Verschiedene Lebensrollen im Alter und die Herausforderung, sie zu vereinen
Ja, guten Morgen! Bei dem Lied ist das auch so eine Geschichte, wie Siegfried eben deutlich gemacht hat: Manchmal bekommt man die verschiedenen Etagen im Kopf, die man als Senior hat, nicht so richtig übereinander.
Bei uns hat einer mal ganz kräftig gesungen: „Unser Munde ist voll Nudeln.“ Aber passt auf, dass er das nicht jedes Mal singt!
Mir geht es ähnlich wie Siegfried. Man hat verschiedene Köpfe oder Mützen, die man aufhat. Jetzt hat man den Seniorkopf auf, dann den Kurswechselkopf, dann den JWD-Kopf, den S48-Kopf, den Gemeindekopf, den Opa-Kopf und den Ehemann-Kopf.
Manchmal geht das im Alter durcheinander, das ist schon richtig.
Jetzt wollen wir uns damit beschäftigen. Ich habe überlegt: Wenn wir hier schon eine Seniorentagung haben, dann müssen wir ja auch etwas für die Senioren sagen – auch aus der Bibel.
Samuel hat ja ein schönes Buch geschrieben: „Wenn man alt werden will, muss man früh anfangen.“ Jeder Senior hat mal früh angefangen, jeder Senior ist auch mal ein Baby gewesen. Das ist der Vorteil von Senioren. Den Vorteil hat ein Baby noch nicht, und Jugendliche auch nicht.
Einführung in das Leben eines besonderen Seniors für Christus
Und ich habe überlegt, wie ich das mal überschrieben habe: einen Senior für Christus. Jetzt möchte ich euch raten lassen, um wen es geht.
Zunächst einmal: Er hatte ein langes und bewegtes Leben. Selbst im hohen Alter war er aktiv für den Herrn. Ab seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr wurde er Schriftsteller. Alle seine Jugendfreunde wurden getötet, selbst sein Bruder wurde ermordet. Er hatte ein sehr impulsives Temperament. Außerdem überlebte er dreizehn Regierungen römischer Kaiser. Vom Beruf war er Binnenfischer, und sein Spitzname war Boanerges.
Wer war es? Johannes, richtig.
Ich habe es mal so überschrieben: Der Senior, den Jesus liebte. Er nennt sich ja selbst den Jünger, den Jesus liebte.
Ich habe hier ein Foto mitgebracht, das Albrecht Dürer ein bisschen später von ihm gemalt hat. Offensichtlich hat Dürer auch seine Bibel studiert, das ist interessant. Ihr kennt wahrscheinlich dieses Bild oder die zwei Bilder von Albrecht Dürer mit den vier Aposteln. Johannes ist der einzige, der keinen Bart hat. Warum wohl?
Tja, warum wohl? Das war eigentlich zur Zeit Albrecht Dürers ungewöhnlich. Aber Albrecht Dürer wollte deutlich machen, dass Johannes, der Jünger des Herrn Jesus und späterer Apostel, der Jüngste von allen war. Das ist auch durchaus logisch nachzuvollziehen. Immerhin ist Johannes sehr, sehr alt geworden.
Laut Kirchengeschichte – es war nicht Josefus, sondern Origenes, glaube ich – schreibt dieser, dass Johannes im hohen, gesegneten Alter von etwa hundert Jahren gestorben ist. Natürlich haben die damals noch nicht so gerechnet, sondern nach den Kaiserdaten der römischen Kaiser, also nach unserer Zeitrechnung im ersten Jahrhundert nach Christus. Das heißt, er muss früh angefangen haben.
Das Elternhaus und die familiären Hintergründe von Johannes
Wenn man davon ausgeht, dass er im 1. Jahrhundert neunzig Jahre alt geworden ist, stellt sich die Frage: Wer von euch ist schon neunzig? Ihr habt also noch ein bisschen Zeit. Man könnte dann zurückrechnen und überlegen, wie alt er jeweils war, als verschiedene Dinge in seinem Leben passiert sind.
Das habe ich heute Morgen mal gemacht. Entschuldigt, dass ich ein bisschen geschichtlich werde – ich mache jetzt quasi Geschichtsunterricht mit euch. Aber zunächst lesen wir einen Abschnitt aus der Bibel.
Wie war sein Elternhaus? Höchstwahrscheinlich stand irgendwo am Nordufer des Sees Genezareth, des späteren Sees Tiberias, ein Schild mit der Aufschrift: Fischerei, Großhandel, Zebedäus und Söhne. Der Vater war Binnenfischer, eben am See Galiläa, am See Genezareth.
