Einführung in die stille Zeit und das Bibelstudium
Zunächst noch ein paar Worte zur stillen Zeit. Das ist generell eine gute Sitte, ein guter Brauch, wenn wir uns Zeit nehmen, um uns persönlich mit der Bibel auseinanderzusetzen und uns auch davon berühren zu lassen.
Hier bei uns in der Freizeit gestalten wir das so, dass wir euch eine kleine Hilfe geben wollen. Wir schlagen euch einige Texte vor und stellen dazu noch einige Fragen. Anschließend versuchen wir, im Kreis, in dem wir hier sind, die Gedanken zu diesen Bibeltexten zusammenzutragen und auszutauschen.
Ich werde euch heute ein kleines Blättchen auslegen. Es ist schon fertig und muss nur noch kopiert werden. Darauf findet ihr für jeden der noch kommenden Tage, das heißt ab morgen, Samstag, bis zum Ende der Freizeit, einen kleinen Bibeltext.
Ich habe Gleichnisse herausgesucht, Gleichnisse, die wir nicht intensiv in meiner Bibelarbeit besprechen werden. Es sind kurze Gleichnisse, sodass viel Zeit bleibt, darüber nachzudenken. Die Texte sind nicht lang, sondern kurze, in sich geschlossene Abschnitte.
Wir werden nicht jeden Text hier am Morgen besprechen, sondern immer nur denjenigen, der für den jeweiligen Tag vorgesehen ist. Das geschieht an den Tagen, an denen wir auch eine Austauschzeit haben. Am Sonntagmorgen haben wir hier einen normalen Gottesdienst, deshalb keine Austauschzeit. Trotzdem werde ich euch einen Text geben, über den ihr nachdenken könnt und euch Gedanken machen sollt.
Am Montag haben wir hier eine normale Bibelarbeit, und da werden wir den Text für Montag gemeinsam besprechen. Dieses gemeinsame Besprechen ist nur ein zusätzliches Angebot, um die Gedanken der anderen mitnehmen zu können. Das persönliche Auseinandersetzen mit dem Text bleibt davon unberührt.
Zu jedem Text habe ich euch fünf Fragen gestellt, die euch helfen sollen, den Text besser zu durchdenken und zu strukturieren. Ich hoffe, ihr kommt gut damit zurecht.
Ich werde euch das Blättchen nachher auslegen. Ich muss noch sehen, ob das organisatorisch besser beim Mittagessen oder heute Abend klappt. Ich werde versuchen, es euch schon zum Mittagessen hinzulegen.
So viel zur stillen Zeit.
Kontext und Einführung in das Gleichnis
Dann kommen wir zu dem Text, den ich heute Morgen etwas genauer mit euch betrachten möchte. Es handelt sich um ein Gleichnis, oder besser gesagt, um zwei Gleichnisse. Manchmal, und das haben wir in den letzten Tagen schon erfahren, verbindet Jesus zwei verschiedene Gleichnisse miteinander, also zwei Bilder. Erinnert euch: Da war zum Beispiel das Bild der Lampe, die man nicht im Keller verstecken soll. Direkt im Anschluss erklärt Jesus noch ein anderes Gleichnis, nämlich das vom Auge und dem Körper. Beide haben dieselbe Funktion.
Heute geht es ebenfalls um ein Gleichnis, beziehungsweise um zwei Gleichnisse, die eigentlich dasselbe aussagen sollen. Jesus benutzt zwei Bilder aus dem Alltag, um uns eine geistliche Wahrheit vor Augen zu führen. Wir lesen diese Gleichnisse im Lukasevangelium, Lukas 5, Verse 36 bis 39. Diese Gleichnisse finden wir auch im Matthäusevangelium, Matthäus 9, Verse 16 und folgende, sowie im Markusevangelium, Markus 2, Verse 21 und 22.
Ich lese den Text, wie er im Lukasevangelium steht, vor: Lukas 5, Verse 36 bis 39.
„Und er – hier ist Jesus gemeint – sagte auch ein Gleichnis zu ihm: Niemand trennt einen Lappen von einem neuen Kleid und setzt ihn auf ein altes Kleid. Sonst wird er das Neue zerreißen, und zum Alten wird der Lappen vom Neuen nicht passen.
Niemand schüttet neuen Wein in alte Schläuche, sonst wird der neue Wein die Schläuche zerreißen, und er wird auslaufen, und die Schläuche werden verloren sein. Vielmehr muss man neuen Wein in neue Schläuche schütten.
Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen, denn er sagt: Der Alte ist bekömmlicher.“
Grundlegende Bedeutung der Gleichnisse: Alt und Neu
So weit dazu. Es geht um zwei Bilder, die grundsätzlich das Verhältnis zwischen Alt und Neu darstellen. Dieses Gegenüber steht im Mittelpunkt. Auf der einen Seite haben wir alte Kleider und neue Kleider, alten Schlauch und neuen Schlauch, alten Wein und neuen Wein. Immer wieder wird hier das Alte und das Neue einander gegenübergestellt.
Wir sollten jetzt nicht zu vorschnell versuchen, das Gleiche zu interpretieren oder zuzuordnen. Schnell könnte man sagen: Aha, hier geht es um Alt und Jung. Normalerweise meint man damit die Alten und die Jungen. Also heißt das, die Alten und die Jungen passen nicht zusammen. Daraus könnte man schließen, man sollte eine Seniorengemeinde und eine Jugendgemeinde gründen. Nehmen wir das als einen möglichen Gedanken mit nach Hause.
Aber darum geht es hier nicht! Ich muss deutlich sagen: Es geht nicht darum, dass wir altersspezifische Gemeindearbeit machen sollen. Darüber könnte man sich zwar getrennt Gedanken machen, aber die klaren Anweisungen, die wir im Neuen Testament finden, sagen uns eher, dass Alt und Jung zusammengehören.
Im Neuen Testament gehören übrigens auch verschiedene Nationalitäten zusammen, zum Beispiel Griechen und Juden. Ebenso verschiedene kulturelle und soziale Milieus: Reiche und Arme, Freie und Sklaven – sie gehören alle zusammen.
Eine Aufteilung in Gruppen, die dann jeweils eine gruppenspezifische Gemeinde bilden, steckt weder in diesem Text noch in anderen Aussagen des Neuen Testaments.
Historischer Kontext des Gleichnisses
Vielleicht können wir noch einen kleinen Blick darauf werfen, was vorher und nachher in diesem Kapitel geschieht. Das ist uns ja sonst immer auch eine Hilfe.
Wenn wir einmal das Kapitel fünf anschauen, beginnt es mit dem Fischzug des Petrus. Petrus wird von Jesus berufen, und Jesus gibt ihm den Auftrag, noch einmal hinaus auf den See zu fahren und die Netze auszuwerfen. Durch eine wunderbare Art und Weise fängt er mehr Fische als je zuvor.
