Ja, irgendwie ist es heute Morgen etwas seltsam, bei euch zu sein. Nicht seltsam, weil irgendetwas komisch wäre an Siegen-Achenbach oder so – nein, das nicht. Sondern vor einer Woche habe ich nämlich auch gepredigt, also die Predigt gehalten und das Wort Gottes ausgelegt. Aber nicht hier, sondern in Fernheim.
Wenn ihr jetzt überlegt, wo liegt Fernheim, dann könnt ihr lange überlegen. Möglicherweise liegt das Fernheim, in dem ich war, nämlich gar nicht hier. Es war in Paraguay. Ich war drei Wochen in Paraguay, in verschiedenen Institutionen, habe mich mit Missionaren getroffen, Gemeinden besucht und eben letzte Woche dann in einer großen Gemeinde von gläubigen Geschwistern im Chaco, falls jemand das kennt.
Paraguay liegt ja in Südamerika, einige wissen das wahrscheinlich. Dort leben auch einige Deutschsprachige. Und da habe ich dann einige Zeit verbracht. Jetzt bin ich hier bei euch. Nicht nur, dass es hier wesentlich kälter ist als dort – Paraguay liegt auf der anderen Seite des Äquators, dort ist jetzt Sommer. Im Gottesdienstraum hatten wir so etwa 35 Grad, ohne Heizung, also mit offenen Türen und Fenstern.
Nachher gab es noch ein Gemeindemittagessen draußen im Freien, unter Bäumen – auch ganz schön. Hier ist es dann etwas kühler. Dort wird überwiegend Spanisch gesprochen, hier überwiegend Deutsch. So haben wir manches Mal die Herausforderung, uns auf unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Länder und auch unterschiedliche Zeiten einzustellen.
Das machen wir ja häufig auch am Sonntagmorgen im Gottesdienst. Ich werde euch jetzt, wie ihr wahrscheinlich erwartet, in eine Zeit und ein Land mit hineinnehmen, das eben auch nicht hier um die Ecke liegt. Wir werden uns also nicht mit etwas beschäftigen, das in Siegen-Achenbach passiert ist, sondern mit etwas, das vor 2000 Jahren in der damaligen römischen Provinz, also im heutigen Israel, am Mittelmeer geschehen ist – in der Region, die wir heute Israel nennen.
Für diejenigen, die schon in der ersten Stunde dabei waren: Sie erinnern sich, dass neben all den vielen Worten, die aus der Bibel zitiert wurden, auch ein Abschnitt aus dem Lukasevangelium Kapitel 1 vorkam. Genauer gesagt, der Teil, in dem der Engel Maria erscheint und ihr verkündet, dass sie schwanger werden wird.
Ich habe mir gedacht, dass dieser Abschnitt auch gut zu diesem Morgen passt, weil wir uns ja in der Zeit vor Weihnachten befinden. Korrekt müsste man eigentlich sagen: vor dem Christfest. Früher hat man das so genannt, Christfest, weil es ja um Jesus geht, der geboren wurde. Daran erinnern wir uns immer im Dezember. Doch bevor das Fest gefeiert werden kann, musste erst noch etwas geschehen.
Die Bibel beschreibt uns das deutlich: Zum Christfest ist Jesus Christus in Bethlehem geboren worden. Doch die Vorgeschichte ist, dass Maria auf wunderbare und unerklärliche Weise schwanger wurde. Diesen Abschnitt möchte ich euch nun vorlesen und anschließend einige Gedanken dazu teilen.
Ihr könnt gerne in eurer Bibel im Lukasevangelium, Kapitel 1, Vers 26 nachschlagen. Also Lukas 1,26. Dort wird das Ereignis beschrieben, das Maria widerfuhr.
Vorher gab es schon einen Hinweis auf Elisabeth und Zacharias. Elisabeth war damals eine Frau in fortgeschrittenem Alter, die ebenfalls durch ein göttliches Wunder schwanger wurde. Gleich zu Beginn des Textes lesen wir: „Im sechsten Monat.“ Dabei ist höchstwahrscheinlich nicht der sechste Monat des Jahres gemeint, sondern der sechste Monat der Schwangerschaft Elisabeths. Das wird auch am Ende des Textes nochmals deutlich, dass Elisabeth zu diesem Zeitpunkt sechs Monate schwanger ist.
In dieser Zeit, als Elisabeth schwanger war, erschien der Engel Maria, der jungen Frau. Das ist der Hintergrund dessen, was in der Bibel gerade vorher passiert ist.
Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth gesandt. Er ging zu einer Jungfrau, die mit einem Mann namens Joseph verlobt war, der aus dem Haus Davids stammte. Der Name der Jungfrau war Maria.
Der Engel trat zu ihr und sprach: „Sei gegrüßt, du Begnadigte! Der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen.“ Als Maria ihn sah, erschrak sie über seine Worte und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.
Der Engel sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Du sollst ihm den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakobs in Ewigkeit herrschen, und sein Reich wird kein Ende haben.“
Maria fragte den Engel: „Wie kann das sein?“
Er antwortete ihr: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Siehe, Elisabeth, deine Verwandte, hat in ihrem Alter auch einen Sohn empfangen und ist jetzt im sechsten Monat. Früher galt sie als unfruchtbar. Denn bei Gott ist nichts unmöglich.“
Maria sagte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Dann verließ der Engel sie.
Ja, diese Geschichte kennen vermutlich die meisten schon. Wir befinden uns jetzt im Norden Israels, im galiläischen Bergland. Wenn man sich die Karte Israels vor Augen hält, sind wir etwas nördlich vom Karmel, dem heutigen Standort von Haifa. Gleichzeitig liegen wir westlich vom See Genezareth.
Von Kapernaum, das am Nordrand des Sees Genezareth liegt, ging man damals meist zu Fuß. Die Entfernung bis in die Berge nach Galiläa, also bis nach Nazareth, betrug ungefähr eine Tagereise. Dabei steigt man von der Stelle unterhalb des Meeresspiegels, wo der See Genezareth liegt, hinauf in die galiläischen Berge.
Wer in der historischen Literatur nach Nazareth sucht, wird vor der Zeit des Neuen Testaments vergeblich suchen. Die Stadt Nazareth wird weder im Alten Testament erwähnt noch in jüdischen oder römischen Quellen aus jener Zeit. Dennoch gibt es inzwischen Ausgrabungen, die zumindest unsicher bestätigen, dass Nazareth zu der Zeit, von der hier die Rede ist, existierte.
Nazareth wurde von Auswanderern aus dem Süden des Landes gegründet. Judäa ist im Vergleich zu Galiläa deutlich trockener, was die Landwirtschaft erschwert. Bei wachsender Bevölkerungszahl zogen deshalb einige Juden aus Judäa in das fruchtbarere galiläische Bergland. Dort gründeten sie vermutlich in den Jahrzehnten vor der Geburt Jesu die Stadt Nazareth.
