Herr Pfarrer Eisler, wir freuen uns, dass Sie heute wieder den Weg zu uns gefunden haben. Der Weg ist ja inzwischen etwas weiter geworden. Sie kommen von der Schwäbischen Alb und sind seit August im Ruhestand.
Übrigens, Schwäbische Alb klingt nach Beschaulichkeit, eben nach Ruhestand. Wie ruhig ist Ihr Ruhestand?
Ja, jedenfalls bin ich im Ruhestand. Und es hat sich auch einiges geändert. Zum Beispiel hat sich der Wohnort geändert. Nicht mehr Stuttgart, wo ich, wenn ich alles zusammenzähle, 35 Jahre gelebt habe, sondern jetzt Hülben. Ich weiß nicht, ob Sie Hülben kennen. Es ist nach Eidingen der zweitschönste Platz Europas. 724 Meter hoch, genauso hoch wie Jerusalem.
Sehen Sie, deshalb haben sich auch die Menschen geändert. In Stuttgart sind sie etwas vornehmer, die Hülberner sind Direktor und vielleicht...
Ein neuer Lebensabschnitt und veränderte Umgebungen
Darf ich ganz kurz erzählen? Ich habe das schon öfter erzählt, aber es war so nett: Mein Nachbar kam auf mich zu in der Neubausiedlung und sagte: „Ich heiße Norbert, wie heißt du?“ Ich antwortete: „Okay, ich heiße Konrad.“ Dann sagte Konrad: „Ich habe eine Frage. Als dieses Haus gebaut wurde, habe ich dich überhaupt gar nie auf dem Bau gesehen.“
„Hast du so viel Geld?“ fragte er. Ich antwortete: „Nein, Norbert, das Haus habe ich nicht gebaut. Dazu hat es bei mir nie gereicht. Ich wohne hier zur Miete.“
Dann ging er zwei Schritte zurück, schaute mich von oben bis unten an und sagte: „Konrad, hast du nichts geschafft?“
Sehen Sie, das wollte ich nur sagen: Die Menschen haben sich geändert, die Gemeinde hat sich geändert, aber eines ist gleich geblieben: Die Treue Gottes ist unverändert. Unter der und mit der gehe ich, und ich finde es eigentlich großartig, einen dritten Lebensabschnitt, soweit gesund, beginnen zu können – neben diesem Herrn.
Früher ist man ja immer ein Stück weiter hinaufgezogen. Schließlich war man im dritten Stock, so wurde mir in der Stadt gesagt. Das war die Belletage, die schöne Etage. Ich wohne jetzt durch Gottes Güte und Geschenk in der Belletage des Lebens.
Herr Pfarrer Eisler, noch eine Frage: Können Sie jetzt einem Hobby nachgehen?
Richtig, ja. Erst recht. Mein Hobby ist die Verkündigung des Evangeliums, und dem gehe ich jetzt erst recht nach. Ein anderes Hobby habe ich nicht. Ich habe zwei linke Hände, sonst überhaupt nichts – außer dieser Möglichkeit. Und das tue ich mir gerne an.
Wie werden Sie dieses Jahr Weihnachten verbringen? Sofern von der Stiftskirche und ohne drei, vier, fünf Gottesdienste – oder doch?
Ja, außer der Stiftskirche gibt es noch andere Kirchen in unserem Land, Gott sei Dank. Und ich werde selbstverständlich – oder besser gesagt auf Einladung – dort auch an Weihnachten predigen.
Ich gehöre dort zur alpidischen Stunde, und dort sind ja immer ein paar Brüder – nicht wie hier, wo einer allein die Leute langweilt, sondern wo ein paar miteinander reden. Dort bin ich regelmäßig in der Stunde, dort ist zweimal am Wochenende, also an dem Feld nicht.
Neue Erfahrungen und eine besondere Reise
Und drittens muss ich noch etwas Wichtiges erwähnen, was ich bisher noch nie gemacht habe: Ich muss an Weihnachten die Koffer packen. Zum ersten Mal in meinem Leben fahre ich dann am 27. mit einer 130-köpfigen Gruppe nach Israel.
