Eins ist not
Seefahrt tut not. Das wissen wir seit Kolumbus. Luftfahrt tut not. Das wissen wir seit Lilienthal. Raumfahrt tut not. Das wissen wir seit Wernher von Braun.
Aber was tut heute not? Meine Güte, aus jeder Ecke tönt's anders.
Bildung tut not. Mit ein bisschen Schulbildung ist kein Blumentopf zu gewinnen. Wer meint, mit Vorschule, Grundschule, Hauptschule, Lehrzeit, Praktikantenzeit, Studienzeit, wer meint, mit 20 Lernjahren ein ausgebildetes, großes Tier zu sein, ist ein eingebildeter Esel. Es braucht Fortbildung und Weiterbildung und Volksbildung und Bildzeitung, um ungefähr im Bilde zu sein. Bildung tut not, tönt’s aus der einen Ecke.
Und Bewegung tut not. Mit einem Stadtbummel zwischen Lerche und Schillerplatz und Kunstausstellung ("Sag nix über Dix!") ist der Kreislauf nicht auf Trab zu halten. Fit bleibt man nur mit einem fitten Fitnessprogramm. Morgens 25 Kniebeugen vor dem offenen Fenster, mittags 25 Liegestützen auf dem Schreibtisch, abends 25 Klimmzüge an der Gardinenstange. Bewegung tut not, tönt es aus der andern Ecke.
Und Entspannung tut not. Mit einem Nickerchen in der Kirch ist dem Stress kein Schnippchen zu schlagen. Echtes Relaxing ist angesagt: Tür zu, Vorhang zu, Augen zu, Kerze an, Atmung an, CD-Player an, "Münchner Freiheit" rein. Entspannung tut not, tönt es aus der dritten Ecke.
Und Ernährung tut not. Mit Schweinshaxe und Presswurst bleibt der Bauch konvex. Weniger Kalorien, mehr Vitamine, viel Grünfutter. Schrotmühle und Joghurtapparat gehören in jede Bioküche. Ernährung tut not, tönt's aus der letzten Ecke.
Und Hygiene tut not und Umweltschutz tut not und Asylpolitik tut not. Das Alte tut's nicht mehr. Neues ist nötig. Tausend Dinge sind notwendig.
Und Jesus sagt: "Eines aber ist not". Damit ist nichts gegen Bildung, Bewegung, Entspannung, Ernährung gesagt, aber notfalls könnte auf dies alles verzichtet werden, nur auf das Eine nicht.
Was ist dies Eine?
Was ist dies Nötige?
Was tut wirklich not?
Studieren wir es bei Marta. Leider wissen wir von ihr nicht viel. Ob sie schlank, vollschlank oder schlankweg dick war, ist unbekannt. Nur dass sie als Ledige mit ihrer sensiblen Schwester Maria und ihrem kränklichen Bruder Lazarus in dem Kuhnest Bethanien wohnte, das steht in der Bibel. Allem Anschein nach machte sie ihrem Namen Marta, deutsch: Herrin, alle Ehre, denn sie war der Herr im Haus. In dem Dreipersonenhaushalt hatte sie die Hosen an, in dem dreiköpfigen Geschwisterkreis ging es nach ihrem Kopf. Sie wusste, wo es lang geht und wo andere lang gehen sollen. Marta war die erste Emanze, ein bisschen feministisch, ein bisschen absolutistisch, ein bisschen idealistisch, einfach eine Frau, vor der Männer den Hut ziehen und manchmal den Hut nehmen.
Wer sie beobachtet, bekommt drei Antworten auf die Frage, was not tut.
1. Augen auf. Das tut not.
Marta spielt nie blinde Kuh. Sie hat Augen im Kopf. Sie sieht. Sie sieht, dass 13 harte Männer die Straße heraufkommen und direkt auf ihr Haus zusteuern. Deshalb rennt sie die Treppen hinunter und haut die Riegel zurück. Sie sieht, dass 13 gestandene Männer völlig ausgebrannt sind und von einer Cola träumen. Deshalb läuft sie zum Brunnen und schöpft mit dem Wasserkrug. Sie sieht, dass 13 ausgewachsene Männer einen Megahunger haben und jeden Bären verdrücken könnten. Deshalb fußelt sie in den Stall und erledigt eine ganze Batterie Hühner. Federn fliegen, Töpfe klappern, Pfannen brutzeln. Die ganze Bude riecht nach Wienerwald. Sechs Hände sollte sie haben, um das schaffen, sechs Füße sollte sie haben, um das zu verspringen, sechs Zungen sollte sie haben, um das abschmecken zu können. 13 Männer in einer dreiköpfigen Familie, o happy family!