Zu diesen Auswanderern gehörten nach unserem Wissen auch die Vorfahren von Joseph, der dort lebte. Es wird erwähnt, dass er ein Nachfahre König Davids war. Als der römische Kaiser eine Volkszählung ankündigte, musste Joseph nach Bethlehem, da seine Familie von dort stammte.
Aus ähnlichen Volkszählungen in Syrien und Ägypten wissen wir, dass man sich dort zählen lassen musste, wo man Grundeigentum besaß. Vermutlich besaß Josephs Familie dort Land, das er geerbt hatte. Deshalb musste er zur Volkszählung von Nazareth nach Bethlehem reisen. Joseph selbst oder seine direkten Vorfahren waren von Bethlehem nach Nazareth ausgewandert.
Über Maria wissen wir nicht genau, woher sie stammte. Joseph hingegen entstammte der Familie Davids, was damals nicht ungewöhnlich war.
Wenn wir jetzt darüber nachdenken, war doch allen klar, dass Joseph der künftige Prinz sein würde. Ganz so einfach ist das jedoch nicht. Wir wissen, dass David viele Frauen und noch mehr Kinder hatte. Diese Kinder wiederum hatten zahlreiche Nachkommen. Wahrscheinlich gab es damals Tausende in Israel, die sich auf David zurückführen konnten, da der Stammbaum immer größer wurde.
Das bedeutet, in Israel dachte niemand speziell an Joseph als künftigen Thronherrscher. Trotzdem war er mit David verwandt. In der Bibel finden wir sogar zweimal den Stammbaum Jesu, in dem auch erwähnt wird, auf welche Weise er mit König David verwandt ist.
Deshalb wird Jesus als Sohn Davids vorgestellt. Das ist nicht buchstäblich gemeint, sondern im übertragenen Sinne als Nachkomme Davids. Im Alten Testament wurde verheißen, dass einer dieser Nachkommen Davids wieder einmal auf dem Thron in Israel sitzen wird. Dieser Nachkomme wird das Land in Unabhängigkeit führen und herrschen wie sein Stammvater David.
Der Engel sagt sogar, dass er das Haus Jakobs für Ewigkeit regieren wird – und zwar in außerordentlich größerem Maße. Darauf wartete man. Dieses Versprechen verband man mit dem angekündigten Messias.
Manche Gruppen damals hofften, dass dieser Messias Israel aus der Gefangenschaft und Unterdrückung der Römer befreien würde. Das war die Hoffnung, die man mit dem Messias verband. Und einer, der aus der Familie Davids kam, galt als geeigneter Kandidat.
Maria lebte in einem damals relativ kleinen Ort, Nazareth. Zu dieser Zeit war Nazareth sehr überschaubar.
Wer heute nach Nazareth kommt, kann unter anderem die Wohnung von Maria und Joseph besichtigen. Diese befindet sich unterhalb der Marienkirche, einer der größten Kirchen im gesamten Nahen Osten, die speziell der Maria geweiht ist. In diesem Gebäude sind zahllose Bilder verschiedener Darstellungen von Maria aufgehängt.
Ganz unten in der Kirche sieht man die Reste eines Hauses aus der Zeit des Neuen Testaments. Manche Menschen gehen davon aus, dass es sich dabei um das Haus von Maria und Joseph handelt. An einer anderen Stelle wurde ebenfalls eine Kirche errichtet, und dort soll sich die Werkstatt von Joseph befunden haben. Im Neuen Testament lesen wir, dass Joseph ein Technon war – eine Art Techniker oder Baumeister. In vielen Bibeln wird dieser Begriff mit „Zimmermann“ übersetzt, was nicht ganz korrekt ist, da diese Handwerker sowohl mit Stein als auch mit Holz arbeiteten. Im Großen und Ganzen beschreibt das aber den Beruf von Joseph.
Jesus lernte diesen Beruf von seinem Vater. Wenn Jesus später auftritt, wird ihm häufig gesagt, dass er der Sohn des Zimmermanns sei oder selbst Zimmermann sei. Als Jesus mit etwa dreißig Jahren öffentlich auftrat, hatte er zuvor mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens fünfzehn Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Das erklärt auch, warum er in seinen Gleichnissen oft Beispiele aus dem Hausbau verwendet – er greift auf seine frühere Arbeit zurück.
Nazareth war also ein kleines Dorf. Heute kann man dort noch die Reste einer Synagoge sehen. In dieser Synagoge hielt Jesus etwa 33 Jahre nach der Ankündigung seiner Berufung seine Antrittspredigt. Von dort wurde er vertrieben, und die Bevölkerung wollte ihn den Berg hinabstürzen. Das zeigt, dass Nazareth nicht im Flachland liegt, sondern in einem bergigen Gebiet gebaut wurde.
Wer die Gelegenheit hat, Nazareth zu besuchen, dem sei das Nazareth Village empfohlen. Es wird vom CvdM geführt und von Gläubigen betreut. Dort gibt es ein biblisches Freilichtmuseum, in dem ein Weinberg aus der Zeit Jesu freigelegt wurde. Man kann die Gebäude und die Weinpresse besichtigen. Wahrscheinlich hat auch Jesus diesen Weinberg gesehen, da er sich unmittelbar in der Nähe des Dorfes befand. Jesus verwendete zahlreiche Gleichnisse über Weinanbau und Weinberge, und möglicherweise hatte er genau diesen vor Augen.
Es ist nicht genau bekannt, wo Maria sich zu dem Zeitpunkt aufgehalten hat, als der Engel Gabriel zu ihr kam. Der Text sagt lediglich, dass der Engel zu einer Jungfrau namens Maria ging und zu ihr hereintrat. Wo genau „herein“ ist, wird nicht klar beschrieben.
Aus diesem Grund streiten heute die beiden großen Konfessionen, katholisch und orthodox, in Nazareth darüber, an welchem Ort die Begegnung stattgefunden hat. Deshalb gibt es dort zwei Kirchen, die jeweils für sich beanspruchen, der genaue Ort zu sein, an dem der Engel Gabriel Maria begegnet ist.
Wir wissen es also nicht genau. Die beiden Kirchen liegen nur ein paar hundert Meter auseinander. Daher kann man ungefähr sagen, dass es an einem dieser Orte gewesen sein muss – vielleicht ein paar hundert Meter hier oder dort. Einige vermuten, dass Maria zu diesem Zeitpunkt an der Quelle war. Damals gab es im Ort nur eine Quelle, die es heute übrigens auch noch gibt. Dort wurde ein kleines Gebäude errichtet, um die Quelle vor dem Austrocknen zu schützen. Die Annahme ist, dass Maria an einem öffentlichen Ort beim Wasserholen war.