Ich habe immer behauptet, auch hier, dass ich nie nach Israel gehen werde, weil ich das vom Himmel aus anschauen möchte. Dann hat man die totale Übersicht. Aber als mir im Frühjahr jemand sagte: „Woher weißt du denn, dass du in den Himmel kommst?“, habe ich schnell eine Reise gebucht.
Vielen Dank, Herr Pfarrer Eisler, und wir wünschen Ihnen eine gute Reise nach Israel. Das ist natürlich schön für die Gruppe, wenn Sie dabei sind. Beneidenswert, oder?
Ja, wir wollen jetzt noch miteinander ein Lied singen, Nummer 137: „Wie soll ich Dich empfangen?“ Ein großartiger, sonniger Tag heute. Man muss nur die richtigen Leute einladen, nicht wahr?
Aber gehen Sie mit mir noch in ein sonnigeres Land, genauer gesagt in das heutige Griechenland, nach Saloniki, damals Thessalonich. Vielleicht nehmen wir noch einmal den Weg des Apostels Paulus und seines Evangelistikteams Timotheus, Silas und dem Arzt Lukas.
Sie waren ja in Antiochien aufgebrochen, hatten dann Schwierigkeiten mit dem Weg, brachen schließlich durch bis Troas. Dort hatte Paulus in der Nacht ein Gesicht: „Komm herüber nach Europa und hilf uns!“ Mit dem nächsten Schiff ging es dann hinüber nach Philippi.
Dort gab es einen Höhepunkt und einen Tiefpunkt: Der Höhepunkt am Flüsschen Gangites, als der Lydier das Herz aufging und sie zu einer lebenden Christin wurden. Und der Tiefpunkt im Gefängnis, als sie eingelocht und geschlagen wurden, blutig geschlagen.
Am nächsten Morgen zogen sie weiter, freigelassen. Wir wären doch umgekehrt, hätten gesagt: „Jetzt ist es genug, jetzt reicht es, jetzt geht es über die Hutschnur!“ Aber Paulus ging weiter.
So wie es Livingston, jener Missionar, Abenteurer und Wissenschaftler, damals kurz vor seinem Tod aufgeschrieben hat – und nach seinem Tod wurde dieser Zettel in seiner Jacke gefunden. Dort steht: „Solange es vorwärts geht, will ich mitgehen. Solange es vorwärts geht im Reiche Gottes, will ich mitgehen.“
Der unermüdliche Weg im Dienst Gottes
Bei uns heißt es immer: Solange die Kinder noch so klein sind, will ich zu Hause bleiben. Solange ich noch in der Ausbildung bin, muss ich mich etwas rar machen. Solange ich noch keine Frau habe, habe ich keine Zeit für anderes. Solange ich selber Kinder aufziehen muss, gilt das ebenso.
Livingston hat gesagt: Solange es vorwärtsgeht im Reich Gottes – und im Reich Gottes geht es vorwärts – solange dieser Herr vorangeht, gehe ich mit, gehe ich mit.
Dann kamen sie nach Thessalonich. Dort gingen sie nicht ins Hotel, sondern, wie wir heute sagen würden, aufs Arbeitsamt. Zuerst wurde ein Job gesucht. Paulus wollte sich absetzen von diesen Wandervögeln, von diesen religiösen Wandervögeln, die sich durch Stundenlöhne oder Gottesdienstbesuche finanzieren ließen. Er wollte seine Fahrkarte selbst bezahlen, sein Ticket selbst erwirtschaften.
So ging er zu Jason, und dort arbeitete er wahrscheinlich an einem Webstuhl. Schauen Sie sich einen solchen Webstuhl oben in Leichlingen auf der Schwäbischen Alb an, um zu verstehen, was das für eine Arbeit war. Und dann nicht nur acht Stunden, sondern zwölf Stunden. Wenn er erschöpft war, ging es hinaus, um das Wort Gottes zu verkündigen. In drei Wochen entstand dort eine lebendige Gemeinde. Er war dort dieser Bote Gottes.
