
Einen schönen guten Tag! Ich habe euch etwas mitgebracht. Ich weiß nicht, ob das jeder erkennen kann. Damit ihr es besser sehen könnt, habe ich es hier vorne groß geschrieben. Das soll deutlich machen, dass wir leben – und das hat, glaube ich, inzwischen jeder mitbekommen im sogenannten Lutherjahr, im sogenannten Reformationsjahr.
Es ist schon erstaunlich, wenn man sieht, wie Luther inzwischen vermarktet wird. Nicht nur Playmobil hat sich darüber hergemacht. Es gibt mittlerweile Luther-Quietschenten, Luther-Bier, Luther-Tourismus, Ausstellungen und die neue Lutherbibel. Alle schwimmen auf dieser Welle.
Das heißt nicht, dass wir das heute hier auch so machen wollen. Aber ich habe darüber nachgedacht: Was haben wir mit der Reformation zu tun? Man könnte sagen, das ist doch 500 Jahre her. Wie stehen wir zu den Aussagen der Reformation – sowohl als Gemeinde als auch jeder Einzelne persönlich?
Ich habe einen guten Spruch gefunden, der lautet: Stell dir vor, es war Reformation und keiner weiß wirklich warum. Wenn man in die Zeitungen, Magazine oder Bücher schaut, hat man oft den Eindruck, dass die meisten Leute zwar von Reformation sprechen, aber nicht wissen, warum.
Für die meisten ist Martin Luther ein Querdenker, ein Widerständler, jemand, der sich nicht in das Konzept seiner Zeit einpassen wollte. Ein Fundamentalist, ein Ultra – eben ein Reformator. Für andere ist er der Befreier von katholischen Dogmen. Wieder andere loben ihn, weil er die deutsche Sprache geprägt hat und dadurch auch das deutsche Bildungssystem entstanden ist. Und manche schätzen ihn wegen seiner Bibelübersetzung.
Aber was hat Luther wirklich gewollt? Was sind die Kernaussagen seiner Überzeugung, zu der er gekommen ist?
Ich gebe hier eine kurze Vita, also eine Lebensbeschreibung von ihm, damit wir ein wenig darüber Bescheid wissen.
Er wurde 1483 in Eisleben geboren. Seine Eltern waren einfache Leute. Der Vater war zunächst Bauer, später Bergmann und arbeitete sich bis zum Ratsherrn hoch. Martin war der Älteste von zehn Kindern. Sein Vater wünschte, dass er Jura studieren sollte. Martin wurde dafür angemeldet.
Doch so erzählt die Geschichte, bekam er durch ein Gewitter große Angst. Daraufhin versprach er, ins Kloster zu gehen. 1505 trat er in das Kloster in Erfurt ein. Dort ließ er sich ausbilden. Zwei Jahre später wurde er Diakon und anschließend Priester.
Während seines Bibelstudiums beschäftigte ihn eine besondere Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Deshalb studierte er anschließend noch Theologie in Wittenberg. Während dieser Zeit unternahm er eine Reise nach Rom. Er dachte, da der Papst dort seinen Sitz hat, müsse er die Religion dort am besten kennenlernen.
Er war jedoch fürchterlich enttäuscht, als er hinter die Kulissen blickte. Zurückgekommen vertiefte er sich wieder in das Studium der Bibel. Besonders beschäftigte ihn der Römerbrief. Wahrscheinlich aus folgendem Grund: Er sollte Jura studieren, und der Römerbrief ist im Grunde der Inbegriff von Gottes Gerechtigkeit. Die zentrale Frage war für Luther immer: Wie kann Gott gerecht sein und zugleich einem Menschen gerecht machen?
Er hielt Vorlesungen über den Römerbrief, und dabei wurde ihm dieser Brief immer wichtiger. 1513 hatte er das sogenannte Turmerlebnis. Dabei stolperte er über einen Bibelvers, der ihm sehr bedeutend wurde: Römer 1,17. Dort steht: „Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“
Dieser Satz wurde für ihn zum Kern seiner Erkenntnis. Paulus zitiert in Römer 1,17 einen Vers aus dem Buch Habakuk im Alten Testament, Kapitel 2, Vers 4. Dieser Vers wird im Neuen Testament viermal zitiert und beschäftigte ihn besonders: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“
Er war in einer Umgebung aufgewachsen, die vom Katholizismus geprägt war. Dort galt die Lehre: Die Bibel plus Tradition und Lehre der Kirche. Die Kirche verstand sich als Vermittlerin der Gerechtigkeit Gottes und des Heils.
