Einführung in die Thematik der Klarheit der Heiligen Schrift
Kapitel sechs – da sind wir inzwischen angekommen. Wir befinden uns immer noch im großen Komplex der Lehre der Heiligen Schrift.
Man könnte sich fragen, wann das endlich ein Ende nimmt, sich so ausführlich mit der Bibel zu beschäftigen. Immer wieder eine neue Facette der Bibel zu betrachten – hat man da nicht irgendwann alles abgegrast? Und ist das überhaupt notwendig?
Heute haben wir das Thema „Die Klarheit der Heiligen Schrift“. So wird dieses Thema in der Theologie bezeichnet. Wayne Grudem nimmt es in Kapitel sechs seiner Dogmatik auf. Wenn man sich christliche Dogmatiken anschaut, also solche, wie wir sie durchstudieren, wird man manchmal feststellen, dass es keine eigene Abhandlung zu diesem Thema gibt.
Die grundlegenden und standardmäßigen Themen sind vielmehr die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift oder die Autorität der Heiligen Schrift – also Dinge, die wir uns bereits erarbeitet haben. Die Klarheit der Heiligen Schrift wird hingegen gelegentlich übergangen. Das liegt nicht unbedingt daran, dass der Autor nicht daran glaubt, sondern vielleicht daran, dass das Thema nicht als so wesentlich und elementar betrachtet wird, dass man es unbedingt bringen muss. Man braucht ja auch eine Auswahl an Themen.
Auch Wayne Grudem musste eine Auswahl treffen. Er konnte nicht jedes Thema, das man behandeln könnte, in seine Dogmatik aufnehmen. Er musste entscheiden und priorisieren.
Ich bin aber froh, dass er dieses Thema mit aufgenommen hat. So können wir uns auch mit der Klarheit der Heiligen Schrift beschäftigen. Vielleicht ist dieses Thema für viele auf den ersten Blick klar und vielleicht auch nicht so der Rede wert. Ich denke jedoch, dass am Ende dieser Einheit deutlich wird: Wenn wir nicht darin geschult sind, darüber nachzudenken, ob die Bibel klar und verständlich für uns ist oder nicht, hat das einen starken Effekt auf unsere ganz persönliche Jüngerschaft, auf unsere persönliche Beziehung zu Gott und auch darauf, wie wir im Miteinander in der Gemeinde leben.
Das ist kein Thema, das man einfach unter den Tisch fallen lassen kann. Dieses Lehrstück, die Klarheit der Heiligen Schrift, hat sehr viel mit deiner persönlichen Nachfolge zu tun. Auch die Reformation hat an diesem Thema sehr stark festgehalten. Sie hat es richtig betont: Die Schrift ist klar und nicht verdunkelt. Wir bekommen nicht nur durch Experten Zugang zur Bibel.
Definition der Klarheit der Heiligen Schrift
Schritt für Schritt möchte ich gerne mit euch in das Thema einsteigen, das Wayne Grudem dargelegt hat. Dabei möchte ich jedoch anders anfangen. Interessant ist, dass Grudem normalerweise immer mit einer Definition beginnt. In diesem Kapitel – für diejenigen, die es sich selbst angeeignet haben – kommt die Definition erst später im Verlauf des Kapitels. Dort sagt Grudem: „So, jetzt lasst uns mal definieren, was wir als Christen eigentlich verstehen, wenn wir von der Klarheit der Heiligen Schrift sprechen.“
Deshalb möchte ich heute mit Punkt C beginnen: der Definition der Klarheit der Schrift. Dort schreibt er auf Seite 118: „Die Klarheit der Schrift bedeutet, dass die Bibel in einer solchen Weise geschrieben ist, dass ihre Lehren von allen verstanden werden können, die sie lesen wollen, indem sie Gottes Hilfe suchen und bereit sind, dem Wort Gottes Folge zu leisten.“
Noch einmal: Die Klarheit der Schrift bedeutet, dass die Bibel so geschrieben ist, dass ihre Lehren von allen verstanden werden können, die sie lesen wollen, indem sie Gottes Hilfe suchen und bereit sind, dem Wort Gottes Folge zu leisten.
Wir merken also, dass diese Definition, wenn wir sie ganz zu Anfang hören, auch Widerstände in uns auslösen kann. Wir sagen dann vielleicht: „Moment mal, das Evangelium – ja, ich muss kein Experte sein, um das Evangelium zu verstehen. Aber ist das dann alles?“
Sagt die Bibel wirklich, dass man froh sein soll, wenn man das Evangelium verstanden hat, und darüber hinaus keine weiteren Hoffnungen haben sollte, außer dass man einen gewissen Bildungsgrad oder eine gewisse Reife besitzt? Das ist ein sehr komplexes Thema und deshalb auch sehr umstritten oder umkämpft.
Unsere Erfahrungswelt scheint gegen diesen Grundsatz zu streiten. Häufig merken wir, dass wir nicht verstehen, was wir gelesen haben. Es ist nicht so, dass wir nach einmaligem Lesen plötzlich das Alte und Neue Testament komplett in uns aufgenommen haben und keine Fragen mehr haben.
Das ist etwas, das wir sehr schnell mit dem Stichwort „Klarheit der Heiligen Schrift“ verbinden können: Viele Dinge scheinen uns beim Lesen der Bibel doch sehr unklar zu sein.
Ich glaube jedoch, dass diese Definition tatsächlich Wahrheit spricht. Ich werde versuchen, dies anhand der Argumente darzulegen, die Grudem auch in seiner Dogmatik präsentiert.
Die Spannung zwischen Klarheit und Komplexität der Schrift
Vorweg schickt Grudem den Hinweis, dass auch wenn diese Lehre wahr ist und die Schrift klar ist in dem, was sie uns verstehen lassen möchte, es trotzdem viele Dinge gibt, die sehr komplex und schwierig sind, so wie wir sie erhalten haben.
Das wird, wie Katharina gerade auch gesagt hat, in 2. Petrus 3,15-16 deutlich. Petrus sah das nämlich genauso wie Katharina: Paulus kann manchmal ein bisschen komplex schreiben. Dort heißt es: „Seht in der Langmut unseres Herrn die Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet. In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“
Es ist ganz interessant, dass auch ein Apostel, der ein gewisses Niveau und ein tiefes Verständnis von dem, was Jesus gelehrt hat, besitzt, selbst konstatieren muss, dass das, was Paulus schreibt, schwer zu verstehen ist. Wichtig ist jedoch, dass wir diese Spannung nicht als Gegensatz zur Klarheit der Schrift sehen. Nur weil etwas schwer zu verstehen ist, bedeutet das nicht, dass es nicht klar ist. Dinge können sehr klar und eindeutig sein und trotzdem schwer zu verstehen.
Es ist etwas anderes zu sagen, etwas sei unmöglich zu verstehen oder schwer zu verstehen. Wenn ich zum Beispiel mit meiner neun Jahre alten Tochter rede – ich habe heute über ein Thema mit meiner Frau gesprochen, und Kinder haben ja bekanntlich immer „solche Ohren“. Sie saß auch genau gegenüber von mir, was sollte sie auch anderes machen, als mir zuzuhören. Dann fragte sie: „Was redest du da?“ Ich hatte mich über eine Sache ziemlich echauffiert, natürlich aus Gründen und immer gerecht. Sie war irgendwie bekümmert, dass mich etwas bekümmerte, aber sie hätte es verstanden.
War das unklar, was ich gesagt habe? Nein, meine Frau hat jedes einzelne Wort verstanden, konnte alles einordnen und hatte alle Hintergrundinformationen, die sie brauchte, um das Gesagte zu deuten und mitzufühlen. Meine Tochter stand ein bisschen da wie der „Ochs vorm Berg“ und hatte noch keinen Zugriff darauf. Das bedeutet aber nicht, dass meine Rede unklar war. Meine Rede war unmissverständlich klar.
Also gab es keinen Konflikt in unserer Familie – das passiert auch in Pastorenfamilien nie. Darum ging es tatsächlich nicht. Wir müssen hier verstehen, dass Petrus nicht sagt, was Paulus schreibt, sei unmöglich zu verstehen. Er sagt nicht, Paulus habe Dinge geschrieben, die unklar oder unverständlich seien, sondern „nach der ihm gegebenen Weisheit“. Gott hat ihm Weisheit gegeben und nicht Unklarheit oder unverständliche Gedanken.
