Von der empfangenen zur gelebten Vergebung
Gut, dann machen wir weiter. Heute Vormittag haben wir darüber gesprochen, dass wir Vergebung haben. Jetzt geht es darum, dass wir vergeben.
Wir haben am Vormittag kurz besprochen, dass Gott vergibt, weil er gerecht ist und weil Jesus voll bezahlt hat. Deshalb ist Gottes Vergebung unbegrenzt und absolut. Das ist die gute Botschaft.
Wenn das so ist, stellt sich die Frage: Warum ist dann nicht jedem Menschen vergeben? Wenn Gottes Vergebung absolut und unbegrenzt ist, warum hat nicht jeder Mensch auf dieser Erde Vergebung erfahren?
Der Grund ist ganz einfach: An Gottes Vergebung ist eine Bedingung geknüpft. Wir müssen zu Gott umkehren. Die Bibel nennt das Buße tun. Ein Mensch kann Vergebung nicht erfahren, es sei denn, er wendet sich an Gott.
Potentiell ist zwar die Sünde vergeben, die Sünde der ganzen Welt ist vergeben. Aber erfahren kann ich die Vergebung nur, wenn ich mich an Gott wende.
Ihr kennt die Geschichte vom verlorenen Sohn. Der Vater hat ihn in der Ferne genauso geliebt wie in der Nähe. Die Liebe des Vaters war immer gleich. Aber der Sohn konnte die Liebe Gottes in der Ferne nicht erfahren. Das ist das Problem, bis er sich wieder an den Vater wandte.
Buße tun heißt, Gott Recht geben. Das ist das Beste, was ich bis jetzt in der Bibel gelesen habe. Gott Recht geben, bedeutet, mein Denken zu ändern. Ich habe bis jetzt ohne Gott gedacht, ich habe nur für mich selbst gedacht. Jetzt denke ich anders: Ich wende mich an Gott, ich schließe ihn ein.
Interessant sind die ersten Worte, die Johannes der Täufer gepredigt hat: „Tut Buße!“ Die ersten zwei Worte, die Jesus gepredigt hat, waren ebenfalls „Tut Buße!“ Und die ersten zwei Worte, die Petrus zu Pfingsten gesagt hat, als die Menschen fragten „Was sollen wir tun?“, waren ebenfalls „Tut Buße!“
Es waren immer die ersten zwei Worte. Es heißt: Zu Gott umkehren.
Wenn du in Stuttgart bist und deine Frau erwartet dich in München, und du steigst in Stuttgart in einen Zug Richtung Karlsruhe, dann fährst du in die falsche Richtung. Erst wenn du merkst, dass der Fahrplan dich in die falsche Richtung führt, steigst du um und fährst Richtung München. Das heißt Buße tun, umdenken.
Ich bin in die falsche Richtung unterwegs, jetzt kehre ich um.
Übrigens heißt Buße tun Umkehren, aber das ist nicht das Ende. Das Ende ist, seine Frau in den Armen zu halten. Das ist die Erlösung, wenn man es so nennen will.
Die Umkehr ist nicht das Ziel, aber du musst umkehren, um ans Ziel zu kommen.
Übrigens ist Sündenvergebung nicht das Ziel des Christseins. Aber sie ist notwendig, um in die Arme des Vaters zu kommen. Die Arme des Vaters sind das Ziel, nicht die Sündenvergebung. Die Vergebung ist nur ein Mittel, nur der Weg dorthin.
Die Bedeutung der Buße und Taufe
Johannes der Täufer predigte die Taufe zur Buße. Diese Taufe konnte zwar nicht retten, aber sie wies auf Jesus hin.
Im Lukas Kapitel 7 finden sich dazu zwei besonders aussagekräftige Verse, obwohl es noch weitere gibt. In Lukas 7,29 heißt es: „Und das ganze Volk, das zuhörte, und die Zöllner gaben Gott Recht.“ Das bedeutet, sie taten Buße und gaben Gott Recht, indem sie sich mit der Taufe des Johannes taufen ließen. Sie sind umgestiegen.
Im Vers 30 steht: „Die Pharisäer aber und die Gesetzesgelehrten machten den Ratschluss Gottes für sich selbst wirkungslos.“ Warum? Weil sie sich nicht von Johannes taufen ließen. Sie taten keine Buße, und dadurch wurde die Vergebung wirkungslos.
