Einführung in die neutestamentlichen Briefe und deren Verfasser
Der Brief an die Epheser
Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, den Heiligen und an Jesus Christus Gläubigen, die in Ephesus sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Der Brief an die Kolosse
Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, den heiligen und gläubigen Brüdern in Christus zu Kolosse: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater.
Der zweite Brief an die Thessalonicher
Paulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde der Thessalonicher in Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus: Gnade euch und Friede von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Der erste Brief an Timotheus
Paulus, Apostel Jesu Christi, nach Befehl Gottes, unseres Heilandes, und Christi Jesu, unserer Hoffnung, an Timotheus, meinem echten Kind im Glauben: Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von Christus, unserem Herrn.
Der zweite Brief an Timotheus
Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, nach Verheißung des Lebens, das in Christus Jesus ist, an Timotheus, meinem geliebten Kind: Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von Christus Jesus, unserem Herrn.
Der Brief an Titus
Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die der Gottseligkeit gemäß ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, vor ewigen Zeiten verheißen hat, an Titus.
Der Brief des Jakobus
Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind, seinen Grossen.
Der erste Brief des Petrus
Petrus, Apostel Jesu Christi, an die Fremdlinge der Zerstreuung von Pontus, Galatien, Kappadokien, Asien und Bithynien, die nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, in der Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi auserwählt sind: Gnade und Friede werde euch immer reichlicher zuteil.
Der zweite Brief des Petrus
Simon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi, an diejenigen, die einen gleichkostbaren Glauben mit uns empfangen haben durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus: Gnade und Friede werde euch immer reichlicher zuteil in der Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn.
Der Brief des Judas
Judas, Knecht Jesu Christi, aber Bruder des Jakobus, an die Berufenen, die in Gott, dem Vater, geliebt und in Jesus Christus bewahrt sind: Barmherzigkeit und Friede und Liebe werde euch immer reichlicher zuteil.
Kritik an der Authentizität der neutestamentlichen Schriften
Vor einiger Zeit erschien im Spiegel im Zusammenhang mit einem Interview mit Lüdemann ein Diagramm. Dieses Magazin hat sich das Diagramm nicht einfach ausgedacht. Zwar haben sie das Diagramm erstellt, aber das Material stammt aus Udo Schnelles "Einleitung ins Neue Testament". Sie haben es lediglich grafisch umgesetzt.
Schnelles "Einleitung" ist das Standardwerk, das an den meisten theologischen Fakultäten von Theologiestudenten verwendet wird. Es gilt als das offizielle Buch "Einleitung ins Neue Testament". Dort heißt es, kein Autor kannte Jesus persönlich. Bei Paulus ist das zwar noch fraglich – vermutlich kannte er Jesus, denn es war kaum möglich, in Jerusalem zu leben, ohne ihn wenigstens gesehen zu haben.
Von den 27 neutestamentlichen Schriften sollen laut Schnelle zehn sogenannte Pseudepigraphen sein, der Rest, also die Evangelien und ein weiteres Werk, seien ursprünglich anonym verfasst worden.
Bei Pseudepigraphen steckt im Wort "Pseudo" das Wort "Lüge". Kein historisch-kritischer Theologe möchte das gerne hören. Eigentlich soll es nicht "Lüge" bedeuten, so darf man das nicht übersetzen. Praktisch heißt es aber doch "fälschlich zugeschrieben". "Pseudo" bedeutet "falsch", "epi" heißt "nach" oder "darauf", also "später geschrieben".
In den Briefen selbst wird jedoch gesagt, dass Paulus, Petrus, Judas und Jakobus die Verfasser sind. Das würde bedeuten, dass Gottes Wort zehnmal gelogen hat – und das im Angesicht Gottes. Die Verfasser sprechen doch selbst davon, dass sie von Gott berufen wurden.
Man kann sich kaum vorstellen, dass in das heilige Wort Gottes solche falschen Angaben aufgenommen worden wären, wenn sie nichts anderes als blanke Lügen gewesen wären – auch nicht für einen frommen Zweck. Das wäre schlicht unmöglich gewesen.
Wenn solche Behauptungen in die Welt gesetzt werden, sollte man erwarten, dass dafür wirklich große und starke Gründe vorliegen. Man müsste es sozusagen mit Tränen in den Augen tun. Aber so ist es nun mal, ob man es mag oder nicht.
Nun wollen wir uns ansehen, welche Gründe für diese Behauptungen vorgebracht werden.
Umfang und Vokabular der Paulusbriefe als Kriterium für Echtheit
Um diese Gründe wirklich gewichten zu können, sollte man sich eines vor Augen führen. Ich habe es hier nur für die Paulusbriefe gemacht, damit klar wird, wie unterschiedlich groß und lang diese Briefe sind. Das ist wichtig, denn der Umfang sagt viel über die Briefe aus.
Da ist zum Beispiel der Römerbrief mit über siebentausend Worten. Demgegenüber steht der kleine Philemonbrief, der nur ein paar hundert Worte umfasst. Auch die Pastoralbriefe, die oft nicht für echt gehalten werden, sind vergleichsweise kurz. Hier haben wir etwa den Epheserbrief und den ersten Timotheusbrief. Der erste Timotheusbrief erreicht nicht einmal die Zweitausendergrenze.
Dann gibt es den zweiten Thessalonicherbrief, der noch nicht einmal so viele Worte hat wie der Römerbrief an Vokabular. Ebenso der Titusbrief – das sind ganz kleine Briefe, genau wie der zweite Timotheusbrief und der zweite Thessalonicherbrief. Nur der Philemonbrief ist noch kleiner.
Viele der Erscheinungen, die man in Titus oder in der zweiten Thessalonicher- oder zweiten Timotheusbrief findet, gibt es genauso im Philemonbrief. Trotzdem ist niemand jemals auf die Idee gekommen, den Philemonbrief deswegen für unecht zu erklären. Dort sagt jeder: „Ja, wieso, natürlich, das ist doch ein kleiner Brief.“ Aber warum sagt man das dann nicht von den anderen?
Bei den Pastoralbriefen wird meist ein Trick angewandt: Man zählt die drei Pastoralbriefe zusammen. Dadurch entsteht ein mittelgroßer Brief, etwa von der Größe des Galaterbriefes. Die kleinen Briefe haben aber ganz spezifische Charakteristika. Das Gesamtbild wird verfälscht, wenn man sie einfach zusammenaddiert, um sie im Umfang vergleichbar zu machen.
Das ist also ein falscher Trick, die Pastoralbriefe auf diese Weise zu behandeln.
Wortstatistiken und charakteristische Begriffe der Pastoralbriefe
Nun, welche Argumente bringt man bei einer schnellen Einführung ins Neue Testament vor? Dort werden Listen von Worten zusammengestellt, zum Beispiel eine Liste mit charakteristischen Begriffen für die Theologie der Pastoralen. Diese Begriffe werden besonders hervorgehoben, da sie die Theologie der Pastoralen ausmachen sollen.
Wenn man sich diese Worte anschaut und sagt: „Aha, das sind also die charakteristischen Worte für die Pastoralen“, und sie werden extra aufgelistet, dann geht man natürlich davon aus, dass sie nur in den Pastoralen oder zumindest überwiegend in den Pastoralen vorkommen. Denn sonst könnte man sie ja kaum als charakteristische Ausdrücke für die Pastoralen beanspruchen.
Der normale Benutzer einer Einleitung holt sich jedoch keine Wortstatistik. Wie sieht es aber aus, wenn man das im Lichte einer Wortstatistik betrachtet? Dann sieht man: Agape kommt überall bei Paulus vor, unter anderem auch in den Pastoralbriefen. Die nächsten Worte, nur die unterstrichenen, sind gerade so, dass man sagen kann, sie sind entweder ausschließlich oder doch überwiegend in den Pastoralbriefen zu finden. Das sind hier ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht Worte. Man könnte noch den Begriff „erneuert“ hinzuziehen, aber der kommt auch in anderen Briefen vor, wenn auch mit einem kleinen Übergewicht in den Pastoralbriefen.
