
Immer wenn ich über Hausgemeinden spreche oder das Thema anspreche, kommen natürlich auch bestimmte Fragen auf. Diese Anfragen möchte ich sehr ernst nehmen. Im Laufe des Vortrags werden wir diese Fragen noch genauer betrachten.
Ich möchte Ihnen jetzt schon einmal eine Vorstellung davon geben und wir werden das Thema gemeinsam näher beleuchten.
Hausgemeinden konkurrieren nicht mit der bestehenden Gemeinde, so wie wir sie kennen. Vielmehr sind sie eine Ergänzung. Sie übernehmen Aufgaben, die eine zentrale Gemeinde oft nicht leisten kann. Dazu gehört vor allem, dass sie kleine Zellen des gemeinsamen Lebens bilden.
Hausgemeinden umfassen dabei viel mehr als Hauskreise. Hauskreise sind eher Bibelkreise, die sich im häuslichen Umfeld treffen. Dort wird in einer gewissen Offenheit über Lebensprobleme und seelsorgerliche Anliegen gesprochen und füreinander gebetet. Das möchte ich keinesfalls schmälern, denn das ist eine sehr gute Sache.
Hausgemeinden oder, wenn wir das Konzept noch weiterführen, Hauskirchen, gehen jedoch darüber hinaus. Sie sind nicht nur Bibelgesprächskreise oder ein Austausch mit Gebet füreinander.
Was sind die Gründe für die Vorbehalte, die mir begegnen? Man könnte das natürlich negativ als Machtverlust bezeichnen. Aber was meine ich damit genau?
Ich meine damit ein ernsthaftes Anliegen, das Älteste, aber auch Pastoren und Pfarrer haben. Sie befürchten, dass sich in den Gemeinden, insbesondere in den Hausgemeinden, so etwas wie Wildwuchs entwickelt. Sie sorgen sich, dass ihnen die gute Lehre entgleitet, dass dort Dinge gelehrt werden, die sich nicht mehr mit der Bibel und auch nicht mehr mit den Bekenntnissen in Einklang bringen lassen.
Der Hintergrund dieser Befürchtung ist, dass man seit vielen hundert Jahren davon ausgeht, dass es Leute gibt, die Spezialisten sind. Diese kennen sich in der Bibel aus, wissen, wie die Sakramente zu handhaben sind – sie sind die Profis. Und dann gibt es die normalen Christen, die nur einen sehr eingeschränkten Horizont und ein begrenztes Bibelwissen haben. Manche Dinge können sie einfach nicht.
Das habe ich in meinem aktiven Pastorendienst immer wieder erlebt. Ich habe zu Ältesten gesagt: „Mach doch mit. Ich sage eine Andacht zum Abendmahl, und du hältst dann das Abendmahl selbst. Ich kann dir in zehn Minuten zeigen, wie das geht, und du warst ja auch schon oft dabei.“ Die Antwort war oft: „Nein, das musst du machen, das kann ich nicht.“
Man merkt also, dass von einer gewissen Unmündigkeit der Christen ausgegangen wird. Das ist manchmal vielleicht sogar begründet, ich weiß es nicht. Was aber sicher ist: Diese Haltung hat einen historischen Hintergrund.
Damit hängt auch zusammen, dass man die Angst hat, wenn sich Hausgemeinden bilden, die Gemeinde so sehr atomisiert wird. Es entstehen viele kleine Parteien und Splittergruppen, die gegeneinander konkurrieren. Diese konkurrieren dann auch gegen die Hauptgemeinde und gegen andere Gemeinden. So entsteht ein Geflecht von Konkurrenten.
Diese Befürchtung ist nicht ganz unbegründet. Weltweit gibt es etwa 40 christliche Konfessionen. Das zeigt, dass diese Atomisierung durchaus ein realer Hintergrund ist.
Hinzu kommt, dass das, was wir unter den Großkirchen kennen – also die klassischen Kirchen wie die protestantischen, die römisch-katholischen oder die orthodoxen – ein historisches Langzeitphänomen ist. Wir kennen es gar nicht anders. Wir haben es seit Jahrhunderten so, und auch seit der Reformation hat sich daran nichts Grundlegendes geändert.
Auch hier müssen wir einen Blick darauf werfen: Was war denn der Gedanke Luthers? Wie hat er Gemeinde gedacht und gewollt? Und was ist daraus geworden?
Und damit kommen wir zu einem anderen Bereich, nämlich: Wie sieht die Zukunft der Gemeinden überhaupt aus? Das wäre eigentlich ein eigener Vortrag. Ich werde das Thema Corona jetzt nicht zu sehr strapazieren. Am Ende dieses Monats gibt es dazu einen Vortrag, den Sie schon von mir angekündigt bekommen haben. Aber man muss einfach etwas feststellen.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Gemeinde zu sehr zentralistisch organisiert ist. Das haben Sie alle erlebt: Man ist jeden Sonntag in eine Versammlung gegangen, in ein Gebäude. Auch unter der Woche hat man möglichst versucht, dort präsent zu sein. Dieses Zentralistische hat sich als etwas erwiesen, das in Krisenzeiten nicht tragfähig ist.
Das kennen wir übrigens auch aus der Missionsgeschichte und der Kirchengeschichte. Dort, wo Gemeinden zu zentralistisch organisiert waren, waren sie auch ein Stück weit angreifbar. In diesem Fall durch einen Virus, für den wir alle nicht schuldig sind, mit dem wir aber zu kämpfen haben. Und dieser Virus hat es tatsächlich geschafft, das Gemeindeleben weitestgehend lahmzulegen.
In Krisensituationen helfen kleinere Zellen. Tatsächlich war ich vor einigen Tagen mit einem Jugendpastor aus einer Gemeinde im Gespräch. Diese Gemeinde hat bereits Hauskirchen. Das ist noch einmal ein Schritt weiter. Ich werde Ihnen das nachher auch noch aus dieser Gemeinde zeigen.
Der Jugendpastor hat mir gesagt, dass bei ihnen tatsächlich die tragfähigen Säulen der Gemeinde seit der Corona-Zeit nicht mehr die Zentralveranstaltungen sind, sondern die Hausgemeinden. Dort konnte das Gemeindeleben ein Stück weit weitergehen. Die Leute haben sich umeinander gekümmert, natürlich hoffentlich unter Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsregeln.
Ein weiteres Phänomen, das wir seit Jahren beobachten, ist, dass es einfach viele heimatlose und einsame Menschen gibt – sei es verschuldet oder unverschuldet. Man gerät in eine Situation, in der man den Ehegatten verloren hat, oder man hat sich für den Lebensentwurf des Single-Seins entschieden, freiwillig oder unfreiwillig. Das wollen wir hier nicht weiter erörtern.
Für diese Menschen, die nicht im herkömmlichen Sinne eine Familie haben, gibt es kein spezielles Angebot. Die meisten Gemeinden sind extrem auf Familien und familiäres Leben ausgerichtet. Damit meine ich nicht, dass die Gemeinde als Familie zusammenlebt, sondern dass sie ein Angebot für Familien macht – nicht aber für diejenigen, die keine Familie haben oder keine Familie mehr besitzen. Auch hier müssen wir überlegen, wie wir diese Menschen in Zukunft integrieren und für sie ein Angebot, eine Heimat schaffen können.