Ich habe gerade von Wilhelm Soroyen gelesen, in seinem herrlichen Buch wird von einem Laufburschen des Telegrafenamtes berichtet. Wenn dieser eine Glücksbotschaft zu überbringen hatte, lachte er mit den Leuten. Wenn er eine Hiobsbotschaft zu überbringen hatte, weinte er mit den Leuten. Er war ein Laufbursche aus Leib und Seele.
Paulus war Gottes Laufbursche aus Leib und Seele. Er lachte mit den Leuten, er weinte mit den Leuten über die Botschaft, die er zu bringen hatte: So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen.
Nach drei Wochen war Paulus auf der Flucht und musste die Stadt wieder verlassen. Dann hatte er Heimweh – so Heimweh, wie ein Seelsorger nach seiner alten Gemeinde immer wieder hat. Das ist das Normale.
Dann schrieb er einen Brief, denn er wollte wissen, wie es weitergeht. Er wollte Fehler vermeiden, und so ist der Thessalonicherbrief entstanden.
Die Erwartung des Wiederkommens Christi
Ein Kapitel zum Advent lese ich aus dem 5. Kapitel des ersten Thessalonicherbriefes. Dort heißt es:
„Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben, denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Und wenn sie sagen werden, es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen einer schwangeren Frau, und sie werden nicht entfliehen. Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme, denn ihr seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nicht schlafen wie die anderen, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.“
Nicht wahr, Zeiten haben wir schon erlebt, Zeiten, von denen wir tagelang erzählen könnten. Zum Beispiel Kriegszeiten, als wir mit der Mutter und den Geschwistern im Keller hockten. Der Vater war im Krieg, und der Bruder bei der Flak. Nicht nur einmal flogen die Fenster heraus und mussten durch Pappe ersetzt werden. Unvergessliche Stunden dort im Keller.
Kriegszeiten oder Nachkriegszeiten, als wir mit der Mutter und im Wägelchen mit meinen fünf Geschwistern hinaufzogen auf den kleinen Heuberg von Oberndorf am Neckar, um dort bei den Bauern zu betteln. Aber wenn wir keine Ami-Zigaretten hatten, bekamen wir wenig oder manchmal auch gar nichts. Hunger hatten wir, wahnsinnig Hunger. Und zum Frühstück gab es ein paar Röstkartoffeln ohne Fett gebraten.
Nachkriegszeiten oder Krankheitszeiten, als man mitten im Leben plötzlich auf dem Krankenlager stand. Der Arzt machte ein ernstes Gesicht, und die Schwester sagte kein Wort. Sollte das Ende des Lebens schon in der Mitte des Lebens gekommen sein? Krankheitszeiten!
Wenn wir alles zusammentragen würden, könnten wir Bücher füllen. Doch diese Zeiten sind uns ins Gedächtnis geschrieben. Hier heißt es: „Es ist nicht nötig, euch davon zu schreiben.“ Das wissen wir, das vergessen wir auch nicht – die Zeiten.
Und Stunden haben wir schon erlebt, Stunden, von denen wir wieder stundenlang berichten könnten. Zum Beispiel die Sternstunde, als wir unseren Stern zum Traualtar führten. Die Schwiegermutter war nach langen Überlegungen schließlich bereit, ihre schweren Bedenken gegen den Bräutigam zurückzustellen. Dann wurde gefeiert, der Himmel war voller Bassgeigen, und die Erde rosarot eingepinselt.
Sternstunden oder Geburtsstunden – unvergesslich. Als der erste Sohn geboren wurde, sagte der Arzt ganz der Vater, wobei er sicher mehr an den Haardrache dachte als an den Bruch.
Geburtsstunden oder Abschiedsstunden – Abschiedsstunden, als vielleicht die Mutter oder der Vater oder sogar die Frau oder der Mann aus dem Haus getragen wurden. Es war so entsetzlich leer zu Hause. Die Narbe des Familienrates war ausgebrochen.
Stunden haben wir schon erlebt, die sind uns ins Gedächtnis geschrieben. Die müssen gar nicht erst aufgeschrieben werden, die vergessen wir nicht.
Die Bedeutung des erwarteten Tages
Der Apostel hat Recht, doch genau das ist die Frage dieses Textes und auch die Frage dieses Tages. Haben wir in den letzten Tagen und Stunden nicht den Augenblick seines Kommens aus den Augen verloren?