Danach folgt die Heilung eines Aussätzigen ab Vers zwölf, dann die Heilung eines Gelähmten ab Vers siebzehn. Anschließend erfolgt die Berufung des Levi, also eines Zöllners, ab Vers siebenundzwanzig.
Dann nimmt Jesus Stellung zur Frage des Fastens. Die Jünger des Johannes fasten, ebenso die Juden, das hatten wir gestern schon besprochen. Die Frage lautet: Warum fasten deine Jünger nicht? Die Antwort darauf ist, dass sie später auch fasten werden. Aber jetzt ist Jesus noch bei ihnen, und da gibt es keinen Grund zum Fasten. Es gibt Wichtigeres als das Fasten. Das ist das, was vorher kommt, ehe dieses Gleichnis vom Alten und vom Neuen hineingebracht wird.
Direkt danach geht es weiter mit der Reaktion der Pharisäer. Sie wenden sich an Jesus, weil seine Jünger die Sabbatgebote nicht gehalten haben. Wenn wir genau hinschauen, merken wir allerdings, dass es sich um die Sabbatgebote handelt, wie sie von den Pharisäern interpretiert wurden, nicht um die Sabbatgebote, wie sie im Alten Testament zu finden sind.
Es geht insbesondere darum, dass die Jünger durch die Felder streiften, um dort Ähren auszureißen und die Hülsen davon zu entfernen, also die Spelzen, und diese dann zu essen. Die Pharisäer sagen, das sei eine Übertretung des Sabbatgebotes, so wie sie es verstehen.
Das kommt dann direkt danach.
Dann folgt die Heilung eines Mannes, eines Kranken am Sabbat. Das wird ab Vers 6 erzählt: Es geschah an einem anderen Sabbat, dass Jesus in die Synagoge ging und lehrte. Dort war ein Mensch, dessen rechte Hand verdorrt war. Hier sehen wir wieder diese Gegenüberstellung.
Wenn wir jetzt direkt vorher und nachher schauen, was fällt auf? Direkt vorher ist die Begegnung mit den Zöllnern, dann die Konfrontation mit den Pharisäern. Die Pharisäer fragen: Warum fastet ihr nicht? Direkt danach folgt wieder eine Konfrontation mit den Pharisäern, nämlich: Warum arbeitet ihr am Sabbat? Warum heilst du am Sabbat Menschen?
So ist es uns relativ naheliegend, dass sich dieses Gleichnis in erster Linie auch auf diesen direkten historischen Kontext bezieht, nämlich auf die Forderungen der Pharisäer, zu denen Jesus Stellung nimmt.
Das ist das, was direkt die Situation betrifft, in der es geschrieben und gesprochen worden ist.
Wir müssen dann in einer zweiten Linie natürlich auch fragen: Was bedeutet das heute für uns? Was können wir daraus ziehen? Aber das möchte ich erst einmal voneinander getrennt behandeln.
Die Alltagssymbole der Gleichnisse: Kleid und Wein
Es sind zwei Bilder, beide zeigen den ganz normalen Alltag der Juden zur Zeit Jesu in Israel.
Das erste Bild zeigt das Flicken von Kleidern. Das ist uns heute etwas fremd geworden, zumindest manchen, denn heutzutage werden Kleider meist nicht mehr geflickt, sondern weggeworfen und neu gekauft. Das ist keine Hypothese, ich habe den Eindruck, das stimmt. Nun ja, nicht ganz. Es gibt auch noch einige Leute, die flicken mal. Manche Jugendliche reißen sogar absichtlich ein Loch in ihre Kleidung und sind dann noch sauer, wenn man das Loch flickt. Das gab es damals allerdings nicht so sehr. Hier geht es darum, dass ein Kleidungsstück kaputt ist und repariert werden soll. Die Frage ist: Wie geht man dabei vor?
Das zweite Bild stammt aus der Landwirtschaft, nämlich dem Weinanbau. Diejenigen von uns, die aus Süddeutschland kommen, sind mit Weinanbau vertraut. Dort gibt es an jeder Ecke einen Weinberg, manche haben sogar zu Hause eine Weinkellerei, und man kann dort auch einen Wein trinken. In Norddeutschland sind die Leute da etwas zurückhaltender, denn dort wächst nicht so viel Wein. Man kann es zwar probieren, aber es wächst nicht so viel. Dieses Beispiel ist besonders für euch als Süddeutsche interessant, wenn ihr aus Süddeutschland kommt oder gerne Wein trinkt.
Aber bleiben wir erst einmal beim ersten Gleichnis. Es erläutert die Alltagsarbeit der Hausfrau. Man könnte eine Hausfrau fragen: Ihr habt zu Hause möglicherweise, wie wir, einen Schrank. Bei uns in der Diele, in einem alten Bauernhaus, steht so ein Schrank, in dem alle möglichen alten Kleidungsstücke aufbewahrt werden. Das ist die Arbeitskleidung. Wenn etwas Schmutziges oder Dreckiges getan werden soll, zum Beispiel im Garten umgegraben oder Holz gespalten wird, nehmen wir die Kleidung aus diesem Schrank.
Stellt euch nun vor, bei dieser Arbeit reißt eine Hose. Die Frage ist: Würdet ihr jetzt hingehen und in ein Bekleidungsgeschäft, zum Beispiel Herrenausstatter Hugo Boss, einen Anzug für 500 Euro kaufen? Dann schneidet ihr ein Stück Stoff aus diesem neuen Anzug heraus und näht es auf die Arbeitshose, die ihr zum Gartenumgraben benutzt? Ist das richtig? Macht ihr das so? Ich höre keine große Begeisterung im Zustimmen. Im Normalfall macht man das nicht so. Das ist vollkommen unsinnig und verrückt, denn man macht das Neue kaputt, um das Alte zu reparieren. Das bringt doch gar nichts.
Genau dieses Bild nimmt Jesus hier vor Augen. Er verwendet ein solches Bild, das etwas überspitzt ist, sodass jeder Zuhörer sofort sagt: So verrückt kann doch gar keiner sein! Wenn man jetzt etwas tiefer nachdenkt, müssen sich die Pharisäer, die zuhören, die Frage stellen: Was bedeutet das für uns? Machen wir vielleicht gerade dieses Verrückte? Was wir bei der Kleidung nie tun würden, machen wir das vielleicht im geistlichen Bereich? Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.
Einerseits ist klar: Das Neue wird nicht kaputt gemacht. Hier steht ja, niemand trennt einen Lappen von einem neuen Kleid ab. Übrigens, in den Parallelberichten bei Matthäus und Markus wird nur von einem neuen Stück Stoff oder einem ungewalkten Stück Stoff gesprochen. Hier bei Lukas verschärft Jesus das Ganze noch. Es geht nicht nur um ein neues Stück Stoff, sondern um ein ganz neues Kleid. Das ist noch aufwendiger und teurer. Es wäre noch verrückter, das zu zerschneiden als ein neues Stück Stoff. Das wird also noch überspitzt. Niemand zertrennt das Neue, um das Alte zu flicken.
