Herr Präsident, heute hatten wir im HHCVDM eigentlich ein Sportfest geplant. Dieses wird nun jedoch in internationale Schwimm- und Kanuwettkämpfe umgewandelt, die auf der neu errichteten Schwimmanlage Schillerwiese stattfinden.
Im Laufe des Gottesdienstes werden sogenannte Rauchzeichen, Indianerrauchzeichen, gegeben, die wir zuvor vereinbart haben. Nach der Predigt werde ich Regieanweisungen geben, wie es weitergeht – ob wir starten oder zunächst hierbleiben.
Der Wasserstand wird derzeit noch gemessen.
Eröffnung und Gebet zur Vergebung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Unsere Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind und dessen Sünde bedeckt ist.
Wir wollen beten: Herr, wir loben Dich, dass Du uns an diesem Morgen mit dem neuen Angebot der Vergebung begrüßt. Hilf uns nun, dass wir alle miteinander die Erfrischung erfahren, die allein die Vergebung der Schuld bewirken kann.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Wir beten weiter in der Stille.
Gib Deinem Wort dauerhafte Wirkung in unserem Leben! Amen!
Einführung in das Thema: Das sechste Gebot
Wir wollten über die Gebote sprechen und sind heute beim sechsten Gebot.
Aha, es gibt auch einen Lautsprecher bei uns, der funktioniert aber nur zwischendurch.
Beim sechsten Gebot biblischer Zählung, im lutherischen Katechismus, ist das das fünfte: Du sollst nicht töten!
Ich komme mir schon ein bisschen merkwürdig vor, denn bei einem ganz direkten Ansatz der Betrachtung dieses Gebotes möchte man denken, dass es ein höchst überflüssiges Gebot ist.
Die scheinbare Selbstverständlichkeit des Gebots
Ich bitte Sie, sich einen Moment selbst zu testen: Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Karnickel schlachten. Wahrscheinlich würden Sie eher ablehnen, heute Nachmittag beim Hochsprung mitzumachen, als diese Aufgabe zu übernehmen. Dabei verspürt man einen starken Widerwillen.
Nun stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihrem Wellensittich den Kopf abdrehen. Schon allein der Gedanke daran ist schwer auszuhalten. Solche Worte auszusprechen, kann einem die Feindschaft aller Tierfreunde einbringen. Das ist eigentlich selbstverständlich, denn man hat einen großen Widerwillen dagegen.
Am schlimmsten wird es, wenn man Blut sieht. Doch gerade gegen das, wogegen wir so einen Widerwillen empfinden, geschieht das Töten millionenfach – aus den verschiedensten Gründen. Manchmal aus scheinbar sehr vernünftigen Gründen, manchmal aus rasender Wut, in Notwehr, im Krieg oder bei Abtreibungen.
Die Hemmungen gegenüber dem Töten, die wir empfinden, sind offenbar leichter zu überwinden, als man auf den ersten Blick wahrhaben möchte oder bei sich selbst denkt. Das Gefühl im Blick auf das Töten stumpft offensichtlich sehr schnell ab.
Die Realität des Tötens in der Welt
In diesem Augenblick, in dem wir hier so beschaulich beieinander sind, wird in der Welt tausendfach getötet. Die Restbestände von Tötungshemmung, die es dort gibt und die wir im Moment als schier unüberwindliche Barrieren ansehen, können wir uns kaum vorstellen. Man sagt sich, die Menschen umbringen sollte diese Barriere. Doch sie wird so schnell und einfach weggefegt, dass es immer wieder, was man sich nicht vorstellen kann, zu massenweisen, millionenfachen Morden in Kriegen kommt.
Die Politiker liefern stets die vernünftigen Gründe dafür, dass es ausnahmsweise wieder sein muss. Die Generäle geben die Befehle, und das ist dann die Stufe, von der aus nicht mehr gedacht werden darf, sondern nur noch gehorcht und gemordet wird. Die Theologen liefern immer die Rechtfertigung dafür, dass es sein muss.