Dir ist vergeben, aber du kannst die Vergebung Gottes wirkungslos machen, wenn du keine Buße tust. Das heißt: Die Voraussetzung, um Vergebung zu erlangen, ist, umzusatteln und Buße zu tun.
Vergeben als Voraussetzung für eigene Vergebung
Nun, wie ist es mit einem Menschen, der bereits umgestiegen ist, der in München seine Frau in Empfang genommen hat, der beim Vater angekommen ist und Jesus kennt? Wie ist es bei diesem Menschen, wenn er betet: "Vater unser im Himmel, vergib uns unsere Schuld, so wie wir vergeben unseren Schuldigern"?
Ich weiß nicht, ob uns Folgendes bewusst ist: Jeden Sonntag gehen Millionen von Christen in ein Kirchengebäude. Jeden Sonntag beten Millionen von Christen: "Vergib uns unsere Schuld, so wie wir vergeben unseren Schuldigern." Und jeden Sonntag verlassen Millionen von Christen das Kirchengebäude unvergeben, weil sie beten: "Herr, vergib uns unsere Schuld, so wie wir den anderen vergeben."
Das heißt, wenn du deinem Nächsten nicht vergibst, gehst du unvergeben aus dem Gottesdienst nach Hause. Und das geschieht jeden Sonntag millionenfach.
Wenn du Jesus kennst, dann musst du deinem Nächsten gegenüber vergebend sein. Wenn du es nicht tust, dann kennst du die Freiheit der Vergebung nicht. Du bist zwar ein Kind Gottes – das ist deine Position – aber du lebst nicht als Kind Gottes.
Die Bedeutung von Vergebung für die Beziehung zu Gott
Um mal wieder ein Beispiel zu nehmen: Ich bin schon fast zwanzig Jahre verheiratet. Das heißt, ich bin Ehemann – das ist meine Position.
Aber vor drei Tagen haben wir wieder gestritten, weil meine Frau eine sündhafte Natur hat. Jetzt ist unsere Beziehung nicht so gut, doch meine Position als Ehemann hat sich nicht geändert. Nur die Beziehung ist nicht sehr gut.
Wozu heirate ich also? Damit auf meinem Grab einmal „Ehemann“ steht? Natürlich nicht. Ich heirate, um in einer Liebesbeziehung zu leben.
Wozu wirst du Christ? Damit du einmal in den Himmel kommst? Nein, sondern damit du in einer liebenden Beziehung mit dem Herrn Jesus lebst. Das ist der einzige Grund, warum man Christ wird.
Darum: Wenn wir unvergeben leben, verfehlen wir das Ziel unseres Lebens – nämlich in einer liebenden Beziehung zu leben. Und eins wissen wir genau: Wenn wir nicht vergeben, haben wir keine Liebesbeziehung.
Dann brauchst du übrigens auch nicht in den Himmel zu gehen.
Wissen Sie, was ich manchmal Leute frage? Ich frage sie manchmal: Warum willst du eigentlich in den Himmel? Wenn du keine Freude an Jesus Christus hier auf dieser Erde hast, warum willst du dann in den Himmel gehen?
Wenn du keine Sehnsucht nach Gott hast hier auf dieser Erde, warum gehst du dann nicht lieber in die Hölle?
Himmel ist kein Ort – oder vielleicht auch ein Ort. Aber vor allem ist der Himmel eine Beziehung. Die Beziehung zu Gott – das ist letztlich Himmel.
Die Notwendigkeit der Vergebung als Gebot
Zweitens die Notwendigkeit der Vergebung. Meinem Nächsten zu vergeben ist kein Ratschlag Gottes nur für besonders reife Christen, sondern ein Gebot Gottes für jeden Christen zu jeder Zeit.
Wenn wir nicht vergeben, haben wir keine Freude am Herrn und keine Freude an unseren Geschwistern. Nicht zu vergeben bedeutet, Satan in die Falle zu laufen. Im 2. Korintherbrief Kapitel zwei steht: „Ich vergebe, wenn ich vergeben muss,“ damit wir nicht von Satan übervorteilt werden.
Im Epheserbrief Kapitel vier heißt es: „Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn, gebt dem Teufel keinen Raum.“ Wenn wir nicht vergeben, geben wir dem Teufel Raum in unserem Leben. Das ist eine ernste Sache.