Das hat mehrere Punkte. Erstens habe ich erwähnt: Das neue Kleid geht dadurch kaputt und ist unbrauchbar. Wir können es dann auch wegwerfen. Zweitens tut das meistens dem alten Stück Stoff auch nicht gut. Wenn ich auf die Parallelberichte zurückgehe, wird von ungewalktem Stoff gesprochen. Ungewalkter Stoff schrumpfte beim ersten Waschen. Was passiert also, wenn man einen größeren Flicken einnäht? Wenn der Stoff schrumpft, kann es passieren, dass auch das alte Stück, das bereits geschrumpft ist, durch das neue Stück Stoff zerrissen wird. Das heißt, ich diene weder dem neuen Kleid – dem schädige ich –, noch dem alten Kleid, weil durch das neue Stück Stoff auch das alte beschädigt wird.
Hier merken wir: Die Handlung ist für eine Hausfrau damals und wahrscheinlich auch heute vollkommen klar absurd, so zu handeln. Jetzt stellt sich die Frage: Was ist damit eigentlich gemeint? Ich habe nicht umsonst auf den Kontext hingewiesen, in dem das Ganze steht. Ich glaube, dass Jesus das ganz bewusst an dieser Stelle erzählt hat, um den Pharisäern etwas vor Augen zu führen.
Was will er ihnen vor Augen führen? Was könnte in diesem Fall das Alte sein? Wir kennen alle die Antithesen aus dem Matthäusevangelium, die in der Bergpredigt stehen. Dort heißt es: „Die Alten haben euch gesagt …“ und dann „Ich aber sage euch …“. Dort finden sich viele Anweisungen, zum Beispiel wie man mit Feinden umgehen soll oder wie man die Ehe halten soll. Die Alten haben euch gesagt, ich aber sage euch – das ist etwas ganz Ähnliches. Jesus spricht auch hier von Altem und Neuem, nämlich von dem, was er jetzt sagt.
Die Frage ist: Was ist das Alte? Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das Alte das Alte Testament ist. Das sind die Forderungen des Alten Testaments. Steht das hier? Aha, das Alte Testament sagt: Fasten sollst du und Sabbat halten sollst du. Das ist direkt das, was vorher und nachher geschieht. Aber wir sollten aufpassen, denn Jesus stellt sich an keiner einzigen Stelle, die mir bekannt ist, deutlich gegen die Forderungen des Alten Testaments. In der Einleitung der Bergpredigt sagt er sogar, wer eines von diesen Geboten durchstreicht, auch das kleinste, der wird der Letzte sein im Himmelreich Gottes.
Jesus hält alle Gebote des Alten Testaments ein. Was er nicht einhält, sind die Gebote der Alten – und mit den Alten sind hier die Pharisäer gemeint. Das sind die Gebote, die die Pharisäer vor einigen Generationen erfunden haben, indem sie die Forderungen der Bibel noch verschärft haben. Ich habe gestern erzählt, dass die Juden zweimal in der Woche gefastet haben, montags und donnerstags. Das war aber gar nicht biblisch vorgesehen oder gefordert.
War es im Alten Testament verboten, am Sabbat jemanden zu heilen? Sucht die Stelle heraus – es gibt keine Stelle, die das deutlich sagt. Wunder zu tun war offenbar auch am Sabbat erlaubt. Berufstätigkeit, zum Beispiel ein Arzt, der eine Operation machen sollte, konnte diese besser am ersten Tag der Woche durchführen, also am Sonntag. Wenn es verschoben werden konnte, machte er das so. Wenn es aber unbedingt nötig war, durfte er auch am Sabbat handeln.
Wenn Jesus hier am Sabbat heilt, einen Wundertod vollbringt, ist das nicht gegen das Gebot des Alten Testaments. Wenn die Jünger Ähren ausreißen, um davon zu essen, war das auch nicht gegen das Gebot des Alten Testaments. Es handelte sich nicht um Berufstätigkeit, sondern nur um das Stillen des Hungers.
Das heißt, was die Pharisäer Jesus vorwerfen, nämlich, dass er sich nicht an ihre Gebote hält, bezieht sich auf das, was aus Sicht der Pharisäer das Alte und Bewährte ist. Ich glaube, dass Jesus mit diesem Gleichnis vom alten und neuen Kleid gerade das vor Augen hat. Das Alte ist das Kleid der Pharisäer, das ist die Lehre der Pharisäer, das ist ihre Interpretation des Alten Testaments. Das Neue ist die Botschaft Jesu.
Jesus will damit sagen: Es bringt nichts, eine Kombination zu versuchen. Die Pharisäer hätten sich vielleicht auf Kompromisse eingelassen. Jesus bekommt viel Zulauf, die Leute sind begeistert von ihm, er tut viele Wunder. Den könnten wir doch auch gut gebrauchen als eine Art Oberpharisäer. Wären sie vielleicht mit einverstanden gewesen, wenn er ein paar Kompromisse eingeht und sich an ihren äußeren Rahmen hält? So nach dem Motto: An unserem Pharisäertum ändert sich nicht viel, ein paar Sachen klappen nicht ganz, aber das können wir flicken – womit? Mit der neuen Botschaft Jesu, da ist Leben drin, die Leute sind begeistert.
Hier sagt Jesus jedoch: Nein, das geht nicht. Wenn ich die neue Botschaft vom Reich Gottes, die ich predige, mit euren Geboten zusammenbringen will, geht beides kaputt. Warum? Weil Jesu Botschaft die Botschaft der Gnade ist. Du bist errettet aus Gnade und nicht durch eine falsch verstandene Gesetzlichkeit, die versucht, durch das Einhalten von Geboten Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen.
Man kann keine Kombination machen. Ich kann nicht sagen: Wenn du den Sabbat hältst, regelmäßig fastest und den Zehnten gibst, wirst du gerettet – und gleichzeitig sagen: Wenn du deine Sünden bekennst, wirst du allein aus Gnade gerettet. Das geht nicht. Wenn ich versuche, das zu kombinieren, geht beides kaputt. Irgendetwas fällt dann unter den Tisch.
Hier will Jesus uns vor Augen führen: Das Ganze ist unvereinbar miteinander, das passt nicht zusammen. Er stellt den Pharisäern klar: Ihr müsst euch entscheiden. Entweder hört ihr auf meine neue Botschaft oder ihr haltet an eurer altverstandenen Lehre fest. Beides zusammen geht hier nicht.