Luther merkte jedoch, dass das so nicht stimmen konnte. Je mehr er die Bibel las, desto mehr erkannte er, dass es nur aus Glauben und nicht aus Werken geht. Zudem kam im Jahr 1517 die römisch-katholische Kirche auf die Idee, den Ablasshandel zu forcieren. Ein gewisser Ablassprediger namens Johann Tetzel kam in jenem Sommer durch Wittenberg und bot an, dass Sünden vergeben würden, wenn man entsprechend viel bezahlte und Ablassbriefe kaufte.
Das war letztlich der Auslöser dafür, dass Luther am 31. Oktober 1517 an die Schlosskirche von Wittenberg die 95 Thesen anschlug. Wahrscheinlich hat kaum jemand von uns diese 95 Thesen jemals vollständig gelesen. Man spricht immer nur darüber, aber niemand weiß genau, was darin stand. Es lohnt sich jedoch, sich damit zu beschäftigen, denn sie verursachten einen riesigen Wirbel.
Man muss sagen, dass Luther schon vorher durch seine Predigten und Vorlesungen in Wittenberg eine Schar von Schülern hatte, die nachvollziehen konnten, was er in der Bibel erkannt hatte: dass eben nur die Bibel, nur der Glaube, nur Jesus und nur die Gnade für unsere Errettung entscheidend sind.
Dieses Datum, der 31. Oktober, der sogenannte Reformationstag, der in diesem Jahr ausnahmsweise wieder ein Feiertag ist, ist praktisch der Grund, warum wir uns in diesem Jahr an 500 Jahre Reformation erinnern.
Luther war nicht der Einzige. Es gab eine ganze Schar von Männern, die hinter ihm standen, seine Thesen mittrugen und ihn bestärkten. Luther war jedoch derjenige, der in vorderster Reihe stand.
Dieser Thesenanschlag hatte Folgen. Offenbar sprach sich das sehr schnell herum. Papst Leo X. lud ihn nach Rom vor. Luther gab an, dass er das gesundheitlich nicht mehr schaffen könne. Deshalb wurde er zum Reichstag in Augsburg im August 1518 vorgeladen und später noch einmal im Jahr 1520 zum Reichstag in Worms.
Bei dieser Gelegenheit wurde er aus der katholischen Kirche ausgeschlossen. Er war damit vogelfrei, das heißt, jeder, der ihn traf, hätte ihn töten dürfen, ohne bestraft zu werden. Er wurde aufgefordert, zu widerrufen, doch nach einem Tag Bedenkzeit sagte er: „Da mein Gewissen in Gottes Wort gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, da es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen!“
Es ist eine spannende Geschichte, wenn man sie weiterverfolgt. Auf dem Rückweg von Worms wurde er in einem Wald überfallen und entführt – allerdings nicht von seinen Feinden, sondern von seinen Freunden. Sie täuschten das vor, um ihn auf die Seite zu schaffen und in Sicherheit zu bringen.
Er kam dann auf die Wartburg und lebte dort inkognito als Junker Jörg. In dieser Zeit übersetzte er innerhalb von elf Wochen das Neue Testament. Es erschien im folgenden Jahr, 1522, im September und wird deshalb das Septembertestament genannt.
Weshalb diese Vorrede? Ich glaube, nur dadurch versteht man ein wenig, was eigentlich das Anliegen gewesen ist. So prägt, denke ich, auch unser Glaube, auch wenn wir es vielleicht nicht ausdrücklich so formulieren. Wir stehen sozusagen auf dem Erbe.
Aus seinen Schriften und Vorträgen geht sein Anliegen klar hervor. Heutzutage hat man dies als die sogenannten fünf Sola der Reformation zusammengefasst. Dabei muss man sagen: Das ist natürlich Lateinisch. Ich bin auch kein Lateiniker und muss es deshalb übersetzen. Ich übersetze es euch auch.
Man kann in seinen Schriften fünf verschiedene Sola erkennen:
Ich habe gedacht, es ist vielleicht gut, wenn wir uns in den kommenden Wochen einmal mit diesen fünf Sola, mit diesen fünf Alleinstellungen, auseinandersetzen.