Sie sehen also: Die Liste von 24 Worten schrumpft sehr schnell zusammen. Es bleiben nur acht oder neun Worte übrig. Dabei muss man auch im Vergleich sehen, dass zum Beispiel der erste Timotheusbrief schon ein Vokabular von 538 Worten hat, der zweite Timotheus 457 und selbst der kleine Titusbrief noch 305 Worte umfasst. Zwar deckt sich einiges im Vokabular, aber es kommen doch einige Hundert Worte zusammen. Was sind da schon 24 Worte? Und wenn diese 24 Worte dann noch auf acht oder neun zusammenschmelzen, kann man das doch vergessen. Das ist eine Mogelpackung.
Erstens wird dabei gar nicht die Relation zum gesamten Vokabular hergestellt, und zweitens wird noch etwas hineingemogelt, was eigentlich gar nicht dazugehört.
Außerdem gibt es nicht nur Worte, die angeblich charakteristisch für die Pastoralbriefe sind, sondern auch eine Liste mit theologischen Begriffen, die in den Pastoralbriefen fehlen. Das klingt natürlich gewichtig: Gerechtigkeit Gottes, Freiheit, Fleisch im Gegensatz zum Geist, das Kreuz, der Leib Christi und Sohn Gottes.
Schauen wir uns die Realität an: Gerechtigkeit Gottes ist ein paulinischer Begriff, aber wir finden ihn achtmal im Römerbrief und noch einmal im zweiten Korintherbrief. Wenn man die Pastoralbriefe deswegen für nicht von Paulus hält, weil dieser Begriff fehlt, müsste man das Gleiche auch mit dem Galaterbrief, dem Philipperbrief, dem ersten Thessalonicherbrief und Philemon tun.
Oder Eleutheria (Freiheit) – im langen Römerbrief mit über siebentausend Worten und einem Vokabular von über tausend kommt dieser Begriff nur einmal vor. Im ersten Korintherbrief ebenfalls nur einmal, im zweiten Korintherbrief und im Galaterbrief etwas öfter, aber im Philipperbrief, im ersten Thessalonicherbrief und in Philemon fehlt er. Warum sollte man dann den kleinen Pastoralbriefen einen Vorwurf daraus machen, dass sie diesen Begriff nicht haben?
Fleisch im Gegensatz zum Geist kommt im Römerbrief nur einmal vor, im dritten Jahr (eine Spezialaussage im Galaterbrief) siebenmal und noch einmal im Kolosserbrief, den man ebenfalls nicht für echt hält. Und dann kommt dieser Begriff sogar im ersten Timotheusbrief einmal vor – das wurde jedoch in der Eile übersehen.
Was das Kreuz betrifft: Man sagt, das Kreuz dürfe doch nicht fehlen. Wenn es fehlt, könne der Brief nicht von Paulus sein. Doch das Kreuz kommt nicht im Römerbrief und nicht im zweiten Korintherbrief vor. Im ersten Thessalonicherbrief erscheint es, im Philemonbrief nicht. Welches Recht hat man also, wegen solcher Fehlanzeigen die Pastoralbriefe für unecht zu erklären? Niemand erklärt deswegen den ersten Thessalonicherbrief für unecht, und den Philemonbrief schon gar nicht.
Der Leib Christi fehlt im zweiten Korintherbrief, im Galaterbrief, im ersten Thessalonicherbrief und in Philemon sowieso. Warum sollen nur die Pastoralbriefe dafür büßen, dass sie diesen Begriff nicht verwenden?
Der Sohn Gottes ist in den meisten Paulusbriefen zu finden, aber nicht im ersten Thessalonicherbrief und im Philemonbrief. Niemand behauptet, diese Briefe seien deswegen unecht, nur weil der Begriff Sohn Gottes fehlt.
Sie sehen also, wie mit zweierlei Maß gemessen wird. Und abgesehen davon sind diese wenigen Begriffe im Vergleich zu den hunderten von Worten im Vokabular – wir hatten sie ja eben gesehen – ohnehin etwas, das man getrost vergessen kann.
Verteilung paulinischer Vorzugsworte und deren Bedeutung
Nun ja, da haben Sie ja noch etwas mehr zu bieten. Es gibt nämlich auch diese Liste, nämlich die Verteilung der paulinischen Vorzugsworte. Wenn wir uns diese paulinischen Vorzugsworte genauer ansehen, muss man feststellen, dass sie sehr ungleich verteilt sind.
Zum Beispiel kommt das Wort „Apodneskern“ (sterben) im Römerbrief 23 Mal vor. Im Ersten Korintherbrief, der nicht viel kürzer ist, aber nur siebenmal. Im Zweiten Korintherbrief sogar nur fünfmal, im Epheserbrief viermal, im Galaterbrief zweimal, im Philipperbrief einmal, im Ersten Thessalonicherbrief zweimal, aber im Philemonbrief überhaupt nicht. Es fehlt also nicht nur in den Pastoralbriefen, sondern auch in noch drei weiteren Briefen.
Ja, „Apodneskern“ kommt 27 Mal im Ersten Korintherbrief und viermal im Zweiten Korintherbrief vor. Doch der Galaterbrief, den niemand anzweifelt, hat es nicht, und der Philemonbrief hat es ebenfalls nicht. Warum sollte man also daraus schließen, dass die Pastoralbriefe nicht echt sein können, nur weil sie dieses Wort nicht enthalten?
Oder das Wort „Hekastos“ (jeder): Das fehlt ja auch noch in anderen Briefen, nicht nur in den Pastoralbriefen. Und noch mehr Beispiele gibt es, wie die Partikel „ute“ und „sön“ und so weiter. Sie sehen, diese Vokabeln sind speziell danach zusammengestellt worden, dass sie in allen Pastoralbriefen fehlen. Dieser spezielle Zweck steht hinter der Zusammenstellung.
Und trotzdem muss man sehen, dass diese speziell ausgesuchten Wörter nicht nur in den Pastoralbriefen fehlen, sondern durchaus auch in anderen Briefen nicht vorhanden sind.
Nun scheint es etwas gewichtiger zu werden, wenn man sich die Gruppen von Vokabeln, also Wortgruppen, anschaut. Aber selbst da muss man feststellen, dass es Ausnahmen gibt.
Nehmen wir die Wortgruppe „Apokalyptin“, „Apokalypsis“ (Offenbaren, Offenbarung): Diese Begriffe fehlen nicht nur in den Pastoralbriefen, sondern auch im Zweiten Korintherbrief und im Philipperbrief. Der Erste Thessalonicherbrief enthält weder „Apokalyptin“ noch „Apokalypsis“. Und der Philemonbrief hat sie sowieso nicht.
Bei der nächsten Wortgruppe sehen Sie selbst die Fehlanzeigen. Das heißt, diese speziellen Wortfamilien, die charakteristisch für das Vokabular des Paulus sein sollen, sind keineswegs in allen ihren Formen in allen Paulusbriefen vorhanden.
Und diese Wortfamilien sind ja speziell nach dem Gesichtspunkt ausgesucht worden, dass sie in den Pastoralbriefen fehlen. Sie fehlen aber nicht nur in den Pastoralbriefen, sondern auch in anderen Briefen.
Sie sehen also: Das ist eine Mogelpackung.
Wortlisten und Argumente gegen die Echtheit weiterer neutestamentlicher Schriften
Ich gehe hier noch zu einer größeren Liste über. Dabei möchte ich eine andere Sache ansprechen. Solche Listen werden nicht nur für die Pastoralbriefe zusammengestellt, sondern zum Beispiel auch für den zweiten Petrusbrief.
Es heißt oft, der zweite Petrusbrief könne unmöglich von Petrus stammen, weil er Begriffe und Wendungen enthält, die zur hellenistischen Theologie und Philosophie des zweiten Jahrhunderts gehören. Daraus wird geschlossen, dass der zweite Petrusbrief erst von einem Judenchristen aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus geschrieben sein kann. Das klingt zunächst sehr schlüssig, denn wenn es diese Worte vorher noch gar nicht gab, dann müsste der Brief tatsächlich später entstanden sein.
Aber das stimmt so nicht. Man sieht nämlich, dass all diese Worte bereits in der Septuaginta vorkommen, der griechischen Bibel, die die christlichen Gemeinden benutzt haben. Das heißt also, der Verfasser des ersten Petrusbriefes musste nicht erst warten, bis die hellenistischen Philosophen des zweiten Jahrhunderts ihre Werke geschrieben hatten. Er konnte einfach auf das Vokabular seiner Bibel zurückgreifen.