Das zweite Gleichnis: Neuer Wein und alte Schläuche
Soweit vielleicht zum ersten Gleichnis dieser beiden. Das zweite dann, Vers 37:
„Und niemand schüttet neuen Wein in alte Schläuche, sonst wird der neue Wein die Schläuche zerreißen und er wird auslaufen, und die Schläuche werden verloren sein. Vielmehr muss man neuen Wein in neue Schläuche schütten. Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen, denn er sagt, der alte ist bekömmlicher.“
Zuerst einmal der Hintergrund mit diesen Schläuchen. Es wird hier ebenfalls Alt und Neu miteinander verglichen. Die Schläuche werden mit einem griechischen Begriff bezeichnet, der „keinos“ heißt. Dieser Begriff meint so viel wie eine qualitative Neuerung, also nicht unbedingt neu nur von der Herstellung, sondern auch neu von der Qualität.
Der Wein hingegen wird mit dem griechischen Wort „neos“ bezeichnet. Das bedeutet so viel wie „frisch“ und „jung“. Das hat jetzt keine große Auswirkung auf unsere Interpretation.
Bei beidem müssen wir allerdings vor Augen haben: Hier sind Alt und Neu keine Wertungsurteile. Es wird also weder gesagt, das Alte sei wertvoller oder höherwertig, noch dass das Neue höherwertig sei.
In der Gesellschaft hat sich das geändert. Vor vielleicht noch fünfzig Jahren galt für viele: Alt ist bewährt und gut. Heute ist es gerade umgekehrt, zumindest für einen großen Teil der Menschen. Alt ist überholt und unsinnig, Neu ist immer ein Qualitätsmerkmal. Wer will schon einen alten Computer kaufen? Oder ein neues Handy, eine neue CD oder so etwas? Für viele Menschen ist das Neue das Gute.
Das ist hiermit aber nicht gemeint. Hier ist keine Wertung, sondern einfach eine Zuschreibung: Das ist alt, weil es schon eine gewisse Zeit existiert hat. Das ist neu, weil es eben noch nicht so lange existiert hat. Das ist das, was hier vor Augen steht.
Die praktische Bedeutung des Bildes vom Wein und den Schläuchen
Was passiert hier? Wein wird aus Weintrauben hergestellt. Zuerst werden die Trauben ausgepresst, und der daraus gewonnene Saft beginnt zu gären. Während der Gärung entstehen Gase, die dazu führen, dass sich der Wein ausdehnt und aufbläht.
Das sieht man besonders deutlich bei Schaumwein, wie Champagner. Wenn man eine Flasche öffnet, schießt der Korken heraus, weil im Inneren viel Druck herrscht. Der Druck entsteht durch die Gärung, manchmal werden auch zusätzliche Stoffe hinzugefügt, damit der Wein schön sprudelt und Luft entweichen kann.
Genau das ist hier gemeint: Der junge Wein, der gerade abgefüllt wird, dehnt sich aus. Ein bereits ausgedehnter Stoff hat sein Limit erreicht. Wenn man ihn weiter dehnt, zerreißt er. Frischer Stoff ist flexibel und kann sich ausdehnen. Hier waren es meistens Schläuche aus Leder. Frisches Leder ist dehnbar, während altes Leder, ähnlich wie Pergament, unflexibel wird.
Wenn man nun den neuen Wein in diese unflexiblen Schläuche füllt, sagt Jesus, dass beides kaputtgeht. Es ist nicht nur so, dass eines geschädigt wird: Die alten Schläuche platzen, weil sie der Ausdehnung nicht standhalten, und sind danach unbrauchbar. Gleichzeitig geht der Wein verloren, weil er verschüttet wird und niemand ihn mehr trinken kann.
Die Botschaft lautet also, dass es für beide besser ist, wenn das Neue beim Neuen bleibt und das Alte beim Alten. Beide sollten getrennt voneinander bleiben. Diese Geschichte basiert auf einem rein landwirtschaftlichen Bild.
Verschiedene Deutungen und die Herausforderung des letzten Satzes
Es gibt verschiedene Deutungen darüber, was das im Einzelnen bedeuten kann. Manche schlagen vor, dass der Wein etwas mit dem Heiligen Geist zu tun haben könnte. Das wäre theoretisch möglich, denn Wein wird manchmal in Verbindung mit dem Heiligen Geist gesehen.
Man könnte den Wein auch im Zusammenhang mit dem Abendmahl betrachten, bei dem Wein verwendet wird, oder im Bezug auf das Blut des Passahfestes oder das Blut Jesu. Doch ich habe den Eindruck, dass das hier alles keine Rolle spielt. Jesus will hier weder etwas über den Heiligen Geist, noch über seinen Tod, das Passah oder Ähnliches sagen. Im Gesamtzusammenhang des Textes sehen wir, dass es um die Auseinandersetzung mit der Lehre der Pharisäer und der Lehre Jesu geht. Das scheint im Zentrum zu stehen.
Nun gibt es die Frage: Manche deuten den Wein auch als Symbol für Freude, also Lebensfreude. Wenn Menschen trinken, werden sie fröhlicher und lustiger. Nach diesem Motto könnten die „Sauertöpfchen“ bei sich bleiben, während die Fröhlichen bei sich bleiben. Das ist hier wahrscheinlich nicht gemeint. Vielmehr geht es nur darum, dass alte Lehre, also die pharisäische Lehre, und die neue Lehre Jesu nicht zusammenpassen.
Der letzte Teil des Textes fällt etwas schwer. Dort steht: „Niemand, der den Alten getrunken hat, will den Neuen; denn der Alte ist bekömmlich“ oder „ist besser“, wie manche schreiben. Wie passt das zusammen, wenn die Lehre der Alten die der Pharisäer ist und Jesus sagt, sie sei besser? Würde Jesus dann von seiner eigenen Lehre sagen, sie sei schlechter als die der Pharisäer? Das steht hier nicht. Hier wird nur gesagt, dass diejenigen, die den Alten getrunken haben, das so empfinden. Ob das wirklich so ist, bleibt offen.
Wir könnten Winzer fragen, und die würden im Normalfall sagen, dass alter Wein besser sei als ganz frischer, weil er ausgereifter ist. Aber was wir hier deutlich sehen: Jesus spricht nicht über die Qualität des Weins, sondern nur darüber, wie diejenigen, die ihn probiert haben, ihn empfinden.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass beide Interpretationen möglich sind. Zum einen ist das Alte das, was die Pharisäer als alt angesehen haben. Das zeigt uns auch das erste Bild vom alten Kleid und dem neuen Kleid, das zerschnitten wird.
Zum anderen steckt eine weitere Ebene dahinter: die indirekte Kritik an der Interpretation der Pharisäer. Jesus bringt zum Ausdruck, dass das eigentlich Alte nicht bei den Pharisäern ist, sondern bei ihm.
