Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Er wird jetzt auf Anraten seines Arztes die Krankheit auch wirklich auskurieren, damit er bald wieder gesund hier an der Kanzel stehen kann. Es geht ihm schon etwas besser, und er meint, dass er auf dem Weg der Besserung ist.
Am Freitagabend hat er mich dann angerufen und gefragt, ob ich für ihn einspringen kann. Mein Name ist von Kupsch, ich wohne in unmittelbarer Nachbarschaft der Familie Lohmann. Wir sind mit unserer jüngsten Tochter, meiner Frau und knapp drei Monaten hierher nach München gezogen.
Demnächst werden wir uns um die Mitgliedschaft in dieser Gemeinde bewerben. So viel kurz zu mir. Nun kommen wir zur Predigt.
Unerwartete Momente im Leben
Es geschehen manchmal Dinge, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich so passiert sind. Sie kommen ganz unerwartet. Das, was jemand in jenem Moment erlebt, erscheint ihm fast unwirklich.
Das Fußball-Halbfinalspiel zwischen Brasilien und Deutschland während der WM 2014 war für mich so ein Moment. Ich ging davon aus, dass ungefähr zwei gleich starke Mannschaften aufeinandertreffen. Am Ende stand es jedoch 1 zu 7 für Deutschland. Ich konnte das einfach nicht glauben. Ich war kurz draußen, kam wieder rein, und in der Zwischenzeit waren drei Tore gefallen.
Noch so ein merkwürdiger Moment: Vor einigen Jahren, das ist über zehn Jahre her, bin ich von Berlin nach Köln geflogen. Ich saß mit jungen Typen im Flugzeug, die ganz merkwürdige Frisuren hatten – sehr lange Haare. Ich traf sie dann wieder bei der Gepäckausgabe. Wir mussten, also ich musste mit ihnen zusammen noch warten, bis unser Gepäck endlich kam.
Als die Sachen dann da waren, gingen wir gemeinsam auf den Ausgang zu. In dem Moment ging die Schiebetür auf. Und da erwartete uns ein gewaltiges Blitzlichtgewitter, ein Teenager-Schrei, der an die Zeiten der Beatles erinnerte. Ich war völlig perplex. Tatsächlich dachte ich eine Minute lang oder zumindest darüber nach, ob sie jetzt alle wegen mir da sind. Aber irgendwie legte ich diesen Gedanken ganz schnell wieder beiseite. Ich schnappte mir jemanden und fragte: „Was ist hier eigentlich los?“
Er sagte ganz aufgeregt: „Das ist die Band Tokio Hotel.“ Ich muss gestehen, ich hatte bis dahin nicht von der Band gehört. Ihr könnt euch vorstellen, was meine Kinder dachten, als ich das am nächsten Tag zu Hause erzählte.
Es gibt solche Momente, in denen etwas Unerwartetes passiert. Wir können es nicht fassen, wir meinen vielleicht sogar, Teil eines Films zu sein. Ein solcher Moment wird uns in der Bibel im Evangelium des Lukas überliefert. In Lukas 19,1-10 wird davon berichtet, wie das Königreich Gottes in das Herz eines Menschen einzieht. Diesen Text wollen wir uns genauer anschauen.
Bevor wir das tun, werde ich noch beten:
Lieber Herr himmlischer Vater, wir danken Dir für den Sonntag, an dem Du uns in besonderer Weise zur Sammlung rufst und zu uns reden möchtest. Du hast verheißen, dort gegenwärtig zu sein, wo wir im Namen Deines Sohnes versammelt sind.
Wir kommen als die Hungrigen – speise uns!
Wir kommen als die Durstigen – erquicke uns!
Wir kommen als die Tauben – öffne uns die Ohren!
Wir kommen als die Blinden – erleuchte uns!
Wir sind Bettler – fülle unsere leeren Hände und Herzen.