Andere sagen hingegen, dass Maria zu Hause war. Genau wissen wir es nicht. Das „herein“ könnte das Brunnenhäuschen meinen, aber auch das Haus. Wenn Maria zu Hause war, dann war sie zu diesem Zeitpunkt verlobt, aber noch nicht verheiratet. Sie war eine junge Frau. Ihr genaues Alter wissen wir nicht, vermutlich war sie sehr jung, denn damals heiratete man deutlich früher als heute.
Es war üblich, mit 14, 15 oder 16 Jahren zu heiraten. Man darf das aber nicht mit heute vergleichen, denn damals war man in diesem Alter viel erwachsener. Die jungen Männer hatten meist ihre Berufsausbildung abgeschlossen und arbeiteten bereits. Sie galten als erwachsen und hätten heiraten können. Mit 20 Jahren galt man damals schon als relativ alt zum Heiraten, also eher zu spät.
Ob sich heute junge Frauen ab 14 Gedanken über eine frühe Heirat machen müssen, ist fraglich. Damals war die Situation eine andere, heute läuft das anders. Ein bisschen Warten ist heute durchaus sinnvoll, nicht zu lange, aber eben auch nicht zu früh.
Maria müssen wir uns also eher als junges Mädchen vorstellen. Wenn sie zu Hause war, dann im Haus ihrer Eltern. Die Häuser damals in Galiläa waren einfach, da die Leute meist nicht reich waren. Es waren normalerweise Einraumhäuser von etwa fünf mal fünf Metern, mit nur einem Stockwerk und einem Flachdach. Oft gab es eine Leiter an der Seite, um aufs Dach zu steigen. Im Sommer schlief man dort oben, wenn es sehr warm war. Auch wurden dort häufig die Laubhütten beim Laubhüttenfest aufgebaut. Das Dach war also das Obergemach.
So ein Haus müssen wir uns vorstellen. Maria war in dem einzigen Raum, den die Familie hatte. Dort schlief man in der Nacht und arbeitete am Tag. Dort wurde auch gekocht. Im Text werden keine anderen Personen erwähnt. Es scheint, als wäre Maria zu diesem Zeitpunkt allein im Haus.
Häuser waren damals nicht so verschlossen wie heute. Es gab keine Schlösser, höchstens einen Riegel oder Balken, der nachts vor die Tür gelegt wurde, um sie zu sichern. Ansonsten waren die Häuser offen.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass plötzlich dieser Bote Gottes erscheint. Wir wissen nicht einmal genau, ob Maria sofort erkannte, dass es ein Engel war. Aus der Bibel wissen wir, dass Engel oft wie ganz normale Menschen aussehen.
Maria erschrickt hier, aber nicht unbedingt wegen eines großen Leuchtens, wie es später bei den Hirten auf dem Feld beschrieben wird. Dort singen sie Halleluja, und ein helles Licht beeindruckt sie. Davon lesen wir hier nichts.
Wahrscheinlich erschreckt sich Maria einfach, weil plötzlich ein völlig fremder Mann in ihrem Haus oder im Brunnenhäuschen steht. Damals gab es nicht viele Besuche wie heute, und man reiste nicht einfach zum Spaß umher. Plötzlich ist man allein in seinem Haus, und dann kommt jemand herein, den man nicht kennt. Das ist erst einmal beängstigend.
Besonders für ein junges Mädchen, das allein ist, ist das beunruhigend. Damals war es sogar eher zwielichtig oder unanständig, wenn ein Mann allein zu Besuch kam, vor allem wenn die Familie nicht zuhause war. Normalerweise durfte ein Mann nur zu Besuch kommen, wenn die Familie anwesend war – so wie es im Orient bis heute üblich ist.
Das ist vermutlich der Grund für Marias Schrecken. Auch die ungewöhnliche Begrüßung durch den Engel trägt dazu bei. Er sagt nicht einfach „Schalom“, was die normale Begrüßung gewesen wäre, und bittet auch nicht um Wasser, sondern wendet sich direkt an sie, weil er zu ihr gesandt ist.
Es könnte sein, dass der Engel auf andere Weise erkennbar war, aber das wird in der Geschichte nicht erwähnt. Es scheint einfach ein Mann zu sein, der als Engel Gottes zu Maria spricht.
Maria wird in der Bibel immer als anständige, fromme und gottesfürchtige junge Frau dargestellt. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum Gott sie auserwählt hat, seinen Sohn, Jesus, zur Welt zu bringen.
Und dann kommt diese ganze Geschichte, in der der Engel mit Maria spricht. Zunächst wird uns gesagt, dass sie mit Joseph verlobt war. Damals in Israel war es üblich, etwa ein Jahr lang verlobt zu sein. Die Verlobung wurde zwischen den Familien vereinbart – der Familie des Bräutigams und der Familie der Braut sprachen miteinander. Dabei sollte abgeklärt werden, ob die beiden zueinander passten.
Das Paar durfte natürlich auch selbst entscheiden, ob es Ja oder Nein sagte. Es war also nicht alles nur vorgeschrieben. Während dieses Jahres bereitete sich der Mann auf die Ehe vor. Dazu gehörte unter anderem, ein zusätzliches Haus zu bauen. Dieses wurde meist als Anbau an das Elternhaus errichtet, also ein Zimmer mehr. Danach wohnte man beim Haus des Bräutigams, also beim Vater des Bräutigams.
Joseph hatte wahrscheinlich in der Zwischenzeit dieses Haus gebaut und war damit beschäftigt. Ab und zu trafen sich Maria und Joseph, natürlich nur in der Öffentlichkeit. Das Ganze sollte ja anständig sein. Maria freute sich, denn bald war die Hochzeit. Damals war die Hochzeit das größte Fest im Leben der Menschen.
Von Maria wird uns auch ganz eindeutig gesagt, dass sie Jungfrau war. Später im Text sagt sie sogar noch: „Wie kann das sein? Ich weiß doch von keinem Mann.“ Hier ist natürlich etwas anderes gemeint, als es buchstäblich erscheint. Sonst müssten wir sagen: „Ja, liebe Maria, lebst du hinter dem Mond? Weißt du nicht, dass es Männer und Frauen gibt?“
Maria würde natürlich antworten: „Ja klar, ich weiß, was ein Mann ist. Ich habe einen Vater, wahrscheinlich Brüder, Cousins und so weiter.“ Wenn sie also sagt: „Ich weiß von keinem Mann“, meint sie nicht, dass sie nicht weiß, was ein Mann ist, sondern dass sie mit keinem Mann zusammengeschlafen hat.
Das war Maria ja klar. Sie konnte gar nicht schwanger werden, wenn sie nicht mit einem Mann zusammen war. Sie war eine anständige junge Frau, verlobt mit Joseph, und hatte mit keinem Mann geschlafen. Deshalb beteuert sie das dem Engel gegenüber auch noch einmal.
