Einstieg und Thema der Predigt
Als ich gefragt wurde, ob ich zur Gemeindefreizeit komme und etwas sagen möchte, habe ich mich gefreut.
Dann hat Erich mich gefragt, welches Thema ich mir vorstellen könnte. Ich antwortete, ihr könnt euch alles aussuchen, Hauptsache, es ist von Paulus geschrieben. Irgendwann sagte er dann: „Philipperbrief.“
Da dachte ich: Okay, Gerrit, jetzt hast du dich weit aus dem Fenster gelehnt. Denn ich glaube, der Philipperbrief ist von allen Briefen, die Paulus geschrieben hat, der schwierigste. Nicht zum Verstehen, sondern vom Anspruch her. Ich denke, es ist wirklich der Brief, bei dem die Latte am höchsten liegt. Ihr habt euch da also einiges zugemutet.
Normalerweise sagt man, ein Prediger soll nur das predigen, was er selbst gelebt hat. Da müsste ich bei diesem Brief einiges weglassen. Meine Ausrede ist immer, dass ich darüber sprechen muss, weil es ja da steht. Warum ich trotzdem darüber spreche, werde ich an der entsprechenden Stelle erklären.
Heute Abend gibt es eine kleine Einleitung, morgen früh noch eine weitere Einleitung, und dann fangen wir richtig an.
Soziale Kontakte und christliche Verantwortung in Krisenzeiten
Vor zwei Jahren – ich weiß nicht, wie das bei euch in Österreich war – hat Frau Merkel in Deutschland gesagt, wir sollen unsere sozialen Kontakte auf das Nötigste reduzieren. Das war eine ziemlich wörtliche Aussage. Dabei habe ich mich gefragt: Was ist für Christen bei sozialen Kontakten das Nötigste?
Denn wir als Christen leben ja ein Stück weit von Gemeinschaft und sozialen Kontakten. Wir sind dazu da, miteinander zu leben, gemeinsam einen Weg zu gehen und einander zu helfen sowie zu dienen. Dabei gibt es zwei Ebenen – oder gab es zwei Ebenen, die zum Teil auch heute noch in den Köpfen existieren –, über die man sich Gedanken machen kann.
Die eine Ebene ist: Wenn ich jemanden gefährde, muss ich vielleicht überlegen, ob ich den Kontakt für eine Zeit reduziere. Es gibt besonders gefährdete Gruppen, denen schnell etwas passieren kann. Es gibt aber auch Menschen, die man nicht unbedingt zu diesen Gruppen zählen würde und denen dennoch schnell etwas passieren kann. Ich kenne persönlich zwei Männer in Verantwortung, die so alt oder jünger als ich waren und im letzten Jahr an Covid gestorben sind. Ein Ältester aus der Nachbargemeinde und der Leiter eines Freizeitheims, in dem wir öfter Freizeiten machen. Der eine war genauso alt wie ich, der andere fünf Jahre jünger.
Ja, es gibt Gefährdung, und ja, wir tragen irgendwo Verantwortung. Aber ist das wirklich das, was man sich dann tatsächlich überlegt? Oder ist es nicht oft eher die Überlegung, dass wir uns selbst schützen wollen und deshalb Kontakte reduzieren? Für Christen ist das eine ganz andere Frage.
Ich meine, die Christenheit ist wahrscheinlich gerade dadurch groß geworden im römischen Reich, dass sie sich nicht von den Menschen zurückgezogen hat, als die großen Cholera-Epidemien in den ersten Jahrhunderten durchs römische Reich gingen. Die Christen waren diejenigen, die sich nicht aufs Land geflüchtet haben, sondern die Kranken versorgt haben.
Das hat dem Christentum einen Schub gegeben wie sonst wahrscheinlich nichts in seiner Geschichte, weil Christen da waren, die nicht gesagt haben: „Ich will mich selbst schützen.“
Zentrale Themen des Philipperbriefs: Gemeinschaft und persönliche Hingabe
Im Philipperbrief geht es sehr viel um Gemeinschaft. Es geht darum, persönliche Risiken auf sich zu nehmen und auf persönliche Interessen zu verzichten – alles um anderer Willen. Das wollen wir uns heute kurz anschauen.
Bei einem Brief muss man immer zuerst die Frage stellen: Wer hat ihn eigentlich geschrieben und an wen ist er gerichtet? Ein Brief ist ja nicht einfach nur ein Stück Literatur. Es gab Dichter und Schriftsteller, die Briefe schrieben, die nur als Literaturform gedacht waren – Briefe, die nie abgeschickt wurden. Sie haben ihre Gedanken einfach in Form eines Briefes festgehalten.
Manchmal lesen wir biblische Briefe, also neutestamentliche Briefe, so, als wäre genau das passiert: Jemand wie Paulus hätte sich in einem Arbeitszimmer hingesetzt und einen Brief geschrieben, in den er geistliche Gedanken gepackt hat. Aber so war das nicht. Es waren Menschen, Christen aus Fleisch und Blut, an die Paulus geschrieben hat. Zum Teil waren das Christen, die er selbst zum Glauben gebracht hatte oder zumindest die er an einem Ort in Bewegung gesetzt hatte. Er schrieb diese Briefe manchmal noch mitten in seiner Missionstätigkeit.
Beim Philipperbrief liegen zwar einige Jahre zwischen Paulus’ erstem Besuch und dem Brief, aber wenn wir zum Beispiel einen Thessalonicherbrief betrachten, dann sehen wir, dass Paulus noch auf der gleichen Reise war, als er den Brief schrieb – nur wenige Monate oder knapp ein Jahr später. Das bedeutet: Er war mitten im Leben, noch nicht zu Hause, hat sich das alles nicht erst in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und dann geschrieben, sondern der Brief entstand mitten in der Arbeit.
Diese Briefe sind lebendig. Sie zeigen eine lebendige Beziehung zwischen dem Autor und den Empfängern. Das vergessen wir oft. Wir denken: „Das ist vom Heiligen Geist, das ist irgendwie an die Menschen geschrieben.“ Wir lesen dann einen Vers und nehmen ihn für uns. Aber die Frage, was der Vers für den ursprünglichen Empfänger bedeutete und wie die Beziehung zwischen Autor und Empfängern war, überspringen wir oft.
Das raubt uns viel von dem Reichtum, der in diesen Briefen steckt – in diesen Beziehungen, die Gott dort hineingelegt hat. Gott spricht durch solche Briefe, aber Inspiration bedeutet nicht, dass jemand mit geschlossenen Augen die Feder aufs Papier gesetzt hat und der Heilige Geist einfach seine Hand geführt hat, bis am Ende ein Brief herauskam.