Wie passt das zusammen? Ich habe gesagt, dass das Alte, das die Pharisäer als alt betrachteten, ihre überkommene Tradition war, also die pharisäische Tradition. Und seit wann gibt es die Pharisäer? Erst seit ein paar hundert Jahren. Und seit wann gibt es das Alte Testament? Die Anfänge liegen einige tausend Jahre zurück.
Das heißt: Was ist älter? Die Überlieferung von Mose, Abraham und David oder die Interpretation der Pharisäer? Hier müssen wir sagen: Jesus predigt etwas Neues für die damalige Zeit, aber eigentlich predigt er etwas Altes, weil er auf dem aufbaut, was Gott schon lange vorher im Alten Testament offenbart hat.
Wir sollten immer im Blick behalten, dass wir Altes und Neues Testament nicht gegeneinander ausspielen. Das passiert leider manchmal, wenn Christen das Alte Testament stiefmütterlich behandeln und sagen: „Das hat uns nichts mehr zu sagen, das ist altmodisch.“
Manchmal hören wir auch die Vorwürfe von Nichtgläubigen, die sagen, im Alten Testament gebe es viele Schlachtereien, Gott sei grausam und brutal, während im Neuen Testament nur Liebe herrsche. Das ist jedoch eine grobe Vereinfachung. So einfach ist es nicht.
Schon im Alten Testament finden wir Verse wie: Gott hat keine Freude am Tod des Ungerechten. Auch die Verhandlung Abrahams mit Gott über die Vernichtung von Sodom und Gomorra zeigt, dass Gott bereit ist, Gnade zu gewähren, wenn es dort Fromme gibt. Gott gibt auch in Ninive Gnade, obwohl der Prophet Jona sie zur Vernichtung schicken soll. Nach der Buße der Menschen vergibt Gott und lässt sie neu anfangen.
Gott geht seinem Volk nach, obwohl es immer wieder Abgötterei betreibt. Im Neuen Testament lesen wir, dass Gott zu den Juden sagt: „Bin ich treu, obwohl ihr untreu seid.“ Das ist das Alte Testament.
Im Alten Testament gibt es auch schon den Hinweis: „Du sollst deinen Nächsten lieben.“ Das ist nichts Neues, sondern etwas, was Jesus aufgreift.
Im Neuen Testament finden wir nicht nur einen Gott der sentimentalen Liebe. Jesus sagt zu den Pharisäern: „Ihr Otterngezücht und Schlangenbrut, meint nicht, ihr könntet dem zukünftigen Gericht Gottes entfliehen.“
Jesus geht in den Tempel und schlägt mit der Geißel die Händler zusammen. In der Offenbarung sehen wir ein Bild, in dem ein Drittel der Menschheit als Strafe Gottes stirbt. Dort wird auch vom feurigen Pfuhl und vom ewigen Tod gesprochen.
Gott ist derselbe im Alten und im Neuen Testament. Der Gott des Alten Testaments ist nicht nur der Böse, sondern der Gerechte, der Strafe initiiert, aber auch der Gott der Liebe. Im Neuen Testament ist Gott vollkommene Liebe und Gerechtigkeit zugleich.
Deshalb sollten wir Altes und Neues nicht gegeneinander ausspielen, wie es die Pharisäer versucht haben, indem sie an ihrer Interpretation des Alten festhielten. Vielmehr sollten wir sehen, was wirklich das Alte ist.
Und da müssen wir sagen: Gott ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit. Der Gott, von dem Jesus spricht, ist auch der Gott des Alten Testaments. Es gibt keinen Unterschied, aber es ist nicht der Gott der Pharisäer.
Die mehrschichtige Bedeutung des Gleichnisses
Und wenn wir jetzt diese nächste Ebene des Gleichnisses betrachten, sehen wir Folgendes: Die erste Ebene des Gleichnisses besagt, dass das, was die Pharisäer predigen, das Alte und Traditionelle ist und nicht zum Neuen passt. Das Neue ist die Botschaft Jesu.
In der nächsten Ebene merken wir, dass selbst das nicht ganz stimmt. Denn das wirklich Alte ist wiederum auch die Botschaft Jesu. Das ist das, was Jesus eigentlich wieder hervorholt. Das, was die Pharisäer nennen, ist das Neue. Dieses Neue war zwar zu dem Zeitpunkt schon einige hundert Jahre alt, aber im Verhältnis zur Offenbarung noch neu.
Hier wird gerade dieser Schlüssel am Ende wichtig: Wer den Alten getrunken hat, merkt, dass der Alte besser und bekömmlicher ist. Das ist eine Art Schlüssel, der zeigt, dass das Gleichnis mehrere Ebenen hat und nicht ganz einfach zu verstehen ist.
Die erste Ebene lautet: Wenn wir sehen, dass das Alte das der Pharisäer ist, dann würde ich es so deuten, dass diejenigen, die das Alte getrunken haben, meinen, es sei besser. Das ist etwas, das wir selbst erleben können. Die Pharisäer glauben wirklich, dass das, wie sie es erleben, das Bessere ist.
Einige von euch kommen ja langsam ins Mittelalter hinein, andere haben das Mittelalter schon überschritten und treten sozusagen in die Antike ein. Das ist eine Stufe, und auf dieser Stufe kann es uns genauso gehen wie den Pharisäern: Wir sagen generell, das Alte sei immer das Gute.
Ich weiß nicht, wie es in manchen eurer Gespräche ist, aber es kann öfter mal vorkommen, dass Aussagen wie „So wie es früher war, war es gut“ auftauchen. „Würden die Jugendlichen sich doch so verhalten, wie wir es vor dreißig Jahren getan haben. Würde der Gottesdienst heute noch so ablaufen wie vor vierzig Jahren, wenn wir schon so alt sind. Würde man heute noch die Lieder singen, die wir vor zwanzig Jahren gesungen haben. Das waren doch die Guten, die Bekömmlichen.“
Ich merke, hier sind schon einige, die mir zustimmen und sagen: Genau so ist es auch.
In der ersten Ebene stellt sich also die Frage, inwiefern wir davon betroffen sind, dass wir genauso den Eindruck bekommen können, das Alte sei das Überkommene und das Gute. Warum hat man diesen Eindruck? Weil man so daran gewöhnt und vertraut ist.
Das ist wie bei einem Weinkenner, der sagt: Den Wein, den ich immer trinke, mag ich. Ein neuer Wein schmeckt ihm vielleicht zu erdig oder zu frisch, oder irgendwie anders. Nein, der gewohnte Wein ist genau richtig.
Hier soll angesprochen werden, was so normalmenschlich ist und wo wir genauso reagieren können wie die Pharisäer damals: Was uns bekannt ist, ist gut, und was neu ist, ist schlecht.
Da müssen wir uns hinterfragen: Ist das wirklich immer so? Oder ist es manchmal nur unsere eigene Tradition, die uns hemmt? Wenn wir nicht darauf achten, kann das an der falschen Stelle zu Provokation und Streit in der Gemeinde führen, wo es eigentlich gar nicht sein müsste.