Petrus wird dadurch also keineswegs ausgeschlossen. Er benutzte selbstverständlich auch, wenn er in den Gemeinden des Römischen Reiches diente, die Bibel, die dort verwendet wurde. Somit stand ihm dieses Vokabular zur Verfügung. Außerdem handelte es sich dabei nicht um ein spezielles Vokabular, das erst seit den hellenistischen Philosophen existierte.
Man findet diese Wörter im Neuen Testament häufig: zwanzigmal, neunundzwanzigmal, fünfmal, zweiunddreißigmal. Einige Worte kommen sogar nur einmal vor, wie etwa in Essen Habaksegumna. Das zeigt, dass es sich um gebräuchliche neuntestamentliche Wörter handelt.
Die sogenannte wissenschaftliche Theologie setzt oft Behauptungen in die Welt, die man aber nicht überprüfen darf. Würde man das tun, stellt man fest, dass diese Behauptungen überhaupt nicht stimmen. Wenn man zum Beispiel sagt, dass ein bestimmtes Wort erst von den hellenistischen Philosophen des zweiten Jahrhunderts gebraucht wurde, sollte man sich vergewissern, ob das auch zutrifft.
Dazu bräuchte man nur eine Wortstatistik, etwa eine morgendliche Statistik des neutestamentlichen Wortschatzes, aufzuschlagen. Dann könnte man das leicht überprüfen. Das ist zwar mit etwas Arbeit verbunden, aber solche Arbeit gehört dazu, wenn man den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein – und zudem den Alleinvertretungsanspruch für wissenschaftliche Arbeit erhebt.
Weitere Wortlisten und deren Bedeutung für die Echtheit der Pastoralbriefe
Nun, es gibt natürlich auch Listen, die etwas gewichtiger sind. Harrison hat beispielsweise eine Liste mit 88 Worten zusammengestellt, die in den Pastoralbriefen fehlen. Er meinte dann, man würde doch keinen Wert darauf legen, wenn das eine oder andere Wort auch mal in den Pastoralbriefen fehlen würde. Aber niemand könnte doch annehmen, dass Paulus plötzlich seinen ganzen Wortschatz nicht mehr gebraucht hätte.
Wir wissen, dass der Römerbrief einen Wortschatz von 1066 Worten hat, und der gesamte paulinische Wortschatz sich in der Größenordnung von 2645 Worten bewegt. Also ist es nicht so dramatisch mit diesen 88 Worten, die speziell danach ausgesucht wurden, dass sie in den drei Pastoralbriefen nicht vorkommen.
Wenn man aber genau hinschaut, sieht man hier, wo überall keine Zahlen stehen. Das heißt, der größere Teil dieser Worte kommt überhaupt nicht in allen paulinischen Briefen vor. Nehmen wir nur mal das erste Wort: Es kommt im Römerbrief nicht vor, in Philippa nicht, und auch weder im ersten noch im zweiten Thessalonicherbrief. Oder hier, ein Wort, das haben wir gerade einmal im Römerbrief. Die drei großen Briefe haben es nicht.
Wenn man sich das genauer anschaut, könnte man sich dem noch intensiver widmen. Aber man sieht: Diese 88 Worte sind nicht Worte, die Paulus sonst immer überall in sämtlichen Briefen gebraucht hätte und plötzlich nur in den Pastoralbriefen fehlen. Sondern er gebraucht sie auch sonst nicht.
Das ist doch einfach haarsträubend. Man sagt, nein, das ginge ja nicht, wenn Paulus plötzlich in den Pastoralbriefen Wörter nicht gebraucht hätte, die doch immer zu seinem Wortschatz gehören. Und dann stellt man fest, wenn man genau hinschaut, dass er diese Worte auch in anderen Briefen nicht verwendet. Manche fehlen im Römerbrief, manche im Ersten Korintherbrief, manche im Zweiten Korintherbrief, im Galaterbrief, im Philippabrief oder im Ersten Thessalonicherbrief.
Das ganze Argument ist hinfällig. Es würde nur dann etwas bewirken, wenn wenigstens diese 88 Worte, wenn man sie schon speziell herausgesucht hat, in allen als echt gehaltenen Briefen vorkämen. Dann hätte das Argument vielleicht ein kleines bisschen Gewicht, obwohl 88 eine kleine Auswahl ist, wenn man den Gesamtwortschatz von 2645 Worten betrachtet. Das ist ja auch nicht so gravierend.
Aber nicht einmal das trifft zu. Und so etwas wird einem als Argument vorgelegt.
Hier ist die nächste Liste: Es sind 112 Partikel, Pronomina und dergleichen, die ebenfalls speziell danach ausgesucht wurden, dass sie in den Pastoralbriefen nicht vorkommen. Man muss aber Folgendes beachten: Wenn man hört, dass 112 Partikel sonst bei Paulus vorkommen, nur nicht in den Pastoralbriefen, muss man sehen, dass von diesen 112, die angeblich in zehn Briefen vorkommen und nur in den dreien nicht, etwa 36 Worte sowieso nur in einem Paulusbrief vorkommen.
Das heißt, sie fehlen nicht nur in den drei Pastoralbriefen, sondern auch in neun weiteren Paulusbriefen. Wie kann man da in Bezug auf die Pastoralbriefe sagen, sie könnten nicht echt sein, weil diese Partikel fehlen, wenn man das bei den anderen Paulusbriefen nicht auch sagt?
Wenn das Fehlen dieser Partikel ein Zeichen für Unechtheit ist, dann gilt das nicht nur für die Pastoralbriefe, sondern für alle Briefe, in denen sie fehlen.
Im Grunde müsste man diese Liste von 112 Partikeln schon mal auf 78 zusammenstreichen. Das käme der Realität näher.
Von diesen restlichen sind etliche nur in zwei Briefen vorhanden. Das heißt, sie fehlen nicht nur in den drei Pastoralbriefen, sondern auch in acht weiteren Paulusbriefen. Andere sind in drei Briefen vorhanden, fehlen also außer in den Pastoralbriefen noch in sieben weiteren Paulusbriefen. Wieder andere sind in vier Briefen vorhanden, fehlen also noch in sechs weiteren Paulusbriefen.
Erst hier, bei einer kleinen Menge, kommt es zu einem anderen Bild: Einige fehlen in mehr als fünf Briefen, aber auch hier fehlen sie je nach Fall außer in den drei Pastoralbriefen noch in fünf, vier, drei oder zwei weiteren Briefen.
Keine dieser Partikel ist in allen zehn Briefen vorhanden. Das Höchste, was vorkommt, ist, dass sie in neun Briefen benutzt werden.
Und dann sagt man, die Pastoralbriefe können nicht echt sein, weil ihnen diese Partikel fehlen.
Dabei sind hier nur die Partikel ausgesucht, die in den Pastoralbriefen fehlen. Es sind aber nicht alle paulinischen Partikel. Es gibt nämlich noch 77 weitere, die in den Pastoralbriefen enthalten sind.
Man kann also nicht einfach 112 auf der einen Seite und 77 auf der anderen gegenüberstellen. Denn man muss die Partikel, die nur einmal vorkommen, abziehen. Dann hat man auf der einen Seite 78 und auf der anderen Seite 77.
Diese Liste legt einem Herrrichson vor. Er bringt dann einige fragwürdige Argumente, die man im Buch nachlesen kann. Ich will sie hier nicht wiedergeben. Falls noch Zeit ist, kann ich sie später vorlesen.
Das, was für die Echtheit spricht, wird überschlagen oder unterschlagen. Was gegen die Echtheit spricht, wird aufgelistet und aufgebauscht. Zum Beispiel wird die Liste von 78 Partikeln aufgeblasen zu einer Mogelpackung von 112.
So wissenschaftlich ist die angeblich wissenschaftliche Theologie – immer nur darauf bedacht, solche Briefe als unecht zu erklären.