Wir denken an dieser Stelle noch einmal besonders an Familie Lohmann und alle anderen Kranken in der Gemeinde. Stärke sie, lass es in ihnen und um sie herum besser werden. Rede zu Deiner Gemeinde in den vielen Gottesdiensten, die heute stattfinden, auch hier bei uns. Amen.
Einführung in die Erzählung von Zachäus
Das normale Mikrofon – geht das? Bitte? Ich glaube, ich darf es nicht biegen, wurde mir gesagt. Können wir umstellen? Läuft das Mikrofon hier? Es ist gar nicht angeschlossen? Dann nehmen wir das Handmikrofon.
Wir werden uns der Geschichte von Zachäus in drei Schritten nähern. Zunächst werde ich etwas zur Stellung dieser Erzählung innerhalb des Lukasevangeliums sagen. Danach schauen wir uns die Geschichte genauer an und betrachten sie im Detail. Zum Schluss werde ich drei Punkte herausarbeiten, die für uns, hoffe ich, sehr relevant sind.
Der Kontext im Lukasevangelium
Wir beginnen mit dem Lukasevangelium und dem Kontext dieser Geschichte. Schon zu Beginn seines großen Werkes hat der Evangelist Lukas, von dem auch die Apostelgeschichte stammt, dargestellt, worum es ihm eigentlich geht. Lukas hat sorgfältig recherchiert und Erzählungen von Jesus zusammengestellt. Er überliefert keine Legenden, sondern wahre Begebenheiten. Teilweise haben sich diese vor den Augen der Apostel zugetragen.
Lukas selbst gehört nicht zu den Aposteln; er war Arzt von Beruf. Dennoch hat er die Geschichten, die er aufgeschrieben hat, sorgfältig geprüft. Er schrieb sein Evangelium, damit seine Leser einen sicheren Grund für die christliche Lehre haben. Petrus, einer der ersten Jünger, die damals mit Jesus unterwegs waren, schreibt an anderer Stelle im Neuen Testament: „Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt – da steht wörtlich Mythen –, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.“
Lukas legt also Wert darauf, dass das, was er schreibt, keine Erfindungen oder Legenden sind. Er hat das sehr gut und wissenschaftlich geprüft. Lukas ist der Wissenschaftler unter den Evangelisten.
Im Mittelteil des Lukasevangeliums finden wir allerlei Gleichnisse und Erzählungen über das Reich Gottes. Einige davon werden nur bei Lukas berichtet. Ihm geht es um die Antwort auf die Frage: Wie können Menschen unter die Herrschaft Gottes kommen? Wie gelangen Menschen in das Reich Gottes?
Die Geschichte vom reichen Jüngling, die uns im 18. Kapitel überliefert wird, gibt eine Antwort auf diese Frage. Wir erinnern uns: Ein reicher Mann kommt zu Jesus und will wissen, wie man das ewige Leben erlangen kann. Er war ein frommer Mann und hat die Gebote beachtet. Jesus wusste allerdings, dass er das Geld liebte. Daher fordert er den jungen Mann auf, sein gesamtes Vermögen zu verkaufen und den Ertrag an die Armen zu verteilen.
Lukas schreibt, der Mann wurde ganz traurig, denn er war sehr reich. Dann sagt Jesus: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt.“
Früher habe ich einmal gehört, dass der Begriff „Nadelöhr“ ein Bild für ein Tor sei, ein Zugang zu einer Stadt, durch das ein Kamel gerade noch so durchpassen würde. Das hat irgendwann Eingang in einen Kommentar gefunden und wurde dann immer wieder kopiert. Das ist jedoch nicht gemeint.
Gemeint ist etwas anderes: Es ist unmöglich, dass ein Reicher oder ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchkommt. Die Leute, die das hörten, als Jesus damals die Geschichte vom reichen Jüngling erzählte, fragten: „Ja, wer kann denn dann überhaupt gerettet werden?“
Und was antwortet Jesus? Er sagt: „Es ist einem Menschen unmöglich.“ So wie es unmöglich ist, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt, so ist es unmöglich, dass ein Mensch durch menschliches Vermögen in das Reich Gottes hineinkommt. Das geht nicht, das passt nicht.