Keine Sorge, auch für den Dritten Weltkrieg werden die theologischen Vorbereitungen bereits getroffen. Es wird nie Mangel an Theologen geben, die wissen, dass das, was keiner im Grunde möchte, vielleicht dennoch notwendig ist.
Die Abstumpfung gegenüber dem Töten – eine Geschichte aus dem Museum
Das Ausmaß der Verrohung in dieser Angelegenheit wird deutlich an einer eher skurrilen Geschichte, die sich in einem deutschen Museum zugetragen haben soll.
Dort werden Raubritterrüstungen ausgestellt, ebenso wie die Hauklötze, auf denen früher Menschen hingerichtet wurden. Eine kulturinteressierte Touristengruppe wurde von einer sachkundigen Person durch das Museum geführt. Gerade zeigte dieser Führer ein Zweihänder-Henkerschwert vor – ein langes Schwert, dessen Griff mit Weiden umwickelt war.
Er erzählte, dass in den letzten 400 Jahren des Betriebs das Museum von einer Familie verwaltet wurde. Das sei eine schöne Tradition, schließlich müsse die Familie hochgehalten werden. In dieser Zeit seien mit diesem Schwert etwa 800 Menschen enthauptet worden.
Die Gruppe reagierte darauf kaum spürbar. Beim Weitergehen meinte ein Junge: 800 in 400 Jahren, das sei ja nichts. Er dachte an all die arbeitsfreien Tage des Henkers und fragte sich, was dieser sonst noch mit dem Schwert gemacht hätte. Außerdem meinte er, dass man heute viel mehr schaffen würde. Nur 800 Enthauptungen in 400 Jahren mit einem Schwert – das sei doch noch nicht amortisiert.
Wir hätten uns kräftig weiterentwickelt, sagte er, und könnten es uns nicht mehr leisten, so wichtige Werkzeuge so unrentabel einzusetzen. Wir schaffen mehr.
Und genau deshalb hätten wir gelernt, zu staunen. Ein Aufatmen folgte: eine Bombe, hunderttausend Tote in Hiroshima und Nagasaki. Und jetzt schaffen wir es sogar, die Erde mehrfach zu zerstören.
Das finde ich immer ein guter Gedanke. Es wäre ja schon schlimm genug, einmal in die Luft zu gehen, aber jetzt haben wir zusammen das Waffenarsenal. Dazu kommt der zynische Humor unserer Politiker: Neulich wurde ein Vertrag abgeschlossen, der die Rüstungsbegrenzung beschließt. Demnach dürfen sie in den nächsten Jahren nur noch jeweils um drei Milliarden aufrüsten.
Da wird gerade von Begrenzung gesprochen. Dabei können wir Menschen morgen ein Vielfaches zerstören – per Knopfdruck, und nicht mehr mit zwei Händen. Dafür bekommt man schließlich Muskelkater.
Zweifel am Sinn des Gebots „Du sollst nicht töten“
Angesichts dieser Problematik erscheint mir das fünfte Gebot entweder überflüssig, selbstverständlich oder sinnlos widersinnig. Was ist es nun? Ist es sinnlos, weil es ohnehin keiner befolgt? Oder ist es selbstverständlich, weil wir sagen, dass wir es ja doch nicht tun können, dass wir es uns gar nicht über das Herz bringen?
Wie ist also die Bedeutung dieses Gebotes zu verstehen: selbstverständlich oder sinnlos? Du sollst nicht töten.
Das Erste, was ich hier höre, ist: Selbstverständlich gehört das Leben Gott. Dieses Gebot ist der energische Gegenangriff Gottes auf jede Form des Angriffs des Menschen auf das Leben. Gott will das Leben, und das zeigt sich ganz klar und kategorisch darin, dass die Menschen ...
Zum Schutz des Lebens ...