Hapaxlegomena als Argument gegen Echtheit und deren statistische Verteilung
Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen die Echtheit einiger neutestamentlicher Schriften ist die Vielzahl der Hapaxlegomena, also der Wörter, die nur ein einziges Mal im Neuen Testament vorkommen. Beim Kolosserbrief werden beispielsweise zwei Argumente gegen seine Echtheit vorgebracht, eines davon ist die hohe Zahl der Hapaxlegomena.
Merkwürdigerweise wird jedoch nicht allgemein aufgezeigt, wie groß die Zahl der Einmalworte in den einzelnen Schriften ist, die als unecht verdächtigt werden. Dies geschieht nur dann, wenn es ins eigene Argumentationsschema passt. So findet man bei der Zweiten Thessalonicherbrief niemals eine Erwähnung der Zahlen, denn damit ließe sich kein überzeugendes Argument aufbauen. Bei anderen Schriften werden wiederum andere Argumente verwendet, man ist also nicht auf das Argument der Hapaxlegomena angewiesen.
Es wird zudem nicht aufgelistet, wie die Zahl der Hapaxlegomena in den sogenannten „echten“ Briefen des Neuen Testaments verteilt ist. Das zu verschweigen, ist keine wissenschaftliche Vorgehensweise. Wissenschaftliche Arbeit würde vielmehr so aussehen, dass man zunächst für jede neutestamentliche Schrift die Zahl der Hapaxlegomena ermittelt, also den Anteil der Wörter, die nur ein einziges Mal im Neuen Testament vorkommen.
Anschließend müsste man diese Zahl ins Verhältnis zum gesamten Vokabular der jeweiligen Schrift setzen. Denn es macht natürlich einen Unterschied, ob eine Schrift mit einem Vokabular von etwa 300 Worten zehn Hapaxlegomena enthält oder ob eine Schrift mit tausend Worten dieselbe Anzahl aufweist. Danach könnte man eine Liste erstellen, wenn denn die geringe Zahl von Hapaxlegomena als Kriterium für Echtheit gelten soll. Man würde dann mit der Schrift beginnen, die die wenigsten Hapaxlegomena aufweist.
So würde wissenschaftliche Arbeit aussehen. Ich habe die Analysen durchgeführt, die die historisch-kritischen Theologen versäumt haben. Hier sind die Ergebnisse: Das Johannesevangelium hat am wenigsten Hapaxlegomena, aber dann folgt bereits der Zweite Thessalonicherbrief, der ja für unecht erklärt wird. Wenn die geringe Anzahl an Hapaxlegomena ein Echtheitskriterium wäre, wäre das schon ein Grund, diesen Brief als echt anzusehen.
Dann folgen der Philemonbrief und der Erste Thessalonicherbrief. Der Judasbrief, der ebenfalls für unecht erklärt wird, weist vergleichsweise wenige Hapaxlegomena auf und steht immerhin auf Platz fünf. Danach kommt der Markusbrief. Der Epheserbrief, der ebenfalls als unecht gilt, nimmt Platz acht ein, und der Kolosserbrief, für den die hohe Zahl der Hapaxlegomena eines von zwei Argumenten gegen die paulinische Urheberschaft ist, liegt immerhin noch auf Platz zehn.
Der allgemein als echt angesehene Philipperbrief belegt nur Platz elf. Der Erste Petrusbrief befindet sich auf einem respektablen Platz dreizehn, gefolgt vom Judasbrief auf Platz vierzehn. Danach folgen der Titusbrief, der Erste Korintherbrief – den niemand je verdächtigt hat – der Zweite Korintherbrief und die Offenbarung. Erst auf Platz neunzehn findet sich der Römerbrief. Niemand verdächtigt den Römerbrief, aber wenn die Vielzahl der Hapaxlegomena ein echtes Kriterium für Unechtheit wäre, würden sich die Bewertungen völlig verschieben.
Solche Argumente lassen sich nur so lange verwenden, wie man die Leser im Unwissen lässt. Der gewöhnliche Nutzer einer Einleitung ist meist ein Student, der nicht nachprüft und oft gar nicht weiß, wie er das tun sollte. Außerdem beschäftigt man sich meist nur kurz vor dem Examen mit der Einleitung, denn zuvor erhält man die Informationen vom Professor im Proseminar.
Vor dem Examen nimmt man die Angaben meist nur auf, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Man lernt sie auswendig, um sie später im Examen abrufen zu können. Nach der Doktorprüfung ist es meist nur noch eine Wiederholung, und als Professor erinnert man sich an die Studienzeit und gibt das Wissen an die Studenten weiter. So funktioniert das System.
Diese Argumente halten einer gründlichen Prüfung nicht stand. Die Situation wird noch problematischer, wenn man nicht nur die Hapaxlegomena betrachtet, sondern das gesamte paulinische Vokabular analysiert. Entschuldigen Sie, dass einige Begriffe auf Englisch sind. Es geht hier um das fehlende Vokabular und darum, dass dies kein Argument gegen die Echtheit ist.
Man muss sich zunächst darüber im Klaren sein, wie die Verhältnisse im Vokabular grundsätzlich sind. Solange man diese Grundlagen nicht berücksichtigt, ist man nicht in der Lage, den Einzelfall angemessen zu beurteilen.
Das paulinische Vokabular und seine Verteilung in den Briefen
Das paulinische Vokabular besteht nicht aus einer Durchfehlerzahl, sondern aus einer konsistenten Anzahl von Wörtern. Es umfasst zweitausendsechshundertvierzig Worte, von denen eintausendeinhundertfünfunddreißig nur einmal vorkommen. Das bedeutet, dass 42,91 Prozent, also fast 43 Prozent des paulinischen Vokabulars, in den dreizehn paulinischen Briefen nur ein einziges Mal vorkommen.
Ein großer Teil des Vokabulars jedes einzelnen paulinischen Briefes erscheint nur einmal darin. Wenn im langen Römerbrief ein Wort nur einmal vorkommt, kann man nicht erwarten, dass es im kurzen Titusbrief auch noch einmal vorkommt. Darüber hinaus gibt es weitere eintausendeinunddreißig Worte, die zwei- bis fünfmal vorkommen.
Wenn man die Worte zusammenzählt, die einmal vorkommen, und die, die zwei- bis fünfmal vorkommen, kommt man auf 81,89 Prozent. Grob gesagt, also etwa 82 Prozent des Wortschatzes in den Paulusbriefen, kommen nicht öfter als fünfmal vor. Die Hälfte davon kommt nur einmal vor, der Rest zwischen zwei und fünf Mal.
Da es dreizehn Paulusbriefe gibt, kann man nicht erwarten, dass sämtliche Worte in jedem Paulusbrief vorkommen. Selbst im günstigsten Fall, wenn die Worte zwei- bis fünfmal vorkommen, heißt das nicht, dass sie alle fünfmal vorkommen. Manche kommen zweimal vor, manche dreimal, einige vier- oder fünfmal. Das verteilt sich ziemlich gleichmäßig. Das reicht aber nicht für dreizehn Briefe.
Es ist daher völlig absurd, einen Brief als unecht zu bezeichnen, nur weil bestimmtes Vokabular fehlt. In jedem der Paulusbriefe fehlt ein großer Teil des paulinischen Vokabulars, wie wir gleich sehen werden.
Das Vokabular der paulinischen Briefe nach meiner Berechnung:
- Römerbrief: 1066 Wörter
- Korinther: 960 Wörter
- Korinther: 788 Wörter
- Galater: 526 Wörter
- Epheser: 529 Wörter
- Philipper: 444 Wörter
- Kolosser: 432 Wörter
- Thessalonicher: 364 Wörter
- Thessalonicher: 252 Wörter
- Timotheus: 516 Wörter
Ich werde diese Liste nicht weiter vorlesen, sondern sie gleich in der Reihenfolge ordnen. Ich beginne mit dem Paulusbrief, bei dem am wenigsten Vokabular fehlt, nämlich dem Römerbrief. Das ist der Brief mit dem umfangreichsten Vokabular. Kein anderer Paulusbrief hat mehr als tausend Wörter, der Römerbrief hat 1066.
Selbst dem Römerbrief, der das größte Vokabular aller Paulusbriefe hat, fehlen 1590 paulinische Worte. Und dennoch wagen manche, den Pastoralbriefen Unechtheit zu bescheinigen, nur weil ihnen 88 Worte des paulinischen Wortschatzes fehlen – und das sind alle drei Pastoralbriefe zusammen.
