkens in seinem Leben wurde. Er merkte, dass er dienen lernen musste.
Wir haben unsere Diakonie absterben lassen, wenn ich an unsere verehrten großen Diakonissendenkel denke, die unsere Jugend geprägt haben und uns Jesus lieb gemacht haben. Man hat das bekämpft und geglaubt, man mache den Diakonissenberuf attraktiver, indem man ihn mit viel Geld und Freiheiten ausstattet.
Ich möchte heute noch meinen Hut ziehen, deshalb setze ich mir die Mütze auf vor jeder Ruhestandsdiakonisse, der man begegnet. Wenn die alten Martha-Schwestern mit Mühe dort unten am österreichischen Platz noch den Weg machen hinüber in die Stunde, möchte ich meinen Respekt äußern. Sie haben so vielen Menschen Jesus lieb gemacht – durch ihr Dienen, durch ihre Bescheidenheit und durch ihre Demut.
Ich las noch einmal die Geschichte von Lars Olsen Krebsruth. Vielleicht kennen Sie die Geschichte: Er war ein Bankräuber in seiner Jugend. Durch ein Mädchen kam er zum Glauben, das ihn im Gefängnis besucht hat. Er war Schwede, glaube ich, und hat dann die Santal-Mission gegründet. In Indien sprach er 43 Sprachen, ein Genie. Er wurde gefeiert, bei einem Jubiläum gab es eine große Feier, bei der man ihn mit den größten Zeugen des Reiches Gottes verglich.
Dann sagte er: „Ich bin so dankbar, dass Gott mir am Anfang meines Lebens zehn Jahre Haft geschenkt hat in der Sträflingskleidung. Ich weiß, wer ich bin und wer mich aus dem Dreck gezogen hat.“
Es ist sicher immer wieder die Überschätzung unserer Person. Da draußen ist irgendwas, das stört. Helft mal, denn die Heizung darf nicht angemacht werden, sie ist außer Betrieb.
Mir ist bloß noch einmal wichtig, wie Gott uns aus dem Elend herauszieht, wie er uns aus dem Dreck und aus der ganzen Not unseres Lebens rettet und wie er uns krönt.
Wir legen so großen Wert auf die Ehre, die wir empfangen. Es ist auch wirklich schwer, wenn uns jemand kritisiert, in der Öffentlichkeit, wenn jemand uns runterputzt oder ungerecht behandelt. Man kann sich in dieser Welt nicht viel rechtfertigen. Wenn man einmal in den Medien ist, fragt keiner mehr, was richtig war. Die Hauptsache ist, jemand wird fertiggemacht.
Dann müssen Sie wissen: Wo ist Ihr Halt? Aber noch viel wichtiger ist vorher, ob ich in meiner ganzen Haltung sage: Dazu braucht mich der Herr – zum Dienen, irgendwo einem Menschen einen Dienst.
Die ganzen verheißungsvollen Taten liegen oft an ganz unscheinbaren Plätzen. Wir denken oft viel zu groß, was wir für Gott wirken wollen. Dabei sind es die Plätze, an denen uns Gott hingestellt hat, die kleinen, unscheinbaren Dienste.
Es ist nicht das Amt der Mutter höher zu loben, sondern ein unscheinbarer Dienst, oft sicher einer, bei dem einem die Decke auf den Kopf fällt. Es ist auch schwer, wenn jemand sagt: „Ich bin alleinstehend.“ Trotzdem wird Gott dich segnen, dort wo du ihm dienen kannst, in aller Demut.
Denn wir sind nicht gering, sondern hochgeachtet an unserem Platz.
Jesu Beispiel von Erniedrigung und Gehorsam
Er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an – nicht nur die Gestalt eines Sklaven, sondern er wurde tatsächlich Sklave. Er gab sich in die Tiefe hinab, um mich zu retten und mich nicht loszulassen.
Das ist der Grund, warum auch ich in die Tiefe hinabsteigen kann. Man hat immer wieder Respekt, wenn man solche Geschichten hört. Vielleicht haben Sie auch schon einmal die Kassette von Rocky gehört oder Ähnliches. Dort wird geschildert, was geschieht, wenn ein Mensch erlebt, wie Jesus ihn aus der Tiefe, aus dem Dreck herausholt.
Wir sollten viel mehr hinuntersteigen und uns beugen. Hätte Gott heute nicht auch vor, durch uns manche Menschen aus der Tiefe herauszuholen? Die Knechtsgestalt anzunehmen bedeutete, den Menschen in seiner Erscheinung nach als Mensch erkannt zu werden – in der ganzen Schwäche und Armut eines Menschenlebens.
Hermann Betzel hat das immer sehr stark betont. Er sagte, dass Jesus nie viel getan habe. Er hatte nur eine Wirkungszeit von drei Jahren und füllte nur einen kleinen Raum aus. Jesus unternahm keine großen Reisen und begleitete keine Ämter. Das war gar nicht nötig. Jesus füllte den kleinsten Raum ganz mit Treue – ein Wort, das heute kaum noch gilt.
Dann diente er Gott. Das steht im Vers 8: „Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.“ Das Erniedrigen – das hat Gott von uns normalerweise nicht verlangt. Aber es kann natürlich auch einmal vorkommen, dass der Herr einem zumutet, Schande zu tragen und einen schlechten Ruf zu erleiden – und das um Jesu Willen.