Das Leben als Gottes Eigentum
Du sollst nicht töten – ohne jeden Zusatz, ohne jede Einschränkung. Das ist Gottes klare Abwehrreaktion auf unseren Angriff auf das Leben. Er ist der Schöpfer und damit der Eigentümer des Lebens; ihm gehört das Leben.
Im Zusammenhang mit den zehn Geboten wird dies noch einmal begründet. Nicht nur dadurch, dass Gott das Leben geschaffen hat, sondern auch, weil er Israel aus der Sklaverei, aus der Mordgefahr herausgerissen und ihm so das Leben neu geschenkt hat. Dadurch hat Gott ein doppeltes Eigentumsrecht am Leben.
Nicht nur, weil er der Schöpfer ist, sondern auch, weil er in Jesus, dem Gekreuzigten, um unser Leben gekämpft und es uns neu ermöglicht hat. Gott besitzt ein absolutes Eigentumsrecht an unserem Leben.
So hat niemand das Recht, unter keinen Bedingungen, das Leben eines anderen anzutasten oder sein eigenes Leben zu nehmen. Dieses Leben gehört nicht uns – weder das Leben, das Gott dem anderen gegeben hat, egal ob er es als Geschenk oder als Zumutung empfindet, noch das Leben, das Gott ihm gegeben hat. Es ist nicht meins.
Das Töten des Lebens ist Raub – Raub an Gottes Eigentum. Und das ist die erste und allerwichtigste Lektion, um die es in diesem Gebot geht. Es geht hier um eine grundsätzliche Einstellung zu unserem Leben.
Die Grundentscheidung über das Leben
Die Regel lautet, dass wir von Anfang an mit dem Gedanken spielen, dass es viele triftige, einleuchtende Gründe geben könnte, warum das Leben des Anderen nicht absolut geschützt ist. Ebenso könnte ich mein eigenes Leben unter Umständen auch aufgeben.
Heute wird viel über beide Seiten dieser Frage gesprochen. Aus biblischer Sicht gibt es jedoch ein ganz klares Votum: Unser Leben gehört nicht uns. Menschenleben sind nicht unser Eigentum, und deshalb haben wir kein Verfügungsrecht darüber. Dieses Recht besitzt niemand.
Ich halte es für enorm wichtig, ob ich in meinem Leben diese Grundentscheidung Gottes bedingungslos nachvollziehe. Wenn diese letzte, gründliche Verankerung des Schutzes des Lebens nicht mehr gegeben ist, dann werden wir immer wieder scheinbar triftige und einleuchtende Gründe finden, um dieses Gebot außer Kraft zu setzen. Das reicht von Überlegungen zur Abtreibung über Kriegsmanipulationen bis hin zu Selbstmordgedanken.
Es gibt viele, viele scheinbar triftige Gründe, wenn unser Leben einmal aus der Verankerung gerissen ist, wie es in dieser Grundentscheidung Gottes vorgesehen ist. Land auf Land ab wird die Diskussion immer nur um diese triftigen Gründe geführt, die es zweifellos geben mag.
Die Bibel lässt an dieser Stelle jedoch keine Unklarheit zu. Gott hat das Eigentumsrecht – niemand sonst! Und genau das wird mit dem kategorischen, ganz klaren „Du sollst nicht töten“ gesagt.
Diese Grundentscheidung ist ungeheuer weitreichend. Sie ist nicht nur ideologisch, geistig oder weltanschaulich zu vollziehen, sondern eine Grundentscheidung, die uns bis in die Hände und Füße, bis in die Nerven und das Nervenkostüm unseres Lebens hinein erreichen muss.
Dies ist die Richtlinie Gottes: der Schutz des Lebens. Es gehört ihm. Wer sich daran vergreift – weder am werdenden Leben noch am Leben in Kriegen, in der Notwehr oder im Selbstmord – hat kein Recht dazu. Wir haben kein Recht über uns selbst. Das ist die erste Grundentscheidung.
