Einführung in die göttliche Gnade als Grundlage des Glaubens
Ja, es kann kein Zufall sein, dass Paulus seinen Brief so aufgebaut hat, dass er mit einer Entfaltung beginnt – einer außergewöhnlich weitreichenden, hochreichenden und tiefreichenden Darstellung der Ratschlüsse Gottes und der Gnade Gottes. Diese Gnade ist die Ursache und der Grund für alles, was die Epheser sind.
Wir wollen nun versuchen, seinem Gedanken zu folgen, wie er das, was er den Ephesern lehrt, auf ihr Leben zu beziehen beginnt. Dabei sehen wir uns an, wie Kapitel 1 zum Kapitel 2 führt.
In den Versen 15 bis 23 von Kapitel 1 finden wir ein Gebet. Paulus schreibt: Nachdem ich von dem Glauben an den Herrn Jesus, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, gehört habe, höre ich nicht auf, für euch zu danken und euch in meinen Gebeten zu erwähnen.
Er bittet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst gebe. Damit ihr erleuchtet werdet an den Augen eures Herzens und wisst, welche Hoffnung seine Berufung ist und welchen Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes er für die Heiligen bereithält.
Paulus betet also darum, dass der Geist in ihnen wirken möge, ihnen die Augen öffnet für die Berufung, mit der Gott sie berufen hat. Die Hoffnung der Berufung ist die Verherrlichung, die ihnen in der Erlösung bereitet ist. Darum soll gewiss sein, dass sie dies erkennen.
In den Versen 19 und folgende beschreibt Paulus, welches die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke.
Die göttliche Kraft in der Erlösung
Nun ist uns deutlich geworden, dass die ganze Sache der Erlösung ein Werk Gottes ist. Paulus spricht hier von der Macht der göttlichen Kraft, mit der Gott seine ganze Kraft eingesetzt hat, um uns aus dem Tod zu befreien.
Es ist dieselbe Macht, die in Christus wirkte, als er von den Toten auferweckt wurde. Die gleiche Kraft, die Christus aus dem Grab erhob und zu Gott erhöhte, befreit auch den Sünder aus dem Tod und erhöht ihn zu Gott.
Genau diese Macht offenbart die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden. Es ist die Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, mit der er in Christus gewirkt hat. Die gleiche Macht, die gleiche Stärke, die Christus aus den Toten auferweckte.
Er setzte ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum, jede Gewalt, Kraft, Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird – nicht nur in diesem Zeitalter, sondern auch im zukünftigen.
Gott hat alles seinen Füßen unterworfen und ihm als Haupt über alles die Versammlung gegeben, die sein Leib ist. Diese Versammlung ist die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.
Gnade als Grundlage für Glauben und Leben
Ja, es ist Gottes Gnade, die uns befähigt zu glauben, und Gottes Gnade, die uns befähigt, dann für ihn zu leben.
Es ist daher eine ganz falsche Schlussfolgerung, die manche ziehen: „Ja, wenn alles Gnade ist und alles Gottes Werk ist, dann können wir uns ja gehen lassen.“ Solche Schlussfolgerungen haben Menschen offensichtlich immer wieder aus der Predigt des Evangeliums gezogen.
Die Absicht, die der Apostel damit verfolgt, ist jedoch eine andere. Er macht den Ephesern – und damit auch uns – sehr deutlich, dass die ganze Errettung an Gottes Willen hängt und durch Gottes Kraft geschieht. Sein Ziel ist es, uns zu lehren, auf Gottes Willen und auf Gottes Kraft zu vertrauen – auch für unseren Wandel und unser tägliches Leben.
So wie wir Gnade empfangen haben zur Errettung, so empfangen wir und brauchen wir Gnade, um weiterhin mit dem Herrn zu leben.
Johannes 1,16-17: Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. Gnade zur Errettung, Gnade zur Heiligung – Gnade um Gnade ist immer Gnade, nicht Gesetz.
Diese Gnade lehrt uns, uns auf Gott zu verlassen und ihm zu vertrauen.
Umgang mit Missverständnissen zur Gnade
Es ist die Gnade, die uns befähigt. Manche haben wirklich Angst davor und sagen, wenn man die Gnade predigt, dann werden die Menschen daraus den Schluss ziehen, dass man weiter sündigen kann.
Dass solche Schlüsse gezogen werden können, darf uns jedoch nie Anlass sein, die Lehre der Gnade zu relativieren. Im Gegenteil: Wenn Menschen aus der Verkündigung den Schluss ziehen, sie könnten in der Sünde verharren, dann wird die Gnade nur umso größer. Das gibt uns sogar einige Gewähr dafür, dass wir das Evangelium so gepredigt haben, wie Paulus es tat.
Woher nehme ich das? In Römer 6,1 fragt Paulus: „Was sollen wir nun sagen? Sollen wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme?“ Und dann in Römer 3,7-8 heißt es: „Denn wenn die Wahrheit Gottes durch meine Lüge überströmender geworden ist zu seiner Herrlichkeit, warum werde ich auch noch als Sünder gerichtet? Warum nicht, wie wir gelästert werden und wie etliche sagen, dass wir sprechen: Lass uns das Böse tun, damit das Gute komme?“
Offensichtlich haben einige Leute aus der Gnadenlehre des Paulus den Schluss gezogen, dass sie weiter sündigen können, weil dann die Gnade nur umso größer werde.
Wenn wir also aus Angst davor, dass man diesen Schluss ziehen könnte, die Gnadenlehre relativieren, dann tun wir etwas Verbotenes. Wir dürfen nicht das, was Gott gesagt hat, was er uns zusagt und was er uns durch die Apostel lehrt, relativieren, abschwächen oder anpassen, nur weil wir befürchten, Menschen könnten es missbrauchen.
Nein, Gott weiß in seiner Weisheit, was er uns offenbart hat. Er teilt uns seine Gnade mit Weisheit mit, sagt Paulus in Römer 1. Ja, wir sollen um erleuchtete Herzensaugen beten, damit wir erkennen und verstehen, welche Tragweite das hat.
So ziehen wir einen ganz anderen Schluss aus der Gnade.
Gnade lehrt Furcht und Liebe zu Gott
Römer 6 nennt eine Reihe von Gründen, warum es ausgeschlossen ist, aus der Erkenntnis der Gnade zu folgern, man könne deshalb in der Sünde verharren. Das ist ausgeschlossen.
Ich möchte nun einen weiteren Grund anführen, der zwar mit den drei Ursachen zusammenhängt, die Paulus in Römer 6 nennt, aber darüber hinausgeht. Psalm 130, Vers 4 sagt: „Doch bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest.“
Was der Verfasser dieses Psalms aus der Vergebung lernt, ist folgende Schlussfolgerung: Gott vergibt Sünden, damit man ihn fürchtet. Wir sind auf Gottes Gnade angewiesen – wirklich auf Gottes Gnade angewiesen. Wenn das stimmt, dann lerne ich, Gott zu fürchten. Ich bin völlig in seiner Hand. Gott hingegen ist niemals in meiner Hand.
Ich kann Gott nicht gängeln, nicht manipulieren und niemals gefügig machen. Gott ist nie in meiner Hand, aber ich bin ganz in Gottes Hand. Das lehrt mich doch die Gnade: Alles hängt an Gottes Willen.
Wenn ich das wirklich verstehe, dann lehrt mich das, Gott zu fürchten und zu lieben – beides gleichzeitig. Ich liebe ihn, und ich fürchte ihn. So wie ich ihn fürchte, so liebe ich ihn, und weil ich ihn liebe, fürchte ich ihn. Weil ich weiß, dass alles an ihm hängt, bindet mich das an ihn und an seinen Willen.
Damit das geschieht, lehrt uns hier der Apostel Paulus, was Gottes Gnade bedeutet: Sie lehrt uns, Gott zu fürchten, und sie bindet uns an Gott selbst.
Erwählung und Heiligung als Folge der Gnade
Im Kapitel 1 hat er das bereits mehr als einmal angedeutet: die Absicht Gottes mit der Erwählung. In Epheser 1,4 heißt es, dass er uns in ihm vor Grundlegung der Welt auserwählt hat, damit wir heilig sind, ihm abgesondert und für ihn da.
Ja, die ganze Errettung stammt aus Gott, geschieht durch Gott und ist darum auch zwingend für Gott, wirklich zwingend. Wenn sich diese Folgerung bei uns nicht ergibt und unsere Herzen nicht gedrängt werden, fortan für Gott zu leben, dann müssen wir befürchten, dass wir die Gnade Gottes entweder nicht oder zumindest sehr mangelhaft verstanden haben.
Alle Dinge sind aus ihm, durch ihn und für ihn. Das haben wir bereits in Kapitel 1, Vers 10 gesehen. Dort wird deutlich, dass Gott sich vorgenommen hat, alles unter ein Haupt zu bringen und alles der Herrschaft und Regierung Jesu Christi zu unterstellen.
Der Zustand vor der Errettung und die Erhebung durch Gottes Gnade
Dann Kapitel zwei, Verse eins bis zehn. Im Kapitel zwei beginnt Paulus ausführlicher, den Zustand zu beschreiben, in dem sich die Epheser befanden – den Zustand des Sünders von Natur aus.