Dem ersten Korintherbrief fehlen 1655 Worte, dem zweiten Korinther 1857 Worte. Der nächste in der Rangfolge ist der erste Timotheusbrief. Ob man es glaubt oder nicht, er steht noch besser da als der Galater, der Philipper und der erste Thessalonicher, die als echt gelten. Dem ersten Timotheus fehlen immerhin nur 2107 Worte, dem Epheser 2116, dem Galater 2119 Worte.
Noch vor dem Philipper und dem ersten Thessalonicher, die als echt gelten, kommt der zweite Timotheus, dem 2082 Worte fehlen. Dann folgt der Philipper mit 2001 fehlenden Worten, der Kolosser mit ebenfalls 2001, und der erste Thessalonicher, dem 2021 Worte fehlen. Danach kommt der Titus, dem 2340 Worte fehlen, der zweite Thessalonicher mit 2393 fehlenden Worten und das Schlusslicht bildet der Philemonbrief, dem 2506 Worte des paulinischen Wortschatzes fehlen.
Niemand hat je behauptet, der Philemonbrief könne nicht echt sein, nur weil ihm so viel vom paulinischen Wortschatz fehlt.
Sie sehen also, wie hier gearbeitet wird. Das ist ein Hexenprozess, keine wissenschaftliche Arbeit. Das ist, als würde eine Frau der Hexerei angeklagt, und man sucht nach Gründen für die Anklage. Man sagt: „Sie hat rote Haare, also ist sie eine Hexe.“ Der Bürgermeister im Ort hat vielleicht auch rote Haare, aber niemand verdächtigt ihn, ein Hexer zu sein. Deshalb schadet es ihm nicht, dass er rote Haare hat.
So wird hier gearbeitet – das ist keine wissenschaftliche Arbeit.
Historische Argumente gegen die Echtheit der Pastoralbriefe
Bisher haben wir vor allem über fehlende oder vorhandene Worte gesprochen. Doch das sind nicht die einzigen vorgebrachten Argumente. Es gibt zum Beispiel auch geschichtliche Argumente. Schauen wir uns diese einmal an.
In den Pastoralen Briefen heißt es, dass sich dort die Probleme der dritten urchristlichen Generation widerspiegeln. Sie wissen, die Pastoralbriefe sind der erste und zweite Timotheusbrief sowie der Titusbrief. Wenn das stimmt, kann Paulus natürlich nicht der Verfasser dieser Briefe sein. Das ist die klare Aussage, dass es sich um Pseudepigraphen handelt.
Nun wollen wir uns ansehen, welche Argumente dafür vorgebracht werden, dass es Pseudepigraphen sind. Es heißt, die kirchliche Verfassung sei weiter fortgeschritten als bei Paulus. Nicht mehr die Hausgemeinde, sondern die nach dem Modell des antiken Hauses gegliederte Ortsgemeinde bilde die Organisationsstruktur (vgl. 1. Timotheus 3,15; 2. Timotheus 3,20; Titus 1,7).
Überlegen wir zunächst, was es mit der Hausgemeinde auf sich hat. Es geht um die Frage, ob diese Behauptung einer Nachprüfung standhält: Nicht mehr Hausgemeinde, sondern Ortsgemeinde. Hausgemeinde kann im doppelten Sinne verstanden werden: Entweder wird die Hausgemeinde nur von den Angehörigen eines Haushalts gebildet, oder die Gemeinde hält ihre Versammlungen in einem Privathaus ab.
Im letzteren Fall besteht kein Gegensatz zwischen Hausgemeinde und Ortsgemeinde. So versammeln sich heute manche kleinere Gemeinden in Privathäusern. Das antike Haus eines wohlhabenden Bürgers konnte im Atrium mehr als hundert Personen fassen. Ein Unterschied zur Zeit des Paulus, also der ersten Generation, ist nicht erkennbar. Schon damals gab es Hausgemeinden im weiteren Sinne, wie aus 1. Korinther 11,20-22 deutlich wird.
Ich lese die Stelle vor: 1. Korinther 11,20-22: "Wenn ihr zusammenkommt, so ist es nicht möglich, das Herrenmahl zu essen, denn jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg, und der eine ist hungrig und der andere ist trunken. Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen oder zu trinken, oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, welche nichts haben? Was soll ich euch sagen, soll ich euch loben? Hierin lobe ich euch nicht."
Offensichtlich trifft man sich hier nicht im eigenen Haus, um das Abendmahl zu feiern, denn es wird gesagt, dass man Häuser hat, in denen man vorher das Mahl einnehmen kann. Es handelt sich hier also um Hausgemeinde im weiteren Sinne.
Es gab auch die Möglichkeit, sich in einem gemieteten Gebäude zu versammeln. So lesen wir zum Beispiel in Apostelgeschichte 19 über Ephesus. Schauen wir genauer hin: Apostelgeschichte 19,9 heißt es: "Als aber einige von ihnen sich verhärteten und schlechtredeten von dem Volk, trennte er sich von ihnen, das heißt von denen, die in der Sonderlehre waren, und sonderte die Jünger ab und redete täglich in der Schule des Tyrannus."
Die Schule des Tyrannus war also ihr Versammlungsraum. Die Unterscheidung von Hausgemeinde und Ortsgemeinde lässt sich daher nicht als Indiz für die Entstehungszeit der Pastoralen Briefe verwenden. Auch die angegebenen Bibelstellen sind hierfür nicht geeignet.
Sehen wir uns diese Stellen an:
1. Timotheus 3,15: "Wenn ich aber zögere, damit du weißt, wie man sich verhalten muss im Hause Gottes, das ist die Gemeinde, dass die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit."
Hier wird die Gemeinde selbst als Haus Gottes bezeichnet. Es geht nicht um die Gemeindestruktur, ob Hausgemeinde oder Ortsgemeinde. Das Haus Gottes ist kein Gebäude, sondern die Gemeinde des lebendigen Gottes. Es ist weder Ortsgemeinde noch Hausgemeinde, noch wird ein Gebäude genannt.
Ebenso ist es in 2. Timotheus 2,20: "In einem großen Haus aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die einen zur Ehre, die anderen aber zur Unehre."
Hier wird kein Versammlungsort genannt, keine Ortsgemeinde, keine Hausgemeinde. Die Rede ist von Gefäßen in einem Haus und später vom Hausherrn. Dies bezieht sich auf die Seinen. Von Gemeindestruktur ist nichts zu lesen.
Auch in Titus 1,7 heißt es: "Denn der Aufseher muss untadelig sein, als Verwalter nicht eigenmächtig, nicht jähzornig, nicht dem Wein ergeben, nicht Einschläger, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, sondern gastfrei, das gute Leben, gerecht und heilig usw."
Was hilft uns das für die Frage der Organisationsstruktur der Gemeinde? Diese Stelle wird einfach angegeben. Schnell, schnell, schnell! Normalerweise lesen Benutzer eine Einleitung ins Neue Testament nicht nach, wenn eine Bibelstelle angegeben ist. Die wenigsten Theologiestudenten haben ihre Bibel dabei. Könnte es nicht sein, dass man auf einen Bischof kommen will? Sagen, da stand schon "Bischöfe"? Ja, das kommt noch anderswo.
Hier geht es noch um die Unterscheidung von Hausgemeinde. Es heißt weiter: Episkopen, Presbyter und Diakone werden durch Handauflegung anderer kirchlicher Autoritäten auf Dauer in ihr Amt eingeführt. Sie haben ein Recht auf Unterhalt.
Ich übergehe jetzt erst einmal die Stellenhaft, die gehe ich gleich ein. Zunächst heißt es, Handauflegung zur Einführung in ein Amt ist kein Kennzeichen der dritten urchristlichen Generation. Sie fand bereits in der Urgemeinde statt, etwa in Apostelgeschichte 6,6 bei der Einsetzung der Diakone und in Apostelgeschichte 13,3, wo Paulus und Barnabas als Missionare ausgesandt und ihnen die Hände aufgelegt werden.
Kommen wir zu den angegebenen Stellen:
1. Timotheus 4,14: "Vernachlässige nicht die Gnadengabe in dir, die dir gegeben ist durch Weissagung mit Handauflegung der Ältesten."