Nur weil ich sie noch nicht sofort entschlüsseln kann – wir werden uns die Gründe dafür gleich noch anschauen –, bedeutet das nicht, dass es unklar ist. Es ist Weisheit, die vermittelt wird, und sie ist schwer zu verstehen, aber nicht unmöglich.
So ist es auch bei einem Kind: Wenn ich ein Thema in meiner Familie bespreche, habe ich ja noch kleinere Kinder. Wenn die zuhören, haben sie noch weniger Zugriff darauf, was ich gerade gesagt habe. Das bedeutet nicht, dass es unklar war. Es war klar, aber sie haben noch nicht gelernt, richtig zuzuhören und zu verstehen. Sie brauchen eine Weile, um sich an das Vokabular zu gewöhnen und ihre Sinne zu trainieren und zu üben.
Wenn du zum Beispiel eine neue Sprache lernst, dann ist alles in Klartext gesagt, aber du verstehst noch kein Wort. Das heißt nicht, dass es unklar ist. Es ist klar, aber für dich noch schwierig. Wenn du deine Sinne übst und trainierst, wirst du irgendwann feststellen: Das lag die ganze Zeit vor mir. Es war alles eindeutig und klar. Es sind keine unlösbaren Rätsel, die mir eben gerade gesagt wurden, sondern ich musste meine Sinne üben.
Die Notwendigkeit geistlicher Reife und Übung im Verstehen
Hebräer 5,13-14: "Denn jeder, der noch Milch genießt, ist richtiger Rede unkundig, denn er ist ein Unmündiger. Die feste Speise aber ist für Erwachsene, die infolge der Gewöhnung geübte Sinne haben, zur Unterscheidung des Guten wie auch des Bösen."
Das erinnert an Wilfriede, die erzählt hat, dass sie schon lange im christlichen Glauben unterwegs ist und Jesus lange nachfolgt. Trotzdem merkt sie: "Oh, hier ist ein Prozess." Sie versteht jetzt Dinge, die sie vorher nicht verstanden hat. Nicht, weil es unmöglich war, sondern weil es eine Entwicklung ist, die wir durchlaufen – ein Prozess.
Genau das beschreibt die Bibel auch. Wenn wir uns mit Gott beschäftigen, gibt es ein prozessartiges Wachstum in unserer Nachfolge und auch in unserem Verstehen. Die Klarheit Gottes, was er sagt, verändert sich nicht. Aber auf unserer Seite gibt es einen Prozess, den wir durchlaufen müssen.
Das kann man auch nicht überspringen. Es ist etwas, woran man nicht vorbeikommt. Das Problem ist, dass einige diesen Prozess nicht gehen wollen. Deshalb bleiben sie immer im Anfangsstadium. Sie können nur mit der "Milch" umgehen und sagen auch nach Jahren: "Ich verstehe einfach nicht. Immer wenn ich die Bibel aufschlage, hat das für mich keinen Sinn. Das ist alles wie ein Rätsel."
Vielleicht liegt das daran, dass sie inkonsequent sind in der Aufnahme der geistlichen Nahrung. Wenn man immer wieder abbricht und nicht dranbleibt, entsteht keine Gewöhnung. Dadurch entwickeln sich keine geübten Sinne zur Unterscheidung des Guten und Bösen. Man bleibt abhängig davon, was andere Christen sagen.
Wir kennen alle solche Christen. Sie sind vielleicht nicht hier, aber wir kennen Leute, die Jesus seit Jahrzehnten nachfolgen. Trotzdem sind sie bei jeder herausfordernden Frage auf andere angewiesen, die ihnen sagen, was richtig und falsch ist.
Wenn wir aber von der Klarheit der Heiligen Schrift ausgehen, können wir jemanden an die Hand nehmen und sagen: "Wusstest du, dass die Schrift klar ist?" Dann haben wir eine ganz andere Motivation, ihn hineinzuführen und ihm eine Perspektive zu geben.
Das muss kein Rätsel für dich bleiben, denn die Schrift ist klar.
Die Bibel bekräftigt ihre eigene Klarheit
Okay, ich könnte jetzt noch weiterreden, aber lassen wir das mal, André. Dann gehen wir zum nächsten Punkt. Dieser ist allerdings bei Wayne Grudem in seiner Auflistung der allererste Punkt, den er nennt: Die Bibel bekräftigt häufig ihre eigene Klarheit.
Die Bibel geht von solch einer Klarheit aus, dass sie sogar den Anspruch erhebt, dass das, was sie lehrt und was sie uns wissen lassen will, auch Kindern vermittelt werden soll. Und das soll etwas bedeuten.
5. Mose 6,6-7: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen. Du sollst davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt, wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst.“
Das finde ich einen ganz wichtigen Vers für diese Thematik der Klarheit. Natürlich ist vieles sehr komplex und übersteigt vielleicht noch die Vorstellungskraft von Kindern. Trotzdem sagt die Bibel nicht, dass das alles Dinge sind, die Kinder nicht verstehen können. Sie sagt nicht: Traktiere sie nicht damit, sondern erst, wenn sie mündig sind, konfrontiere sie mit biblischer Wahrheit.
Wir sind vielleicht manchmal überrascht, wie tief Kinder tatsächlich geistliche Wahrheiten erfassen können, mit welcher Kreativität sie Gottes Wege erkennen und aussprechen können, sodass man sich manchmal fragt: Wie kann ein Kind das so auf den Punkt bringen? Deswegen ist es wichtig, schon früh anzufangen, diese Dinge einfach so zu sagen, als wären sie selbstverständlich. So kann das Denken an diesen Wahrheiten anknüpfen.
Das sehen wir auch in der Predigtreihe, in der wir gerade stecken, im Matthäusevangelium. Jesus geht in den Tempel, und wer besingt ihn? Nicht die Erwachsenen, nicht die Gebildeten, sondern Kinder. Sie singen ihm „Hosanna dem Sohn Davids“. Das ist eigentlich total gegen den Strich von Matthäus, denn es ist unüblich, dass Kinder mehr Erkenntnis haben. In weltlichen Dingen ist es normalerweise andersherum. Aber hier stellt Jesus im Prinzip alles auf den Kopf, weil seine Herrschaft nicht von dieser Welt ist.
Ich habe gerade ein Buch recherchiert, das ich hier wieder habe. Es hat einen etwas sperrigen Titel, ich hätte ihn vielleicht etwas kinderfreundlicher gewählt, aber so what: Theologie für Kinder. Ich lese das mit meinen Kindern. Das ist der Witz. Ich habe es gelesen und mich erst mal geärgert, weil schon das Cover meine Kinder irritiert hat: Was ist denn Theologie? Ich dachte, ich müsste das Wort verändern. Aber warum eigentlich?
Dann habe ich mich davon herausfordern lassen und gedacht: Warum müssen wir, wenn wir mit Kindern umgehen, immer alles so weichspülen und sie nicht herausfordern? Kinder lieben es, herausgefordert zu werden, Begriffe zu hören und zu lernen, Dinge zu erkennen, die andere noch nicht wissen.
Meiner ganz subjektiven Meinung nach wollen wir den Kindern, gerade wenn es um geistliche Dinge geht, oft alles mundfertig geben und ihnen keinen Moment der Irritation zumuten. Das ist ein Problem. Die Kinder sind gewohnt, jeden Tag in der Schule mit ihren Lehrern viele Zumutungen zu erleben – und damit meine ich nicht die Lehrer, sondern die Lehrinhalte. Auch manche Lehrer können eine Zumutung sein, aber ihr kennt das: Plötzlich kommt ein Begriff in Biologie, den man nicht kennt, und man muss ihn irgendwie verstehen.
Ich habe mir gesagt, dieses Buch ist recht niveauvoll, aber es ist ungefähr vergleichbar mit Wayne Grudem. Ich hätte es auch als Grundlage nehmen können, vielleicht hätten es einige noch mehr gefeiert: Theologie für Kinder ist auch für Erwachsene lesenswert. Jetzt komme ich wieder in so einen Werbeblock, aber worauf ich hinaus will: Ich traue meinen Kindern das einfach zu, auch mit dem Wissen, dass sie nicht alles, was wir gerade gelesen haben, sofort verstehen werden. Aber wenn ich es gar nicht tue, werden sie es niemals verstehen. Deswegen muss ich irgendwann anfangen, ihre Synapsen zu trainieren.