Wir schlagen mal gemeinsam das Matthäus-Evangelium auf, Kapitel 20, und ich lese eine bekannte Begebenheit vor. Vielleicht habt ihr schon mal darüber gepredigt:
„Dann trat die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen zu ihm, warf sich nieder und wollte etwas von ihm erbitten. Er aber sprach zu ihr: Was willst du? Sie sagt zu ihm: Bestimme, dass diese meine zwei Söhne, einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken, sitzen mögen in deinem Reich. Jesus aber antwortete und sprach: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sagen zu ihm: Wir können es. Er spricht zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und zu meiner Linken zu vergeben, steht nicht bei mir, sondern ist für die, denen es von meinem Vater bereitet ist. Und als die Zehn es hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder.“
Wahrscheinlich habt ihr schon Predigten darüber gehört. Der Grundtenor war oft, dass es eine unmögliche Bitte war, die die Mutter der Söhne des Zebedäus hier stellte. Sie suchte offensichtlich eine gute Pension für ihre Kinder, also eine sichere Stelle, wo sie ausgesorgt hätten.
Aber ich glaube, das ist nicht so. Der Beweggrund der Mutter war ein anderer.
Wer waren diese beiden Söhne? Das ist immer interessant. Die Mutter der Söhne des Zebedäus wird immer nur so genannt. Sie wird gar nicht mit Namen genannt. Sie heißt immer nur „die Mutter der Söhne des Zebedäus“. Das ist so, als würde man von hinten durchs Ohr schießen.
Warum wird nicht gesagt „die Mutter von Johannes und Jakobus“? Wer weiß denn, wie die Mutter hieß? Salome? Woher hast du das? Aha, nein, oder? Oder: Nein, nein.
Und zwar ist Salome richtig. Ich sage immer, die Bibel ist wie ein Puzzle, und man muss viele Teile zusammensammeln. Man findet das nur heraus, wenn man zum Beispiel die Parallelstellen sucht, welche Frauen unter dem Kreuz des Herrn Jesus standen. Dann wird in dem einen Evangelium gesagt, dass die Mutter der Söhne des Zebedäus dort war, und im anderen Evangelium wird gesagt, dass Salome dort war. Logischerweise bekommt die Mutter so ihren Namen.
Ich finde es immer spannend, solche Dinge herauszufinden.
Also, der Vater hieß Zebedäus. Komischerweise werden heute keine Kinder mehr so genannt, obwohl viele Christen biblische Namen für ihre Kinder oder Enkel aussuchen. Dabei ist das ein sehr schöner Name, er bedeutet so viel wie „Gabe Gottes“. Die Mutter heißt Salome, was „die Friedliche“ bedeutet.
Und ich muss sagen, die beiden scheinen wirklich zueinander gepasst zu haben.
Jesus gibt den beiden Jüngern den Namen Boanerges. Eben wurde schon gesagt, was das heißt: Donnersöhne. Da steht nicht nur „Donner“, sondern „Donnersöhne“. Was heißt das? Das Temperament hatten sie vom Vater, oder? Der Vater war der Donner, und sie waren die Söhne.
Und jetzt überlege ich: Der Vater ist der Donner, und die Mutter ist die Friedliche. Das ist wie bei euch auch: Gegensätze ziehen sich an.
Ich sage mir manchmal, wenn die Sigrid so wäre wie der Siegfried, das wäre ja fürchterlich. Ich weiß gar nicht, warum ihr jetzt lacht, oder?
So ist das.
Ja, Zebedäus war also selbstständig als Fischer, hatte seine beiden Söhne im Geschäft, und eines Tages hauen die ab, folgen diesem Wanderprediger nach.
Und dann geschieht das Erstaunliche: Auch die Mutter haut ab. Sie folgt ebenfalls Jesus.
Ich finde es erstaunlich, dass Vater Zebedäus nicht wirklich einen Donner gemacht hat und nicht gesagt hat: „Salome, du bleibst hier! Wer strickt mir meine Strümpfe? Wer kocht mir die Bratkartoffeln zum Frühstück?“ Stattdessen lässt er sie gehen.
Und das Schlimme dabei ist: Von diesen Frauen, die dem Herrn Jesus nachgefolgt sind, heißt es, sie dienten ihm mit ihrer Habe – zu gut Deutsch: Sie hatten die Kreditkarte mitgenommen. Zebedäus konnte immer wieder auf der Bank nachgucken, wo sie etwas abgehoben hatte.
Das ist doch frustrierend.
