Die Realität der Sünde und das Versteckspiel im Herzen
Im ersten Johannesbrief, Kapitel 1, Verse 8 und 9, lesen wir: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“
Der Dichter Robert Musil hat einen Roman mit dem Titel „Der Mann ohne Eigenschaften“ geschrieben. Darin schildert er eine kleine, aber erschütternde Szene: Sohn und Tochter haben ihren verehrten und geliebten Vater begraben. Danach müssen sie seinen Haushalt auflösen.
Unter anderem öffnen sie auch seinen Schreibtisch. Dort finden sie Akten, Briefe, Notizen und ganz hinten ein verschlossenes Fach. Als sie sich bücken und es aufschließen, ergießt sich der Schmutz eines Lebens in ihre Hände: dunkle Bilder, dunkles Material, dunkle Schriftstücke. All das hatte der Vater, den sie geliebt und verehrt hatten, in diesem Fach versteckt.
Im Anblick dieses Faches erstirbt in ihnen die Liebe zu ihrem Vater. Nicht jeder hat seine dunklen Dinge im Schreibtisch versteckt. Es gibt genug Ecken in unserem Herzen und in unserem Gedächtnis, wohin man sie schieben kann. Aber jeder hat wahrscheinlich ein Fach, das auf alle Fälle nicht geöffnet werden darf.
Wenn das unsere Nächsten entdeckten, dann würden sie uns nicht mehr lieben.
Jesus öffnet die verborgenen Fächer unserer Schuld
Um dieses Fach geht es. Jesus zielt auf unsere Verstecke der Schuld, auf unsere Ecken der Sünde, auf unsere Fächer mit den dunklen Dingen. Jesus schließt sie auf.
Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, betrügen wir uns selbst. Er bringt alles ans Licht und macht es aktenkundig – auch wenn wir sofort unsere eigenen Rechtsanwälte spielen und ein Blätterwerk beginnen.
„Das war doch vor zwanzig Jahren, das ist längst verjährt, das war doch ein Kavaliersdelikt und längst ausgebügelt, das war doch ein Ausrutscher und ist längst den Bach hinunter.“ Auch wenn wir so plädieren, bleibt die Anklage bestehen.
Die Zeit ist kein Bach, die Vergangenheit kein Bügeleisen, und die Ewigkeit kennt keine Verjährungsfrist. Wir sind alle Sünder und Mangel des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten.
Die unausweichliche Abrechnung mit der Schuld
Zu Hause habe ich eine goldene Kundenkarte. Mit dieser marschiere ich von Zeit zu Zeit in den Supermarkt. Frisch und fröhlich kaufe ich ein. An der Kasse stolziere ich vorbei wie ein Hahn, weil ich nichts zu bezahlen brauche. Die goldene Kundenkarte macht das möglich.
Aber am dreißigsten des Monats wird es ganz „goldig“, wenn nämlich die Rechnung ins Haus flattert. Auf einmal bin ich nicht mehr der Goldjunge, der immer Freude macht, sondern nur noch der Großhans, der dauernd Schulden macht. Ein Zentralcomputer hat keine einzige Schuld annulliert, sondern alle Schulden addiert und mir freundlich präsentiert.
Genauso werden auch im Himmel all unsere Daten erfasst. Die Schulden vom Supermarkt unseres Lebens laufen zusammen. Und dann wird uns diese gewaltige Rechnung präsentiert. Kein Mensch kann sie bezahlen, weil sie nicht mit D-Mark, Dollar oder Rubel zu begleichen ist. Es gibt gar keine Währung auf unseren Banken, die das begleichen könnte.
Die befreiende Kraft des Bekenntnisses und der Vergebung
Was nun? Gott sei Dank hat unser Textwort eine Fortsetzung.
Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht. Obwohl er unsere klargelegte Sünde nicht übersieht, fällt er nicht das Urteil: „Ich verdamme dich nicht.“ Ein todsicheres Urteil wird zur Begnadigung, ein absolutes Ende wird zum Anfang, ein verlässlicher Richter wird zum Retter.
Freunde, das ist Evangelium! Wer es bisher als Trostpflaster für seine Wehwehchen verstanden hat, müsste spätestens jetzt aufwachen. Wer es bisher als Weichmacher für seine Verkrustungen verstanden hat, müsste sich spätestens jetzt eines Besseren belehren lassen. Wer es bisher als Sahne für seinen Lebenskuchen verstanden hat, müsste jetzt gründlich umlernen.
Evangelium ist Freispruch trotz Schuld, Evangelium ist Begnadigung trotz Sünde, Evangelium ist Leben trotz Tod.
Das Kreuz als Zeichen der Erlösung und Schuldtilgung
Gehen Sie mit mir nach Golgatha, der Müllkippe gleich außerhalb Jerusalems. Drei Holzkreuze sind in den Boden gerammt.
Schauen Sie jetzt genauer auf das Kreuz in der Mitte, genauer auf die rechteckige Holztafel, die mit einem Nagel an der Spitze des Kreuzbalkens befestigt ist. Als Kenner wissen wir, dass das der Titulus ist, jenes Schild, das der Verurteilte am Hals zur Exekution trägt.
Wir brauchen es gar nicht zu lesen, weil wir die Aufschrift dieser Schuldtafel schon längst kennen: Jesus von Nazareth, der Judenkönig.
Bei näherem Hinsehen jedoch stellen wir fest, dass die Tafel merkwürdig nicht beschrieben ist. Eine ganze Latte von Übertretungen und Verfehlungen ist dort aufgeführt, eine komplette Schuldschrift in Kleinformat. Plötzlich durchfährt es uns: Da steht ja mein Name, da steht ja meine Biografie, da steht ja mein ganzes Sündenregister.
An keinem Punkt kann ich widersprechen, an keiner Silbe ist etwas auszusetzen. Der Titulus ist meine Rechnung, mein Schuldschein, mein Todesurteil. Ich, elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?
Dann spüren wir den Zugriff des Henkers im Genick. Da zeigt der Apostel auf den Mann, der unter meinem Titel dort hängt: Dein Platz ist schon besetzt, deine Schuld ist schon bezahlt, deine Rechnung ist schon beglichen.
Der ans Kreuz geheftete Schuldbrief ist abgeheftet, weggesteckt, erledigt. Gott rechnet da nicht ab, wo wir mit Jesus rechnen. Gott rechnet da nicht zu, wo wir auf Jesus hoffen. Gott wird mit Jesu Blut bezahlt.
Nun gibt es keine Verfehlung mehr, die man mir anhängen könnte, wenn ich mich an Jesus hänge. Nun gibt es keine Übertretung mehr, die man mir anlasten könnte, wenn ich an den Lastträger denke. Nun gibt es keine Schuld, aber auch gar keine Schuld mehr, die das Blut nicht tilgen will.
Diesen Punkt setzt er.