Denn an vielen Stellen, wenn wir genau und objektiv hinschauen, müssten wir sagen: Das Alte ist nicht schlecht, aber das Neue vielleicht auch nicht.
Die Lieder, die heute gesungen werden, haben vielleicht eine andere Melodie. Wir müssen uns erst daran gewöhnen. Vielleicht sind sie etwas schneller oder langsamer. Die Texte auswendig zu lernen macht Mühe, wenn man lange nichts mehr auswendig gelernt hat.
Mir geht es so: Die Lieder, die ich seit meiner Kindheit singe, kenne ich auswendig. Ich brauche kein Buch mehr. Das ist viel angenehmer zu singen. Ich verbinde damit persönliche und emotionale Erinnerungen.
Aber das muss man vom Sinn trennen: Sind diese Lieder wirklich immer besser? Wir müssen sagen, in vielen Fällen ist es so, dass die schlechten alten Lieder längst vergessen sind. Nur einige wenige gute Lieder sind bis heute noch in Erinnerung.
Wenn ihr seht, dass zum Beispiel Zinzendorf ein ganzes eigenes Liederbuch mit mehreren hundert Liedern gedichtet hat – wie viele davon kennen wir heute noch? Zwei, drei vielleicht, vielleicht auch vier.
Was mir spontan einfällt, ist „Herz und Herzverein zusammen sucht im Herzen Gottes Ruh“. Das ist wirklich schön.
Viele andere Lieder würden uns heute beim Lesen richtig schmalzig und übertrieben vorkommen, weil die Sprache der Zeit im Spätbarock eben so war. Zum Glück sind diese Lieder vergessen. Für Historiker wie mich sind sie noch interessant, aber für viele andere nicht mehr.
Nur einige wenige sind überliefert. Genauso wird es auch mit den neuen Liedern heute gehen. Viele, die heute mit Begeisterung gesungen werden, wird in 50 Jahren kein Mensch mehr singen, weil man merkt, dass sie nicht so gut sind. Aber einige werden überleben, weil sie wirklich gut sind.
Dafür sollten wir offen sein.
Ich glaube, es braucht hier auch das Loslassen vom bloßen Festhalten an Traditionen, die fromm klingen, wie die Pharisäer sie interpretiert haben. Diese Traditionen sind vielleicht fromm, aber nicht unbedingt eine biblische Forderung.
Das müssen wir unterscheiden.
Viele Dinge, die uns lieb und wert sind, sind nicht schlecht. Aber wir dürfen niemanden dazu verpflichten, genau so zu sein. Sonst kann es zu Zerreißproben kommen.
Da ist ein junger Gläubiger, der eigene Erfahrungen machen will, und wir wollen ihm das alte Korsett anlegen: „Du musst genauso sein wie ich, du musst es genauso machen wie ich, dieselben Lieder singen, dieselben Missionseinsätze machen.“
Ehrlich gesagt wollte ich das bei meinen Kindern auch gerne. Als 14-Jähriger habe ich mit OM, Operation Mobilisation, Missionseinsätze gemacht. Ich habe an der Haustür mit Leuten über den Glauben gesprochen, auf der Straße Leute bekehrt und so weiter. Natürlich war Gott dabei, aber ich war mit dabei.
Da würde ich auch sagen: Macht das, setzt euch ein! Manchmal, wenn ich meine Kinder sehe, haben sie keine Lust, finden es langweilig und hören lieber MP3-Player.
Also: „Hey, macht das doch so wie ich!“ Aber das ist auch nicht ganz richtig.
Es ist nicht richtig, sie genau so machen zu lassen wie ich.
Es ist gut, wenn sie etwas tun. Aber sie müssen es nicht so tun wie ich.
Was ich als Jugendlicher getan habe, ist schon viele Jahre her – wie alt bin ich jetzt? Fast dreißig Jahre her.
Das ist eine gewisse Zeit vorbei.
Hier müssen wir sehen: Das Alte muss nicht das Beste sein.
Eine Anekdote zur Offenheit gegenüber Neuem
Ich habe eine Geschichte gelesen, einen Kommentar, den ich ganz interessant fand. Darin wurde eine Anekdote aus dem Leben von Rudyard Kipling berichtet. Kipling kennt ihr vielleicht, er ist der Autor von „Mogli“ und lebte in Indien.
Man ist also wieder einmal in Indien unterwegs, auf einem Schiff. Das Schiff legt an, und ein neuer Gast kommt an Bord: William Booth. William Booth kennt ihr vielleicht als den Gründer der Heilsarmee im 19. Jahrhundert. Er war eine etwas innovative Persönlichkeit, könnte man sagen, denn er schockierte damals manche Leute.
Das lag vor allem daran, dass er Menschen erreichen wollte, die sonst nie in die Kirche gingen. Als er an Bord kam, trommelten seine Begleiter laut und sangen. Rudyard Kipling, eher traditionell eingestellt, war frustriert. Er ging zu William Booth und fragte: „Wie können Sie zulassen, dass hier die Ehre Gottes mit Füßen getreten wird? Da wird doch ein Geschrei veranstaltet, mit Trommeln und Gesang auf dem Pier – das geht doch nicht!“
Darauf antwortete William Booth: „Junger Mann, wenn ich auch nur eine Seele für Christus gewinnen könnte, indem ich kopfüber stehe und mit den Füßen das Tamburin schlage, dann würde ich mich bemühen, es zu lernen.“ Hier erkennen wir den glühenden Evangelisten, dem alles egal ist, solange Menschen zu Jesus finden.
Natürlich können wir das nicht eins zu eins übernehmen; das ist keine göttliche Offenbarung. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt darin. Nun stellt sich die Frage, wie Kipling vorgeht: Woran misst er, was der Ehre Gottes dient und was nicht? Ist es wirklich verunehrend, außerhalb der Kirche zu singen? Ist es verunehrend, Trommel zu spielen?
Hier müssen wir sehen: Viele, die gegen Schlagzeug argumentieren, tun dies nicht biblisch. Denn in der Bibel gibt es Pauken, Trommeln, Trompeten und allerlei Instrumente. Objektiv betrachtet muss ich sagen, ich komme gut ohne Schlagzeug im Gottesdienst aus. Nicht dass ich dafür werben will, dass es überall eingeführt wird – ich komme auch gut ohne aus. Aber wenn ich in die Bibel schaue, steht das Schlagzeug drin. Die Orgel dagegen wird nicht erwähnt.
Müssen wir dann sagen, die Orgel ist nicht biblisch und sollen sie aus der Kirche verbannen? Die meisten von uns sind Freikirchler, die sowieso keine Orgel im Gottesdienst haben. Aber auch viele andere Instrumente wie Klavier oder E-Piano stehen nicht in der Bibel, während das Schlagzeug erwähnt wird. Haben wir da ein Problem?
