Einführung in Psalm 23 und seine Bedeutung
Ja, wie angekündigt, in der Reihe der Psalmen, die wir in dieser Woche durchnehmen, heute Abend den bekannten Psalm 23. Ich habe ihn überschrieben mit „Davids Hirte“ oder „Wie kann ich Vertrauen lernen?“
Ich glaube, es gibt keinen Psalm, der so bekannt ist wie dieser. Viele können ihn auswendig. Ich hatte gestern ja angedroht, ob ich euch abhören sollte. Ich weiß nicht, ob einige geübt haben. Ich werde euch aber nicht in Verlegenheit bringen.
Dennoch glaube ich, dass es gut ist, wenn wir einen solchen Psalm wirklich auswendig können. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine Großmutter ihn auswendig konnte. Selbst als sie im hohen Alter an Demenz litt, brauchte man nur mit dem Psalm anzufangen, und dann sprach sie den ganzen Psalm.
Das ist schon etwas Schönes zu sehen, dass manche Bibeltexte so verinnerlicht werden können und dass sie dann wirklich auch helfen.
Ich möchte ihn zunächst einmal vorlesen, bevor wir auf die einzelnen Verse und Worte eingehen:
Psalm 23, ein Psalm von David:
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er lagert mich auf grünen Auen, er führt mich zu stillen Wassern.
Er erquickt meine Seele, er leitet mich im Pfad der Gerechtigkeit um seines Namens willen.
Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir.
Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde.
Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über.
Nur Güte und Gnade werden mir folgen alle Tage meines Lebens,
und ich kehre zurück ins Haus des Herrn lebenslang.
Soweit Gottes Wort.
Wahrscheinlich wird der eine oder andere einige Formulierungen etwas anders kennen, je nach Luther-Übersetzung. Das war jetzt die Elberfelder. Aber ich glaube, vom Inhalt her ist es dasselbe.
Dieser Psalm, der wohl der bekannteste überhaupt ist, wird von vielen von uns gekannt. Wir haben ihn als Poster fürs Wohnzimmer, als Wohnungsdekoration.
Er wird oft zitiert bei Sterbebetten, obwohl er eigentlich gar nicht vom Tod handelt. Er wird an Gräbern zitiert, obwohl es gar nicht um Trauer geht.
Ich glaube, dass dieser Psalm etwas anderes in uns bewirken will. Er möchte in uns einen Lebensstil wecken, in dem wir in Geborgenheit mit Gott leben.
Eigentlich ist das die Frage, die man immer wieder hört: Wie kann ich zufrieden werden?
Mir geht es oft so, wenn ich durch die Fußgängerzone bei uns in der Stadt gehe und die Menschen anschaue. Man sieht kaum noch zufriedene Gesichter. Die meisten haben Falten auf der Stirn, nur wenige lächeln wirklich.
Ich weiß nicht, welche Lebenssituation ihr habt. Die Frage bleibt: Wie kann ich in Gottes Gegenwart leben und das Ziel haben, einmal bei Gott zu sein?
Die persönliche Beziehung zum Hirten
Wahrscheinlich ist vielen diese Anekdote bekannt: Bei einem Klassentreffen trifft man sich im Alter wieder. Der eine ist ein berühmter Schauspieler geworden, der andere ein einfacher Pfarrer einer Landkirchengemeinde. Die anderen Klassenkameraden, inzwischen alt geworden, bitten den Schauspieler, ob er nicht etwas rezitieren könnte. Er steht auf und rezitiert einen Psalm. Nachdem er ihn sehr dramatisch vorgetragen hat, klatschen alle.