Heute möchte ich als Beginn sola scriptura – allein die Schrift – behandeln. Was hat Luther damit gemeint? Was heißt das? Was bedeutet es auch für uns heute, wenn wir von der Inspiration der Bibel sprechen? Was ist das einzigartige Wort Gottes und welche Auswirkung hat das für uns heute? Damit wollen wir uns ein wenig beschäftigen.
Ich möchte zu Beginn vier Bibelstellen vor uns stellen.
Die erste Bibelstelle stammt aus dem ersten Petrusbrief, Kapitel 1, Verse 23 bis 25. Dort schreibt der Apostel Petrus:
„Denn ihr, die Briefempfänger, oder auch ihr, die ihr jetzt zuhört, seid wiedergeboren, nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes. Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen, aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Dies ist das Wort, das euch als Evangelium verkündigt worden ist.“
Petrus betont also sehr stark, dass das Wort Gottes – also das, was wir heute als Bibel in der Hand haben – lebendig und bleibend ist. Es ist das Wort des Herrn in Ewigkeit und zugleich das Evangelium.
Im zweiten Petrusbrief, Kapitel 1, Verse 19 bis 21, schreibt er weiter:
„Da hat er vorher davon berichtet, dass er mit Johannes und Jakobus mit dem Herrn Jesus auf dem Berg der Verklärung gewesen war und Gott durch eine Stimme deutlich gemacht hat: ‚Das ist mein geliebter Sohn, ihn hört.‘ Und dann schreibt er: ‚Und so besitzen wir das prophetische Wort umso fester, und ihr tut gut, darauf zu achten, als auf eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern in euren Herzen aufgeht, indem ihr dies zuerst wisst, dass keine Weissagung der Schrift aus eigener Deutung geschieht. Denn niemals wurde eine Weissagung durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern von Gott her redeten Menschen, getrieben vom Heiligen Geist.‘“
Petrus macht also deutlich: Das Wort Gottes, das wir in Händen haben, ist kein menschliches Wort. Es stammt von Gott und wurde durch Gott an Menschen weitergegeben.
Paulus betont dies ebenfalls im ersten Timotheusbrief, Kapitel 1, Vers 15:
„Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu retten.“
Im zweiten Timotheusbrief, Kapitel 3, findet sich vielleicht der bekannteste Vers:
„Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die Heiligen Schriften kennst, die Kraft haben, dich weise zu machen zur Rettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit.“
Wenn wir diese vier Bibelstellen allein betrachten, müssen wir sagen und erkennen: Das gesamte Wort Gottes beziehungsweise die gesamte Bibel ist Wort Gottes. Gott hat sie sozusagen im Wortlaut im Grundtext den Menschen eingegeben, die es aufgeschrieben haben. Man nennt das allgemein Verbalinspiration.
Darüber streiten sich viele Menschen, und ich habe oft den Eindruck, dass wir so ziemlich die Einzigen noch sind, die in Europa daran festhalten. Wenn wir die Bibel und die ersten Kirchenväter betrachten, wissen wir, dass sie das ebenfalls geglaubt haben.
Wenn wir glauben, dass die Bibel Gottes Wort ist, dann hat sie alleinige Autorität. Sie ist der Maßstab für all unsere Entscheidungen, auch für unser tägliches Leben. Und das hat Konsequenzen.
Aus diesem Grund, weil wir das glauben, werden wir in der heutigen Zeit oft als fundamentalistisch bezeichnet. Ich muss sagen, das bin ich gerne, weil ich weiß, ich habe ein Fundament. Ich habe das Wort Gottes, auf das ich mich verlassen kann. Und Jesus sagt: „Das bleibt in Ewigkeit.“
Das heißt aber auch, man könnte das vielleicht so aufzeigen, um deutlich zu machen: Die Bibel ist von Gott, und er hat jedem einzelnen der Schreiber der Bibel das eingegeben.
Thema aller Schriften des Alten und Neuen Testaments ist Jesus Christus, und alles führt auf Jesus Christus hin. Die Bibel ist also nicht einfach eine Sammlung von interessanten Schriften aus verschiedenen Zeiten, die völlig unabhängig voneinander geschrieben wurden und keine Einheit bilden. So wird das heute oft gesehen.
Ich weiß nicht, wer schon einmal davon gehört hat: Es gibt eine Dokumentation, die sich die Chicago-Erklärung nennt. Im Jahre 1978 ist sie in Chicago von gläubigen Christen herausgegeben worden. Dort wurde präzise formuliert, welche Auswirkungen es hat, wenn man wirklich der Bibel wörtlich glaubt.