Keine Sorge, wir lesen nicht jeden Abend theologische Facharbeiten in unserer Familie. Das hat auch gar nichts mit meinem Pastorendasein zu tun. Zurzeit lesen wir eher „Die Pilgerreise“, das ist eher allegorisch mit Bildern, eine wunderbare Geschichte. Unbedingt lesen, kaufen, lesen, lesen, kaufen, verschenken, lesen.
Wie bin ich eigentlich darauf gekommen? Hier, 5. Mose 6,6-7: Den Kindern einschärfen. Die Bibel geht von einer Klarheit aus, die sogar Kindern zugemutet werden soll.
Wichtig ist, dass wir hier nicht auf die Idee kommen, es ginge einfach nur darum, gedankenlos irgendetwas zu wiederholen. Es gibt ja in einigen Religionen die Praxis, dass man gedankenlos rezitiert. Da werden einfach irgendwelche Verse – und ich meine jetzt nicht Bibelverse, sondern Verse aus heiligen Schriften – wiedergegeben, ohne dass es darauf ankommt, dass man versteht, was man sagt. Es geht nur darum, den Wortlaut zu sprechen.
So gibt es zum Beispiel unter Muslimen die Vorstellung, dass der heilige Koran nur im Arabischen heilig ist. Wenn sie aus einem Land kommen, wo sie kein Arabisch sprechen, können sie den ganzen Koran auf Arabisch rezitieren, ohne zu verstehen, was dort steht. Es ist nicht wichtig, dass sie es verstehen, sondern nur, dass sie den Wortlaut wiederholen.
Das ist eine ganz andere Betrachtungsweise von heiligen Schriften und ihrer Wirkung. Man muss sie gar nicht verstehen, man muss sie nur wiederholen. Das mag salopp gesagt sein, aber es ist eine eher magischere Vorstellung von heiligen Schriften.
Wir aber sagen nicht, dass in Gottes Wort Kraft liegt, weil es wie Zauberformeln funktioniert. Dass man einfach jemandem sagt: „Bet einfach das, wiederhol das!“ und dann wird das Wort Gottes Kraft in dein Leben entfalten. Das wäre Esoterik.
Wir sagen, dass Kraft in den Worten liegt, weil dahinter eine Person steht, die sie gesprochen hat. Wir haben eine Beziehung zu dieser Person, und durch diese Beziehung entfaltet sich Kraft in unserem Leben durch diese Worte. Amen!
Es geht bei den Kindern also nicht darum, dass sie einfach nur lernen sollen, die Dinge gedankenlos zu wiederholen. Im biblischen Glauben sehen wir das zum Beispiel an Psalm 19, Vers 8: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen, es erquickt die Seele; das Zeugnis des Herrn ist zuverlässig, es macht den einfältigen weise.“
Nicht nur Kinder können einfältig sein, auch wir Erwachsenen können einfältig oder unverständlich sein. Die Worte haben die Kraft, uns weise zu machen.
Psalm 119, Vers 130: „Die Eröffnung deiner Worte leuchtet, sie gibt Einsicht den Einfältigen.“
Das bedeutet, Gottes Wort ist nicht nur für Gebildete und Intellektuelle reserviert. Die Bibel hat das Potenzial, die Unverständigen weise zu machen. Das funktioniert nur, wenn sie klar genug ist, damit auch Unverständige sie verstehen können.
Hier geht es nicht darum, dass der Weise noch weiser wird, sondern dass der Unverständige weise wird. Wenn ich dir zum Beispiel ein Fachbuch zu einem speziellen Thema gebe – Katharina, ich habe dich jetzt hier mal vor der Linse, du bist Ärztin – du könntest mir aus deinem Bücherregal ein Fachbuch der Gynäkologie geben. Es bliebe mir komplett verborgen, was in diesem Buch steht. Nicht nur, weil ich ein Mann bin, sondern weil ich damit überhaupt nichts anfangen kann.
Das bedeutet: Der Einfältige bleibt auch einfältig, nachdem er das gelesen hat, weil das Buch nicht für ihn konzipiert ist. Es ist für den Studierten da, damit er noch tiefer in die Erkenntnis wächst.
Mit dem Wort Gottes, mit der Bibel, ist das anders. Hier gibt es kein Wort, das nur für Intellektuelle ist, damit sie noch klüger werden. Auch wenn Intellektuelle klüger werden, wenn sie die Bibel lesen – ja –, hat die Bibel selbst den Anspruch, dass der Unverständige weise wird.
Das gibt uns große Hoffnung: Wenn du dich als Nullnummer fühlst, halleluja! Wenn du dich unverständlich fühlst, wie viele, die sich nicht an dieses Buch heranwagen, weil sie denken, sie sind vom Niveau her zu weit weg und werden sowieso nichts verstehen – nein, das ist nicht das Selbstbild dieses Buches.
Das Selbstbild dieses Buches ist: Du hast nichts vorzubringen, genau für dich ist dieses Buch gegeben. Du kannst damit lernen, weise zu werden und in einen Prozess kommen. Du musst nicht erst auf einem Fundament aufbauen, wie bei einem Buch für Studierte. Es ist für den ganz einfachen Mann und die einfache Frau geschrieben, damit man von dort aus aufbauen und im Verständnis wachsen kann. Bitte!
Dritte Mose, Zacharja, Hebräer und Offenbarung? Nicht unbedingt! Das wären jetzt, glaube ich, die „Klopper“, die würde ich eher in die hintere Hälfte legen.
Evangelien finde ich immer gut, aber auch das erste Mosebuch ist sehr, sehr gut. Tatsächlich das erste Mosebuch, weil es sehr geschichtslastig ist. Im ersten Mosebuch werden unfassbar viele Grundlagen unserer menschlichen Existenz und der Idee gelegt, wer Gott ist und wie Gott mit Menschen interagiert. Dort wird sehr viel Fundamentales gelegt.
Deswegen ist es gut, auch dort zu beginnen. Ich persönlich bin nicht der Meinung, man sollte Leute vor dem Alten Testament bewahren, als wäre es gefährlich. Ja, es ist vielleicht schwerer zugänglich für uns als das Neue Testament. Aber die Evangelien, die Apostelgeschichte, Geschichtswerke – also ob das schwere Grad des Verständnisses so unterschiedlich ist? Ja.
Unterschied zwischen Klarheit und Verständnis am Beispiel der Kommunikation
An folgendem Beispiel – ich mag deine Frage – möchte ich das verdeutlichen: Wenn ich, wie vorhin gesagt, am Essenstisch spreche, kann ich vielleicht sagen: „Gib mir die Butter.“ Das ist eine ziemlich klare Ansage. Meine Tochter versteht, dass ich die Butter will.
Wenn ich aber etwas sage, das für sie noch ungeübt ist, also schwerer zu verstehen, bedeutet das nicht, dass ich unklar bin. Es ist nur für sie noch zu schwierig, es zu erfassen. Aber es ist nicht unmöglich zu verstehen. Wenn ich mir Zeit nehme und sage: „Okay, Eleni, pass mal auf, wie soll ich dir das jetzt erklären? So, das musst du wissen, und das Wort bedeutet das, und das ist heute passiert.“ Zack – hat sie alle Puzzleteile und versteht. Das war eine klare Rede.
Insofern ist die Klarheit in beiden Aussagen da, aber das Verständnis ist unterschiedlich.
Und deswegen darf auch der Unverständliche sich an das Wort nähern und sich darin üben lassen. Er wird sehen: Das Wort lässt mich nicht einfach fallen, sondern es wird mein Denken verändern. Ich werde Gott immer mehr erfassen können, indem er sich präsentiert.
Nur weil man es nicht sofort versteht, heißt das nicht, dass es gar nicht möglich ist, es zu verstehen – sowohl die Worte als auch den Zusammenhang.
Tatsächlich ist es in der Missionsarbeit so, dass, wenn die Bibel verschriftlicht wird, sie manchmal das erste Schriftstück überhaupt ist, das in dieser Sprache verfügbar ist. Die Bibel ist oft auch ein Instrument, um lesen und schreiben zu lernen.
Das hat man auch früher in unseren Breiten gemacht: Man lernte durch die Bibel schreiben und lesen.