Die Komplexität der Lebensrealität und die zweite Frage
Aber damit wäre das Problem natürlich noch nicht gelöst. Wenn ich so in ihre Gesichter schaue, sehe ich, dass wir sagen: Wenn das alles so einfach wäre, dann gäbe es das doch jetzt nicht. Nicht jetzt, nicht in der Geschichte der Kirche und der Christen.
In der Bibel gibt es viele verschiedene Gesichtspunkte, die man ebenfalls hören muss. Dadurch wird das Ganze sehr kompliziert.
Ich möchte jetzt versuchen, ein Stück weiterzugehen und zur zweiten Frage kommen. Wir wollen fragen: Was tut Gott gegen das sinnlose Töten?
Die erste Frage, die wir beantwortet haben, war: Wem gehört das Leben? Die Antwort darauf ist selbstverständlich: Das Leben gehört Gott.
Die zweite Frage lautet nun: Was tut Gott gegen das sinnlose Töten?
Gottes Maßnahmen gegen das Töten: Gebot und Vergeltungsdrohung
Diese Frage wird heute von vielen Menschen anklagend gestellt, wenn es darum geht, dass Gott das Recht auf Leben hat und ihm das Leben so heilig ist. Was tut er denn dagegen, dass hier in so massenhafter Weise gemordet wird – durch Unrecht, in Kriegen und Ähnlichem? Was tut er?
Lassen Sie mich versuchen, die drei Maßnahmen Gottes zu beschreiben, die er gegen das Töten ergreift.
Drei Maßnahmen
Die erste ist, dass Gott gegen dieses sinnlose Töten sein Verbot richtet: „Du sollst nicht töten.“ Hier muss man jedoch gleich hinzufügen: Die schlichte Bilanz ist, dass es dieses Gebot gibt, aber trotzdem millionenfach getötet wird. Selbst Menschen und Gesellschaften, die sich auf den Namen Jesu Christi berufen, begehen Mord. Das heißt, diese Barriere scheint nicht besonders viel Widerstandskraft gegenüber dem sinnlosen Töten zu haben.
Was tut Gott noch gegen das Töten?
Das Zweite, was wir in der Bibel sehen, ist, dass Gott eine Vergeltungsdrohung aufstellt. Nach der Sintflut, als der Mensch angefangen hatte, die Welt kaputtzumachen, die Gott gut geschaffen hatte, gab Gott ein neues Gebot. Vorher galt es nicht: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden, denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“
Das entspricht nicht dem ursprünglichen Willen Gottes, aber im Noah-Bund, wie er im 1. Mose 9 berichtet wird, richtet Gott gegen die zerstörerische Macht des Tötens in dieser Welt einen Damm auf. Sozusagen mit Mitteln der Sünde wehrt er die völlige Zerstörung ab. Er errichtet einen Damm gegen den Mord mit dem Mord, gegen das Töten mit dem Töten – eine Vergeltung für Menschenblut: „Dessen Blut soll auch vergossen werden.“
Die Begründung lautet: „Denn Gott hat den Menschen zu seinem Ebenbild gemacht.“ Weil Gott den Menschen so wichtig nimmt, weil jeder Mensch das Ebenbild Gottes ist, setzt Gott eine radikale Maßnahme gegen jeden Versuch, Menschen zu töten.
Die Begrenztheit der Vergeltungsdrohung und die Notwendigkeit von Versöhnung
Das wird ergänzt durch den schrecklichen Satz, den Gott in der Bibel sagt – sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Dort heißt es: „Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.“
Wenn ich jedoch die Wirkung dieser Drohung betrachte, muss ich sagen, dass die Bilanz erschütternd ist. Sie bewirkt nur sehr begrenzt eine Abschaffung des Tötens. Davon kann man in keiner Weise sprechen.
So sieht es auch die Bibel: Das Gesetz Gottes, das Gebot Gottes „Du sollst nicht töten“, ist eine Zwischenmaßnahme, die in sich ohnmächtig ist. Sie kann eine Mörderwelt nicht wieder in eine Friedenswelt verwandeln. Es handelt sich um eine Zwischenmaßnahme.