Das heißt, der eigentliche Verfasser der Bibel ist Gott, auch wenn er verschiedene Schreiber benutzt hat. Dieses Schriftverständnis hatten auch die Apostel und die ersten Kirchenväter.
Das heißt für uns: Allein die Schrift bedeutet, dass die Bibel sich nicht widersprechen kann, denn sie ist von Gott, und Gott kann sich nicht widersprechen. Das heißt auch, sie kann keine Fehler haben, denn Gott hat keine Fehler. Und Gott braucht keine Lügen, um uns die Wahrheit zu sagen.
Von daher darf ich mich darauf verlassen, auch wenn ich vielleicht manche Dinge nicht verstehe und für mein Verständnis es so aussieht, als ob ein Widerspruch da wäre. Dann ist aber nicht die Bibel, Gottes Wort, verkehrt, sondern mein Denken. Und das ist, glaube ich, der grundsätzliche Fehler, der heute von vielen gemacht wird.
Allein die Schrift bedeutet auch: Die Bibel erklärt sich selbst. Das heißt, wenn mir eine Bibelstelle nicht klar ist, muss ich in der Bibel nachschauen, was sie bedeutet. Häufig ist es so, dass ich, wenn ich einen Begriff wissen will, was Gottes Wort damit meint, danach suchen muss, wo er zum ersten Mal in der Bibel vorkommt. Dadurch wird mir vieles verständlicher.
Wir leben heute in einer Zeit, in der biblische Ausdrücke häufig anders gefüllt werden und Menschen daher völlig etwas anderes meinen. Aber ich glaube, es ist gut, wenn wir sagen: Wir glauben das, was da drinsteht, egal was andere sagen.
Und man muss das auch nicht glauben, nur weil ich es heute sage, sondern man sollte es selbst in der Bibel überprüfen, was die Bibel sagt.
Von daher haben die Reformatoren gesagt: Die Bibel ist das formale Prinzip der Reformation und ihres sowie unseres Bibelverständnisses.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder deutlich machen. Denn wenn ich davon ausgehe, die Bibel ist Gottes Wort, dann hat das Auswirkungen. Daraus ergeben sich auch die anderen Sola, die anderen Alleinstellungen.
Das heißt, nur durch die Bibel verstehe ich, wer Jesus ist.
Heute wird häufig gesagt: „Ich glaube nicht der Bibel, ich glaube an Jesus Christus.“ Das klingt fromm, ist aber ein Trugschluss. Jesus identifiziert sich mit dem Wort Gottes. Johannes 1 sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott.“
In Vers 14 heißt es weiter: „Und das Wort wurde Fleisch.“ Das bedeutet, Jesus ist identisch mit dem Wort Gottes. Diese beiden können nicht getrennt werden. Doch genau das wird heute oft gemacht. Es wird gesagt: „Ja, an Jesus glaube ich.“ Aber dann muss man fragen: „An welchen Jesus?“
Ich glaube an den Jesus, wie er in der Bibel beschrieben wird. Meine Informationen beziehe ich ausschließlich aus dem Wort Gottes. Daraus ergibt sich auch, dass ich allein durch Glauben gerettet werde. Wie ich zu Beginn sagte: Luther ist groß geworden mit dem Satz „Der Gerechte wird aus Glauben leben“ – und nicht aus Werken. Ich muss nichts dazu beitragen.
Das gilt in allen Religionen, auch in der katholischen Kirche. Oft habe ich den Eindruck, dass heutzutage auch in der evangelischen Kirche gesagt wird: „Ja, ich muss glauben, aber ich muss auch die zehn Gebote halten.“ Dann muss ich sagen: „Dann hast du das Evangelium nicht verstanden.“
Ich werde zwar versuchen, die zehn Gebote zu halten, wenn ich zum Glauben gekommen bin, aber nicht, um gerettet zu werden, sondern weil ich gerettet bin. Aus dem Wort Gottes ergibt sich außerdem die Alleinstellung der Rettung allein durch Gottes Gnade – nicht durch unseren Verdienst. Es ist allein das Erbarmen Gottes.
Alles zusammen zeigt deutlich: Alles geschieht zur Ehre Gottes.