Hier ist von einer Gnadengabe, eines Charismas die Rede, nicht von einer Amtseinführung. Welches Charisma genannt wird, steht nicht da.
Lesen wir die zweite Stelle: 2. Timotheus 1,6: "Um dieser Ursache willen erinnere ich dich daran, die Gnadengabe Gottes anzufachen, die in dir durch das Auflegen meiner Hände ist."
Ein Amt muss nicht "angefacht" werden. Wenn die Gnadengabe gleichbedeutend mit der Einführung in ein Amt wäre, wäre die Aufforderung, die Gnadengabe anzufachen, sinnlos. Das Charisma ist in Timotheus; ein Amt ist nicht in dem Amtsträger. Er soll es nicht vernachlässigen, sondern daran denken und es anfachen. Das sind Aussagen, die man nicht mit einem Amt verbinden kann.
Die nächste Stelle ist 1. Timotheus 1,18: "Dieses Gebot vertraue ich dir an, mein Kind Timotheus, nach den vorausgegangenen Weissagungen über dich, damit du durch sie den guten Kampf kämpfst."
Auch hier ist nicht vom Amt die Rede.
Dann 1. Timotheus 3,1-7 und 8-13 sowie Titus 1,6-9. Wir können nicht alles einzeln lesen, aber Titus 1,6-9 sagt nichts über die Organisationsstruktur aus. Ich lese die Stelle aus dem Titusbrief vor:
Titus 1,6-9: "Wenn jemand untadelig ist, Mann einer Frau, gläubige Kinder hat, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt oder aufsässig sind; denn der Aufseher muss untadelig sein, als Gottesverwalter, nicht eigenmächtig, nicht jähzornig, nicht dem Wein ergeben, nicht ein Schläger, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, sondern gastfrei, das Gute liebend, besonnen, gerecht, heilig, enthaltsam, der an der der Lehre gemäßen zuverlässigen Wort festhält, damit er fähig sei, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen."
Es steht dort, aber es wird nicht gesagt, dass sie durch Handauflegung anderer kirchlicher Autoritäten auf Dauer in ihr Amt geführt werden. Davon ist in diesen Versen keine Rede. Es gibt wohl eine Stelle, die das Recht auf Unterhalt erwähnt, aber das kommt später.
Es wird hier jedenfalls nichts genannt, was Paulus nicht auch bei jemandem vorausgesetzt hätte, den er als Ältesten in einer von ihm gegründeten Gemeinde eingesetzt hat.
Weiter wird behauptet, es gebe einen Unterschied zwischen der charismatisch-funktionalen Gemeindestruktur des Paulus und einem System von Amtsträgern in den Pastoralen Briefen.
Wenn Timotheus in beiden Briefen aufgefordert wird, die Gnadengabe, die in ihm ist, nicht zu vernachlässigen, sondern sie anzufachen, steht das im Einklang mit Römer 12,3-8 und nicht im Gegensatz dazu.
Eine dreifache hierarchische Stufung Episkopoi, Presbyteroi, Diakonoi liegt in den Pastoralen Briefen nicht vor. An keiner Stelle finden sich die drei Gruppen zusammen.
In 1. Timotheus 3,1-13 werden nur Aufseher und Diakone aufgeführt. Diese Zusammenstellung ist keine Neuerung, die erst in den Pastoralbriefen auftaucht, sondern findet sich bereits in Philipper 1,1.
Was in 1. Timotheus 5,17-21 in Bezug auf die Ältesten gesagt wird, muss sich auf dieselbe Gruppe beziehen, die in 3,1-7 als Aufseher bezeichnet wurde.
Andernfalls ergäbe sich das Kuriosum, dass die Presbyter Unterhalt und Ehrenschutz bekommen sollen, die Aufseher dagegen nicht.
Die angeführten Textstellen liefern kein Indiz dafür, dass die Pastoralbriefe eine Gemeindestruktur widerspiegeln, die erst in die dritte urchristliche Generation gehört.
Soweit für heute. Wir müssen pünktlich um 18 Uhr schließen wegen der Abendveranstaltung. Wir haben aber noch etwa dreiviertel Stunde Zeit für Rückfragen.
Reaktionen auf Kritik an der Bibelkritik und wissenschaftliche Anerkennung
Ich nehme an, dass Ihre Kritik an der Bibelkritik nicht ungehört oder unbelesen bleiben wird. Welche Reaktionen erhalten Sie? Meinen Sie wirklich, dass einer der Bibelkritiker meine Kritik an der Bibel auch nur kritisch liest? Nein, so läuft das nicht. Man hält nur das für wissenschaftliche Literatur, was in einem entsprechenden Verlag erscheint. Nehmen wir an, das wären Verlage wie Siebeck und Mohr oder van den Hoek und Ruprecht. Oder wie war das noch mit dem einen Verlag in Berlin? Der Name fällt mir gerade nicht ein. Würde etwas dort erscheinen, würde man es anerkennen.
Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich selbst historisch-kritischer Theologe war. Damals hatten wir Berufungsgeld, um Bücher anzuschaffen. Verlage wie Brockhaus kamen damals überhaupt nicht in Frage, oder? Zwar war der Brockhaus Verlag damals noch etwas anders, aber grundsätzlich galt das als allgemein erbaulich. Unsere Leute brauchten jedoch wissenschaftliche Literatur.
Unter der Würde, sage ich mal. Unter der Würde war das. Ja, genau. Schau mal: Unter der Literatur zählt das nicht als wissenschaftlich. Ja, aber die Bücher sind erstens bei Henster erschienen und jetzt bei dem noch relativ neuen Verlag Vtr. Und wie gesagt, überhaupt...
Ich gehöre doch nicht mehr zu dem Laden, für die bin ich doch tot. So etwas, was denen widerspricht, wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Sie erkennen nur an, was historisch-kritisch ist. Was nicht mehr historisch-kritisch ist, wird nicht als wissenschaftlich anerkannt.
Deshalb ist es so ein Jammer, wenn die lieben jungen evangelikalen Theologen ringen. Sie wollen auch gerne als wissenschaftlich anerkannt werden. Sie arbeiten ja auch viel ordentlicher als das Gros der historisch-kritischen Theologen. Doch sie können sich noch so sehr abstrampeln, sie haben keine Chance, als wissenschaftlich anerkannt zu werden. Es sei denn, sie machen weitreichende Kompromisse.
Zum Beispiel die Universität Basel: Die theologische Fakultät hielt es für unter ihrer Würde, eine Stiftungsprofessur für Rainer Riesner zu akzeptieren. Man musste nicht mal dafür bezahlen, sondern nur bereit sein, ihn in die Fakultät aufzunehmen. Und das war schon zu viel verlangt. Das war nicht etwa von Göttingen oder Tübingen, sondern von diesem nicht so berühmten Haufen in Basel.
Nein, für die bin ich tot! Wahrheit gibt es für die nicht, oder wie? Sie handeln gegen ihre eigenen Prinzipien. Theoretisch müssten sie sich mit allem befassen, was wirklich sauber methodisch gearbeitet ist. Praktisch tun sie es aber nicht. So ist das eben.
Die nehmen das nicht zur Kenntnis. Es ist fast noch schlimmer, dass viele der lieben Evangelikalen das ebenfalls nicht zur Kenntnis nehmen. Wie wenn die Zeitschrift Der Spiegel etwas veröffentlicht und es als Wahrheit darstellt. Ja, ja, das ist klar. Aber auch sonst gilt das allgemein: Das ist Wissenschaft. Wissenschaftliche Ergebnisse, wo außer Hypothesen nichts da ist, werden verbreitet, als wären es Fakten, nicht?
Diskussion um das Thomas-Evangelium und Q
Im Zusammenhang mit Selbstheilung wird oft das Stephanusevangelium zitiert. Ein Stephanusevangelium habe ich jedoch noch nie gehört. Das ist aber ein großer Unterschied, nicht wahr? Das Thomas-Evangelium kenne ich natürlich.
Wenn es von den Kirchenvätern erwähnt wird, wird es immer als häretisches beziehungsweise gnostisches Evangelium bezeichnet. Ursprünglich wurde es verhältnismäßig spät datiert. Die Fassung, die wir haben, ist vollständig, stammt aber aus dem vierten Jahrhundert.