Die Drohung der Vergeltung, der Rache Gottes, ist ebenfalls eine Notmaßnahme. Sie kann diese Mörderwelt nicht in eine Friedenswelt verwandeln. Sie kann nur das letzte Chaos, das allerletzte Chaos, verhindern.
Heute sind wir sogar geneigt zu sagen, dass sie mit der Zeit immer weniger dazu imstande ist. Wir sind dabei, die Welt wieder in ein Gesamtchaos des Mordens zurückfallen zu sehen.
Durch Zwang kann man im Krieg höchstens einen Waffenstillstand erreichen. Zum Frieden und zur Versöhnung gehört jedoch viel mehr. Versöhnung und Frieden kann man nie erzwingen oder kommandieren. Dafür ist etwas Positives nötig.
Durch ein radikales Nein kann ich im schlimmsten Fall, wenn es stark genug ist, vielleicht das Schlimmste verhindern. Aber es braucht ein Ja, das aufbaut. Es braucht Liebe und Versöhnung, damit Friede entstehen kann.
Die dritte Maßnahme Gottes: Jesus als stellvertretender Richter und Versöhner
Deshalb gibt es eine dritte einschneidende Maßnahme Gottes gegen die Tötungsflut. Gott nimmt den Satz „Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr“ und führt diese Ankündigung an den Mörder aus. Er sagt: Jetzt ist Schluss. Jetzt wird nicht mehr geredet, jetzt wird die Drohung vollzogen.
Er nimmt seinen Sohn, den Gerechten, denn nur er ist der Friede, und stellt ihn an die Stelle des Mörders. So rächt sich Gott und vergilt dem Mörder, was er verdient hat. Jesus ist der Mörder. An ihm hält Gott Gericht. Gottes Heiligkeit zieht einen Schlussstrich und richtet die miese Geschichte der Zerstörung, des Hasses und des Mordens.
Indem Gott dieses Gericht, diese Rache und Vergeltung an Jesus ausüben lässt – anstatt an dir, an mir oder an anderen –, zeigt er uns zugleich das unbegreifliche Übermaß seiner Liebe. Denn in dieser Welt des Hasses und Mordens kann Frieden, Versöhnung und Heilung nur entstehen, wenn die Liebe Menschen, die sich hassen, zueinander führt.
Die Herausforderung der Mördergesinnung und die Bergpredigt
Deshalb tut Gott zwei Dinge mit einer Sache. Er richtet in einer Radikalität das Morden in einer Kompromisslosigkeit stellvertretend an Jesus. So dass jeder, der sich da reinziehen lässt, der sich das gefallen lassen lässt, in die Vergebung schenken lässt – jeder, der das annimmt – sagt: Herr, ich bin ein Mörder in meinem Herzen, komme zur Versöhnung und kann von Liebe erfüllt werden.
Wissen Sie, weil Gott so handelt, das muss man jetzt einfach mal begreifen. Das ist Lebensnotwendigkeit, das ist keine Philosophie. Es geht darum, dass wir irgendwo einen Fuß zwischen die Tür kriegen in dieser Mördergesellschaft. Nicht! Es geht doch nicht darum, dass wir eine theoretische Diskussion über Todesstrafe oder Beweisweisen führen. Das ist doch Stammtischdiskussion, bei der wir unsere Gemüter erhitzen.
Es geht doch darum, dass wir in unserem Alter diese Brutalität wahrnehmen, in der 14- bis 15-jährige Jungs einander malträtieren, verprügeln, ohne zu wissen warum; in der in Familien gemordet wird; in der wir pausenlos weghören, wenn wir hören, dass in der Welt millionenfach gemordet wird. Es geht doch darum, dass wir als Christen nun endlich den Fuß zwischen die Tür kriegen in der Praxis unseres Lebens.
