Manche von euch kennen vielleicht die kleine Geschichte vom Ali. Ali ist im Iran aufgewachsen und kam als Jugendlicher nach Deutschland.
Eines Tages wird er von einem Klassenkameraden gefragt, ob er am Nachmittag zum Fußballspielen kommen möchte. Ali sagt gern zu: „Ich komme.“
Am Nachmittag warten seine Freunde jedoch vergeblich auf ihn. Am nächsten Tag in der Schule ist Ali völlig überrascht, warum seine Freunde sauer sind. In seinem Herkunftsumfeld bedeutet seine Antwort „Vielleicht, wenn gerade nichts anderes ansteht“ eine höfliche Absage. Das wird hier jedoch anders verstanden.
Außerdem hatte Ali keinen Grund, die Einladung ernst zu nehmen, denn niemand hatte noch einmal nachgefragt, ob er wirklich sicher kommen würde. Auch wurde ihm nicht vermittelt, dass es den Freunden sehr wichtig ist, dass er dabei ist.
Unterschiedlichkeit kann also auch eine Herausforderung für das Zusammenleben sein. Manchmal sprechen Menschen zwar dieselbe Sprache, aber verstehen sich trotzdem nicht richtig. Das ist ein wichtiger Punkt, um den es heute geht.
Die Motivation und Herausforderung der Berufung
Der erste Teil des Epheserbriefs, den wir bisher bis Kapitel drei betrachtet haben, lässt sich vor allem als Motivation zusammenfassen. Paulus schrieb ihn, um die Geschwister in Ephesus zu ermutigen. Er wollte ihnen nicht nur allgemein zeigen, welche großartigen Gedanken und Pläne Gott hat. Vielmehr ging es ihm darum, ihnen klarzumachen, dass sie als Menschen, die in heidnischen Familien und Kulturen aufgewachsen sind und sich zu Jesus bekehrt haben, genauso dazugehören wie diejenigen, deren Wurzeln schon immer in einem frommen jüdischen, religiösen Umfeld lagen.
Paulus verfasste drei Kapitel, um ihnen dies immer wieder vor Augen zu führen. So heißt es etwa in Kapitel 2, Vers 6: Das Geheimnis ist, dass die aus den Nationen Miterben sind, Mitleib und Mitteilhaber der Verheißungen in Christus Jesus durch das Evangelium. Sie haben durch den Geist Zugang zum Vater. Paulus wollte ihnen deutlich machen: Ihr gehört wirklich dazu, ihr seid wichtig. Ihr seid Teil dieses großartigen Plans, dieses beeindruckenden Gebildes und dieser großartigen Geschichte, die Gott sich ausgedacht hat. Ihr seid Teil dieses großen Ziels, das Gott verfolgt.
Er schrieb diese drei Kapitel, um die Gläubigen zu begeistern – und auch uns, die wir vielleicht nicht dieselben Gefühle wie die damaligen Geschwister haben, aber das gleiche Ziel und das gleiche Bild vor Augen gestellt bekommen. Wenn wir jedoch weiterlesen, merken wir, dass Paulus die Situation nicht nur euphorisch betrachtete. Er sagte nicht einfach: „Ihr seid großartig, was Gott für euch getan hat, ist großartig, das müsst ihr nur noch verstehen.“ Nein, er war sich bewusst, dass ihr Hintergrund auch problematisch war. Dieser brachte Schwierigkeiten für ihr praktisches Leben als Christen mit sich. Das, was für sie lange Zeit selbstverständlich war, konnte nicht einfach ausgeblendet werden, auch wenn Motivation und Ermutigung im Vordergrund standen.
Die Herausforderung des neuen Lebenswandels
Kapitel 4, Vers 17: Dies nun sage und bezeuge ich im Herrn, dass ihr fortan nicht so lebt wie die Nationen.
Da kamen sie her: das war ihre Familie, das waren ihr Vater und ihre Mutter, Onkel und Tante, das Dorf oder die Stadt – in dem Fall die Nation. Paulus sagt: Ja, diese Berufung, das, was Gott für euch vorbereitet hat, ist großartig. Er hat euch zu Söhnen und Töchtern gemacht, euch berufen, vor ihm zu stehen. Er hat euch die Verheißung gegeben, euch zu einem Leib gemacht und zu Erben seines ewigen Reiches, zu Mitbesitzern.
Aber Paulus schreibt auch: Ich bin mir bewusst, dass es nicht einfach für euch ist, das zu leben. Er betont sehr stark, dass ein Leben, das zu dieser hohen Berufung passt, das Leben ist, das wir führen sollten. Es ist wichtig, absolut wichtig, dass ihr daran arbeitet, letzten Endes so zu leben, dass ihr da hineinwachst. Das ist entscheidend.
Er betont es hier noch einmal: Vers 17 – „Dies nun sage und bezeuge ich im Herrn, dass ihr in Zukunft nicht so lebt wie die Nation.“ Ich sage es nicht nur, ich bezeuge es euch im Herrn. Das ist mein Zeugnis vom Herrn an euch. Es ist wichtig, dass ihr nicht so lebt, wie ihr früher gelebt habt, und auch nicht so, wie eure Umgebung lebt. Denn das würde nicht zu dieser Berufung passen, zu all dem, was ich euch in den ersten drei Kapiteln geschrieben habe, zu dem, was Gott euch geschenkt hat und zu dem, wozu Gott euch berufen hat. Euer Leben muss dazu passen.
Kapitel 4, Vers 1: „Ich ermahne euch nun.“ Hier betont Paulus: „Ich, der Gefangene im Herrn.“ Zuvor hat er ihnen schon gesagt, dass er der Gefangene im Herrn ist, der für sie das Evangelium bringt. Das war seine Motivation: Er geht ins Gefängnis, um ihnen das Evangelium zu bringen. Jetzt sagt er: „Ich, der Gefangene im Herrn, der für euch im Gefängnis ist und euch das Evangelium gebracht hat, ich sage euch: Es ist wichtig, wie ihr lebt.“
Er unterstreicht dies mehrmals an dieser Stelle. Praktisches Leben und praktische Veränderung haben Gewicht. „Lebt würdig der Berufung, mit der ihr berufen seid“ – das ist sozusagen die Überschrift über fast den Rest des Briefes. Je nachdem, wie man ihn einteilt, kann man sagen, dass diese Aufforderung bis Kapitel 6, Vers 9 gilt.