Ein weiterer starker Trend ist die Sehnsucht nach häuslicher Geborgenheit. Dieser Trend hat sich durch Corona noch weiter beschleunigt. Die Menschen merken, wie wichtig ihnen ihre häusliche Geborgenheit ist. Ja, wir sehnen uns alle nach Öffnung, doch Untersuchungen zeigen, dass sich jeder sein häusliches Umfeld inzwischen eingerichtet hat. Wir suchen Geborgenheit, wir suchen Heimat – ein großer Begriff, der schon vor Corona wichtig war. Man sucht mehr Lebensgemeinschaft.
Ich glaube auch, dass dies die Zukunft der Gemeinde nicht nur sein wird, sondern sein muss: mehr Lebensgemeinschaft und weniger Eventgemeinden oder gar keine Institutionen mehr. Für junge Leute spielen Institutionen kaum noch eine Rolle. Eventgemeinden wird es sicherlich weiterhin geben, aber ich glaube, dass sie letztlich nicht hilfreich für das Gemeindeleben der Zukunft sind.
Es wird in Zukunft auch sehr wenige Vollzeitmitarbeiter geben. Das ist irreversibel, wie wir bereits jetzt sehen. Das können wir nicht mehr verändern, außer man meldet sich anschließend in ein Programm des BSK oder einer anderen Bibelschule an. Das wäre natürlich klasse, dann hätten wir schon einen Vollzeitmitarbeiter oder eine Vollzeitmitarbeiterin mehr. Aber an den Ausbildungsstätten zeigt sich: Wir haben viel weniger Vollzeitmitarbeiter – ich möchte fast sagen, kaum noch welche. Fast alle Gemeindebereiche müssen von ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen werden.
Hier müssen wir uns auch überlegen, ob wir dann noch so große Events veranstalten können. Lange Rede, kurzer Sinn: Nach Corona werden wir nicht nur über andere Gemeindeformen nachdenken müssen, sondern diese werden erforderlich sein. Wenn wir uns nicht darauf einlassen, glaube ich, dass wir eine vielleicht einzigartige Chance an uns vorüberziehen lassen.
Ich glaube, wir sollten nicht zu dem zurückkehren, was wir vor anderthalb Jahren waren.
Nun blicken wir nicht nur anderthalb Jahre zurück, sondern gehen richtig weit zurück – nämlich in die alttestamentliche Zeit. Dabei fragen wir uns: Was ist in dieser Zeit ein Hinweis auf Hausgemeinden oder familiäre Gemeindestrukturen? Was können wir im Alten Testament bereits entdecken?
Es ist interessant, dass Gott eine Familie zu seinem Volk beruft. Sie kennen sicher Abraham, Isaak und Jakob. Vater, Sohn, Enkel – sie wurden zu den Stammvätern eines Volkes. Natürlich gehören auch ihre Frauen dazu: Sarah, Rebekka, Lea und Rahel. Gott setzt also seine Vorstellung von einem Volk durch eine Familie um.
Man sollte darüber nachdenken, warum Gott sich ausgerechnet für diese Form entschieden hat. Er hätte auch ein politisches System wählen können, denn es gab damals bereits viele Völker. Ebenso ist bemerkenswert, dass mit der Bildung der Monarchie – die das Volk Israel gegen den Willen Gottes eingeführt hat – die Bedeutung der Stämme nachließ. Im Laufe der Zeit schrumpften sie sogar bis zur Bedeutungslosigkeit.
Die babylonische Gefangenschaft wirkte dabei wie ein Katalysator, der den Zerfall der Stammeszugehörigkeiten beschleunigte. Auch nach dem Exil spielten die Familien zwar kurzfristig eine große Rolle beim Wiederaufbau des Tempels, doch insgesamt nahm ihre Bedeutung stark ab.
Bleiben wir noch einen Moment bei der Vorstellung von Familie und Haus. Im Alten Testament gibt es für Haus und Familie ein gemeinsames Wort: Bayit. Vielleicht kennen Sie es aus dem Begriff Bet, wie in Bet Lechem – dem Haus des Brotes. Dabei ist nicht nur das Gebäude gemeint, sondern vor allem die Familie.
Diese Bedeutung ist bis heute erhalten geblieben. Wenn ich Synagogen besuche, höre ich oft den Satz: „Unser jüdisches Leben kann völlig ohne Synagoge stattfinden.“ Jüdisches Leben findet bei uns komplett zu Hause statt. Zwar werden Pesach und die anderen Feste auch in der Synagoge gefeiert, doch die zentrale Veranstaltung ist in der Familie.
Jude sein funktioniert also völlig ohne Synagogengottesdienst. Synagogen sind Lehr- und Betthäuser, Versammlungshäuser, in denen man zusammenkommt. Die eigentliche Zelle des jüdischen Lebens aber sind die Häuser, sind die Familien.
Wie war das dann zu neutestamentlicher Zeit?
Wir haben uns gerade die Gründung des alttestamentlichen Gottesvolkes angesehen. Wie war das nun bei Jesus?
Die Gründung der Jesusfamilie
Sie hören es schon: Es handelt sich ebenfalls um eine Familie. Jesus begegnet seiner Ursprungsfamilie, also seiner echten Familie – seiner Mutter und seinen Brüdern. Doch er weist sie vor unseren Augen sehr schroff zurück, indem er seine Familie neu definiert. Damit definiert er die Zugehörigkeit derer, die ihm nachfolgen, als Familie.
In Matthäus 12,48-50 lesen wir:
Er, Jesus, aber sprach zu dem, der es ihm ansagte: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“
Und er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: „Siehe da, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder. Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.“
Eine hoch spannende Stelle.
Zunächst führt Jesus die Begriffe Mutter, Schwester und Bruder ein – also familiäre Begriffe. Er sagt nicht: Das sind meine Gemeindegenossen oder sie gehören zur gleichen Institution, meine Kumpels oder meine Vereinsmitglieder. Stattdessen verwendet er Ausdrücke aus dem familiären Umfeld.
Und dann das Erstaunliche: Er sagt nicht, dass es diejenigen sind, die auf ihn hören und seine Lehre möglichst detailliert ausformulieren können. Er sagt vielmehr, wenn sie den Willen meines Vaters im Himmel tun, dann sind sie Bruder, Schwester und Mutter.
Es geht also darum, den Willen des himmlischen Vaters gemeinsam zu leben – eine Lebensgemeinschaft.
Dazu gehört auch diese sehr bekannte Stelle:
Es ist ja immer die Frage, wie man Gemeinde definiert. Wenn man Gemeinde auf ein Minimum reduzieren will, dann ist das wahrscheinlich diese Stelle aus Matthäus 18:
„Wahrlich, ich sage euch: Wenn zwei unter euch einig werden auf Erden, um zu bitten, was sie wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.“
Hier ist die Gemeinschaft untereinander, also die horizontale Gemeinschaft, gemeint. Diese horizontale Gemeinschaft sucht die vertikale Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater.
Vater – Familienbegriff.
Dieses Beziehungsgeflecht – der Vater mit seinen Kindern, mit zwei seiner Kinder – konstituiert den Aufenthaltsort Jesu. Denn:
„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“
Was fehlt da noch zu einer christlichen Gemeinschaft? Was fehlt noch zur Gemeinde?