Deshalb geht es zu Röhren in spitzen Ohren auf das, was wir in der Geschichte der christlichen Gemeinde zweitausend Jahre lang geflissentlich überhört haben. Martini Möller hat einmal – was ich als Studentin in Göttingen in einem Vortrag nie vergessen habe – den Satz gesagt, nachdem die christliche Gemeinde zweitausend Jahre lang geglaubt hat, sie müsse ihre Zuversicht auf Panzer setzen und auf entsprechende Waffen.
Wäre es doch nach all dem Elend, das wir angerichtet haben, endlich mal an der Zeit, dass wir Jesusjünger unserem Herrn vertrauen, der sagt: „Glücklich sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen“ – das Erdreich, nicht den Himmel, das Erdreich besitzen!
Da höre ich das große Geschrei: Das ist weltferne Spinnerei, nicht?
Die Todesatmosphäre als Beginn von Krieg und Mord
Die Atombombenbesitzer werden das Erdreich besitzen. Werden sie es wirklich besitzen? Lesen Sie einmal, was der Spiegel in der letzten Woche berichtet hat.
In den USA haben sich die Menschen vorgestellt, wie es in einer kleinen Stadt mit 50 Einwohnern, 200 Kilometer südlich von Washington, bei einem Atomschlag aussehen würde. Da kann einem die Gänsehaut kommen. Doch das ist vielen viel zu theoretisch. Deshalb beschäftigen sie sich nicht damit und schlafen weiter.
Allein deshalb brauchen wir es nicht zu verstehen, schlafen wir gut. Es ist viel zu kompliziert, das meiste ist geheim, und darum sollen wir uns nicht kümmern.
Denn Gott rächt in Jesus den Mörder und schafft dadurch die Liebe. Deshalb stöbert Jesus uns jetzt auf in unserer Mördergesinnung. Deshalb ist er so radikal in der Bergpredigt und sagt: Es sind nicht die Mörder, die hinter Gittern sitzen, die Menschen ein Loch in den Bauch gestochen oder Schädel gespalten haben. Es sind die Mörder, die mit Hassgedanken und Zornesworten ihre Nachbarn behandeln.
Da fängt der Mord an. Jesus erkennt die Lawine des Mordens und sieht sie dort entstehen, wo einer sozusagen in seinen Gedanken die Lawine lostritt. Und dann gibt es irgendwo den Punkt, an dem nichts mehr zu kontrollieren ist. Dort vergrößert sich alles in einer Weise, dass man keinen Einhalt mehr gebieten kann.
Aber Jesus will nicht nur mit dem moralischen Zeigefinger dastehen und sagen: „Hättest du, hättest du.“ Er will verhindern, dass es so weit kommt. Deshalb geht er dahin, wo die Lawinen losgetreten werden. Dort kann verhindert werden, was noch verhindert werden kann: in unserem Herzen, in unseren Gedanken und in unseren Einstellungen.
Die Bedeutung der Feindesliebe als Gegenmittel
Im ersten Johannesbrief steht der Satz: Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger.
Ich liebe die Auslegung des verstorbenen Schweizer Pfarrers Walter Lüthi. Er beschreibt in diesem Zusammenhang, im Kontext des Tötungsgebots, dass jedem Krieg eine Todesatmosphäre vorausgeht. Die Luft ist dann voll Krieg.
Genau hier setzt Jesus an: bei dieser Todesatmosphäre. Die Luft ist voll Krieg. Die Atmosphäre beginnt sich zu verändern, und Kriegsvorbereitungen fangen an. Das geschieht dort, wo Menschen grundsätzlich für möglich halten, dass es triftige Gründe geben könnte, andere zu töten.
Es könnte Gründe geben, auf einen Knopf zu drücken und eine taktische Atomrakete loszulassen. Damit würde eine kleine Stadt mit 20 oder 25 Menschen wahllos vernichtet: Männer, Frauen und Kinder, Kranke, Gesunde, Alte und Junge. Und es könnte einen Grund dafür geben, in dieser Welt so etwas zu tun.
