
Herzlich willkommen zu unserem Abendvortrag hier am BSK heute zum Thema „Krankheiten und Katastrophen – eine Strafe Gottes“.
Diese Frage hat sicherlich schon viele von uns bewegt, vielleicht auch im Zusammenhang mit der aktuell immer noch andauernden Corona-Krise. Ist das jetzt eine Strafe Gottes? Dabei geht es nicht nur um pandemische Situationen oder andere Infektionskrankheiten, sondern vor allem darum, wenn mich das persönlich trifft oder wenn ich jemanden kenne, der krank ist. Dann stellt sich die Frage: Warum ist das so? Warum ist dieser Mensch krank geworden?
Vielleicht ist dieser Mensch gläubig und hat doch immer mehr oder weniger anständig gelebt. Warum ist das passiert? Warum wurde gerade dieser Mensch krank? Sicherlich kennen viele von uns auch Situationen, in denen Menschen, unabhängig davon, ob sie gläubig sind oder nicht, an einer unheilbaren Krankheit gestorben sind.
Dann stellt sich die Frage: Ist das vielleicht doch irgendwie so, weil dieser Mensch nicht genug geglaubt hat? Weil er Gott nicht genug vertraut hat? Oder weil irgendwo eine versteckte Sünde war? Oder vielleicht sogar ganz direkt: Ist das eine Strafe Gottes?
Kleines Beispiel am Anfang: Wie würde man etwa eine Situation einschätzen? Wir alle sind Menschen. Angenommen, man ist verheiratet und so weiter. Nun ja, vielleicht ist der Ehesegen etwas schiefgelaufen, man ist nicht ganz glücklich auseinandergegangen und fährt mit dem Auto unterwegs. Plötzlich fährt einem jemand rein.
Drängt sich dann nicht sofort die Frage auf: Moment mal, warum ist das jetzt passiert? Hätte ich mich vielleicht doch anders gegenüber meinem Partner verhalten sollen? Sofort entsteht diese Assoziation: Das ist jetzt passiert, gewissermaßen als Sanktion, weil ich mich nicht richtig verhalten habe, oder?
Nun, das ist noch nicht auf dem Argumentationsniveau, wo man sagen würde oder einschätzen würde, dass es eine Strafe Gottes ist. Aber doch irgendwie in Richtung einer Sanktion. Solche Gedanken, vielleicht auch andere, mögen uns beschäftigen. Fragen, die sich aufdrängen mögen.
Wir wollen heute theologisch dieser Frage etwas auf den Grund gehen und hier mal etwas tiefer hinschauen, was es mit dem Thema auf sich hat, dass Gott straft. Und ob man sagen kann, dass Krankheiten und Katastrophen – wenn vielleicht nicht immer, aber vielleicht doch manchmal – eine Strafe Gottes sind.
Das führt uns ganz grundsätzlich zu der Frage, wie Gott eigentlich in dieser gefallenen Welt handelt.
Der Ausgangspunkt der Bibel ist, dass wir nicht im Paradies leben, sondern in einer gefallenen Welt. Nach biblischer Aussage leben alle Menschen seit Adam in den Todesstrukturen dieser Welt. Über Adam wurde sozusagen der Tod verhängt. Seit Adam herrscht, wie wir zum Beispiel in Römer 5 lesen, der Tod über alle Menschen. Das bedeutet, alle Menschen müssen sterben – egal, ob sie gläubig sind oder nicht, ob sie zu Jesus gehören oder nicht. Diese Tatsache ist völlig unabhängig von der jeweiligen Person.
Diese Situation nennt die Bibel die Gefallenheit der Welt. Wir leben also nicht in der Schöpfung in ihrem ursprünglichen Zustand, sondern in der gefallenen Schöpfung. Das ist von ganz außerordentlicher Bedeutung. Es heißt, dass wir, wie bereits erwähnt, nicht im Paradies leben. Deshalb sind wir anfällig für all die Dinge, die zur gefallenen Welt gehören. Dazu zählen unter anderem Krankheiten und viele andere Probleme.
Der Mensch ist von Geburt an von Gott getrennt. Das ist die Ausgangslage, so wie sie uns die Bibel beschreibt.
Nun stellt sich die Frage: Wie handelt Gott in dieser gefallenen Welt mit den Menschen, die defizitär sind, der Sünde und Vergänglichkeit unterworfen? Hier sehe ich grundsätzlich zwei Arten, wie Gott in der Schrift handelt.
Zunächst die gute Nachricht: Diese Welt ist, auch wenn sie nicht mehr im ursprünglichen paradiesischen Zustand ist, von Gott nicht aufgegeben. Gott sucht weiterhin die Verbindung zu den Menschen. Er müsste das nicht tun, und es wäre auch nicht nötig, aber er tut es – so sagt es uns die Bibel. Dieses Handeln nennen wir Gottes Heilswillen für die gefallene Schöpfung. Gott will grundsätzlich das Gute für die Schöpfung, besonders für die Menschen.
In diesem Zusammenhang gibt es zwei Aspekte, wie Gott handelt und sich der Schöpfung und den Menschen zuwendet.
Der erste Aspekt ist sein zulassendes und gewährendes Handeln. Gott lässt manchmal Dinge geschehen. Das hängt auch mit der Freiheit zusammen, die Gott in die Schöpfung hineingelegt hat, sowie mit den Prinzipien, die Gott in die Schöpfung eingebracht hat. Dazu werden wir später noch mehr hören. Dieses zulassende und gewährende Handeln Gottes geschieht in seiner Souveränität.
Der zweite Aspekt ist, dass Gott eingreift. Er steuert und straft auch. Dieses eingreifende, steuernde und strafende Handeln Gottes ist ein weiterer Weg, wie Gott in der gefallenen Welt wirkt.
Zunächst zum zulassenden und gewährenden Handeln Gottes: Dieses Handeln entspringt nicht irgendeiner Willkür, sondern es ist Ausdruck der zulassenden Souveränität Gottes. Das bedeutet, auch in dem, was Gott zulässt, bleibt er immer souverän. Gott ist der Herr dieser Welt, daran hat sich nichts geändert.