Der Engel sagt zu ihr: „Maria, du wirst schwanger werden.“ Dabei ist kein Mann beteiligt. Du wirst auf übernatürliche Weise schwanger werden, wie es sonst in der Weltgeschichte nicht vorkommt – auch nicht bei anderen Frauen, die schwanger werden.
Im Alten Testament denken wir an Hannah oder hier im Neuen Testament an Elisabeth. Bei ihnen ist es nicht genau dieselbe Art von Wunder. Es wird nicht gesagt, dass das Kind übernatürlich durch den Heiligen Geist gezeugt wurde. Das Wunder bestand darin, dass eine Frau, die unfruchtbar war, plötzlich fruchtbar wurde.
Die Wahrscheinlichkeit ist eher groß, dass dies auf normalem sexuellem Weg geschah – dass sie miteinander geschlafen haben und ein Kind gezeugt wurde, obwohl eigentlich kein Kind hätte entstehen können. Zumindest wird bei Elisabeth und Zacharias nicht gesagt, dass der Heilige Geist das Kind geschaffen hat. Gott hat vielmehr ein Wunder getan, indem er einer älteren Frau eine Schwangerschaft schenkte, ähnlich wie bei Hannah im Alten Testament.
Die Bibel macht uns deutlich, dass die Entstehung Jesu absolut einzigartig ist, weil kein Mann beteiligt war. Maria war im Gegensatz zu Hannah oder Elisabeth auch nicht mehr verheiratet. Es ist also etwas ganz Besonderes.
Im Alten Testament wird vorausgesagt, dass eine Jungfrau schwanger werden und ein Kind gebären wird. Bibelkritische Autoren oder manche zweifelnde Christen können sich oft nicht vorstellen, dass eine Jungfrau schwanger werden kann. Das ist zugegebenermaßen auch eigentlich unmöglich.
Wenn zum Beispiel in der Seelsorge eine junge Frau käme und sagen würde: „Ich bin schwanger“, dann würde ich fragen: „Von wem ist das Kind?“ Wenn sie antwortete: „Vom Heiligen Geist“, dann wüsste ich nicht, wie andere Seelsorger reagieren würden. Vielleicht seid ihr viel frömmer als ich und würdet sofort denken: „Oh ja, ein Wunder ist geschehen.“ Ich würde zunächst eher denken: „Jetzt sei mal ehrlich, mit wem hast du da zusammen geschlafen?“ Denn normalerweise wird man nicht vom Heiligen Geist schwanger.
Wie gesagt, in der Bibel gibt es einen einzigen Fall, und deshalb wiederholt sich das normalerweise nicht. Wenn du schwanger wirst, steckt meistens etwas anderes dahinter. Eine junge Frau wird schwanger werden, aber manche Leute zweifeln daran und sagen: „Eine junge Frau kann doch gar nicht schwanger werden.“ Und die Leute haben ja Recht.
Wenn wir jedoch alles daran messen, was unter normalen Umständen möglich ist, ohne dass Gott eingreift, dann könnten wir die Bibel gleich zuschlagen. Denn dann wäre sie weitgehend uninteressant. Was die Bibel uns hier berichten will, ist, dass Gott immer wieder in die Weltgeschichte und auch in unser Leben eingreift – außerhalb der von uns berechenbaren Naturgesetze.
Das ist ja die ganze Bibel voll davon: Jesus steht auf und befiehlt dem Sturm, still zu sein. Wie ist das möglich? Ist das auch biologisch oder physikalisch möglich? Nein, du kannst gerne den Versuch machen: Beim nächsten Sturm stellst du dich nach draußen und befiehlst dem Sturm, still zu sein. Ich gehe ziemlich sicher davon aus, dass nichts passieren wird. Vielleicht hast du zufälligerweise gerade das Ende des Sturms abgepasst. Du wartest dann, bis der Wetterbericht sagt, dass der Sturm vorbei ist, gehst nach draußen, befiehlst dem Sturm, still zu sein, und denkst: „Ich habe es geschafft.“ Aber normalerweise hört der Sturm nicht auf dich.
Oder wenn Jesus fünf Menschen speist, gibt es manche Schwachgläubige, die sagen: „Na ja, wahrscheinlich haben die alle untereinander geteilt.“ Das geht an der Geschichte vorbei. Sie haben nicht geteilt, Jesus hat ein Wunder getan.
Hier ist es genau so. Es ist nicht einfach so, wie uns heute viele akademische Theologen sagen wollen. Die sagen dann: „Im Alten Testament steht ja, eine junge Frau wird schwanger werden.“ Das hebräische Wort kann tatsächlich auch „junge Frau“ bedeuten, und „wird ein Kind bekommen“. Und dann sagen sie: „Siehst du, alles klar, jetzt sind wir wieder im Rahmen der Naturgesetze.“
Aber da müssen wir sagen: Wofür braucht es einen Propheten, um zu sagen, dass eine junge Frau schwanger werden wird? Meistens sind es junge Frauen, die schwanger werden. Was ist das Besondere?
Da gibt es einen Propheten, der sagt: Es wird einmal in der Zukunft eine junge Frau schwanger werden. Und jetzt? Was ist das Besondere? Das passiert jeden Tag tausendmal.
Das Besondere ist eben gerade, dass der Prophet eine Jungfrau meint – eine Frau, die nicht mit einem Mann zusammengeschlafen hat. Im Griechischen steht hier das Wort „Parthenos“, und das bedeutet wirklich Jungfrau, also nicht nur junge Frau, sondern eine Frau, die keinen sexuellen Verkehr gehabt hat.
Der Text macht das ganz deutlich. Wir können uns natürlich auch die Frage stellen: Warum macht Gott das denn so deutlich? Hätte Jesus nicht auch auf natürlichem Weg geboren werden können, also dass das Kind durch einen Mann gezeugt worden ist?
Nun, ich würde sagen: Natürlich hätte Gott das machen können. Gott ist allmächtig, er hätte den Weg wählen können. Ich habe den Eindruck, hier ist keine Zwangsläufigkeit darin. Er hätte Jesus auch als lebendigen Menschen schaffen können, als erwachsenen Mann wie Adam – zack, plötzlich ist er da. Das hätte Gott auch machen können.
Er hat diesen Weg gewählt, vermutlich um von Anfang an ein Zeichen zu setzen, dass Jesus eben kein normaler Mensch ist. Ich glaube, das war die wesentliche Absicht. Deshalb lässt er auch die Engel bei den Hirten erscheinen und schickt die Weisen aus dem Morgenland aus Persien, um zu Jesus zu kommen. So wird von Anfang an deutlich gemacht: Dieses Kind ist kein normales Kind, da ist Gott darin.