Paulus ermahnt: „Ich, der Gefangene im Herrn, sage euch, wandelt, lebt würdig der Berufung, mit der ihr berufen worden seid.“ Das ist eine Herausforderung.
Was würde man spontan denken, was nach diesem Satz kommen sollte? Was bedeutet es, würdig Gottes zu leben? Würdig dessen, dass wir Kinder Gottes sind? Würdig dessen, dass wir Mitbesitzer seines Reiches sind und sein werden? Wie lebt man so?
Vielleicht denkt man zuerst an Moral. Moral ist wichtig, und Paulus wird darauf eingehen. Vielleicht denkt man an ein gutes Familienleben, an das, was der Berufung würdig ist. Wie sollte man auf dieser Erde leben? Was ist wichtig? Bibellesen, Beten, Evangelisieren, in die Gemeinde gehen, Gott anbeten – ja, all das ist wichtig.
Aber was Paulus zuerst einfällt, ist vielleicht überraschend. Mich überrascht es immer wieder, wenn ich an diese Stelle komme. Bei näherem Hinsehen ist es aber logisch. Er sagt: „Wandelt würdig der Berufung, mit der ihr berufen worden seid.“ Und dann sagt er in Vers 3: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens.“
Das Erste, was zu eurer Berufung gehört und wie ihr so lebt, dass es zu dieser Berufung passt, ist, dass ihr untereinander Frieden habt und in Einheit lebt. Das ist das Erste, was Paulus einfällt, wenn er darüber nachdenkt, was zu unserer hohen Berufung passt.
Das ist logisch, denn in den ersten drei Kapiteln sehen wir, dass einer der großen Punkte dieses Plans, eines der großen Wunder, die Gott geschaffen hat, die Unterschiedlichkeit ist. Die Fürstentümer und Gewalten sehen in der Gemeinde die vielfältige Weisheit Gottes. Das beinhaltet, dass Unterschiedlichkeit da ist.
Wir sollen mit geöffneten Augen (Kapitel 3, Vers 17) mit allen Heiligen erfassen, welche Breite, Länge, Höhe und Tiefe Gottes Weisheit hat. Wir haben gesehen, dass darin viel von Gottes Weite steckt, wie er mit unterschiedlichen Menschen zurechtkommt und wie er verschiedene Menschen zu einer Einheit in seiner Gemeinde zusammenbringt.
Paulus sagt: Das ist ein wesentlicher Teil eurer Berufung und ein wesentlicher Teil des Wunders, das Gott sich ausgedacht hat. Darum wundert es bei näherem Hinsehen nicht mehr, dass das Erste, an das er denkt, wenn er sagt: „Wie leben wir jetzt passend zu unserer Berufung?“ die Einheit ist.
Vielfalt heißt Unterschiedlichkeit. Unterschiedlichkeit und Einheit in Unterschiedlichkeit müssen erst einmal gelebt werden. Denkt an die kleine Geschichte von Ali.
Einheit in Unterschiedlichkeit als Herausforderung und Segen
Wandelt würdig eure Berufung. In den Versen eins bis sechs geht es darum, wie Unterschiedlichkeit eine Herausforderung darstellt. In den Versen bis sechzehn wird das Thema erweitert, vielleicht könnte man es überschreiben mit: Unterschiedlichkeit ist auch ein Segen. Doch eigentlich geht es noch weiter.
Ich lese noch einmal die ersten drei Verse: „Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit der ihr berufen worden seid, in Demut und Sanftmut, mit Langmut einander ertragend in Liebe. Dabei befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens.“
Hier wird in diesen drei Versen besonders betont, wenn man das so liest, das Wort „befleißigen“. Man könnte es auch übersetzen mit: Energie aufwenden, Energie in etwas hineinstecken. Darauf läuft diese Stelle hinaus.
Es gibt eine Einheit – eigentlich ist sie schon da, es ist die Einheit des Geistes. Gott hat uns alle zusammen in einen Leib zusammengefügt. Er hat eine Einheit geschaffen. Er hat uns alle auf die gleiche Weise erlöst. Es gibt ganz viele Dinge, die wir gemeinsam haben. Das werden wir gleich noch sehen. Eigentlich gibt es diese Einheit.
Und trotzdem sagt Paulus: Wenn ihr würdig leben wollt eurer Berufung, dann müsst ihr Energie hineinstecken, diese Einheit immer wieder herzustellen und zu bewahren. Im Griechischen steht ein ganz starkes Wort, das ausdrückt: Wendet Energie auf! Tut das, tut das wirklich! Das ist sehr stark betont. Macht es! Nehmt es nicht als selbstverständlich hin. Weder, dass es nicht funktioniert, noch, wenn es mal funktioniert.
Steckt Energie hinein, damit diese Einheit unter euch hergestellt, wiederhergestellt und bewahrt wird.
Das ist der erste Punkt für ein würdiges Leben als Christ.
Und ihr wisst es genau, ich meine, ihr lebt es schon eine Weile, oder? Viele von euch leben es schon eine Weile. Ihr wisst, dass es nicht selbstverständlich ist. Ihr kennt es, wie viele Differenzen es gibt unter unseren Geschwistern.
Oft sind es einfach nur Missverständnisse. Oft ist es die Unterschiedlichkeit – wir sind einfach unterschiedlich. Oft ist es eine unterschiedliche Sicht auf bestimmte Punkte, wie wichtig oder unwichtig diese objektiv auch sein mögen. Oft ist es einfach ein unterschiedliches Empfinden für Dinge, für Situationen, für Prioritäten, die zu Differenzen führen. Diese werden ausgesprochen oder auch nicht ausgesprochen. Sie führen zu einer mehr oder weniger großen Distanz.
Ihr kennt das: Es ist nicht selbstverständlich, dass Harmonie da ist. Manchmal ist es natürlich auch wirklich falsches Verhalten, das zu Problemen führt. Auch da muss man schauen, wie man damit umgeht. Vielleicht gibt es sogar prinzipiell eine falsche Haltung manchen Dingen gegenüber. Manche Dinge sind wirklich falsch, manche Dinge sind nur unterschiedlich, und manche Dinge sind falsch.