Zum einen gibt es die zulassende Souveränität Gottes, und zum anderen den zulassenden Willen Gottes. Das heißt, auch wenn Gott Dinge zulässt, entspricht das seinem Willen. Es geschieht nur das, was Gott zulassen will. Gott lässt nur das zu, was er zulassen möchte. Diese beiden Aspekte – sowohl die Zulassung als auch das gewährende Handeln Gottes, die zusammen betrachtet werden müssen – gehören zur Souveränität Gottes und zum Willen Gottes.
Ein weiteres Thema, das in diesem Zusammenhang betrachtet werden muss, ist die Frage, wie Gott die Welt eigentlich geschaffen hat. Was für eine Welt hat Gott erschaffen? Wie können wir uns Gottes Handeln vorstellen, bereits vor dem Sündenfall, aber auch danach?
Gott hat in die Schöpfung eine gewisse Eigendynamik hineingelegt. Das bedeutet, er hat Mechanismen geschaffen, nach denen die Schöpfung funktioniert. Nicht alles, was in dieser Welt geschieht, wird von Gott ferngesteuert. Wenn zum Beispiel eine Fliege ihre Bahn fliegt, dann ist dahinter nicht praktisch Gott als Fernsteuerer am Werk. Vielmehr hat Gott die Schöpfung so gestaltet, dass sie eigenständig funktionieren kann.
Man kann unterstellen, dass eine Fliege einen Willen hat – das sei hier vielleicht etwas in Frage gestellt. Gemeint ist jedoch, dass die herumfliegende Fliege nicht ferngesteuert ist. Dieses Grundprinzip zeigt sich in der Schöpfung darin, dass sie nach den von Gott gegebenen Eigengesetzmäßigkeiten abläuft. Zum Beispiel hat Gott Naturgesetze geschaffen.
Das bedeutet, unter bestimmten Bedingungen geschieht etwas Bestimmtes. Beim Wetter etwa gibt es Hochdruck- und Tiefdruckgebiete, die sich ausgleichen. Dieses Phänomen nennen wir Wind oder Sturm. Diese Eigengesetzmäßigkeiten hat Gott in die Schöpfung hineingelegt.
Etwas anderes bezieht sich auf das Leben selbst, sowohl bei Tieren als auch bei Menschen. Gott sagt: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ Das heißt, nicht Gott vermehrt die Menschen und Tiere, sondern sie tun das selbst. Gott hat die Voraussetzungen in die Schöpfung hineingelegt, indem er Tiere und Menschen so geschaffen hat, dass sie sich fortpflanzen können – übrigens auch die Pflanzen.
Diese Reproduktionsdynamik oder Reproduktionsfähigkeit hat Gott in die Schöpfung hineingelegt. Weil er das getan hat, kann die Schöpfung in diesen von Gott gegebenen Abläufen funktionieren. Tiere und Pflanzen vermehren sich aufgrund der schöpfungsgemäßen Gegebenheiten selbst.
Diese sollen sie auch selbst tun. Die Tiere und Pflanzen folgen dabei festgelegten Abläufen, je nachdem, wie die klimatischen Bedingungen sind, bei den Tieren auch durch Instinkte, im Jahreslauf der Dinge. Beim Menschen kommt der Wille hinzu. Das heißt, der Mensch kann kraft seines von Gott gegebenen Willens entscheiden, mit wem er sich vermehren will und mit wem nicht.
Diese Entscheidung trifft der Mensch nicht in eigener Autonomie, sondern durch den Willen, den Gott ihm gegeben hat. So kann er seinen Ehepartner oder Sexualpartner wählen. Gott hat hier eine Ordnung hineingelegt, unter deren Bedingungen das geschehen soll. Diese Ordnung nennen wir Ehe und die Ordnungen Gottes, die wir zum Beispiel in der biblischen Sexualethik betrachten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alles ferngesteuert ist. Gottes Souveränität zeigt sich darin, dass er die Prinzipien in die Schöpfung gelegt hat, nach denen sie funktioniert. Diese Prinzipien beinhalten eine Eigendynamik.
Diese Eigendynamik der Schöpfung war bereits vor dem Sündenfall vorhanden. Gott hat sowohl zu den Tieren als auch zu den Menschen schon vor dem Sündenfall gesagt, dass sie sich vermehren sollen. Nach dem Sündenfall wiederholt er dies noch einmal zu Noah und seiner Familie, den einzigen Menschen, die nach der Sintflut noch lebten.
Auch hier bekräftigt Gott: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ Das heißt, es geht wieder von vorne los. Das Ergebnis sehen wir heute: Nach biblischer Anschauung sind alle gegenwärtig lebenden Menschen Nachfahren Noahs und seiner Söhne Sem, Ham und Japheth.
Das zeigt, dass wir auch in der gefallenen Schöpfung die Eigendynamik Gottes erkennen können.
Ein weiterer Punkt ist die Bosheit des Menschen. Darauf werden wir gleich noch etwas näher eingehen. Seit dem Sündenfall ist der Mensch nicht mehr gut, sondern böse; er ist in Sünde gefallen. Das erkennen wir an verschiedenen Stellen in der Bibel. Das Menschenherz ist von Jugend an böse, und das Trachten des Menschenherzens ist von Jugend an böse. Entsprechende Aussagen finden sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.
Ein weiterer Faktor ist das Wirken des Teufels, des Satans. „Satan“ ist ein hebräisches Wort und bedeutet eigentlich „Gegner“. Der Name des Teufels, des Satans, ist somit Programm. Satan, auf Hebräisch „Gegner“, ist der Inbegriff der Gegnerschaft zu Gott. So wird dieser gefallene Engel, dieser Engelfürst, der abgefallen ist, geradezu als Gegner bezeichnet: „Du bist der Gegner, du bist der Satan.“
Ein weiterer Aspekt ist die Zulassung von Leid durch Gott als Glaubensprüfung und Erziehung. Auch diesen Gedanken finden wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Einige Stellen dazu:
In Hebräer 12,7 heißt es: „Es dient zu eurer Erziehung, wenn ihr dulden müsst.“ Im Griechischen ist hier der Begriff der Pädagogik enthalten, „paideia“. Das bedeutet, dass Gott manchmal Dinge zulässt, um uns weiterzubringen, an uns zu arbeiten und uns zu formen.