Kennen wir noch Daniel 7, in dem es heißt, dass er mit den Wolken des Himmels kommen wird? Kennen wir noch Jesaja 2, wo der Tag des Herrn angekündigt wird? Kennen wir noch Jesu eigenes Wort, dass er wiederkommen wird, um die Lebendigen und die Toten zu richten? Wissen wir noch davon?
Es gibt nicht nur eine Armbanduhr und nicht nur eine Wanduhr. Es gibt auch eine Gottesuhr. Auf dieser Gottesuhr war es Mitternacht, als Gott sprach: "Es werde Licht." Und ab diesem Moment begann diese Uhr zu laufen.
Mittags um zwölf war es, als Jesus Christus geboren wurde. Um 15 Uhr nachmittags, auf der Gottesuhr, starb Jesus am Kreuz und rief: "Es ist vollbracht." Jetzt läuft diese Zeit auf Mitternacht zu, auf die Stunde, in der es heißen wird – so wie die Nachtwächter auf dem Stiftskirchenturm in Stuttgart jahrhundertelang gesungen haben: "Zwölf, das ist das Ziel der Zeit. Mensch bedenke die Ewigkeit. Mensch bedenke die Ewigkeit."
Wir warten auf den Tag des Herrn. Auch wenn Spötter meinen, dieser Termin sei längst vertagt, hat Gott nichts ins Kamin geschrieben, nichts mit Kreide geschrieben. Er hat es in die Bibel geschrieben, und deshalb ist es wahr. Die Länge der Zeit widerlegt nicht die Wahrheit.
Wir warten auf diese Stunde, und wir warten auf sie, weil er uns noch Zeit gibt. Auch wenn Spötter meinen, dieser Termin sei längst verstrichen, warten wir auf die Stunde des Herrn, weil er uns noch Zeit schenkt. Dass er bis heute noch nicht gekommen ist, ist nicht Samenseligkeit, sondern Gottes Barmherzigkeit.
Er erwartet noch, dass auch der Letzte sich umkehrt, bevor es zu spät ist. Zwölf – das ist das Ziel der Zeit. Mensch, bedenke die Ewigkeit, bevor er wiederkommt.
Die Aufforderung zur bewussten Lebensgestaltung
Deshalb lasst diese Tage und Stunden hinter euch. Lasst all das, was euch in Erinnerung geblieben ist, was euch belastet oder was ihr bisher mit euch herumgetragen habt und wie ein Schatten folgt, einfach los. Lasst diese Tage und Stunden hinter euch und richtet euren Blick auf den Augenblick seines Wiederkommens.
Freunde, das ist kein flüchtiger Blick auf eine Illusion, wie Max Frisch einmal meinte. Er sagte, das sei wohl die allergrößte Illusion. Es ist kein Fernblick auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, von dem Bert Brecht sprach, als er sagte: „Der Tag steht in den Türen, ihr könnt den Nachtwind spüren, es kommt kein Morgen mehr, es kommt kein Morgen mehr.“ Es ist auch kein ängstlicher Blick auf den Tag X, der in immer schrecklicheren Filmen dargestellt wird und der dann nur noch den „day after“, den schrecklichen Tag danach, übriglässt.
Nein, all das ist weder ein Seitenblick noch ein Fernblick. Es ist der klare Durchblick auf den Augenblick seines Kommens, von dem Philipp Nikolai gesungen hat: „Dein Freund kommt vom Himmel prächtig.“ Darum geht es: Dein Freund kommt vom Himmel prächtig.
Weil dem so ist, müssen wir mindestens dreierlei beachten: Erstens, wir müssen mit Jesus in jedem Augenblick rechnen. Zweitens, wir müssen jeden Augenblick durch Jesus füllen. Und drittens, wir müssen auf Jesus in jedem Augenblick hoffen. Darum geht es diesem Apostel in seinem Brief an die Thessalonicher.
Die Unvorhersehbarkeit des Kommens Christi
Das eine ist, jeden Augenblick auf Jesus zu rechnen. Mit Jesus rechnen – Sie kennen das auch. Der Kaminfeger klebt einen Zettel an die Haustür: „Ich komme am Donnerstag.“ Nun weiß die Hausfrau, dass sie am Donnerstag ihr Damenbrenzchen absagen muss und dass sie zu Hause den Kaminfeger erwarten muss.