Mit beidem muss man lernen umzugehen. Tut es, sagt Paulus. Setzt Energie ein! Es kostet Energie, das Band des Friedens immer wieder neu zu knüpfen. Befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens.
Das ist ein schönes Bild: die Einheit zu bewahren in dem Band des Friedens. Ich stelle mir vor, wie so ein Freundschaftsband, ein ganz großes, langes, das zwischen Leuten gespannt ist. Manchmal nutzt es sich ab, und man muss es ausbessern – dieses Band des Friedens.
Wie schön ist es, wenn wir verbunden sind! Natürlich kann man das Bild auch anders verstehen. Paulus hat in Vers 1 gesagt, dass er ein Gebundener ist, ein Gebundener Christi. Hier sagt er, dass wir das Band des Friedens bewahren sollen.
Im Deutschen hat „Band“ und „gebunden“ den gleichen Wortstamm, im Griechischen ist das auch so. Ich vermute, dass Paulus das im Hinterkopf hatte. Er war an irgendetwas angekettet, wahrscheinlich oft an einen römischen Wachsoldaten. Er war angekettet mit einer Kette.
Ich glaube, dass er uns auch sagen möchte: Wir sind eigentlich zusammengekettet, ob wir wollen oder nicht. Wir müssen gar nicht dafür arbeiten, dass diese Kette da ist. Wir müssen aber dafür arbeiten, dass es ein Band des Friedens ist.
Es ist schlecht, wenn man mit einer Kette zusammengekettet ist und jeder mit Gewalt in eine andere Richtung ziehen will. Das ist am Ende schmerzhaft.
Befleißigt euch, tut es: die Einheit des Geistes zu bewahren, das Band des Friedens. Arbeitet für den Frieden!
Praktische Grundlagen für Einheit und Frieden
Wie macht man das ganz praktisch? Was ist dazu wichtig? Natürlich gibt es viele Dinge, und man könnte sich tausend Tipps geben. Aber Paulus sagt etwas in Vers 2, den wir ein bisschen übersprungen haben. Er sagt: Wenn ihr arbeiten wollt – und ihr sollt es tun, wenn es Arbeit gibt –, um an diesem Band des Friedens zu arbeiten, an dieser Einheit untereinander, dann besteht bei euch selbst darauf, die christlichen Grundtugenden zu leben.
Er nennt einige Beispiele, ganz einfache Beispiele. Zum Beispiel: mit aller Demut. Demut ist ein gutes Wort, oder? In unserer heutigen Sprache würde ich sagen, Demut heißt einfach, mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Paulus drückt es in einem Brief aus ungefähr derselben Zeit so aus: In aller Demut den anderen höher achten als sich selbst, den anderen wichtiger nehmen als mich.
Aber ohne diesen Vergleich heißt Demut einfach: Ich nehme mich nicht so wichtig. Wie viele Probleme wären zwischen Geschwistern gelöst, wenn wir uns selbst nicht so wichtig nehmen würden! Dass das, was wir denken, was wir gerade empfinden, wie wir uns fühlen und dass auch wir genug beachtet werden, all das streicht man mal aus seinem Charakter und Verhalten. Wie viele Probleme wären dadurch schon weg!
Dann sagt Paulus: In aller Demut, mit Sanftmut. Sanftmut hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen drückt Sanftmut eine gewisse Einfühlsamkeit aus. Ich brettere nicht einfach über den anderen drüber, sondern ich habe eine gewisse Sensibilität für ihn.
Zum anderen drückt Sanftmut in dieser klassischen Sprache aus, dass ich mich selbst ein Stück zurücknehme. Das hängt oft zusammen mit Selbstbeherrschung, mit gezügelt sein, mit der Kontrolle darüber, was ich tue. Beides steckt in diesem Wort Sanftmut: Ich kontrolliere mich selbst, um den anderen nicht niederzubügeln, sondern ein gewisses Einfühlungsvermögen für seine Situation zu haben, für das, was er gerade fühlt und wie er Dinge empfindet.
Mich selbst nicht so wichtig nehmen, mich selbst ein bisschen zurücknehmen, ein Stück Einfühlungsvermögen haben – so einfache Dinge, die so viel verändern würden, wenn wir sie leben würden.
Dann nennt Paulus noch Langmut, einander ertragend in Liebe. Ja, manchmal müssen wir einander einfach aushalten. Manchmal müssen wir einander unsere gegenseitigen Unarten oder das, was wir als solche empfinden, aus unserer ganz subjektiven Brille einfach aushalten. Manchmal lange aushalten, hoffentlich in Liebe.
Und es steckt in diesem Wort „Langmut“ auch immer ein Stück Hoffnung. Die Hoffnung, dass zumindest dort, wo wirklich etwas nicht gut ist, sich etwas ändert.
Paulus sagt: Schau mal, es ist so wichtig, an der Einheit zu arbeiten, an dem Frieden untereinander zu arbeiten. Und es sind so ganz einfache Grundtugenden, die so viel verändern würden: sich selbst nicht so wichtig nehmen, sich selbst ein Stück zurücknehmen, ein Stück weit einfühlsam sein und einfach auch mal in Liebe etwas aushalten.
Gewaltig, oder? Ein paar Worte. Wenn wir sie leben würden, hätten wir schon das Rezept für eine harmonische Gemeinde.
Gemeinsame Grundlagen und das Bild des Leibes
Vers 4: Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid, in einer Hoffnung eurer Berufung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller.
Paulus sagt: Leute, könntet ihr mal darüber nachdenken, wie viel wir gemeinsam haben? Mir fällt auf, dass uns meist nur unsere Unterschiede auffallen. Wenn wir miteinander reden, springt uns das direkt ins Gesicht: „Boah, das sehe ich anders“, „Wie der sich verhält, hätte ich nicht gemacht“, „Finde ich nicht gut.“ Das sind Dinge, die uns sofort beschäftigen.
Paulus erinnert uns daran, dass es viele wichtigere und grundlegendere Dinge gibt, die wir als Christen gemeinsam haben. Diese Dinge sind für uns so selbstverständlich, dass wir sie oft einfach abhaken: „Das haben wir gemeinsam, wissen wir doch.“ Doch bei den Unterschieden sind wir schnell dabei, sie hervorzuheben.