Dann bittet der Schauspieler den Pfarrer, ebenfalls den Psalm zu lesen. Der Pfarrer windet sich etwas, lässt sich dann aber breitschlagen und liest den Psalm vor. Nachdem er ihn gelesen hat, klatscht keiner, aber alle sind ganz still. Darauf sagt der Schauspieler: „Das ist der Unterschied. Ich kenne den Psalm, er kennt den Hirten.“
Ich glaube, darin liegt das Wesentliche. Man kann Psalmen rezitieren, man kann sie betonen, man kann sie gefühlvoll vermitteln. Aber zu unseren Herzen sprechen sie, wenn wir merken, dass es Gottes Wort ist, wenn wir spüren, dass hier Gott zu uns redet.
Vielleicht zunächst etwas zum Autor dieses Psalms, David, der Hirte. Er war als junger Mann Hirte, der jüngste im Hause Isais. In seinen Jugendjahren hat er als Hirte gearbeitet. Ganz offensichtlich hat er in dieser Zeit viel gelernt. Gestern haben wir gesehen, im Psalm 19, dass er offenbar die Natur studiert hat und zum Staunen über den Schöpfergott gekommen ist. Er hat erkannt, dass auch die Schöpfung von der Größe und der Herrlichkeit Gottes zeugt.
Dieser Psalm hier schildert etwas ganz anderes. David, der selbst Hirte von Schafen und Kleinvieh war, wird durch Gottes Gnade zum Hirten seines Volkes. Er ist wirklich ein Hirte gewesen, dem das Volk Israel am Herzen lag. Dabei hat er aber auch erkannt: Auch wenn ich mächtig bin über dieses Volk und zu bestimmen habe, so habe ich doch einen über mir, der noch mächtiger ist, der mein Hirte ist.
Er wusste, dass er nur ein Mittelhirte ist, und Gott ist sein Hirte.
Persönliche Erlebnisse mit dem Bild des Hirten
Wenn ich diesen Psalm lese, denke ich an verschiedene Ereignisse.
Heute Morgen habe ich bereits von einem 90-jährigen Senior erzählt, der in unserem Stadtteilcafé ist, das wir von unserer Gemeinde in Wuppertal aus betreiben. In seinen Jugendjahren war er Wanderhirte und zog durch das Münsterland. Jedes Jahr verbrachte er acht Monate mit 400 Schafen. Er hat noch heute viel davon zu erzählen. Wenn er erzählt, strahlt er – das ist seine Welt von damals. Selbst im hohen Alter träumt er noch davon.
Ich habe schon erwähnt, dass er durch Psalm 23 und Johannes 10 zum Glauben an Jesus gekommen ist. Interessant ist auch, dass ihm beim Erzählen immer mehr Dinge einfallen, die in seinem Leben nicht korrekt gewesen sind. Er kommt zum Nachdenken, ob Jesus ihm das auch vergibt.
Dann denke ich an einen Hirten. Meine Frau und ich haben viele Jahre über Ostern eine Familienfreizeit in Rehe im Westerwald veranstaltet. Um diese Zeit kam jedes Jahr im Frühjahr ein Wanderhirte, der aus dem Rheintal kam und mit seiner großen Herde über die Westerwaldwiesen zog.
Dieser Hirte war schon etwas moderner. Er hatte ein Auto. Wenn er etwas besorgen wollte, zäunte er seine Schafe ein, ließ seine Hunde dort und fuhr mit dem Auto weg. Danach kam er wieder zurück.
Ich fand es immer interessant zu beobachten, dass die Schafe das Auto kannten. Sobald sie das Geräusch hörten, stellten sich alle Schafe in die Richtung, aus der das Auto kam. Vorher herrschte in der Herde Durcheinander, aber sobald der Hirte kam, wurde es ruhig.
Auch das ist ein schönes Zeichen, das wir sicherlich auf unser Leben übertragen können.
Psalm 22, 23 und 24 als Trilogie
Ich habe bereits gesagt, dass die Psalmen 22, 23 und 24 sozusagen eine Trilogie, eine Dreieinheit, bilden. Psalm 22, wie wir heute Morgen gesehen haben, schildert den leidenden Hirten, der sein Leben für seine Schafe gibt. Psalm 23 beschreibt den großen Hirten, der sein Schaf sicher ans Ziel führt. Psalm 24 zeigt uns den Oberhirten, der wiederkommt, um seine Schafe abzuholen.