Dass dies heute leider nicht mehr der Fall ist, wird bei der katholischen Kirche immer deutlich gesagt. Dort wird betont, dass sowohl die Werke als auch die Überlieferung eine wichtige Rolle spielen.
Die evangelische Kirche hat zum Reformationsjahr eine Verlautbarung herausgegeben, die ich hier vorlese:
„Das Solaskriptura lässt sich heute nicht mehr in der gleichen Weise verstehen wie zur Reformationszeit. Anders als die Reformatoren ist man sich heute dessen bewusst, dass das Entstehen der einzelnen biblischen Texte und des biblischen Kanons selbst ein Traditionsvorgang ist. Die alte Entgegensetzung von ‚die Schrift allein‘ und ‚Schrift und Tradition‘, die noch die Reformation und Gegenreformation bestimmte, funktioniert heute nicht mehr so wie im sechzehnten Jahrhundert. Dennoch gilt: Nach evangelischer Auffassung müssen sich die Traditionen immer am Ursprungszeugnis der Schrift und ihrer Mitte orientieren.“
Seit dem siebzehnten Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht. Deshalb können sie heute nicht mehr so verstanden werden wie zur Zeit der Reformatoren, nämlich als Wort Gottes im wörtlichen Sinn. Die Reformatoren gingen grundsätzlich davon aus, dass die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben waren. Angesichts unterschiedlicher Versionen eines Textabschnitts oder der Entdeckung verschiedener Textschichten lässt sich diese Vorstellung heute jedoch nicht mehr halten.
Damit stellt sich die Frage, ob, wie und warum Sola Scriptura auch heute noch gelten kann. Deutlich sollte geworden sein, dass das reformatorische Sola Scriptura nicht die Stossrichtung hat, nur der nehme die Schrift ernst, der sie als Wort für Wort von Gott gegeben verstehe. Wie aber ist dann die Schrift auch heute noch als Wort Gottes zu denken?
Solche offiziellen Aussagen empfinde ich als erschreckend. Man sollte allen, die so denken, eine Bibel schenken, damit sie wirklich darin lesen. Ich habe keine Grundlage mehr, wenn ich sage, die Bibel sei nicht Wort Gottes. Wonach richte ich mich denn dann?
Von daher können wir verstehen, dass in vielen Kreisen heutzutage alles Mögliche gelehrt wird, aber nicht mehr das, was in der Bibel steht.
Dass nicht nur die Reformatoren so gedacht haben, sondern auch der Herr Jesus selbst, wird deutlich in einem Abschnitt, den wir in Matthäus 22 finden. Dort kommen die Pharisäer und die Obersten des Volkes zum Herrn Jesus.
In Vers 41 heißt es: „Als aber die Pharisäer versammelt waren, fragte Jesus sie und sagte: Was haltet ihr von dem Christus, wessen Sohn ist er?“ Sie antworteten ihm: „Davids.“ Darauf spricht er zu ihnen: „Wie nennt David ihn denn im Geist Herr, indem er sagt: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege unter deine Füße.‘ Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn?“ Niemand konnte ihm darauf ein Wort antworten, noch wagte jemand von dem Tage an, ihn weiter zu befragen.
Das finde ich eine sehr herausfordernde Begebenheit. Die Pharisäer werden gefragt oder eigentlich fragt Jesus die Pharisäer: Was denkt ihr über den Christus, über den Messias, der im Alten Testament verheißen ist? Sie sagen: Er ist der Sohn Davids. So wird er auch in der Bibel beschrieben.
Der Jesus macht jedoch deutlich: Die Bibel sagt noch etwas mehr. Er sagt nicht nur, dass der Messias, der Christus, Nachkomme Davids ist, sondern er zitiert hier Psalm 110 und sagt: „Wie nennt David ihn im Geist Herr?“ Damit macht Jesus deutlich, dass diese Aussage, die David in diesem Psalm macht, nicht von ihm selbst stammt, sondern ihm von Gott eingegeben wurde. David sagt diese Aussage „im Geist“, und damit autorisiert Jesus zum Beispiel diesen Psalm. Er macht klar, dass das nicht einfach nur das Empfinden Davids ist, was er gedacht und gesagt hat, sondern dass er etwas sagt, was Gott ihm offenbart hat.