In Jakobus 1,2-3 steht: „Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt, und wisst, dass euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld bewirkt.“ Auch hier geht es um das Reifenlassen, um Bewährung und letztlich um Wachstum im Glauben.
In Jakobus 1,12 heißt es: „Selig ist, wer Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieben.“ Hier steht also auch der Gedanke des Überwindens im Vordergrund.
Diese Stellen sind nur einige Beispiele dafür, dass Gott uns manchmal Dinge zumutet, auch wenn wir sie nicht sofort einordnen oder verstehen können. Das bedeutet, dass Unglück oder das, was wir als Unglück empfinden, nicht immer direkt und ursächlich von Gott kommt.
Manchmal sind es die Umstände in dieser gefallenen Welt, die Eigendynamiken dieser Welt, die Anfechtung durch den Teufel oder menschliche Bosheit, die solche Dinge verursachen. Dennoch behält Gott immer die Kontrolle, und das ist entscheidend.
Für einen gläubigen Menschen kann niemals etwas geschehen, was nicht zuvor durch Gottes Willen zugelassen wurde. Das ist die biblische Aussage: Nichts kann geschehen, was seinem Plan entgegensteht.
Aber dann stellt sich ja die Frage: Was ist mit den Aussagen in der Schrift über das aktive Eingreifen Gottes? Was sagt uns die Bibel über das Gericht Gottes und die Strafe Gottes? Wie verhält sich das zu den Aussagen über Erlösung und Gnade?
Damit kommen wir zum Zweiten, und das wird unser eigentlicher Schwerpunkt heute Abend sein, nämlich die Frage nach dem eingreifenden, steuernden und strafenden Handeln Gottes. Was sehen wir hier in der Bibel, und wie können wir das einordnen?
Es ist ja so – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn man die Bibel liest, und ich denke, die meisten von uns tun das regelmäßig, vor allem auch das Alte Testament. Da stößt man manchmal auf Stellen, bei denen wir aus unserer Perspektive denken: „Oh, das ist jetzt aber harter Tobak.“ Wenn Gott Gericht übt, wenn Feuer und Schwefel vom Himmel fallen, wenn Gott straft, wenn Elija im Auftrag Gottes praktisch alle Baalpriester köpft, dann denken wir uns in unserer modernen Kultur und Zeit: Was ist denn das? Wie kann das sein, und was bedeutet das?
Diese Handlungen Gottes im Alten Testament stellen den unbedarften Bibelleser möglicherweise erst einmal vor bestimmte Fragen. Wie ist das einzuordnen? Gericht und Strafe Gottes im Alten wie im Neuen Testament – wie sieht das eigentlich aus, und wie können wir das verstehen?
Haben wir im Alten Testament einen ganz anderen Gott? Ist Gott da ganz anders? Was ist das? Ist das der Vater im Himmel, dessen Namen wir heiligen: „Geheiligt werde dein Name“? Ist das der, zu dem wir lieber „Vater“ sagen? Kann ich das so sagen?
Für manche, gerade auch unter Theologen, ist das teilweise etwas umstritten. Teilweise wird sogar behauptet, dass das Alte Testament ein komplett anderes Gottesbild habe, das durch andere Einflüsse geprägt sei, während im Neuen Testament alles anders sei.
Nach meiner Auffassung kann man das so nicht sagen, und das möchte ich auch begründen. Was aber zweifelsfrei der Fall ist, ist, dass wir im Alten Testament ganz offenkundig eine Art des Handelns Gottes sehen, die im Neuen Testament keinesfalls vordergründig ist.
Schauen wir uns das mal im Detail miteinander an.
Tatsächlich sehen wir im Alten Testament, dass es einen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen gibt. Das zeigt sich deutlich in der Schrift. Das heißt: Jemand tut etwas Böses und wird deswegen von Gott bestraft. Das finden wir an zahlreichen Stellen.
Dies betrifft teilweise ganze Völker, zum Beispiel die Kanaaniter. Sie sollten im Grunde genommen Platz machen für das Volk Israel beim Einzug ins gelobte Land. Sie sollten alle vernichtet werden, muss man ganz klar sagen. Es galt als Ungehorsam oder zumindest als nicht vollständiger Gehorsam, wenn man das nicht hundertprozentig umsetzte.
Diese Vernichtung wird auch begründet, nämlich aufgrund ihrer Gräueltaten. Es war also nicht einfach so, weil Gott sie nicht mehr mochte, sondern ganz klar eine Strafe für ihre Gräueltaten. Diese müssen sehr grausam gewesen sein. Es handelte sich nicht um liebe, nette Nachbarn, sondern um wirklich gewaltige Gräueltaten. Und diese hat Gott bestraft, das sehen wir deutlich.
Das heißt, Grundlage und Ausgangspunkt für Gottes Gericht und Strafhandeln ist immer die Gerechtigkeit. Nie Willkür, sondern stets Gerechtigkeit. Gott handelt niemals willkürlich, auch nicht in seinem richtenden und strafenden Handeln. Es gibt niemanden auf dieser Welt, Menschen schon gar nicht, kein anderes Wesen im gesamten Universum, das gerechter wäre als Gott.
Wenn Gott handelt, ist dieses Handeln immer gerecht. Selbst wenn wir manches nicht verstehen oder uns manches, was wir in der Schrift lesen, gerade als Neueinsteiger nicht erschließt, gilt das trotzdem. Wenn wir manche Dinge aus der Schrift nicht verstehen, liegt das nicht an der Schrift oder an Gott, sondern an unserem Verständnis. Vielleicht fehlt uns auch mancher Informationshintergrund, um manches besser zu begreifen.
Grundsätzlich gilt: Sünde und böse Taten haben immer Konsequenzen. Das hängt wiederum mit dem Gedanken zusammen, den ich eben entfaltet habe, nämlich der Gerechtigkeit Gottes. Gott wird das Böse niemals dulden – und das ist gut so.