Morgen Vormittag werden wir uns mit Psalm 24 beschäftigen. Ich weiß nicht, wie es euch ergangen ist, als wir diesen Psalm gerade gelesen haben. Worum geht es in diesem Psalm? Ich kann mir gut vorstellen, dass David diesen Psalm am Ende seines Lebens geschrieben hat. Er gibt einen Rückblick auf sein Leben, das viele turbulente Jahre umfasste – zehn Jahre auf der Flucht vor dem König, sehr dramatisch, mit vielen Hindernissen und auch mit Momenten, in denen David versagt hat.
Trotzdem fällt immer wieder auf, wie sehr sein Herz für Gott gebrannt hat. Er war aufrichtig und scheute sich nicht, auch seine Fehler einzugestehen und öffentlich zu machen. Das ist ganz anders als bei heutigen Politikern, oder? Dort versucht man oft, alles unter den Teppich zu kehren, bis der Teppich so hoch liegt, dass man an die Decke stößt.
Ich glaube, gerade diese Ehrlichkeit macht David so sympathisch: Er ist offen und bekennt seine Sünden auch öffentlich. So etwas findet man heute sehr selten.
Meiner Meinung nach geht es in diesem Psalm um Sicherheit, Geborgenheit und den Sinn des Lebens. Er spricht von Hoffnung, Freude und Sorglosigkeit in einer zerrütteten und chaotischen Welt. An einer Stelle erwähnt er auch die Feinde, die ihm gegenüberstehen.
Vielleicht haben wir auch den Eindruck, wenn wir in die Zeitungen schauen oder ins Fernsehen beziehungsweise Internet, dass es immer chaotischer wird. Es scheint, als wüssten die führenden Menschen in den Ländern oft nicht mehr weiter. Man sucht immer nur das kleinste Übel, Kompromisse ohne klare Strukturen zu zeigen.
Der Herr als persönlicher Hirte
Ich habe mich gefragt, könnte dieser Psalm mein Lebensmotto werden? Schauen wir uns zunächst einmal diesen Psalm an.
Vers 1: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Im Originaltext steht an der Stelle, wo „Herr“ übersetzt ist, der Name Gottes „Yahweh“ oder „Jahwe“. Das heißt, der Ewig Seiende, der, wie er sich bei Mose am Dornbusch offenbart hat, sagt: „Ich bin, der ich bin.“ Er ist der, der immer war und der immer sein wird.
David sagt, dieser Herr, dieser Yahweh, dieser Ewig Seiende, für den es keine Vergangenheit, keine Gegenwart und keine Zukunft gibt, für den alles gleich real ist, dieser Herr ist mein Hirte. Und das ist die erste Frage, die wir im Grunde haben: Ob dieser Herr auch mein Herr ist und ob er auch mein Hirte ist.
Ich möchte eine Begebenheit erzählen. Es ist jetzt ungefähr 25 Jahre her. Wir hatten einen Missionseinsatz mit einem umgebauten Autobus in unserer Stadt. Er war zu einem Straßencafé umgebaut. Wir standen auf dem Rathausplatz, ich saß an einem der Tische, und es kam einer der Obdachlosen zu mir.
Diese Obdachlosen saßen bei uns, weil das Rathaus so im Eck gebaut ist, unter den Arkaden. Je nachdem, wie die Sonne schien, wechselten sie im Laufe des Tages immer wieder ihren Platz. Einer von ihnen kam zu mir an den Tisch, trug eine verspiegelte Sonnenbrille, und seine Hände waren vernarbt. Auf allen Fingerknöcheln hatte er Narben.