Ich möchte gerne ein Zitat aus Seite 116 vorlesen, was Grudem schreibt und das uns sehr Mut machen soll:
In einer Zeit, in der es gängig ist, dass Menschen uns erzählen, wie schwer es sei, die Bibel richtig auszulegen, sollten wir uns unbedingt daran erinnern, dass wir Jesus nicht ein einziges Mal in den Evangelien etwas derartiges sagen hören.
Er sagt: „Ich verstehe, wie euer Problem entstand. Die Bibel äußert sich zu diesem Thema nicht ganz eindeutig.“ Stattdessen setzen seine Antworten immer voraus – ob er nun zum gelehrten oder zum ungebildeten, gemeinen Volk spricht, also dem allgemeinen Volk, nicht dem bösartigen – dass die Schuld für das Missverständnis einer Lehre der Bibel nicht der Bibel selbst zuzuschreiben ist, sondern denen, die das, was geschrieben steht, missverstehen oder nicht anerkennen wollen.
Es ist nur ein Unterschied, ob ich sage, alles ist sofort von mir anerkannt oder richtig verstanden, oder ob die Schrift beziehungsweise die Bibel selbst unklar ist in dem, was sie mitteilt.
Es ist ganz wichtig, dass wir dieses Zitat gut hören. Denn manchmal werden Gemeinden auch unmündig gehalten, wenn Pastoren oder Lehrer Inhalte einpflanzen wollen. Dann wird Kritik an den Inhalten oft abgefedert mit Aussagen wie: „Das ist zu schwer zu verstehen, du bist dazu nicht in der Lage, das zu fassen, du musst mir vertrauen.“
Die vermeintliche Komplexität und Schwere der biblischen Aussage wird für den Laien manchmal als Argument verwendet, um falsche Lehre in Gemeinden zu installieren.
Dass auch heute in der modernen Theologie oft damit gearbeitet wird: „Das ist alles ganz anders, und das wurde immer ganz falsch verstanden. Das ist so schwer zu verstehen, aber ich habe diese mühevolle Arbeit als Akademiker für euch getan, und das ist das Ergebnis. Damit solltet ihr zufrieden sein.“
Diese Art der Vermittlung – „Es ist alles so schwer zu verstehen“ – kann sehr gefährlich werden. Da muss man sehr wachsam sein.
Es gibt aber auch einige, die tatsächlich erklären wollen und dann mit Winkelzügen arbeiten, sodass man von der intellektuellen Rede erschlagen wird. Man steht dann da und sagt: „Ich bin gar nicht in der Lage, diesem intellektuellen Niveau etwas entgegenzusetzen.“
Ich kenne einige, die trotzdem in der Lage sind, es zu erklären. Aber sie flüchten sich häufig aus den Texten in nebenwissenschaftliche Disziplinen.
Die Forschung der Umwelt – damit ist nicht das Klima gemeint, sondern die Zeit um die Bibel herum – was hat man dort alles noch gefunden, was hat man dort alles erfahren? Dann wird aus diesem Erkenntnisfund so viel herangeholt, was vermeintlich sicher ist, und das, was du dort liest, wird komplett ins Gegenteil verkehrt.
Dann denkst du: „Ja, da habe ich überhaupt keinen Zugriff mehr.“ Du bist der Experte, du sagst: „Im Umfeld ist das passiert, das ist passiert, das ist passiert.“ Und voilà, auf einmal haben wir ein ganz anderes Ergebnis als vorher nur mit der Bibel allein.
Auch hier noch einmal: Ich bin überhaupt nicht gegen Umweltforschung. Aber man muss immer vorsichtig sein, woher gerade ein Argument angeführt wird.
Wenn du immer wieder verklickert bekommst: „Das, was du jetzt gerade lernst, kannst du dir eigentlich gar nicht selbst erarbeiten, sondern du bist angewiesen auf Experten.“ Vorsicht, Vorsicht!
Deswegen liebe ich dieses Zitat, weil es sagt: Wo ist Jesus bei wirklich komplexen Fragestellungen, die ihm gestellt wurden, mal so losgegangen: „Ja, ihr wisst gar nicht, was damals so alles geschehen ist, ich bringe ein bisschen Expertenwissen, damit der biblische Text jetzt auch mal Sinn ergibt?“
Nein, ohne Erklärung links und rechts konnte er einfach sagen: „In dem Bibelwort ist uns das gesagt.“
Deswegen zitiert auch Wayne Grudem aus dem Matthäusevangelium, wie Jesus es liebte zu antworten: „Habt ihr nicht gelesen?“ und nicht: „Habt ihr nicht die Umwelt erforscht?“
„Habt ihr noch nie in den Schriften gelesen? Ihr irrt, weil ihr weder die Schriften noch die Kraft Gottes kennt.“
Noch einmal: Es ist überhaupt nicht schlimm, andere Disziplinen heranzuführen, weil sie uns tatsächlich große Erkenntnis geben und unser Verständnis noch anreichern können.
Gleichzeitig muss man vorsichtig sein. Mit Umweltforschung – was alles um den Bibeltext herum noch passiert sein könnte – kannst du, glaub mir, alles belegen. Du kannst einen Bibeltext in jede Richtung biegen, lenken und schieben, wenn du nur irgendwelche Funde heranziehst, die irgendetwas belegen sollen.
Zumal diese Funde auch nicht immer identisch sind, sondern manchmal widersprüchlich.
Im besten Fall ist man sich dessen nicht bewusst, manchmal ist es so perfide, dass man sich sogar dessen bewusst ist. Ja, das ist das Üble.
Dazu kommen wir jetzt gleich.
Ich möchte, bevor wir diesen Punkt überwinden – denn es ist eine gute Frage: Warum muss er denn überhaupt erklären, wenn es doch klar ist? – noch ganz kurz erwähnen, was Grudem anführt, um die Klarheit der Bibel zu unterstreichen.
Ich finde es wichtig, dass wir das zur Kenntnis nehmen, auch als ganz normale Gläubige, die nicht studiert sind und keine Abschlüsse haben.
Das Neue Testament, die Briefe – an wen wurden sie überwiegend geschrieben? An Pastoren, an Leiter? Nein, sondern an Gemeinden, an Leute wie du und ich, ganz Durchschnittstypen, wo alles dabei war.
So der ganz einfache Mann und die ganz gebildete Frau, derjenige, der extrem tief im Gesetz Gottes unterwegs war und jedes Komma kannte, und der Neubekehrte, der noch nie etwas von Jahwe, Gott, gehört hatte und von Jesus Christus.
All das war in diesen Gemeinden vorhanden: Leute mit Hintergrundwissen oder ohne Hintergrundwissen.
Und trotzdem sagt Paulus in Römer 15,4 an eine Gemeinde, die so durchmischt war, wie wir es auch sind:
„Denn alles, was früher geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“
Er sagt, es ist nicht nur denen vorbehalten, die schon tiefer und weiter sind, sondern es ist für uns alle verfügbar.
Paulus hatte die Erwartung, dass wenn ein Gläubiger damals die Bibel seiner Zeit, das Alte Testament, in Griechisch gelesen hat – wer weiß noch, wie dieses griechische Alte Testament heißt? Die Septuaginta – dass er daraus geistliche Frucht ziehen kann.
Nicht nur eine Schicht oder Kaste in der Gemeinde.
Das sollte auch uns allen klar sein: Wir alle, die wir uns die Schrift zu Gemüte führen, können davon profitieren – nicht nur die Leiter oder wer auch immer.
Die sittlichen und geistlichen Voraussetzungen für das Verständnis
Kommen wir zum nächsten Punkt: Die sittlichen und geistlichen Eigenschaften, die für ein richtiges Verständnis benötigt werden. Grudem führt hier an, dass die Bibel für viele Menschen ein Rätsel bleibt. Das liegt nicht am Zustand des Textes, sondern am Zustand des Herzens.
Das Problem liegt nicht auf der Seite Gottes, was er mir vermittelt. Vielmehr ist es ein Problem, das auf meiner Seite, in meinem Herzen, zu finden ist. Auf Seite 117 schreibt er: Die Fähigkeit, die Bibel richtig zu verstehen, ist eher eine moralische und geistliche als eine intellektuelle Fähigkeit. Deshalb braucht es das Wirken des Heiligen Geistes, um die Auswirkungen der Sünde in unserem Leben zu überwinden.