Wer Augen im Kopf hat, sieht immer. Der sieht den Pauker und weiß, dass sich der Schulkram nicht allein erledigt. Der sieht die Alten und weiß, dass er im Garten helfen sollte. Der sieht die Kumpel und weiß, dass auf der Party ohne ihn nichts abgeht. Der sieht die Freundin und weiß, dass sie unbedingt ins Kino gehen will. Er sieht das alles und noch viel mehr: ARD, ZDF, SAT1 und RTLplus und -minus. 36 Stunden sollte der Tag haben und 12 Tage die Woche.
Wir alle sehen wie Marta, deshalb gilt der Zuruf uns: Marta, Marta, dass du das alles siehst, ist nicht verwerflich. Aber dass du dabei den übersiehst, der dich besuchen will.
Er kommt nicht wie ein Staatsgast, der nur auf rotem Teppich ins Haus marschiert. Er kommt nicht wie ein Festgast, der nur in einer picobello Wohnung empfangen werden kann. "Ich bin unter euch wie ein Diener", sagt er, der euch gestressten Leuten dienen will.
Dann packt er seinen Schurz aus und kniet nieder, um uns den ganzen Dreck des Lebens abzuwaschen. Dann greift er unter die Arme und richtet uns auf, um uns neue Power für morgen zu geben. Dann hebt er die Last vom Buckel und schultert sie selbst, um uns neue Schritte zu ermöglichen.
Wer zu viel besorgt, übersieht den, der für uns sorgen will. Deshalb Augen auf, das tut not.
2. Mund auf. Das tut not.
Marta läuft also auf Hochtouren. Diese Frau ersetzt jede Küchenmaschine. Kartoffelschalen, Eierschalen, Knoblauchzehen fliegen wild durch die Gegend. Marta unter Volldampf.
Kein Wunder, dass sie das allein nicht packen kann. Normalerweise geht ihr die Schwester an die Hand. Wo bleibt sie denn heute? "Maria!", tönt es durch die Küche, aber da ist keine Stimme. "Maria!", tönt es lauter durch den Hausgang, aber da ist keine Antwort. "Maria!", tönt es ganz laut durch das Haus, aber da ist keine Sister. Wo bleibt denn die Schlafhaube? Schnell reibt sie ihre fettigen Hände am Kleid ab und stürmt mit 120 ins Wohnzimmer. Wirklich, da hockt doch dieser Blaustrumpf auf dem Boden und hat die Hände im Schoß. Ist das die Möglichkeit? Bei so viel Pflichtvergessenheit kann sie den Mund nicht halten. Jetzt tut ein herrschaftliches Machtwort not. Deshalb platzt Marta der Rüschchenkragen: "Herr, sag doch dieser Tulpe, dass sie mich nicht allein hängen lassen kann. Sie soll mit anpacken. Sag doch dieser Wachtel, dass sie mich nicht allein zappeln lassen kann. Sie soll mit zulangen. Sag doch dieser faulen Nuss, dass sie mich nicht allein wursteln lassen kann. Sie soll endlich ihre Pflicht tun."
Marta weiß ganz genau, was Maria tun soll, so wie wir das bei andern auch ganz genau wissen: "Herr, sag doch meiner Mutter, dass sie nicht immer an meiner Miste auf dem Schreibtisch herummotzt. Sag doch meinem Vater, dass er den Taschengeldtarif um 40% erhöht. Sag doch meinem Freund, dass er nicht nur Bryan Adams und Heinz Rudolf Kunze mag, sondern auch Mozart und Haydn. Sag doch meiner Freundin, dass sie endlich so denkt wie ich." Wir wissen ganz genau, was der andere tun und lassen soll. Er soll sich gefälligst ein Beispiel an mir nehmen. Der Maßstab für rechtes Glauben, Denken und Handeln bin ich.