Wisst ihr, wer die unglücklichsten Menschen sind? Die bedauernswertesten Menschen sind nicht jene, denen nicht vergeben wird, sondern jene, die nicht vergeben können. Das sind die bedauernswertesten Menschen.
Wenn du nicht vergeben willst, dann weiß ich etwas über dich: Du bist unglücklich. Du hast keinen Frieden. Denn der, der nicht vergibt, leidet in der Regel viel mehr, weil sich seine Gedanken ständig darum drehen, wie er dem Nächsten das Unrecht vergelten könnte.
In der Regel stellen sich dann Dinge ein wie Negativität, Kritik, Sucht, Bitterkeit und Selbstmitleid. Menschen, die nicht vergeben, werden mit der Zeit sehr unattraktive Menschen. Sie sind kein Segen in der Gemeinde, sie sind ziemlich unattraktiv und haben keinen inneren Frieden.
Die Praxis der Vergebung im Umgang mit Schuld
Nun zum Dritten: die Praxis der Vergebung. Wie wird sie gehandhabt?
Wenn jemand sündigt, egal ob er gegen dich oder gegen jemand anderen sündigt – Sünde ist immer persönlich. Man sündigt nie unpersönlich. Wenn jemand sündigt, genügt es nicht, einfach abzuwarten, bis er zu dir kommt und es dir bekennt. Es ist vielmehr unser Auftrag, die unausgesprochenen Mauern, die Schuld aufbauen, anzusprechen und zu beseitigen.
Im Lukas 17,3-4 finden wir eine hilfreiche Anordnung unseres Herrn Jesus. Dort heißt es: „Habt Acht auf euch selbst! Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht. Und wenn er es bereut, so vergib ihm. Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigt und siebenmal zu dir umkehrt und sagt: ‚Ich bereue es‘, so sollst du ihm vergeben.“
Dieser Vers ist sehr wichtig für die Praxis der Sündenvergebung. Er sagt:
- Wenn dein Bruder sündigt – Punkt Nummer eins: Er sündigt.
- Zweitens: Weise ihn zurecht.
- Drittens: Wenn er es bereut.
- Viertens: Dann vergib ihm.
Hier werden viele Fehler gemacht. Bevor du vergeben kannst, bevor Vergebung in Kraft tritt, muss der Übertreter Einsicht haben. Er muss Buße tun und dir Recht geben. Sonst kann Vergebung nicht wirksam werden.
Wir als Christen sollen immer vergebend sein. Vergeben kannst du jedoch nur dann, wenn der andere, der Schuldige, seine Schuld einsieht.
Grenzen der Vergebung bei wiederholtem Unrecht
Ich gebe euch ein Beispiel, wie es oft missverstanden wird.
Da lebt eine Frau mit einem Mann zusammen. Er ist Alkoholiker, sie ist gläubig. Jedes Mal, wenn er betrunken nach Hause kommt, schlägt er seine Frau. Da die Frau Christin ist, glaubt sie, sie müsse ihm jedes Mal vergeben. Das ist jedoch falsch.
Die Bibel sagt uns ganz klar: Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht. Und wenn er es bereut, dann vergib ihm. Das heißt, dieser Alkoholiker muss zuerst lernen, wie man eine Frau richtig behandelt. Es muss ihm Leid tun. Erst dann kann die Vergebung der Frau in Kraft treten.
Die Frau soll vergebend sein, aber sie kann nicht vergeben, bevor er nicht bereut hat. Es geht nicht anders. Das heißt, so eine Frau, die vom Mann geschlagen wird, soll ausziehen, bis er lernt, sie richtig zu behandeln. Dann kann sie vergeben, wenn er seine Tat bereut.
Und wisst ihr, gerade in solchen Situationen – und das kommt ja nicht selten vor – braucht eine solche Frau die Unterstützung der Brüder und Schwestern in der Gemeinde. Leider ist es oft so, dass sich die Brüder und Schwestern in solchen Situationen zurückziehen. Das ist eine tiefe Gemeinheit.
Diese Menschen brauchen Brüder und Schwestern. Wir müssen lernen, biblisch zu handeln und biblisch zu leben, nicht nur darüber zu reden.