Dann hat man zwei Fragmente gefunden, die im Thomas-Evangelium vorkommen. Darauf sind zwei oder drei Logien, ich weiß nicht genau, also zumindest ein kleines Stück, das auch im Thomas-Evangelium vorkommt. Diese Fragmente wurden schon um 140 n. Chr. im sogenannten Oxyrhynchus-Papyrus gefunden.
Nun gut, wenn es den Oxyrhynchus-Papyrus um 140 gab, ist das noch lange kein Beweis dafür, dass es damals das gesamte Thomas-Evangelium gab. Denn dieser Papyrus ist nur ein isoliertes Stück. Es wäre genauso gut möglich, dass es dieses Stück für sich schon gab und dass es später Eingang in das Thomas-Evangelium fand.
Dennoch hält man das für ausreichend, um das Thomas-Evangelium ins zweite Jahrhundert zu datieren. Das einzige vollständige Exemplar, das wir haben, stammt jedoch aus dem vierten Jahrhundert.
Weil es nun zwei kleine Fragmente gibt, in denen zwei oder drei Verse vorkommen, die später auch im Thomas-Evangelium erscheinen, ohne dass man mehr hat – anders als beim Markusfragment, bei dem Vorder- und Rückseite beschrieben sind – hält man es für wahrscheinlich, dass es diese Passagen schon für sich gab.
Man sagt dann: Man kann sehen, dass es so ein Evangelium schon damals gab. Dieses wird im Zusammenhang mit Q verwendet.
Q gilt als das älteste Evangelium. Doch es gibt ein Problem: Wir haben Q nicht als vollständiges Dokument. Wie kommt man also an Q? Man schreibt aus Matthäus und Lukas heraus, was beide Evangelien gemeinsam haben, aber nicht bei Markus steht, und nennt das dann Q.
Dabei sind in Q keineswegs nur Logien enthalten. Es gibt sogar eine Wundergeschichte, und es sind nicht nur Worte Jesu, sondern auch Worte des Täufers enthalten. Es ist eine sehr gemischte Sammlung.
Das wird dann als Q erklärt. Man will den Beweis führen, dass es ein Evangelium war. Die Evangelien Matthäus, Markus, Lukas und Johannes haben alle eine Passionsgeschichte und berichten alle von der Auferstehung Jesu. Solche Elemente fehlen in dem, was man für Q hält.
Gerade das ist es aber, was den Leuten sympathisch ist: In Q wird Jesus nicht als Gottes Sohn bezeichnet, und von seiner Auferstehung wird nicht gesprochen. Nur stellt sich die Frage, wie man überhaupt sagen kann, dass das ein Evangelium war, vorausgesetzt, es hat es jemals gegeben. Das wird einfach unterstellt.
Dann kommt einem das Thomas-Evangelium zu Hilfe und sagt: Hier haben wir doch ein Beispiel dafür, dass es so ein Evangelium gegeben hat. Dabei muss man jedoch Folgendes wissen: Das Thomas-Evangelium ist ein gnostisches Evangelium.
In einem gnostischen Evangelium kann man natürlich nicht erwarten, dass Jesus als Gottes Sohn bezeichnet wird. Ebenso wenig kann man dort eine Passionsgeschichte oder Berichte von der Auferstehung Jesu erwarten.
Das sind nun die Besonderheiten eines häretischen Evangeliums einer bestimmten Richtung. Trotzdem wird einfach behauptet, das sei die Normalform des Evangeliums gewesen.
Völlig unterschlagen wird, dass das Thomas-Evangelium ein häretisches, spezifisch gnostisches Evangelium ist. Es wird nur gesagt: Da kann man sehen, dass ursprünglich das Evangelium so war und nicht so, wie wir es in Matthäus, Markus, Lukas und Johannes haben.
So läuft die Sache.
Die Funde von Qumran und ihre Bedeutung für das Neue Testament
Frau Präsidentin! Wie kann man mit den Funden von Qumran umgehen? Die Funde von Qumran betreffen weniger das Neue Testament, sondern vielmehr das Alte Testament. Man muss dort aber auch Funde von Markus finden. Ach so, das meinten Sie – ja, das muss einem gesagt werden.
Die Funde von Qumran sind unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es den Propheten Jesaja. Damit haben wir ein vorchristliches Jesajabuch und können feststellen, dass der Text des Qumran, den wir später haben, mit dem masoretischen Text praktisch identisch ist, abgesehen von ganz kleinen Lesartabweichungen, die man vernachlässigen kann. Ähnlich verhält es sich mit dem Habakuk. Dort sind noch viele weitere Schriften vorhanden.
Wenn es aber um dieses Markus-Fragment geht, nun ja, ich habe mich mit dieser Sache nie ausführlich befasst, aber ich habe ein bisschen Bauchweh. Natürlich ist es kein Problem, wenn das Markus-Evangelium von Sommer 64 bis 66 entstanden ist und diese Höhle im Jahr 68 versiegelt wurde, dass ein Fragment einer Markus-Handschrift in diese Höhle gelangt ist. Ich muss das Markus-Evangelium deswegen nicht vordatieren. Allein aus dem Befund, dass diese Höhle 68 versiegelt ist, muss ich nicht den Schluss ziehen, dass es das Markus-Evangelium, ich glaube, es war 1944 schon gegeben hat. Das lässt sich dadurch gar nicht beweisen, sondern nur, dass es schon vor der Versiegelung der Höhle existiert haben muss. Das Jahr 68 ist hier genannt, und das kann natürlich sein.
Jetzt ist aber die andere Frage: Handelt es sich wirklich bei diesem kleinen Fragment – es ist ungefähr so groß wie ein Stück aus dem Markus-Evangelium – um das, was behauptet wird? Und da stört mich einiges.
Zunächst einmal zur Datierung: Für die Frühdatierung wird Irenäus einfach beiseitegeschoben und zum „bösen Mann“ erklärt, um mit seiner Datierung durchzukommen. Das finde ich falsch. So sollte man damit nicht umgehen. Mit welchem Recht? So arbeitet kein anständiger Historiker.
Das ist falsch an diesem Fragment. Am Fragment selbst ist nicht etwas falsch, aber wenn ich 17 Hypothesen brauche, um so einen kleinen Schnipsel als das zu erklären, was er sein soll, dann sind mir das ein paar Hypothesen zu viel. Das ist mein Problem damit. Andere denken vielleicht anders, aber ...
Vorhin kam ein sehr gutes Wort, und zwar Wahrheit. Philippe hat auch schon nach der Wahrheit gefragt. Für mich ist das so: Eine Hypothese ist ja eine Unterstellung, dass etwas so sein soll. Eine Vermutung. Ja eben, eine Unterstellung ist eine Vermutung.
Und wenn ich im Einzelnen, um dann am Ende zu dem Urteil zu kommen, ja, es ist eine Vermutung, dass es so ist, dass es so ist, dass es so ist, dass es so ist – dass das ein Stück aus dem Markus-Evangelium ist – vorher auf siebzehn Vermutungen angewiesen bin, die nichts als Vermutungen sind, dann ist mir das zu unsicher. Auf so etwas sind wir doch gar nicht angewiesen bei Gottes Wort.
Wir wissen sowieso: Wir haben klares Wort von den Kirchenvätern, zum Beispiel von Irenäus, dass das Markus-Evangelium eben nach dem Tod von Petrus und Paulus geschrieben ist. Das reicht doch. Da muss ich doch nicht noch unbedingt versuchen, sozusagen auf den Punkt genau zu beweisen, dass es hier schon als Text nachweisbar war um 68.
Wenn es das ist und wenn es das ohne Schwierigkeiten gibt, habe ich ja nichts einzuwenden. Aber dann noch zu versuchen, es früh zu datieren, das meine ich nicht. Die Evangelien werden nicht glaubwürdiger, wenn wir sie auf etwa 40 ansetzen, als wenn wir uns an das halten, was das altkirchliche Zeugnis ist, nämlich Matthäus um 63 erschienen und entstanden, und Markus und Lukas ab 64.