Aber Jesus ist noch nicht fertig. Er fügt hinzu: „Was bei Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Mit anderen Worten: Gott schafft es sogar, einen Reichen durch ein Nadelöhr zu bringen. Gott kann reiche Menschen unter die Herrschaft Gottes führen.
Aber wie geht das? Wie kommt so ein reicher Mann unter die Herrschaft Gottes? Die Antwort scheint die Erzählung von dem Zöllner Zachäus zu geben. Es geht um dieselbe Frage.
Während sich der reiche Jüngling zurückzog, zeigt Lukas nun, wie Gott selbst es schafft, einen Reichen durch ein Nadelöhr zu bringen. Das ist auf den ersten Blick vielleicht schwer erkennbar, aber die Geschichte von Zachäus zeigt uns, wie das Reich Gottes das Herz eines Menschen erobert. Ein Mensch, der es weder verdient hat noch erwartet hat.
Wir wollen uns jetzt diese Geschichte anschauen. Viele von uns kennen sie aus den Tagen des Kindergottesdienstes. Trotzdem lohnt es sich, noch einmal genauer hinzuschauen.
Die Geschichte von Zacchaeus in Jericho
Jericho liegt in der Nähe von Jerusalem. Durch die Stadt führen zahlreiche Handelswege und Straßen, die an die Küste führen. Es gibt aber auch Wege, die nach Syrien im Norden oder nach Ägypten im Süden führen. Die Menschen kommen, um Waren zu kaufen und zu verkaufen.
Jeder Besucher der Stadt muss durch ein Stadttor. In diesem Tor gibt es Zollstationen, und die Zöllner verlangen von den Leuten oft viel Geld. Zachäus ist kein gewöhnlicher Zöllner. Er ist Oberzöllner, hat zahlreiche Mitarbeiter und verdient gutes Geld. Er glaubt, dass Reichtum glücklich macht.
Zachäus hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: Er kassiert nicht nur die vorgeschriebenen Steuern, sondern auch Sondersteuern. Auf diese Weise hat er sich ein ansehnliches Vermögen aufgebaut. Er kann sich fast alles kaufen, was man sich zur damaligen Zeit kaufen konnte.
Die Frage ist aber natürlich: Kann man sich ein erfülltes Leben kaufen? Kann man sich Glück kaufen? Wohl kaum. Wir wissen, dass Glück sehr viel mit gelingenden Beziehungen zu tun hat. Und die Leute mochten Zachäus nicht. In ihren Augen war er ein korrupter Zöllner, dem man möglichst aus dem Weg gehen sollte.
Ich weiß nicht, ob ihr schon einmal Erfahrungen mit dem Zoll gemacht habt. Wir haben als Familie einige Jahre in der Studentenmission im Ausland in Osteuropa gearbeitet. Dabei bin ich ungefähr zwanzig Mal durch den Zoll zwischen Polen und Litauen gefahren. So konnte ich beobachten, was dort passiert.
Damals musste man manchmal bis zu dreißig Stunden warten, bis man die Grenze passieren konnte. Die Zöllner schienen sehr viele Freunde zu haben, und alle waren immer ganz lieb und herzlich zu ihnen. Die Zöllner bekamen Geschenke, wurden höflich behandelt und genossen es, wenn ihnen die Passanten jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Man könnte meinen, die Zöllner seien die beliebtesten Menschen auf der Welt. Aber das stimmt überhaupt nicht. Oft waren die Zöllner an diesem Ort sehr einsam. Was die Leute interessierte, waren nicht die Zöllner, sondern die Stempel. Und wenn die Leute den Stempel hatten, dann waren ihnen die Zöllner völlig egal.