Stellen wir uns vor, jemand tut dir etwas ganz Schlimmes an, vergewaltigt deine Tochter oder begeht etwas noch Schlimmeres und tötet sie, tötet einen Menschen, den du liebst – dein Kind oder deinen Ehepartner. Jetzt kommst du zur Gerichtsverhandlung, und der Richter sagt plötzlich: „Ja, ich bin ja so lieb, nicht wahr, und so gnädig und voller Barmherzigkeit, und so kann’s gehen.“ Wie würden wir als Menschen reagieren? Wir würden sagen: „Was, ist das ein falscher Film oder was? Was ist denn jetzt los?“ Verstehen wir?
Der Grundgedanke der Gerechtigkeit verlangt im Grunde genommen nach einer Erstattung bei Fehlverhalten beziehungsweise bei ungerechtem Handeln oder bei Verbrechen. Diese müssen in irgendeiner Weise gesühnt werden. Es muss eine Konsequenz geben, ansonsten wäre Gott niemals gerecht, es gäbe überhaupt keine Gerechtigkeit. Das wäre unmöglich.
Wenn wir als Menschen schon so empfinden, wie viel mehr gilt dann dieses Prinzip der Gerechtigkeit bei Gott? Wenn Gott keine Konsequenzen walten lassen würde bei wirklich schweren Vergehen, bei denen Menschen schwersten Schaden und Leid erfahren, wenn Gott das nicht ahnden und sanktionieren würde, würden wir sagen: „Ja, Gott ist...“ Das wäre total ungerecht, die Ungerechtigkeit par excellence.
Wenn wir uns diese Vergleiche vor Augen führen, kommt uns dieser Gedanke vielleicht schon etwas näher. In Hesekiel 25,15-17 heißt es:
"So spricht Gott, der Herr: Weil die Philister sich gerecht und mit beständigem Hass so höhnisch Rache geübt haben, um mein Volk zu verderben in ewiger Feindschaft, darum, so spricht Gott, der Herr: Siehe, ich will meine Hand ausstrecken gegen die Philister und will die Kreter ausrotten und will umbringen, die übrig geblieben sind am Ufer des Meeres, und will bittere Rache an ihnen üben und sie mit Grimm strafen, damit sie erfahren sollen, dass ich der Herr bin, wenn ich Vergeltung an ihnen übe."
Das sagt Gott. Wenn man das so liest, sagt Gott ein paar grundsätzliche Dinge, die hierbei zu bedenken sind. Man könnte noch eine ganze Reihe anderer ähnlicher Stellen aufführen, aber das soll jetzt als Beispiel reichen.
Auch im Alten Testament gilt, dass alle Menschen Sünder sind und niemand Gott gefallen kann. Denn sofort müsste man ja die Frage stellen: Dann müssten doch alle Menschen total bestraft werden, denn welcher Mensch ist denn schon perfekt? Wieso macht Gott das nicht? Auch im Alten Testament sehen wir diesen Grundgedanken, dass alle Menschen Sünder sind.
So heißt es im Psalm 14, Vers 3:
"Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer."
Hier haben wir eine deutliche Parallele zu Römer 3: Es ist keiner, der gerecht sei, auch nicht einer. Dieser Gedanke, dass keiner gerecht ist und keiner Gutes tut, ist also nicht nur ein explizit neutestamentlicher Gedanke, sondern findet sich auch im Alten Testament.
Oder Psalm 143, Vers 2:
"Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht."
Das wussten die Menschen im Alten Testament auch – und Gott natürlich auch. Oder in 1. Könige 8,46 heißt es:
"Es gibt keinen Menschen, der nicht sündigt."
Wenn das so ist, müsste Gott im Grunde genommen alle Menschen permanent bestrafen. Sie tun wieder eine Sünde, und zack, kommt wieder eine Strafe – praktisch dieses ständige Hin und Her. Da müssen wir insgesamt schon etwas näher hineinschauen und etwas tiefer gehen. Das führt uns zur Frage: Welche Art von individuellen Sünden werden eigentlich mit Strafe und Gericht sanktioniert? Das wird deutlich.
Nicht jede Verfehlung zieht eine Strafe oder Sanktion Gottes unmittelbar nach sich. Das ist in der Bibel sehr deutlich. An manchen Stellen ist das jedoch gefordert, zum Beispiel wenn Gottes Heiligkeit und Ehre fundamental angetastet werden. Das ist bei Götzendienst der Fall, bei Aberglauben und all diesen Dingen. Wenn Menschen anderen Götzen – dem Baal oder der Aschera – ihre Kinder opfern, dann wird Gottes Ehre angetastet. Das wird sanktioniert.
Oder bei kultischen Morden generell oder bei schweren Verbrechen gegen andere Menschen, wie Mord, Vergewaltigung oder sogar Ehebruch, wird das genannt. Hier sehen wir noch eine Unterscheidung: Gott straft entweder selbst und übt Gericht, sodass jemand die Strafe unmittelbar erfährt – etwa durch Krankheit oder Tod –, oder er ordnet an, dass Menschen die Strafe ausführen sollen.
Das heißt, Gott macht das nicht immer selbst, sondern Menschen sollen im Grunde genommen das, was Gott anordnet, umsetzen.
Ein weiteres Prinzip, das wir sehen, ist das Prinzip von Segen und Fluch, zum Beispiel in 3. Mose 26. Hier ist die Verheißung an Israel, dass Gott Segen über die Maßen schenkt, wenn man seine Gebote befolgt. Auf der anderen Seite aber auch Fluch und Sanktion, wenn man genau das nicht tut. Gott sanktioniert böse Taten, und das ist zweifelsfrei in der Bibel zu sehen – auf unterschiedliche Art und Weise.
Ein kleiner Blick auf den Segen: Die Stellen sind insgesamt noch länger, aber hier der Originalton:
"Ihr sollt euch keine Götzen machen und euch weder Bild noch Stein aufrichten, auch keinen Stein mit Bildwerk setzen in eurem Land, um davor anzubeten."
Ganz klar: Wenn wir in die Propheten hineinschauen, ziehen alle Propheten gegen Götzendienst zu Felde. Ich habe im letzten halben Jahr noch einmal alle prophetischen Bücher gelesen. Das ist sehr eindrücklich.