Denn ich meine, ich kann mich heute noch an Dinge erinnern, die meine Professoren gesagt haben. Bitte schön, sie waren durchaus eindrucksvolle Persönlichkeiten, aber sie waren schlussendlich nicht Jesus, oder? Und dass jemand, der Jesus selbst gehört hat und gesehen hat, was er getan hat, sich mit einem Zeitabstand von 33 Jahren noch daran erinnern kann, ist ja nun wirklich nicht unwahrscheinlich.
Wozu muss ich das nun runtermogeln und aus den 33 Jahren 13 Jahre machen? Das ist kein Unterschied. Man kann sich überlegen, an was man sich noch alles erinnert, was die Eltern gesagt haben. Vor allem diejenigen, die hier vor mir mit grauen Haaren sitzen.
Ich glaube nicht, dass da einer ist, der sich nicht noch an das erinnert, was seine Eltern oder seine Lehrer gesagt haben oder seine Geschwister, als er Kind war. Das ist doch nicht so, als ob man nach zehn, fünfzehn Jahren alles vergessen würde. Vieles behält man doch sein Leben lang, vor allem das, was besonders wichtig und eindrucksvoll ist.
Und wenn jemand, der einem wichtig ist, etwas sagt, kann man das ohne Weiteres wiederholen. Ich kann jetzt noch etwas wiedergeben, was in einer besonderen Situation von Bultmann gesagt wurde, nicht wortwörtlich, bitteschön, denn das ist praktisch ein Apothem, und dann würde auch die Pointe weggehen, wenn man es nicht so wortwörtlich brächte.
Aber das ist doch gar kein Problem: Das Gedächtnis hält die Lebenszeit an. Die Jünger haben die Worte Jesu immer wieder memoriert und dadurch erhalten. Also nicht sehr viel, weil das alles so Sachen sind. Ja, nun gut, bei den Rabbinern war es so – wer sagt denn, dass Jesus es genauso gemacht hat? Wir haben dafür keinen Beweis. Man kann sich eine ganze Menge denken, aber das macht es doch nicht zur Tatsache.
Und Jesus war ja nun mal kein Rabbinerschüler. Er wurde als Rabbi bezeichnet, weil er lehrte, aber er war nicht in der Rabbin. Es gibt keinen Bericht, dass er so bei Paulus Wissen war, dass er zu Füßen Gamaliers saß, dass er von Gamaliel unterrichtet worden ist. Das wissen wir.
Und wenn Jesus so unterrichtet worden wäre, würden wir es auch wissen. Nun aber: Er hat doch schon im Alter von zwölf Jahren den Rabbinern Unterricht erteilt. Also er hat ihnen nicht Unterricht erteilt, sondern er hat ihnen Fragen gestellt und so weiter. Aber das war ja kein formalisierter Unterricht. Er hatte ja keine Position als Lehrer. Er kam als Knirps dahin und stellte den Rabbinern Fragen.
Und wenn sie dann antworteten, war es offensichtlich so, dass er dann – ja, wahrscheinlich hat er nachgefragt, ja, aber, ja, aber – und so weiter. Dann kam heraus, was Jesus wusste und was die Rabbin nicht wussten. Aber er war ja nicht im Tempel in Jerusalem als Lehrer eingestellt.
Nachdem er dort einmal gewesen war, war er wahrscheinlich Bar Mizwa, Sohn des Gesetzes, und durfte dann zum ersten Mal nach Jerusalem. Dann heißt es ja auch, er ordnete sich weiter seinen Eltern unter. Er hatte keine Lehrposition.
Paulus selbst hatte noch keine. Er war zu jung. Er war zu früh mit seinen Studien fertig, vor seinen Altersgenossen, sagt er in Philipper 3, und deshalb konnte er natürlich auch nicht als Rabbi eingesetzt werden. Da muss man nämlich erst 30 Jahre alt sein.
In dieser Zeit hatte er wohl offensichtlich eine Art Adjutanten- oder Assistentenstellung beim Hohen Rat gehabt, und die konnten ihn dann auf seinen Drängen auch nach Damaskus schicken. Aber wir haben keinen Anhaltspunkt, dass Jesus ein autorisierter Rabbi gewesen wäre.
Aber er war ein Lehrer. Es heißt doch auch, er redet mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten. Dass man so jemanden dann den Ehrentitel „Lehrer“ gibt, muss einen ja nicht wundern. Aber das heißt ja nicht, dass er ein institutionell eingesetzter Rabbi ist.
Meine Meinung: Es gibt ja Streitfragen, und wir wollen sie ja nicht danken. Da steht Johannes 2, da wird er auferstanden von den Toten, da dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten dem Wort, dem Verschriftlichten und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.
Das heißt ja: Im Johannes-Evangelium am Anfang war das Wort. Hier ist das Wort selbst, Gott das Wort selbst. Und das Testament heißt Testament. Auch wenn es dir nicht gefällt, darf ich es nicht ändern. Entweder kannst du es annehmen, das Testament, oder verwerfen, aber dann ändern oder verwässern – das machen die eigentlich nicht so richtig. Da bin ich nicht einer Meinung.
Aber ich sehe jetzt etwas anderes, sage ich mal. Da habe ich herausgefunden, wo wir irgendwelche Dinge gelesen haben, die nicht zusammenpassen. Ich sage: Nach der Auferstehung wurden den Jüngern die Augen geöffnet. War das vorher so, dass sie das Wort nicht verstanden? Es steht bei ihm in verschiedenen Episoden, sie verstanden Bahnhof, sie haben das nicht verstanden.
Und Petrus, der hat eben auch, ich sage: Lass Feuer vom Himmel regnen und so weiter, der hat es geradezu gewiesen, der hat auch nicht kapiert, was er wollte. Er war ein Lehrer, praktisch die Gerechtigkeit war er selbst, und das Wort Gottes war er selbst, meiner Auffassung nach.
Nach der Auferstehung sind ihm die Augen aufgegangen und dann sind sie angefangen, aufzuschreiben und meinen, dass wir das halten. Aber er hat unterschiedlich, und er hat zehn oder zwanzig Jahre ...
Zum Beispiel: Wenn eine Stadt oder ein Ort ein Jubiläum hat – 14 oder 1200 Jahre – findet man eine Urkunde mit einem Datum. Kein Evangelium, keine Paulus-Schrift gibt ein Datum an. Wenn man da anfängt zu datieren, ist es reine Spekulation, ob man dafür Anhaltspunkte hat.
Ich glaube, dass die Jünger nach der Auferstehung das erkannten. Es wäre insofern reine Spekulation, die Datierung freihändig zu machen.
Wenn wir aber bei Leuten sind, die verhältnismäßig noch dicht an den Evangelien dran waren, wie zum Beispiel Papias – das war ja die erste nachapostolische Generation – und der hat gesagt, dass Matthäus sein Evangelium auf Aramäisch schrieb zu der Zeit, als Petrus und Paulus die Gemeinde in Rom stärkten.
Das heißt, damit hat er eine Zeitangabe gegeben. Er hat sie nicht in Ziffern angegeben, aber in einer deutlichen Bezeichnung der Situation. Also kann ich nur gucken, wann das denn zutrifft, dass sie beide die Gemeinde in Rom stärken. Und dann komme ich eben auf das Jahr 63.
Dieses Papias-Zitat kann man am einfachsten finden, wenn man eine Synopse anguckt, und da sind diese Dinge angegeben, da kommt man am einfachsten dran. Das habe ich nicht erfunden, also das ist nun wirklich so.
Das Gleiche gilt für das Zitat von Irenäus, Bischof von Lyon um 170. Damit haben wir einen Zeitanhaltspunkt, nicht? Er hat gesagt, dass nach dem Exodus von Petrus und Paulus – und das kann man auch definieren – da sind sich die Alten der Kirchenzeit ziemlich einig, dass dafür das Jahr 64 in Frage kommt, nämlich die neronische Verfolgung im Sommer 64.
Das hat man sich nicht ausgedacht, sondern das ist ein gegebenes Datum. Wenn also Markus und Lukas anfingen zu schreiben nach dem Exodus von Petrus und Paulus, dann haben wir einen angegebenen Zeitpunkt, nämlich das Jahr 64, und zwar Sommer 64, als den historisch vorgegebenen Ausgangspunkt.