Denn die Sünde ist es, die uns daran hindert, das, was Gott klar sagt, nachzuvollziehen, zu verstehen und auch zu befolgen. Hast du dich bewusst damit auseinandergesetzt? Ja, aber unser menschliches Herz hat eine grundsätzliche Aversion gegen das Göttliche. Wenn es nicht erneuert ist, erst recht. Aber selbst wenn es erneuert ist, finden wir uns trotzdem in Situationen wieder, in denen das Fleisch gegen den Geist streitet.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns folgende drei Verse zu Gemüte führen, um dieses Prinzip zu verstehen. Es zeigt die Grundvoraussetzung für das Verständnis dieser Klarheit und erklärt, warum es manchmal nicht klar ist, obwohl es klar ist.
1. Korinther 2,14: Ein natürlicher Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit. Er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird. Es ist nicht so, dass es nicht da ist oder nicht klar wäre. Der natürliche Mensch widerstrebt dem, was von Gott kommt.
Er muss, so wie Achim eben richtig gesagt hat, sich Gott unterordnen. Er muss bereit sein, Gottes Autorität anzuerkennen, dass hier eine andere Herrschaft auf sein Herz Zugriff haben will. In dem Moment, in dem ich mich vor Gott demütige – man könnte auch sagen – werden wir merken, dass der Herr uns Gnade gibt.
Bleiben wir jedoch hochmütig, wird Gott mit uns handeln. Er wird uns widerstehen, anstatt Gnade zu geben. Es ist nicht so, dass die Gnade nicht verfügbar ist – sie ist da. Es ist nicht so, dass es nicht klar wäre – es ist klar. Aber der natürliche Mensch hat ein Problem mit dieser Klarheit. Er will sie nicht in dieser Art und Weise anerkennen.
Nächster Vers: Markus 4,11-12: Und er sprach zu ihnen: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil, damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben wird.“
Ein ganz, ganz komplexer Vers, sagen einige. Hier zeigt sich eine klassische Stelle, an der der natürliche Mensch sagt: „Moment mal!“ Und dann holen wir unsere Fäuste hoch und sagen: „Das kann doch so nicht sein!“ Auch hier müssen wir uns demütigen und verstehen, dass Jesus hier das verdorbene Herz derer anspricht, die nicht glauben.
Für sie bleibt die Botschaft vom Reich Gottes ein Rätsel. Nicht, weil sie an sich unklar wäre, sondern weil ihr Herz in einem unerneuerten, verdorbenen Zustand ist und nicht die Reinheit besitzt, es zu erkennen.
Ich habe das schon einmal gesagt, als wir durch das Matthäus-Evangelium gegangen sind: Es gibt eine falsche Vorstellung unter uns Christen, dass Jesus deswegen so viel in Gleichnissen sprach, weil er einfach die Sprache der Leute sprechen wollte, damit alles leichter zu verstehen sei.
Jesus selbst sagt das Gegenteil: „Ich spreche in Gleichnissen, damit sie nicht verstehen, und euch, die ihr zu mir gehört, erkläre ich noch mehr.“ Ihr sollt die Gleichnisse verstehen. Zu manchen spricht er ganz bewusst in Gleichnissen, damit sie eben keinen Zugang haben.
Das ist teilweise sogar ein Gerichtsakt, den Jesus vollzieht, wenn er in Gleichnissen spricht. Nicht immer und nicht in jeder Situation. Manchmal dienen Gleichnisse auch einfach zur Veranschaulichung. Aber Jesus hat nicht immer in Gleichnissen gesprochen, weil er ein Illustrationsprediger wäre, der immer nette Bildchen verwenden möchte, um alles leichter verständlich zu machen.
Das ist eine falsche Vorstellung, die wir von den Gleichnissen haben. Aber das ist ein anderes Thema.
Johannes 8,43: Dort sagt Jesus auch zu seinen Feinden, zu seinen Gegnern: „Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt.“ Im nächsten Vers sagt er, dass sie Kinder des Teufels sind.
Das zeigt, dass Jesus Klartext gesprochen hat. Doch weil sie noch im Reich der Finsternis sind, sind ihr Denken, ihr Verstand und ihre Gesinnung verfinstert. Dadurch wollen sie das Licht nicht annehmen, auch wenn es vor ihnen steht und scheint.
Sie haben die Finsternis mehr lieb. Sie bevorzugen ihre eigenen Gedanken, Schlussfolgerungen und Deutungen und wollen deswegen diese Dinge nicht auf sich wirken lassen.
Gründe für das Missverstehen der Bibel
Wir kommen nun zu einem weiteren Punkt, der ganz konkret auf die Frage eingeht: Warum missverstehen Menschen die Bibel?
Jesus selbst musste erfahren, dass seine Jünger die biblische Wahrheit nicht verstanden. Das lag jedoch nicht daran, dass die Botschaft unklar war, sondern daran, dass die Zeit noch nicht reif war. Das, was gesagt wurde, war klar, aber in diesem Moment war die Zeit noch nicht gekommen.
In Johannes 12,16 heißt es: „Dies verstanden seine Jünger zuerst nicht, doch als Jesus verherrlicht war, erinnerten sie sich daran, dass dies von ihm geschrieben war und dass sie ihm dies getan hatten.“ Hier geht es nicht so sehr darum, was genau passiert ist, sondern um das Prinzip des Verstehens: Wann es eintritt und warum Menschen die Bibel oder die Aussagen von Jesus missverstehen.
Auch in Johannes 13,7 antwortet Jesus: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber nachher verstehen.“ Das bedeutet nicht, dass Jesus unklar gesprochen hat, sondern dass die Zeit im gegenwärtigen Moment einfach noch nicht reif war.
Übrigens gilt das oft auch für biblische Prophetie. Im Alten Testament sind viele Dinge gesagt worden, in denen Gott kommunizierte. Doch erst wenn bestimmte Ereignisse eintreten, kann die ganze Botschaft vollständig verstanden werden. Die Zeit muss erst reif werden.
Häufig, wie bereits erwähnt, liegt der Grund für das Missverstehen klarer Worte im Glaubensmangel oder in der Verhärtung des Herzens. Markus 6,52 sagt: „Denn sie waren durch die Brote nicht verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet.“
Lukas 24,25 berichtet: „Und er sprach zu ihnen: Ihr Unverständigen und im Herzen zu träge, an alles zu glauben, was die Propheten geredet haben.“
Warum missverstehen wir die Bibel? Manchmal liegt es daran, dass wir unverständlich sind und auch so bleiben. Manchmal fehlt der Glaube, und wir gehen nicht mit Glauben an die Texte heran.
Wir sollten nicht annehmen, dass wir mit unserer Bekehrung alle Hindernisse für ein klares Verständnis hinter uns gelassen haben. Auch als Neugeschöpf gibt es viele Bereiche in unserem Leben, an denen noch gearbeitet werden muss.
Deshalb sagt Jesus zu seinen Jüngern: Ihr seid träge, ihr habt träge Herzen, um an alles zu glauben. Ich finde, das ist eine deutliche Ansage. Ihr glaubt zwar an vieles, aber an alles zu glauben, fällt euch noch schwer.
Ich denke, da sind wir alle irgendwie mit im Boot – mal mehr, mal weniger. Wenn man sich die Geschichte der Kirchen und Denominationen anschaut, sieht man viele Gruppierungen und Entwicklungen. Jede glaubt etwas anderes. Da fällt es schwer, die Klarheit der Bibel hochzuhalten und zu verteidigen.
Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum diese Lehre oft in den Hintergrund gerückt ist. Man spricht nicht mehr so sehr von der Klarheit, weil viele Dinge unklar erscheinen. Doch ich glaube, das ist eine falsche Schlussfolgerung.
Klarheit bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle übereinstimmen. Jesus hat einen sehr klaren Ruf ausgesprochen, und trotzdem stimmten nicht alle zu. Einige machten sich eigene Gedanken. Der Grund liegt nicht in der Unklarheit der Botschaft, sondern auf unserer Seite.