Paulus schlägt vor, dass wir uns auf das konzentrieren, was wir gemeinsam haben. Wir sind ein Leib. Gott hat uns zusammenwachsen lassen wie einen Körper. Wir haben einen Geist – alle den gleichen Heiligen Geist.
Die Dualität von Leib und Geist würde man normalerweise anders verwenden als Paulus hier. Wir haben eine Hoffnung. Das klingt zwar wie eine Plattitüde, aber es ist einfach so: Wir werden alle im Himmel miteinander auskommen. Nein, wir werden miteinander auskommen.
Wir haben alle die gleiche Hoffnung unserer Berufung. Noch grundlegender: Wir haben einen Herrn, wir haben den gleichen Glauben, der uns gerettet hat. Hier ist, glaube ich, der rettende Glaube gemeint. Wir haben alle auf die gleiche Weise bekannt, dass wir diesem Gott nachfolgen wollen – durch die Taufe. Wir haben gemeinsam einen Gott und einen Vater.
Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, wenn wir Unterschiede empfinden, wie viel wir eigentlich gemeinsam haben.
Und dann sagt Paulus in Vers 6: Dieser Gott und Vater ist über allen, durch alle und in allen. Er sagt: Schau mal, dieser Gott ist über uns allen, er ist unser aller Chef.
Wenn du ein Problem mit einem deiner Brüder oder Schwestern hast, sei vorsichtig, zu schnell zu urteilen oder zu kritisieren. Du bist nicht der Chef des anderen. Gott ist sein Chef. Er ist ihm verantwortlich, nicht in erster Linie dir. Unser Gott und Vater ist der, der über uns allen steht. Das ist doch einfach, oder?
Richte nicht den Hausknecht eines anderen. Das sind Knechte Gottes. Sei vorsichtig mit einem Urteil.
Paulus sagt weiter: Überleg mal, der andere ist auch ein Kind Gottes, durch den Gott wirkt. Vielleicht führt ihn Gott gerade dazu, das zu tun, was dich persönlich stört. Vielleicht hat er sogar gerade einen Auftrag von Gott in Bezug auf dich. Überlege das, bevor du ihn kritisierst. Es könnte sein, dass Gott ihn führt.
Und er ist in allen. Weißt du, sagt Paulus, Gott wirkt im Leben des anderen, vielleicht um ihn zu verändern, vielleicht sogar an den Punkten, die dich stören. Aber vielleicht tut Gott das mit mehr Geduld als du, mit mehr Langmut. Vielleicht will er deine Einmischung gerade gar nicht, weil er gerade in dem anderen handelt.
Oder vielleicht möchte er, dass du mitarbeitest – wenn du genug Demut, Sanftmut und Langmut mit Liebe hast.
Das ist die Botschaft dieser ersten sechs Verse: Unterschiedlichkeit ist nicht einfach, aber wir sollen Energie darauf verwenden, die Einheit des Geistes zu bewahren, in dem Band des Friedens.
Und das ist eine würdige, lebendige Berufung, zu der wir berufen worden sind. Paulus schreibt das vor allen anderen Punkten, die noch dazugehören.
Ich fände das krass.
Das Ziel der Einheit: Der Leib Christi in Liebe wachsen lassen
Ja, und ich habe es schon angedeutet: In gewisser Weise ist der Rest dieses Abschnitts bis Vers 16 wieder ein Ausflug. Paulus schafft es einfach nicht, indirekt über die Probleme der Einheit und der Vielfalt zu sprechen, ohne noch einmal das Bild zu zeichnen, um was es eigentlich geht. Er malt das Bild der Gemeinde noch ausführlicher als bisher.
Als er bisher über eine würdige Berufung gesprochen hat oder wie hier, nicht zu wandeln wie die Nationen, geht es eigentlich in Vers 17 richtig weiter. Dort kommen dann andere wichtige Punkte, um würdig zu wandeln. Aber hier sagt Paulus: Ich muss euch noch etwas sagen. Warum ist es so wichtig, dass ihr in der Einheit seid? Welches Bild steckt hinter dem großen Ziel? Und er baut das ganz langsam auf.
Er fängt an bei jedem einzelnen von uns. Er kommt jetzt wirklich auf eine ganz individuelle Ebene und betont, dass es jeden einzelnen betrifft. Ich glaube, ich brauche hier mehr Sätze als Paulus, damit wir nicht den Überblick verlieren. Vielleicht so, oder so ähnlich. Aber auf jeden Fall fange ich hinten an, mit dem Ziel.
Paulus baut seine Argumentation auf ein Ziel hin, und ich möchte euch erst sagen, worauf er hinauswill, damit wir besser verstehen, was er sagt, um dorthin zu gelangen. Das Ziel sind Verse, die viele von euch schon gehört haben. Manche kennen sie als Hochzeitsverse. Ich lese mal Vers 15 und 16:
„Sondern die Wahrheit festhalten in Liebe, lassen sie in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, Christus, aus dem der ganze Leib wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe.“
Ja, das ist das Ziel: Ein Körper mit einem Haupt, mit einem Kopf. Der Kopf ist Christus, der Körper ist die Gemeinde. Trotz der ganzen Unterschiedlichkeit und der Probleme sagt Paulus: Wisst ihr, es ist trotzdem ein Wunder. Und trotzdem trifft zu, was in Kapitel 3, Vers 21 steht: „Ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung.“ In der Gemeinde wird Gott verherrlicht mit seinen Plänen.
Er sagt, das Ziel, für das er kämpft und Energie aufwendet, um die Einheit zu bewahren, ist dieses wunderschöne Bild, das er vor Augen hat. Und das auch Gott und Christus vor Augen haben: das Bild von einem Körper mit einem Haupt. Ja, ein Haupt. Die Bilder von Paulus sind so komplex, dass er sie oft sprengt. Einer bestimmt das Haupt: Christus ist das Haupt. Er bestimmt in seiner Gemeinde. Er wird geliebt.
Vers 15 sagt: „Die Wahrheit festhalten in Liebe.“ Wenn man den Zusammenhang liest, ist damit wahrscheinlich nicht die Liebe zur Wahrheit gemeint, sondern Liebe zum Haupt und zu den Geschwistern. Aber in erster Linie Liebe zum Haupt. Das Haupt ist der, der in seiner Gemeinde geliebt wird. Das Haupt ist derjenige, dem alle möglichst nah sein wollen und sollen, hinwachsend zum Haupt hin.