Stellt euch vor, ihr lieben Männer, eure Frauen würden ins Werk des Herrn gehen und immer abbuchen. Offensichtlich hat Zebedäus dazu ja gesagt.
Er hat ja gesagt, dass seine Söhne seinen Fischereibetrieb den Rücken kehren und Jesus nachfolgen.
Die Prägung durch Elternhaus und die Bedeutung der Wahrheit
Ich habe hier ein Foto von den beiden mitgebracht. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie richtige Versammlungsgeschwister waren, solche, die zur Seniorentagung nach Rehe fahren.
Ja, du weißt ja eigentlich, warum Männer eine Glatze haben und Frauen nicht. Aber das ist ein anderes Thema.
Man könnte fragen: Wie haben die beiden ihre Söhne erzogen? Auch das kannst du zwischen den Zeilen lesen. Es ist erstaunlich, dass Johannes einer derer war, die bei Johannes dem Täufer waren und offensichtlich auf den Messias warteten. Das haben sie nicht in der Synagoge gelernt, sondern zu Hause.
Die Nachfolge der Salome macht deutlich, dass sie auch im Herzen suchte – sie suchte den Messias. Das hat die beiden geprägt. Sie wurden vom Vorbild des Vaters und der Mutter geprägt.
Ganz am Ende seines Lebens schreibt Johannes seine Briefe. Im zweiten und im dritten Brief des Johannes steht jeweils in Vers vier – damit man sich das leicht merken kann – eigentlich der Grundsatz, den seine Mutter und sein Vater ihm beigebracht haben: „Ich freute mich, als ich hörte, dass deine Kinder in der Wahrheit wandeln.“
Offensichtlich waren das die Hauptanliegen von Zebedäus und Salome, dass ihre Kinder in der Wahrheit des Herrn wandeln, und das, obwohl sie so temperamentvoll waren.
Aus der Bitte der Salome an Herrn Jesus – „Ich möchte, dass meine Söhne rechts und links neben dir sitzen“ – entnehme ich diesen Wunsch: Herr, ich möchte, dass meine Söhne so nah wie möglich bei dir sind. Ich möchte, dass sie rechts und links von dir sind, ohne dass etwas dazwischenkommt. Ich möchte, dass sie ganz nah bei dir sind.
Ich kann mir nur sagen – und allen Eltern und Großeltern sagen: Das ist eine der schönsten Bitten für Kinder und Enkelkinder. Ich möchte, dass meine Söhne und meine Enkel so nah wie möglich bei dir sind.
Temperamentvolle Jünger und ihre Entwicklung durch Jesus
Ich finde es erstaunlich – ja, sogar gut. Das hatte ich euch schon gesagt: So sahen die beiden aus. Wenn ihr es nicht glaubt, müsst ihr warten, bis ihr im Himmel seid. Sie hatten wirklich ein Temperament, falls sie es vom Vater geerbt haben.
Die Bibel berichtet von einer Begebenheit, bei der sie mit dem Herrn Jesus durch Samaria ziehen. Sie sind auf dem Weg von Galiläa nach Judäa. Der kürzeste Weg führt durch Samaria, aber ein frommer Jude ging sonst immer den Umweg durchs Jordantal. Dann ging es bei Jericho wieder bergauf. Diesmal jedoch wählten sie den kürzeren Weg.
Dann heißt es, dass eine Stadt sie nicht aufnehmen wollte. Sie bekamen kein Quartier. Johannes und Jakobus sagen zu Jesus: „Herr Jesus, jetzt zeige ich mal, was du kannst, ne? Lass mal Feuer vom Himmel kommen!“ Merkt euch, das waren die richtigen Donnersöhne. Sie wollten jetzt, Herr Jesus, ein Feuerwerk sehen – sorry, pscht!
Jesus antwortet: „Ihr wisst nicht, wessen Geist ihr seid. Ihr seid Donnersöhne.“ Wenn man später das Leben von Johannes betrachtet, merkt man, dass Jesus ihn sehr, sehr verändert hat. Das haben wir gestern ja auch gehört. Auch im Alter sind wir noch zu prägen, und Jesus hat die beiden geprägt.
Er hat die Bitte der beiden – der Mutter und der Söhne – ernst genommen. Wir haben ja gelesen, dass sie damit übereinstimmten. Jesus hat das wirklich umgesetzt. Er fragte sie noch, wie wir gelesen haben: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ Natürlich wussten sie nicht, was Jesus damit meinte. Er meinte seinen Tod.