Übrigens, vielleicht noch am Rande – das hatte ich vergessen zu erwähnen: Am Anfang der Corona-Zeit waren wir etwas erschrocken, wie wir Gottesdienst definiert hatten. Wir haben Gottesdienst plötzlich mit der Sonntagsveranstaltung assoziiert, die zwischen einer und zwei Stunden dauert, und gesagt: „Na ja, das ist unser Gottesdienst.“
Die Bibel sagt jedoch etwas ganz anderes: Der Gottesdienst ereignet sich im Leben. Mein ganzes Leben soll Gottesdienst sein. Und das kann ich auch in Corona-Zeiten tun. Es ist völlig unabhängig davon, in welcher Räumlichkeit ich das mache. Das nur noch am Rande.
Fassen wir zusammen: Jesus gründet eine neue Familie. Nicht einen Verein, nicht irgendein politisches Gebilde, sondern – bis in die Terminologie, bis in die Fachausdrücke hinein – eine Familie: die Jesusfamilie. Seine Brüder, seine Schwestern, seine Mutter.
Und wir sagen zu unserem Gott nicht irgendetwas wie Zeus oder was auch immer, sondern wir sagen: Vater, unser Vater im Himmel. Ein sehr intimer Familienbegriff.
Es ist ja auch so: Die natürlichste Gemeinschaft der Antike war nicht die politische Gemeinschaft, nicht die Vereinsgemeinschaft, sondern die Großfamilie. Das allerdings kennen wahrscheinlich nur noch wenige unter uns.
Wir haben heute nicht mehr so eine Familie, wie sie zur Zeit Jesu üblich war, in der es einen Hausvater gab und mehr oder weniger viele Kinder. Zum Hausstand gehörten auch Knechte und Mägde, im griechisch-römischen Umfeld dann auch Sklaven. Dort waren natürlich auch Alleinstehende, Ledige, Kranke und Verwitwete dabei.
All das nannte man in der Antike griechisch Oikos, lateinisch Domus. Und wieder haben wir Begriffe, die nicht nur das Gebäude bezeichnen, sondern die Gemeinschaft in diesem Gebäude.
Wie sieht die Ursprungssituation aus? Wie ist das vor sich gegangen, als die Gemeinde letztlich konstituiert wurde? Jesus war in den Himmel aufgefahren, und der Heilige Geist war ausgegossen, nachdem Petrus diese beeindruckende Predigt gehalten hatte. Aufgrund dieser Predigt bekehrten sich dreitausend Menschen.
Jetzt hatte man also dreitausend neue Gläubige, doch es gab keine große Versammlung. Am Anfang konnten die Christen noch in den Tempel gehen. Dort konnte man sich auch in Gruppen treffen, beispielsweise in den Säulenhallen. Es gab auch einzelne Räumlichkeiten im Tempel. Das war aber nur eine Übergangslösung, nämlich solange, wie die Christen noch Zutritt zum Tempel hatten.
Der Tempel wurde, wie Sie wahrscheinlich aus der Geschichte wissen, im Jahr 70 nach Christus zerstört. Danach war der Versammlungsort weg. In der Apostelgeschichte 2 lesen wir die bekannten Worte: „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander.“ Es wird nicht zuerst erwähnt, dass sie sich am Sonntag versammelten, sondern dass sie beieinander waren.
Dieser Begriff bezeichnet das Familiäre. Sie hatten alle Dinge gemeinsam. Jedem antiken Menschen kommt sofort eine Großfamilie in den Sinn. Eine Großfamilie hatte alle Dinge gemeinsam und war immer beieinander. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie unter allen aus, je nachdem, wer es nötig hatte.
Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern. Jetzt gehen wir tatsächlich in die Ursprungssituation hinein: Sie versammelten sich im Tempel, dem zentralen Kultort, und gleichzeitig in den Häusern. Das eine taten sie, das andere ließen sie nicht.
Ich muss allerdings gleich dazu sagen: Die Christen waren deshalb in der antiken Welt schwer einzuordnen, eine nicht greifbare Größe. Sie hatten keinen zentralen Kultort wie andere Religionen. Es gab keine Tempel für sie und auch keine Priester, wie es sie bei anderen Religionen gab.
Für den antiken Menschen war Religion eng verbunden mit einem Tempel. Dort opferte man, dorthin gingen alle, das war der zentrale Ort. Außerdem gab es einen hauptamtlich angestellten Priester, der die Verehrung vollzog und über dem normalen Volk stand. So war die Vorstellung von Religion in der Antike.
Deshalb waren die Christen schwer einzuordnen. Das war nicht der Hauptgrund, aber einer der Gründe, warum sie verfolgt wurden. Christen wurden anfangs immer wieder hinterfragt: Wer sind sie? Sind sie eine Religion oder nicht? Man einigte sich schließlich darauf, dass sie eher eine Philosophie seien.
Aber eigentlich waren sie eine Familie. Sie brachen das Brot miteinander in den Häusern, hielten Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen, lobten Gott und fanden Wohlgefallen beim ganzen Volk.
Jetzt schauen wir uns das einmal genauer an. Ich möchte Sie mit hineinnehmen in die Häuser.
Zunächst sind wir hier in Galiläa, vor allem in Kapernaum. Dort gab es so etwas wie Insulä, das ist die Mehrzahl von Insula. Sie kennen das Wort von Inseln. Es handelte sich also um solche Wohninseln. Auch im römischen Umfeld gab es diese Wohninseln, wie Sie gleich sehen werden. Dort waren es noch viel größere Gemeinschaften. Es handelte sich um große Gemeinschaften, oft landwirtschaftliche oder fischwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften, in denen man wohnte und sich auch treffen konnte.
Wenn man also sagte, das ist eine Hausgemeinde in Kapernaum, dann waren das nicht nur fünf Leute. In so einem Haus lebten deutlich mehr Menschen. Deshalb gibt es auch eine große Bandbreite bei den Hausgemeinden. Die Grenze ist aber irgendwann erreicht, spätestens wenn man sich dieses Haus anschaut. Das ist ein typisches Bauernhaus in Judäa im ersten Jahrhundert.
Sie sehen, in der Vertiefung in der Mitte des Hauses wohnten die Tiere. Ziegen und Schafe, und wenn man eine Kuh hatte, dann wohnte auch die Kuh mitten im Wohnzimmer. Das war klar, denn das war die Heizung. Es ist übrigens interessant, die Weihnachtsgeschichte einmal unter diesem Aspekt zu betrachten.
Man hatte eine gewisse Fläche, in der man wohnen konnte. Es gab auch ein Gästezimmer, das Sie sehen können. Die Gastfreundschaft war zur damaligen Zeit sehr hoch angesehen. Das Haus war aber relativ klein – ein Einraumhaus, auch wenn es dieses kleine Gastzimmer gab. Dieses hatte lediglich einen Bettplatz und kein Fenster.
In so einem Haus wird es schwierig mit einer Hausgemeinde.
Wo finden wir neutestamentliche Hinweise auf Hausgemeinden? Vor allem im städtischen Umfeld. Das ist interessant, denn es war eine Strategie des Paulus und der ersten Missionare, vor allem in die Städte zu gehen. In den Städten lebten die meisten Menschen in Einraumwohnungen. Aber es gab auch Leute, die ein größeres Haus hatten, wie wir es uns gleich noch anschauen werden.