Ich will euren Musikgeschmack nicht verändern, sondern nur sagen, wir sollten uns selbst hinterfragen, damit das, was wir als biblisch und glaubwürdig ansehen, nicht zum Hemmschuh für Menschen wird, die etwas Neues in die Gemeinde bringen wollen. Wir sollten sie nicht in alte Formen zwängen, als wären sie „neue Weihen“. Die neuen Gläubigen müssen nicht genauso sein wie wir.
Das macht die Junggläubigen oft unglücklich, und das Alte geht kaputt, weil sie es nicht mit ganzem Herzen mittragen. Sie versuchen es, sind aber unzufrieden und frustriert. So gehen sowohl die Junggläubigen als auch unsere alten Formen zugrunde, und niemandem ist geholfen.
Ich glaube, das ist eine wichtige Ebene, auf die wir schauen müssen: Nicht in einen falschen Konservativismus oder Traditionalismus verfallen. Das gibt es auch unter Christen, und man gewöhnt sich schnell daran. Keine Gemeinde ist davor gefeit, auch kein Jugendlicher. Wenn ich heute eine Predigt vor Jugendlichen halten würde, würde ich ihnen sagen: Wartet nur zwanzig Jahre, dann seid ihr genauso traditionell wie eure Eltern. Das ist garantiert so, denn die Weltgeschichte zeigt es immer wieder.
Wir müssen uns ehrlich eingestehen – mir geht es genauso –, dass wir uns immer wieder bewusst machen müssen: „Ich will das nicht.“ Das muss ich mir jeden Tag sagen, sonst klappt es nicht. Mir hilft dabei auch die Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte. Wenn man sich die Kirchengeschichte anschaut, merkt man, dass es immer so war: Die Menschen kämpften gegen Neues und hielten es für unbiblisch. Aus heutiger Sicht erkennen wir, wie verblendet sie waren.
Als im 19. Jahrhundert die Eisenbahn erfunden wurde, gab es viele Traktate gläubiger Leute, die behaupteten, Gläubige dürften nicht mit der Eisenbahn fahren. Warum? Weil Gott es nicht gewollt hätte, dass sie sich so schnell fortbewegen. Sonst hätte er ihnen schnellere Füße oder Flügel gegeben. Ein eindeutiger biblischer Hinweis, so argumentierten sie. Die Vögel können schnell fliegen, sie haben Flügel; der Mensch muss zwei Beine haben und langsam gehen.
Man zitierte sogar Ärzte, die behaupteten, die hohe Geschwindigkeit von knapp 40 Stundenkilometern würde dem Menschen nervlich schaden. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal auf der Autobahn fahrt. Manche neue Dinge wurden einfach abgelehnt, weil man das Neue nicht wollte.
Im letzten Jahr habe ich dieses Beispiel schon einmal erzählt, und es gilt weiterhin: Als das Radio Anfang des 20. Jahrhunderts als Massenmedium aufkam, opponierten Christen und schrieben Traktate dagegen. Wisst ihr warum? Die biblische Begründung stand nicht im Epheserbrief, sondern basierte auf der Vorstellung, dass Satan der Herr dieser Welt sei, der im Luftraum herrscht. Und Radiowellen gehen durch den Luftraum, also durch den Herrschaftsbereich des Teufels. Folglich sei das Radio vom Teufel – eindeutig, oder?
Also müsste man sagen, das Handy sei auch vom Teufel, denn es funktioniert ebenfalls über Funkwellen. Nur das Festnetz sei erlaubt, weil es durch Kabel im Boden läuft. Das hätte mich damals gereizt, das zu sagen: Ihr seid inkonsequent! Wenn das wirklich stimmen würde, dann solltet ihr sofort aufhören zu atmen, denn ihr atmet Luft. Das heißt, ihr nehmt den Teufel sogar in euch auf, ihr hört ihn nicht nur durch die Ohren, sondern atmet ihn ein. Also besser aufhören zu atmen, dann seid ihr rein und bald im Himmel.
Diese Argumentation ist unsinnig. Erinnert ihr euch noch an das Internet? Als es populär wurde, gab es viele Traktate, die behaupteten, das Internet sei vom Teufel. Warum? Weil www auf Hebräisch „waw waw waw“ heißt, und „waw“ in der Kabbala für 666 steht. Also sei jede Internetadresse ein Zeichen des Teufels.
Natürlich sind viele Inhalte im Internet absurd, blöd, voller Verschwörungstheorien, und jeder kann dort veröffentlichen, was er will. Vor ein paar Wochen war ich in Süddeutschland, in der Nähe von Stuttgart, in einer Gemeinde und sprach mit einem Jugendlichen, der begeistert auf einer Verschwörungsseite las, dass die Anschläge vom 11. September von der CIA ausgelöst worden seien. Weil das so plausibel klang, glaubte er es.
Im Internet kann jeder schreiben. Ich könnte behaupten, es seien die Russen, die Freimaurer, die Satanisten oder Scientologen gewesen – für jede Theorie gibt es Argumente. Ich könnte euch zwanzig neue Verschwörungstheorien liefern, mit denen ihr Geld verdienen könntet. Aber ist das wirklich so?
Wir müssen sagen, das Internet ist manchmal nicht sehr zuverlässig, man muss genau prüfen und hinschauen. Aber das Internet selbst ist nicht der Antichrist. Es gibt Christen, die das Alte immer für das Gute halten und das Neue immer kritisch sehen. Das ist nicht richtig.
Wir dürfen anderen nicht etwas überstülpen, wie es die Pharisäer taten, die letztlich biblisch falsch lagen. Aber es steckt auch eine andere Wahrheit dahinter: Ihr müsst nicht jedem neuen Trend nachlaufen. Auf der anderen Seite ist das wirklich Alte, also das, was von Gott kommt, gültig und soll bewahrt werden.
Wenn die Lehre der Pharisäer damals neu war gegenüber Mose, dann zeigt uns das: Wir sollen nicht jedem neuen Trend hinterherlaufen, sondern das wirklich Alte bewahren. Neue Formen dürfen wir dabei durchaus zulassen, wie wir es praktizieren.
Das heißt: Das, was Gott uns wirklich gegeben hat, ist nicht überholt. Die Lieder, die wir singen, ob wir das Internet oder das Radio zur Verkündigung des Evangeliums nutzen, spielt keine entscheidende Rolle. Ob wir Trommeln spielen oder Orgel, ist nicht entscheidend.
Wichtig ist die biblische Wahrheit: Wir werden nur durch Jesus Christus errettet. Gott hat sich uns in der Bibel offenbart. Es wird eine Ewigkeit bei Gott geben, ein Gericht, vor dem wir stehen. Entweder wirst du ewig bei Gott sein oder verloren gehen. Es gibt Himmel und Hölle. Diese Wahrheiten sind alt, aber gleichzeitig neu, immer gültig. Sie haben nichts mit äußeren Formen oder Einkleidungen zu tun.