So ungefähr war es auch bei Zachäus. Er hatte Macht und Geld, und trotzdem waren seine menschlichen Beziehungen verarmt. Eines Tages kommt dann Jesus nach Jericho. Wie alle anderen muss auch er durch das Stadttor.
In der Stadt herrscht Chaos, denn jeder möchte Jesus sehen. Man hatte von ihm erzählt. Die Leute sagten, er könne Wunder tun, Kranke heilen und mit Vollmacht das Reich Gottes verkünden. Zachäus kennt diese Gerüchte und will Jesus unbedingt sehen.
Er hat ein Problem: Er ist sehr klein, und vor ihm stehen viele Menschen. Ihr könnt euch vorstellen, dass sie dem Zöllner nicht gern Platz gemacht haben. Dieser Zöllner braucht Jesus nicht, er ist ein Sünder. Was will der schon? Er hat es nicht verdient, Jesus zu sehen.
Doch dieser kleine Zachäus gibt nicht auf. Er hat eine verrückte Idee: Oben an der Straße steht ein Maulbeerbaum. Er klettert hoch. Das war nicht einfach, aber auch nicht schwer. Die Bäume können bis zu fünfzehn Meter hoch werden und haben genug Äste zum Klettern.
Zachäus schafft es und hat einen freien Blick. Es hat sich gelohnt. Der Oberzöllner hat sich zum Affen gemacht, um Jesus zu sehen. Und tatsächlich: Jesus kommt. Zachäus kann ihn sehen, wenn auch von fern. Doch dann kommt Jesus immer näher.
Als er an dem Ort ist, an dem der Baum steht, nimmt die Geschichte eine völlig unerwartete Wende. Anstatt vorbeizugehen, bleibt Jesus stehen. Er sieht zu Zachäus hinauf und spricht ihn direkt an. Das müssen wir uns vorstellen.
Zachäus weiß ganz genau, dass er ein Betrüger ist. Er hat mit Gott nichts zu tun, und die Menschen denken schlecht von ihm. Und plötzlich sieht es so aus, als ob dieser Wanderprediger, Prophet oder vielleicht noch etwas Größeres nur wegen ihm in die Stadt gekommen ist.
Jesus sagt: „Zachäus, komm schnell herunter, denn ich muss heute in dein Haus einkehren.“ Zachäus kann es nicht fassen. Eigentlich wollte keiner etwas mit ihm zu tun haben. Die Menschen hassten ihn. Er war in ihren Augen ein großer Sünder, der ihnen ungerechterweise viel Geld abknöpfte.
Und jetzt kommt Jesus, der derzeit wichtigste Mann in Jericho, ausgerechnet zu ihm und spricht ihn an. Er bittet Zachäus nicht, sondern erklärt in einem Ton, der eine innere Notwendigkeit andeutet: „Ich muss heute bei dir als Gast einkehren.“
Zachäus zögert nicht. Er steigt vom Baum herunter und gewährt Jesus Gastfreundschaft. Wir wissen nicht genau, was dort passiert ist. Der Evangelist Lukas ist sehr sparsam mit seinen Worten, aber er schreibt etwas, das uns ganz nah an unser Thema heranführt.
Wir können es alle lesen. In Vers sechs heißt es: „Und er nahm ihn mit Freuden auf.“ Während Zachäus sich freut, murren die Einwohner von Jericho. Lukas schreibt interessanterweise, dass alle sich beklagten.
Wie kann es sein, dass dieser Jesus ausgerechnet bei diesem Zachäus ins Haus geht? Jeder auf der Straße hätte es mehr verdient, diesen Gast zu haben. Die Leute scheinen enttäuscht und wütend zu sein. Jesus ist zu einem Unreinen gegangen.