Wir alle tönen wie Marta und deshalb gilt der Anruf uns: "Marta, Marta, dass du den Mund aufmachst und zuweilen kräftig tönst, ist nicht verwerflich, aber dass du dabei den übertönst, der mit seinem Wort das einzig gültige Maß setzt, das ist die Not."
Maria muss nicht wie Marta werden. Der Sohn muss nicht wie der Vater werden und die Tochter nicht wie die Mutter und der Freund nicht wie unsere Wunschvorstellungen. Wir können doch niemand anders backen in unserer Gugelhupfform. Wir können doch niemand umgießen in einem Schmelzofen.
Jeder ist ein Original Gottes mit dem Gütezeichen: "Made in Germany", no: "Made in heaven". Weil in der himmlischen Werkstatt aber kein Kopiergerät steht, bist du eine Sonderanfertigung und keine Serienproduktion. Du bist einfach einmalig. Aber jeder soll ein Nachfolger dieses Herrn werden, der sich nach ihm ausrichtet und sagt: "Herr, sag mir doch, dass nicht alles nach meinem Dickkopf gehen kann. Zeig mir doch, dass ich nicht alles über meinen Leisten schlagen kann. Hilf mir doch, dass ich meine Eltern, meine Freunde, meine Bekannten, meine Kollegen, all die, die mir senkrecht auf den Geist gehen, auch meinen Pfarrer, so annehmen kann, wie du mich annimmst und magst."
Deshalb Mund auf, das tut not.
Und das Letzte:
3. Ohren auf. Das tut not.
Marta hat viel um die Ohren. Manchmal würde sie am liebsten abhauen und beide Ohren zuhalten, wenn ihr dies oder jenes zu Ohren kommt. Aber sie hat ein offenes Ohr für alles. Sie hört den Bruder, wenn er auf dem Krankenbett nach einer Hilfeleistung verlangt. Sie hört die Schwester, wenn sie mit ihren Fragen anrückt. Sie hört die Nachbarn, wenn sie noch spät an die Tür klopfen.
Marta hört von morgens bis abends, so wie wir auch hören. Wir können unsere Ohren nicht einfach auf Durchzug schalten. Zu viel liegen uns in den Ohren. Eine laute Welt ist's geworden, sehr laut. Wir allen hören wie Marta, deshalb gilt der Zuruf uns: "Marta, Marta, dass du viel hörst, ist nicht verwerflich, aber dass du dabei den überhörst, der das erste und letzte Wort hat, das ist die Not."
Jesus ist ja auch in dein Haus getreten. Und dort sieht er alles im Zimmer: dein Poster, deine Platten, deine Videos, deine Bücher, aber auch deine Ecken, wohin du sie versteckt hast: deine heimlichen Tragödien, deine geheimen Süchte, deine unbeherrschten Leidenschaften. Wirst du vielleicht alleine damit fertig? Deshalb kommt Jesus und will mit dir darüber reden, in der Stillen Zeit oder in einer Andacht oder beim Gottesdienst. Er will etwas für dich tun und du musst nicht zuerst etwas für ihn tun.
Er will etwas für dich tun und du musst nicht zuerst etwas für ihn tun.
Das hat Maria gecheckt. Dort zu Jesu Füßen erfährt sie, dass er auf dem Weg nach Golgatha ist: Ich muss an meiner Schuld nicht mehr zugrunde gehen. Dort zu Jesu Füßen erfährt sie, dass Jesu das Felsengrab sprengen wird: Ich muss an meiner Krankheit zum Tode nicht mehr vor die Hunde gehen. Dort zu Jesu Füßen erfährt sie, dass Jesus in alle Macht eingesetzt wird: Ich muss Schicksalsmächte und Sternenmächte und Zukunftsmächte nicht mehr fürchten.
Was bringt's, wenn ich das Ohr am Puls der Zeit habe und nicht mehr am Pulsschlag der Ewigkeit?
Der alte Blumhardt ist nicht von vorgestern, wenn er sagt: "Das Wichtigste ist auf das zu hören, was man droben sagt."
Deshalb Ohren auf: Jesus hat ein persönliches Wort für dich.
Amen