Inspiration funktioniert eher so, wie ich es immer mit einer guten Sekretärin vergleiche: Der Chef sagt, über diese Themen möchte ich einen Brief. Die Sekretärin, die ihren Chef sehr gut kennt, schreibt den Brief. Der Chef liest ihn, sagt: „Das hätte ich gerne anders, das und das auch.“ Dann bekommt er die zweite oder dritte Version, bis er sagt: „Okay, jetzt unterschreibe ich das.“ Das ist dann sein Brief.
So ist es auch mit den Briefen des Neuen Testaments. Es ist der Brief des Heiligen Geistes, aber gleichzeitig steckt viel von der Persönlichkeit des „Sekretärs“ Paulus darin. Sonst wären die Paulusbriefe, die Petrusbriefe und die Johannesbriefe alle im gleichen Stil geschrieben, denn es ist ja derselbe Heilige Geist. Aber es gibt unterschiedliche Stile, weil es unterschiedliche Autoren sind.
Und selbst die Paulusbriefe haben unterschiedliche Stile, weil sie zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Situationen geschrieben wurden.
Hintergrund und Entstehung des Philipperbriefs
Okay, lange Vorrede. Paulus und die Philippa. Ihr seid alle gut vorbereitet, habe ich gerade mitbekommen. Also machen wir das nur ganz kurz.
Paulus war auf seiner sogenannten zweiten Missionsreise. In der Bibel werden die Reisen nicht durchnummeriert, aber die zweite Missionsreise stimmt wahrscheinlich noch. Bei jeder Missionsreise, die größer als zwei ist, war er am Ende der zweiten Missionsreise achtzehn Monate lang in Korinth. Ist er dann wirklich noch unterwegs? Ist das noch eine Reise? Ich weiß nicht. Für mich ist die Reise da zu Ende.
Die dritte Missionsreise: Wenn ihr in irgendwelchen Büchern nachschaut, war er drei Jahre in Ephesus. Ich meine, Leute, da ist er einfach umgezogen. Sorry, wenn ich drei Jahre irgendwo bin, ist es keine Reise mehr. Das Erste war eine richtige Reise, und das Zweite war bis Korinth eine Reise. Die vierte Missionsreise war sowieso nicht freiwillig, da ist er mit dem Schiff als Gefangener gefahren.
Okay, aber hier sind wir noch mitten in der zweiten Missionsreise. Es ist tatsächlich eine Reise. Er ist mit Silas unterwegs und Timotheus, am Anfang zwischendurch wahrscheinlich mit Lukas. Viele von euch kennen die Geschichte, und wer sie nicht so genau kennt, der muss sie einfach nochmal nachlesen. Am Anfang von Apostelgeschichte 16 steht es geschrieben.
Paulus hatte ursprünglich die Idee, in die Provinz Asia zu reisen, also wahrscheinlich direkt nach Ephesus, wo er ja auch ein paar Jahre später hinkam. Aber der Heilige Geist hat gesagt: Nein, das ist nicht dran. Okay, dann hat er beschlossen, nach Norden Richtung Schwarzes Meer zu reisen. Dort gab es ziemlich dicht besiedelte Provinzen. Der Heilige Geist hat wieder gesagt: Nein.
Manchmal funktioniert Führung so, oder? Manchmal setzt man sich hin und sagt: Gott, wo soll ich hingehen? Und dann wartet man so lange, bis etwas kommt. Paulus ist nicht so. Er ist losgegangen mit einem Ziel, das in seinen Augen vor Gott vernünftig war. Dann musste Gott das Ziel korrigieren, und das war völlig in Ordnung so.
Er ist, wie gesagt, später nach Ephesus gekommen. Zum Schwarzen Meer ist er wahrscheinlich nie gekommen. Der erste Petrusbrief ist in dieser Region am Schwarzen Meer entstanden. Wahrscheinlich war Petrus inzwischen mit seinem Team dort, und Paulus hat gesagt: Muss ich nicht mehr hin.
Gut, dann war er, glaube ich, ein bisschen orientierungslos und ist nach Troas, einer großen Hafenstadt, gegangen. Er hat gesagt: So, jetzt ist das ganze Mittelmeer offen, und wenn du jetzt nicht zeigst, wo ich hingehen soll, dann fahre ich zurück. Das steht nicht in der Bibel, aber es wirkt ein bisschen so. Er geht in Richtung Schwarzes Meer, aber nichts war, also geht er zum größten Hafen in der Nähe. Dort hat er die Option, irgendwo hinzufahren oder nach Hause zu fahren.
In Troas erscheint ihm im Traum ein mazedonischer Mann. Immer eine spannende Frage: Woran hat er ihn eigentlich erkannt, dass er aus Mazedonien war? Wahrscheinlich an der Tracht.
Dieser mazedonische Mann sagt zu ihm im Traum: Komm mal rüber und hilf uns. Und jetzt passiert etwas ganz Spannendes, weil wir gerade beim Thema Führung waren.
Paulus geht nicht einfach zu seinem Team, also zu Silas und Timotheus und wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt auch zu Lukas, und sagt: Gott hat zu mir im Traum geredet, wir müssen nach Mazedonien, auf geht’s! Stattdessen schreibt Lukas, dass Paulus ihnen den Traum erzählt hat und sie gemeinsam die Schlussfolgerung gezogen haben, dass sie nach Mazedonien sollen.
Das heißt, Paulus hat nicht einfach gesagt: Ich habe jetzt eine Führung, und keiner im Team kann etwas dagegen sagen. Sondern er hat es dem Team gesagt, und sie haben gemeinsam entschieden, dass das jetzt Führung Gottes ist.
Ein sehr interessantes Prinzip für Führung. So viele Leute treffen sehr einsame Entscheidungen, weil sie der Meinung sind, dass Gott sie geführt hat. Meistens haben sie eine Führung erlebt, die weniger klar ist als die, die Paulus hier hatte. Und selbst Paulus hat erst seine Geschwister gefragt, ob das jetzt wirklich Führung Gottes ist.
Sehr spannend, aber eigentlich nicht unser Thema.
Die Gemeindegründung in Philippi
Sie brachen tatsächlich auf in Richtung Mazedonien und setzten mit dem Schiff von Troas aus über, als Paulus den Hafen benutzte. Die erste große Stadt, die sie in Mazedonien erreichten, war Philippi. Philippi war, wie es heißt, die erste oder wichtigste Stadt dieser Provinz, allerdings nicht die Hauptstadt. Die Hauptstadt war Thessalonich, wohin sie später kamen, aber Philippi war eine bedeutende Stadt. Im Laufe dieses Wochenendes werde ich noch einige Sätze dazu sagen, was das Besondere an Philippi war.