So könnten wir viele Stellen durchgehen, und Jesus macht das immer wieder deutlich. Er beruft sich auf das Wort Gottes. Denken wir an die Versuchung, als der Teufel Jesus versucht. Was tut der Herr Jesus? Er hätte mit dem Teufel diskutieren können, aber er zitiert jedes Mal das Wort Gottes.
Ich empfinde das als einen ganz wichtigen Punkt. Das macht deutlich: Jesus stützt sich selbst auf das Wort Gottes. Und ich kann sagen: Was Jesus geglaubt hat, darf ich auch glauben. Wenn der Herr Jesus die Bibel als Wort Gottes annimmt, dann darf ich das auch.
Das macht mir die Bibel so wertvoll.
Die Bibel ist einfach einzigartig. Ich finde das immer wieder erstaunlich. Gott redet, und er schreibt es in sein Wort. Er hat sich sozusagen schriftlich festgelegt. Das ist schon eine Gnade, dass jeder von uns eine eigene Bibel hat. Jeder kann selbst nachschauen, und dafür bin ich dankbar.
Ich muss nicht glauben, was irgendjemand mir erzählt, sondern ich darf glauben, was dort steht. Das ist, glaube ich, auch das Wichtige an der Verkündigung, die wir hier versuchen. Ihr müsst nicht glauben, was hier gepredigt wird, sondern das, was die Bibel sagt.
Ich bin dankbar für die Aussage meines Vaters, der mir immer gesagt hat: Du musst nicht glauben, was irgendwelche Ausleger geschrieben haben. Manchmal kann das hilfreich sein, aber du darfst glauben, was dort steht. Du hast nichts als nur das Wort Gottes, und das ist das Fundament.
Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass das die Grundlage ist. Und das ist das Spannende an der Bibel: Sie ist beim Lesen immer wieder neu. Gott legt sich fest in seinem Wort, hält sich daran und wacht darüber.
Wir haben das eben schon gesehen: Jesus identifiziert sich selbst mit dem Wort. Er sagt: Ich bin das Wort Gottes, und er ist auch die Mitte des Wortes.
Der Freund von Luther, Johannes Bugenhagen, der ebenfalls zu den Reformatoren gehörte, hat einmal gesagt: Als Gott anfing, mit dem Menschen zu reden, hatte er mit ihm über nichts anderes zu reden als über seinen Sohn.
Wenn wir das Alte Testament durchschauen, merken wir das schon. Allein das Erste, was uns niedergeschrieben ist, in 1. Mose 3: Als Gott Adam und Eva zur Verantwortung zieht, macht er deutlich, dass einmal der kommen würde, der der Schlange den Kopf zermalmen würde.
Damit gibt er den ersten Hinweis auf den Messias, auf Christus, auf Jesus. Er fängt an, mit dem Menschen zu reden, und zeigt sofort auf Jesus.
Welche Auswirkung hat das für uns? Was bedeutet die Bibel für mich heute?
Die Bibel ist Gottes Wort, und damit ist sie für mich voll verbindlich. Auch wenn wir in einer Zeit leben, in der viele Dinge hinterfragt werden – gerade kulturelle oder ethische Themen –, und oft gesagt wird: „Das kann man heute so nicht mehr sehen“, so kann man es doch. Die Bibel sagt, dass sich alles verändern wird. Der Herr Jesus sagt aber: „Meine Worte werden nicht vergehen.“ Das bedeutet, Gott ist unveränderbar, und sein Wort ist unveränderbar.
Ich bin dankbar dafür, dass ich etwas habe, worauf ich mich gründen kann. Wenn ich mich selbst erkennen will, muss ich die Bibel lesen. Wenn ich wirklich wissen will, wer ich bin, wenn ich Gott kennenlernen will, muss ich die Bibel lesen. Wenn ich den Herrn Jesus kennenlernen will, muss ich die Bibel lesen. Wenn ich den Willen Gottes kennenlernen will, muss ich die Bibel lesen. Und wenn ich im Glauben wachsen will, muss ich die Bibel lesen.
Viele Eltern kennen sicher noch das Kinderlied, das wir gelernt haben: „Lies die Bibel, bete jeden Tag, wenn du wachsen willst.“ Und das gilt bis heute.
Die Frage ist: Bist du im vergangenen Jahr geistlich gewachsen? Bei Kindern ist das leicht festzustellen. Man stellt sie an den Türrahmen, macht einen Strich, und nach einem Jahr sieht man, dass sie gewachsen sind. Aber woran erkenne ich, ob ich im Glauben gewachsen bin?