Oder der Autovertreter ruft an, er sei am Wochenende in der Gegend und werde vorbeischauen. Nun weiß der Hausherr, obwohl er gar kein neues Auto braucht, dass er beim neuen Modell ganz bestimmt wieder schwach werden wird.
Oder die Großtante schreibt einen langen Brief und kündigt am Schluss an: „Ich bin die ganzen nächsten Ferien bei euch.“ Nun wissen die Angehörigen, dass es mit dem Ausschnaufen nicht so groß und so viel wird.
Aber, liebe Freunde, Jesus kommt anders. Er kommt so wie ein Dieb. Der Dieb klebt doch keinen Zettel an die Gartentür: „Komme über Nacht, komme in zwei Tagen um zweiundzwanzig Uhr, um alles abzuräumen.“ Der telefoniert doch nicht vorher an und sagt: „Ich bin gerade in Ihrem Dorf und werde auch vorbeikommen.“ Und der Dieb schreibt auch keinen Anmeldebrief: „Nehmen Sie sich in Acht, zwischen dem 1. und 6. Januar bin ich garantiert bei Ihnen.“
Nein, der Herr Jesus kommt wie ein Dieb. Alle Berechnungen sind falsch, er kommt unverhofft. Alle Voraussagen sind aus den Fingern gezogen. Ja, alle genauen Berechnungen sind Makulatur. Diese apokalyptischen Fahrpläne nützen überhaupt nichts. Jesus kommt wie ein Dieb. Bitte nicht als Einbrecher.
Es ist nicht so, dass er durchs Kellerfenster einsteigt, alles einräumt und ausräumt und uns dann gleichsam wie Stasi-Akten präsentiert. Unser Herr kommt nicht hinten durchs Kellerfenster, sondern durch die Haustür. Dann wird er eines Tages plötzlich vor uns stehen. Und dann wird er eines sagen: „Entschuldigung, haben Sie es nicht gelesen? Hausieren verboten. Ich will mit solchem Gesindel nichts zu tun haben, ich brauche nichts und will nichts. Machen Sie, dass Sie weiterkommen.“
Aber Jesus kommt, und der andere wird sagen: „Ach, ich bin unglaublich beschäftigt, ich muss vor Weihnachten noch tausend Termine erledigen, vielleicht später einmal, aber jetzt geht es ganz bestimmt nicht.“
Aber Jesus kommt, und der Dritte sagt: „Ich habe vier Semester Theologie studiert, das Grab war doch gar nicht leer, die Auferstehung ist doch ein Flop, sie gibt es überhaupt nicht, sie ist ein Phantom, eine Illusion. Gehen Sie bitte weiter!“
Und Jesus kommt. Er kommt entgegen unseren Erwartungen, Wünschen und entgegen unserem Willen. Eines Augenblicks wird er vor uns stehen.
Sehen Sie, Karl Friedrich von Weizsäcker, der Physiker und Philosoph, sagte es vor ein paar Jahren in einem Festvortrag so. Sogar der – möchte ich hinzufügen – die Gemeinde, die nicht, um die alten Worte noch einmal zu gebrauchen, auf die Wiederkunft des Herrn wartet, hat den Kern ihres Wesens, ihre Kraft aufgegeben.
Und wir können es heute noch zugespitzter sagen: Der Mensch, der nicht mit der Wiederkunft rechnet, verrechnet sich gründlich.
Nicht einmal der Tod kann uns um diese letzte Begegnung herumbringen. Wenn wir vor seiner Wiederkunft aufs Leidenslager geworfen werden, wenn wir vor seiner Wiederkunft diese Todesängste durchleiden müssen, wenn wir vor seiner Wiederkunft abgerufen werden, dann wird dieser letzte Tag zum Begegnungstag mit unserem Herrn.
Martin Luther hat gesagt: Der Todestag ist für jeden der jüngste Tag. Einmal stehen wir vor diesem Herrn.