Umgang mit Sünde in der Gemeinde
Jesus hat uns eine klare Anweisung gegeben, wie wir mit Sünden untereinander umgehen sollen. Diese finden wir in Matthäus Kapitel 18. Das kennt jeder Christ, doch leider praktizieren es die wenigsten.
Matthäus 18,15 sagt Jesus: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin und überführe ihn unter vier Augen, zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.“
Wisst ihr, was immer das Erste ist? Immer, immer, immer das Erste? Wenn du einen Bruder sündigen siehst, dann erzähl es nicht deiner Ehefrau, auch nicht den Ältesten der Gemeinde, nicht dem Pfarrer und auch nicht deinen Freunden. Sondern als Erstes gehst du zu ihm, nur zu ihm, unter vier Augen.
Freunde, wenn wir diese Regel beachten würden, die Jesus uns gegeben hat, dann hätten wir viele Probleme in unseren Gemeinden nicht. Das Problem ist, dass wir überall anders hingehen, nur nicht zu dem, der gesündigt hat.
Wenn dein Bruder sündigt, dann geh nur zu ihm. Und wenn er auf dich hört, hast du den Bruder gewonnen.
Zweitens sagt Jesus: „Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei dazu, damit auf zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt wird.“ Das heißt, wenn du zu ihm gehst und er sagt: „Na, das ist nicht so“ oder „Das geht dich sowieso nichts an“ und „Ich bin nicht schuldig“, dann nimm noch einen oder zwei mit. Das ist sehr wichtig, denn Außenstehende können es objektiv beurteilen. Die, die du mitnimmst, können feststellen, ob das Problem wirklich bei ihm liegt oder vielleicht eher bei dir. Darum nimm einen oder zwei Zeugen mit.
Und wenn er auf sie hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.
Drittens, und das ist erst die dritte Möglichkeit: Wenn er aber auch auf sie nicht hören wird, dann sage es der Gemeinde. Das ist erst der letzte Schritt. Leider ist es in der Praxis oft der erste.
Wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner.
Übrigens: Wie hat Jesus Heiden und Zöllner behandelt? Er hat sie geliebt und ist ihnen nachgegangen. So behandelt man Menschen, die sündigen: ihnen nachgehen und sie lieben. Das ist die Anordnung Jesu.
Ganz klar: Wenn wir das nur ernst nehmen würden, die Vergebungspraxis, wie Jesus sie uns gelehrt hat, hätten wir die meisten Probleme nicht.
Sieh dir deinen Nächsten an: Wenn du ihm vergibst und er nimmt deine Vergebung nicht an, dann ist das sein Problem, nicht mehr dein. Aber du vergib ihm. Wir sollten immer vergebend sein.
Die Bedeutung der Beichte in der Gemeinde
Übrigens, die Beichte ist eine sehr wichtige Sache. Wir Evangelischen und Evangelikalen haben sie leider abgeschafft. Das war ein großer Fehler und eine große Dummheit. Wir brauchen die Beichte.
Viele Dinge kann man im persönlichen Gebet mit Gott klären. Aber es gibt Situationen, in denen man Brüder und Schwestern braucht, denen man beichtet, damit im Namen Jesu vergeben werden kann. Das ist wichtig. Diese Praxis müssen wir wieder neu entdecken.
Ein lieber Freund, der inzwischen verstorben ist, Charlie Moore, war der Direktor vom Bodenseehof. Er erzählte einmal von einem Mann, der jahrzehntelang in seiner Gemeinde war, egal wohin Charlie ging. Nach vielen Jahren kam dieser Mann zu Charlie und sagte: „Ich muss dir etwas beichten, was ich im Zweiten Weltkrieg getan habe.“ Erst nachdem Charlie ihm die Sündenvergebung zugesprochen hatte, fühlte sich der Mann frei.
Er hatte hundertmal um Vergebung bei Gott gebeten, aber er brauchte die Beichte. Das ist wichtig, Freunde. Wir müssen diese Praxis wieder neu entdecken.
Vier Missverständnisse, die das Vergeben erschweren
Dann gibt es noch vier Gründe, warum es uns oft so schwerfällt zu vergeben.
Diese vier Missverständnisse hindern uns leider daran, zu vergeben, obwohl wir es eigentlich tun sollten.
1. Vergebung muss immer sofort geschehen
Das Erste ist: Wir glauben, dass Vergebung immer sofort geschehen muss. Wir erwarten, dass, wenn ich um Vergebung bitte – und das kostet mich ja schon Überwindung – ich wenigstens sofort vergeben werde. Das ist jedoch nicht korrekt.