In dem Moment, in dem wir uns mit diesem Gedanken anfreunden, haben wir die Kriegsvorbereitung getroffen. Todesatmosphäre.
Wenn der Mensch nur noch nach seiner Nützlichkeit bewertet wird, treffen wir Kriegsvorbereitung. Ob er im beruflichen Leben nur noch so viel zählt, wie er leistet, oder ob Generäle Menschen als Kanonenfutter abzählen – das ist nur noch ein mengenmäßiger Unterschied. Grundsätzlich ist es derselbe.
Kriegsvorbereitungen fangen dort an, wo der Mensch nicht mehr als das heilige Ebenbild Gottes gesehen wird, für das Jesus gestorben ist. Stattdessen wird er als jemand beurteilt, der je nach seiner Nützlichkeit bewertet und verbraucht werden kann – wie Material.
Dass es dann zum Kanonenfutter kommt, ist nur noch eine Frage der Gewöhnung.
Es hat keinen Sinn, andere zu beschuldigen. Das ist es, was Jesus in der Bergpredigt sagt. Er betont, dass es darum geht, die Mördergesinnung, die Todesatmosphäre in unserem eigenen Herzen zu erkennen. Es geht nicht darum, so zu tun, als wäre das Morden erst dann relevant, wenn es ganz radikal an Leib und Leben geht.
Jesus sagt: Ihr müsst sehen, wo die Lawinen losgetreten werden. Sonst hat es keinen Sinn, später vor entsetzten, aufgerissenen Augen zu stehen und zu sagen: Das haben wir nicht gewollt.
Seit zweitausend Jahren steht das in der Bergpredigt – wo die Lawinen losgetreten werden. Wann werden wir anfangen, das ernst zu nehmen?
Die Notwendigkeit der persönlichen Umkehr und Vergebung
Es gibt keinen Ausweg aus der ganzen Sache, außer dass ein Mensch seinen Mördergedanken erkennt.
Ich besuche jetzt ein Gefängnis. Dort traf ich einen jungen Mann, der sagte: „Ich bin natürlich unschuldig.“
Wissen Sie, da habe ich mit reingerutscht. Ich treffe draußen seriöse Leute, die an nichts schuldig sind. Wir sind nie an etwas schuldig, wir waren es nie. Es waren immer die Umstände, es waren immer die anderen.
Wir werden an der Todesatmosphäre nichts ändern, es sei denn, jeder fängt bei sich selbst an. Er muss den Mörder in sich erkennen und nach den Maßstäben der Bergpredigt Vergebung erbitten – für die Mördergesinnung in mir, für die Hassgedanken, die bitteren und verletzenden Worte, mit denen ich anfange zu schießen.
Allein Vergebung kann verwandeln, nicht Gebote. Gebote können nicht verwandeln. Sie können uns zeigen, wie falsch wir liegen, aber sie können uns nicht verwandeln.
Lied und Zusammenfassung der drei Punkte
Ich wollte euch ein Lied gönnen, doch wenn nicht, muss ich es auch gönnen. 61, 61 – das schafft er mir ein da. Das dritte sage ich trotzdem noch: 61 in unserer Liedermappe.
Wenn du einen dann und wann nicht leiden kannst, dann fängt die Liebe erst an. Wenn du einem dann und wann nicht leiden kannst, dann geht die Liebe erst an. Wenn du mit einem dann und wann ins Streiten kommst, dann geht die Liebe erst an.
Der Herr verkraftet dem Tschecher, von dem er ihm die Nägel einstug. Drum sei kein blinder Wäscher. Es gibt ja unter Menschenstreit genug, ja, es gibt ja unter Menschenstreit genug.
Selbstverständlich oder sinnlos? Selbstverständlich ist das Leben Gottes Eigentum, sagten wir erstens.
Zweitens: Was tut denn Gott gegen das sinnlose Töten? Nicht nur Gebot, nicht nur Drohung, sondern die Rache an Jesus und die Versöhnung und die Liebe, die Vergebung, die erneuern kann.