Er schreibt: „Auch euch, die tot wart in euren Übertretungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet, nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Lüsten unseres Fleisches, in denen wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten und von Natur Kinder des Zorns waren, wie auch die übrigen.“
Das ist die Tiefe, aus der Gott uns erhoben hat. Er hat uns erhöht durch dieselbe Macht, die wirksam war, als Christus aus den Toten auferweckt wurde.
Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit wegen seiner vielen Liebe, mit der er uns geliebt hat, als wir noch tot waren in den Übertretungen, hat uns mit Christus lebendig gemacht. Durch Gnade seid ihr errettet. Er hat uns mit auferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus, mit Christus vereint.
Wir sind dort, wo unser Herr ist. Wir sind zu Gott gebracht worden durch Christus. Kann man zu Gott gebracht worden sein und dennoch im Eigenwillen leben? Das geht gar nicht!
Wenn wir zu Gott gebracht worden sind, dann regiert Gottes Wille in unserem Leben. Sonst sind wir nicht zu Gott gebracht. Peter sagt das im ersten Petrusbrief: „Denn Christus hat ja einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe“ (1. Petrus 3,18).
In Christus, durch Christus, zu Gott gebracht, mit Christus erhöht in himmlische Örter – das heißt, in Gottes Gegenwart gebracht.
Sind wir wirklich in Gottes Gegenwart gebracht, dann tun wir das, was man im Himmel tut. Was tut man denn im Himmel? Man fällt vor ihm nieder, vor dem, der auf dem Thron sitzt, und schreibt ihm alle Macht und alle Ehre zu. Alles im Himmel ist diesem einen Willen unterworfen.
So merken wir, dass es gar nicht geht, Gnade und ein Leben im eigenen Willen miteinander zu verbinden. Das geht einfach nicht. Denn dann ist es gar nicht mehr Gnade, sondern etwas anderes. Dann ist es eine pervertierte Gnade.
Davon spricht der Judasbrief: „Eine in Ausschweifung verkehrte Gnade“, so heißt es in Judas 4. Judas verwendet das Wort „pervertierte Gnade“.
Also sind wir zu Gott gebracht, in seine Gegenwart gestellt und damit unter seine Herrschaft gestellt.
Im Himmel regiert nur ein Wille. Das ist übrigens auch der Grund, warum der Himmel ein Ort unaussprechlicher Glückseligkeit ist: weil dort nur ein Wille regiert.
Umgekehrt ist die Erde ein Jammertal, weil hier tausend Willen gegeneinander und gegen Gott streiten.
Darin liegt die Glückseligkeit des Himmels, und das ist die Glückseligkeit der Erwählten, der durch Gnade Geretteten: Gottes Willen ergeben zu sein. Sie begehren nichts anderes, sie wünschen nichts anderes.
Gnade als Geschenk und Auftrag zu guten Werken
Und dann heißt es weiter in Epheser 2, Verse 8-10:
Denn durch die Gnade seid ihr errettet mittels des Glaubens, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es. Er verdankt alles Gott, nicht dem Werk, damit niemand sich rühme.
Und dann Vers 10:
Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zum guten Werk.
Da haben wir es wieder: Wir können Gottes Werk der Gnade an uns nie trennen von einem Leben des Gehorsams, von einem Leben guter Werke, von einem Leben der Hingabe.
Hier wird die Absicht der ganzen Errettung so ausgedrückt. In Kapitel 1 haben wir gesehen, dass es zur Heiligkeit und zur Liebe führt, oder in Vers 10, wo wir unter das Haupt Christus gestellt sind.
Oder in Kapitel 2, Vers 6: „In die himmlischen Örter versetzt“, also in Gottes Gegenwart. Und hier, Vers 10, „gute Werke“ – das ergibt sich aus Gottes Werk der Gnade an uns.
Überblick über Kapitel 2: Kluft und Versöhnung
Dann Kapitel 3. Oder halten wir noch ganz kurz fest, worum es in Kapitel 2 alles geht.
Kapitel 2, Verse 1 bis 10: Die große Kluft zwischen Gott und dem Sünder, die Tiefe, aus der Gott uns zu sich erhöhte.
Dann die Verse 11 bis 22: Die gewaltige Entfremdung, die in Christus aufgehoben ist, zwischen Heiden und Juden – auch eine Kluft. Beide sind nun zu Gott gebracht.
Kapitel 2, Verse 17 und 18: Er kam und verkündigte Frieden – euch, den Fernen, Frieden, den Nahen. Durch ihn haben wir beide den Zugang durch einen Geist zu dem Vater.
Wiederum diese Tatsache: Wir sind zu Gott gebracht, in seine Gegenwart, und wir sind Hausgenossen Gottes. Sind wir uns wohl bewusst, in wessen Haus wir sind? Wenn wir irgendwo bei jemandem zu Besuch sind, verhalten wir uns entsprechend.
So sollten wir uns auch als Hausgenossen Gottes verhalten. Es kann doch nicht sein, dass jemand Gottes Hausgenosse ist und so lebt, wie es ihm beliebt. Das geht ja gar nicht.
Kapitel 3: Paulus’ Dienst und Gebet für die Gemeinde
In Kapitel 3 spricht Paulus vom Dienst, den Gott ihm gegeben hatte, um das wunderbare Evangelium zu predigen, das er in den Kapiteln 1 und 2 dargelegt hat. Er ist also das menschliche Werkzeug, um dieses Evangelium zu verkünden. Paulus sitzt im Gefängnis, und einige der Epheser standen in Gefahr, dadurch mutlos zu werden. Wir können uns gut vorstellen, dass Juden kamen und sagten: „Seht ihr, wir haben euch immer gesagt, der Apostel Paulus ist gar kein Apostel, er ist ein falscher Lehrer, und zur Strafe hat ihn Gott jetzt ins Gefängnis gebracht.“ Es kann sein, dass einige dadurch verunsichert waren. Darum sagt Paulus im Vers 13: „Deshalb bitte ich, nicht mutlos zu werden durch meine Drangsal für euch, welche eure Ehre sind.“ Es ist also alles andere als eine peinliche Sache, sondern eure Ehre.
Jetzt betet Paulus für die Gläubigen in Ephesus: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, von welchem jede Familie in den Himmeln und auf Erden benannt wird, auf dass er euch gebe, nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, in dem ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid.“
Diese Bitte des Apostels, dass Christus durch den Glauben in den Herzen der Epheser wohne, erscheint uns vielleicht etwas eigentümlich. Ich habe es jedenfalls lange so empfunden und wusste nicht, wie ich es richtig einordnen sollte. Warum betet Paulus darum, dass Christus in den Herzen der Epheser wohne? Sie waren ja Christen, Christus wohnte ja schon in ihnen. Wir müssen offensichtlich das Wort „Herz“ hier prägnant verstehen. Was ist denn das Herz?
Umgangssprachlich steht „Herz“ vielfach für den Sitz der Empfindungen. Im biblischen Sprachgebrauch ist das Herz das Zentrum der Persönlichkeit, die Mitte. So gebrauchen wir das Wort Herz auch umgangssprachlich, wenn wir zum Beispiel sagen „das Herz einer Sache“ und meinen damit den Kern, die Mitte. Wenn wir einen Kopfsalat essen, dann ist das Herz das begehrte Stück, die Mitte der Sache. Auch sprechen wir vom „Herzen Afrikas“ und meinen damit die Mitte. In der Bibel ist das Herz des Menschen der Ausdruck für das Zentrum des Menschen. Man könnte auch sagen, etwas technisch ausgedrückt, es ist die Schaltstelle seiner Persönlichkeit. Weitestgehend deckt sich das Herz mit dem Willen des Menschen, nicht so sehr mit seinen Empfindungen, sondern mit seinem Willen. Denn es ist der Wille, der den Gang des Menschen steuert. Der Wille des Menschen, der Sitz des Willens, da, wo es im Menschen Ja und Nein sagt, das ist das Herz.
Darum will Gott das Herz des Menschen: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen finden an meinen Wegen.“ (Sprüche 23,26) Wenn Gott unser Herz hat, dann wollen wir seine Wege gehen. Es steht in Sprüche 23, Vers 26: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz.“ Gott will unser Herz haben. Am Menschen ist nicht das Äußere böse, etwa eine modische oder unmodische Frisur, eine krumme Nase oder ein ungehobeltes Benehmen, sondern das Herz. Aus dem Herzen des Menschen gehen hervor böse Gedanken, Lügen, Tücke und all diese Dinge. Das ist also die Zentrale des Menschen, der Ort, wo es im Menschen Ja und Nein sagt.
Nun betet Paulus, dass Christus in den Herzen der Epheser wohnen möge. Das heißt, dass er in ihrem Leben die Mitte sei, dass in ihrem persönlichen Leben sich ihr Denken, ihr Trachten und ihr Sinnen beständig auf Christus beziehe – auf den Sohn Gottes, auf den Willen Christi, auf das Werk Christi. Alles soll zu ihm in Beziehung gebracht werden, alles soll sich um ihn drehen. Er soll wie die Sonne sein, und wir wie die Erde, ein Trabant, der sich um ihn dreht.