Sie antworteten großspurig: „Ja, können wir.“ Jesus sagt daraufhin: „Okay“, und nimmt sie beim Wort. Wahrscheinlich hätten sie das nicht so vollmundig gesagt, wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt. Jesus gebraucht die beiden Söhne, besonders Jakobus. Er macht aus den zwei Fischern zwei Menschenfischer.
Von Jakobus lesen wir dann in Apostelgeschichte 12, dass er einer der ersten Märtyrer wird. Herodes enthauptet ihn. Wir könnten sagen – es steht zwar nicht in der Bibel, aber ich kann es mir sehr gut vorstellen –, dass Salome in diesem Augenblick gesagt hat: „Jesus, was machst du mit meinem Sohn?“ Jesus antwortet: „Das war doch deine Bitte, dass dein Sohn ganz nah bei mir ist. Jetzt hole ich ihn ganz nah zu mir.“
Wahrscheinlich hat Salome gesagt: „Aber so habe ich das nicht gemeint.“ Jesus antwortet: „Aber so habe ich deine Bitte erfüllt.“
Daran merken wir oft, dass wir manchmal beten, ohne uns der Tragweite unserer Gebete bewusst zu sein. Doch der Herr Jesus antwortet darauf. Vielleicht verstehen wir den Weg unseres Herrn mit uns oder mit dem Weg unserer Kinder nicht. Wir schreien zu ihm, aber er meint es gut.
Dass Jakobus einer der ersten Märtyrer ist, ist im Grunde die Erfüllung der Bitte der Salome.
Johannes’ langes Leben und seine Rolle in der frühen Kirche
Der Herr Jesus handelt nicht nach Schema F. Johannes stirbt nicht als Märtyrer. Soweit ich weiß, ist er der einzige Jünger, der nicht den Märtyrertod gestorben ist.
Jesus geht nicht nach einem festen Muster vor, wie es im Johannesevangelium Kapitel 21 beschrieben ist. Dort gibt es die Begebenheit, in der Jesus Petrus in den Dienst stellt. Petrus fragt: „Und was ist mit dem?“ Schließlich hatte Johannes ihn in diese Versuchungssituation gebracht, indem er ihn in den Hof des Hohen Priesters geführt hatte.
Jesus antwortet darauf: „Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an?“ Johannes schreibt in Johannes 21, dass das Gerücht umging, dieser Bruder, dieser Jünger, würde nicht sterben. Johannes stellt jedoch klar, dass Jesus das nicht gesagt hat. Er sagt nur: „Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme.“
Man merkt, dass Johannes sehr genau aufgepasst hat, was Jesus gesagt hat. Er wurde sehr, sehr alt und erlebte den Herrn Jesus in einer Nähe, wie sie sonst niemand gesehen hat.
Wenn wir die Offenbarung Kapitel 1 lesen, wie Johannes den Herrn Jesus beschreibt, so hat ihn noch niemand so beschrieben.
Historischer Überblick über das Leben von Johannes unter römischer Herrschaft
Noch einmal zurück. Jetzt gehen wir ein bisschen in die Zeitgeschichte. Als ich mich damit beschäftigt habe, hat mich das fasziniert.
Ich habe euch gesagt, Johannes überlebt dreizehn Regierungszeiten römischer Kaiser. Er wird geboren unter der Herrschaft von Kaiser Augustus. Wenn man annimmt, dass er vielleicht im Jahr zehn geboren wurde – das ist eine Schätzung –, hat er Augustus natürlich nicht mehr bewusst miterlebt, aber immerhin wurde er zu dessen Regierungszeit geboren.
Die nächste Zeit, also seine Kindheit und Jugend, fällt in die Herrschaft des Kaisers Tiberius. In dieser Zeit lernt er Jesus kennen und erlebt auch die Kreuzigung sowie die Auferstehung mit.
Von 37 bis 41 regierte Kaiser Gaius, in der Geschichte besser bekannt als Caligula. Er war ein sittenloser und furchtbarer Kaiser. Danach folgt Kaiser Claudius. Er ist der Kaiser, der die Juden aus Rom vertrieb und somit Verfolgungen auslöste. Claudius wird in der Apostelgeschichte an verschiedenen Stellen erwähnt.
Darauf folgt die grausame Regierungszeit Neros von 54 bis 68. In dieser Zeit gab es die ersten Christenverfolgungen im Römischen Reich, ausgelöst durch den Brand Roms.
Anschließend beginnt das sogenannte Dreikaiserjahr, eine wechselvolle Geschichte. Nachdem Nero im Jahr 68 ermordet wurde, versuchen drei Kaiser – Galba, Otho und Vitellius – den Thron zu besteigen. Es ist eine turbulente Zeit.