Wir werden an die Berufung des Matthäus erinnert. Im Matthäusevangelium, Kapitel 9, wird beschrieben, wie Matthäus, der ebenfalls Zöllner war, Jesus begegnet. Er traf sich mit Jesus und seinen Jüngern. Sie hatten Tischgemeinschaft, und die Pharisäer waren darüber überhaupt nicht glücklich.
Matthäus schreibt: „Als die Pharisäer das sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?“ Als Jesus das hörte, sagte er: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“
Jesus ist Gast bei Zachäus. Sie sitzen zusammen, speisen und reden miteinander. Was genau besprochen wird, wissen wir nicht. Aber dieses Gespräch, diese Begegnung, löst eine völlig unerwartete Wende aus.
Der Zöllner geht nämlich zu Jesus und erklärt, dass er die Hälfte seines Besitzes den Armen gibt. Und falls er jemanden betrogen hat, zahlt er es vierfach zurück. Er spricht in der Gegenwartsform, er ist bereits dabei, es zu tun. Es ist keine bloße Absichtserklärung.
Das alttestamentliche Gesetz verlangt, dass bei Betrug die Schuld zurückgezahlt und zusätzlich ein Fünftel hinzugefügt wird. Zachäus zahlt vierfach zurück und verschenkt darüber hinaus die Hälfte seines Vermögens an die Armen.
Dann sagt Jesus: „Diesem Haus ist heute Heil oder Rettung widerfahren.“
Drei Lektionen aus der Geschichte von Zacchaeus
Wir kommen nun zum dritten Teil: drei Lektionen, die wir aus dieser Erzählung lernen wollen.
Natürlich könnten wir noch mehr herausarbeiten, aber ich beschränke mich auf drei zentrale Lektionen.
Erstens: Jesus sucht.
Zweitens: Jesus rettet.
Drittens: Jesus verändert.
Jesus sucht
Wir beginnen mit dem Thema: Jesus sucht. Man hört oft, dass man Gott nur suchen müsse, um ihn zu finden. Tatsächlich gibt es in der Bibel die Aufforderung, Gott zu suchen.
So lesen wir beispielsweise beim Propheten Jeremia im Kapitel 29: „Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden. Ja, wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, dann will ich mich von euch finden lassen.“ Auch Sprüche 8,17 ist interessant, denn dort sagt Gott: „Die, die mich suchen, die finden mich.“
Viele Menschen suchen tatsächlich Gott. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass wir alle unheilbar religiös sind. Wir ahnen, dass wir uns nicht selbst geschaffen haben. In uns gibt es eine Unruhe, eine Sehnsucht, die letztlich nur Gott erfüllen kann. Der große Gottsucher Augustinus hat das in seiner Autobiografie gleich zu Anfang so formuliert: „Denn zu dir hin, also zu dir, zu Gott hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Allerdings dürfen wir nicht meinen, es läge am Vermögen des Menschen, Gott zu finden. Dass ein Mensch Gott sucht, weil er ahnt, dass er Gott braucht, bedeutet nicht, dass er Gott auch wirklich finden kann. Vielmehr ist es so, dass wir uns einen Gott ausdenken, einen Gott basteln, der zu uns passt.
Die Bibel sagt, dass unser menschliches Herz so verdorben ist, dass selbst unsere Suche nach Gott noch von Eigensinn und Eigensucht geprägt ist. Der Prediger und Schriftsteller Tozer hat es einmal sehr schön gesagt: „Ein im Schatten eines gefallenen Herzens erzeugter Gott wird selbstverständlich nicht der wahre Gott sein.“ Versteht ihr das? Der Mensch schafft sich einen Gott, der zu ihm passt. Unsere Herzen erträumen und erdichten sich einen Gott, der mit ihrem Herzen kompatibel ist.
Das ist der Grund, warum es so viele Religionen gibt. Wir Menschen sind alle religiös, wir haben ein intuitives Wissen davon, dass da mehr ist, als wir nur sehen. Wir wissen, dass wir nicht alle Fragen und Nöte selbst beantworten können.