Ich las vor einigen Jahren eine Biografie von Jean Cadier über Calvin, „L'homme dompté par Dieu“ – der von Gott bezwungene Mann – war der Titel dieser Biografie. In der Einleitung beschreibt er die Bedeutung der Reformation und damit auch des Werkes Calvins. Diese lässt sich vergleichen mit den Entdeckungen über die Bewegung der Planeten, die ungefähr gleichzeitig stattfanden. Als Kepler seine Schrift über die Umdrehung der Himmelskörper veröffentlichte, zeigte er, dass nicht die Sonne sich um die Erde dreht, sondern umgekehrt die Erde sich um die Sonne dreht. So hat die Botschaft der Reformatoren dem christlichen Glauben die eigentliche Mitte wiedergegeben: Christus! Alles ist in Christus zur Beziehung zu bringen, und alles dreht sich um Christus.
Es ist nicht der Mensch mit seinen religiösen Empfindungen, die Hauptsache am Christentum, wie es die römisch-katholische Kirche darstellt. Darum spielt in der römisch-katholischen Kirche der Mensch eine so wichtige Rolle: ein menschliches Haupt, menschliche Mittler, menschliche Heilige werden bewundert. Was dem römisch-katholischen Gläubigen als Ideal angestrebt wird, ist das Zelebrieren seiner hehren Gefühle, der heiligen Schauer. Damit ist der Mensch die Mitte. Das ist eine Verschiebung, eine Verdrehung der christlichen Botschaft.
Paulus betet hier, dass Christus in den Herzen wohne, dass er die Mitte sei und alles sich um ihn drehe. Das wurde durch die Botschaft der Gnade, welche in der Reformation verkündet wurde, den Menschen wieder bewusst. Entsprechend hat sich daraus organisch ergeben, dass nicht mehr der Mensch das Wichtigste war. Heute empfinden viele, weil wir ja so degeneriert sind, dass ein Verlust des Protestantismus vorliegt, dass er irgendwie kahl und stimmungslos sei. Für den natürlichen Menschen ist am Evangelium nicht viel da oder gar nichts. Denn Gott und Christus sind alles, und die menschlichen Gefühle und Erfahrungen sind nicht die Hauptsache, sondern Gott und sein Sohn, Gottes Wille und Gottes Rat sind die Mitte.
So betet Paulus, dass alles sich um Christus dreht und auf Christus ausgerichtet sei, dass der Wille der Epheser sich dem Willen Christi beuge. Das ergibt sich ganz organisch aus der Wahrheit der Gnade: Christus in der Mitte, nicht der Mensch; der Wille Gottes, nicht die Bedürfnisse des Menschen.
In Kapitel 4 wird das der Hauptgegenstand seiner Erörterungen: das Leben, das Zusammenleben der Gläubigen miteinander, das Leben der Christen unter den Heiden und das Familienleben, also ihr praktisches Leben. Kapitel 4, Vers 1: „Ich ermahne euch nun, ich der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid.“
Wir können dieser Berufung nur würdig wandeln, wenn wir das verstanden haben, was in den Kapiteln 1, 2 und 3 steht, und wenn das unser Denken und Sinnen regiert. Sonst haben wir erstens keine Kraft dazu, so zu wandeln, und zweitens auch keinen Ansporn dazu. Wenn wir keinen Ansporn dazu haben, werden uns eben die Dinge treiben, locken und ziehen, die den natürlichen Menschen bewegen. Einfach, dass es ihm gut geht, dass er sich wohlfühlt und dass es ihm gefällt. Was will der Sünder anderes denken, suchen und wollen als das?
Darum ist es so notwendig, dass wir geöffnete Herzensaugen bekommen für Gottes Gnadenratschluss, weil wir sonst weder Kraft noch Ansporn haben, so zu wandeln und zu leben. Wenn es aber so ist, dass Gottes Gnade uns groß wird, dann wird das uns drängen, so zu wandeln, so zu leben und so zu arbeiten – zu arbeiten für das Evangelium und uns für das Evangelium aufzubrauchen, uns zu verwenden und zu verausgaben im Dienst für die Geschwister. Wir werden es gerne tun und darin unsere wahre und einzige Freude finden.
Die Bibel kennt viele überraschende Paradoxe. Eines dieser Paradoxe wurde vorhin in den einleitenden Worten von Stephan angesprochen: Die Gnade, die Erkenntnis der Gnade, führt nicht dazu, dass wir passiv werden. Man könnte ja meinen: „Ja, wenn Gott alles tut, dann lassen wir ihn doch walten und bleiben zu Hause im Bett, wo wir am liebsten sind.“ Aber die Gnade führte dazu, dass Paulus mehr arbeitete als andere. Dasselbe Paradox wiederholte sich durch die Botschaft der Reformatoren, durch die Reformation.
Die Reformatoren selbst wurden durch die Erkenntnis der Gnade, die sie ergriff und überwältigte, zum Arbeiten motiviert, befähigt und angespornt in einer Weise, dass man ihr Lebenswerk kaum fassen kann. Was Luther alles geschrieben hat, würde hier die Wand füllen. Man fragt sich, wie er das schaffte: Er hatte dauernd Besuch, besuchte selbst Leute, predigte. Eine ungeheure Arbeitsleistung, unbegreiflich. Das Gleiche gilt für Johannes Calvin oder Georg Whitefield. Whitefield hielt in 30 Jahren 30 Predigten, war pausenlos unterwegs, predigte täglich drei Mal und schrieb daneben hunderte und tausende Briefe.
Dasselbe geschah in den Ländern, die von der Reformation ergriffen wurden, auch wenn sicher nicht alle gläubig waren und die Gnade ergriffen hatten. Aber es zeigt das Erkennen dieser Grundtatsache: Alles hängt von Gott ab, alles ist in Gottes Hand, alles liegt an Gottes Gnade. Das hat auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Die Länder der Reformation wurden zu Ländern, in denen Arbeit eine Tugend wurde. Vorher war es umgekehrt: Nach römisch-katholischer Vorstellung ist das Ideal nicht der arbeitende Mensch, sondern der in frommer Beschauung versunkene Mönch, der immer dicker wird. Faulheit nennt man das. Luther hat einiges ziemlich Kerniges über die Mönche gesagt, er war ja selbst ein Mönch gewesen.
Das führte in den Ländern der Reformation zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung, wie bekannt ist, weil das Verständnis für Gnade dazu führte, dass die Menschen merkten: „Ja, in diesem Fall will Gott, dass wir uns ihm stellen und seinen Willen tun, weil sein Wille bestimmt und nicht unser Wille.“ Die Gnade richtig verstanden führt uns zur Hingabe. Die Gnade lehrt uns Heiligkeit und Hingabe.
Ich will einige Verse dazu noch aufschlagen und in diesem Zusammenhang ganz deutlich zeigen. Römer Kapitel 12, Vers 1: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Dienst ist, und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.“
Dieses Wort verweist zurück auf etwas schon Gesagtes: „Ich ermahne euch nun“ – man könnte auch sagen „Ich ermahne euch folglich, ja folglich wessen?“ Paulus hat im Römerbrief Kapitel 1 bis 11 dargelegt, wie Gott den Sünder rechtfertigt, was Gott getan hat, um den Sünder zu rechtfertigen und was das für Folgen hat: dass der Sünder gerechtfertigt ist und nun Frieden hat mit Gott und gewiss sein darf, dass Gott ihn nie verlässt, dass niemand gegen ihn sein kann, da Gott selbst für ihn ist.
Und nun sagt Paulus: „Wenn das stimmt, Brüder, dann gibt es doch nur eins. Ich ermahne euch jetzt, ich ermahne euch folglich, durch die Erbarmungen Gottes eure Leiber als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen. Das ist euer einziger vernünftiger Dienst.“ Das ist logisch, das ergibt sich ganz logisch daraus, dass ihr fortan danach fragt: „Was ist Gottes Wille?“ (Vers 2)
Wir können wiederum zurückgehen zum Alten Testament. Das zweite Mosebuch zeigt uns genau dasselbe Muster. Das zweite Mosebuch, das Buch der Erlösung, das Buch der Errettung, zeigt uns am Fall dieser nationalen und in ihrer Bedeutung nur begrenzten Errettung Prinzipien von umfassender und bleibender Bedeutung, hier also nur an einem Modell dargestellt. Aber diese Prinzipien finden in Christus und in seinem Werk ihre endgültige Erfüllung und volle Bestätigung.
In 2. Mose wird beschrieben, wie Gott Israel befreit, und welche Methode er verwendet, um Israel zu erlösen: Menschwerdung und Tod des Retters, das ist seine Methode. Kapitel 12 beschreibt dann die Passahnacht, das Passalamm, das geschlachtet wird, und in jener Nacht zieht Israel aus Ägypten aus.
Das Erste, was Gott nun diesem Volk sagt, das jetzt auszieht, steht in 2. Mose 13, Vers 1: „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Heilige mir alles Erstgeborene, was irgendeine Mutter bricht unter den Kindern Israel, an Menschen und an Vieh. Es ist mein. Heilige es mir, es ist mein.“ Das ist genau das, was Paulus sagt: Wenn Gott uns erlöst hat, uns erkauft hat mit dem Blut seines eigenen Sohnes, dann gehören wir ihm. Folglich, Brüder, liefert euch ihm aus. Das ist euer einziger vernünftiger Gottesdienst.