Deshalb lasst uns doch nicht einfach in diese Tage hineinleben. Lasst uns doch nicht bloß diese Tage ausleben. Lasst uns doch auf diesen Tag hinleben, ganz bewusst auf diesen Tag hinleben.
Und ich möchte es noch einmal so wiederholen, wie ich es einmal gesagt habe.
Die Frage nach der Hoffnung und Erwartung
Oder darf ich Sie fragen: Worauf warten Sie eigentlich? Worauf hoffen Sie? Was ist Ihr sehnlichster Wunsch?
Vielleicht ist es, dass Sie Ihre Arbeitsstelle nicht verlieren – eine durchaus berechtigte Sorge. Oder dass Sie Frieden in Ihrer Familie finden, mit Ihrem Mann, mit Ihren Kindern. Viele Familien sehen heute aus wie Wüsten. Vielleicht wünschen Sie sich, dass das Abitur klappt, dass Sie eine Ausbildungsstelle bekommen, dass Sie nicht vorzeitig ins Krankenhaus müssen und sterben. Oder dass Sie wieder gesund werden.
Jeder von uns hat viele Wünsche. Was erwarten Sie? Was erhoffen Sie sich? All das ist nicht schlecht, aber, liebe Freunde, es ist viel, viel zu bescheiden.
Ich halte es mit den Vätern: expecto vitam venturi seculi – ich erwarte die Ankunft der ewigen Welt. Verstehen Sie: Noch vierzehn Tage bis Weihnachten – das gibt Auftrieb. Noch vier Monate bis zur Hochzeit – das gibt Auftrieb. Noch zwei Jahre bis zum Ruhestand – das gibt Auftrieb.
Liebe Freunde, noch eine bestimmte Zeit bis zur Wiederkunft – das gibt Auftrieb, das gibt Energie, das gibt neues Leben und neue Freude. Wenn Sie jeden Augenblick mit Jesus rechnen, wird Ihr Leben ganz neu.
Die Balance zwischen Aktivität und Ruhe
Aber das Zweite: Jeden Augenblick mit Jesus füllen. Das Wissen, dass der Gast jeden Augenblick kommen könnte, löst bei einer Hausfrau zwei völlig verschiedene Reaktionen aus – oder könnte zwei ganz verschiedene Reaktionen auslösen.
Die eine fällt in unglaubliche Aktivität. Sie rast durch Küche und Keller. Das Wasser muss auf den Herd, der Sekt muss ins Eis, und die Blumen müssen auf den Tisch. Jeden Augenblick wird sie mit Hektik füllen. Die Frau rotiert.
Die andere Reaktion könnte die sein: Die Frau verfällt in tiefe Passivität. Sie wirft sich in den Sessel, macht die Augen zu, nach dem Motto: „Es hat ja alles überhaupt gar keinen Wert mehr. Er kommt, und jetzt kann ich schon nichts mehr machen.“ Nur nicht dran denken. Jeden Augenblick wird sie mit Schlaf füllen. Die Frau resigniert.
Sehen Sie, genauso war es bei den Christen im letzten Jahrhundert auch. Die einen verfielen in unheimliche Aktivität. Jappend gingen sie durch die Zeit. Sie rannten bis nach Russland oder bis nach Salt Lake City, um dort die Wiederkunft des Herrn zu erwarten. Atemlos rannten sie durch die Zeit.
Und die anderen? Die setzten sich, sagten: „Es hat alles gar keinen Wert mehr.“ Sie richteten keine Häuser her, bestellten keine Felder mehr und sagten: „Der Herr kommt ja ohnehin wieder.“
Und Jesus sagt: Beide Reaktionen sind falsch. Die hohe Aktivität und die tiefe Passivität sind angesichts der Realität Jesu vom Übel.
Dieser Herr sagt es all denen, die nur jappend durch diese Tage vor Weihnachten rasen und kaum noch Luft bekommen: Ruhet ein wenig, nehmt euch doch Zeit! Er will keine atemlosen Zeitgenossen, die keinen Sauerstoff mehr bekommen. Ruhet ein wenig, lassen Sie sich sagen, die Hausfrauen unter uns.