An dieser Stelle eine kleine Nebenbemerkung: Ludwig Feuerbach, der bekannte Religionskritiker, hat mit seiner These, dass Gott eine Projektion des Menschen sei, einige Wahrheitsmomente erfasst. Die These als Ganze ist zwar schwach, aber er hat richtig beobachtet, dass wir dazu neigen, einen Himmel zu malen, der unseren eigenen Sehnsüchten und Begehren entspricht.
Es ist gut, wenn Menschen Gott suchen. Und wenn du selbst ein Skeptiker bist und wissen willst, wer Gott ist, dann suche weiter. Zugleich muss ich dir sagen: Du wirst Gott nur finden, wenn er sich finden lässt. Wir finden Gott nur, wenn er sich offenbart. Das Finden Gottes können wir uns nicht selbst zuschreiben. Wenn Gott nicht redet, wenn er sich nicht zeigt, dann sind wir verloren. Wenn Gott nicht zu uns kommt, dann kommen wir nicht zu Gott.
Es wird immer wieder gefragt: Was ist eigentlich das Gute am Evangelium? Darüber gibt es viele Aspekte, über die man nachdenken kann. Ein wichtiger Aspekt ist, dass Gott uns Menschen nachgeht. Die ganze Bibel zeugt davon: Gott sucht uns Menschen. In gewissem Sinn steckt hinter unserer Gottsuche, sofern sie wirklich eine ist, eine große Suchaktion Gottes. Gott zeigt sich.
Der Apostel Paulus hat das einmal den Menschen zugerufen in der Apostelgeschichte 14: „Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen, er hat viel Gutes getan und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben. Er hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt.“
Gott spricht durch seine Schöpfung. Noch mehr aber hat sich Gott in Jesus Christus offenbart. Er ist Mensch geworden. Er redet durch die Bibel und schenkt uns seinen Geist, damit wir verstehen, was das Kreuz, an dem Christus starb, für uns bedeutet.
Jesus Christus spricht davon, dass er gekommen ist, zu suchen, was verloren ist. Zacchaeus war ein aufgeweckter, kluger Mann. Er war so klug, dass er sich zum Affen gemacht hat, um Jesus zu sehen. Allerdings hat nicht Zacchaeus Gott gefunden, sondern Gott ist in Jesus auf Zacchaeus zugekommen.
Jesus hat den Zöllner auf dem Baum gesehen, ihn angesprochen und sich bei ihm eingeladen. Jesus hat ihm die Augen für seine eigene Sünde geöffnet. Jesus hat gesucht, was verloren ist, und gesagt: „Heute muss ich bei dir einkehren.“
Jesus rettet
Wir kommen zum zweiten Punkt. Ein in Deutschland und Übersee bekannter Neutestamentler, Michael Wolter, hat die Geschichte von Zachäus genau untersucht. Er kam zu dem Ergebnis, dass an dieser Geschichte ganz klar deutlich wird, dass nicht jeder Jesusjünger werden muss, um ein guter Mensch zu werden.
Zachäus hat nicht angefangen, an Christus zu glauben, sondern er hat erkannt, dass er Verantwortung für sein Leben übernehmen muss. Er hat sich also nicht Jesus angenommen, vielmehr ist Jesus für ihn zu einem Beispiel geworden. Er hat sich an ihm orientiert und sein Leben geändert.
Ich habe keine Lust, mich mit einem großen Lukas-Kommentator anzulegen, aber ich glaube, dass er sich hier irrt. Lukas hatte gerade die Absicht zu zeigen, dass Jesus Sünder rettet. Warum bin ich mir da so sicher? Drei Punkte:
Erstens steht es ausdrücklich im Text. Jesus spricht davon, dass dem Haus des Zöllners Heil widerfahren ist. Hier steht wirklich „Rettung“, „Heil“. Lukas teilt uns also mit, dass hier nicht einfach eine Familie einen guten Tag erlebt hat, sondern dass sie gerettet worden ist.