Dann in Kapitel 15 zieht Israel durchs Rote Meer und singt das Lied der Befreiung, das Lied der Erlösung. Im Vers 18 steht der zusammenfassende Satz oder das Ergebnis dieses ganzen Liedes, der letzte Satz: „Der Herr wird König sein, immer und ewiglich.“ Der Herr herrscht als König, der Herr, der uns erlöst hat, ist jetzt unser Herrscher geworden. Dazu hat er uns erlöst, dass er über uns herrsche.
In 2. Mose 19, Vers 4 heißt es: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe.“ Zu Gott gebracht. Paulus sagt, mit Christus in himmlische Örter versetzt, oder er sagt, durch den einen Geist Zugang zum Vater zu Gott gebracht.
Ja, Gnade und Heiligkeit, Gnade und Hingabe lassen sich nicht voneinander trennen. Jesaja 26, Vers 10: „Wird dem Gesetzlosen Gnade erzeigt, so lernt er nicht Gerechtigkeit; im Lande der Gerechtigkeit handelt er Unrecht und sieht nicht die Majestät des Herrn.“ Der Gesetzlose sieht die Gnade Gottes, sieht, dass Gott gnädig ist, dass Gott vergibt, dass Gott seinen Zorn verzieht, und zieht daraus zum Schluss: In dem Fall kann ich so weiterleben wie bisher. Das ist ein Gesetzloser. Wird dem Gesetzlosen Gnade erzeigt, so lernt er nicht Gerechtigkeit.
Der Heilige erkennt an der Gnade Gottes Gottes Heiligkeit und folgert daraus: „Indem willig, sollig darf ich für diesen Gott leben.“
In 2. Timotheus Kapitel 2, Vers 1 heißt es: „Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist.“ Ja, die Gnade allein macht stark, die Gnade macht fest. Das haben wir schon gesehen und gehört. Aber wozu denn stark? Wozu macht die Gnade stark? „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Männern an.“ (Vers 2) „Nimm teil an den Trübsalen, als ein guter Kriegsmann Jesu Christi.“ Dazu macht die Gnade uns stark. Die Gnade macht uns fest, sie befähigt uns, für Gott und seine Sache zu leben, und sie spornt uns dazu an.
Ja, es ist so, dass wir durch die Gnade, wenn wir sie verstanden haben, uns schämen, ihm nicht zu gehorchen. Es ist eine schändliche Sache, dem Herrn nicht zu gehorchen, dem, der uns solche Gnade erwiesen hat.
An einer Stelle kommt das in einem Gebet Esras zum Ausdruck. Esra Kapitel 9, Vers 8: Ich lese von Vers 5 an: „Beim Abendopfer stand ich auch von meiner Demütigung, indem ich mein Kleid und mein Obergewand zerrissen hatte, und ich beugte mich auf meine Knie nieder und breitete meine Hände aus zu dem Herrn, meinem Gott, und ich sprach: Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, mein Angesicht zu dir, mein Gott, zu erheben, denn unsere Missetaten sind über uns und über unser Haupt gewachsen, und unsere Schuld ist groß geworden bis an den Himmel. Von den Tagen unserer Väter an sind wir in großer Schuld gewesen bis auf diesen Tag. Und um unserer Missetaten willen sind wir, wir, unsere Könige, unsere Priester, der Hand der Könige der Länder übergeben worden, dem Schwert, der Gefangenschaft, dem Raub und der Beschämung des Angesichts, wie es an diesem Tag ist. Und nun ist uns für einen kleinen Augenblick Gnade vonseiten des Herrn, unseres Gottes, zuteil geworden, indem er uns Entronnene übergelassen und uns einen Pflock gegeben hat an seiner heiligen Stätte, damit unser Gott unsere Augen erleuchte und uns ein wenig aufleben lasse in unserer Knechtschaft.“
Jetzt hatten sie doch das getan, was sie für gut fanden, und das ist es, was Esra hier so demütigt. Er sagt im Vers 14: „Sollten wir wiederum deine Gebote brechen und uns mit diesen Gräuelvölkern verschwägern?“ Wir merken, wie wegen der Gnade Zerwürfnisse unter Heiligen, Streit und Unversöhnlichkeit unter Gläubigen eine furchtbare Sache sind. Ich glaube, dass es nichts gibt, das Kinder Gottes so quält wie solche Dinge.
Wir sind dazu berufen, als Gottes Erwählte, aus Gottes Erlöste, in Gemeinschaft mit anderen Erlösten dem Herrn zu dienen und einander zu dienen. Paulus hat dieses Beispiel herausgegriffen: die Entfremdung zwischen Juden und Griechen. Sie verachteten einander. Die Griechen fanden die Juden unmöglich: Wie kann man nur so befangen sein in solchem Aberglauben? Die Juden sahen, dass die Griechen am Sabbat arbeiteten und marschierten. Die Römer stellten keine Juden in der Armee ein, weil diese am Sabbat nicht marschierten. Die Römer fanden die Juden ein Volk von Eseln, und sie waren noch eingebildet. Die Juden wiederum schüttelte es schon, wenn sie nur das Wort „Griechen“ hörten – diese unreinen Heiden mit ihrem Olymp von Göttern. So hat der Herr in einem Leib Menschen versöhnt, die sehr verschieden sind.
Was befähigt uns, miteinander Gemeinschaft zu haben, einander zu dienen, zu lieben und Gutes zu tun? Es befähigt uns die Gnade Gottes. Wenn wir begreifen, wie Gott alles gewirkt hat, wie die ganze Errettung an Gott liegt, dann wird der Mensch klein. Dann merken wir, dass diese Unterschiede, auf die wir so stolz sind, kein Grund sind, uns zu erheben oder zu denken, wir seien besser, gescheiter oder würdiger als die anderen. Solange wir von uns eingenommen sind, werden wir für die Gemeinschaft ein Problem sein, Schwierigkeiten machen, andere quälen und Herzeleid schaffen. Von uns wird Unfrieden und Zerwürfnis ausgehen. Wir müssen einfach klein werden. Das ist keine Wahl, es muss sein. Sonst ist Zusammenleben im Leib Christi nicht möglich.
Und was macht uns klein, wenn nicht die Erkenntnis der erwählenden Gnade Gottes? Dass alles an Gott liegt und dass ich nichts habe, dessen ich mich rühmen könnte, nichts. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, durch Gottes Gnade wirklich.
Paulus wusste, was er war. Natürlich konnte er nicht sagen: „Ich bin kein Apostel“, das wäre läppisch gewesen. Er war ein Apostel. Aber er rühmte sich dessen nicht, sondern sagte, er könne nur Gott und seine Gnade rühmen. Es ist ihm unbegreiflich, dass Gott einen solchen wie ihn zu seinem Diener macht. Das sagt er in 1. Timotheus 1: Gott, der wirklich nicht auf ihn angewiesen ist, hat ihn, einen Verfolger und Lästerer, zu seinem Diener gemacht. Was habe ich da zu rühmen? Nichts!
In 1. Timotheusbrief nennt Paulus Gott zweimal den glückseligen Gott. Er sagt: „Nach dem Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes, welches mir anvertraut worden ist, danke ich Christus Jesus, unserem Herrn, der mir Kraft verliehen hat, dass er mich treu erachtet hat, indem er den in den Dienst stellte, der zuvor ein Lästerer, Verfolger und Gewalttäter war. Aber mir ist Barmherzigkeit zuteil geworden, weil ich es unwissend und im Unglauben tat.“ (1. Timotheus 1,11-13)
Er konnte sich nur dieser Dinge rühmen. Er hatte gelästert, verfolgt, war ein Gewalttäter gewesen, unwissend und unglaubig. Das sind wirklich keine Dinge, deren man sich rühmen kann. Einen solchen hat Gott in den Dienst gestellt. Gott ist vollkommen in sich selbst, ihm fehlt nichts. Er braucht Paulus nicht. Er kommt ganz gut ohne Paulus aus. Die Gnade hat diesen Mann klein gemacht.
Wir müssen klein werden, und darum macht Gott uns auch klein. Gott hat auch dafür gesorgt, dass Paulus klein wurde. Er hat es zum Beispiel zugelassen, dass die Christen eines Tages plötzlich ihm nicht mehr Saul, sondern nur noch Paul, der „Päuli“ sagten. Was bedeutet denn Paulus? „Der Kleine.“ Das fangen wir nicht gern auf. Wir wissen nicht, ob er klein gewachsen war, kleinwüchsig, und man ihm dann sagt: „Der Kleine.“ So hat Gott dafür gesorgt, dass dieser Mann klein wurde. Er hat auch zugelassen, dass ihm Christen zu schaffen machten. Paulus bat den Herrn darum: „Oh, nimm das doch weg, auch diese Leute, die so unmöglich agieren in Korinth und deinen Wert noch zerstören.“ Das hat ihn geplagt wie ein Dorn im Fleisch. Er bat, doch Gott nahm es nicht weg, sondern sagte: „Meine Gnade genügt dir.“ So machte und erhielt Gott diesen Mann einfach klein.
Die Erkenntnis der Gnade Gottes macht uns klein. Darum ist es ganz entscheidend für die Verkündigung des Evangeliums, für die Verteidigung des Evangeliums, aber auch für das Leben in der Nachfolge, in der Heiligung und für das Gemeindeleben, dass wir geöffnete Augen für die Gnade Gottes haben.