Denn jetzt ist erst einmal dreißig Jahre Pause, und später sollten sich die Leute daran erinnern. Wir lesen auch von Maria, dass sie alle diese Worte in ihrem Herzen bewahrte. Sie sollten sich erinnern, weil jetzt Jesus auftritt und sagt: „Ich bin der, der da kommen soll.“ Dann konnten sie sich erinnern: Ja, das stimmt, damals ist etwas total Außergewöhnliches passiert.
Und nicht nur eine Sache, sondern wir merken, wenn wir die Weihnachtsgeschichten lesen, dass ganz häufig seltsame Dinge passiert sind.
Also wählt Gott den Weg, dass er eine Jungfrau, eine fromme Jungfrau, eine verlobte Jungfrau erwählt und sagt: „Du sollst schwanger werden.“ Und der Engel sagt zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade bei Gott gefunden.“
Wenn man versucht, sich in die Lage dieser jungen Frau hineinzuversetzen – ich bin ja selbst keine Frau –, würde ich zunächst denken: Dankeschön, darauf kann ich eigentlich verzichten.
Stell dir vor, du bist eine junge Frau. Hier sind ja einige junge Frauen, zum Beispiel hier vorne. Du kommst zu deinen Eltern und sagst: „Mama, Papa, ich bin schwanger. Das ist die Gnade Gottes.“ Doch nun hast du Ärger am Hals. Wahrscheinlich gibt es Probleme mit deinen Lehrern, Nachbarn und Geschwistern, weil niemand dir glaubt. Und deine Eltern wahrscheinlich auch erst mal nicht.
Maria wohnte damals noch bei ihren Eltern, das war normal. Man wohnte nicht als Single, sondern bei den Eltern. Jetzt erzähl deinen Eltern mal: „Ich bin schwanger.“ Wir kennen die Reaktion, die im Parallelevangelium beschrieben wird. Als Josef davon erfährt, liebt er Maria so sehr, dass er nicht will, dass sie gesteinigt wird, was eigentlich passieren müsste, wenn man sagt, sie hätten zusammengelebt, obwohl sie nicht verheiratet waren.
Deshalb will er die Verantwortung auf sich nehmen und sie heimlich verlassen, aus der Stadt wegziehen, damit man ihm die Schuld zuschiebt. Das heißt nicht, dass er böse ist, sondern dass er es einfach nicht verstehen kann. Er denkt, Maria habe, obwohl sie verlobt war, mit einem anderen geschlafen. Er selbst hat es nicht getan, also fragt er sich, woher das Kind kommt.
Möglicherweise zerbricht ihre Liebe, ihre Ehe geht den Bach runter. Sie ist im Dorf verschrien als unanständige Frau, die schwanger geworden ist, ohne verheiratet zu sein. Keiner weiß, woher das Kind stammt. Spätere jüdische Theologen aus dem zweiten, dritten und vierten Jahrhundert haben diese Situation benutzt, um Jesus schlechtzumachen. Sie behaupteten, Maria hätte eine Affäre mit einem römischen Soldaten namens Panthera gehabt, und Jesus sei daraus entstanden.
Das ist eine interessante Geschichte, die geradezu zu Hollywood und der modernen Medienlandschaft passen würde. Eine Affäre – so etwas. Aber es gibt keinen einzigen historischen Hinweis dafür. Wenn jemand zweihundert Jahre später so eine Geschichte erfindet, kann man sagen, das ist ein Phantasieprodukt. Keiner aus der damaligen Zeit hat so etwas geäußert.
In jedem Fall sagt der Engel zu Maria: „Sei froh, du bist von Gott auserwählt, du wirst schwanger werden.“ Für Maria muss das zunächst ein Schock gewesen sein. Zum einen, weil sie sagt, sie habe mit niemandem geschlafen. Zum anderen, weil ihr sofort klar wird, dass sie große Probleme bekommen wird – mit ihrem Verlobten, mit ihren Eltern, mit ihren Freundinnen und mit dem ganzen Dorf. Denn sobald ihr Bauch sichtbar wird, wird das Dorf darüber sprechen.
Was macht man da? Maria rebelliert nicht, sondern ist bereit, sich Gott unterzuordnen. Sie bricht nicht aus, aber es muss eine schwierige Situation für sie gewesen sein. Da kommt ein Mann, den sie nicht kennt, grüßt sie und kündigt ihr etwas an, das ein besonderes Geschenk Gottes sein soll. Und das bringt ihr ganzes Leben durcheinander.
Was hier gesagt wird, ist erstaunlich: „Dieser wird groß sein, ein Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihn auf dem Thron seines Vaters David setzen. Er wird über das Haus Jakobs in Ewigkeit herrschen, und sein Reich wird kein Ende haben.“ Das ist die Vorhersage über Jesus. Hier wird deutlich, dass Jesus nicht irgendein normales Kind sein wird, sondern ein Herrscher – und zwar ein Herrscher für Ewigkeit.
Das ist menschlich kaum vorstellbar, denn wir Menschen sterben irgendwann. Wie kann das ewig sein? Man könnte meinen, dass seine Nachkommen für immer herrschen. Doch wenn man das mit anderen Bibelstellen vergleicht, wird klar: Jesus selbst herrscht ewig, weil er ewig lebt.
Manche Jünger werden sich später an diese Worte erinnert haben, weil Maria sie ihnen erzählt hat. Wir wissen, dass die Jünger mit Maria zu tun hatten. Maria war unter dem Kreuz, als Jesus hingerichtet wurde. Nur so konnte Lukas wissen, was der Engel damals gesagt hatte – weil Maria es ihm erzählt hatte.
Die Jünger wussten also, was der Engel zu Maria gesagt hatte. Maria hat es in ihrem Herzen bewahrt. Über dreißig Jahre später wusste sie es noch. Doch es lief nicht so, wie man es sich vorgestellt hatte. Jesus ist gestorben und wurde während seines Lebens auf der Erde nicht Herrscher Israels im wörtlichen Sinne. Er wurde nicht König in Israel.
Hier stehen wir vor einer herausfordernden Beschreibung: Einiges von dem, was hier steht, hat sich schon erfüllt. Anderes wird sich erst in der Ewigkeit erfüllen. Das lesen wir zum Beispiel in Matthäus 24. Wenn Jesus das nächste Mal wiederkommt, werden die Engel posaunen, er wird am Himmel erscheinen, alle Menschen werden ihn sehen, und alle Knie werden sich vor ihm beugen.
In der Offenbarung wird beschrieben, dass es ein tausendjähriges Friedensreich unter der Herrschaft Jesu geben wird. Von Jerusalem aus wird er die ganze Welt regieren. Dann wird sich das, was hier angekündigt wurde, wortwörtlich erfüllen: Jesus wird Herrscher der Welt, nicht nur geistlich, als Herr der Herzen oder des Geistes, sondern auch materiell, irdisch.