Das ist ganz ähnlich wie bei uns heute: Man kann nicht in jeder Wohnung eine Hausgemeinde aufbauen. Man braucht eine gewisse Räumlichkeit, Sitzgelegenheiten und vielleicht auch Ausdehnungsmöglichkeiten.
So war zum Beispiel das Haus des Stephanas, der im Dienst der Heiligen stand. Wir hören von ihm im 1. Korintherbrief. Er ist einer der wenigen, die von Paulus getauft wurden. In seinem Haus war eine Hausgemeinde.
Priscilla und Aquila hatten zunächst nach meiner Auffassung in Ephesus eine Hausgemeinde. Sie waren ursprünglich aus Rom und sind dann nach Ephesus geflohen, aufgrund des Claudius-Edikts, von dem in Apostelgeschichte 18 die Rede ist. Dort hatten sie eine Hausgemeinde. Später sind sie zurück nach Rom gegangen, hatten dort ein größeres Haus und ebenfalls eine Gemeinde. Danach sind sie wieder nach Ephesus zurückgekehrt und hatten dort erneut eine Hausgemeinde.
Sie können das nachlesen in Römer 16, wo die Hausgemeinde in Rom erwähnt wird, und in 2. Timotheus 4,19, wo sie wieder nach Ephesus geflohen sind, nachdem Rom abgebrannt war und ihr Haus zerstört wurde. Dort hatten sie erneut eine Hausgemeinde.
Das Haus des Philemon aus dem Philemonbrief ist ein weiteres Beispiel. Philemon hatte sogar Sklaven. Wir kennen Onesimus, der weggelaufen ist und zu Paulus ins Gefängnis gekommen ist. Philemon hatte natürlich eine Hausgemeinde in Kolossä.
Oder weniger bekannte Personen wie die Nymphe in Laodizea oder Hierapolis – nicht einmal das weiß man ganz genau. Lesen Sie dazu Kolosser 4,15 nach. Das sind Hausgemeinden, von denen wir sicher wissen.
Auch in Römer 16 finden sich Grüße an Hausgemeinden. Die Einschätzungen darüber, wie viele Hausgemeinden es gab und an welche Paulus seine Grüße richtete, differieren. Versuchen Sie einmal selbst, anhand von Römer 16 herauszufinden, wie viele Hausgemeinden es in Rom gab.
Es waren übrigens nicht allzu viele. Wir können von einer kleinen Zahl Christen im ersten Jahrhundert ausgehen.
Die ersten Christen versammelten sich in Häusern, in sogenannten Hausgemeinden, aus mehreren Gründen. Zunächst waren diese Gebäude einfach die verfügbaren Räumlichkeiten. Paulus versuchte zunächst, in den Synagogen Fuß zu fassen. Dies gelang ihm jedoch nur ansatzweise. Daher waren die Christen gezwungen, nach anderen Orten für ihre Versammlungen zu suchen. Die Häuser standen sofort und in relativ großer Zahl zur Verfügung.
Es waren keine Bau- oder Umbaumaßnahmen nötig. Das ist bei uns heute manchmal eine Unsitte, wenn man meint, durch größere oder schönere Gebäude wachse automatisch die Gemeinde. Darüber sollte man nachdenken. Für die ersten Christen war das jedoch nicht notwendig. Sie hätten sich solche Maßnahmen auch nicht leisten können und hatten dazu auch keine Zeit, wenn man an Pfingsten denkt.
Das Judentum, wie bereits erwähnt, hatte seinen Platz im Haus. Diese Struktur musste nicht neu erfunden werden, sie war bereits vorhanden. Die Menschen waren es gewohnt, dass religiöses Leben im Haus stattfand. Jeder Römer mit einem relativ großen Haus hatte einen Ort der religiösen Verehrung im Zentrum seines Hauses. Das war der Normalfall.
Deshalb war diese Struktur ideal für das Anliegen der christlichen Gemeinde, die familiäre Gemeinschaft zu fördern. Ein zentraler Punkt in den ersten Gemeinden war das gemeinsame Essen, was vielleicht etwas despektierlich klingt, aber sehr wichtig war. Dieses gemeinsame Mahl hatten sie von Jesus gelernt. Jesus aß oft mit Menschen, um Gemeinschaft mit ihnen zu haben, mit ihnen zu sprechen und ihnen seine Zuwendung zu zeigen.
Die christliche Gemeinde, wie sie am Anfang entstand, hatte als zentralen Veranstaltungsort die gemeinsame Mahlzeit und nicht den gemeinsamen Wortgottesdienst. Ehrlich gesagt passt mir das an manchen Stellen nicht ganz, da ich es liebe, zu lehren und eine gute Predigt zu hören. Aber in der ersten Zeit waren die gemeinsamen Mahlzeiten zentral.
Zudem war es möglich, diese Versammlungen unauffällig abzuhalten. Man musste zwar etwas vorsichtig sein, wie wir aus späteren Schriften wissen. Es gab Verdächtigungen, wenn Männer und Frauen zusammen in ein Haus gingen. Das kann man zum Beispiel bei Minutius Felix nachlesen. Vielleicht sind ja Theologen unter uns, die das gut kennen.
In Verfolgungszeiten war diese dezentrale Einrichtung weniger angreifbar als ein zentraler Versammlungsort. Daher bot sich die Versammlung in Hausgemeinden besonders an.
Das antike Haus, die antike Familie, war in genau dieser antiken Struktur der elementare Baustein für Staat und Polis, also für die Stadt. Die Stadt baute auf der Zelle des Hauses, der Familie, auf. Diese war die kleinste und zugleich wichtigste Einheit in der stark vom Hellenismus und Griechentum geprägten Gesellschaft.
Häuser waren in der römischen Gesellschaft anders als bei uns. Bei uns sind Häuser Rückzugsorte. In der damaligen Zeit muss man sich Häuser jedoch anders vorstellen. Sie waren zentrale Orte für das wirtschaftliche Leben, für die Religion und eben auch für die Familie. Dementsprechend waren sie auch angelegt, wie wir gleich noch sehen werden.
Ein Satz, der alle Vorteile zusammenfasst: Ich habe bei Jürgen Becker, einem Theologieprofessor, der über Paulus gearbeitet hat, folgendes Zitat gefunden: Dass das Christentum sich hausorientiert organisierte, muss im Rückblick des Historikers als eine besonders glückliche Entscheidung angesehen werden.
Diese Entscheidung brachte einer Bewegung, die damals noch überhaupt nicht daran denken konnte, jemals in Staat und Gesellschaft gestaltend mitzuwirken – war sie doch eine offiziell verachtete Minorität, die selbst das nahe Weltende zu erleben hoffte – einen besonders qualifizierten Freiraum zur Selbstgestaltung. Zudem bot sie die Möglichkeit, Gottesdienst und Alltag der Welt nach den eigenen Vorstellungen integriert zu gestalten. Ein weiterer Vorteil war, dass eine gewachsene Struktur mit engen persönlichen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Beziehungsverhältnissen als vorhandene Infrastruktur genutzt werden konnte.
Wir lernen daraus zwei Dinge: Erstens erfahren wir einiges über die Hausgemeinde, was wir schon erwähnt haben. Zweitens erkennen wir, wie lange Sätze Theologen formulieren können.