Und er sagt es gleichzeitig den anderen: Er will auch niemanden, der nur noch auf dem Sessel sitzt und alle Füße und Hände von sich streckt. Nein, nein!
Er will beides. Er will, dass wir ruhen und arbeiten, dass wir schweigen und sprechen, dass wir schlafen und wachen. Er will, dass wir jeden Augenblick mit Jesus füllen – oder besser gesagt, dass jeder Augenblick durch Jesus gefüllt ist. So, dass wir uns nicht schämen müssen, wenn er kommt. So, dass wir uns nicht schämen müssen, wenn er kommt.
Die persönliche Vorbereitung auf das Kommen Christi
An diesem alten Bild kann ich Ihnen auch etwas erklären. Verstehen Sie, ich war schon als Kind oben auf der Schwäbischen Alb, genau in Hülden. Dort wohnten schon meine Vorfahren und vor allem auch meine Großmutter. Bei ihr verbrachten wir jeden Sommer die Ferien im großen Geschwister- und Verwandtenkreis.
Diese Mutter, diese Großmutter, hatte nicht nur ein schönes Haus, sondern auch ein weites Herz. Bei ihr war fast alles erlaubt, wirklich fast alles. Aber als wir einmal Zigaretten aus Zeitungspapier und Kastanienblättern drehten, zogen wir uns vorsichtshalber ganz hinauf unters Dach zurück.
Dort, in diesem schönsten Tabakkollegium, entstanden jene lungenfeindlichen, umweltfeindlichen Klimmstängel, die jeden Kammerjäger glatt ersetzten. Auch Rolf Schäffbuch war dabei. Als wir dort saßen, hörten wir plötzlich Schritte, die immer lauter wurden. Bevor wir jene Markenerzeugnisse aus der Dachlucke speditieren konnten, ging die Tür auf. Die Großmutter stand mitten unter uns und sah uns durch den Rauch hindurch.
Sie schimpfte nicht, sondern hatte ein strahlendes Gesicht. Sie sagte kein einziges Wort. Doch bis heute schäme ich mich in den Boden hinein, dass meine geliebte Großmutter uns so entdecken musste.
Wir drehen keine Kastanienblätter mehr, natürlich nicht. Aber wir drehen andere Dinge. Manchmal drehen wir anderen etwas an, und manchmal sind wir sogar ganz verdreht.
Ein apokryphes Jesuswort sagt: Gott wird uns so richten, wie er uns antreffe. So werden wir gerichtet, wie er uns antreffe.
Liebe Freunde, ich möchte nicht gerade mit Hässlichem beschäftigt sein, wenn er kommt. Ich möchte nicht mit Schmutzigem beschäftigt sein, wenn er kommt. Ich möchte nicht mit Unnötigem beschäftigt sein, wenn er kommt, sondern dass er seine Freude daran haben kann, wenn er durch die Tür geht und vor mir steht und ich sage: Herr, hier bin ich.
Jeder Moment meines Lebens ist ein solch glasklarer und wichtiger Augenblick, den ich nicht einfach verplempern darf. Wer den Durchblick hat, wird jeden Augenblick mit Jesus füllen. Und drittens wird er jeden Augenblick auf ihn hoffen.
Die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi als Quelle der Zuversicht
Vor uns wird der stehen, der schon einmal auf dieser Erde gestanden hat: der Wiederkommende, der ist der Gekommene. Seine Leute werden ihn sofort wiedererkennen. Sie werden ihn sehen als den Heiland, der in die häuslichen Hütten ging, den Menschen die Hände auflegte und sie heilte.
Sie werden ihn sehen, der auf dem Berg saß und dort seine Leute lehrte. Sie werden den Tischherrn sehen, der seinen Leuten den Tisch gedeckt hat und dem es ihnen an nichts mangelt. Und sie werden den sehen, der ans Kreuz gegangen ist, dort entsetzlich litt und gesagt hat: „Doch, es ist vollbracht, mein Werk ist getan, deine Schuld ist bezahlt.“
Wir werden den sehen, der dann auferstanden ist, der wieder seine durchbohrten Hände erhob und sagte: „Schalom, Friede sei mit euch!“ Wir werden den sehen, der erhöht ist, der zur Rechten des Vaters sitzt und dem alle Macht gehört – im Himmel und auf Erden.