Wenn wir dann vom himmlischen Jerusalem lesen, heißt es, Jesus wird bei ihnen wohnen und unter ihnen sein. Sie werden zusammen sein, und er wird für alle Ewigkeit Gemeinschaft mit allen haben, die zu ihm gehören.
Das, was der Engel ankündigt, hat sich zum Teil im Leben Jesu erfüllt, zum Teil steht es noch aus und wird sich in der Zukunft erfüllen – so, wie Jesus es selbst angekündigt hat. Für die Menschen damals war das noch nicht ganz so deutlich sichtbar.
Es wird beschrieben, wie die Geburt vonstattengehen soll: Sie wird durch den Heiligen Geist bewirkt, und dann wird das Kind geboren. Es wird auch gesagt, welchen Namen das Kind bekommen soll. Wir nennen das Kind Jesus. Im Hebräischen wäre das eher Joshua, so wurde Jesus damals im Hebräischen ausgesprochen. Und so wird Jesus auch genannt. Wir nennen ihn Jesus Christus. Christus ist das griechische Wort für den Messias. Jesus der Messias bedeutet also Jesus der Gesalbte.
Dann wird noch einmal darauf hingewiesen, dass ihre Verwandte, nämlich Elisabeth, ebenfalls schwanger geworden ist – allerdings sechs Monate früher. Das Kind von Elisabeth ist Johannes der Täufer. Hier merken wir, dass Johannes der Täufer und Jesus irdisch gesehen miteinander verwandt waren. Johannes der Täufer war etwa ein halbes Jahr älter als Jesus, also ungefähr gleich alt, aber eben ein halbes Jahr älter, da Elisabeth früher schwanger wurde.
Wenn wir die Geschichte weiterlesen, erfahren wir, wie Maria zu Elisabeth zieht und dort bleibt. Wir wissen nicht genau, warum sie das tut. Es könnte damit zusammenhängen, dass sie erst einmal die Situation klären möchte, gerade weil die Schwangerschaft sichtbar wird. Vielleicht war das auch mit den Eltern abgesprochen. Es könnte sein, dass man im Dorf nicht sehen soll, dass Maria schwanger und nicht verheiratet ist. Deshalb geht sie weg, an einen Ort, wo man sie nicht kennt und die Einzelheiten nicht bekannt sind – nämlich zu Elisabeth.
Elisabeth kann Maria gut verstehen, denn auch sie ist auf übernatürliche Weise schwanger geworden, wenn auch mit einem Mann. Das wird uns berichtet. Kurz vor der Geburt von Elisabeth verlässt Maria sie wieder und kehrt nach Nazareth zurück. Zwischenzeitlich haben Maria und Joseph geheiratet, wie die Bibel beschreibt. Gemeinsam ziehen sie dann nach Bethlehem, wo Jesus geboren wird.
Heute gibt es manche, die versuchen, einen Widerspruch in die Bibel hineinzuinterpretieren. Sie sagen, manche Bibelstellen behaupten, Jesus sei in Nazareth geboren, andere sagen, er sei in Bethlehem geboren. Daraus schließen sie, es müsse ein Widerspruch sein. Wenn man jedoch die Bibel liest, findet man keinen solchen Widerspruch.
Jesus wird als Jesus von Nazaret bezeichnet. Das bedeutet aber nicht, dass er dort geboren wurde. Auch bei anderen Menschen wird nicht immer der Geburtsort genannt, sondern der Ort, an dem sie aufgewachsen sind oder eine wichtige Lebensstation hatten. Zum Beispiel Anselm von Canterbury: Man könnte denken, er sei in Canterbury geboren, aber tatsächlich wurde er in Aosta in Italien geboren und starb in Canterbury.
Genauso ist es bei Jesus. Er wird Jesus von Nazaret genannt, weil er dort aufgewachsen ist. Die Bibel behauptet nicht, dass er dort geboren wurde. Nach der Geburt lebte er für eine kurze Zeit mit seinen Eltern in Ägypten, weil König Herodes versuchte, Jesus als möglichen Thronfolger auszuschalten und umzubringen. Dies ist bekannt als der Kindermord von Bethlehem.
Diese Zeit in Ägypten war nur sehr kurz, denn Herodes starb etwa zur Zeit der Geburt Jesu. Danach verließen sie Ägypten und zogen nach Nazareth, wo beide ursprünglich heimisch waren. Dort wuchs Jesus auf. Das bedeutet, dass er etwa 90 bis 95 Prozent seiner Kindheit mit seinen Eltern in Nazareth verbrachte. Deshalb ist es vollkommen korrekt, ihn Jesus von Nazareth zu nennen, auch wenn er in Bethlehem geboren wurde. Das war nur ein kurzzeitiger Aufenthalt.
Wenn wir uns das Ganze so durchlesen, stellt sich natürlich die Frage, wie wir damit umgehen, was wir damit machen oder was uns diese Geschichte heute sagen will.
Zunächst einmal ist es die Beschreibung der Heilsgeschichte. Wir sehen darin, wie Gott mit Menschen Geschichte schreibt und wie vorbereitet wird, dass Gott Mensch wird. Das ist für uns eigentlich unvorstellbar. Wie kann der Gott, der das ganze Universum erfüllt und größer ist als alles, was wir uns vorstellen können, in dem kleinen Körper eines Kindes Platz nehmen? Eigentlich ist das aus logischer Sicht kaum nachvollziehbar.
Oder überhaupt: Wie können wir uns vorstellen, dass Jesus von Anfang an Gott war? Biblisch gesehen müssen wir sagen: Ja, er war von Anfang an Gott, auch schon vor seiner Geburt.
Wie war das also, wenn Gott als Kind da ist? In der Bibel finden wir erstaunlich wenig darüber beschrieben. Deshalb gibt es apokryphe Evangelien aus dem zweiten und dritten Jahrhundert, die alle möglichen Erfindungen enthalten. Man spricht heute von Kindheitsevangelien wie dem Thomas-Evangelium, dem Jakobus-Evangelium oder dem Maria-Magdalena-Evangelium. Dort werden spannende Geschichten erzählt, was Jesus als Kind wohl getan haben könnte.
Im Thomas-Evangelium findet sich zum Beispiel die Geschichte, dass Jesus mit seinen Freunden in Nazareth aus Lehm kleine Tiere geformt habe. Weil Jesus ja Gott war, hauchte er die Tiere an, und sie wurden lebendig. Andere Figuren blieben nur Lehmfiguren. Eine nette Geschichte, die wahrscheinlich nie stattgefunden hat.
Wenn wir das auf unsere heutige Zeit übertragen würden: Stell dir vor, du spielst mit deinen Freunden und plötzlich sagt einer „Zack, lebendig!“ – und dann hüpft ein kleines Pferd wirklich. Wie hätte Jesus das als Gott machen können? Klar, hätte er das tun können. Aber wir haben keinerlei Hinweis, dass es wirklich passiert ist. Das ist reine Fantasie.