Dann setzt sich Kaiser Vespasian durch. Er gab die Anordnung, Jerusalem durch seinen Sohn Titus zerstören zu lassen. Titus wurde anschließend zwei Jahre Kaiser.
Die Nachfolge tritt Kaiser Domitian an. Unter seiner Herrschaft waren starke Christenverfolgungen an der Tagesordnung. Auch Johannes wird zu dieser Zeit auf die Insel Patmos verbannt, eine Sklavenkolonie der Römer.
Der nachfolgende Kaiser ist Kaiser Nerva. Von 98 bis 117 regiert Kaiser Trajan. Er löste die Christenverfolgungen zwar auf, doch die Christen blieben weiterhin eine verbotene Sekte.
Schon allein daran sieht man, dass das Leben des Johannes ein sehr bewegtes Leben war. Entschuldigt, wenn ich jetzt noch ein bisschen Geschichte gemacht habe. Ich gehe ein wenig ins Detail.
Das Leben von Johannes im Kontext der frühen Kirche und Verfolgungen
Was geschah, was hat Johannes erlebt? Wenn wir davon ausgehen, dass Johannes im Jahr zehn nach Christus geboren wurde, dann war er etwa siebzehn Jahre alt, als er den Herrn Jesus kennenlernte – also noch ein Teenager. Für mich ist es erstaunlich, dass der Herr Jesus solch einen jungen Mann in seine Mannschaft aufnahm.
Johannes erlebte das Leben und die öffentliche Wirksamkeit des Herrn Jesus. Er war dabei, als Jesus starb und auferstand. Er ist der einzige Jünger, der unter dem Kreuz stand. Vermutlich war es für ihn weniger gefährlich als für die anderen Jünger, die sich versteckten, weil er noch so jung war. Er war der erste Jünger, der mit Petrus nach den Frauen zum Grab lief.
Er erlebte Pfingsten mit und war mit Petrus dabei, als dieser die ersten Wunder tat. Auch als die große Rede gehalten wurde und die Gemeinde entstand, war er anwesend. Er war gerade einmal zwanzig Jahre alt. Kurz darauf erlebte er mit 22 Jahren die erste Christenverfolgung. Er sah, wie Stephanus gesteinigt wurde – während der Regierungszeit von Caligula und später Claudius.
Johannes erlebte auch, wie sein eigener Bruder durch Herodes Agrippa I. getötet wurde. Ich frage mich manchmal, was in Johannes’ Herz vorging, als sein leiblicher Bruder ermordet wurde. In Apostelgeschichte heißt es dazu: „Es gefiel den Juden.“ Habt ihr schon einmal darüber gepredigt? Oft lesen wir solche Geschichten und denken, die Jünger und Apostel des Herrn seien immer abgehoben gewesen. Aber wenn man sich das Leben von Johannes genauer ansieht, muss man sagen: Was hat dieser Mann alles erlebt und ist trotzdem im Herrn geblieben. Er verzweifelte nicht, als sein Bruder ermordet wurde, und haderte nicht mit Gott.
Im gleichen Jahr wurde Petrus inhaftiert. Johannes erlebte in Jerusalem wahrscheinlich eine nächtliche Gebetsgemeinschaft im Haus der Markus-Mutter, als Petrus wieder freikam. Können wir nachempfinden, welche Gefühlsbewegungen in einem Jünger des Herrn auf und ab gingen? Die Bibel berichtet sachlich darüber, aber ich glaube, dass die Herzen derer, die es wirklich erlebt haben, es sehr emotional empfanden.
Schon mit 35 Jahren wurden das Markus-Evangelium und der Jakobusbrief geschrieben. Johannes erlebte mit, wie Paulus zum Glauben kam und 46 die erste Missionsreise antrat. Paulus kehrte zurück, und Johannes war auch beim Apostelkonzil in Jerusalem dabei, wo es um die Weichenstellung der Gemeinde ging. Er war an der Entscheidung beteiligt und war 38 Jahre alt.
Mit 39 Jahren wurden die Juden unter Claudius aus Rom vertrieben. Die Nachrichtenübermittlung war zwar nicht so schnell wie heute, aber im Römischen Reich verbreiteten sich Neuigkeiten dennoch rasch. Selbst in den entlegenen Gebieten Israels war man politisch auf dem Laufenden.
Im Jahr 49 begann die zweite Missionsreise des Apostels Paulus, 50 wurde das Matthäus-Evangelium geschrieben, 53 die dritte Missionsreise des Paulus. Im Jahr darauf wurde Nero Kaiser. Im gesamten Römischen Reich spürte man, dass es für die Christen eng wurde. Ihr kennt aus der Geschichte den Brand Roms und die Folgen für die Christen nicht nur in Rom.