Was macht ihr? Ihr betet Götzen an – Figuren aus Holz und Stein, die von Menschenhand gemacht sind. Haltet meine Sabbate und habt Ehrfurcht vor meinem Heiligtum, ich bin der Herr. Werdet ihr in meinen Satzungen wandeln und meine Gebote halten und tun, so will ich euch Regen geben zur rechten Zeit, und das Land soll seinen Ertrag geben. Die Bäume auf dem Feld sollen ihre Früchte bringen. Die Dreschzeit soll reichen bis zur Weinernte, und die Weinernte bis zur Zeit der Saat. Ihr sollt Brot in Fülle haben und sicher in eurem Land wohnen. Ich will Frieden geben in eurem Land, sodass ihr schlaft und euch niemand aufschreckt. Ich will die wilden Tiere aus eurem Land wegschaffen, und kein Schwert soll durch euer Land gehen.
Das ist schon gewaltig. Es geht natürlich noch weiter. Schauen wir uns die andere Seite an, ab Vers 14 folgende, die Seite des Fluchs:
"Werdet ihr mir aber nicht gehorchen und nicht alle diese Gebote tun, und werdet ihr meine Satzungen verachten und meine Rechte verabscheuen, sodass ihr nicht alle meine Gebote tut und meinen Bund brecht, so will ich euch auch dieses tun: Ich will euch heimsuchen mit Schrecken, mit Auszehrung und Fieber, sodass euch die Augen erlöschen und das Leben hinschwindet. Ihr sollt umsonst euren Samen säen, und eure Feinde sollen ihn essen. Ich will mein Antlitz gegen euch richten, und ihr sollt geschlagen werden vor euren Feinden. Die euch hassen, sollen über euch herrschen, und ihr sollt fliehen, ohne dass euch einer jagt. Wenn ihr mir auch dann noch nicht gehorcht, will ich euch noch weiter züchtigen, siebenfältig um eurer Sünden willen, sodass ich eure stolze Macht breche. Ich will euren Himmel wie Eisen und eure Erde wie Erz machen. Eure Mühe und Arbeit soll verloren sein, sodass euer Land seinen Ertrag nicht gibt und die Bäume im Land ihre Früchte nicht bringen. Wenn ihr mir zuwider handelt und mich nicht hören wollt, will ich euch noch weiter schlagen, siebenfältig um eurer Sünden willen."
Das ist schon drastisch, was Gott hier sagt. Es ist sehr ernst.
Was wir sehen, ist: Nicht jede individuelle Sünde zieht ein strafendes Handeln Gottes nach sich. Allerdings sehen wir, dass bei Sünden, vor allem wenn sie größeren Umfang haben, Konsequenzen folgen.
Dann gibt es auch die Folgen der Sünde, die getragen werden müssen. Manchmal auch die Folgen eines stark sanktionierenden oder strafenden Eingreifens Gottes, eines Gerichtshandelns Gottes.
Es gibt aber auch die Möglichkeit der Wiedergutmachung, der Buße, der Umkehr oder auch den Gedanken der Sühne. Zum Beispiel am Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag: Der Hohepriester geht ins Allerheiligste, nimmt von dem Opferblut und bringt es an den Altar. Diese ganze Prozedur dient der Vergebung der eigenen Sünden, aber auch der Sühnung der Sünden des Volkes.
Wir haben hier tatsächlich schon den Gedanken der Stellvertretung. Die Strafe, die unmittelbar für die Sünde fällig wäre, die der Mensch verdient hätte, kommt nicht über ihn, sondern stellvertretend wird ein Tier geopfert. Dieser Gedanke der Stellvertretung findet sich dann auch im Neuen Testament in Christus.
Denken wir etwa an den Hebräerbrief, an Hebräer 9 und 10. Dort ist ein Grundgedanke, dass Christus als Lamm Gottes im übertragenen Sinne von diesem Opfer im Alten Testament, insbesondere am Jom Kippur, aber auch am Passah, unsere Sünde auf sich genommen und stellvertretend getragen hat. Er ist gestorben, die Strafe liegt auf ihm. Darauf werden wir gleich noch eingehen.
Deswegen sehen wir bereits im Alten Testament – nicht erst im Neuen Testament –, dass Umkehrschlüsse und Rückschlüsse bei Leiden und Krankheiten illegitim sind. Das heißt: Du bist jetzt krank und leidest, weil du gesündigt hast. Gott tut das, aber nicht jedes Leiden ist deswegen da, weil der Mensch vorher gesündigt hat.
Im Buch Hiob heißt es: Hiob selbst sagt, dieses Leiden oder Unglück widerfährt ihm, weil er wegen einer Sünde oder eines Fehlers vor Gott bestraft wird. Die Freunde von Hiob versuchen genau diesen Zusammenhang herzustellen, zum Beispiel in Hiob 8, Vers 4 folgende. Sie sagen: Du erleidest das, weil du nicht so gerecht bist, wie du immer tust, sondern weil du in Wirklichkeit ein schräger Vogel bist – ich sage das jetzt etwas salopp –, ein ganz schlimmer Mensch. Und deshalb erlebst du diese Strafe Gottes.
Hiob sagt jedoch: Nein. Übrigens werden wir auch sehen, dass genau vor diesem Zusammenhang Jesus im Neuen Testament warnt. Der Grundgedanke im Buch Hiob ist die Frage nach der Gerechtigkeit. Es geht im Grunde genommen gar nicht darum, ob Hiob ein guter Mensch ist oder nicht. Das ist am Ende des Tages gar nicht die entscheidende Frage.
Die entscheidende Frage ist: Bleibe ich dem Herrn im Glauben treu? Bleibe ich bei dem Herrn, auch wenn mir Schweres widerfährt? Am Ende steht immer der Segen. Gott belohnt die Treue, auch das ist ein Grundgedanke, den wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament finden.
Wenn wir also auch in den Tiefen, in der Anfechtung, in der Zulassung Gottes treu bleiben, wird Gott das hinterher auf vielfältige Art und Weise belohnen.
Das letzte globale Gerichtshandeln Gottes war die Sintflut, und das ist belegt mit einer Verheißung. Es heißt:
"Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe."
Das ist eine Verheißung. Insofern muss man mit der Wertung einer Pandemie beispielsweise als Strafe Gottes sehr vorsichtig sein und genau hinschauen.