Für Paulus war das Besondere an Philippi, dass es im Gegensatz zu einigen anderen Städten, in denen er bisher war – nicht allen, aber einigen – den großen Vorteil hatte, dass es dort eine jüdische Synagoge gab. Die Juden waren zu dieser Zeit im gesamten Mittelmeerraum zerstreut. Hauptsächlich hatten sie oft einzelne Kolonien oder Stadtviertel in den großen Zentren und Städten besetzt. Wenn eine gewisse Anzahl von Juden beziehungsweise jüdischen Männern in einer Stadt lebte, hatten sie das Recht, dort eine eigene Synagoge zu bauen. In späteren Jahrhunderten waren es mindestens zehn jüdische Männer, die dafür nötig waren. Ob das im ersten Jahrhundert auch so war, weiß niemand genau.
Oft wird bei der Betrachtung, wie es bei den Juden damals war, auf Unterlagen aus dem zwölften Jahrhundert zurückgegriffen und einfach angenommen, dass es immer so gewesen sei. Das wissen wir jedoch nicht. Wahrscheinlich war es im Prinzip ähnlich: Wenn eine gewisse Zahl jüdischer Gläubiger vorhanden war, wurde eine Synagoge gebaut. In Philippi gab es jedoch keine solche Synagoge. Das war schade, weil Paulus gerne zuerst in die Synagogen ging. Dort gab es nicht nur Juden, sondern vor allem Menschen, die für das Evangelium besonders empfänglich waren.
Diese Menschen waren oft keine Juden, sondern Männer, die nicht beschnitten waren – Griechen, Römer oder andere. Sie hatten erkannt, dass das, woran sie bisher glaubten, wenig Sinn ergab. Ein Gott wie Zeus, der ab und zu vom Berg herabsteigt, um sich eine hübsche Frau zu suchen, war für gebildete römische und griechische Frauen keine attraktive Religion. Deshalb waren viele von ihnen schon seit Jahren in den Synagogen. Der eine Schöpfergott der Juden war für sie viel glaubwürdiger.
Lest einmal die Apostelgeschichte, und ihr werdet feststellen, dass sich oft viele aus dieser Gruppe bekehrt haben. Viel mehr als echte Juden, also solche, die von Geburt her Juden waren, haben sich diese Menschen bekehrt. Es waren Leute, die schon auf der Suche waren, diesen Gott bereits gefunden hatten, aber nicht so sehr in den familiären jüdischen Traditionen verhaftet waren. Für sie war das Evangelium oft viel offener zugänglich als für viele Juden selbst.
In Philippi fand Paulus eine Art Gebetsstätte. Wahrscheinlich trafen sich dort einige Juden, aber auch Interessierte, meist Frauen, an einem Ort am Fluss. Mit ihnen kam Paulus ins Gespräch über das Evangelium.
Die Bekehrung von Lydia und die ersten Gemeindemitglieder
Und die erste, die sich bekehrt hat, war eine Frau mit Namen Lydia und ihr Haushalt. Wir wissen nicht, ob sie ledig geblieben war, verwitwet oder geschieden. Es wirkt jedoch sehr so, als hätte sie zu diesem Zeitpunkt keinen Mann gehabt, denn es wird einfach gesagt, es ist ihr Haushalt.
Sie führte das Geschäft, war eine Purpurhändlerin und stammte ursprünglich nicht aus Philippi, sondern aus einer Stadt, die viel mit Purpur gehandelt hat. Wahrscheinlich war sie eine Frau, die es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte, denn Purpur war ein Luxusgut. Ihre Kunden gehörten zu den reichsten Leuten der Stadt.
Wenn man Händler ist und die Kunden die reichsten Menschen der Stadt sind, bleibt meist auch etwas für einen selbst hängen. Man kann daher davon ausgehen, dass sie nicht verarmt war. Sie hatte einen Haushalt, Angestellte und ihr eigenes Geschäft.
Sie hat sich bekehrt – und zwar wirklich gründlich, von Herzen. Vielleicht lesen wir dazu einmal zwei Verse aus der Apostelgeschichte, Kapitel 16, Verse 14 und 15:
„Und eine gewisse Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, die Gott anbetete...“
Dieser Ausdruck „Gott anbeten“ bedeutet, dass sie offensichtlich nicht aus jüdischem Hintergrund stammte, sondern aus dem griechisch-römischen. Menschen, die sich den Juden angeschlossen hatten und in anderen Städten in Synagogen gingen, nannte man „Gottverehrende“. Sie gehörten eigentlich nicht zum Volk Gottes, aber sie verehrten Gott. So jemand war Lydia auch.
Sie hörte Paulus zu, und der Herr öffnete ihr Herz, sodass sie auf das achtete, was Paulus sagte. Nachdem sie getauft worden war – offensichtlich hatte sie einen großen Einfluss auf die Leute, die bei ihr arbeiteten oder zu ihrer Familie gehörten, wahrscheinlich beides – bat sie sie mit einem interessanten Satz:
„Wenn ihr urteilt, dass ich dem Herrn treu bin“ – oder man kann es auch übersetzen mit „wenn ihr denkt, dass ich wirklich gläubig bin“ – „kehrt in mein Haus ein und bleibt.“
Wahrscheinlich hatte das Missionsteam sich bisher irgendwo eingemietet, in den ersten Tagen oder Wochen, wie lange auch immer es gedauert hat, bis Lydia sich bekehrt und taufen ließ. Das heißt, sie hatten wohl in einem Gasthaus übernachtet, was im Römischen Reich üblich war, und dort bezahlt.
Jetzt, als Lydia gläubig war, sagte sie: „Das geht nicht, dass ihr bei anderen Leuten wohnt. Es geht schon gar nicht, dass ihr Geld für eure Unterkunft ausgebt. Ihr seid hier mit einem Auftrag, und ihr zieht jetzt als Team bei mir ein.“
Dann steht der schöne Nachsatz: „Und sie nötigte uns.“ Sie hat sie quasi moralisch gezwungen, denn sie sagte: „Wenn ihr denkt, dass ich wirklich gläubig bin, dann solltet ihr bei mir einziehen.“ Nach dem Motto: „Wenn ihr nicht bei mir einzieht, haltet ihr mich eben nicht für gläubig oder vertrauenswürdig. Was ist hier eigentlich los?“
Paulus sagt, sie habe Druck auf uns ausgeübt – das ist das, was er mit anderen Worten meint. Sie legte wirklich Wert darauf, dass die Missionare bei ihr wohnten, solange sie in Philippi waren.