Er stellte sich vor: „Ich bin der Rolli.“ Ich sagte: „Okay, ich bin der Ewert.“ Er fragte: „Ewert, was macht ihr hier?“ Ich antwortete: „Wir möchten mit Menschen wie dir ins Gespräch kommen.“ Er fragte: „Worüber?“ Ich sagte: „Ganz einfach, eine Frage: Warum seufzt du?“ Er antwortete: „Bring mir meine Frau wieder, dann höre ich auf.“
Ich fragte ihn: „Rolli, sei ehrlich: Ist deine Frau weggelaufen, weil du seufzt, oder seufzt du, weil sie weggelaufen ist?“ Er sagte: „Du hast ja recht, sie ist weggelaufen, weil ich saufe.“ Ich fragte: „Warum hörst du nicht auf?“ Er sagte: „Ich kann nicht, ich habe schon so viele Therapien gemacht.“
Ich fragte ihn: „Rolli, hast du es schon mal mit Beten versucht?“ Er sagte: „Nee, funktioniert das?“ Ich sagte: „Probier es doch aus.“ Er fragte: „Und wie macht man das? Ich habe noch nie gebetet.“ Ich sagte: „Rolli, falte mal deine Hände.“
Ich muss sagen, ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der mehr als zehn Minuten gebraucht hat, um seine Hände zu falten. Man merkte den gesamten Widerstand der finsteren Welt. Er zitterte am ganzen Körper, bis er endlich die Hände zusammen hatte. Dann zog er seine Sonnenbrille etwas runter, schaute mich an und sagte: „Und jetzt?“
Ich sagte: „Sprich mir einfach mal nach: Herr Jesus.“ Dann nahm er seine Hände wieder auseinander und sagte: „Das geht nicht.“ Ich fragte: „Warum geht das nicht?“ Er sagte: „Das ist nicht mein Herr.“
Ich sagte: „Rolli, du hast eine Menge verstanden. Aber Jesus möchte dein Herr werden.“ Ich fragte: „Und wie geht das?“ Ich sagte: „Rolli, pass auf, ich bete jetzt für dich.“ Dann habe ich für ihn gebetet, dass der Herr ihn freimacht.
Als ich Amen sagte, saß Rolli vor mir und weinte. Und ich muss sagen, heulende Männer sind schon eine Sache für sich. Er stand auf, nahm mich in den Arm und sagte: „Junge, was du mit mir gemacht hast, hat noch nie jemand mit mir gemacht. Es hat noch nie ein Mensch mit mir gebetet. Du bist mein Freund.“
Diesen Augenblick werde ich nie vergessen. Ich hatte zwar das Gefühl, ich stinke noch drei Tage danach, aber diese Umarmung habe ich nie vergessen. Und diese Umarmung hat bei mir bewirkt, dass ich ein Herz für solche Menschen habe.
Rolli ist damals nicht zum Glauben gekommen. Ich hatte ihm damals gesagt: „Rolli, wenn du betest und Jesus dein Herr wird, dann gehen auch die Narben an deinen Fäusten weg.“ Denn er hatte gesagt: „Wenn mir einer querkommt, dem poliere ich die Fresse.“ Und er war wegen seiner Fäuste schon oft im Gefängnis gewesen.
Ich sagte ihm: „Rolli, wenn du deine Hände faltest, kannst du keine Fressen polieren.“ Zwölf Jahre später gehe ich durch die Fußgängerzone. Plötzlich höre ich jemanden rufen: „Eberhard!“ Ich drehe mich um und sage: „Rolli, kennst du mich noch?“ Ich sagte ihm: „Rolli, Freunde vergessen sich nicht. Ich wollte dir was zeigen.“ Er sagte: „Ich zeige dir was.“
Er zeigte mir seine Fäuste. Es waren keine Narben mehr daran. Er sagte: „Das bist du schuld. Ich habe gelernt, meine Fäuste zu falten.“ Ich fragte ihn: „Und wie sieht es da drin aus?“ Er sagte: „Bete weiter. Ich brauche noch Zeit.“
Aber daran wurde deutlich, wie wichtig es ist, um hier zurückzukommen auf Psalm 23: Dieser Herr muss mein Herr werden, muss mein Hirte werden. Ich brauche eine ganz persönliche Beziehung zu diesem Herrn. Deswegen sagt David: Der Herr ist mein Hirte. Damit macht David deutlich, dass er eine ganz persönliche Beziehung zu diesem Herrn hat.