Wenn du jemanden um Vergebung bittest, sei es deine Ehefrau, deine Kinder oder sonst jemand, musst du nicht erwarten, dass die Person sofort freudenfroh sagt: „Super, ich vergebe dir.“
Eine Frau hat mir gefallen, weil sie so ehrlich war. Da kam ihr Mann zu ihr und sagte: „Ich bitte dich um Vergebung für das, was ich gesagt habe.“ Sie antwortete: „Ich vergebe dir morgen um fünf Uhr nachmittags, vorher nicht.“ Das finde ich gut. Sie braucht ein bisschen Zeit, und diese Zeit muss man dem anderen einräumen. Vergebung geschieht nicht immer sofort.
Im Alten Testament mussten die Israeliten jedes Jahr bis zum Jom Kippur warten, bis sie Vergebung erhielten – ein ganzes Jahr lang. Gott selbst wartete von Eden bis Golgatha, bis die Vergebung endgültig der Welt gegeben wurde. Es dauerte 33 Jahre, von Bethlehem bis zum Kreuz. Wir mussten warten.
Vergebung tritt nicht immer sofort ein. Manchmal braucht es Zeit, um Wunden zu heilen. Deshalb müssen wir geduldig sein, dem Nächsten Zeit lassen und keinen falschen Druck ausüben, wenn es um Vergebung geht.
2. Vergeben heißt nicht vergessen
Zweites Missverständnis
Wir haben oft gehört, dass vergeben gleichbedeutend mit vergessen ist. Das ist jedoch falsch. Wenn Gott vergibt, dann vergibt und vergisst er auch. Das stimmt, aber du bist nicht Gott. Wenn du vergibst, sollst du nicht vergessen.
Das ist ein Irrtum. Wenn du nach einem Meeting zu mir kommst und mir so nahe trittst, dass du mir auf die Zehen steigst, dann werde ich dir vergeben. Aber ich werde nicht vergessen. Beim nächsten Mal werde ich einen Stuhl zwischen uns stellen, denn ich möchte mich in Zukunft vor diesem Fusstritt schützen.
Eine Frau aus einer tragischen Geschichte wurde als Mädchen von ihrem Vater sexuell missbraucht. Sie wurde Christin und man sagte ihr, sie müsse vergeben und vergessen. So hat sie mit aller Kraft vergeben und alles verdrängt, um zu vergessen. Jahre später vertraute sie ihre Enkeltochter wieder ihrem Vater an, und er missbrauchte das Enkelkind erneut sexuell.
Vergeben ja, aber sie hätte nicht vergessen sollen. Vergeben bedeutet nicht vergessen – das ist falsch. Das kann nur Gott, nicht du. Deshalb sollten wir es nicht tun.
3. Vergebung heißt nicht Gutheißen des Unrechts
Drittes Missverständnis
Wir glauben manchmal, wenn wir vergeben, dann müssen wir das geschehene Unrecht gutheißen. Dann sagen wir so in der Art: „Ja, es ist ja nicht so schlimm, was du getan hast.“ Das ist falsch.
Wenn der andere etwas Falsches gegen dich tut, dann ist es falsch und es bleibt falsch. Es wird durch die Vergebung nicht besser, sondern nur ausgeräumt. Die Tat an sich wird deshalb nicht gutgeheißen.
Leute, die Dinge dauern, wir sagen so „unter den Teppich kehren“, ist ja nicht so tragisch, die explodieren früher oder später oder sie ziehen sich zurück. Es gibt eine der zwei Möglichkeiten.
Gott nennt Unrecht niemals Recht. Böses wird niemals gut. Es hat ihn seinen Sohn gekostet. Sünde bleibt Sünde, Unrecht bleibt Unrecht.
Scheidung bleibt ein Verbrechen, speziell den Kindern gegenüber. Sie macht Scheidung nie besser, als sie ist – es ist ein Verbrechen.
Abtreibung bleibt Mord. Mach nie etwas anderes daraus! Unrecht bleibt Unrecht.
Homosexualität bleibt Sünde. Mach nie etwas anderes daraus. Übrigens, so wie viele andere Sünden auch: Schlecht nachreden ist eine Sünde.