Ich meine, das sprengt das Bild des vollsten Körpers, oder? Ein Bein wächst im normalen menschlichen Körper nicht zum Haupt hin. Aber Paulus sagt, in diesem Körper, den Gott sich ausgedacht hat und vor Augen hat, wollen alle möglichst nah beim Haupt sein. Sie möchten dahin wachsen, weil das Haupt es ist, das zählt.
Und er sprengt das Bild weiter: Vom Haupt her, durch das Haupt, sind die Glieder wohl zusammengefügt und verbunden. Hier stehen zwei Wörter, in denen „zusammen“ drinsteckt. Das macht unser Kopf auch nicht. Er sortiert seinen Körper nicht zusammen. Der Kopf sagt nicht: „So hübsche Beine würden zu mir passen, die hole ich mir mal, ich bastle mir jetzt meinen Körper zusammen.“
Paulus sagt aber, so ist das bei Christus: Er hat den Körper geplant, er konstruiert den Körper und setzt die Teile so zusammen, wie es ihm gefällt, um dann ihr Haupt zu sein, sie zu führen und zu steuern. Das ist das Bild, sagt er. Ein Bild, für das ein menschlicher Körper nur eine sehr unvollständige Repräsentation ist.
Das Haupt steuert, das Haupt setzt zusammen, und das Ganze wächst. Der Körper bewirkt für sich das Wachstum des Leibes zu seiner Selbstauferbauung in Liebe. Es wächst, es wird größer, es wird schöner.
Ich glaube, wachsen ist hier nicht nur Ausdehnung gemeint. Wir haben den Instinkt, Babys niedlich zu finden. Aber ganz ehrlich: Ich finde Erwachsene schöner. Und ich glaube, Gott geht es auch so. Babys sind vielleicht niedlich, aber eigentlich sind Erwachsene schöner – viele zumindest. Ich nehme mich mal aus.
Es soll schöner werden, es soll wachsen. Das ist das Ziel. Gott sagt, es ist das Ziel, warum wir uns anstrengen, an Einheit zu arbeiten. Für sich selbst hat er das Haupt geplant, denn es soll von Liebe geprägt sein. Das ist das Bild im Herzen Gottes. Und jeder hat darin seinen Platz.
Hier steht Vers 16: Nach der Wirksamkeit, in dem Maß jedes einzelnen Teiles, wächst das Ganze und funktioniert das Ganze. Jeder hat seinen Platz. Es ist kein Platz für Neid. Jeder hat sein Maß.
Paulus hat ein tolles Kapitel darüber geschrieben, ein paar Jahre vorher im ersten Korintherbrief. Er wiederholt es hier nicht im Detail.
Dann steht da noch etwas ganz Interessantes: Wir sind nicht nur Glieder. Ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll, weil es fast nicht möglich ist, das mit einem Bild zu fassen. Wir sind auch – ja, wie soll ich das sagen – Gelenke? Oder wir haben Punkte, an denen wir als Glieder auch als Gelenke funktionieren sollen.
Er sagt, dass das Ganze verbunden ist durch jedes Gelenk der Darreichung.
Ich habe mir überlegt, was ein Gelenk ist. Wenn ich an Gelenk denke, dann denke ich in erster Linie an Beweglichkeit. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Wenn ich an mein Knie denke, dann überlege ich mir das von der Schöpfung her und denke: Cool, dass Gott es gemacht hat, dass es da ein Kniegelenk gibt.
Wenn das alles so ein durchgehender Knochen wäre, dann wäre meine Mobilität extrem eingeschränkt. Schon Treppensteigen wäre mühsam, wenn das Kniegelenk steif wäre. Gut, dass Gott sich ausgedacht hat, dass es da noch ein Kniegelenk gibt. Das würde ich spontan denken: Gelenk – schön, dass sich mein Bein noch bewegt.
Der klassische griechische Mediziner hätte das wahrscheinlich etwas komplexer gesehen. Er hätte gesagt: Na ja, es gibt halt diese zwei Teile, das ist mal gegeben, ein Ober- und ein Unterschenkel. Er hätte nicht gesagt: „Wenn das nur ein Knochen wäre.“ Sondern: „Es gibt die nun, und dann ist es cool, dass es dazwischen etwas gibt, was das verbindet.“
Und es ist eben nicht nur so, dass die Teile gegeneinander beweglich sind. Bei meinem Kniegelenk – ihr merkt es schon – ist es total cool für meinen Oberschenkel, dass er mit einem Gelenk ganz sicher aufsitzt auf meinem Unterschenkel. Wenn der dauernd abrutschen würde, wäre das extrem lästig.
Also das ist eine Funktion von Gelenken: Ein Glied stützt durch das Gelenk das andere.
Und ihr könnt euch jetzt überlegen, auch in den Hauskreisen, was das geistlich bedeuten kann, wenn wir einander stützen sollen durch das, was wir füreinander tun, an den Punkten, wo wir Berührung haben.
Aber es ist ja noch mehr. Wir denken ja immer nur an diese Knorpelmasse oder so, die dazwischen ist, damit das funktioniert. Aber der klassische Grieche hätte gesagt: Na ja, durch das Gelenk funktioniert ja auch letzten Endes sämtlicher Austausch zwischen den Gliedern.
Also sämtliche Adern laufen da durch oder da dran. Ich meine das Gelenk als Ganzes gesehen, nicht nur als diese Knochenverbindung.
Der Unterschenkel würde ja nie Blut kriegen, wenn er es nicht über diese Verbindungsstelle vom Oberschenkel bekäme. Er würde auch keine Impulse vom Gehirn bekommen, wenn sie nicht vom Oberschenkel über dieses Gelenk weitergeleitet würden, durch die Nervenbahn.
Das Gehirn würde nie mitkriegen, dass dein Fuß momentan extremen Schmerz empfindet, wenn die Schmerzleitung nicht in die andere Richtung vom Unterschenkel durch den Oberschenkel laufen würde, letzten Endes durch das Gelenk.
Was würde der Unterschenkel mit seinen ganzen Abfallstoffen vom Stoffwechsel machen, wenn er kein Gelenk zum Oberschenkel hätte? Dann müsste ja dauernd alles über Eiterbeulen loswerden.