Mit dieser Voraussetzung konnte Paulus die Epheser dann auffordern, untereinander in Einheit und Einigkeit zu leben. Kapitel 4, Verse 1-3: „Ich ermahne euch nun, ich der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut einander ertragend, in Liebe euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren im Band des Friedens.“
Das gibt sich aus der Erkenntnis der Gnade Gottes. Sie befähigt uns, sie spornt uns an, sie demütigt uns, macht uns klein, macht Gott groß und macht uns auf diese Art gemeinschaftsfähig.
Ich möchte bei diesem letzten Gedanken zum Schluss noch verweilen. Ich wusste nicht, dass Stephan hier aus diesem Buch einige Sätze vorlesen würde, und so wird es euch jetzt vielleicht vorkommen, es sei ein bisschen zu viel. Aber ich will doch zwei, drei Sätze aus dem Leben dieses Mannes Georg Whitefield in diesem Zusammenhang noch lesen.
Wie bekannt, kam es am Anfang der sogenannten methodistischen Erweckung zu einem Zerwürfnis über eine Lehrfrage, und zwar ging es gerade um die Lehre der Gnade und der Erwählung. Wesley hatte starke Überzeugungen diesbezüglich und äußerte sich polemisch gegen die Überzeugung, die Whitefield vertrat, insbesondere in den Punkten Erwählung und Gnade. Das führte zu einer tiefgehenden Entfremdung zwischen diesen beiden Brüdern und auch zwischen den Leuten, die durch sie zum Glauben gekommen waren.
Es wäre zu erwarten gewesen, dass diese beiden fortan ganz getrennte Wege gehen. Das ist aber nicht passiert. Man muss wirklich sagen, dass die beiden zueinander fanden und jahrzehntelang an der gleichen Arbeit arbeiteten, einander dienten. Das liegt daran – ich sage es aus der Sicht von Georg Whitefield, den ich besser kenne –, dass er alles tat, was er nur konnte, um diesen Riss zu heilen.
Es gab eine dritte Strömung: Man kann sagen, es gab eine calvinistische Strömung des Methodismus, die die Gnadenlehre in der Weise von Whitefield vertrat. In England nennt man das Calvinism. Dann gab es eine arminianische Strömung, die das Evangelium mehr so interpretierte wie Wesley. Und eine dritte Strömung waren die Herrnhuter, die sehr wichtig gewesen waren, gerade in den ersten Jahren der methodistischen Erweckung. Wesley war durch die Herrnhuter zum Glauben gekommen.
So gab es drei Strömungen der Erweckung in England und Nordamerika: Herrnhuter, Wesley-Anhänger und Whitefield-Anhänger. Solange Whitefield lebte, merkte man wenig von diesen drei Strömungen, sie arbeiteten zusammen. Als Whitefield nicht mehr da war, gingen diese drei Strömungen auseinander und entfremdeten sich.
Whitefield war wirklich der Mann, der es verstand, sie zusammenzuhalten. Er war ein Friedenstifter. „Glückselig sind die Friedenstifter“, sagt der Herr. Das hängt wirklich damit zusammen: Er konnte dieser Friedenstifter sein, von dem Frieden ausging, von der Versöhnung ausging, der die Herzen der Brüder miteinander verband, weil er selbst so klein war. Er war einfach klein, dieser Mann. Die Gnade Gottes hatte ihn überwältigt. Er konnte an sich nichts Gutes sehen, keinen Anlass, warum Gott ihn zu seinem Diener hätte machen sollen. Er sah nichts, dessen er sich rühmen konnte, sondern sah alles nur in Christus. Diese Gnade machte ihn zum Arbeiter und zum Friedenstifter.
Er sagte einmal, wenige Monate bevor er seinen ersten längeren Amerikaaufenthalt antrat: „Um allen Regungen geistlichen Hochmutes zu wehren, wollen wir immer daran denken, dass nicht wir Christus ergriffen haben, sondern dass Christus uns ergriffen hat. Dass alles, was wir haben, uns von oben gegeben worden ist, dass die freie Gnade Gottes allein den Unterschied zwischen uns und anderen gemacht hat. Dass wir, sollte Gott uns nur einen Augenblick unseren eigenen trügerischen Herzen überlassen, schwach und gottlos werden würden wie die anderen.“
Ein Whitefield-Biograph, I. P. Gladstone, schrieb 1871 über die Demut Whitefields: „Die Ursache dafür liegt in seiner niederen Einschätzung seiner selbst, welche offenkundig aus seinem Glauben floss. Keiner war ärmeren Geistes als er, keiner sah sich mehr als ein Knecht aller an als er, keiner war mit größerer Dankbarkeit und Verwunderung erfüllt, wenn ihm die geringfügigste Freundlichkeit von der bescheidensten Person erwiesen wurde. Er dachte, es sei seine Sache, jedermann zu dienen, ihre Lasten zu tragen und über ihre Verluste zu weinen, aber er schien nie daran gedacht zu haben, dass sein Bruder ihm gegenüber unter der gleichen Verpflichtung stand. Während seines ganzen Lebens dachte er nie von sich selbst als von einem Menschen von besonderem Gewicht, noch rühmte er sich je seiner einzigartigen Fähigkeiten. Er gebrauchte, was ihm Gott in die Hand gegeben hatte, mit der Einfalt eines kleinen Kindes.“
Ja, er hat alles getan, um auch das sektiererische Denken, das im Herzen vieler Gläubiger haust, zu bekämpfen. Es gab Leute, die konnten es Whitefield fast nicht verzeihen, dass er keine eigene Partei gründete und so wie Wesley seine eigenen Societies gründete. Sie dachten: „Mit Wesley stimmt etwas nicht!“ Wesley polemisierte gegen Whitefield und seine Lehre, und manche fragten, ob er überhaupt wirklich gerettet sei.
Einmal fragte jemand Whitefield: „Mr. Whitefield, glaubt ihr, dass wir Mr. Wesley im Himmel sehen werden?“ Whitefield antwortete: „I fear not“ – ich befürchte nicht –, „denn er wird dem Thron Gottes so nahe sein und wir so weit hinten, dass wir ihn kaum sehen werden.“ Das war keine bloße rhetorische Pointe, so dachte dieser Mann wirklich.
Das zeigte sich auch, als es einmal aussah, als Wesley sterben würde. Whitefield war sehr betroffen und schrieb seinem Bruder Charles einen Brief, in dem er zeigte, dass er dachte: Wenn John weggeht, nimmt Gott dieses Werkzeug von uns, das Werkzeug, das er verwendet, um diese Erweckung voranzubringen. Was bleibt dann noch?
So dachte dieser Mann. Er hielt sich nie für den Wichtigsten. Andere haben ihn so beurteilt und gesagt, er sei wahrscheinlich der größte Evangelist seit den Tagen der Apostel. So hat er nie von sich gedacht. In einem sehr realen Sinn konnte er das gar nicht. Die Gnade Gottes war ihm zu stark, zu groß geworden.
„Gott und seine Gnade sind wirklich alles, wer sind wir? Wir sind nichts, wir verdanken ihm alles.“ Paulus durchlief eine ähnliche Entwicklung. Er nennt sich den Geringsten der Apostel im 1. Korintherbrief, einige Jahre später im Epheserbrief den Geringsten der Heiligen. Das Letzte, was er über sich sagt, ziemlich gegen Ende seines Lebens, ist: der Größte der Sünder. Anderes konnte er an sich nicht sehen.
Das macht auch Paulus zu einem Mann des Friedens, der Gemeinschaft, der die Herzen miteinander verband. Das gehört zu unserer Berufung: als Gemeinschaft dem Herrn nachzufolgen und einen Wandel zu führen, der der Heiligen würdig ist.
Ihr seid hier eine junge Gemeinde, und ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass Gottes Gnade in euren Herzen regiert, dass Gottes Gnade euch alle klein macht und euch in der Weise gemeinschaftsfähig macht, zu Kindern des Friedens und Friedensstiftern – und das alles zur Ehre Gottes.
Die Reformatoren und die Wiederentdeckung der Mitte Christus
Ich las vor einigen Jahren eine Biografie von einem gewissen Jean Cadier über Calvin mit dem Titel "Calvin, L'homme dompté par Dieu" – der von Gott bezwungene Mann. In der Einleitung schreibt er über die Bedeutung der Reformation und damit auch des Werkes Calvins. Er vergleicht sie mit den Entdeckungen über die Bewegung der Planeten, die ungefähr zur gleichen Zeit stattfanden.
Als Kepler seine Schrift über die Umdrehung der Himmelskörper veröffentlichte, stellte er dar, dass nicht die Sonne sich um die Erde dreht, sondern umgekehrt: Die Erde dreht sich um die Sonne. So hat die Botschaft der Reformatoren dem christlichen Glauben die eigentliche Mitte zurückgegeben: Christus! Alles ist in Christus zur Beziehung zu bringen, und alles dreht sich um Christus.
Es ist nicht der Mensch mit seinen religiösen Empfindungen, der die Hauptsache am Christentum ist. So hat es die römisch-katholische Kirche dargestellt. Darum spielt in der römisch-katholischen Kirche der Mensch eine so wichtige Rolle. Ein menschliches Haupt, menschliche Mittler und menschliche Heilige werden bewundert. Was der römisch-katholische Gläubige als Ideal an Frömmigkeit anstrebt, ist das Zelebrieren seiner hehren Gefühle, der heiligen Schauer.