Wisst ihr, was entscheidend ist? Dass wir Sünder Sünde nennen. Entscheidend ist aber jetzt, wie gehe ich mit dem Sünder um?
Wie gehst du mit einer Frau um, die gerade geschieden wurde? Du brauchst sie nicht zu nennen: „Du bist eine Verbrecherin.“ Nein, du sollst sie lieben, in die Arme nehmen, ihr helfen, ihr beistehen.
Wie gehst du mit jemandem um, der gerade abgetrieben hat? Du brauchst ihn nicht einen Mörder zu nennen. Du sollst ihm helfen, ihn unterstützen, ihn lieben, soweit du nur kannst.
Wie geht man mit Homosexuellen um? Nennt man sie Sünder? Nein. Du machst sie nicht nieder, sondern du hilfst ihnen. Du hilfst ihnen, zurechtzukommen. Du liebst sie, du stehst ihnen bei.
Es ist eine Sache: Sünder bleibt Sünder. Aber wie gehe ich mit dem Sünder um? Und da ist Jesus Christus das beste Vorbild.
Er hat Sünde immer Sünde genannt. Aber schau mal, wie er mit Sündern umgegangen ist: so liebevoll, so barmherzig, so einfühlsam.
Und Freunde, wir sollten die beiden Dinge nicht miteinander verwaschen. Macht Sünde nie weniger, als sie ist. Und seid nie weniger barmherzig, als Jesus sagt, dass wir sein sollten.
Schuld bleibt Schuld.
Wisst ihr, warum sich Menschen schuldig fühlen? Weil sie schuldig sind. Ganz einfach.
Manchmal passiert es bei uns. Wir haben ja mehr Bibelschüler bei uns, und die Bibelschüler machen ja auch manchmal Dinge, die nicht in der Bibel stehen. Das ist ja okay.
Und wenn du sie dann konfrontierst, sagen sie ein, zwei Mal: „Du redest ja mit mir, du gibst mir direkt Schuldgefühle.“ Ich hoffe es, weil du schuldig bist.
Seht ihr, Schuld bleibt Schuld. Die Frage ist nur, wie gehe ich jetzt damit um? Und...
4. Vergebung bedeutet nicht immer Wiederherstellung der Beziehung
Als viertes Missverständnis, warum es uns schwerfällt zu vergeben, glauben viele, dass Vergebung immer die Wiederherstellung der Beziehung bedeutet. Das ist jedoch falsch. Es kann sein, dass du jemandem vergibst, dich aber nie wieder mit dieser Person versöhnst. Das ist durchaus möglich und auch richtig.
Ein Mann hat einmal gesagt: Am Tag, an dem ich meinem Vater vergeben habe, begann mein Leben. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater jedoch bereits seit zehn Jahren tot. Der Sohn musste seinem Vater vergeben, um als freier Mensch leben zu können. Eine Versöhnung war nicht mehr möglich, aber Vergebung war es.
Manchmal wollen wir nicht vergeben, weil wir Angst haben. Wir denken: Wenn ich diesem Menschen vergebe, wird er am Ende nur ein Freund, und das will ich vermeiden. Deshalb vergebe ich ihm lieber gar nichts. Aber das stimmt nicht. Du kannst vergeben, ohne dass die Person dein Freund wird.
Eine wahre Geschichte aus Pakistan verdeutlicht das. Ein Mann wurde unschuldig zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Der Bürgermeister dieses Dorfes hatte ein Verbrechen begangen und die Schuld so verdreht, dass der kleine Mann als schuldig gesprochen wurde.
Als der Mann ins Gefängnis kam, sagte er zu dem Bürgermeister: An dem Tag, an dem ich aus dem Gefängnis komme, werde ich dich umbringen. Die Haft sollte zwanzig Jahre dauern, doch nach fünf Jahren wurde er wegen guter Führung entlassen. Während dieser Zeit wurde der Mann im Gefängnis gläubig an Jesus Christus.
Das Erste, was er nach seiner Entlassung tat, war, in den Bus zu steigen und in den Ort zu fahren, in dem der Bürgermeister lebte. Die Dorfbewohner waren gespannt und nervös, was geschehen würde.
Der Mann ging zum Haus des Bürgermeisters, klopfte an die Tür, die der Bürgermeister nur einen Spalt öffnete und fragte: Was ist los? Der Mann antwortete: Ich wollte dir nur sagen, dass ich im Gefängnis zum Glauben an Jesus Christus gefunden habe und dir vergeben habe.