Also klassisch – und ich glaube, auch Paulus hat so gedacht – hat ein Gelenk viel, viel mehr Funktion als nur Beweglichkeit oder selbst als Stützfunktion für den anderen zu haben. Darüber läuft ganz viel, was für uns notwendig ist.
Ja, wir geben einander Impulse, wir nehmen den Schmerz von anderen auf, wir geben einander Nährstoffe und helfen dem anderen, seinen Abfall loszuwerden.
Gelenke der Darreichung – das ist das Bild. So funktioniert Gemeinde. Mit Gliedern, die jeder in seinem Maß beitragen, zum Wachstum und zum Schönwerden, und wo man verbunden ist, auch über das, was man miteinander und füreinander tut. Das ist das Bild.
Einheit durch gemeinsamen Glauben und geistliches Wachstum
Jetzt gehen wir einen Schritt zurück und betrachten noch einmal die Verse 13 bis 15. Hier schreibt Paulus etwas, das für uns wichtig ist, damit wir in diesem Leib funktionieren können. Es wurde viel darüber gesprochen, wie wir sein sollen und was wir tun sollen. Hier erklärt Paulus, was grundsätzlich wichtig ist, damit wir diese Funktion ausüben können.
Wie müssen wir sein? Was müssen wir lernen? Ich lese mal Vers 13: „Bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes.“ Er sagt, es ist einfach wichtig für die Gemeinde Gottes, dass sie funktioniert, dass wir im Wesentlichen das Gleiche glauben.
Hier ist, glaube ich, nicht nur der rettende Glaube gemeint, wie in Vers 5, sondern es geht um Glaubensinhalte. Ein Ziel ist, dass Menschen, die in der Gemeinde arbeiten und euch beeinflussen – dazu kommen wir gleich noch – euch Dinge beibringen, damit wir die gleiche Sicht auf grundlegende Dinge haben: was richtig ist, was Gott möchte und wie unser Herr, das Haupt, Dinge sieht. Denn das Haupt bestimmt, wie Dinge richtig sind.
Dazu gehört ganz wesentlich, sagt Paulus, dass wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens, also dass wir dieselben Glaubensüberzeugungen haben, und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes. Es ist wichtig, dass wir letzten Endes auch das gleiche Gottesbild haben, das gleiche Bild von unserem Herrn.
Es ist sehr schwer, zusammenzuleben in einer Gemeinde, wenn man grundsätzlich unterschiedliche Glaubensüberzeugungen hat. Vor allem, wenn man unterschiedliche Vorstellungen davon hat, wie Jesus eigentlich ist. Paulus sagt, damit das funktioniert, was in Vers 15 und 16 steht, ist es wichtig, dass wir dahin wachsen, gleiche Überzeugungen zu haben – zumindest in den wesentlichen Punkten – und ein gleiches Bild von unserem Herrn.
Sonst wird das Zusammenleben nicht funktionieren. Deshalb machen wir Bibelstunden, Sonntagspredigten, Hauskreise und Mentoring, damit wir an diesen Punkten wachsen, zusammenwachsen und eine gemeinsame, hoffentlich vom Wort Gottes geprägte Sicht bekommen. Diese Sicht ermöglicht es uns, zusammenzuleben – mit den gleichen Zielen, mit dem gleichen Bild vor Augen und mit dem gleichen Bild unseres Herrn im Herzen.
Paulus spricht davon, zu dem erwachsenen Mann zu werden, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle Christi. Er sagt, das Ziel ist, geistlich erwachsen zu werden, im Denken zu reifen und stabile Menschen zu werden.
Wenn wir den Zusammenhang betrachten, geht es hier hauptsächlich um unsere Überzeugungen. Kinder und Jugendliche haben oft wilde Ideen: „Ich möchte Astronaut werden“ oder „Am besten Firmenchef, das wäre eine super Berufsausbildung.“ Ich hoffe, dass ich, wenn ich erwachsen bin, immer jemanden in meinem Haushalt habe, der gerne aufräumt. Manche Kinder und Jugendliche finden Dinge heute total wichtig, die in drei Wochen oder drei Monaten höchstens noch nebensächlich sind – wenn sie überhaupt noch daran denken.
Paulus sagt, ein Ziel ist, wenn ihr wirklich euren Beitrag in der Gemeinde leisten wollt, dass ihr nach und nach erwachsen werdet. Ihr sollt erwachsene Überzeugungen haben, zu denen ihr steht, die stabil sind und reif. Überzeugungen, von denen andere profitieren können.
Vers 14 sagt: „Damit ihr nicht mehr Unmündige seid, hin und her geworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre, die da kommt durch die Berührerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum, sondern die Wahrheit festhaltet in Liebe. Lasst uns in allem heranwachsen.“
Ich glaube, Paulus wechselt hier das Bild. Er spricht von unreifen Menschen und vergleicht sie mit einem Boot. Vers 14: „Damit ihr nicht mehr unmündige seid, hin und her geworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre.“ Das ist das Bild eines Bootes.
Man sieht es vor Augen: An irgendeiner Mole liegt ein kleines Boot, der Besitzer ist ausgestiegen, es ist Sonnenschein, kein Lüftchen regt sich, keine Welle ist zu sehen. Der Besitzer hat die Leine einmal herumgewickelt und ist Bier trinken gegangen. Plötzlich ändert sich das Wetter.
Das Schiff wird hin und her geworfen von den Winden und Wellen, von einer Seite auf die andere. Das ist ein Bild für Überzeugungen, das Paulus hier verwendet. Sind unsere Überzeugungen stabil? Oder kann alles, was wir irgendwo lesen, jede Internetpredigt oder jede Begegnung mit jemandem, der eine andere Sicht hat, uns sofort hin und her werfen?
Mal sind wir so, mal so, wir wissen nicht genau, was wir glauben. Dann geht es weiter: hin und her geworfen und umhergetrieben. Siehst du das kleine Schiff? Es hat sich losgerissen. Jetzt wird es nicht mehr nur hin und her geworfen, sondern weggetrieben.
Plötzlich tut man andere Dinge, als man vorher getan hätte. Oder man sucht Gemeinschaft mit Leuten, mit denen man vorher vielleicht nicht so eng gesucht hätte – weggetrieben.
Paulus sagt hier, manchmal glauben die Leute, die schrägen Lehren bringen, selbst daran. Oft ist bei ihnen oder bei denen, von denen sie gelernt haben, jemand, der sich diese Lehre ausgedacht hat, um einen persönlichen Vorteil zu haben.