Der russische Erzbischof Pimen, oder wie er damals hieß, trug während der großen bolschewistischen Revolution den Koteimer. Es gibt manches, was der Herr einem zumutet: einen schweren Weg, den man gehen muss – Erniedrigung.
Ich weiß, dass es auch uns nicht leichtfällt, wenn der Herr uns zumutet, eine Leidenszeit durchzustehen. Wir wollen das alle nicht, aber es kann sein. Erniedrigung und Gehorsam – ihm treu sein und ihm dienen, das, was der Herr will, das ist das Geheimnis Jesu.
Darum hat ihn der Herr erhöht und ihm einen Namen gegeben. Dann wird auch unser Leben fruchtbar und brauchbar für den Herrn.
Mose als Beispiel für dienende Hingabe
An Beispiele denken wir vielleicht jetzt auch noch an Mose, der das herrliche Haus bei der Tochter Pharaos verließ und lieber mit dem Volk Gottes Schmach leiden wollte. Das war ihm wichtiger.
Wenn Sie noch die eindrückliche Auslegung von Billy Graham im Kopf haben, die mich als jungen Menschen stark angesprochen hat: In seinem Buch „Friede mit Gott“ erzählt er die Geschichte von Mose noch einmal. Mose sagt dort, dass ihm Geld und Karriere nicht wichtig sind. Nur dort, wo Gott ihn braucht, will er dienen. Es ist für ihn nicht bedeutsam, was die Menschen dazu sagen, sondern allein, wo Gott ihn braucht.
Mir wird das immer wieder schwer, wenn wir junge Leute aussenden. Hanne-Rose Bauch ist mit ihrer Mitschwester jetzt nach Abeshe im Tschad gegangen, um dort in einem Waisenhaus zu dienen. Das ist eine Sache, wenn man dann drei Jahre dort draußen sein muss, am Ende der Welt. Da gibt es keinen Fuchs mehr, der dem Hasen Gute Nacht sagt, am Rand der Wüste. Höchstens kommen noch die Libyer mit ihren Truppen vorbei. Aber dort zu dienen, weil der Herr einen dort gebraucht, ist etwas Besonderes.
Hat man dafür sein Abitur gemacht? Hat man dafür seine Ausbildung gemacht? Dann kommt noch Rassenstolz hinzu, und man meint, die Afrikaner packen doch nichts an. Bis man merkt: So segnet der Herr, und dort wirkt er Frucht. Das ist es, wo jemand ein Dienstleben führt.
Heute sind wir so gewöhnt, dass unsere Gaben zur Entfaltung kommen müssen. Immer wieder fragen wir uns: Wie kommt mein Leben zum Leuchten? Und wir wundern uns, dass es nicht zum Leuchten kommt. Jeder Mensch bleibt ein verkannter Genie, das ist doch ganz klar. Wirklich, man wird nie in der ganzen Fülle von den anderen begriffen und bekommt nicht immer die richtige Ehre.
Aber das ist uns in der Welt nicht verheißen. Es bleibt nur der andere Weg: dass man sich in der Treue an seinem kleinen Platz dem Herrn dient. Dann bekennt sich der Herr zu mir, macht mein Leben groß, bedeutsam und wichtig.
Das ist ja das Geheimnis, das Sie selbst verfolgen können. Denken Sie an die Menschen, die Sie geprägt haben, an die vorige Generation, die auf ihr Leben eine Ausstrahlung hatten, weil sie Diener Gottes waren. Sie waren nicht Diener der Menschen und lebten nicht für sich selbst, sondern für den Herrn.
Die Notwendigkeit der ständigen Erneuerung durch Jesus
Es ist jetzt besonders wichtig, dass wir unser Leben wirklich von Jesus umgestalten lassen. Es geht nicht, einfach zu sagen: „Ich brauche keine Predigten mehr.“ Doch Predigen ist immer notwendig. Man muss immer den Mund aufmachen. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass Jesus unser Wesen prägt, sodass auch unser Handeln von der Art Jesu gekennzeichnet ist.
Genau danach suchen heute viele Menschen.
Auf dem Michelsberg haben wir in einer Abendstunde noch einmal darüber gesprochen, ob wir nicht zusätzlich anbieten sollten, uns einmal in der Woche zu treffen. Dabei wollen wir bei den vielen älteren Menschen nachschauen, wie wir ihnen helfen können. Vielleicht bildet sich hier ein großer Trupp, der einfach ein Stück Dienst im Kleinen leistet. Denn es gibt so viel Not, die vor unseren Augen verborgen bleibt.
Sicher liegen viele Aufgaben vor der Tür, die unser Herr von uns möchte und die wir tun müssen. Nicht, um uns zu überlasten, sondern damit wir manches andere vergessen, das uns nichts Wertvolles bringt. Denn manches bleibt leer, eitel und vergänglich – wie mancher Streit, der nichts bewirkt.
Entscheidend ist, gesinnt zu sein wie Jesus und dann einmütig und einträchtig danach zu handeln.
Ermutigung zum treuen Dienst
Wie möchte Jesus das haben? Ich muss mich freuen, so viele von Ihnen zu sehen, die dienen, so wie Sie es tun. Das möchte ich auch noch sagen: Ich bin beeindruckt.
Immer wieder sehe ich, wie es bei Ihnen ist. Kein Weg ist zu weit, und aus Liebe zu Jesus hält man an seinem Platz aus. Oft bleibt man auch in einer schweren Situation einfach drin – um Jesu Willen.