Daraufhin öffnete der Bürgermeister die Tür ganz und sagte: Das ist ja wunderbar, willkommen, lass uns gemeinsam essen. Doch der Mann erwiderte: Ich werde wahrscheinlich nie mit dir essen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir vergeben habe. Dann ging er wieder.
Vergebung bedeutet also nicht unbedingt absolute Versöhnung oder dass die Person dein bester Freund wird.
Vergeben als Akt des Willens
Ich höre oft von Menschen den Satz: „Ich kann nicht vergeben.“ Oder: „Das kann ich ihm nicht vergeben.“ Übrigens sagen sie meistens „ihm“ oder „ihr“, nennen aber kaum den Namen, wenn sie das sagen. Ich frage dann immer: Wie heißt er eigentlich? Es ist wichtig, den Namen auszusprechen.
Wisst ihr, was die Wahrheit ist? Meine Gefühle sagen mir: „Ich kann ihm das nicht vergeben“ oder „Ich kann ihr das nicht vergeben.“ Dein Wille sagt: „Ich will ihm nicht vergeben.“ Es ist ja ganz klar: Natürlich fühlt man sich nicht danach, dem zu vergeben, der einem Unrecht angetan hat. Du wirst dich nie danach fühlen, zu vergeben – das ist Blödsinn.
Aber du kannst ihm vergeben. Es ist ein Akt des Willens, nicht des Gefühls. Wenn du einem Menschen vergibst, der dir Unrecht getan hat, wird das gegen all deine Gefühle gehen. Das ist ja normal. Aber du kannst es tun. Es ist ein Akt des Gehorsams.
Vergebung ist kein Vorschlag Gottes, sondern ein Gebot. Und wisst ihr, was das Schöne dabei ist? Wenn du dem Schuldigen vergibst, hier ist dein Wille und hier ist dein Gefühl. Am nächsten Tag wirst du munter, und dein Gefühl sagt dir: „Du hast nicht wirklich vergeben, der ist immer noch ein blöder Kerl.“ Du hast nicht wirklich vergeben. Aber dein Wille sagt: „Doch, ich habe ihm vergeben.“
Dann bleib bei deinem Willen, bleib bei dem, was du getan hast. Dann wirst du feststellen: Dein Gefühl wird Jahr um Jahr näher an deine Entscheidung herankommen. Und Jahre später habe ich auch schon erlebt, dass Menschen sagen: „Ich bin so dankbar, dass ich vergeben habe. Ich kann ihm jetzt auch mit meinem Gefühl vergeben.“
Aber, Freunde, das dauert oft Jahre, und das ist völlig okay. Wenn du als Kind vergewaltigt wurdest von deinem Vater oder von deinem Onkel, habe ich nur einen Ratschlag: Vergib ihm. Du musst ihm vergeben. Es gibt keine Alternative.
Wenn deine Eltern dich links liegen gelassen haben und du deshalb Minderwertigkeitskomplexe hast, vergib ihnen. Es gibt keine andere Wahl. Wenn jemand Falsches über dich geredet hat, das dich hinuntergezogen hat in den Dreck, vergib ihm. Es gibt keine andere Alternative.
Lukas 6 sagt: Jesus spricht, lasst los, und ihr werdet losgelassen werden. Vergib, und du wirst endlich frei werden. Du musst vergeben, damit du frei wirst.
Vergebung in der Ehe und das Ablegen des Stolzes
Ein allerletztes Wort, speziell für die Ehepaare: Wenn Schuld aufkommt – manchmal ist es nur ein blödes Wort, manchmal ist es mehr – sei immer der Erste, der um Vergebung bittet. Auch wenn das Problem beim anderen liegt, zumindest glaubst du das.
Weißt du, was es dich kostet? Mich kostet es alles. Ich brauche Jesus dazu.
Wenn wir wieder einmal gestritten haben und ich weiß, das Problem liegt bei ihr, weil sie so dickköpfig ist, und sie ist dies und das und ungeistlich und alles Mögliche, dann gehe ich spazieren und bete. Ich frage Jesus: Was soll ich tun? Aber Jesus sagt: Du musst vergeben.