Kurz darauf, im Jahr 48, wurde Paulus inhaftiert. Er war zwei Jahre in Caesarea inhaftiert und wurde dann nach Rom gebracht. Johannes war zu diesem Zeitpunkt fünfzig Jahre alt. 62 wurde Jakobus, der Bruder des Herrn Jesus, getötet, 63 Timotheus. Ich frage mich, wie das für Johannes gewesen sein muss, all diese Schreckensnachrichten zu hören. Für ihn war das sicherlich viel näher als für uns heute, wenn wir von Christenverfolgungen in der Welt hören. Für uns sind diese Nachrichten oft weit entfernt. Wir beten zwar, aber wenn dein Freund, Bruder und Mitkämpfer getötet wird, betrifft dich das ganz anders – so wie Johannes es erlebte.
Im Jahr 63 wurde Paulus enthauptet. Die Christenverfolgung im gesamten Römischen Reich nahm zu. Nicht nur Christen, auch Juden wurden verfolgt. Die Reaktion darauf war der erste politische Aufstand in Israel, ein Versuch, gegen die Römer Widerstand zu leisten. Die politische Lage in Israel wurde sehr brisant. Die Römer besetzten Galiläa, den Norden Israels. Titus rückte mit seinen Truppen nach Israel vor.
Im gleichen Jahr wurde Petrus in Rom hingerichtet. Ich überlege, wie es für Johannes gewesen sein mag, der in Jerusalem war, wenn er davon hörte. Mit Petrus war er unterwegs, mit ihm beim ersten Verhör vor dem Hohen Rat. Man könnte sagen, die Einschüsse kamen immer näher.
Johannes war 57 Jahre alt. Wie reagierte er? Man hoffte im neuen Jahr 68, nachdem Nero getötet war und nach dem Dreikaiserjahr Vespasian Kaiser wurde, dass sich die Lage beruhigen würde. Doch der Aufstand in Israel ging weiter. Titus rückte weiter vor und kam immer näher an Jerusalem heran.
In dieser Zeit wurde der Hebräerbrief geschrieben. Alle, die sich mit diesem Brief befassen, stellen fest, dass er bemüht ist, die Israeliten und auch die messianischen Juden – sie nannten sich noch nicht so – vom Alten Testament zu lösen. Er macht ihnen deutlich, dass sie sich vom Optischen, vom Tempel, von den Opferdiensten und vom Priesterdienst lösen sollen. Jesus ist der Bessere.
Warum wurde der Hebräerbrief gerade in diesem Jahr geschrieben? Weil Israel genau vor dieser Situation stand. Nach der Kirchengeschichte verließ die neutestamentliche Gemeinde Jerusalem im Jahr 68. Warum? Weil ihnen bewusst wurde, was Jesus in seiner Endzeitrede gesagt hatte (Lukas 21,20-21). Dort hatte Jesus gesagt, dass sie Jerusalem verlassen sollten, bevor die Gerichte kommen.
Die Christen damals erinnerten sich daran und beachteten es. Zu diesen Christen in Jerusalem gehörte auch Johannes. Offenbar verließen sie Jerusalem, bevor Titus 70 die Stadt eroberte und zerstörte – auch den Tempel. Nach der Kirchengeschichte ist belegt, dass die neutestamentliche Gemeinde bei der Zerstörung Jerusalems nicht umkam, sondern vorher floh, weil sie auf das Wort des Herrn gehört hatte.
Wir merken, dass Johannes, der mitverantwortlich für diese Gemeinde in Jerusalem war, das Wort des Herrn Jesus ernst nahm. Er führte die Gemeinde aus Jerusalem heraus. Viele von ihnen flohen nach Kleinasien. Auch das belegt die Kirchengeschichte: Johannes floh nach Ephesus.
Den Rest seines Lebens lebte er in der Gemeinde in Ephesus, als Folge der Zerstörung Jerusalems. Masada fiel, die letzten Widerstandsnester der Israeliten wurden zerstört, und die Israeliten wurden vertrieben. Im Jahr 75 schrieb Josephus, der römische Geschichtsschreiber, sein Buch „Der jüdische Krieg“. Es ist bewegend, dieses Buch zu lesen. Josephus war Augenzeuge der Zerstörung Jerusalems. Natürlich schrieb er aus römischer Sicht, beziehungsweise für die Römer.