Aber wenn wir nicht fest sind, wenn wir nicht erwachsen und reif sind, wenn wir keine einheitlichen, klaren Glaubensüberzeugungen haben und kein fundiertes Bild von unserem Herrn vor Augen haben – nicht nur durch Tradition, sondern durch das, was er gesagt hat – dann werden wir nicht nur hin und her geworfen, sondern weggetrieben.
Ich glaube, Paulus dachte an die Male, wo er Schiffbruch erlitten hat, mindestens vier Mal, wo er erlebt hat, wie ein Schiff hin und her geworfen und letzten Endes weggetrieben wird.
Dann kommt noch einmal in Vers 15 dieser nette Ausdruck, der bei mir mit „sondern die Wahrheit festhaltend“ übersetzt wird. Das ist ein schwierig zu übersetzendes griechisches Wort. Es heißt eigentlich nur „Wahrheiten“ und die Frage ist, was „Wahrheiten“ hier bedeutet.
In vielen Zusammenhängen heißt es, die Wahrheit sagen – also immer die Wahrheit sagen. Aber hier bedeutet es, glaube ich, etwas anderes. Hier geht es darum, wirklich der Wahrheit verpflichtet zu sein.
Paulus bleibt im Bild. Er stellt sich vor, dass das Schiff an der Wahrheit, an den wesentlichen Wahrheiten festgemacht ist. Wie ein Schiff, das für den Winter gesichert ist gegen die Stürme, mit verschiedenen Seilen in verschiedenen Richtungen ganz festgemacht, so dass der Wind es kaum noch bewegen kann.
Es ist verwahrt, verankert, verankert mit Wahrheit, verankert mit den wesentlichen Wahrheiten, um die es geht. Oder wie man es früher in tieferem Wasser gemacht hat: Man warf mehrere Anker in alle Richtungen, sodass sich das Schiff, egal wohin es gezogen wurde, nicht mehr bewegen konnte.
Wir kennen das aus Bilderbüchern meist nur mit einem Anker, der das Schiff hält. Aber damals war es üblich, mehrere Anker in alle Richtungen auszuwerfen.
Paulus sagt: So solltet ihr verwurzelt, verankert und befestigt sein in der Wahrheit. Dann habt ihr die Grundlage, um zu wachsen und eure Funktion im Leib auszuführen.
Die Gabe Christi für den Aufbau des Leibes
Und wie geschieht das? Was hat Gott dafür getan, damit wir diese Stabilität haben?
Jetzt kommen wir zum letzten Teil. Es ist spät, und dieser Teil ist der schwierigste. Vers 7: „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maß der Gabe des Christus.“ Das ist wiederum ein schwieriger Ausdruck. Was ist denn das Maß der Gabe des Christus? Ich würde sagen: Wenn es das Maß der Gabe des Christus ist, dann muss es viel sein. Denn Christus hat viel und gibt immer viel, oder?
Das Wort „Maß“ kommt hier in diesen Versen noch einmal vor. Wir haben das schon gelesen: Wir sollen zu dem erwachsenen Mann werden, Vers 13, „zu dem Maß kommen des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Und genau das ist es: Es ist viel. Wir werden erwachsen, bekommen alles, was wir brauchen, und werden zu allem, was Gott für uns geplant hat. Das ist es, was hier steht. Paulus sagt, jeder einzelne von euch bekommt es. Alles steht ihm zur Verfügung, was er braucht, um zu wachsen, um erwachsen zu werden und um alles zu werden, was Gott sich überlegt hat.
Aber das Wort „Maß“ steht noch einmal im Text, Vers 16: „Jeder trägt bei nach seinem Maß.“ Und das ist nicht mehr „alles“, oder? Ich meine, ich kann nicht alles. Mein Maß ist nicht, dass ich alles kann. Mein Maß ist, dass ich etwas kann. Der eine kann aus menschlicher Sicht mehr, der andere weniger. Aber in dem Maß, das Gott ihm gegeben hat, soll er beitragen.
Ihr merkt, es sind zwei ganz verschiedene Dinge, die plötzlich wieder in einem Satz stehen: Das Maß der Hilfe, die ich von Gott bekomme, ist etwas anderes als das Maß der Möglichkeiten, die mir Gott gegeben hat. Meine Möglichkeiten sind begrenzt, die Hilfe, die Gott mir gibt, um das zu leben, was ich soll, ist unbegrenzt.
Ich sage es noch einmal: Das Maß der Hilfe, die ich bekomme, ist etwas anderes als das Maß der Möglichkeiten, die ich habe. Aber beides ist das Maß der Gabe des Christus.
Nun kommen spannende Verse. Darum sagt er: „Hinaufgestiegen in die Höhe hat er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben.“ Da – aber – er ist hinaufgestiegen. Was ist das anderes, als dass er auch hinabgestiegen ist in die untersten Teile der Erde? Der, der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist, über alle Himmel, damit er alles erfüllt. Alles klar?
Und er hat die einen gegeben als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen.
Er sagt, das ist das Maß der Hilfe.
Ein paar ganz einfache Sätze dazu: Jesus ist hinaufgestiegen über alle Himmel und erfüllt alles. Das heißt, er kann uns alles geben, was wir brauchen. Ganz einfach, oder? Und Jesus ist der gleiche, der hinabgestiegen ist in die tiefsten Orte der Erde.
Wann hat er das gemacht? Um Menschen gefangen zu nehmen, um die Gefangenen gefangen zu nehmen.
Wir denken spontan an Philipper 2, wo steht, dass er niedrig wurde bis zum Tod am Kreuz. Er ist ins Grab gegangen, in die tiefsten Orte der Erde. Und es stimmt, dort hat er die Grundlage gelegt.
Aber ich glaube, Paulus denkt hier an mehr. Ich glaube, er denkt daran, wie Jesus ihn persönlich errettet hat, aus seinem persönlichen Gefängnis, das er in seinen Gedanken hatte.
Und er sagt: Ja, Jesus ist hinabgestiegen in die tiefsten Orte der Erde, um mich zu befreien. Und das war irgendwann dreißig oder fünfunddreißig Jahre nach Christus.