Wenn Gott Gericht übt im Alten Testament, so wie ich das erkennen kann, ist das immer regional begrenzt. Das war bei den Plagen in Ägypten so, bei Sodom und Gomorra und an vielen anderen Stellen auch. Es war nie global umfassend, sondern immer lokal begrenzt, entweder bezogen auf bestimmte Menschen oder auf ein bestimmtes Gebiet, eine Stadt oder Ähnliches.
Ein weiteres, das wir sehen, ist, dass dieses Gerichtshandeln, dieses strafende Handeln immer und ausschließlich diejenigen trifft, die frevelhafte Dinge tun. Die Gerechten trifft es nie, zu keinem Zeitpunkt.
Gerecht sind nach der Schrift nicht diejenigen, die immer alles richtig machen, sondern gerecht sind die, die Gott vertrauen und den Weg im Glauben gehen. Die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, ist nicht erst eine neutestamentliche Idee, sondern findet sich auch im Alten Testament.
So heißt es im Hebräerbrief 11: Noah wurde gerecht durch den Glauben, Abraham durch den Glauben, Mose durch den Glauben. Die Gerechtigkeit aus dem Glauben ist der Schlüssel und nicht die moralische Vollkommenheit.
Ein weiterer wesentlicher Gedanke ist, dass dem Gerichts- und Strafhandeln Gottes immer die Warnung und der Ruf zur Umkehr vorausgehen. Das ist immer so, nie unwillkürlich.
Ein Beispiel ist 2. Könige 17, Vers 13:
"Und doch hatte der Herr, also im Hebräischen Yahweh, Israel und Juda gewarnt durch alle Propheten und alle Seher und ihnen sagen lassen: Kehrt um von euren bösen Wegen und haltet meine Gebote und Rechte nach dem ganzen Gesetz, das ich euren Vätern geboten habe und das ich zu euch gesandt habe durch meine Knechte, die Propheten."
Das passiert also nicht plötzlich und aus der Luft gegriffen. Wenn Gott handelt, wenn er Gericht übt, dann mahnt er vorher und versucht, die Menschen von ihrem Tun abzubringen. Gottes Strafhandeln ist immer ultima ratio.
Ich habe hier noch eine ganze Reihe anderer Stellen, die im Grunde genommen denselben Inhalt und dieselbe Zielrichtung haben, in unterschiedlichen prophetischen Büchern.
Ein weiteres Beispiel sehen wir auch bei Hesekiel. Wenn wir Hesekiel lesen, finden wir sehr viel Gerichtsbotschaft, aber dann auch in Hesekiel 33, Vers 11:
"So spricht zu ihnen, so wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr: Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen. Das ist nicht Gottes Absicht, das ist nicht Gottes ursprünglicher Wille, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe. So kehrt nun um von euren bösen Wegen, warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?"
Das ist die Grundtendenz der prophetischen Botschaft im Alten Testament: Kehrt um! Gott schenkt jedem Menschen die Chance zur Umkehr – immer und immer wieder.
Am Beispiel Israels sieht man das sehr deutlich. Es gibt einige Bücher im Alten Testament, in denen das sehr geballt deutlich wird, wie zum Beispiel das Buch der Richter.
Nun zu Sünde und Opfer im Alten Testament: Weil die Menschen sündigten und nicht vollkommen sind, wurden Opfer zur Sühne und Versöhnung gebracht. Diese Opfer sind im Alten Testament natürlich zeichenhafte Handlungen und Vorschattungen auf Christus. Gleichzeitig anerkennen sie Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit.
Wie wir aus dem Hebräerbrief wissen, können die Opfer die Sünde nicht endgültig wegnehmen. Das bedeutet, sie müssen immer wieder neu dargebracht werden – jedes Jahr am Jom Kippur, dem Versöhnungstag in Israel, aufs Neue. Dieses System fand erst mit Christus sein Ende. In ihm wurde das Opfer einmal für allemal erfüllt. Seitdem muss niemand mehr ein Opfer zur Sühne bringen; das ist in Christus endgültig geschehen.
Das führt uns zum nächsten Gedanken, der im Alten Testament ebenfalls sehr dominant ist: der Gedanke der Gnade und Vergebung im Zusammenhang mit der Buße. Auch im Alten Testament sehen wir, dass Gott ein gnädiger und barmherziger Gott ist. Ja, das haben wir an anderen Stellen bereits gezeigt. Doch das ist nicht alles. Hier liegt die Priorität der Botschaft ganz eindeutig auf dem Gedanken der Gnade und Vergebung.
Gott ist ein gnädiger und barmherziger Gott. Das lesen wir bereits in Exodus 34: „Und als der Herr vor seinem Angesicht vorüberging, rief er: Der Herr, der Herr, der starke Gott, der barmherzig und gnädig ist, langsam zum Zorn und von großer Gnade und Treue.“ Oder im Psalm: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ Ebenso heißt es in Psalm 116, Vers 5: „Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig.“
Dieses Gottesbild zeichnet die ganze Bibel – sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Das heißt, auch das Alte Testament kennt die Botschaft von der Vergebung. In Jesaja 55, Vers 7 heißt es: „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen. Denn bei ihm ist viel Vergebung.“
Dieser Vers steht nicht im Neuen Testament, wo man ihn vielleicht erwarten würde. Solche Verse finden sich auch im Neuen Testament, doch dieser Vers stammt aus dem Alten Testament. Er zeigt uns den Gott des Alten Testaments, bei dem viel Vergebung zu finden ist. Wichtig ist jedoch die Aufforderung: Kehrt um, kehrt um von euren Sünden und macht nicht so weiter.
Auch Jesaja 42, Vers 2 sagt: „Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist, denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.“ Ja, die Sanktion ist da, aber sie hat auch ein Ende. Es gibt die Möglichkeit der Umkehr und immer die Chance auf einen Neuanfang.
In Zephanja 3, Vers 15 heißt es: „Denn der Herr hat deine Strafe weggenommen und deine Feinde abgewendet. Der Herr, der König Israels, ist bei dir, dass du dich vor keinem Unheil mehr fürchten musst.“ Das sind großartige Verheißungen: die Strafe wird weggenommen, Feinde abgewendet.