Es ist bezeichnend, welche Rückschlüsse er zog. Er schrieb auch von den Christen und von Jesus. So gibt es historische Belege. Titus, der Jerusalem erobert und zerstört hatte, wurde Kaiser.
Im Jahr 80 verbreitete sich in Kleinasien die Lehre der Gnosis immens – das, was Paulus schon versucht hatte zu unterdrücken und dagegen zu kämpfen, wie im Kolosserbrief beschrieben. Johannes war in Ephesus, und das wurde für ihn zu einer großen Not. Unter diesem Gesichtspunkt schrieb er das Johannesevangelium.
Ungefähr im Jahr 85 wurde das Johannesevangelium geschrieben. Nach dieser Zeitrechnung war Johannes etwa fünfundsiebzig Jahre alt. Wer von euch ist fünfundsiebzig? Er wurde als Senior aktiv, und ich muss sagen, das imponiert mir. Was hat er nicht alles in seinem Leben erlebt, und jetzt erlebte er die Gefahr durch diese Irrlehre.
Er setzte sich hin und schrieb unter diesem Aspekt das Johannesevangelium. Das Johannesevangelium sagt sehr deutlich, warum es geschrieben wurde. Die Begründung findet sich in Kapitel 20, Vers 30: „Auch viele andere Zeichen hat nun Jesus vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“
Die Zielrichtung des Johannesevangeliums ist, dass durch das, was Johannes aufschreibt – und er weiß ganz genau, dass es zu diesem Zeitpunkt schon das Markus-, Matthäus- und Lukas-Evangelium gibt – man nicht einfach eine Kopie macht. Er schreibt unter einem ganz bestimmten Aspekt, damit man erkennt, dass Jesus der Christus ist und dadurch Leben bekommt.
Wir merken, dass Johannes sein Evangelium unter einem ganz bestimmten Konzept und Aspekt schrieb – und das mit 75 Jahren. Man könnte Johannes fragen: „Das ist jetzt fünfzig Jahre her, seit du all das erlebt hast, was du aufschreibst. Hast du so ein gutes Gedächtnis?“ Johannes beschreibt es in Johannes 14 bis 16, wo der Herr Jesus in der letzten Nacht seinen Jüngern erzählt, dass er jetzt weggeht und den Heiligen Geist schickt, der sie an alles erinnern wird.
Johannes erlebt es am eigenen Leib, dass der Heilige Geist ihn an alles erinnert. Es ist verwunderlich, wie detailliert Johannes unter diesem Aspekt des Glaubens das Evangelium schreibt.
Während er das Evangelium schrieb, nannte sich der römische Kaiser Domitian „Dominus et Deus“, also Herr und Gott. Wenn wir das Johannesevangelium unter diesem Aspekt lesen, stellen wir fest: Das ist die Betonung des Johannes. Er schildert den Herrn Jesus als Herr und als Gott. Damit schrieb er ein staatsfeindliches Buch.
Merken wir, wie brisant das war! Wir lesen das Johannesevangelium meist unter einem ganz anderen Aspekt. Aber wie riskant war es, dieses Evangelium zu schreiben – nicht zu sagen, Domitian sei Herr und Gott, sondern Jesus sei Herr und Gott.
Daher ist es klar, dass Johannes auf die schwarze Liste, auf die rote Liste kam und verfolgt wurde. Er hätte sich das Alter einfacher machen können. Hätte er geschwiegen, hätte er vielleicht noch in Ruhe alt werden können. Aber er legte noch einen drauf: Er schrieb die drei Johannesbriefe. Auch dort macht er sehr deutlich, dass das Leben in Christus ist.
Zur gleichen Zeit wurde das Matthäusevangelium ins Griechische übersetzt. Domitian begann im Römischen Reich eine systematische Christenverfolgung. Die Folge war, dass Johannes auf Patmos verbannt wurde. Ich denke, mit fünfundachtzig Jahren musste er nicht mehr in die Steinbrüche. Ob das so war, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war das kein Erholungsurlaub.
Er wurde aus der Gemeinde in Ephesus entfernt, war Staatsfeind und wurde auf die Insel Patmos verbannt. Wer von euch ist fünfundachtzig? Da wünscht man sich ein geruhsames Alter, oder? Richtig, da fährt man in Urlaub auf Patmos. Für Johannes war das kein Urlaub.
Manchmal denken wir, Johannes sei auf Patmos verbannt worden und habe viel Zeit gehabt. So wird er auf alten Gemälden oft dargestellt, mit schönem Ausblick aufs Meer. Dort auf Patmos schrieb er die Offenbarung.