Wahrscheinlich hat sich die anfangende kleine Gemeinde dann auch zumindest am Anfang bei ihr im Haus getroffen. So jemand war Lydia.
Wahrscheinlich hat sie die Gemeinde von Anfang an geprägt. Jemand, der solchen Wert auf Gastfreundschaft legt, der Missionare wirklich unterstützt mit dem, was er zur Verfügung hat, hat den Ton und die Gesetze der Gemeinde mitbestimmt – was wichtig war und worauf es ankam.
Weitere Gemeindemitglieder und Herausforderungen
Wir wissen ansonsten wenig darüber, welche Leute sich in diesen Wochen in Philippi bekehrt haben. Lukas nennt nur noch ein Beispiel.
Als Nächstes erzählt Lukas von einer Frau, die besessen ist und durch diese Besessenheit die Fähigkeit besitzt, wahrsagen zu können. Das heißt, Leute kommen zu ihr und bezahlen dafür, dass sie ihnen die Zukunft sagt oder ihnen etwas mitteilt, was sie nicht wissen. Denn manchmal geht es ja gar nicht um die Zukunft. Manchmal kommt eine Frau und will wissen, mit welchen Frauen ihr Mann sonst noch unterwegs ist. Das ist keine Zukunftsvorhersage, sondern etwas, das die Ehefrau nicht weiß.
Also ist diese Frau jemand, der Wahrheiten sagt, etwas, das in der Zukunft liegt oder zumindest auf normalem Weg nicht leicht herauszufinden ist. Offensichtlich hat das tatsächlich funktioniert. Es war keine reine Scharlatanerie, sonst hätten sie wohl nicht so viel Geld damit verdienen können. Vor allem wäre es sonst nicht aufgefallen, dass der Dämon nach der Austreibung verschwunden ist.
Paulus hat diesen Dämon von der Frau ausgetrieben, weil er den Eindruck hatte, dass sie durch diese Besessenheit wirklich gequält wird. Für sie war das nichts Tolles. Für diejenigen, die sie ausgebeutet und das Geld kassiert haben, war es jedoch sehr lukrativ. Paulus konnte das irgendwann nicht mehr ertragen und trieb den Dämon aus.
Danach funktionierte das Wahrsagen offensichtlich nicht mehr. Es war also tatsächlich etwas, das wirksam war. Magie ist nicht nur Scharlatanerie, sondern funktioniert manchmal tatsächlich.
Es steht nirgends, ob diese junge Frau sich bekehrt hat oder zur Gemeinde kam. Lukas erwähnt das nicht, wir wissen es nicht. Oft wird gesagt, sie sei sicher auch jemand in der Gemeinde gewesen, wenn man Kommentare liest, aber es steht nicht im Text.
Wir wissen nicht, was mit ihr weiter passiert ist. Vielleicht ist sie wieder nach Hause gezogen und irgendwo anders hingegangen. Vielleicht hat sie sich bekehrt, vielleicht auch nicht.
Was aber durch diese Geschichte passiert ist und warum Lukas sie wohl erzählt, ist Folgendes: Die Geschäftsleute, die das Geld aus der Frau herausgezogen hatten, waren ziemlich sauer. Denn plötzlich brach ihr Geschäftszweig völlig weg.
Sie veranstalteten einen Aufstand und erzählten in der öffentlichen Versammlung in Philippi Dinge, die wahrscheinlich nicht einmal zur Hälfte stimmten. Durch geschickte Manipulation brachten sie die Menge dazu, einen Aufstand zu machen. Die Verantwortlichen der Stadt ließen Paulus und Silas öffentlich mit Ruten schlagen und ins Gefängnis werfen.
Gefangenschaft und Befreiung von Paulus und Silas
Der Gefängniswärter hat sie sicher verwahrt. An Schlaf war nicht zu denken, denn sie waren in einer Haltung eingespannt – in den Stock, das heißt, sie konnten nicht schlafen. Außerdem waren sie frisch mit Ruten ausgepeitscht worden, und die Wunden waren, wie Lukas später erwähnt, nicht versorgt worden. Deshalb konnten sie nicht schlafen.
Weil sie sowieso nicht schlafen konnten, haben sie in der Nacht gesungen. Diese Geschichte kennen viele von euch schon, auch aus der Kinderstunde. Vielleicht erinnert sich jemand mit einem Lächeln daran, dass es dann ein Erdbeben gab – offensichtlich ein übernatürliches.
Dieses Erdbeben bewirkte, dass die Türen der Zellen aufsprangen und die Ketten sich lösten. Das ist nicht das, was ein normales Erdbeben normalerweise macht. Auf jeden Fall waren die Missionare jetzt frei.
Der Kerkermeister, vermutlich ein römischer Veteran, reagierte darauf. Wahrscheinlich war er ein älterer Soldat, der nicht genug Pension bekam, um davon leben zu können, und sich deshalb bei seinem Altersruhesitz noch einen Job gesucht hatte. So ist es das Wahrscheinlichste, auch wenn es nicht ausführlich beschrieben wird.
Sein Verhalten lässt den Eindruck entstehen, dass er ein einfacher Mann war. Er geriet schnell in Panik und wollte sich umbringen, weil er dachte, die Gefangenen seien entkommen. Als Gefängnisverantwortlicher konnte er wegen eines Ausbruchs hingerichtet werden.
Die Umstände waren jedoch so speziell, dass er zumindest auf ein besonderes Urteil hätte hoffen können. Er war so sehr mit seinem Selbstmordgedanken beschäftigt, dass die Missionare im Gefängnis hörten, was er draußen vorhatte. Sie griffen ein und retteten ihn vor dem Selbstmord.
Er bekehrte sich, zum einen aufgrund des Wunders, das er erlebt hatte, zum anderen, weil die Missionare noch da waren. Ich möchte dazu noch zwei oder drei Verse vorlesen, aus Apostelgeschichte 16. Es ist irgendwie süß, wie er sich verhält:
„Und er führte sie heraus und sprach: Herr, was muss ich tun, um errettet zu werden? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus. Und sie redeten das Wort des Herrn zu ihm samt allen, die in seinem Haus waren. Er nahm sie in jener Stunde der Nacht zu sich, wusch ihnen die Striemen ab. Er wurde getauft, er und alle, die zu ihm gehörten. Und er führte sie hinauf ins Haus, setzte ihnen einen Tisch vor und frohlockte an Gott, gläubig geworden zu sein mit seinem ganzen Haus.“
Zuerst nimmt er sie sozusagen „ins Büro“ und lässt sich das Evangelium erklären. Dann holt er alle, die zu seinem Haushalt gehören, damit auch sie das Evangelium hören. Zuerst wäscht er ihnen die Wunden aus.