In der Bibel lesen wir eher, dass Jesus wie ein ganz normales Kind aufwuchs, aber ohne Sünde und mit besonderer Weisheit. Das merken wir zum Beispiel, als Jesus als Zwölfjähriger im Tempel ist.
Wir werden hier in dieser Geschichte mit hineingenommen in den Plan Gottes, wie er auf der Erde für die Heilsgeschichte handelt. Diese Geschichte ist für uns alle relevant und wichtig, denn hier wird erzählt, wo Gott Mensch geworden ist.
Ich glaube, dass wir am Beispiel von Maria auch selbst herausgefordert werden, etwas für uns zu lernen. Es geht nicht nur darum, uns zu erinnern, wie es vor 2000 Jahren war, oder uns einfühlen in den Schock, den Maria erlebt haben muss, und das Wunder, dass Gott eine Jungfrau schwanger gemacht hat. Vielmehr können wir daraus etwas für unseren Alltag mitnehmen.
Das gilt nicht nur für junge Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren, sondern auch für Männer und ältere Frauen. Wenn wir Maria betrachten, sehe ich einen wichtigen Punkt: Wir sollten in unserem Lebensplan, den hoffentlich jeder von uns hat, die Bereitschaft haben, Gott hineinsprechen zu lassen. Genau das tut Maria hier. Sie ist bereit, Gott in ihr Leben und ihren Lebensplan hineinsprechen zu lassen.
Ich vermute, die meisten von euch – zumindest mir geht es so – haben bereits einen relativ festen Plan, wie das nächste Jahr aussehen soll. Vielleicht habt ihr schon den Urlaub geplant, wisst, wie es beruflich weitergeht oder wollt zuhause etwas renovieren. Wir wissen als Bibelleser, besonders aus dem Jakobusbrief, dass wir vorsichtig sein sollen und immer dazu sagen: „So Gott will und wir leben.“ Wir planen also in die Zukunft, sagen aber: „So Gott will, werden wir dort Urlaub machen, einen Schulabschluss schaffen, umziehen oder dies und das tun.“
Solche Planungen sind nicht falsch. Wir dürfen mit Vernunft und Gebet planen, ohne utopisch zu sein. Doch wir sollten immer bereit sein, wie Maria, dass Gott auch plötzlich dazwischen grätschen kann. Dass etwas ganz anders läuft, als wir es geplant haben.
Bei Maria war das so. Sie hatte ihre Hochzeit geplant, war verlobt und dachte bestimmt schon an die gemeinsame Wohnungseinrichtung. Sie hoffte auf Kinder, aber natürlich erst nach der Hochzeit – so, wie es junge Menschen sich in ihrer Zukunft vorstellen. Alles korrekt, nichts Falsches, alles im Sinne Gottes. Ich gehe jetzt nicht darauf ein, dass wir manchmal Dinge planen, die vielleicht mit Sünde zu tun haben – das ist eine andere Diskussion. Aber wir können auch Dinge planen, die den Maßstäben Gottes entsprechen, die richtig sind und gegen die Gott prinzipiell nichts hat.
Dennoch braucht es immer wieder die Bereitschaft, dass Gott in unseren Tages-, Jahres- oder Lebensplan hineinredet und die Weichen anders stellt. Dass es nicht so läuft, wie wir ursprünglich vorhatten. Manchmal kann es so sein wie bei Maria, die zwar erschrocken war, aber später erkannte, dass der, der zu ihr sprach, ein Engel Gottes war.
Ich vermute, dass den meisten von uns noch kein leibhaftiger Engel erschienen ist. Ich sage das vorsichtig, weil ich nicht weiß, was euch schon passiert ist. Die Bibel berichtet, dass Engel manchmal in Gestalt ganz normaler Menschen erscheinen, sodass wir es oft nicht einmal merken. Der Normalfall, wenn Gott in das Leben von Menschen spricht, ist aber nicht durch Engel. Das passiert sehr selten.
Gott kann zum Beispiel durch einen Bibeltext zu dir sprechen, der dir direkt ins Herz trifft. Manchmal benutzt er einen Bruder oder eine Schwester, die dir etwas sagen, und du merkst sofort, dass das nicht nur ihre Meinung ist, sondern Gott dahintersteht. In der Bibel lesen wir auch, dass Gott Träume oder Visionen gebraucht hat, wie beim Paulus, der im Traum den Ruf hörte: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.“ Oder Petrus, der in einer Vision ein Tuch vom Himmel sieht mit unreinen Tieren und aufgefordert wird, davon zu essen.
Solche übernatürlichen Wege sind möglich, aber auch eher die Ausnahme als die Regel. Normalerweise spricht Gott durch den Heiligen Geist in unser Gewissen und Denken hinein, durch andere Geschwister oder durch Umstände. Er kann aber auch andere Wege wählen, soweit wir sicher sein können, dass es keine Einbildung ist.
Was wir grundsätzlich tun sollten – und dazu möchte ich euch heute ermutigen – ist, offen zu sein. Wenn ihr an das nächste Jahr denkt oder an die kommende Woche, seid bereit, dass Gott auch entgegen oder anders als eure Pläne in euer Leben hineinsprechen darf. Dass etwas passiert, das euer Leben durcheinanderbringt und nicht mehr so läuft, wie ihr es geplant habt. Aber vielleicht ist es der Weg Gottes.
Vielleicht sagt Gott dir, du solltest deinen Job wechseln, weil er jemanden braucht, der in Ostdeutschland Gemeindegründungsarbeit macht. Oder er möchte, dass du deinen Tagesplan änderst, um Zeit für alleinerziehende Mütter in deiner Umgebung zu haben. Deshalb ist es gut, nicht nur abzuwarten, sondern sich aktiv an Gott zu wenden: „Ich habe das nächste Jahr geplant, aber ich will offen sein, dass du mich auch anders gebrauchen kannst.“
Manchmal erlebe ich das selbst im kleineren Maßstab. Normalerweise habe ich einen Plan für den Tag: Projekte, Sitzungen, Unterricht. Doch oft kommen plötzlich Dinge dazwischen. Letzte Woche schrieb mir jemand eine E-Mail mit einer dringenden seelsorgerlichen Frage. Ich musste schnell entscheiden: Lasse ich das zu oder sage ich, mein Plan steht fest? Manchmal klopft ein Schüler an meine Tür und bittet um Hilfe bei einer schwierigen Entscheidung. Solche Gespräche dauern oft ein bis zwei Stunden.
Dann muss ich innerlich entscheiden, ob das eine Führung Gottes ist und ich mir Zeit nehmen soll, obwohl es nicht im Plan steht, oder ob ich sage: „Nein, das ist jetzt nicht meine Sache.“ Das ist nicht immer einfach. Manchmal ist das eine richtig, manchmal das andere.