Deshalb fürchten wir uns nicht vor jenem Tag, an dem irgendwelche Irren oder Wirrköpfe auf einen Druckknopf drücken, um diese Erde in einen Feuerball zu verwandeln. Wir fürchten uns nicht vor dem Tag, an dem Völker aufeinander schlagen und sich gegenseitig ausrotten. Wir fürchten uns vor überhaupt keinem Tag, nicht vor einem Krankheitstag und jetzt einmal, nicht einmal mehr vor dem Sterbetag.
Denn wir haben den Durchblick auf den Tag, an dem er kommt und alles in allem sein wird. Er wird sagen: „Siehe, ich mache alles neu – in deinem Leben, in deiner Familie, in dieser Welt. Es wird alles neu werden.“
Liebe Freunde, zum Schluss zwei Erinnerungen an ein Buch:
Bei wissenschaftlichen Ausgrabungen im Sinai-Gebiet wurde ein im Wüstensand erhaltener Brief gefunden. Er stammte laut Unterschrift von einer ägyptischen Bäuerin, die an eine trauernde Familie als Trost nur die resignierenden Worte schreiben konnte: „Aber freilich, nichts, aber auch gar nichts kann man hoffen, so tröstet euch denn gegenseitig.“
Der uns in der Bibel hinterlassene Brief lautet anders. Er stammt laut Unterschrift von einem apostolischen Zeugen, der diese Wahrheit im Leiden erfuhr. Er schreibt dem trauernden, verzweifelten, verletzten, kaputten und geschlagenen Menschen: „Hoffe auf ihn, er wird es wohl machen.“
Die andere Erinnerung gilt Christoph Blumhardt, dem ehemaligen Pfarrer von Möttlingen nebenan. Später war er gleichsam Kurdirektor in Bad Boll. Menschen aus allen Herren Ländern kamen, um an Leib und Seele gesund zu werden.
Einmal ging er mit einem Gast vor dem Hauptgebäude hin und her, um mit ihm zu sprechen. Dabei entdeckten sie am Giebel der Hauptfassade dieses goldene Monogramm „W und P“. „Was heißt denn das?“ wollten die Gäste wissen.
Natürlich wusste Blumhardt es: Das war das Monogramm des Königshauses von Württemberg – Wilhelm und Pauline. Aber er sagte: „Wissen Sie, was das heißt? Das heißt: Wartet und pressiert, wartet und pressiert auf den Tag des Herrn.“
Dieses „W und P“ würde ich Ihnen heute gern in Ihr Tagebuch schreiben, auch wenn dort durch die kalte Handschrift des Todes und des Leides schon viele Seiten gefüllt sind und eigentlich für alles andere gar kein Platz mehr ist. Ich möchte es über alles drüber schreiben, in dieses Buch hineinschreiben, damit Sie es haben – ins Stammbuch geschrieben:
W und P – wartet und pressiert auf den Tag des Herrn.
Liebe Freunde, es lohnt sich.
Schlussgebet und Ausblick
Wir wollen beten. Herr, es fällt uns schwer, deine Gedankenwelt zu verstehen. Es passt nicht immer zu dem, was wir hören oder lesen. Trotzdem bitten wir dich: Gib uns die Kraft, es aufnehmen zu können.
Du kennst unsere Tagebücher und auch unsere Kalender. Du kennst unsere Seelen und unser Herz, und was dort alles bewegt wird. Lass uns nun von dem Drängen auf deinen Tag bewegt werden. Du wirst wiederkommen, Herr, und wir werden dich sehen.
Komme zu uns nicht als Richter, sondern, Herr, als der Gast des großen Weihnachtsfestes, an dem wir mit dir feiern dürfen. So lass uns rechte Adventsmenschen sein und als solche Adventsleute nach Hause gehen – als Wartende und Eilige auf deinen Tag hin!
Amen!
Und nun singen wir zum Schluss miteinander: „Wie soll ich dich empfangen, und wie begegne ich dir?“ Das ist das Lied 137, stimmt das? Nein, Lied 136, die Schwestern wissen es richtig: Lied 136.