Als er sicher war, dass er jetzt gerettet ist, ließ er sich gleich taufen. Das muss da auch irgendwie unmittelbar zusammengehören. Danach nimmt er sie mit in seinen Privathaushalt.
Dort gibt es dann ein riesiges Essen. Alles, was noch in der Tiefkühltruhe war, wird herausgeholt und in die Mikrowelle gesteckt. Ein großer Tisch wird aufgebaut, und man kann sich das richtig vorstellen – er freut sich. Er ist gläubig geworden, und zwar mit seinem ganzen Haus.
Das ist etwas Besonderes – diese totale, fast schon naive Begeisterung für das, was da passiert ist, für den Herrn und das Evangelium, das er erlebt hat.
Ich glaube, Lukas hebt diese beiden Personen, diese zwei Haushalte, besonders hervor. Wahrscheinlich waren hier noch andere gläubig geworden. Er möchte damit zeigen, wie die Gemeinde am Anfang war.
Eine Frau, eine reiche, vornehme Frau, die in den vornehmsten Kreisen verkehrte, öffnete durch ihr Business ihr Haus und bestand darauf, dass die Missionare dort wohnten. Wahrscheinlich bestand sie auch darauf, dass sich die Gemeinde dort traf.
Dem gegenüber steht dieser wahrscheinlich einfachere, spontane Mann mit seiner übersprudelnden Begeisterung, dass er jetzt gläubig ist. Man kann sich vorstellen, dass er auch über andere Dinge einfach begeistert war.
Diese zwei Familien – oder besser gesagt zwei Haushalte – prägten wahrscheinlich die Gemeinde am Anfang. Sie brachten typische Charakterzüge in diese Gemeinde ein.
Konflikte und Abschied aus Philippi
Ja, die Verantwortlichen in Philippi müssen sich später öffentlich bei Paulus entschuldigen, weil sie ihn öffentlich auspeitschen ließen. Das war nach dem Gesetz nicht erlaubt, da Paulus und Silas die römische Staatsbürgerschaft besaßen. Trotzdem baten sie die beiden, Philippi zu verlassen, was diese auch taten. Damit endete dieser Missionsaufenthalt in Philippi.
Wir wissen nicht genau, wie lange dieser Aufenthalt dauerte – wahrscheinlich einige Wochen oder wenige Monate. Wie so oft mussten sie die Stadt wieder verlassen und die junge Gemeinde blieb sich selbst überlassen.
An dieser Stelle geschieht jedoch etwas, das nicht selbstverständlich ist und nicht immer passiert: Zwischen den Geschwistern und Paulus entsteht eine Beziehung, die sehr intensiv bleibt, auch wenn man sich nicht persönlich sieht.
Das ist für mich etwas Schwieriges. Ich habe nur wenige Menschen auf dieser Erde, mit denen ich es geschafft habe, eine intensive Beziehung aufrechtzuerhalten, obwohl man sich nicht regelmäßig sieht. Manche Menschen können das gut – sie schreiben Briefe, haben vielleicht dreißig Brieffreunde, und es fühlt sich immer so an, als hätte man sich erst gestern zuletzt gesehen. Bei mir ist das anders; es fällt mir sehr schwer, eine solche Verbindung aufrechtzuerhalten, wenn man sich nicht persönlich trifft.
Hier jedoch entstand eine Beziehung, die irgendwie erhalten blieb. Sie war von Anfang an sehr persönlich und blieb es auch weiterhin.
Die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi im Philipperbrief
Und jetzt schauen wir mal kurz in den Philipperbrief hinein. Wir beginnen hinten, denn dort steht relativ viel über diese Beziehung. Wir lesen Philipper Kapitel 4, und ich fange mal mittendrin an, nämlich in Vers 15.
Ihr wisst aber auch, ihr Philipper – ja, natürlich wisst ihr das. Wenn es nur darum gegangen wäre, dass ihr das wüsstet, Paulus, dann hätte er euch nicht noch einmal schreiben müssen. Warum schreibt er trotzdem, obwohl ihr es wisst? Er möchte, dass ihr wisst, dass er es auch noch weiß. Und er möchte, dass ihr wisst, dass ihm das, was er jetzt sagt, immer noch wichtig ist.
Ihr wisst aber, ihr Philipper, dass ihr am Anfang des Evangeliums – also nicht nur, dass ihr am Anfang des Evangeliums gehört habt, sondern als diese Missionsbewegung, die durch uns, durch Silas und mich und all diese Mitarbeiter entstanden ist, als sie noch ganz jung war –, als wir am Anfang unterwegs waren, als wir noch ein ganz kleines Team waren und wenige Unterstützer hatten, jetzt ist daraus eine große Bewegung geworden, ihr Philipper.
Aber am Anfang, als alles noch klein war, als wir bei euch zum Beispiel waren und von euch nach Thessalonich weitergezogen sind, als wir am Anfang des Evangeliums unterwegs waren, als wir aus Mazedonien weggingen – wenn wir Apostelgeschichte 17 lesen, sehen wir, dass Paulus in Mazedonien zuerst nach Thessalonich und Berea ging. Von Mazedonien weg ging er dann zuerst nach Athen. Dort wissen wir nicht, ob überhaupt etwas Bleibendes entstanden ist, und dann weiter nach Korinth.
Also, als ich aus Mazedonien wegging, das heißt, als ich damals nach Südgriechenland ging, hat mir keine Gemeinde in Bezug auf Geben und Empfangen mitgeteilt – außer euch allein. Denn auch für Thessalonich, also in der nächsten Stadt, habt ihr mir einmal und zweimal, das heißt wahrscheinlich mehrmals, für meinen Bedarf gesandt.
Das heißt, ihr Philipper, wahrscheinlich die Gemeinde in Philippi – oder vielleicht jemand anders –, habt sehr schnell gemerkt, dass die Missionskasse leer war. Am Anfang konnten sie wahrscheinlich noch die Unterkunft bezahlen, denn sie haben bei Lydia gewohnt. Aber die Geschwister haben sehr schnell gemerkt, dass nicht mehr viel in der Kasse war.
Die, die Paulus losgeschickt haben, irgendwo in Syrien an der syrischen Mittelmeerküste in Antiochien, hatten es wahrscheinlich schwer, in Kontakt zu bleiben und Geld zu schicken. Sie hatten wahrscheinlich gar keine Gelegenheit dazu.