Oder Joel 2, Vers 13: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!“ Damals war es üblich, als Zeichen der Reue die Kleider zu zerreißen. Jetzt aber heißt es: Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zu dem Herrn. Das Äußerliche allein macht es also nicht, es geht um unser Herz.
Warum? Weil Gott gnädig und barmherzig ist, „geduldig und von großer Güte, und es reut ihn bald die Strafe.“ Was für Aussagen! Gott hat keine Freude daran, Gericht zu üben – überhaupt nicht. Aber in seiner Gerechtigkeit muss er es tun. Diese Botschaft sehen wir hier deutlich. Doch eigentlich will Gott etwas anderes.
Ein weiterer Gedanke ist der des Unglücks als Warnung Gottes. So lesen wir in Haggai 2,17: „Ich plagte euch mit Dürre, Getreide, Brand und Hagel in all eurer Arbeit, dennoch bekehrtet ihr euch nicht zu mir, spricht Gott der Herr, dennoch nicht.“
Oder wir betrachten Gottes Handeln an Israel während der Wüstenwanderung. Hier verweise ich auf 1. Korinther 10,11, wo es heißt: „Dies widerfuhr ihnen als ein Vorbild; es ist aber geschrieben, uns zur Warnung, auf die das Ende der Zeiten gekommen ist.“
In diesen Beispielen sind verschiedene Ereignisse enthalten, die nicht nur historische Bedeutung haben. Auch das Bild der erhöhten Schlange, das Schlangenbild, gehört dazu. All diese Dinge, die wir im Alten Testament sehen, sind uns zur Warnung gesagt.
Daraus folgt, dass wir nicht behaupten können, das Alte Testament habe mit uns heute nichts zu tun. Das Neue Testament bestätigt, dass diese Geschichten und Warnungen uns gelten.
Damit kommen wir zum zweiten Gesichtspunkt, nämlich Gericht und Strafe Gottes im Neuen Testament. Wie sieht das eigentlich im Neuen Testament aus? Ist das genau so mit diesem Tun-Ergehen-Zusammenhang und all diesen Dingen? Wie gestaltet sich das?
Zunächst einige Vorbemerkungen ganz grundsätzlicher Art zum Wesen und geistlichen Grundcharakter des Neuen Testaments. Sehr grundlegend ist: Jesus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Das ist etwas ganz Wesentliches. Also sozusagen die Verführungsmacht und all das Üble – Jesus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Er ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Dazu muss man natürlich im Auge behalten, was uns die Bibel über Jesus sagt. Jesus ist ja nicht einfach irgendein normaler Mensch, sondern er ist der menschgewordene Gott, das heißt der Gott des Alten Testaments, über den wir gerade gesprochen haben. Gott wird in Christus Mensch. Man muss sich mal vorstellen, was hier geschieht: Er kommt, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Dann lesen wir in Epheser 2,1: "Wir waren tot durch unsere Übertretungen und Sünden." Hier zeigt sich eben dieser Grundgedanke, dass Christus stellvertretend für unsere Schuld starb, worauf ich bereits hingewiesen habe. Noch einmal dazu 2. Korinther 5,21, wo das explizit deutlich wird: "Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt."
Also die Gerechtigkeit Gottes, die auch vor Gott gilt, ist im Neuen Testament nicht aufgehoben. Gott ist jetzt nicht plötzlich ungerecht. Er ist immer noch gerecht. Die gleichen Maßstäbe und der gleiche Anspruch im Blick auf die Gerechtigkeit sind im Neuen Testament genauso vorhanden wie im Alten Testament. Daran hat sich überhaupt nichts geändert.
Nur die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wie wir sie im Alten Testament gesehen haben, ist jetzt sozusagen in Christus erfüllt. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das hatten wir im Alten Testament nicht. Natürlich gab es auch die Gerechtigkeit aus dem Glauben, das sehen wir ja in Hebräer 11. Aber jetzt sind wir in Christus praktisch unserem Wesen nach geistlich die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.
Deshalb müssen wir auch nicht immer wieder Opfer bringen. Es ist getan, es ist Genüge getan. So finden wir im Neuen Testament den Grundgedanken, dass an Christus im Grunde genommen Gott in und mit sich selbst stellvertretend das Gericht vollzogen hat – an seinem Sohn. Also in der Menschwerdung Gottes in Christus hat Gott selbst, in sich selbst, in der Trinität, für diese Gerechtigkeit, die der Mensch nicht erbringen konnte, weil er immer wieder im Gehorsam gefallen ist, das Notwendige vollbracht.
Jetzt erkennen wir erst die Größe dieser Dimension, die im Grunde genommen das Evangelium beinhaltet – was das Evangelium eigentlich heißt und was es bedeutet, "aus Gnade gerettet und nicht durch Werke".
In diesem Zusammenhang ist das prophetische Wort aus Jesaja zu sehen, natürlich mit Blick auf den Messias. Es ist eine Messiasverheißung, die sich in Christus erfüllt hat. Das sehen wir deutlich im Neuen Testament, zum Beispiel in Apostelgeschichte 8, als der Kämmerer gefragt wird: "Verstehst du eigentlich, was du da liest?" Es war dieser Text: "Aber er ist um unserer Missetaten willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten."
Verstehen wir: Die Strafe, die wir eigentlich verdient hätten, liegt jetzt auf Christus. Durch seine Wunden sind wir geheilt. Das ist etwas ganz Fundamentales.
Das wollen wir uns jetzt im Einzelnen anschauen, vor allem, wie das einzuordnen ist und wie man das theologisch verstehen kann.
Auch das Neue Testament spricht tatsächlich von Strafe und Gericht Gottes. Wenn man denken würde, im Neuen Testament gäbe es das alles gar nicht mehr, liegt man falsch. Es gilt jedoch unter anderen Voraussetzungen, nämlich unter den Voraussetzungen des neuen Bundes, den Gott selbst in Christus gestiftet hat.