Damit ist der Mensch die Mitte. Das ist eine Verschiebung, eine Verdrehung der christlichen Botschaft. Paulus betet hier, dass Christus in den Herzen wohne, dass er die Mitte sei und alles sich um ihn drehe. Das wurde durch die Botschaft der Gnade, die in der Reformation verkündigt wurde, den Menschen wieder bewusst.
Entsprechend hat sich daraus ganz organisch ergeben, dass nicht mehr der Mensch das Wichtigste war. Heute empfinden viele, weil wir ja so degeneriert sind, einen Verlust, dass der Protestantismus irgendwie kahl und stimmungslos sei. Für den natürlichen Menschen ist am Evangelium nicht viel oder gar nichts da, weil Christus alles ist. Die menschlichen Gefühle, Erfahrungen und Erlebnisse sind eben nicht die Hauptsache, sondern Gott, sein Sohn, Gottes Wille und Gottes Rat sind die Mitte.
So betet Paulus, dass alles sich um Christus dreht und auf Christus ausgerichtet sei, dass der Wille der Epheser sich dem Willen Christi beuge. Das ergibt sich ganz organisch aus der Wahrheit der Gnade: Christus in der Mitte, nicht der Mensch in der Mitte; der Wille Gottes, nicht die Bedürfnisse des Menschen.
Kapitel 4: Der Aufruf zum würdigen Wandel
Ab Kapitel 4 wird der Hauptgegenstand seiner Erörterungen das Leben und Zusammenleben der Gläubigen untereinander sein. Ebenso behandelt er das Leben der Christen unter den Heiden sowie das Familienleben, also das praktische Leben der Christen zuhause.
In Kapitel 4, Vers 1 heißt es: „Ich ermahne euch nun, ich der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid.“
Wir können dieser Berufung nur dann würdig wandeln, wenn wir verstanden haben, was in den Kapiteln 1, 2 und 3 steht. Dieses Verständnis muss unser Denken und Sinnen regieren. Andernfalls fehlt uns erstens die Kraft, so zu wandeln, und zweitens auch der Ansporn dazu.
Wenn uns der Ansporn fehlt, werden wir von den Dingen getrieben, die den natürlichen Menschen leiten. Diese Dinge ziehen und locken ihn, einfach so zu leben, dass es ihm gut geht, dass er sich wohlfühlt und dass es ihm gefällt. Was will der Sünder anderes denken, suchen und wollen als genau das?
Deshalb ist es so notwendig, dass wir geöffnete Herzensaugen für Gottes Gnadenratschluss bekommen. Ohne dieses Verständnis haben wir weder die Kraft noch den Ansporn, so zu wandeln und zu leben.
Wenn es aber so ist, dass Gottes Gnade uns groß wird, dann wird uns das drängen, so zu wandeln, so zu leben und so zu arbeiten – zu arbeiten für das Evangelium. Wir werden uns für das Evangelium aufbrauchen, uns verwenden und verausgaben im Dienst für die Geschwister.
Wir werden dies gerne tun und uns darin freuen. Ja, darin werden wir unsere wahre und einzige Freude finden.
Paradoxon der Gnade: Motivation zu aktivem Dienst
Die Bibel enthält viele überraschende Paradoxe, und eines davon wurde vorhin in den einleitenden Worten von Stephan angesprochen. Die Erkenntnis der Gnade führt nicht dazu, dass wir passiv werden. Man könnte das zwar annehmen, es scheint fast logisch: Wenn Gott alles tut, könnten wir doch einfach abwarten und zu Hause im Bett bleiben, wo wir uns am wohlsten fühlen.
Doch die Gnade bewirkte bei Paulus genau das Gegenteil: Sie führte dazu, dass er mehr arbeitete als andere. Dieses Paradox wiederholte sich auch in der Botschaft der Reformatoren während der Reformation. Die Reformatoren selbst wurden durch die Erkenntnis der Gnade, die sie ergriff und überwältigte, zum Arbeiten motiviert, befähigt und angespornt. Das Lebenswerk dieser Menschen ist kaum zu fassen.
Man denke nur an Martin Luther: Alles, was er geschrieben hat, würde ungefähr hier die Wand füllen. Man fragt sich, wie er das geschafft hat. Er hatte dauernd Besuch, besuchte selbst Menschen, predigte. Eine solche ungeheure Arbeitsleistung ist unbegreiflich. Das Gleiche gilt für Johannes Calvin oder für George Whitefield. Whitefield hielt im Lauf von 30 Jahren als Christ und Evangelist 30 Predigten – jeden Tag drei. Er war pausenlos unterwegs und schrieb daneben auch noch hunderte, ja tausende Briefe.
Auch in den Ländern, die von der Reformation ergriffen wurden, zeigte sich dieses Phänomen. Sicher waren nicht alle Menschen dort gläubig oder ergriffen von der Gnade, doch das Erkennen der Grundtatsache, dass alles von Gott abhängt und in seiner Hand liegt, hatte große Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben.
Die Länder der Reformation wurden zu Ländern, in denen Arbeit zur Tugend wurde. Davor war das Gegenteil der Fall. Nach römisch-katholischer Vorstellung war das Ideal nicht der arbeitende Mensch, sondern der Mönch, der sich in frommer Beschauung versenkte und immer dicker wurde. Faulheit war dort weit verbreitet. Luther selbst, der ja früher Mönch war, hat einiges ziemlich Kerniges über die Mönche gesagt.
In den Ländern der Reformation führte dieses neue Verständnis der Gnade zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung, wie allgemein bekannt ist. Denn die Menschen erkannten: Ja, Gott will, dass wir uns ihm stellen und seinen Willen tun – und nicht unseren eigenen. Die Gnade richtig verstanden führt also zur Hingabe. Sie lehrt uns Heiligkeit und Hingabe.
Aufforderung zur Hingabe und Erneuerung
Ich möchte einige Verse dazu noch aufschlagen und in diesem Zusammenhang ganz deutlich machen: Römer 12,1.
Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Dienst ist. Seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen mögt, was der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.
Dieses Wort verweist zurück auf etwas, das bereits gesagt wurde: Ich ermahne euch nun. Man könnte auch sagen: Ich ermahne euch folglich – ja, folglich wessen? Paulus hat im Römerbrief Kapitel 1 bis 11 dargelegt, wie Gott den Sünder rechtfertigt, was Gott getan hat, um den Sünder zu rechtfertigen, und welche Folgen das hat.
Der Sünder ist gerechtfertigt und hat nun Frieden mit Gott. Er darf gewiss sein, dass Gott ihn nie verlässt und dass niemand gegen ihn sein kann, da Gott selbst für ihn ist.
Und nun sagt Paulus: Wenn das stimmt, Brüder, dann gibt es doch nur eins. Ich ermahne euch jetzt, folglich durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen. Das ist euer einziger vernünftiger Dienst. Das ist logisch, das ergibt sich ganz logisch daraus.
Und dass ihr fortan danach fragt: Was ist Gottes Wille? (Vers 2)
Alttestamentliche Parallelen zur Hingabe
Wir können nun zurückgehen zum Alten Testament. Das zweite Mosebuch zeigt uns genau dasselbe Muster. Es ist das Buch der Erlösung, das Buch der Errettung. Es zeigt uns am Beispiel dieser national begrenzten Errettung Prinzipien auf, die von umfassender und bleibender Bedeutung sind. Hier wird also nur ein Modell dargestellt. Doch diese Prinzipien finden in Christus und in seinem Werk ihre endgültige Erfüllung und volle Bestätigung.
Im 2. Mose wird beschrieben, wie Gott Israel befreit und welche Methode er verwendet, um Israel zu erlösen. Die Methode ist Menschwerdung und Tod des Retters. Kapitel 12 beschreibt dann die Passahnacht, das Passalam, das geschlachtet wird. In jener Nacht zieht Israel aus Ägypten aus.
Das Erste, was Gott dem Volk sagt, das jetzt auszieht, steht in 2. Mose 13, Vers 1: „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Heilige mir alles Erstgeborene, was irgendeine Mutter bricht unter den Kindern Israel, an Menschen und an Vieh, es ist mein. Heilige es mir, es ist mein.“
Das ist genau das, was Paulus sagt: Wenn Gott uns erlöst hat, uns erkauft hat mit dem Blut seines eigenen Sohnes, dann gehören wir ihm. Folglich, Brüder, liefert euch ihm aus. Das ist euer einziger vernünftiger Gottesdienst.
In Kapitel 15 zieht Israel durchs Rote Meer und singt das Lied der Befreiung, das Lied der Erlösung. Im Vers 18 steht der zusammenfassende Satz oder das Ergebnis dieses ganzen Liedes, der letzte Satz: „Der Herr wird König sein, immer und ewiglich.“ Der Herr herrscht als König. Der Herr, der uns erlöst hat, ist jetzt unser Herrscher geworden. Dazu hat er uns erlöst, damit er über uns herrsche.
In 2. Mose 19, Vers 4 heißt es: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe.“ Gott hat Israel zu sich gebracht. Paulus sagt, dass wir mit Christus in himmlische Örter versetzt sind oder durch den einen Geist Zugang zum Vater, zu Gott, haben.
Gnade und Heiligkeit, Gnade und Hingabe lassen sich nicht voneinander trennen.