Darum haben die Philipper sogar schon in der nächsten Station, wo Paulus war, in Thessalonich, ihn zum ersten Mal finanziell unterstützt. Wahrscheinlich nicht so viel, dass er mit seinem Team davon leben konnte, aber immerhin.
In einem Thessalonicherbrief schreibt Paulus, dass auch die Gemeinde in Thessalonich für den Unterhalt des Teams gearbeitet hat. Aber was er hier einfach erwähnt, ist: Sie haben ihn direkt von Anfang an, als die Gemeinde entstanden und junggläubig war, auf dem Schirm gehabt. Sie hatten es auf dem Herzen, ihre Missionare weiter zu unterstützen.
Und in der nächsten Stadt, wo sie waren, selbst da schon nach wenigen Wochen, haben sie ihnen zum ersten Mal Geld geschickt. Er sagt: Als wir aus Mazedonien weggegangen sind, als wir in Thessalonich waren, als wir in Berea waren, als wir die Grenzen Mazedoniens überschritten und nach Süden gingen, wart ihr die Einzigen, die uns überhaupt weiter unterstützt haben.
Paulus sagt, das habe er nicht vergessen. Das macht etwas aus an ihrer Beziehung, dass sie von Anfang an so tief verbunden waren – und das sind sie immer noch. Das hat ihm viel bedeutet.
Er schreibt hier an eine Gemeinde, die ihm seit vielen Jahren viel bedeutet: diese Gemeinde und diese Geschwister aus dieser Gemeinde, die er kennt und die ihm wichtig sind. Ich finde es total schön, das zu lesen.
Er sagt: Ihr habt teilgenommen im Geben und im Nehmen. Im Geben – ja, das ist erst mal materiell. Hier im Zusammenhang geht es um materielle Unterstützung. Sie haben ihn finanziell unterstützt, ebenso Silas und Timotheus.
Aber er steht auch im Nehmen. Und das ist wahrscheinlich nicht materiell. Ich meine, Paulus hat ihnen ja nicht das Geld zurückgeschickt. Was haben sie denn genommen? Wahrscheinlich die Anliegen der Missionare.
Sie haben ihnen wahrscheinlich nicht nur Geld geschickt, sondern auch ihre Anliegen mitgeteilt: was in der Gemeinde gerade brennt, wie es weitergeht, was sie mit dem Evangelium erleben, wer gläubig wird, wo Geschwister Not haben, wo vielleicht einzelne weggehen.
Und umgekehrt haben sie gesagt: Was ist los bei euch? Wie geht es an dem Ort, wo ihr seid? Wie läuft es in Korinth? Wir möchten für euch beten, wir möchten Anteil daran nehmen.
Paulus sagt, das habe er mit keiner Gemeinde damals so erlebt wie mit euch – eine Gemeinde, die Anteil nimmt und Wert darauf legt, dass wir weiter Anteil an ihnen nehmen als Gemeinde.
Niemand hat teilgenommen im Geben und Nehmen so wie ihr. Das waren für ihn die Philipper, das sind die Leute, an die dieser Brief geschrieben wird.
Dankbarkeit und Gebet für die Gemeinde
Schauen wir uns ganz am Anfang des Philipperbriefs an, was wir morgen früh etwas ausführlicher besprechen werden. Kapitel 1, Vers 3: „Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue.“
Wow! Paulus sagt hier, dass er jedes Mal, wenn er an die Philipper denkt, nicht umhin kommt, für sie zu danken. Wahrscheinlich meint er nicht, dass er bei jedem Gebet für sie betet, sondern dass er immer dann, wenn er an sie denkt, dankbar ist für die Verbundenheit, die er mit ihnen erlebt hat. Er dankt für jeden von ihnen.
Wir werden sehen, dass die Philipper zum Teil Probleme miteinander hatten. Paulus sagt dennoch: Es ist ganz egal, welchen Stress ihr miteinander habt, ich danke für jeden von euch. Und ich bete für jeden von euch mit Freude! Das ist etwas Schönes, wenn man das sagen kann.
In Vers 5 heißt es: „Wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium von erstem Tag an bis jetzt.“ Das entspricht genau dem, was wir gerade in Kapitel 4 gelesen haben. Sie haben Anteil genommen am Evangelium, an Paulus und den anderen Missionaren. Den Philippern war es wichtig, das Evangelium selbst zu verbreiten. Wenn wir vor allem die ersten zwei Kapitel zu Ende lesen würden, würden wir sehen, dass sie bereit waren, dafür zu leiden.
Sie haben aber nicht nur das Evangelium verbreitet, sondern auch an den Missionaren und ihrem Leiden teilgenommen. Paulus dankt ihnen, weil sie vom ersten Tag an dabei waren. In dieser Formulierung steckt ein gewisses Staunen: Sie sind nicht erst später reif geworden und dann auf die Idee gekommen, sich um Mission zu kümmern. Nein, vom ersten Tag an waren sie Teil des Teams geworden.
Deshalb betet Paulus für sie mit Freude, weil er diese Verbundenheit erlebt hat und weil sie über die Jahre gewachsen ist. Die Philipper haben ihn materiell unterstützt, aber offensichtlich war ihnen auch das Gleiche wichtig, was Paulus am Herzen lag. Das hat das Band zwischen ihnen so fest gemacht, dass Paulus spürt, dass sie für dieselben Dinge brennen, für die auch er lebt. Dieses Band hat über all die Jahre gehalten.
In Vers 7 schreibt Paulus: „Wie es für mich recht ist, dass ich dies alles über euch denke, weil ihr mich im Herzen habt.“ Er spürt einfach, dass sie ihn im Herzen tragen. Und deshalb muss er doch für sie danken, oder? Und er geht davon aus, dass ihr Weg mit dem Herrn positiv weitergeht. Wenn er nicht an sie glaubt, wer sollte es dann tun? Menschen, die ihn im Herzen haben.
Weiter heißt es: „Und sowohl in meinen Fesseln, auch in der Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums, ihr alle meine Mitteilnehmer der Gnade seid.“ Paulus sagt hier, dass sie Teilnehmer am Evangelium sind. Nun nennt er sie Mitteilnehmer. Das zeigt, dass sie ein Team sind, eine Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Ziel: die Verbreitung, Verteidigung und auch das Leiden für das Evangelium. Sie arbeiten zusammen.
In Vers 8 sagt Paulus: „Denn Gott ist mein Zeuge, ich schwöre, ich schwöre, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen Christi Jesu.“ Er meint jeden Einzelnen, auch den, den man vielleicht schwierig findet in der Gemeinde. Paulus hat eine ganz andere Sicht und eine persönliche Geschichte mit jedem von ihnen.