Die neue Selbstverständlichkeit der Feindesliebe
Und das Dritte: Wir müssen Selbstverständlichkeiten neu lernen, wir müssen die Selbstverständlichkeiten neu lernen. Gott hat den Neuanfang in Jesus nicht geschaffen, damit wir später durch den Anspruch nehmen und weiterhin nach der gleichen Trauermarsch-Melodie der Tötungswelt leben.
Vielmehr möchte er, dass wir auf der Basis der empfangenen Vergebung die alten Selbstverständlichkeiten unseres Lebens verlernen und zu neuen Selbstverständlichkeiten finden. Die alte Selbstverständlichkeit heißt: „Wie du mir, so ich dir“, so sagt Jesus auch in der Bergpredigt. Das ist die alte Selbstverständlichkeit.
Die neue Selbstverständlichkeit heißt: „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, betet für die, die euch verfolgen.“ Jesus fordert seine Leute heraus, zum Angriff überzugehen. Noch heute gilt der bekannte Satz: Angriff ist die beste Verteidigung.
Gegenüber der Mörderwelt und der Todesatmosphäre sollen wir zum Angriff übergehen – nicht nur mit dem Rücken zur Wand verteidigen, sondern angreifen. Aber mit Waffen, die etwas taugen, nicht mit der Vergeltung. Das würde nur den Teufelskreis von Morden in Gang halten.
Stattdessen sagt Jesus: Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen. Er mutet uns zu, dass dies die neuen Selbstverständlichkeiten sind. Die Angst rät uns immer ab, und dann sagen wir, Jesus sei ein weltferner Spinner.
Aber für Gott ist es zur Selbstverständlichkeit, zur heiligen Selbstverständlichkeit geworden, uns um Jesu Willen nicht heimzuzahlen, wie wir es verdient haben, sondern Gnade zuzuwenden.
Und nun möchte er, dass wir Nutznießer, Teilhaber und Nachahmer dieser Selbstverständlichkeiten werden.
Die Herausforderung der praktischen Umsetzung und das Gebet zum Schluss
Ich empfinde das als eine nahezu unmögliche Zumutung. Es ist sehr einfach und billig, aus einer philosophischen Distanz zu sagen: „Das will ich nicht.“ Im Gottesdienst lässt sich das leicht behaupten, und am grünen Tisch kann man viele großartige Sprüche zur Feindesliebe machen.
Wir alle wissen jedoch, dass die wahre Bewährungsprobe immer in den konkreten Situationen kommt. Dort, wo in uns das Blut hochkocht und die Tötungshemmung in einen Blut- oder Hassrausch umschlagen will.
Es gibt nur eine einzige Hoffnung: Wenn Jesus das ernst meint und wir zum Gegenangriff der Feindesliebe antreten sollen, wenn wir bedingungslos alte Selbstverständlichkeiten abschwören müssen, dann muss er in der Notsituation, im Konflikt, bewirken, dass wir tun können, was wir sollen. Sonst gibt es keine Chance, dass er das Wunder eines neuen Gehorsams zur Feindesliebe schafft – gerade in der Situation, in der er es will, aber wir es nicht können.
Wir sind heute gefragt, ob wir auf dieses Wunder Jesu hin ihm Vertrauen schenken und gehorchen wollen – unter der Parole: „Glücklich sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen.“ Gott kämpft jedenfalls leidenschaftlich ums Leben.
Wie tief ist das eigentlich schon in unserem Leben verankert, wir, die wir Jesus nachfolgen wollen? Wie bekannt ist das unseren Händen, unseren Füßen, unseren Gehirnzellen und unseren Nerven, dass Gott es so will?
Wir wollen beten: Herr, erbarme Dich über uns, die wir die Welt, die Du geschaffen hast und eigentlich gut wolltest, bis in die Grundfesten zerstören und das Leben unerträglich machen. Herr, mach uns zu Werkzeugen Deines Friedens.