Aber 1848 ist Jesus auch hinabgestiegen in die tiefsten Orte der Erde und hat Menschen befreit, die gefangen waren – in was auch immer.
Und wann immer du gerettet worden bist, ist Jesus eigentlich hinabgestiegen in die tiefsten Orte der Erde, um dich zu finden und zu befreien.
Hier steht ein Wort, das eigentlich „Kriegsgefangene“ bedeutet. Wir waren gefangen, und Jesus hat uns befreit.
Ja, aber hier steht: Er hat uns nicht einfach befreit, sondern indem er uns befreit hat, hat er uns selbst gefangen genommen. Es ist, als wenn ein Feld einem anderen die Gefangenen wegnimmt.
An vielen Stellen im Neuen Testament wird das einfach mit „Befreiung“ übersetzt. Aber Paulus sagt: Eigentlich war es für mich nicht nur eine Befreiung.
Eigentlich bin ich ein Gefangener Christi Jesu. Und wenn es nur in meinem Herzen ist, wenn ich mich nur ihm so verpflichtet fühle, weil er so viel für mich getan hat und mich befreit hat, dann bin ich gefangen, dadurch ihm zu dienen – innerlich gefangen, wie ich vorher innerlich gefangen war.
Ich bin ein Gefangener, sagt Paulus, seit Christus mich befreit hat.
Dann kommt ein ganz seltsamer Gedanke. Paulus denkt wirklich an die großen Schlüsselfiguren. Er hat diese Leute genommen, die er befreit hatte, und hat sie seiner Gemeinde als Gaben gegeben.
Wenn er wirklich an die Leute denkt, von denen wir profitieren, von denen wir diese Stabilität bekommen, von denen wir gerade gelesen haben, die dafür da sind, den Leib Christi aufzubauen – Paulus selbst, denk an Paulus selbst, was er für Auswirkungen hatte, Martin Luther –, das sind Leute, die Jesus aus den tiefsten Orten der Erde befreit hat, sie zu seinen Gefangenen gemacht hat und sie als Gaben seiner Gemeinde gegeben hat.
Bill Macdonald, ich weiß nicht, an wen du denken willst, Jürgen Fischer, John Lennox, die einfach Auswirkungen haben, dass wir stabil werden und unsere Funktionen in diesem Leib ausüben können.
Fred Colvin, Sammy Fritzsch, ich weiß nicht, an wen du denken willst – die Leute, die uns Stabilität geben. Sie sind da, um den Leib aufzubauen.
Er hat ja die einen gegeben als Apostel und Propheten. Wahrscheinlich ist hier wirklich die Grundlage gemeint, das Wort Gottes, weil das auch in Epheser 2 so steht. Die, die den Anfang gemacht haben, die es geprägt haben.
Aber in einem abgeschwächten Maß sind auch Leute gemeint, die an einen neuen Ort kommen und dem Ganzen Anfang und Prägung geben.
Evangelisten, die uns das Evangelium gesagt haben. Manche von ihnen haben vielleicht die Gabe, uns Evangelisieren beizubringen, aber es ist nicht ihre Hauptaufgabe. Vielleicht kann es auch nicht jeder Evangelist.
Ihre Hauptaufgabe ist es, Menschen zum Glauben zu bringen. Ihr Blick ist mehr nach draußen.
Und dann sagt Paulus: Und dann gibt es Leute, deren Blick ist nach innen.
Und plötzlich macht er seine Aufzählung anders.
Habt ihr das gemerkt? Die einen als Apostel, die anderen als Propheten, die anderen als Evangelisten, die anderen als Hirten und Lehrer.
Die Gruppe ist nicht streng unterschieden in dieser Aufzählung.
Ich weiß nicht, ob die Gaben so streng unterschieden sind, bei dem einen oder anderen vielleicht schon.
Ist es ihre Aufgabe, andere Lehrer und andere Hirten auszubilden? Ja, für manchen vielleicht schon, aber nicht jeder Lehrer an der Schule ist in der Lehrerausbildung tätig, zumindest nicht im gleichen Maß.
Eigentlich ist die Hauptaufgabe des Lehrers, Schüler zu unterrichten. Und das ist das, was sie tun.
Sie bringen uns theoretisch und praktisch das bei, was wir wissen sollen, um in unserem Maß mitzuwirken am Aufbau der Gemeinde, am Aufbau dieses Leibes, damit es schöner wird und wächst, geprägt von Liebe.
Paulus sagt: Gott hat euch alles gegeben, was euch hilft, und er hat euch ein Maß gegeben, in dem ihr mitarbeiten könnt.
Manchmal Anlass zur Demut: sich nicht zu vergleichen.
Diese großen Leute, von denen wir profitieren – steht hier in Vers 12 – es ist für die Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes.
Sie rüsten uns aus zu unserem Dienst, wie auch immer der aussieht, für die Auferbauung des Leibes des Christus.
Habt ihr gelesen, Vers 16: „Und jedes Glied nach dem Maß seines eigenen Teiles bewirkt das Wachstum des Leibes zu seiner selbstauferbauten Liebe.“
Sie tun das in einem großen Maß, und wir tun das in einem kleinen Maß. Und alles ist dazu da, dass dieser Leib gebaut wird.
Grandioses Bild!
Wisst ihr, was Paulus sagt? Ich glaube, es ist autobiografisch.
Er sagt: Ich bin ein Gefangener, Christus hat mich gefangen in den tiefsten Orten der Erde, in denen er mich befreit hat.
Und was immer in seinem Hinterkopf mitschwingt, ist die Frage: Wie ist das mit dir?
Vielleicht ist das Maß deines Beitrags ein kleineres, aber bist du innerlich gefangen für den, der dich gerettet hat?
Er schreibt zu oft davon, dass er ein Gefangener Christi ist. Und immer schwingt die Frage mit: Und du?
Auch wenn du nicht hier in diesem Knast herum sitzt, bist du ein Gefangener Christi in deinem Herzen, um in dem Maß, das du bekommen hast, mitzuwirken zur Selbstauferbauung des Leibes in Liebe?
Und wenn wir das tun und Energie aufwenden, die Einheit und den Frieden zu bewahren, dann tun wir schon sehr, sehr viel von dem, was würdiger ist der Berufung, mit der wir berufen sind – von dieser großen Berufung, von der er drei Kapitel geschrieben hat.
Boah, da steckt noch so viel drin!