Gnade und Gesetzlosigkeit
Jesaja 26,10: Wird dem Gesetzlosen Gnade erzeigt, so lernt er nicht Gerechtigkeit. Im Land der Gerechtigkeit handelt er Unrecht und sieht nicht die Majestät des Herrn.
Der Gesetzlose sieht die Gnade Gottes, erkennt, dass Gott gnädig ist, dass Gott vergibt und seinen Zorn verzieht. Daraus schließt er jedoch, dass er so weiterleben kann wie bisher. Das ist das Verhalten eines Gesetzlosen.
Wird dem Gesetzlosen Gnade erzeigt, so lernt er nicht Gerechtigkeit. Der Heilige hingegen erkennt in der Gnade Gottes auch Gottes Heiligkeit. Er folgert daraus, dass er willig, sorgsam und gehorsam für diesen Gott leben darf.
Gnade macht stark und befähigt zum Dienst
Zweiter Timotheus Kapitel 2, Vers 1
Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist. Ja, die Gnade allein macht stark und gibt Halt. Das haben wir bereits gesehen und gehört.
Aber wozu denn stark? Wozu macht die Gnade stark? Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Männern an.
Vers 3
Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Kämpfer Jesu Christi. Dazu macht uns die Gnade stark.
Die Gnade macht uns stark, sie gibt uns Halt und befähigt uns, für Gott und seine Sache zu leben. Sie spornt uns dazu an. Ja, es ist so, dass wir durch die Gnade, wenn wir sie verstanden haben, uns schämen sollten, ihm nicht zu gehorchen.
Es ist eine schändliche Sache, dem Herrn nicht zu gehorchen, dem, der uns eine solche Gnade erwiesen hat.
Demut und Scham vor Gott als Folge der Gnade
An einer Stelle kommt dies in einem Gebet Esras zum Ausdruck, und zwar in Esra Kapitel 9, Vers 8. Ich lese ab Vers 5:
Beim Abendopfer stand ich auch von meiner Demütigung da, indem ich mein Kleid und mein Obergewand zerrissen hatte. Ich beugte mich auf meine Knie nieder und breitete meine Hände aus zu dem Herrn, meinem Gott, und sprach:
„Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, mein Angesicht zu dir, mein Gott, zu erheben, denn unsere Missetaten sind über uns und über unser Haupt gewachsen, und unsere Schuld ist groß geworden bis an den Himmel.
Von den Tagen unserer Väter an sind wir in großer Schuld gewesen bis auf diesen Tag. Und um unserer Missetaten willen sind wir, wir, unsere Könige und unsere Priester, der Hand der Könige der Länder übergeben worden, dem Schwert, der Gefangenschaft, dem Raub und der Beschämung des Angesichts, wie es an diesem Tag ist.
Und nun ist uns für einen kleinen Augenblick Gnade vonseiten des Herrn, unseres Gottes, zuteil geworden, indem er uns Entronnene übergelassen und uns einen Pflock gegeben hat an seiner heiligen Stätte.
Damit unser Gott unsere Augen erleuchte und uns ein wenig aufleben lasse in unserer Knechtschaft.“
Doch sie hatten das getan, was sie für gut hielten. Das ist es, was Esra hier so demütigt. Er sagt im Vers 14:
„Sollten wir wiederum deine Gebote brechen und uns mit diesen Gräuelvölkern verschwägern?“
Wir merken also, wie wegen der Gnade Zerwürfnis unter Heiligen, Streit und Unversöhnlichkeit unter Gläubigen eine furchtbare Sache ist – furchtbar, furchtbar.
Ich glaube, dass es nichts gibt, das Kinder Gottes so quält wie solche Dinge. Ja, wir sind dazu berufen, als Gottes Erwählte, aus Gottes Erlöste, in Gemeinschaft mit anderen Erlösten dem Herrn zu dienen und einander zu dienen.
Versöhnung und Gemeinschaft trotz Verschiedenheit
Paulus hat dieses Beispiel herausgegriffen: die Entfremdung zwischen Juden und Griechen. Die verachteten einander wirklich. Die Griechen fanden die Juden unmöglich. Wie kann man nur so befangen sein in einem solchen Aberglauben? Die Griechen sahen, dass die Juden am Sabbat nicht arbeiteten und nicht einmal marschierten. Die Römer stellten keine Juden in der Armee an. Warum nicht? Weil die Juden am Sabbat nicht marschierten. Da saßen sie also, diese Juden, und marschierten nicht, weil heute Sabbat war. Das ging natürlich nicht.
Auch die Römer fanden, dass diese Juden ein Volk von Eseln seien. Und sie seien noch eingebildet dazu. Die Juden wiederum schauderten schon, wenn sie nur das Wort „Griechen“ hörten. Diese unreinen Heiden mit ihrem Olymp voller Götter – sie fanden die Griechen und ihre Lebensweise so abscheulich.
Und solche Menschen hat der Herr in einem Leib versöhnt. Ja, menschlich gibt es keine größeren Gegensätze. So hat der Herr in der Gemeinde Menschen zusammengefügt, die sehr verschieden sind.
Nun stellt sich die Frage: Was befähigt uns, was schafft die Voraussetzung, dass wir miteinander Gemeinschaft haben können – obwohl wir so verschieden veranlagt sind, mit unterschiedlichem Geschmack und Temperament? Was befähigt uns, einander gegenseitig zu dienen, zu lieben, einander Gutes zu wollen und füreinander Gutes zu tun? Es befähigt uns die Gnade Gottes.
Wenn wir begreifen, wie Gott alles gewirkt hat, wie die ganze Errettung an Gott liegt, dann wird der Mensch klein. Wir merken, dass diese Unterschiede, auf die wir so stolz sind, kein Grund sind, uns zu erheben oder zu denken, wir seien besser, gescheiter oder würdiger als andere. Wir denken dann auch nicht, die anderen müssten mehr von uns lernen.
Solange wir von uns selbst eingenommen sind, werden wir für die Gemeinschaft immer ein Problem sein. Wir werden Schwierigkeiten machen und andere mit unserer Art teilweise sogar quälen. Wir schaffen Herzeleid bei anderen, und von uns geht Unfrieden und Zerwürfnis aus.
Wir müssen einfach klein werden. Das ist keine Wahl, es muss sein. Sonst ist ein Zusammenleben im Leib Christi nicht möglich: klein werden.
Und was macht uns klein, wenn nicht die Erkenntnis der erwählenden Gnade Gottes? Dass alles an Gott liegt und dass ich nichts habe, dessen ich mich rühmen könnte – nichts. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, wirklich durch Gottes Gnade.
Paulus’ Demut und das Vorbild der Kleinheit
Paulus wusste genau, wer er war. Natürlich konnte er nicht sagen: „Ich bin kein Apostel“, das wäre lächerlich gewesen. Er war ein Apostel. Doch darauf hat er sich nicht gerühmt. Stattdessen sagt er, dass er nur Gott und seine Gnade rühmen kann.
Er findet es unbegreiflich, dass Gott einen solchen wie ihn zu seinem Diener macht. Das sagt er selbst. „Ich kann das durchaus nicht verstehen“, schreibt er in 1. Timotheus 1. Gott, der wirklich nicht auf ihn angewiesen ist, hat ihn, einen Verfolger und Lästerer, zu seinem Diener gemacht.
Was hat Paulus da zu rühmen? Nichts! Im ersten Timotheusbrief nennt Paulus Gott zweimal den „glückseligen Gott“. In 1. Timotheus 1,11-12 heißt es: „Nach dem Evangelium der Herrlichkeit des Seligen oder glückseligen Gottes, welches mir anvertraut worden ist. Und ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mir Kraft verliehen hat, dass er mich treu erachtet hat, indem er den in den Dienst stellte, der zuvor ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter war. Aber mir ist Barmherzigkeit zuteil geworden, weil ich es unwissend und im Unglauben tat.“
Paulus kann sich nur auf diese Dinge berufen: Er hatte gelästert, er hatte verfolgt, er war ein Gewalttäter gewesen, unwissend und ein Ungläubiger. Das sind keine Dinge, mit denen man sich rühmen kann.
Einen solchen hat Gott in den Dienst gestellt. In diesem Zusammenhang nennt Paulus Gott den „glückseligen Gott“, um ganz deutlich zu machen: Gott ist in sich vollkommen, ihm fehlt nichts. Er braucht Paulus nicht, er kommt ganz gut ohne ihn aus. Gott und auch die Gläubigen müssen nicht froh sein um Paulus – wirklich nicht!
Die Gnade hat diesen Mann klein gemacht. Wir müssen klein werden, und darum macht Gott uns ja auch klein. Er hat auch dafür gesorgt, dass Paulus klein wurde. Zum Beispiel hat er zugelassen, dass die Christen ihn eines Tages nicht mehr Saul, sondern nur noch Paulus nannten – der „Päuli“. Was bedeutet denn Paulus? „Der ganz Kleine“. Das mögen wir nicht gern. Wir wissen nicht, ob Paulus kleinwüchsig war. Wenn jemand klein ist und man nennt ihn „der Kleine“, das ist nicht immer angenehm.