Du musst dich nicht wundern, wenn du nicht wächst, wenn du die Bibel nicht liest. Das ist kein Zwang. Gott stellt das nicht als Bedingung. Aber wenn du wachsen willst, dann lies die Bibel.
In der Bibel zu Hause zu sein, ist etwas ganz Wichtiges. Neulich unterhielt ich mich mit einem Jugendlichen. Er hatte nicht die Bibel dabei, sondern sein Smartphone. Er las die Bibel auf dem Smartphone. Ich sagte ihm, dass ich lieber in einem Papierexemplar lese als digital. Er fragte, warum.
Ich antwortete, dass es nicht nur daran liegt, dass man bei Papier Eselsohren machen kann – das geht beim Smartphone nicht. Aber ist dir schon mal aufgefallen, dass du dich beim Autofahren mit Navi nicht mehr richtig auskennst? Du glaubst zwar dem, was da steht und was die Stimme dir sagt, doch du kennst dich nicht mehr aus. Du weißt nicht, wo Norden und Süden sind oder welche Städte drumherum liegen. Du wirst orientierungslos. Du wirst zwar geführt, aber früher, als man noch den Atlas nahm, wusste man, in welcher Gegend man sich befand.
Ich denke, das ist bei der Bibel genauso. Wenn ich die Bibel auf dem Smartphone lese, ist das eine Krücke. Ich lese nicht den Zusammenhang, ich weiß nicht, in welchem Kontext der Text steht. Deshalb ist es wichtig, dass du in deiner Papierbibel zu Hause bist. Dort kannst du anstreichen, Zusammenhänge aufzeigen und dir etwas daneben schreiben. Lies die Bibel!
Ich möchte uns ein paar Dinge mitgeben: Unsere Antwort auf Gottes Reden durch sein Wort, die Bibel, ist zum einen: Höre auf das Wort Gottes. Deswegen kommen wir hier zusammen oder auch im Hauskreis – um auf das Wort Gottes zu hören. Zum zweiten: Lies das Wort Gottes, und zwar selbst, nicht nur sonntags. Nicht nur das Kalenderblatt, sondern das Wort Gottes.
Drittens: Studiere das Wort, tauche ein und versuche, Zusammenhänge herauszubekommen. Von den ersten Christen wird gesagt, dass sie beständig in der Lehre der Apostel blieben (Apostelgeschichte 2,42). Ich werde nur sicher in meinem Glaubensleben, wenn ich meine Bibel kenne.
Das nächste ist: Denke darüber nach. Interessanterweise wurde im Alten Testament dem König von Gott aufgetragen, neben seinem Thron eine Bibel zu haben. Er sollte Tag und Nacht darüber nachdenken. Wenn du nachts nicht schlafen kannst, nimm die Bibel und lies. Das heißt nicht unbedingt, dass du dann wieder einschläfst, aber du bist gut beschäftigt.
Und lerne auswendig. Mich hat sehr beeindruckt – ich weiß nicht, ob du die Lebensgeschichte von Samuel Lampp gelesen hast, dem Chinesen, der 21 Jahre inhaftiert war. Er hatte vorher seine Bibel auswendig gelernt. Er wusste nicht, dass er ins Gefängnis kommen würde, aber er hatte die Bibel auswendig gelernt. Später merkte er, wofür das gut war, als er im Gefängnis keine Bibel mehr hatte.
Lerne auswendig, bete über das Wort Gottes und bitte den Herrn Jesus, es dir verständlich zu machen und es anzuwenden. Wenn ich die Bibel lese und sie in meinem praktischen Leben anwende, wird sie mich verändern. Dann wird sie auch die Welt in meiner Umgebung verändern.
Das ist im Grunde das, was durch die Reformation damals geschehen ist. Die Bibel hat Luther verändert und die anderen Reformatoren. Sie hat die deutsche Gesellschaft damals verändert. Heute ist davon nicht mehr viel übrig geblieben. Heute rufen alle danach: „Wir brauchen eine Leitkultur.“ Ich kann nur sagen: Lest die Bibel, dann habt ihr sie.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns klarmachen: Ich bekomme nur Festigkeit in meinem Leben, wenn ich in meiner Bibel zu Hause bin. Ich möchte damit Mut machen. Paulus sagt im 1. Timotheus 1,15: Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu retten. Amen.
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