Deshalb sollten wir, wenn wir die Entwicklungen und Irrungen der Kirchengeschichte sehen, nicht sagen: „Na ja, wir sehen es doch an der Schrift.“ Nein, vielmehr ist unser Herz träge. Wir sollten Gott noch mehr suchen und ihn bitten, unser Herz zu erneuern und uns einen festen Glauben zu schenken, damit wir alles glauben, was er versprochen hat. So können wir Fortschritte machen und mehr Klarheit erkennen, die bereits vorhanden ist.
Wir dürfen nicht den Spieß umdrehen und sagen: „Die Bibel ist schuld an den Problemen der Kirchengeschichte.“
Grudem vergleicht die Lehre von der Autorität der Bibel sehr schön mit folgendem Vers, bevor wir zum nächsten Punkt kommen:
Obwohl wir bekräftigen, dass die Worte der Bibel alle Autorität von Gott selbst haben, sind wir uns bewusst, dass viele Menschen diese Autorität nicht anerkennen und sich ihr nicht unterwerfen.
Nur weil es viele ungehorsame Christen gibt, kommt niemand und sagt, die Bibel habe keine Autorität. Nein, sie hat Autorität, aber die Menschen widersetzen sich dieser Autorität.
Wenn man sich die Sendschreiben ansieht, muss Jesus in vielen Gemeinden Klartext reden. Vor einigen Jahren haben wir jedes Sendschreiben hier durchgearbeitet – das war sehr aufschlussreich und spannend.
Man kann daraus nicht schließen: „Schaut mal, wie es in den Gemeinden aussieht, also hat Jesus keine Autorität.“ Doch, er hat sie. Aber sie wird nicht anerkannt und nicht gelebt. Das ist das Problem, das Jesus hat.
Genauso verhält es sich mit der Klarheit der Bibel. Wir sollten unseren Mangel nicht damit entschuldigen und den Fehler bei der Bibel suchen. Die Bibel sagt, dass sie klar ist. Jesus kommuniziert klar. Nur verstehen wir manchmal nicht alles.
Praktische Ermutigung zur Klarheit der Schrift
Er kommt zu einem, ich glaube, vorletzten Punkt, Punkt E, den ich auch sehr schön finde und der auch sehr hilfreich für unser Verständnis und als praktische Ermutigung aus dieser Lehre dient.
Folgendes schreibt Grudem auf Seite 120: In keinem Falle haben wir die Freiheit zu behaupten, dass die Lehre der Bibel zu irgendeinem Thema verwirrend sei oder gar nicht richtig verstanden werden könne. In keinem Fall sollten wir denken, dass anhaltende Meinungsverschiedenheiten über ein Thema im Laufe der Kirchengeschichte bedeuten, dass wir unfähig wären, selbst zu einer richtigen Schlussfolgerung zu jenem Thema zu gelangen.
Vielmehr sollten wir, wenn eine echte Sorge um irgendein solches Thema in unserem Leben aufkommt, aufrichtig Gottes Hilfe erbitten und dann zur Bibel greifen. Wir sollen sie mit unserer ganzen Fähigkeit und all unseren Kräften erforschen, und zwar in dem Glauben, dass Gott uns befähigen wird, sie richtig zu verstehen.
In dieser Motivation heißt es: Hab Vertrauen darin, dass Gott dich weiterführen wird, dass er dir mehr Weisheit und mehr Erkenntnis geben wird und mehr Blockaden aus deinem Leben überwinden wird.
Grudem nennt mögliche Ursachen, warum es trotzdem zu Meinungsverschiedenheiten unter Christen kommen kann, obwohl alle betend irgendwie unterwegs sind. Eine Ursache ist, dass wir versuchen, Erklärungen abzugeben, wo die Bibel selbst nichts sagt, wo sie einfach schweigt. Trotzdem versuchen wir, etwas fest zu zementieren, das sagt: Gott will das so, obwohl Gott sich selbst gar nicht so explizit und definitiv äußert.
Dort, wo wir in Themen kommen, bei denen wir merken, dass wir eigentlich vielmehr aus unserer Tradition oder unserem Denken argumentieren, aber nicht unbedingt aus dem Wort Gottes, wollte Gott vielleicht an dieser Stelle keine definitive Antwort geben. Dann sollen wir Ruhe walten lassen und auch unterschiedliche Haltungen akzeptieren.
Das ist für ein Camp der Christen ziemlich schwer auszuhalten, wo immer alles, jedes Mühen und jedes Jota irgendwie geklärt sein muss. Dabei gibt es viele Bereiche, die sehr flexibel gehandhabt werden können.
Johannes Calvin hat ein sehr schönes Zitat, das uns helfen kann. Das findet ihr jetzt nicht in der Dogmatik, also wieder extra Wissen. Johannes Calvin, ein Reformator, sagte Folgendes:
Die Geheimnisse seines Willens, die bekannt werden sollen, hat Gott in seinem Wort offenbart. Diese Offenbarung ist zu unserem Besten und Wohlergehen. Darum sollten wir prinzipiell keine andere Erkenntnis herbeisehnen als die, die er in seinem Wort dargelegt hat, denn das würde bedeuten, dort zu gehen, wo kein Pfad ist oder ein Licht in der Dunkelheit zu suchen. Die beste Regel ist es daher, nicht nur zu lernen, wohin Gott führt, sondern auch dort aufzuhören, nach Weisheit zu streben, wo er keine Erleuchtung mehr schenkt.
Das ist ein unglaublich weises Wort, das Calvin hier schreibt. Einige Christen wollen unbedingt – ich spreche mal bildlich – aus Gott etwas herauspressen, eine definitive Antwort für eine ganz bestimmte Frage, wo Gott einfach nichts herauspressen lässt und sagt: Habe ich nicht offenbart? Wenn du weiterhin darin suchst, versuchst du auf einem Pfad zu laufen, wo einfach gar kein Licht ist. Lass es doch einfach sein, chill mal.
Auch das müssen einige Christen lernen: einfach mal zu chillen und einige Dinge einfach stehen zu lassen. Dass Christen zu unterschiedlichen Schwerpunkten in gewissen Fragestellungen kommen, ist normal. Das ist nicht heute unser Thema; welche Themen das sein könnten, werden wir uns noch beschäftigen.
Hier ist eine Meldung: Lasset die Spiele beginnen! Nein, wir beenden diese Spiele sofort! Hat sich trotzdem aus dem Fenster gelehnt. Respekt, Achim, aber sei dir mal gegönnt.
Also, das ist ein Punkt, warum es trotzdem zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann: Wir versuchen, Erklärungen abzugeben, wo die Bibel einfach dazu schweigt. Sehr, sehr wichtig ist, dass wir das lernen, um reif zu werden.
Einige werden nicht reif, weil sie immer über Dinge streiten, über die Gott nicht streitet. Es ist ganz gefährlich, Menschen eine Freiheit zu entziehen, wo Gott ihnen Freiheiten gegeben hat. Das ist nicht witzig, dort Gebote aufzustellen und Satzungen zu machen, wo Gott gesagt hat: Darin darfst du frei sein. Das ist sehr, sehr gefährlich. Darin müssen wir unbedingt weise werden.
Ein zweiter Fehler oder eine zweite Ursache für Meinungsverschiedenheiten ist, dass wir Fehler in der Auslegung begehen. Dort führt Grudem an: Aufgrund persönlicher Unzulänglichkeiten kommen wir zu einer falschen Schlussfolgerung. Nicht die Bibel ist unklar, sondern die Haltung, mit der ich zum Beispiel an den Text herangehe, bringt mich auf eine falsche Fährte, auf eine falsche Deutung.
Ich möchte vier Dinge nennen, die einen sehr starken Effekt auf eine falsche Auslegung biblischer Texte haben:
Erstens, Stolz: Ich möchte mich einfach nicht unterordnen. Mein Stolz kann mich dazu verleiten, Chef über den Text zu werden und ihm im Prinzip zu gebieten, in welche Richtung er zu laufen hat.
Zweitens, Unglaube: Viele Dinge wurden schon wegargumentiert aus der Bibel, weil man einfach ungläubig ist, dass sie wahr sein könnten.
Drittens, Furcht, Angst: Angst vor dem, was ist, wenn das wahr wäre, was ich hier lese, wirklich so ist, wie es dort geschrieben steht.