Das Gleiche gilt für uns: Halte an dem wirklich Alten, an dem, was Gott gegeben hat, fest. Versuche aber nicht, neue Traditionen zu schaffen. Wir sind alle in Gefahr, Traditionen zu entwickeln. Nicht erst nach 500 Jahren, auch jetzt schon.
Wenn ihr euch morgens im Gottesdienst auf den „falschen“ Stuhl setzt, kann es Ärger geben. Manche würden zwar nichts sagen, aber schräg schauen und denken: „Ärgerlich.“ Oder wenn statt der ersten fünf Lieder sofort die Predigt beginnt, wäre das eine vermeintliche Revolution. „Das geht doch nicht, erst Lieder, Ansagen, Gebet!“ Oder wenn man an einem Sonntag die Predigt wegließe und nur betete, würden viele sagen: „Das geht nicht!“
Dabei steht in der Bibel nicht, dass man drei Lieder singen, ein Gebet sprechen oder sich genau so hinsetzen muss. Das alles ist nicht festgeschrieben. Wir müssen lernen zu unterscheiden, was wirklich biblisch ist und daran festhalten, und was unsere Tradition ist.
Wir dürfen anderen nicht unsere Tradition überstülpen und dadurch das Wachstum anderer und unser eigenes geistliches Wachstum gefährden. Christen sollten sich nicht durch blinden Konservativismus oder Reaktionismus auszeichnen – also nicht immer alles Neue ablehnen. Es gibt immer wieder Modewellen im Christentum, die nicht nötig sind.
Wenn ihr von „Emerging Church“ lest, müsst ihr euch nicht viele Gedanken machen. Das ist Kirche für die Welt, die in der Welt lebt. Ihr könnt das genauso schnell wieder vergessen. Macht eure Gemeindearbeit nach biblischen Prinzipien, dann braucht ihr kein „Emerging Church“, kein Willow Creek, kein Saddleback, nichts davon. Das ist nicht schlecht, ich würde nie dagegen kämpfen. Es ist eine gute Sache, was diese Leute machen und erreichen.
Aber das sind Modewellen. Alle meinen, ihre Gemeinde umkrempeln zu müssen. Ihr könnt machen, was ihr wollt, eure Gemeinde wird trotzdem nie wirklich Gemeinde werden. Erstens, weil ihr nicht in Amerika seid, zweitens, weil ihr nicht 20 Mitglieder habt, kein Anschlussteam, kein professionelles Orchester und so weiter. Bis ihr das habt, vergehen 500 Jahre.
Konzentriert euch lieber auf das, was ihr in eurer Gemeinde tun könnt. Viele Menschen haben die Illusion, dass Menschen zum Glauben kommen, weil ihnen ein perfektes Programm geboten wird. Das ist falsch.
Menschen kommen zum Glauben, weil sie merken: Dort sind echte Menschen, hoffentlich echt. Dort werden meine Lebenssehnsüchte angesprochen. Nicht: Habe ich die neueste Popmusik. Die können sie überall hören, dafür brauchen sie nicht in den Gottesdienst zu kommen. Oft ist das Angebot in einer Disco mit Popmusik besser als das, was wir im Gottesdienst bieten können – egal wie viel wir üben.
Die Show in manchem Kabarett ist besser als unsere Predigt, egal wie sehr wir uns bemühen. Deshalb sollten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Ich bin überzeugt, der Rest wird dann kommen.
Wir sollten nicht so festhalten an Instrumenten oder Formen, dass wir alles umkrempeln müssen. Ich kann euch ziemlich sicher sagen: Dadurch wird kaum jemand zum Glauben kommen. Menschen kommen zum Glauben, weil sie merken, du lebst wirklich mit Jesus, du hast etwas, das sie nicht haben. Da wird ihr inneres Vakuum ausgefüllt, die Schuld wird los, du kannst ihnen den Weg zu Gott zeigen, zur Versöhnung mit dem Ehepartner.
Darauf sollten wir uns konzentrieren. Das tut uns gut, ehrt Gott und erreicht andere Menschen – alt und jung.
In dem Gleichnis steckt viel drin. Wir könnten das noch weiter ausführen und merken, was Jesus den Pharisäern vorhält: Ihr wollt einen Mischmasch aus eurer Tradition und dem, was Jesus sagt, machen. Das geht nicht.
Wir sollen keinen solchen Mischmasch machen. Unsere Tradition ist unsere Tradition, sie muss nicht schlecht sein. Aber wir dürfen sie nie absolut setzen. Die Botschaft Jesu hingegen müssen wir absolut setzen. Darüber kann nicht verhandelt werden.
Das müssen wir in unserem Leben erkennen. Das tut manchmal weh, weil wir liebgewonnene Traditionen nicht durchsetzen können. Aber wir sollten ehrlich sein und sie nicht erzwingen, sonst schaden wir uns selbst, verunehren Gott und schaden jungen Gläubigen, für die unsere Tradition nicht passt.
Schlusswort und Gebet
Ich mache an dieser Stelle Schluss, bete gerne noch mit euch und lade euch ein, ebenfalls mitzubeten.
Vater im Himmel, vielen Dank für Dein Wort, das uns zeitlose Wahrheiten nahebringt. Diese Wahrheiten galten vor zweitausend Jahren und gelten auch heute noch genauso.
Ich danke Dir für das Gleichnis vom alten und neuen Kleid, vom alten und jungen Wein sowie von den alten und jungen Schläuchen. Ich möchte Dich bitten, dass Du mir und uns allen Weisheit schenkst, zu erkennen, was nicht zusammenpasst. Wo wir eigene Traditionen und Überlegungen haben, die wir absolut setzen und vielleicht sogar für gut und richtig halten, sollen wir nicht daran festhalten. Wir sollen andere nicht zwingen, genauso zu denken und zu handeln.
Gib uns aber auch die Weisheit, zu erkennen, was unveräußerlich ist, was einfach dazugehört, was wir nicht fallen lassen können, woran wir festhalten müssen und was wir nicht durch neue Ideen ersetzen können. Gib uns dann den Mut und die Kraft, genau daran festzuhalten und es zu vermitteln.
Lass die jungen Leute in unserer Gemeinde – unsere eigenen Kinder und Enkelkinder – daran festhalten und erkennen, dass dies wirklich das ist, was hält. Dass sich die äußeren Formen verändern können, aber die innere Botschaft nicht.
Ich bitte Dich für mich und für uns alle, dass wir das hinbekommen. So können wir Dir Ehre geben und jungen Menschen helfen, ihren Weg zum Glauben und zu Dir zu finden.