Die Herausforderung, ein Schaf zu sein
Aber ist euch schon einmal aufgefallen, dass es uns eigentlich gar nicht so leichtfällt zu sagen: Der Herr ist mein Hirte? Was bedeutet das, wenn ich das sage? Wenn ich sage, Jesus ist mein Hirte, dann bin ich das Schaf, oder?
Wir sehen alle gerne Schafe. Aber keiner von uns will ein Schaf sein. Warum nicht? Schafe sehen nett aus, aber sie sind dumm und unselbständig. Sie müssen geführt werden. Schafe sind dumme Tiere. Sie brauchen die Herde, sie brauchen eine Führung.
Ich habe von einer Begebenheit gelesen, die sich in der Türkei auf der Hochebene des Wannsees zugetragen haben soll. Dort waren Hirten, die ihre Herde alleine ließen, um zu frühstücken. Einer der Leithammel setzte an, sprang über eine Schlucht und stürzte hinein. Alle anderen Schafe liefen hinterher und stürzten ebenfalls hinein. So dumm sind Schafe!
Manchmal, wenn man sich die Bevölkerung und die Politik anschaut, hat man schon den Eindruck, dass sehr viele Menschen – und wir selbst oft auch – Schafe sind. Wir laufen anderen hinterher, auch wenn es ins Verderben geht.
Gottes Wort macht an vielen Stellen deutlich, dass wir Hirten brauchen, dass wir Führer brauchen. Ein sehr beeindruckendes Kapitel finden wir im Alten Testament, im Jeremia 34. Dort klagt Gott die Führer Israels an und nennt sie Hirten. Er wirft ihnen vor, die Schafe Israels schlecht geführt zu haben, dass sie nur auf eigenen Gewinn aus waren. Gott sagt: „Ich werde euch absetzen, ich werde mich selbst um meine Schafe kümmern.“
In der Bibel finden wir an vielen Stellen, dass Gott für Menschen Hirten einsetzt – damals in Israel, aber auch in der neutestamentlichen Gemeinde. Wir wissen alle, dass es unter den sogenannten Gnadengaben auch die Gnadengabe des Hirten gibt. Das sind Menschen in einer Gemeinde, die führen und vorangehen.
Das ist ja auch interessant: Eine Schafherde wird anders geführt als eine Rinderherde. Bei einer Rinderherde treibt der Hirte die Tiere von hinten und gebraucht die Peitsche. Bei einer Schafherde geht der Hirte voraus. Gottes Wort benutzt dieses Bild, in dem der Hirte vorangeht. Das ist David bewusst, als er diesen Psalm schreibt.
Ein wichtiges Lernkapitel für uns ist auch: Schafe suchen sich nicht ihren Hirten aus. Es gibt keine demokratische Schafherde, sondern der Hirte sucht sich die Schafe aus. So ist es auch im Neuen Testament. In der neutestamentlichen Gemeinde suchen sich nach Gottes Gedanken die Schafe nicht ihren Hirten aus – auch wenn das heute in vielen Gemeinden anders gehandhabt wird. Dort wählt man sich seine Ältesten und Hirten.
Aber die Gemeinde des lebendigen Gottes nach dem Neuen Testament ist keine Demokratie. Nicht umsonst gebraucht Gottes Wort das Bild der Schafherde und des Hirten für die neutestamentliche Gemeinde. Warum? Weil Gott weiß: Schafe sind dumm, unfähig, kraftlos, wehrlos und langsam.
Deshalb brauchen sie Führung, die sie schützt und zu den richtigen Wiesen führt. Das schreibt David hier: Dadurch, dass der Herr sein Hirte ist, kann er folgern: Mir wird nichts mangeln.