So hat Gott dafür gesorgt, dass dieser Mann klein wurde. Er hat auch zugelassen, dass ihm Christen zu schaffen machten. Paulus hat den Herrn darum gebeten: „Oh, nimm das doch weg!“ Die Leute in Korinth, die so unmöglich agierten und den Wert des Evangeliums zu zerstören drohten, haben ihn geplagt wie ein Dorn im Fleisch. Doch Gott hat es nicht weggenommen. Er hat gesagt: „Meine Gnade genügt dir.“
So machte und erhielt Gott diesen Mann einfach klein. Die Erkenntnis der Gnade Gottes macht uns klein. Deshalb ist es ganz entscheidend für die Verkündigung des Evangeliums, für die Verteidigung des Glaubens, aber auch für das Leben in der Nachfolge, in der Heiligung und für das Gemeindeleben, dass wir offene Augen haben – Augen für die Gnade Gottes.
Aufruf zur Einheit in der Gemeinde
Und mit dieser Voraussetzung konnte Paulus die Epheser dazu auffordern, untereinander in Einheit und Einigkeit zu leben.
In Kapitel 4, Verse 1 bis 3 heißt es: „Ich ermahne euch nun, der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe, euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren im Band des Friedens.“
Diese Gemeinschaft entsteht aus der Erkenntnis der Gnade Gottes. Sie befähigt uns, sie spornt uns an, sie demütigt uns, macht uns klein, erhöht Gott und macht uns auf diese Weise gemeinschaftsfähig.
Beispiel Georg Whitfield: Gnade als Grundlage für Frieden und Dienst
Ich möchte bei diesem letzten Gedanken zum Schluss noch verweilen. Ich wusste nicht, dass Stefan hier aus diesem Buch einige Sätze vorlesen wird. Deshalb wird es euch jetzt vielleicht vorkommen, als sei es ein bisschen zu viel. Dennoch möchte ich zwei, drei Sätze aus dem Leben dieses Mannes, Georg Whitfield, in diesem Zusammenhang noch lesen.
Wie bekannt, gab es am Anfang dieser ganzen Erweckungsbewegung, der sogenannten methodistischen Erweckung, ein Zerwürfnis über eine Lehrfrage. Es ging dabei um die Lehre der Gnade und der Erwählung. Wesley hatte ziemlich starke Überzeugungen diesbezüglich und äußerte sich sehr polemisch gegen die Auffassung, die Whitfield vertrat – insbesondere in den Punkten Erwählung und Gnade. Das führte zu einer tiefgehenden Entfremdung zwischen diesen beiden Brüdern und auch zwischen den Menschen, die durch sie zum Glauben gekommen waren.
Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass diese beiden fortan ganz getrennte Wege gehen würden. Doch das ist nicht passiert. Man muss wirklich sagen, dass die beiden zueinander fanden und danach jahrzehntelang an der gleichen Arbeit arbeiteten, einander dienten und zusammenwirkten.
Das liegt daran – ich sage es jetzt einmal aus der Sicht von Georg Whitfield, den ich besser kenne – dass er alles tat, was er nur konnte, um diesen Riss zu heilen.
Es gab noch eine dritte Strömung. Man kann sagen, es gab eine calvinistische Strömung des Methodismus, also die Gnadenlehre in der Weise, wie Whitfield sie vertrat. In England nennt man das Calvinism. Dann gab es eine arminianische Strömung, die das Evangelium mehr so interpretierte wie Wesley. Und schließlich eine dritte Strömung: die Herrnhuter.
Die Herrnhuter waren gerade in den ersten Jahren der methodistischen Erweckung sehr wichtig. Wesley war durch die Herrnhuter zum Glauben gekommen. So gab es drei Strömungen der Erweckung in England und auch in Nordamerika, also in der englischsprachigen Welt: Herrnhuter, Wesley-Anhänger und Whitfield-Anhänger.
Solange Whitfield lebte, merkte man kaum, dass es drei Strömungen waren. Sie arbeiteten zusammen. Als Whitfield nicht mehr da war, gingen diese drei Strömungen auseinander und entfremdeten sich einander. Er war wirklich der Mann, der es verstand, sie zusammenzuhalten. Er war ein Friedenstifter. „Glückselig sind die Friedenstifter“, sagt der Herr.
Das hängt wirklich damit zusammen, dass er dieser Friedenstifter sein konnte, von dem Frieden ausging, von der Versöhnung, die die Herzen der Brüder miteinander verband. Und das, weil er selbst so klein war. Er war einfach klein, dieser Mann. Die Gnade Gottes hatte ihn überwältigt. Er konnte an sich nichts Gutes sehen. Wir hörten dieses Zitat: Er fand keinen Anlass, warum Gott ihn zu seinem Diener hätte machen sollen.
Er sah nichts, dessen er sich rühmen konnte, sondern sah allen Anlass zum Rühmen nur an Christus. Diese Gnade machte ihn zum Arbeiter und zum Friedenstifter.
Er sagte einmal, wenige Monate bevor er seinen ersten längeren Amerikaaufenthalt antrat: Um allen Regungen geistlichen Hochmuts zu wehren, wollen wir immer daran denken, dass nicht wir Christus ergriffen haben, sondern Christus uns ergriffen hat. Dass alles, was wir haben, uns von oben gegeben worden ist. Dass die freie Gnade Gottes allein den Unterschied zwischen uns und anderen macht. Dass wir, sollte Gott uns nur einen Augenblick unseren eigenen trügerischen Herzen überlassen, schwach und gottlos werden würden wie die anderen.
Ein Whitfield-Biograph, ein gewisser I. P. Gladstone, schrieb 1871 in einer Biographie Folgendes über die Demut Whitfields: „Die Ursache dafür liegt in seiner niederen Einschätzung seiner selbst, welche offenkundig aus seinem Glauben floss. Keiner war ärmeren Geistes als er, keiner sah sich mehr als einen Knecht aller an als er. Keiner war mit größerer Dankbarkeit und Verwunderung erfüllt, wenn ihm die geringfügigste Freundlichkeit von der bescheidensten Person erwiesen wurde.
Er dachte, es sei seine Sache, jedermann zu dienen, ihre Lasten zu tragen und über ihre Verluste zu weinen. Aber er schien nie daran gedacht zu haben, dass sein Bruder ihm gegenüber unter der gleichen Verpflichtung stand. Während seines ganzen Lebens dachte er nie von sich selbst als von einem Menschen von besonderem Gewicht, noch rühmte er sich je seiner einzigartigen Fähigkeiten. Er gebrauchte, was ihm Gott in die Hand gegeben hatte, mit der Einfalt eines kleinen Kindes.“
Ja, er hat alles getan, um auch das sektiererische Denken zu bekämpfen, das im Herzen vieler Gläubiger hauste. Es gab Leute, die konnten es Whitfield fast nicht verzeihen, dass er nicht eine eigene Partei gründete, so wie Wesley seine eigenen Societies gründete.
Diese Leute dachten immer noch: „Ja, mit diesem Wesley stimmt etwas nicht.“ Sie erinnerten sich daran, wie Wesley damals so polemisch gegen Whitfield und seine Lehre sprach. Manche fragten sogar, ob Wesley überhaupt wirklich gerettet sei.
Einmal wurde Whitfield gefragt: „Mr. Whitfield, glaubt ihr, dass wir Mr. Wesley im Himmel sehen werden?“ Darauf antwortete Whitfield: „I fear not“, ich befürchte nicht, denn er wird dem Thron Gottes so nahe sein und wir so weit hinten, dass wir ihn kaum sehen werden.
Aber das war nicht bloß eine rhetorische Pointe. So dachte dieser Mann wirklich. Das zeigte sich auch, als es einmal so aussah, als würde Wesley sterben, weggehen. Whitfield war tief betroffen. Er schrieb seinem Bruder Charles einen Brief und zeigte darin, dass er dachte: Wenn jetzt John weggeht, dann nimmt Gott dieses Werkzeug von uns, dieses Werkzeug, das er verwendet, um diese Erweckung voranzubringen. Und was bleibt dann noch?
So dachte dieser Mann. Er hielt sich nicht für den Wichtigsten. Andere haben ihn später so beurteilt und gesagt, er sei wahrscheinlich der größte Evangelist seit den Tagen der Apostel. So hat er nie von sich gedacht.
In einem sehr realen, wirklichen Sinn konnte er gar nicht anders denken. Die Gnade Gottes war ihm zu stark geworden, zu groß geworden. „Gott und seine Gnade sind wirklich alles. Wer sind wir? Wir sind nichts. Wir verdanken ihm alles.“
Paulus hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Er nennt sich den Geringsten der Apostel im 1. Korinther 15,9. Im Epheserbrief nennt er sich den Geringsten der Heiligen (Epheser 3,8). Und das Letzte, was er über sich sagt, ziemlich gegen Ende seines Lebens, ist: der Größte der Sünder (1. Timotheus 1,15). Anderes konnte er nicht an sich sehen.
Das macht auch diesen Mann Paulus zu einem Mann des Friedens, der Gemeinschaft, der die Herzen miteinander verband. Und das gehört zu unserer Berufung: als Gemeinschaft dem Herrn nachzufolgen, als Gemeinschaft einen Wandel zu führen, der der Heiligen würdig ist.
Ihr seid hier eine junge Gemeinde, und ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass Gottes Gnade in euren Herzen regiert. Dass Gottes Gnade euch alle klein macht und euch gemeinschaftsfähig macht – zu Kindern des Friedens, zu Friedensstiftern. Und das alles zur Ehre Gottes.