Zweitens bestätigt das Jesus-Zitat, dass der Menschensohn gekommen ist, selig zu machen, was verloren ist. Wir können es auch übersetzen mit: Er ist gekommen, zu retten, was verloren ist.
Aber es gibt noch ein drittes Argument, das lässt sich dem Vers 9 entnehmen. Dort wird gesagt, dass Zachäus ein Sohn Abrahams ist. Damit möchte Lukas nicht einfach nur sagen, dass er ein Jude ist. Leibliche Nachfahren Abrahams waren alle Juden in Jericho. Jesus wollte hier etwas anderes sagen.
Um das zu verstehen, müssen wir unsere Bibel aufschlagen, und zwar den Galaterbrief, Kapitel 3, Verse 6 bis 9. Dort heißt es:
„So war es mit Abraham: Er hat Gott geglaubt, und es ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden. Er kennt also diejenigen, die aus dem Glauben sind; das sind Abrahams Kinder. Die Schrift aber hat vorausgesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündete sie Abraham: ‚In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.‘ So werden nun die, die aus dem Glauben sind, gesegnet mit dem gläubigen Abraham.“
Worum geht es? Paulus stellt die Frage, wie Menschen vor Gott angenommen werden. Er macht klar, dass Gott diejenigen gerecht spricht, die ihm vertrauen. Neutestamentlich erklärt er diejenigen, die auf Jesus vertrauen, für gerecht. Und diese Glaubenden sind wirklich Kinder Abrahams.
Er sagt das noch ausdrücklich in Vers 29: „Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder.“
Das gleiche Argument finden wir bei Johannes dem Täufer im dritten Kapitel des Matthäusevangeliums.
Lukas will also sagen, dass Gott allein Kinder Abrahams erwecken kann. Gott vermag aus Toten, aus kalten Steinen, lebendige Kinder zu machen. So wird auch klar, was Jesus über Zachäus sagt: Dieser Zöllner hat geglaubt. Er weiß darum, dass er als Sünder verloren ist und Rettung braucht. Er hat verstanden, dass Jesus der Retter ist. Er vertraut ihm und weiß, dass Jesus gekommen ist, zu suchen, was verloren ist.
Der dritte Punkt: Jesus verändert.
Jesus verändert
Der religiöse Mensch möchte seine Beziehung zu Gott klären, indem er sich bemüht, Gott zu gefallen. Er will Gott zeigen – oder sich zumindest selbst –, dass er sich anstrengt und versucht, Gott gnädig zu stimmen.
Man kann sich fragen: Warum ist eigentlich Zacchaeus errettet worden? Er hat ja nur die Hälfte seines Vermögens gegeben. Der reiche Jüngling sollte alles weggeben, Zacchaeus nur die Hälfte. So denkt der religiöse Mensch: Was muss ich tun, damit Gott mich annimmt? Wer so denkt, hat noch nicht verstanden, wie heilig Gott ist und wie groß das Problem der Sünde ist.
Nur einer konnte die Erwartungen Gottes wirklich erfüllen: sein eigener Sohn Jesus Christus, der gekommen ist, um zu sterben. Er hat unsere Sünde am Kreuz getragen. So wird derjenige, der an ihn glaubt, von einem Gottlosen zu einem, der für Gott und vor Gott gerecht erklärt wird.
Bedeutet das nun, dass ein begnadigter Sünder so weiterleben kann wie bisher? Das ist ein bekannter Vorwurf an uns Christen. Die Evangelischen leben ja von der Vergebung. Sie könnten doch machen, was sie wollen. Wenn sie Fehler machen, nehmen sie einfach die Vergebung in Anspruch und machen so weiter. Aber das ist hier gar nicht gemeint. Das ist ein Evangelium der billigen Gnade, wie Bonhoeffer es nannte. Das ist Rechtfertigung der Sünde, aber nicht Rechtfertigung des Sünders.