Zufriedenheit und Vertrauen in Gottes Führung
Als ich das gelesen habe, wunderte ich mich über die Einstellung von David. Können wir auch sagen: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln"? Wenn ich an meine Gebete denke, sind es meistens mehr Bittgebete als Dankgebete, oder? Man bittet, weil man den Eindruck hat, dass einem etwas fehlt. Oder bist du mit allem zufrieden?
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: „Ach ja, das hätten wir ganz gerne noch, und das hätten wir auch noch gerne, und da ein bisschen gesünder, und dass man im Alter nicht so viele Zipperlein spürt.“ David sagt: „Mir mangelt nichts.“ Er ist zufrieden. Ich glaube, das ist etwas, das wir als Christen lernen müssen – besonders im Alter. Leider findet man nur selten zufriedene Senioren. Die Rente ist zu klein, die Gesundheit zu schlecht, die Kinder und Enkel kümmern sich nicht um mich.
David sagt: „Mir wird nichts mangeln.“ Wir merken, dazu gehört Vertrauen und Glauben. Um das zu beschreiben, sagt er in den Versen zwei bis drei: „Er lagert mich und führt mich.“ Er akzeptiert also, dass der Herr sein Hirte ist. Er sorgt dafür, dass David die richtigen Lagerplätze hat, wo er sich ausruhen kann, und er führt ihn auf die richtigen Wege.
David beschreibt auch, wohin Gott ihn führt: auf grüne Auen und an stille Wasser. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, wie es damals war, als Israel in der Wüste war und Gott das Volk Israel führte. Im Grunde war es nicht Mose, der das Volk führte, sondern Gott. Mose hatte von Gott erbeten: „Wenn du nicht mitgehst, höre ich auf.“ Gott akzeptierte das und sagte: „Ja, ich werde meinen Engel vorausschicken.“ Aber Mose antwortete: „Nein, du selbst.“
Gott ließ dann die Stiftshütte bauen. Über der Stiftshütte war die Schechina, die Wolkensäule – das sichtbare Zeichen der Herrlichkeit Gottes. Das war eine eigenartige Geschichte damals im Volk Israel. Diese Wolkensäule, das Symbol der Gegenwart Gottes, begleitete sie und gab das Kommando. Sobald sich die Wolkensäule erhob, sollten sie sich fertig machen zum Abmarsch. Dann zog die Wolkensäule voraus. Wo sie stehenblieb, sollten sie lagern.
Das ist das, was David meint: „Er lagert mich, er führt mich.“ Gott führte sie so, dass sie Nahrung hatten. Damals gab es in der Wüste natürlich keine grünen Auen, aber er gab ihnen das tägliche Manna, die Versorgung. David weiß: „Er führt mich zu stillen Wassern, er lagert mich an stillen Wassern.“ In der Wüste gab Gott ihnen Wasser aus dem Felsen. Gott ist auch bei seinem Volk der Hirte, der sie führt und leitet.
David sagt weiter: „Er erquickt meine Seele, er leitet mich.“ Er beschreibt auch, wie er das tut: auf rechter Bahn. Und warum? „Um seines Namens willen.“ Wenn du so auf dein Leben zurückblickst, bist du zufrieden mit der Führung Gottes oder hättest du dir vieles anders gewünscht? Ich muss bekennen, ich bin oft unzufrieden. David aber ist zufrieden. David akzeptiert, von Gott geführt zu werden.
Vertrauen in schwierigen Zeiten
Und er weiß auch, und das sagt er im nächsten Vers, dass es manchmal durch Schwierigkeiten geht. Vers 4: „Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens.“
Interessant ist, und das habe ich bei Philipp Keller in seinem Buch über Psalm 23 gelesen – ich weiß nicht, ob jemand dieses Buch kennt –, er war ja ein Hirte und Theologe. Er schreibt zu diesem Vers: Es steht nicht „und wenn ich wandere durch das Tal des Todes“, sondern „durch Todesschatten“. Also die Andeutung des Todes, man kommt in Todesnähe, aber noch nicht das Sterben.