Was sehen wir hier im Neuen Testament? Wir sehen tatsächlich individuelle Strafhandlungen an einzelnen Menschen. Dann sehen wir eine Warnung im Zusammenhang mit der Verunglimpfung des Abendmahls. Außerdem sehen wir Gottes Gerichtshandeln in der Offenbarung, also wenn wir uns das Buch der Offenbarung anschauen, auch im Blick auf endzeitliche Ereignisse.
Dann sehen wir das Gerichtshandeln Gottes an den Ungläubigen im Endgericht. Und schließlich das Gerichtshandeln Gottes an Satan und den ungehorsamen Engeln.
Das sind die wesentlichen Punkte, die ich hier im Neuen Testament sehe.
Zunächst einmal zu den individuellen Strafhandlungen Gottes an einzelne Menschen: Im Neuen Testament finden wir nicht viele Beispiele, aber einige wenige. Hier möchte ich drei davon zeigen.
Das erste Beispiel ist Herodes Agrippa in Apostelgeschichte 12. Er ließ sich als Gott verehren, und die Strafe Gottes folgte unmittelbar darauf. Er wurde von Würmern zerfressen. Dabei handelte es sich um ein Wunder, keinen natürlichen Vorgang. Gott wirkte dies direkt und unmittelbar in diesem Moment.
Ein weiteres Beispiel ist ein Mann namens Bar-Jesus, der auch Elimas genannt wird. Sein jüdischer Name ist eigentlich Bar-Jesus, auf Griechisch wurde er Elemas genannt. Dieser Mann wurde zeitweise mit Blindheit geschlagen. Warum? Er wird hier näher beschrieben und charakterisiert als Zauberer und falscher Prophet, ein Feind aller Gerechtigkeit (Apostelgeschichte 13,6-10). Von ihm heißt es, dass er die geraden Wege des Herrn krumm macht.
Das dritte Beispiel sind Ananias und Saphira. Wenn man das liest, fragt man sich vielleicht: Was ist denn das jetzt? Die beiden waren doch gläubig und gehörten zur Gemeinde. Trotzdem fallen sie beide nacheinander, mit einem gewissen zeitlichen Abstand, tot um. Die Begründung dafür wird gegeben: Sie haben den Heiligen Geist belogen. Im Gesamtzusammenhang sehen wir, dass dies im Grunde genommen eine Übeltat aus einer Motivation des Unglaubens war, selbst wenn sie zur Gemeinde gehörten. Die Motivation dahinter war nicht, Gott zu gefallen, sondern eigensinnig.
Diese Stelle ist singulär. Es gibt einige singuläre Ereignisse in der Schrift, die nur einmal vorkommen und keine weiteren Beispiele haben. Weitere singuläre Ereignisse sind zum Beispiel die Kraft in den Haaren Simsons. Es gibt keine andere Stelle in der Schrift, in der ein Mensch wegen der Haarlänge Kraft von Gott erhält. Die Vollmacht Gottes war also nur bei Simson an die Haarlänge gekoppelt. Solche singulären Stellen gibt es einige, und ich sehe diese Stelle um Ananias und Saphira ebenfalls als singulär an.
Das bedeutet aber, dass man aus singulären Stellen keinen allgemeingültigen Lehrsatz ableiten kann oder ein prinzipielles Handeln Gottes. Was wir sehen, ist, dass Gott in dieser Situation singulär gehandelt hat. Das heißt nicht, dass Gott immer so handelt.
Mir ist auch aus der gesamten Kirchengeschichte, angefangen vom Neuen Testament, also dem weiteren Verlauf der Apostelgeschichte und der Urgemeinde, den Gemeindegründungen, sowie der Zeit der Kirchenväter und durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch, kein einziger weiterer Fall bekannt, in dem Gott auf diese Weise gehandelt hätte. Vielleicht gab es solche Fälle, und ich weiß es nur nicht. Das mag sein.
Solange ich jetzt in der Theologie und theologischen Forschung unterwegs bin, ist mir jedenfalls kein solcher Fall in der Geschichte begegnet. Ich habe in keinem Kirchengeschichtswerk, in keinem Werk zur Theologiegeschichte oder sonstigen Quellen davon gelesen. Wie gesagt, es kann sein, dass irgendwo so etwas dokumentiert ist, es aber noch nicht bekannt geworden ist. Das will ich nicht ausschließen. Aber jedenfalls schweigt die Kirchengeschichte der letzten 2000 Jahre zu solchen Dingen. Es gibt kein weiteres Beispiel, zumindest ist bis jetzt keines bekannt. Die Fälle sind singulär.
Ein weiterer Aspekt, den wir sehen, wird vielleicht manchmal überlesen. Wenn man ihn jedoch bewusst betrachtet, wirft er möglicherweise Fragen auf und kann auch etwas erschreckend sein. Es geht um die Frage: Wie sieht das beim Abendmahl aus?
Hier finden wir sehr interessante Aussagen. Es heißt: Wer also unwürdig – was genau "unwürdig" bedeutet, werden wir uns noch näher anschauen – von dem Brot isst oder von dem Kelch des Herrn trinkt, wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn.
Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke von dem Kelch. Denn wer isst und trinkt, ohne zu bedenken, welcher Leib es ist, der isst und trinkt sich selbst zum Gericht.
Es wird noch deutlicher: Darum sind auch viele Schwache und Kranke unter euch, und nicht wenige sind entschlafen. Ganz offenkundig, und das ist hier der Argumentationszusammenhang, haben sich Menschen in der hier beschriebenen Weise am Abendmahl vergangen. Das ist offensichtlich.
Die Frage ist nun: Was bedeutet das für uns? Was bedeutet das für die Gemeinde Jesu? Wie sollen wir mit dem Abendmahl umgehen? Dürfen wir es überhaupt nehmen? Fällt die Hälfte der Gemeinde tot um oder liegt nächste Woche mit Krebs im Krankenhaus?
Ich glaube, dass das nicht so zu verstehen ist. Wenn wir in den griechischen Text hineinschauen, sehen wir den Begriff "anaxios". Das ist ein Adverb. Ein Adverb beschreibt immer die Art und Weise, wie etwas getan wird. Es geht hier also um die unwürdige Art und Weise.
Was ist also das Unwürdige? Was macht das Verhalten beim Abendmahl zu einer unwürdigen Feier?