Aber wir sollten bereit sein, Gott hineinsprechen zu lassen und unseren Plan nicht so festzuhalten, dass nichts mehr dazwischenkommen kann. Wir müssen erkennen, wo Gott uns herausfordert und eine neue Aufgabe oder Wegweisung gibt. Das ist eine Herausforderung, von der wir von Maria lernen können.
Wenn solche neuen Aufgaben kommen, können sie unser Leben durcheinanderbringen. Manchmal verstehen andere das nicht, weil Gott Dinge erwartet, die nicht sofort nachvollziehbar sind. Das erleben wir immer wieder, auch bei Schülern, die zur Bibelschule kommen. In den ersten Wochen erzählen sie, wie sie gläubig wurden und warum sie zur Bibelschule gingen. Manche berichten, dass ihre Eltern es nicht verstanden, wenn sie ihren Job aufgaben. „Das geht doch nicht, das ist deine Zukunft!“
Das gibt es bei gläubigen und nichtgläubigen Eltern. Natürlich sollte man nicht leichtfertig einen Job aufgeben. Aber in der Bibel sehen wir, dass manchmal genau das dran ist. Sicher hat auch die Frau von Petrus gesagt: „Petrus, was fällt dir ein, mit diesem Wanderprediger Jesus durch die Gegend zu ziehen? Wer fängt jetzt die Fische und verdient das Geld für die Familie?“ Sie hatte Recht, denn die Familie brauchte Geld. Trotzdem war es richtig.
Das heißt nicht, jedem Impuls blind zu folgen, aber wir sollten überlegen, ob Jesus von uns Schritte im Glauben, in der Hoffnung und im Vertrauen erwartet. Dafür müssen wir bereit sein. Natürlich sollen wir prüfen und uns mit anderen absprechen, aber nicht von vornherein blockieren. Und dann merken wir, dass solche Schritte unter einem besonderen Segen Gottes stehen können.
Maria wird bis heute gelobt, obwohl sie weltgeschichtlich nichts Außergewöhnliches geleistet hat. Wer wird heute verehrt? Sänger, Schauspieler, Politiker – manchmal auch Erfinder, die mehr verändern, als wir denken. Maria war keine Herrscherin, hatte kein großes Vermögen und hat nichts Besonderes erfunden oder geschauspielert.
Trotzdem ist Maria uns nach 2000 Jahren in Erinnerung. Manche Schauspieler, die heute gefeiert werden, sind in zehn Jahren vergessen. Woher kommt das? Weil Maria bereit war, zu dem Zeitpunkt, als Gott sie rief, Ja zu sagen. Bereit zu sein für etwas, das sie selbst nicht machen konnte, das Gott ihr anvertraut hat, und durch das Gott ein Wunder wirkte.
Auch im weiteren Leben wird nicht berichtet, dass Maria außergewöhnlich auffiel. Sie war Mutter, vertraute Jesus beim Weinwunder zu Kana („Was er euch sagt, das tut“), war mutige Frau unter dem Kreuz, Zeugin der Auferstehung. Sie war besonders, aber der Höhepunkt ihres Lebens war genau hier, als sie sich bereit erklärte.
Wir wissen nicht, was passiert wäre, hätte sie Nein gesagt. Vielleicht hätte Gott eine andere Frau gesucht. Normalerweise handelt Gott nicht entgegen dem, wozu ein Mensch bereit ist. Manchmal wird ein Mensch gedrängt, wie Jona, der zuerst weglief, dann aber zurückkehrte.
So ist es auch bei uns. Wir sollen bereit sein. Wenn du nicht bereit bist, das zu tun, wozu Gott dich ruft, verpasst du vielleicht das Wichtigste im Leben. Du tust äußerlich nichts Falsches, aber du verpasst etwas Wesentliches.
Das Wichtige muss nicht die Gründung einer neuen Missionsgesellschaft sein oder ein weltbekannter Prediger, Erfinder oder Politiker, sondern kann auch etwas Kleineres sein. So wie bei Maria: „Du sollst ein Kind bekommen.“ Die anderen verstehen das nicht, aber dafür hat Gott dich ausgewählt.
Wenn du an das kommende Jahr denkst, bete darüber und sei innerlich offen. Sprich mit anderen darüber. Will Gott vielleicht im kommenden Jahr, vielleicht schon in den nächsten Tagen, durch dich etwas bewirken? Lass Gott Platz in deiner Alltagsplanung, damit er auch dazwischenreden kann, selbst wenn es nicht so spektakulär ist wie bei Maria.
Manchmal wirst du erleben, wie Gott dich auf wunderbare Weise gebraucht. Selbst wenn es im Moment erschreckend wirkt und du dich überfordert fühlst, wie Maria, die dachte: „Das geht doch gar nicht, ich kann das nicht.“ Wenn du aber den Eindruck hast, dass Gott das von dir möchte, und vielleicht Geschwister an deiner Seite hast, die dich bestätigen und für dich beten, dann mach mutige Schritte.
Gott will sich dadurch verherrlichen, dass wir über das hinausgehen, was wir menschlich aus eigener Kraft tun könnten. Gott zeigt seine Macht gerade in unserer Schwäche. Das ist noch beeindruckender, als wenn Hochbegabte etwas tun, wo man denkt: „Das könnte er auch alleine schaffen.“
Natürlich sollen auch Hochbegabte ihre Gaben für Jesus einsetzen und überlegen, wie sie das gut tun können. Aber manchmal fordert Gott uns heraus, gerade wenn wir uns überfordert fühlen, weil er sich dadurch groß machen will. Er will im Mittelpunkt stehen, durch das, wofür er uns Kraft gibt.
Das ist ein wichtiger Gedanke für heute Morgen. Ich hoffe, du nimmst ihn mit. Denk an das kommende Jahr, hoffentlich auch an die nächste Woche und an deinen Lebensplan. Lerne von Maria: Sei bereit, Gott hineinsprechen zu lassen. Sei offen für das Reden Gottes und das, was er mit dir vorhat.
Lass dich gebrauchen, damit Gott verherrlicht wird. Manchmal geschieht etwas, wo du deutlich weißt: Das kommt nicht von mir. Das ist Gott, der in mir wirksam war und mich gebraucht hat, um weitere Schritte zu gehen.
Bete darum, dass Gott dir Klarheit gibt durch den Heiligen Geist. Rede mit anderen Geschwistern, die dir helfen können zu erkennen, ob es eine dumme Idee ist oder wirklich Gottes Reden. Dann mach mutige Schritte voran.
Das Reich Gottes braucht Menschen, die sich mutig für ihn einsetzen – in der Umgebung, in der wir leben, und bestimmt auch mit dir. Mit kleineren oder größeren Schritten. Amen.