Ganze Häuser wurden schlagartig zu christlichen Gemeinden. Wir kennen ja alle diese Bekehrungen ganzer Häuser: „Er und sein Haus“, heißt es bei Lydia; bei Lydia heißt es „Sie und ihr Haus“; beim Gefängnisbeamten in Philippi „Er und sein Haus ließen sich taufen“. Das ist natürlich immer eine Streitfrage: Waren die Babys dabei oder nicht? Das brauchen wir Gott sei Dank hier nicht zu verhandeln.
Dann der Synagogenvorsteher Crispus in Korinth: „Er und sein Haus“ wurden von Paulus getauft. Das war übrigens der zweite. Auch das Haus des Stephanas wurde komplett getauft.
Wir müssen uns auch in der Antike ein wenig davon verabschieden, dass der Glaube, das Zum-Glauben-Kommen, eine individuelle Sache ist. Vielmehr war es häufig so, dass eine komplette Familie zum Glauben an Jesus Christus fand. Das war überhaupt nichts Ungewöhnliches.
Das Haus im Altertum war Lebensform und Lebensgemeinschaft zugleich. Es war Mittelpunkt der natürlichen Familie, aber auch größerer Verbände. Es gab Häuser als Mehrgenerationenhäuser, in denen Verwandte, Angestellte, Diener, Sklaven und Alleinstehende Zuflucht fanden. Wenn ich „Häuser“ sage, sind immer auch Familien gemeint – so lässt sich das zusammenfassen.
Jetzt möchte ich etwas zur Größe der Hausgemeinden sagen. Was Sie hier sehen, ist eine römische Insel, eine Wohninsel, eine sogenannte Insula. Diese hier ist sehr klein. Solche Insulae waren bis zu sechs Stockwerke hoch. In einem solchen Wohnblock fanden bis zu 400 Menschen Platz.
Unten befanden sich Ladengeschäfte. Das war übrigens bei allen Häusern so: In allen Häusern gab es im Erdgeschoss die Möglichkeit, Ladengeschäfte einzurichten. Über den Läden, im ersten Stock, wohnten die einigermaßen Reichen. Das war anders als heute. Heute wohnen die Reichen meist im Penthouse ganz oben, damals wohnten sie im ersten Stock.
Warum war das so? Wenn es brannte, hatten die Reichen eine höhere Wahrscheinlichkeit, dem Brand zu entkommen als die Armen, die im fünften oder sechsten Stock lebten. Das ist leider eine gewisse Tragik. Im ersten Stock befanden sich vor allem Einraumwohnungen.
Sie müssen sich das nicht so vorstellen wie heute große Einraumwohnungen, die etwa 70 Quadratmeter groß sind. Diese Wohnungen waren so groß, dass man sich einigermaßen umziehen konnte. Sie hatten keine Bäder. Das war die Regel, denn nur ganz wenige Häuser besaßen Bäder oder Küchen.
Die Wohnungen im unteren Geschoss hatten vielleicht noch eine Herdstelle. Aber in den oberen Stockwerken gab es weder eine Möglichkeit zu kochen noch sich zu baden oder zu duschen. Das war alles nicht vorhanden. Es gab lediglich Räume, in denen man nachts schlafen konnte und sein Hab und Gut unterbringen konnte. Das Leben spielte sich vor allem draußen ab.
Daher halte ich es für relativ unwahrscheinlich, dass sich in solchen Häusern Gemeinden bildeten. Es gibt Theologen, die sagen, Aquila und Priscilla hatten einen Laden. Sie stellten Markisen und Sonnensegel her und hatten dafür Ladenräume. Man vermutet, dass sie vielleicht im Hinterzimmer etwas Platz hatten. Doch dieser Raum wurde dann für Stoff, Leder, Stangen und Ähnliches genutzt.
Daher ist es für mich ausgeschlossen, dass in so einer Insula eine Hausgemeinde existierte. Anders sieht es bei anderen Häusern aus. Bevor wir uns ein solches Haus anschauen, möchte ich noch etwas dazu sagen.
Es gibt auch heute Menschen in christlichen Kreisen, die mit größeren Häusern gesegnet sind. Ich meine das nicht zynisch, sondern ganz wörtlich. Ich finde es sehr schön und sehe es als großes Geschenk, wenn man eine relativ große Wohnung oder ein großes Haus hat, vielleicht sogar mit Garten.
Man sollte sich Gedanken machen, ob das nicht tatsächlich ein Geschenk Gottes ist, das man für eine Hausgemeinde nutzen kann – so wie auch immer sich diese gestalten mag. Bei den ersten Christen war es ganz klar: Wenn einer von ihnen ein Haus besaß – man nennt es ein Atriumhaus – dann stellte er es der Gemeinde zur Verfügung.
Die Gemeinde konnte sich dort treffen, eine Heimat finden, das Abendmahl einnehmen, gemeinsam essen, leiden und einander helfen. Die ersten Christen brauchten auch reiche Leute. Mehrheitlich entwickelten sich die ersten Gemeinden jedoch in einem sozial eher schwachen Umfeld.
Wenn aber ein Christ, wie ich annehme Aquila und Priscilla, ein Atriumhaus hatten, dann stellten sie es der Gemeinde zur Verfügung.
Jetzt ist es ein bisschen interessant, so ein Haus einmal anzuschauen. Ich weiß wohl, das rutscht bei mir immer ein bisschen ins Historische ab, aber wir können aus dem Historischen sehr viel lernen.
Wir haben also einen Eingangsbereich, das ist die Nummer eins. Und Sie sehen die Nummer zwei, die zweimal vorkommt. Das sind Ladenräume oder können zumindest als Ladenräume genutzt werden. Diese haben nach vorne einen Zugang. Man kann sie also von vorne betreten, ohne dass man schon im Haus drin ist.
Diese Räume konnten vermietet werden, sie konnten für das eigene Geschäft genutzt werden und natürlich auch als Versammlungsort oder als Gästezimmer dienen.
Dann kommt man zu Nummer drei, das ist der Empfangsraum. Jetzt dürfen wir nicht denken, dass dort nur Privatempfänge stattgefunden haben. Im Empfangsraum hat der Hausherr zum Beispiel auch Geschäftspartner empfangen. Hier hat er Gäste eingeladen, denen er etwas erklären wollte – zum Beispiel auch seine Religion.
Und dann kommen wir zu Nummer neun. Wenn wir schon dabei sind: Sie sehen auf beiden Seiten die Nummer neun, das waren Schlafräume. Wenn wir bei Nummer drei angelangt sind, sind wir schon in diesem Innenhof. Sie sehen es oben am Dach dieses Hauses: Dort geht es nach unten, das Wasser ist heruntergelaufen, wenn es geregnet hat, und wurde unten in einem Becken aufgefangen.
Es muss wunderschön ausgesehen haben. In Pompeji kann man das noch besichtigen. In diesem Bereich war genügend Raum, um sich zu treffen.
Wenn Sie dann die Nummer acht anschauen: Die Nummer acht waren die religiösen Bereiche. Dort waren die Hausaltäre, der Ahnen und der Götter, die man verehrt hat. Die brauchte man als Christ natürlich nicht mehr.
Nehmen Sie jetzt einmal den Atriumraum, also dort, wo dieses Wasserbecken ist, und fügen Sie die Nummer acht dazu. Diese beiden nennt man die Flügel, das heißt tatsächlich „Flügel“ auf Lateinisch. Sie haben einen wunderschönen, großen Versammlungsraum, sogar mit einem Wasserbecken in der Mitte.