Das kann man sehr gut nachvollziehen, oder? Er legt dich aufs Krankenbett, und du weißt nicht, wie es weitergeht. Du zitterst vor der Diagnose, und das ist wie ein Schatten, wie Todesschatten. Wie viele berichten davon, wenn die Diagnose Krebs lautet und man innerlich angespannt ist und Angst hat: Wird es bösartig sein?
David sagt: Wenn ich durch solch ein Tal gehe, fürchte ich nichts Übles. Vielleicht geht es dir auch so, wenn du Berichte von Geschwistern hörst, die durch solche Situationen hindurchkommen. Sie schildern und bezeugen, dass sie gebetet haben und innerlich ganz ruhig waren.
Vielleicht geht es dir auch so wie mir: Dann wünscht man sich, in solchen Situationen auch solch einen Glauben zu haben. Warum kann David das so sagen? Warum kann er vertrauensvoll sein und sagen: „Ich fürchte nichts Übles“?
Das finde ich interessant bei diesem Psalm. Wenn ihr in den Text hineinschaut: Ab dem Moment, an dem es um seine Angst geht, wechselt auf einmal die Ansprache. Vorher hat er von Gott immer in der dritten Person gesprochen, aber jetzt sagt er „Du“. Plötzlich wird aus der Beschreibung Gottes ein Gespräch mit Gott.
Gerade in dieser Situation redet er nicht mehr über Gott, sondern mit Gott. Er sagt: „Du bist bei mir.“ Also redet er nicht mehr über seinen wunderbaren Hirten, sondern mit dem Hirten. Im Grunde ist das das Geheimnis: Wenn du in solchen Situationen bist, dann rede mit dem Hirten. „Du bist bei mir.“
Seht, es ist dasselbe Versprechen, das David hier von Gott kennt. Gott ist bei mir – so wie Jesus, bevor er in den Himmel gefahren ist, seinen Jüngern gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ Das ist ein Versprechen. Es gibt keinen Tag, an dem der Herr Jesus nicht bei mir ist.
Vielleicht spürst du es nicht, aber er hat es versprochen, und er ist da. Die Realität des Herrn Jesus in meiner Nähe hängt nicht von meinem Gefühl ab, sondern von seinem Versprechen. Und das stimmt. Das weiß David: „Du bist bei mir.“
Dann schildert er diese Nähe Gottes und sagt: „Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.“ Was ist daran so trostvoll? Ein Hirte – ich habe unseren Wanderhirten danach gefragt – hat mir den Unterschied erklärt zwischen Stecken und Stab. Beides braucht ein Hirte.
Ich habe hier beides abgebildet: Stecken, und daran kommt eine Holzlatte, das ist das Ende davon, und das ist der Stab. Den Stab braucht der Hirte, indem er sich darauf stützt, wenn er wandert, und er zeigt ihm den Weg. Der Stab ist das Symbol für die Leitung durch den Hirten.
Das Stecken ist ein Gerät – so habe ich mir das von unserem Hirten erklären lassen –, mit dem der Hirte ein Schaf, das weglaufen will, einfängt. Mit dieser Krümmung fasst er einen Fuß des Schafes, und damit kann es nicht weiter. Es kann durchaus sein, dass dieses Schaf dann hinfällt.
David sagt: Er geht durch Todesschatten, aber er fürchtet nichts Übles, denn „du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.“ Erziehungswege Gottes sind dafür da, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben. Und es kann durchaus sein, dass das auch wehtut.
Aber David weiß: Es ist gut für mich. Und deswegen formuliert er es so.
Gottes Schutz und Versorgung trotz Feinden
Und er sagt, dass er ihn führt. „Du“, sagt er weiter, und er beschreibt, wie das im täglichen Leben aussieht: Du deckst den Tisch vor mir, angesichts meiner Feinde.