Viertens, Erfahrung oder auch Nichterfahrung: Manche Themen werden für wahr oder nicht wahr gehalten, weil man sie mit seiner Erfahrungswelt nicht abgleichen kann. Was ich nicht erfahren habe, ist also auch nicht wahr. Deshalb sucht man sich Argumente, die die Nichterfahrung bestätigen. Man will nicht in einem Mangel leben und braucht deswegen ein theologisches System, das den Mangel rechtfertigt.
Versteht ihr, was ich meine? Auf der anderen Seite bedeutet nur weil ich gewisse Dinge erfahren habe, nicht automatisch, dass es jeder zu jeder Zeit und permanent erfahren muss. Erfahrungen können einen sehr einseitigen Blick auf die Schrift geben, anstatt den ganzen Reichtum der Passagen zu einem gewissen Thema wirklich zur Kenntnis zu nehmen – auch wenn diese Passagen konträr zu meiner persönlichen Erfahrung stehen.
Erfahrung und Nichterfahrung – auch Nichterfahrung ist eine andere Form von Erfahrung – sind massive Begleiter beim Bibellesen. Das kann sehr gefährlich sein, wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Aber meine Erfahrung ist nicht der Chef der Bibelauslegung.
Am Ende spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich die Dinge erfahren habe oder nicht, wenn ich herausfinden möchte, was Gottes Wort zu einem Thema sagt. Da fragt mich Gott: Ja, und wie steht es aber mit deiner Erfahrung? Sie ist nicht der heilige Standard, um zu definieren, was Gottes Wort zu einer Sache sagt oder nicht.
Könnt ihr den Gedankengang irgendwie nachvollziehen? Einige nicken, einige sind schlafend. Und trotzdem: Es gibt weltweit, sagt Grudem, ein hohes Maß an Übereinstimmung. Wo du auch hingehst, wenn du Christen kennenlernst – was für die Klarheit der Schrift spricht –, merkst du: Wir haben uns nie gesehen, wir sind in einer ganz anderen Kultur groß geworden, du hast einfach nur die Bibel gelesen und bist zu diesen Schlussfolgerungen gekommen.
Dieses Maß an Übereinstimmung in den vielen zentralen Anliegen des christlichen Glaubens ist sehr hoch. Das zeigt: Die Menschen sind an die Bibel herangegangen, haben sie kindlich gelesen, kindlich geglaubt und sind zu ihren Schlussfolgerungen gekommen – und haben dadurch eine hohe Einheit weltweit.
Dann kommen wir schon zum letzten Punkt:
1. Johannes 2,26-27: Dies habe ich euch im Blick auf die geschrieben, die euch verführen. Und ihr: Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr habt nicht nötig, dass euch jemand belehrt. Sondern wie seine Salbung euch über alles belehrt, so ist es auch wahr und keine Lüge. Und wie sie euch belehrt hat, so bleibt in ihm.
Okay, es ist ein bisschen komplex geschrieben, was Johannes davor hat. Worauf er hinausmöchte, ist: Du wurdest gesalbt mit dem Heiligen Geist, und er ist dein Lehrer. Du hast es nicht nötig, dass dich jemand belehrt. Der Geist Gottes in dir hilft dir, die Dinge zu verstehen und dich auch zu verteidigen vor den Verführungen, die es da gibt.
Also ist es ein ganz starkes Plädoyer von Johannes, Gott persönlich zu vertrauen, dass er mit mir ist und mir Dinge aufschlüsselt und erklärt. Ich bin nicht hilflos in den Kämpfen, sondern Gott ist mit mir.
Das ist ein schöner Vers, der uns zum letzten Punkt bringt, und zwar zur Rolle der Gelehrten.
Die Rolle der Lehrer trotz Klarheit der Schrift
Wenn das, was wir gerade gelesen haben, wahr ist, wofür brauchen wir dann noch solche Gestalten wie hier vorne? Pastoren und Lehrer – was soll das eigentlich alles? Wenn die Bibel klar ist, jeder den Geist Gottes hat und jeder Zugriff darauf hat, dann könnten wir uns doch viel Geld sparen und alle Pastoren dieser Welt entlassen. Das wollen wir natürlich nicht.
Ich bin Grudem sehr dankbar, dass er noch diese vier Punkte angefügt hat, um zu überzeugen, dass mein Berufsstand nicht ganz egal ist. Es gibt auch Brüdergemeinden, die tatsächlich keine Pastoren haben, aber Gott hat sie trotzdem lieb, die Brüder.
Warum brauchen wir also keine Lehrer mehr, aber doch Lehrer? Grudem nennt vier Gründe, warum Lehrer trotzdem in der Gemeinde ihren Platz haben. Diese vier Punkte gehen wir nun kurz im Überblick durch:
- Sie können die Bibel klar lehren.
- Sie können neue Bereiche erforschen.
- Sie können die Lehren der Bibel gegen Angriffe effektiv verteidigen.
- Sie können das Studium der Bibel zum Nutzen der Kirche ergänzen.
Zum ersten Punkt: Sie können die Bibel klar lehren. Im Neuen Testament sehen wir, dass Gott Ämter in der Kirche eingesetzt hat, obwohl alle den Heiligen Geist haben. Einige sollen in besonderem Maße in der Lehre tätig sein. Obwohl die Schrift klar ist, möchte Jesus Gaben austeilen.
Das zeigt sich in 1. Korinther 12,28, wo Lehrer in der Mitte genannt werden. In Epheser 4,11 hat Jesus Dienste eingerichtet, den sogenannten fünffältigen Dienst. Dort sind die Lehrer als die Demütigsten in der Liste aufgeführt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. (Das war übrigens nicht ernst gemeint, was ich gerade gesagt habe. Man muss ja immer aufpassen, dass man nichts Falsches sagt.)
Gott gibt Lehrern trotzdem eine Rolle und einen Schwerpunkt, damit sie besonders effektiv in der Lehre unterwegs sein können, auch wenn allen Gläubigen die Schrift klar zur Verfügung steht. Man könnte das vielleicht so vergleichen: Jeder soll für die Gabe der Prophetie beten, und Paulus eröffnet die Möglichkeit, dass jeder prophetisch reden kann. Dennoch gibt es Menschen, die in besonderer Weise prophetisch dienen.
Der zweite Punkt ist: Sie können neue Bereiche erforschen. Grudem beschreibt, dass es zu jeder Zeit in der Geschichte neue, aufkommende Fragen gibt. Zum Beispiel gibt es heute hochbrisante Themen, die die Welt vorher so nicht kannte. Christen müssen sich moralisch und ethisch damit auseinandersetzen.
Kurz genannt: Außerirdische – das hatten wir schon länger. Massentierhaltung, Gender-Ideologie, künstliche Intelligenz, Klimawandel – das sind Beispiele.
Plötzlich hast du Themen, bei denen du dich fragst: Was sagt die Bibel eigentlich dazu? Frühere Generationen haben darüber nicht in dieser Weise debattiert. Grudem sagt, Lehrer haben hier eine besondere Rolle. Sie erforschen diese Fragen in besonderer Weise und dienen damit dem Leib, indem sie Zugang zu dem geben, was Gott uns in diesen Fragen weitergeben kann.
Corona – du wolltest noch was dazu sagen, um die Stimmung richtig eskalieren zu lassen? Ja, aber lassen wir das.
Kommen wir zum nächsten Punkt: Sie können die Lehren der Bibel gegen Angriffe effektiv verteidigen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Wir haben eben in 1. Johannes 2 gehört, dass jeder von uns die Salbung hat, auch in Bezug auf Verführungen, die es zu jeder Zeit gab und gibt, die Christen verführen wollen. Aber nicht jeder ist gleich beauftragt, die Herde vor solchen Angriffen zu schützen. Lehrer haben hier eine besondere Aufgabe, aktiv zu sein.
In Titus 1,9 wird über Älteste oder Leiter gesprochen, die an der Lehre festhalten und fähig sind, mit gesunder Lehre zu ermahnen und Widersprechende zu überführen. In 2. Timotheus 2,25 heißt es, dass sie Widersacher in Sanftmut zurechtweisen und hoffen, dass Gott ihnen Buße gibt zur Erkenntnis der Wahrheit.
Titus 2,7-8 gibt Anweisungen an Titus: Indem du dich selbst als Vorbild guter Werke darstellst, in der Lehre Unverdorbenheit, würdigen Ernst und gesunde, unanfechtbare Rede beweist, soll der Widersacher beschämt werden, weil er nichts Schlechtes über uns sagen kann.