Wer weiß, dass ihm seine Sünde vergeben wurde und dass er begnadigt ist, lässt sich von Jesus verändern. Nachdem Zacchaeus Heil erfahren hatte, setzte er andere Prioritäten. Die Theologen sprechen davon, dass dem Glauben Werke folgen und dass der Glaube Frucht hervorbringt.
Wir lesen das sogar in diesem Text, zumindest wird es angedeutet. Nachdem Jesus in das Haus des Zacchaeus eingekehrt war, ging der Zöllner auf ihn zu. Schauen wir genau hin, was dort geschrieben steht: Lukas schreibt, er trat vor den Herrn. Der Evangelist zitiert Zacchaeus. Siehe, Herr – Zacchaeus dient sich jetzt nicht mehr selbst. Die letzte Instanz sind nicht mehr die Römer oder das eigene Ich. Er hat einen neuen Herrn. Er dient nun dem König, dem das Reich der Himmel gehört.
Schlussgedanken und Einladung
Wir kommen zum Schluss. Zum Eingang der Predigt sprach ich davon, dass manchmal ganz überraschend Dinge passieren. Wir haben gesehen, dass der Zöllner so einen unerwarteten Moment erlebt hat. Fast schien es, als ob Jesus nur wegen ihm nach Jericho gekommen sei. Jesus hat ihn gesucht, er hat ihn gerettet, er hat ihn verändert.
Wie schaut das bei dir aus? Sucht Jesus auch dich, vielleicht durch die Geschichte von diesem Zöllner Zachäus? Spricht er zu dir? Spürst du, wie er dir nachgeht? Merkst du, dass er auch dich retten möchte? Mein lieber Freund, verachte dieses Rufen nicht. Jesus will dich retten, ihm darfst du vertrauen.
Im Johannesevangelium heißt es: Er, also Jesus, kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut oder aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Ich lade dich ein, dich Jesus zuzuwenden. Vielleicht fühlst du dich unwürdig für die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes. Vielleicht bist du so fromm, dass du denkst, es reicht, fromm zu sein. Vielleicht stammst du aus einer christlichen Familie und denkst, es reicht, wenn deine Eltern glauben. Vielleicht bist du zu stolz und meinst, alles selbst hinzubekommen. Oder ist dein Herz hart geworden?
Denke daran: Jesus vermag aus Steinen Kinder Abrahams zu erwecken. Jesus wird auch mit dir fertig. In Hesekiel 36 heißt es: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist geben, und ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes schenken.“
Vertraue Christus, rede mit ihm, erlaube ihm, in dein Leben hineinzusprechen. Er schenkt dir ein lebendiges Herz, denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Und wie ist es mit dir, der du schon lange mit Jesus unterwegs bist? Du stehst an einer Kreuzung und weißt nicht, welcher Spur du folgen sollst. Ob du nach links gehen sollst oder nach rechts.
Mein lieber Freund, Jesus ist dein König. Die Frucht des Glaubens ist die Freude am Willen Gottes. Weißt du, es geht Gott nicht um dein Geld. Was wäre das für ein Gott, der dein Geld bräuchte? Es geht Gott um dein Herz.
Reichtum ist nicht das Problem, diese Freundschaft ist nicht das Problem. Zum Götzen wird uns das, was unser Herz mehr bindet als Gott.
Und wenn Gott dich errettet hat, dann arbeitet er an dir. Dann verändert er dich, er ermutigt dich, Dinge zu klären und in Ordnung zu bringen.
Höre auf deinen König, höre nicht nur auf dein Herz. Herzen sind trügerisch, wir können uns die Wahrheit nicht selber sagen. Jesus, dein Herr, weiß, was gut für dich ist. Vertraue ihm.
Amen.