Jetzt weiß ich nicht, ob dort tatsächlich Taufen stattgefunden haben, aber ich gehe davon aus, dass die eine oder andere Taufe dort gefeiert wurde. Sie haben im Grunde genommen einen idealen Versammlungsraum für die Gemeinde.
Das Essen wurde dann in anderen Räumen eingenommen. Schauen Sie sich die Nummer sieben an: Das ist das sogenannte Triklinum. Ich habe Ihnen hier ein Foto von einem Triklinum abgebildet. Das war der Essensraum.
Sie sehen, man saß dort nicht zum Essen, sondern man lag zum Essen. Man stützte sich ab und aß in diesem Raum. Auch das wurde sicherlich gemeindlich genutzt.
Jetzt sehen wir, dass so ein römisches Haus, wie es zur damaligen Zeit im ganzen Römischen Reich üblich war, im Grunde genommen eine ideale Infrastruktur für eine Hausgemeinde bot.
Und tatsächlich, Sie werden es gleich sehen: Aus diesen Hausgemeinden, die in ganz normalen Wohnhäusern stattfanden, entstanden später die sogenannten Hauskirchen.
Auf der nächsten Folie.
Ich habe dem schon ein bisschen vorgegriffen. Ich habe ja bereits erwähnt, warum die ersten Christen als Atheisten galten, also als Menschen, die gerade keine Götter verehrten.
Dabei sind bestimmte Merkmale aufgezeigt worden, die klassisch eine Religionsgemeinschaft ausmachen – sowohl im jüdischen als auch im griechisch-römischen Umfeld. Im jüdischen Kontext sieht es zwar etwas anders aus, doch vor allem im römischen Umfeld waren diese Merkmale entscheidend.
Die Christen hatten keine Götter, keine Tempel, keine Priester, keine Opferungen, keine Rituale und keine formellen Mitglieder. Damit galten sie nicht als Religion. Sie wurden als Atheisten angesehen, weil sie keine Götter hatten – sie hatten nur einen Gott, und das war ihr Vater.
All das machte sie verdächtig im Sinne des Atheismus, und das war ein verfolgungswürdiges Vergehen im römischen Reich. Auf der einen Seite waren die Hausgemeinden Zufluchtsorte. Auf der anderen Seite war die Struktur dieser Hausgemeinden natürlich auch wieder höchst verdächtig. Das muss man eben auch sehen.
Synagogen...
Wir sehen hier eine Rekonstruktion der Synagoge von Kapernaum. Ich möchte Ihnen zeigen, dass Synagogen nicht wie eine gotische Kathedrale in Köln aussahen. Im Grunde genommen waren es Häuser, die etwas größer waren.
Diese Gebäude hatten oft eine Empore für die Frauen, da Frauen im Judentum nicht am Gottesdienst teilnehmen durften. Der große Raum diente als Lehrgebäude und war eher schlicht eingerichtet. Manchmal gab es sogar eine Backstube, in der das ungesäuerte Brot gebacken wurde.
Wer mit mir einmal nach Rom reist, dem zeige ich die Synagoge in Ostia. Dort kann man diese Bauweise gut erkennen. Auch Synagogen waren im Grunde genommen erweiterte Hausgemeinden.
Ich möchte damit verdeutlichen, wie unnatürlich das ist, was wir seit etwa 1500 Jahren praktizieren. Ich sage gleich dazu: Das ist nicht unbedingt schlecht. So hat es sich entwickelt, und in diesem Prozess ist manches gut geworden, anderes weniger. Aber es muss nicht so bleiben.
Eine der ganz wenigen Hauskirchen, die man bisher ausgegraben hat, ist die in Dura Europos in Syrien. Diese kann man zurzeit allerdings nicht besichtigen. Ich habe Ihnen hier einen Grundriss dieser Hausgemeinde aufgezeigt. Nun hoffe ich, dass Sie meinen Pointer sehen, den ich jetzt einschalte.
Man scheint ihn zu sehen, deshalb möchte ich Ihnen das erklären. Hier sehen Sie noch die Ruine, die wir in Dura Europos vorfinden. Wir befinden uns bereits in einer Phase, in der jemand entweder ein Haus gekauft hat oder das Haus extra für diesen Zweck gebaut wurde. Schon im Ansatz erkennt man im Schnitt dieses Hauses, dass es an ein Atriumhaus erinnert.
Hier befindet sich ein großes Foyer. Danach folgt ein großer Raum, in dem sich die Gemeinde versammeln konnte. In diesem Raum wurde das Abendmahl eingenommen und gemeinsam gesungen – damals natürlich noch ohne Instrumente. Daneben lag das Lehrgebäude. Es war immer wichtig in der Gemeinde, die Apostellehre, also das Neue Testament, zu studieren. Das geschah hier. Man erhielt Lehreinheiten in diesem Bereich.
Wenn man durch diese Tür hinten geht, gelangt man zum Taufbecken. Das Taufbecken war zu dieser Zeit noch für die Untertaufe ausgelegt. Solche Taufbecken finden wir auch schön erhalten in Nordafrika.
Wir befinden uns hier im dritten Jahrhundert. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Grundstruktur der christlichen Gemeinde entweder eine Hausgemeinde, das heißt eine Gemeinde in einem natürlichen Haus, oder eben eine Hauskirche. Das war über drei Jahrhunderte hinweg so. Es gab keine Kathedralen oder große Versammlungsräume.
Im vierten Jahrhundert, nachdem Kaiser Konstantin das Christentum zur erlaubten Religion gemacht hatte und es förderte, änderte sich dies. Er sah, wie in Rom eine riesengroße Audienzhalle und Gerichtshalle entstanden war. Diese hatte sein Schwager Maxentius gebaut. Man erkennt hier noch ein Seitenschiff, und ich habe Ihnen den Grundriss ebenfalls aufgezeichnet.
Konstantin kam auf die Idee, für die Christen einfach Kathedralen zu bauen – sogenannte Basiliken. Eine Basilika hat ursprünglich nichts mit einer christlichen Kirche zu tun. Es war ursprünglich eine Audienzhalle des römischen Kaisers. Indem Konstantin diese Bauform adaptierte, wurde sie zur christlichen Kirche.
Über viele Jahrhunderte blieb diese Grundform die Basis der christlichen Kirchen, zumindest in der westlichen Kirche. Wir sehen hier sehr schön, wie eine der ersten Kirchen ausgesehen hat. Konstantin baute sie größtenteils aus Holz. Die Innenwände, die das Schiff trennten, bestanden zwar schon aus Stein, doch die Konstruktion war vor allem hölzern.
Das ist eine der ersten Basiliken, nicht ganz die erste, aber sozusagen die zweite. Es handelt sich um die Basilika über dem Grab des Petrus auf dem Vatikan.
Damit sind wir bei der Bauform angelangt, die wir wahrscheinlich auch von heutigen Kirchen kennen. Ich habe Ihnen das etwas ausführlicher gezeigt, damit wir Folgendes verstehen: Das Unnatürliche ist nicht die Hausgemeinde oder die Hauskirche. Diese waren in den ersten drei Jahrhunderten das, was die Christenheit ausmachte.