David hat keine rosarote Brille auf. Auch wenn er weiß, dass Gott sein Hirte ist, sieht er dennoch die Gefahren um sich herum. Aber er braucht keine Angst zu haben. Gott ist bei ihm und gibt ihm sogar angesichts der Feinde die Ruhe der Tischgemeinschaft.
Du salbst mein Haupt mit Öl, mein Becher fließt über. Und wir merken: David ist dankbar. Auch wenn im Leben nicht alles so läuft, wie er es sich wünscht, ist er dankbar. Gott ist bei ihm, Gott hält ihn fest, wenn er sich verrennt, Gott beschützt ihn – er ist bei ihm.
Ein Schaf ist ein dummes Tier. Es ist auch ein Tier, das sich nicht selbst sauber macht, anders als eine Katze oder ein Hund. Eine Katze putzt jeden Tag ihr Fell, jeder Vogel macht täglich jede Feder sauber. Ein Schaf ist eigentlich ein dreckiges Tier, wenn es nicht den Hirten hat.
Und im Grunde ist das bei uns nicht anders. Selbst wenn wir gelernt haben, hygienisch zu leben, sind wir im Herzen oft dreckig. Wir können uns nicht selbst reinigen, sondern brauchen die Reinigung durch unseren Herrn – genauso wie ein Schaf. Ein Schaf braucht die Reinigung durch den Hirten. Jeder Hirte muss sein Schaf jeden Tag sauber machen. Das ist eine Menge Arbeit.
Und das ist ein gutes Bild für uns.
Dann kommt David zu dem Ergebnis in Vers 6. Er sagt: Güte und Huld folgen mir. Er weiß, sein Hirte geht voran, und hinter ihm her sind Güte und Huld. Eigentlich muss man schmunzeln, wenn man das liest. Hinter einer Schafherde – was läuft da hinterher? Die Hunde, die Schäferhunde. Und die beißenden Schafshunde warten, wenn die Schafe nicht richtig parieren.
David sagt: Und nennt diese beiden Hunde Güte und Huld. Schon eigenartig, oder? Er weiß, Gott muss ihn strafen, aber wenn Gott ihn straft, dann tut er das aus Liebe. Und das darf uns Mut machen.
Zusammenfassung und Ausblick
Man könnte das so vielleicht zusammenfassen: Psalm 23 schildert verschiedene Aspekte, wie Gott für uns da ist. Er ist bei mir. Er selbst ist bei mir. Unter mir ist die grüne Weide, neben mir das stille Wasser, vor mir der gedeckte Tisch. Gegenüber von mir sind meine Feinde, hinter mir Güte und Huld, und über mir ist das Vaterhaus.
Im Grunde weiß David sich geborgen in Gott. Deshalb kann er zum Schluss sagen: „Ich werde wohnen im Hause des Herrn immerdar, in alle Ewigkeit oder lebenslang.“ Es ist wichtig, dass jeder von uns das genau weiß: Wohin gehe ich, wenn ich einmal sterbe? Ich muss das Ziel kennen.
Es ist die dümmste Ausrede zu sagen: „Der Weg ist das Ziel.“ Wer das sagt, hat noch nie ein Navi benutzt. Ein Navi funktioniert nur, wenn man das Ziel eingibt. Ich muss das Ziel wissen, wohin ich will.
So ist es auch bei David. Er weiß das Ziel: „Ich werde wohnen im Hause des Herrn.“ Und ich kann nur sagen, ich freue mich auch darauf. Ich weiß, dass ich bei ihm ankommen werde. Warum? Nicht, weil ich so gut bin. Ich bin genau so ein dummes Schaf wie alle anderen auch.
Aber ich weiß: Mein Hirte führt mich, und deswegen komme ich an. Er hat für mich sein Leben gegeben, um mich zum Vaterhaus zu bringen.
Nehmen wir das so mit: Der Herr ist mein Hirte. Ich kann getrost meinen Weg gehen, denn er bringt mich ans Ziel. Amen.