Manchmal gibt es Lehren, die die Runde machen und Zugriff auf unser Denken und unseren Glauben haben wollen. Christen spüren dann oft, dass da etwas fremdartig und nicht gut ist. Sie wissen subtil, dass es nicht das ist, was sie von Jesus gelernt haben. Vielleicht kennt ihr solche Momente.
Dann ist man froh, wenn jemand auftritt, der verteidigen kann und sagt: Das sind die Argumente, warum das ungesund ist und warum wir uns davon fernhalten sollen. Plötzlich hat diese Person eine Sprache gefunden für das, was du in dir hattest.
Du hast die Salbung in dir, die dich bewahrt und beschützt hat, manchmal auch durch die Gabe der Geisterunterscheidung. Du weißt, dass du dich fernhalten sollst, aber du hast nicht das Rüstzeug, um zu verteidigen oder Gegenangriffe zu starten. Deshalb braucht es in der Gemeinde geschulte Lehrer, die apologetisch, also verteidigend, arbeiten.
Ich habe schon öfter erwähnt, dass es eine gefährliche Sekte gibt, die Shincheonji-Sekte aus Korea. Viele fallen auf sie herein. Dort braucht es Leute, die sich intellektuell damit auseinandersetzen und die Argumente entkräften können. Ein bibelfester Christ spürt, dass das nicht gesund ist und dass fremde Lehren im Spiel sind, kann es aber vielleicht nicht artikulieren. Deshalb braucht es Menschen, die helfen und die Dinge klar darlegen können.
Die Gaben sind einfach unterschiedlich. Deshalb ist die Einheit, die wir vorher betrachtet haben, so wichtig. Die Bibel ist nicht nur für eine Elite klar, sondern für uns alle. Die Schlussfolgerung, die Grudem am Ende zieht, wird noch einmal darauf eingehen, was passiert, wenn wir uns zu sehr abhängig machen von einzelnen Personen.
Kommen wir zum letzten Punkt: Sie können das Studium der Bibel zum Nutzen der Kirche ergänzen.
Um diesen Punkt zu erklären, möchte ich euch ein Zitat von Timothy Keller vorlesen. Er spricht mir sehr aus dem Herzen. Ich hoffe, dass zumindest diejenigen, die schon seit einigen Jahren in der Christusgemeinde sind, daran anknüpfen können. Wenn nicht, dann habe ich wohl etwas falsch gemacht.
Timothy Keller schreibt: Regelmäßige Textpredigten, also Vers-für-Vers-Predigten, sind eine gute Anleitung zum persönlichen Bibellesen. Die Hörer lernen, selbst ihre Bibel zu lesen und Texte zu erschließen. Sie lernen, auf Besonderheiten eines Textes zu achten und den Gesamtzusammenhang der Bibel besser zu verstehen. Sie werden erfahrenere und sensiblere Bibelleser.
Das ist auch meine Hoffnung. Wenn du über Jahre im Matthäusevangelium mit mir hängst, merkst du beim Lesen Vers für Vers: Ah, hier bleibt er stehen, das ist ein Signalwort, das ist ein Rückbezug. So lernst du, beim Bibellesen nicht immer den Wald auf deiner Schulter zu tragen. Darum geht es nicht. Du hast ja die Salbung in dir. Du brauchst nicht ständig jemanden, der dir alles erklärt, sondern du hast gewisse Prinzipien gelernt und erkennst: Das habe ich schon mal gehört, so wird mit einem Text umgegangen.
Im Prinzip ist das, was wir Sonntag für Sonntag machen, begleitetes Bibellesen. Nicht betreutes Wohnen, sondern betreutes Bibellesen. Das ist sehr gut, wirklich sehr gut, richtig gut, in Liebe betreut. So sollten Predigten sein.
Ich habe überhaupt nichts gegen Themenpredigten, ich mache sie ja auch hier und dort. Aber ihr werdet den Unterschied merken, wenn ihr zehn Jahre lang in einer Gemeinde seid, in der es nur punktuelle Themenpredigten gibt. Dann bekommst du keine Sensibilität dafür, wie das Buch arbeitet.
Wenn du zehn Jahre lang geübt bist, die Verse so aufzudröseln, wird das hoffentlich auch dein eigenes Bibellesen bereichern. Einige sind hier schon mehr als zehn Jahre dabei. Wilfriede, Heiko – weißt du, du sitzt immer in der letzten Reihe, das ist deine Schuld. Ich habe jetzt den besten Blick auf dich, Heiko. Wenn ihr richtig Bibel lesen wollt, müsst ihr Heiko fragen, der weiß es.
So können Lehrer das Studium der Bibel zum Nutzen der Kirche ergänzen.
Wir schließen mit folgendem Zitat von Grudem. Es geht auch in deine Richtung, denn die Gefahr kann auch von Lehrern ausgehen:
„Zu diesen Funktionen gehört jedoch nicht das Recht für die Kirche als Ganzes zu entscheiden, was wahre und falsche Lehre ist oder welches angemessene Verhalten in einer schwierigen Lage ist. Es geht hier um angestellte Lehrer. Falls ein solches Recht formal ausgebildeten Bibelgelehrten vorbehalten wäre, würden sie zu einer herrschenden Elite in der Kirche werden. Der Prozess der Entscheidungsfindung für die Kirche muss den Amtsträgern der Kirche vorbehalten sein, ob sie nun Gelehrte sind oder nicht.“
Und in Klammern, weil es hier um Gemeindeformen geht, wie Gemeinden geleitet werden – von Amtsträgern oder von der Gesamtgemeinde –, in einer kongregationalistischen Form der Gemeindeversammlung, wie bei Baptistengemeinden oder Freien evangelischen Gemeinden (FEG), Pfingstgemeinden überwiegend oder mehr oder weniger, liegt die Entscheidungsbefugnis nicht nur bei den Amtsträgern, sondern auch bei den Gliedern der Gemeinde als Ganzem.
Worum geht es hier? Die Lehrer haben ihren Platz. Sie sollen zum Segen wirken, verteidigen, lehren und ergänzen. Aber sie sollen keine eigene Kaste werden, der wir blind vertrauen und von der wir in jeder Fragestellung abhängig sind – was richtig und falsch ist, wie wir uns verhalten sollen, was wir glauben sollen und was nicht.
Alle, denen dieses Recht zusteht, sollen mitentscheiden. Einige Kirchen funktionieren so, dass die Ältesten das allein machen. In anderen Gemeinden sind alle gefragt. Jeder soll mit seiner Bibel in der Hand prüfen, sich zu Wort melden und gegebenenfalls intervenieren, wenn es zu schwerwiegenden Problemen kommt.
Deshalb ist das Wort „Amtsträger“ in diesem Zitat wichtig. Die Amtsträger sind nicht die Elite. Ein Amtsträger, ein Ältester, muss kein Theologe sein oder hauptamtlich tätig sein.
In unserer Gemeinde pflegen wir das auch so. Ihr habt vielleicht unseren Bruder Dani Pockem gehört. Er hat den Mitgliedern gesagt: Es ist nicht gut, wenn die Leitung der Gemeinde nur bei den hauptamtlichen Pastoren liegt. Es braucht ehrenamtliche Älteste, die mit im Boot sind und auch Machtanteile haben.
Das klingt vielleicht politisch, ist aber nur gesund. So wird verhindert, dass sich ein elitäres Kreis bildet, in dem nur die Geschulten und Gebildeten etwas sagen dürfen und der Rest nicht. Das ist nicht Gottes Vorstellung.
Lehrer haben ihren Wert, aber sie sollen nicht erhöht oder überhöht werden. Der gesamte Leib ist gefragt.
Ich habe heute wieder erlebt, dass ein Laie zu mir sagte, er könne bei kritischen Lehrfragen nichts sagen, weil er kein Theologe sei. Ich dachte: Ich will aber, dass du etwas dazu sagst und deinen Mund öffnest – egal, ob du Theologe bist oder nicht.
Warum? Weil die Einheit so wichtig ist. Die Schrift ist klar. Wenn du einfach sagst: „Ich kann nichts sagen, ich bin kein Theologe“, machst du es dir zu leicht. Du sagst damit auch: „Gott ist für mich nicht so klar wie für die Theologen.“
So soll es aber nicht sein. Amen. Amen.