Das Unnatürliche ist, wenn man so sagen kann, das andere. Ich persönlich liebe große Kirchen und finde sie genial. Dennoch müssen wir uns für die christliche Gemeinde überlegen, ob diese Bauform zukunftsträchtig ist.
Einer meiner Professoren, Professor Peter Stuhlmacher aus Tübingen, hat in seinem Kommentar zum Philemonbrief einen Exkurs über die Hauskirchen, also die Hausgemeinden, eingefügt.
Stuhlmacher, der inzwischen ein hohes Alter erreicht hat – ich meine, er ist mittlerweile über neunzig Jahre alt –, schrieb vor einigen Jahren in diesem Kommentar zum Philemonbrief, was bedeutet, dass das zu meiner Studienzeit war. Ich merke gerade, das ist mehr als dreißig Jahre her. Schon damals, in den Achtzigerjahren, betonte er, dass die Bedeutung der frühchristlichen Hausgemeinden nicht unterschätzt werden sollte. Paulus selbst hat in Hausgemeinden gelebt, gelehrt und solche gegründet.
In ihrer missionarischen Wirkung sind gerade die Hausgemeinden deshalb bedeutungsvoll geworden, weil sie über die reine Wortverkündigung hinaus einen Lebensraum in Gemeinschaft und Freiheit für Personen aller Schichten anboten.
Das ist es, was ich meinte: Diese Hausgemeinden machten das Missionschristentum konkurrenzfähig gegenüber den zahlreichen religiösen Vereinen, der populärphilosophischen Predigt und der Anziehungskraft der Synagoge – gerade auch als religiöse Gemeinschaftsbewegung. Es war attraktiv, in eine solche Hausgemeinde zu gehen.
Jetzt machen wir einen großen Sprung und kommen zu Luther. Im Jahr 1526, also nach dem Krisenjahr 1525, dem Bauernkrieg, war Luther völlig am Boden. Seine Reformation war eskaliert, und leider muss man sagen, dass er die Fürsten durch eine Schrift gegen die Bauern aufgehetzt hat. Luther befand sich in einer Krisensituation. In dieser definiert er, wie er sich die Gemeinde – die protestantische, die evangelische Gemeinde – vorstellt. Den Begriff „protestantisch“ benutzte man damals noch nicht; man sprach von der evangelischen Gemeinde. Das möchte ich Ihnen jetzt näherbringen.
Zunächst gehen wir aber noch ein wenig zurück ins Jahr 1520. In diesem Jahr führt Luther den Begriff ein, den wir als das allgemeine Priestertum aller Gläubigen kennen. Ich lese einen Ausschnitt aus seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des Christen Standes Besserung“. Dort schreibt Luther:
„Und damit ich es noch klarer sage: Wenn ein Häuflein frommer Christenleien gefangen wäre und sie in eine Wüste gesetzt würden, die nicht einen von einem Bischof geweihten Priester bei sich hätten, und sie würden sich dort in der Sache einig, einen von ihnen erwählen, ob verheiratet oder nicht, und würden ihm das Amt befählen, zu taufen, Messe zu halten, Sünde zu vergeben und zu predigen, dann wäre dieser wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste geweiht hätten.“
Das finde ich sehr interessant. Luther sagt also, wenn in einer Wüste – das ist natürlich eine konstruierte Situation – so ein kleines Häuflein wäre, eine Art Hauskirche oder Wandergemeinschaft oder Nomadengemeinschaft, und diese würden einen zu ihrem Priester auserkoren, dann wäre dieser genau so Priester wie der Papst. Das war ein großer Schritt. Es zeigte, dass es unter den Christen keinen Unterschied gab zwischen Klerus und Laien.
Nun kommen wir zu der Sache, die Luther dann eingeführt hat. Die Schrift, in der man das findet, ist die Vorrede zur deutschen Messe. In dieser Vorrede definiert Luther, wie er sich Gemeinde vorstellt. Ich versuche es jetzt relativ kurz zu machen.
Das Erste ist: Er sagt, wir brauchen einen lateinischen Gottesdienst. Dieser findet tatsächlich in der Kirche statt, so wie Sie es auch aus den klassischen Kirchen kennen. Dieser Gottesdienst müsste in der jeweiligen Weltsprache stattfinden. Lesen Sie es gern selbst nach. Ich versuche es ein wenig zu aktualisieren, aber es steht wirklich so drin. Luther will, dass in der Weltsprache gepredigt wird – bei uns wäre das Englisch – und dass dort Lieder gesungen werden. Er sagt, das sei wegen der Jugend, weil die Jugend diese Weltsprache liebt. Damals war Lateinisch die Sprache der Jugend. Für die Jugend müsse man in der Weltsprache predigen und Lieder singen. Man müsse sie befähigen, weltweit in dieser Sprache das Evangelium zu kommunizieren. Das ist die Vorbereitung für die natürliche Weltmission, die die jungen Leute und Christen dann in die Welt tragen.
Das ist die erste Weise des Gottesdienstes.
Die zweite Weise beschreibt Luther ebenfalls. Sie ist in der Vorrede zur deutschen Messe aufgeführt. Vielleicht können Sie das noch einmal nachschauen. Die zweite Form findet in großen Kathedralen statt. Damals gab es dort noch keine Stühle, und es passten nicht alle Leute hinein. Heute sind die Bänke oft leer, aber damals standen alle. Luther sagt, diese Form müsse für einfache Leute sein, in der einfachsten Sprache gehalten werden. Sie müsse attraktiv und evangelistisch gestaltet sein. Es solle eine öffentliche Anreizung zum Glauben und zum Christentum sein.
Bis hierher ist noch überhaupt keine Rede von den Christen, die bereits gläubig sind. Sowohl die erste Form des Gottesdienstes ist darauf ausgerichtet, junge Leute zu erreichen und die Mission im Blick zu haben. Die zweite Form ist die sonntägliche Evangelisation, so würden wir heute sagen.
Aber wo sind die Christen? Wo erhalten sie ihre geistliche Nahrung? Luther sagt, das geschieht in der dritten Weise, in der dritten Form des Gottesdienstes. Er bezeichnet diese als die rechte evangelische Weise des Gottesdienstes und meint damit das Gemeindeleben.
Das wollen wir uns jetzt einmal anschauen.
Das Erste, was er sagt: Dort treffen sich die, die mit Ernst Christen sein wollen und das Evangelium in Wort und Tat bekennen. Heute würden wir sagen: die, die eine bewusste Entscheidung für Jesus getroffen haben, die wiedergeborenen Christen. Diese sollten sich in eine Liste in der jeweiligen Gemeinde einschreiben. Wir werden gleich hören, was für Gemeinden das sind. Ich kann es Ihnen sagen: Es sind Hausgemeinden. Luther sagt, sie müssen sich in den Häusern treffen.
In jedem Haus sind dann eine gewisse Anzahl bekehrter Christen, die sich in eine Liste einschreiben und so zur Hausgemeinde gehören. Das wollte Luther. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass das nie umgesetzt wurde.
Was geschieht nun in dieser Hausgemeinde, wie Luther sie gedacht hat? Zunächst einmal diese Freiwilligkeit: Die Mitglieder zeichnen sich mit Namen ein. Es ist eine liebevolle, nicht öffentliche Gemeinschaft. Man hört den Anklang an die Familie.