Er betont, dass diese Sehnsucht keine leere Floskel ist. Vor Jesus Christus kann er das sagen und beschwören. Er sehnt sich von Herzen nach jedem von ihnen, mit dem Herzen Christi Jesu. So wie Jesus sich nach ihnen sehnt, so sehnt sich Paulus nach ihnen. Das legt den Ton für diesen Brief und die Beziehung zwischen Paulus und den Philippern fest.
Er sagt dann noch: „Er ist aber mal ernsthaft, wie lange könnt ihr noch zuhören?“ Ihr seht schon müde aus. Lass uns eine Pause machen. Wenn du sagst, Gerald, jetzt musst du aufhören, dann höre ich jetzt auf. Zehn Minuten? Bis neun? Okay. Und jetzt ist passiert: Die Beziehung lebt auf.
Anlass des Briefes und aktuelle Freude
Zurück zu Kapitel vier. Bisher ging es nur um die Vergangenheit, jetzt kommen wir in die Gegenwart, zum Anlass dieses Briefes.
Paulus sagt in Vers 10: „Ich habe mich im Herrn sehr gefreut, dass ihr endlich einmal wieder aufgeblüht seid.“ Wörtlich steht hier, dass sie an ihn gedacht haben, also ganz praktisch. Sicher haben sie oft an ihn gedacht, aber ihn wirklich bedacht, obwohl ihr auch meiner gedacht habt, hattet ihr keine Gelegenheit dazu.
Er sagt, es war so schön, als Epaphroditus mit einem Brief von euch und einem materiellen Beitrag kam. Es war lange her seit dem letzten Mal. Paulus betont extra, versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass es keine Gelegenheit gab. Es soll kein Vorwurf sein, dass das letzte Mal so lange her ist. Er möchte wirklich sagen, dass es ihn total gefreut hat, als Epaphroditus kam.
Paulus war zwei Jahre weit weg im Osten, an einem Ort, den keiner von ihnen erreicht hat. Er war zwei Jahre in Caesarea im Gefängnis, im heutigen Staat Israel. Das war für die Philipper eine völlig falsche Richtung. Dort kam man nicht einfach hin, das konnte man nicht mit irgendetwas verbinden. Es gab kaum eine Chance.
Jetzt, als er in Rom war, haben sie direkt diese Gelegenheit ergriffen und einen Boten geschickt. Die erste Gelegenheit, als es wieder ging. Paulus sagt, ich habe mich sehr gefreut.
In Vers 14 sagt er: „Doch ihr habt Recht getan, dass ihr an meiner Drangsal teilgenommen habt.“ Er sagt, er hatte es wirklich nötig. Fast elf bis dreizehn Verse später legt Paulus großen Wert darauf, dass ihm diese materielle Unterstützung nicht das Wichtigste ist. Er betont, dass es ihm darauf gar nicht ankommt.
Im Laufe seines Lebens hat er gelernt, mit quasi nichts auszukommen. Er hat auch gelernt, Überfluss zu haben und damit vernünftig umzugehen. Das ist vielleicht manchmal eher unser Problem. Es geht ihm nicht so sehr darum, materiell unterstützt zu werden.
Aber dass da jemand auftaucht, das ist ihm wichtig. Zwischen den Zeilen merkt man, dass er es wirklich gebraucht hat, sonst würde er hier nicht von Drangsal sprechen. Wenn wir Kapitel zwei am Ende lesen, was wir wahrscheinlich morgen tun werden, sehen wir, dass er von Traurigkeit auf Traurigkeit spricht.
Es war offensichtlich gerade keine einfache Phase, sowohl materiell als auch emotional. Er hatte ein Haus gemietet, konnte aber kein Geld verdienen, weil er quasi unter Hausarrest war. Wie finanziert man ein gemietetes Haus plus wahrscheinlich einen Teil der Versorgung, wenn man nicht arbeiten kann? Die Versorgung wurde sicher nicht vom Staat gestellt, denn Gefangene bekamen dafür kein Geld.
Es scheint eine Phase gewesen zu sein, in der es wirklich eng war und in der das Geld von den Philippern genau im richtigen Moment kam. Trotzdem sagt Paulus, das ist nicht das, worauf es ihm ankommt. Ihm kommt es auf etwas ganz anderes an.
Er hat sich total gefreut, dass Epaphroditus kam. Vers 16 haben wir schon gelesen, Vers 17 sagt er genau das, was ich gerade zusammengefasst habe: Nicht, dass ich die Gabe suche, sondern ich suche die Frucht.
Frucht ist eigentlich nicht gut übersetzt, denn in manchen Übersetzungen steht etwas anderes. Das wollen wir jetzt nicht diskutieren. Eigentlich ist hier ein Ausdruck aus dem Geschäftsleben gemeint, nämlich der Gewinn. Das heißt, ich investiere in mein Geschäft, und am Ende habe ich nicht nur Umsatz gemacht, sondern auch Kosten gehabt. Am Ende des Monats hoffe ich, Gewinn gemacht zu haben.
Das ist das Wort, das hier steht und das wirklich ausdrückt, was dabei herausgekommen ist. Für einen Landwirt wäre es die Frucht, oder zumindest ein Teil davon.
Paulus sagt: Mir ist es nicht wichtig, euch dazu zu motivieren, mir weiter Geld zu schicken. Für mich ist es etwas ganz anderes, was ihr da schickt. Es ist die Frucht meiner Arbeit und ein Ausdruck eurer geistlichen Haltung, von dem, was euch wichtig ist.
Dass ich euch immer noch wichtig bin, dass das Evangelium und die Mission euch immer noch wichtig sind. Dass es eine große Rolle in eurem Leben spielt und aus eurem geistlichen Wachstum, eurem geistlichen Leben und eurer geistlichen Überzeugung herauskommt. Das ist ihm wichtig.
Paulus sagt, ich habe euch zum Glauben geführt, ich habe euch die ersten Schritte gelehrt. Ich bin wie euer Vater. Jetzt sehe ich, dass das irgendwie Frucht bringt, dass da etwas herauskommt.
Was ihr hier in die Arbeit investiert, wird auch wieder für euch ein Gewinn sein. Dieses Investment, das ihr jetzt gerade macht, wird Gewinn haben. Ich freue mich so für euch, freue mich über euch und für euch. Das ist es, was hier steht.
Vers 18 ist einfach. Jetzt bricht es wirklich aus ihm heraus: „Ich habe aber alles empfangen.“ Das ist eigentlich immer noch geschäftlich gemeint. Das ist der Ausdruck, der unter einem Geschäftsbrief stand. Die Rechnung ist bezahlt.