Dann sage ich: Das Problem ist bei ihr, sie soll kommen. Er sagt: Das kann schon sein, aber du sollst vergeben. Du bist das Haupt der Familie.
Dann denke ich: Ja super. Soll ich jetzt die Tür öffnen? Denkst du, ich mache das? Dann schaut sie nur komisch rein, denkt, ich gehe wieder weg, ich gehe noch mal beten. Dann geht sie hinein, legt den Arm um mich, sagt: Es tut mir leid, bitte vergib mir. Und dann sagt sie: Es war sowieso meine Schuld, ja, ich weiß, und so weiter.
Aber Freunde, wisst ihr, was es uns kostet? Unser Stolz, sonst nichts.
Wisst ihr, was es Gott gekostet hat, zu vergeben? Seinen Sohn.
Glaubst du nicht, dass es dich auch ein bisschen etwas kostet, zu vergeben? Es ist nur dein Stolz, sonst gar nichts. Mehr nicht.
Freunde, wenn wir das lernen würden und wirklich in die Praxis umsetzen, dann wird das dich nervös machen, das sage ich dir. Aber eure Gemeinden werden aufblühen, das sage ich euch auch.
Ertragen und Vergeben als Lebenspraxis
Ein ganz letzter wichtiger Satz steht in Kolosser 3,13: „Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig.“
Freunde, es gibt Menschen in deiner Gemeinde, in deiner Familie, an deinem Arbeitsplatz, bei denen es nichts zu vergeben gibt. Diese Menschen musst du einfach ertragen, weil sie eben so sind. Sie sind einfach anders „gedrahtet“ als du. Sie sündigen nicht gegen dich, sie haben nichts Böses im Sinn, sie sind nicht gemein oder bösartig – sie sind einfach anders. Diese Menschen musst du einfach ertragen. Das ist wunderbar.
In jeder Gemeinde gibt es solche Leute. Wahrscheinlich gehörst du selbst auch manchmal zu ihnen. Es kommt immer darauf an, in welcher Gruppe man gerade ist. Wir müssen lernen, einander zu ertragen. Und dort, wo Schuld im Spiel ist, müssen wir einander vergeben. Das ist die gelebte Praxis des Lebens.
Sieh nur, wie praktisch das Wort Gottes ist: „Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig!“ Wenn wir das wirklich so tun würden, wäre die Welt ein wunderbarer Ort. Vergebung ist so notwendig.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns gegenseitig Gutes tun, uns ertragen und vergeben – und das aus der Kraft Jesu. Ohne diese Kraft könnten wir das nicht. Wenn ich Jesus nicht hätte, könnte ich es nicht schaffen. Und du auch nicht.
Das treibt uns immer wieder zu Jesus. Jeden Tag kommen wir zu ihm und sagen: „Herr Jesus, ich komme damit nicht zurecht. Das weiß ich sowieso, darum brauchst du mich ja. Dafür habe ich dich, Jesus.“ Sonst bräuchten wir ja keine Christen zu sein und könnten genauso leben wie alle anderen.
Schlussgebet um Kraft zur Vergebung
Himmlischer Vater, wir danken dir einfach für dein gutes Wort. Wir danken dir für die Vergebung, die uns widerfahren ist und die dich, Vater, alles gekostet hat – nämlich deinen eigenen Sohn.
Herr, alles, was uns Vergebung noch kostet, ist Gehorsam und das Ablegen vom Stolz. Es ist nicht allzu viel und doch so unendlich schwierig.
Herr, ich bete, dass wir lernen, dass Vergebung vielmehr von unserem Willen abhängt als von unseren Gefühlen. Herr, vergib uns, wo wir glauben, wir müssten darauf warten, bis wir uns danach fühlen, jemanden zu vergeben. Das wird nie kommen. Aber wir wissen, dass wir vergeben müssen.
Herr, wir wollen loslassen, damit auch wir frei werden. Wir wollen nicht als Gebundene leben, als Menschen, die nicht vergeben.
Ich bete für jeden von uns, dass wir den Mut haben, auch wenn es uns wirklich alles kostet, wir nervös werden, zu schwitzen beginnen und es uns zu dir treibt. Denn nur von dir heraus, aus deiner Kraft und Liebe, können wir wahrhaft vergeben und Vergebung annehmen.
Das bete ich für uns, Herr, im Namen unseres lieben Herrn Jesus Christus. Amen.