Die Offenbarung und der Blick auf die Zukunft
Was muss das für ihn gewesen sein? Im Römischen Reich werden die Christen verfolgt, er ist verbannt – welchen Einfluss habe ich denn noch?
Und der Herr Jesus sagt: „Komm hier herauf!“ Dann gibt der Herr ihm einen Blick. Wie die Geschichte weitergeht, zeigt: Du brauchst keine Angst zu haben, auch wenn im Augenblick Chaos in dieser Welt herrscht. Komm hier herauf! Ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades – nicht Domitian. Ich bin der Sieger.
Das bringt Johannes zur Anbetung. Er fiel vor seinen Füßen wie tot. Doch Jesus legte seine Hand auf seine Schulter und sagte: „Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte.“
Können wir nachempfinden, wie Johannes in solch einer Situation die Offenbarung unter einem ganz anderen Aspekt erlebt hat? Es stimmt schon, wenn einige sagen, die Offenbarung ist ein tröstliches Buch. Wir empfinden sie oft als ein fürchterliches Buch, oder? Aber Johannes erlebt es anders: Er wird herausgehoben aus der politischen, schrecklichen Situation. Er sieht den Herrn als den auf seinem Thron.
Das erinnert an das, was seine Mutter damals gebeten hat: „Ich möchte, dass meine Söhne rechts und links neben dir auf dem Thron sitzen.“ Und Johannes erhält einen Blick in diesen Thronsaal.
Vielleicht noch kurz diese paar Punkte: Bis Nerva Kaiser wird, Trajan Kaiser wird, hebt man die Verbannung auf. Im Todesjahr von Trajan darf Johannes zurück nach Ephesus. Dort stirbt er, so schreibt Eusebius.
Ermutigung und Schlussgedanken für das eigene Leben im Glauben
Warum habe ich euch das erzählt? Ich weiß nicht, wie dein Leben gewesen ist und was du alles erlebt hast. Einige von euch sind älter als ich und haben vielleicht den letzten Krieg noch bewusst miterlebt – mit all den Ängsten und Nöten.
Ihr seht, wie es enger wird, auch in unserem Land, auch für Christen. Man darf nicht mehr alles offen in der Öffentlichkeit sagen. Aber was ist das im Vergleich zu den Christen, die verfolgt, getötet oder inhaftiert werden?
Erinnern wir uns daran, was Salome den Herrn Jesus gebeten hat: "Herr, ich möchte, dass meine Söhne so nah wie möglich bei dir sind." Ich habe euch vorgestellt, wie Johannes als Senior-Schriftsteller für Christus wirkte. Er schrieb das Johannesevangelium, die drei Johannesbriefe und die Offenbarung.
Sein Fazit in diesen schriftstellerischen Werken, die für uns Wort Gottes sind, ist unzweifelhaft: Er beschreibt Jesus als den König der Könige und den Herrn der Herren. Mich bewegt, wenn ich gerade bei ihm lese, wie er das zusammenfasst in Johannes 1,14: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Manchmal würde ich gerne Johannes fragen: „Was hast du denn gesehen, als du Jesus gesehen hast? Einen Menschen wie du und ich, in Gleichgestalt des Fleisches, der Sünde?“ Das heißt, sah Jesus aus wie ein sündiger Mensch? Warum sah Johannes dann seine Herrlichkeit?
Beim ersten Wunder, das Johannes in seinem Evangelium beschreibt – das Wasser zu Wein in Kana – heißt es zum Schluss: „Und seine Jünger sahen seine Herrlichkeit und glaubten an ihn.“ Johannes schaute durch das Äußere von Jesus hindurch und sah die Herrlichkeit Gottes.
Gemeinsam mit Petrus und Jakobus erlebte er auf dem sogenannten Berg der Verklärung, als ob Gott ein Stück Himmel öffnete und ein Licht auf Jesus warf, wer er wirklich ist. Petrus schreibt in seinem Brief auch von diesem Ereignis. Dieser Augenblick auf dem Berg der Verklärung hat sie tief geprägt: „Wir sahen seine Herrlichkeit.“
Ich staune darüber, dass Johannes bis ins hohe Alter diesen Blick auf den verherrlichten Herrn in seinem Herzen getragen hat. Er blieb so nah bei seinem Herrn, durch alle turbulenten Zeiten hindurch.
Ich weiß nicht, was du erlebt hast, und ich weiß auch nicht, was ich noch erleben werde. Aber mein Wunsch für euch und für mich ist dieser: Diese zwei Bitten – „Herr, ich möchte so nah wie möglich bei dir sein“ und „Herr, ich möchte ein Senior für Christus sein.“
Amen.