Wenn man die Zahlung bekommen hatte, schickte man das als Quittung zurück: Ich habe alles bekommen. Das klingt noch sehr geschäftlich. Bei den Römern wurden solche geschäftlichen Ausdrücke aber oft auch für Freundschaften verwendet.
Denn Business war so wichtig, dass sie viele Wörter dafür hatten. Echte Freundschaften waren selten, daher gab es wenige Vokabeln dafür. Deshalb musste man manchmal Vokabeln aus dem Geschäftsleben für Freundschaften verwenden.
Er sagt: Ich habe alles bekommen. Und es geht weiter: Ich habe Überfluss. Es ist nicht so, dass er sagen will, ihr habt jetzt viel gespendet und ich habe eine Weile materiellen Überfluss.
Nein, das meint er nicht. Er meint, ich habe alles, was ich mir wünschen kann, bekommen, weil Epaphroditus mit eurer Gabe gekommen ist.
Ich habe das Gefühl, dass ich fast platze, dass ich Überfluss habe, dass ich alles habe, was ich mir wünschen kann – nicht materiell, sondern nach wie vor an Freude, an Freude über euch.
Ich habe Überfluss, ich bin erfüllt, da ich von Epaphroditus das von euch Gesandte empfangen habe.
Jetzt wechselt er plötzlich von den geschäftlichen Vokabeln der Freundschaft in die Sprache des Gottesdienstes. Plötzlich ist er mit ihnen zusammen direkt vor Gott.
Er sagt: Ich habe eure Gabe empfangen, ein duftender Wohlgeruch. Sie meint, ihr habt nur ein bisschen Geld geschickt mit dem Brief. Aber für ihn hat es so viel Bedeutung.
Ich habe alles, ich habe Überfluss, ich bin zum Bersten gefüllt, und es ist ein duftender Wohlgeruch für Gott, ein angenehmes Opfer, Gott völlig wohlgefällig, steht da wörtlich.
Das ist das, was diese Unterstützung durch die Philipper bei Paulus bewirkt hat. Dieser emotionale Ausbruch zeigt, was das bewirkt hat.
Wir wissen manchmal gar nicht, was ein Brief oder eine Spende an jemanden im Werk des Herrn bewirken kann.
Manchmal haben Missionare finanzielle Engpässe, oft nicht. Manchmal sind sie einfach einsam. Nicht nur Missionare, sondern auch Geschwister in unserer Umgebung, in unserer Gemeinde.
Manchmal könnte es so viel bewirken, wenn sie merken, dass wir sie im Herzen haben und ihnen das irgendwie zum Ausdruck bringen.
Mich hat es bewegt, als ich das gelesen habe – was es mit Paulus gemacht hat.
Epaphroditus: Ein treuer Bote und Mitarbeiter
Dann kommt Vers 19: Mein Gott aber wird allen euren Bedarf erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus.
Ich glaube, Paulus hatte nicht zum ersten Mal den Eindruck, dass die Mazedonier mehr geben, als sie eigentlich entbehren konnten. Er hat es im 1. Korinther 16,1-4 gesagt, als es um die Sammlung für die verarmten Christen in Judäa ging: Die Geschwister aus Mazedonien haben alles gegeben, was sie entbehren konnten, ja eigentlich mehr. Eigentlich sind sie so weit gegangen, sich selbst wirklich Einschnitte zuzumuten, weil sie geben wollten.
Paulus wollte sie für diese Sammlung ursprünglich gar nicht fragen, weil er wusste, dass sie nicht so viel haben. Und man hat den Eindruck, dass das sein Gefühl hier wieder ist, zum zweiten Mal. Er sagt, ich habe den Eindruck, so zwischen den Zeilen – okay, das steht da nicht ausdrücklich –, ich habe den Eindruck, ihr habt euch mit diesen Gaben ein bisschen übernommen.
Dann schreibt er: „Mein Gott ist reich“, jedenfalls in Vers 19. Und er ist fähig, all eure Not auszugleichen, in die ihr euch begeben habt.
„Mein Gott ist reich“, sagt er. „Ist cool.“ Ich muss doch noch zwei Sätze sagen. Ich weiß nicht so viel über meine Zeit, ich gucke nicht mehr auf die Uhr, ich habe meine Zeit überschritten, aber zwei Sätze will ich zu Epaphroditus sagen. Wir machen das aber nicht langsam am Morgen.
Epaphroditus war ein spannender Mensch. Ich möchte nur eines dazu sagen: Paulus hat ihn schon in Kapitel 2 erwähnt. Es gab einen bestimmten Anlass, warum er dort schon geschrieben hat. Eigentlich hätte es hier fast besser gepasst, aber er fand es dort wichtiger. Er sagt: Schaut mal, was für ein Mensch Epaphroditus ist.
Ich fasse es für euch nur zusammen, wir lesen es morgen ausführlicher: Epaphroditus war unterwegs mit der Gabe zu Paulus, und er ist unterwegs krank geworden. Und wisst ihr, was für ein Mensch Epaphroditus ist? Er hat gesagt: Ich glaube, diese Geschwister erwarten von mir, dass ich diese Gabe zu Paulus bringe und dass ich das möglichst bald tue.
Er hatte das Gefühl, diese Gabe ist wichtig, und irgendwie auch dringlich. Und anstatt sich auszukurieren, hat er beschlossen, trotz Krankheit seine Reise fortzusetzen.
Paulus schreibt, als er in Rom ankam, war er nahe am Tod und wäre fast gestorben, weil es ihm so wichtig war, diesen Dienst zu tun und diese Gabe zu Paulus zu bringen. Und man soll ihm keinen Vorwurf daraus machen.
Schaut mal, was es emotional bei Paulus ausgelöst hat: Es war wichtig. Aber so einer war Epaphroditus, der Gesandte dieser Gemeinde.
Paulus nennt ihn in Philipper 2,25 „mein Bruder, mein Mitarbeiter, mein Mitsoldat“. Und das sagt viel aus.
Epaphroditus war derjenige, der diese Gabe aus Philippi gebracht hat. Er war auch derjenige, der den Brief von Paulus, den Philipperbrief, zurück nach Philippi gebracht hat.
Das ist irgendwie der Rahmen: Diese Beziehung zwischen Paulus und den Philippern, die über viele Jahre gewachsen ist, diese aktuellen Erlebnisse, diese aktuellen Emotionen und dieser Bote, der letzten Endes ganz real sein Leben riskiert hat, um diese Gabe zu Paulus zu bringen.
In diesem Rahmen bewegen wir uns, wenn wir die Themen des Philipperbriefs anschauen.
So, das reicht jetzt an der endgültigen Hürde. Amen.