Dort studiert man die Bibel, erhält Unterricht in biblischer Lehre und korrigiert den Lebensstil, wenn er entgleitet – also das, was wir heute unter Gemeindezucht verstehen (vgl. Matthäus 18). Die Hausgemeinde trägt auch diakonische Verantwortung füreinander. Die Mitglieder geben Geld freiwillig, um Arme zu versorgen und Menschen in Not mit Geld oder Tat zu helfen. Es soll Wohnraum für Bedürftige geben.
Man kann das noch etwas ausdehnen: Diese Gemeinschaft, die Sie hier sehen, habe ich ein wenig aktualisiert. Bei Luther stand nicht so drin, dass man einen Teil-PKW haben soll, aber es ist eine Teilgemeinschaft, in der man Dinge miteinander teilt. Ich habe es aktualisiert: Man teilt zum Beispiel einen Pkw.
Ich verspreche Ihnen, das wird nach Corona ein großes Thema werden. Sie können über den Klimawandel denken, wie Sie wollen, aber es wird Veränderungen geben. Analysten und Politiker haben die Pläne in der Schublade. Vielleicht sind wir bald froh, wenn wir PKW teilen können. Da haben wir auch eine Verantwortung für die Schöpfung und müssen ernsthaft darüber nachdenken.
Es geht auch darum, leerstehende Räume für Menschen zur Verfügung zu stellen, die beengt wohnen. Das ist ganz praktisches Christsein. Ebenso Gärten für Menschen, die in Wohnblocks, Hochhäusern oder innerstädtischen Wohnungen leben. Es ist ein praktisches Teilen.
Und dann natürlich das, was man unter Sakramentsverwaltung versteht. Luther sagt, in diesen Hausgemeinden muss getauft werden und das Abendmahl gehalten werden. Wenn man das heute in einer evangelisch-landeskirchlichen Gemeinde tut, bekommt man Stress. Aber das ist das, was Luther wollte.
Fassen wir es noch einmal zusammen – und diesmal ohne riskante Schnellschüsse. Die evangelistische Verkündigung ist sehr zentral, und ich glaube, dass sie auch bei uns eine große Bedeutung hat. Das wird immer deutlicher.
Ich denke, nach der Corona-Zeit werden wir vielleicht eine veränderte Situation antreffen, möglicherweise schon in den letzten Phasen der Pandemie. Die Not wird nicht einfach verschwinden, wenn wir alle durchgeimpft sind. Wahrscheinlich wird die Not dann erst richtig offensichtlich. Und dann werden die Menschen Fragen stellen.
Die Frage ist: Haben wir Strukturen, die es ermöglichen, evangelistisch zu verkündigen? Spaltungen sollten auf jeden Fall vermieden werden, sagt Luther. Er betont, dass er nichts erzwingen möchte, sondern dass das Wachstum organisch geschehen muss. Hausgemeinden sollen wachsen und nicht erzwungen werden. Außerdem weist er darauf hin, dass die Eigenart der Deutschen bedacht werden muss. Die Deutschen seien ein wildes, rohes Volk, mit dem man wenig anfangen könne – es treibe sie nur die höchste Not, sagt er. Das mag wohl auch in Bezug auf das Impfen und Ähnliches zutreffen.
Wie wurde das mit den Hausgemeinden umgesetzt? Eigentlich gar nicht. Erste Anläufe gab es erst hundertneunundvierzig Jahre später durch Philipp Jakob Spener. Er richtete Bibelstunden ein, die in seinen privaten Räumen, im Pfarrhaus, stattfanden. Dort wurden Glaubensgespräche geführt und überlegt, wie man auf der Basis der Predigt die kommende Woche gestalten kann. Doch eine echte Hausgemeinde konnte nicht entstehen, das war politisch nicht möglich.
Zweihundert Jahre später versuchte Zinzendorf es, die Herrnhuter. Er gründete eine Kommunität von Gläubigen und setzte tatsächlich Hausgemeinden um. Doch er wurde geächtet, aus Sachsen ausgewiesen und durfte sein Leben lang nicht zurückkehren. Er hatte eine politische Grenze überschritten. Dass keine Hausgemeinden weiter entstanden, war also eine politische, keine geistliche Entscheidung.
Nach 430 Jahren, gerechnet von Luthers Vorrede zur deutschen Messe, entstand dann die Hauskreisbewegung, wie wir sie heute kennen. Dabei wird aber peinlich genau darauf geachtet, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden, die in die Monopolstellung der Kirche eingreifen. Stichworte sind hier Abendmahl, Taufe und Ähnliches.
Heute gibt es die eigenartigsten Ausflüchte. Ich möchte Ihnen eine solche aus dem Deutschen Pfarrblatt von 2004 vorlesen, die sich auf Luthers Vorrede zur deutschen Messe bezieht. Frank Hoffmann schreibt, Luther spreche nicht davon, dass die deutsche und lateinische Messe unzureichend seien. Natürlich spricht er das an. Er sagt, das sei das Zentralste.
Hoffmann behauptet weiter, Luthers Skizze einer dritten Gottesdienstform enthalte nicht die Behauptung, dass die beiden anderen Formen unzureichend seien. Ehrlich gesagt, genau das sagt Luther aber. Auch die Behauptung von Blom – wer immer das ist –, Luther habe diese dritte Gottesdienstform im Hintergrund der im Neuen Testament bezeugten Hausgemeinden entworfen, trifft nicht zu.
Man liest das und denkt, der habe Scheuklappen auf. Man merkt, wie hier blockiert wird. Aber auch hier wird sich in Zukunft etwas verändern. Die institutionellen Vorgaben von Theologen werden künftig nicht mehr uneingeschränkt möglich sein oder nur noch eingeschränkt gelten.
Gemeinde von morgen – wie wird sie aussehen? Das war unsere Fragestellung. Werden wir wieder zu Hausgemeinden zurückkehren?
Einer der großen systematischen Dogmatiker aus Tübingen, der Mitte der Neunzigerjahre aktiv war, hat im Jahr 2014 in einem Interview gesagt: Jürgen Moltmann – manche werden ihn kennen, er ist nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Er war mein Lehrer, und ich möchte ihm nicht zu nahe treten, aber man muss ihn differenziert sehen. Moltmann schreibt, dass Wachstum, Veränderung und Mission keine Aufgaben der Landeskirchen von oben sind, sondern der Christen von unten. Die Gemeinde ist die Kritik der Kirche und ihre Zukunft.
Unter Kirche versteht der normale Mensch in Deutschland Pfarrer, Bischöfe, Priester und Hierarchie. Und genau das ist grundfalsch. Luther wollte aus diesem Grund das Wort Kirche nicht verwenden. Die eigentliche Kirche ist die Gemeinde am Ort, die versammelte Gemeinde. Die Zukunft der Kirche ist freikirchlich, sagt derjenige, der alle württembergischen Pfarrer mit ausgebildet hat.
Der bereits erwähnte Peter Stuhlmacher sagt: Wie lange das volkskirchliche System noch Bestand haben wird, lässt sich schwer sagen. Es wird wahrscheinlich mit der Zeit durch ein Netz von Freiwilligkeitsgemeinden abgelöst werden, die sich und ihre Pfarrer selbst finanzieren und nur noch so viele diakonische Aufgaben übernehmen, wie es ihre Mittel erlauben. Man hört da Luther nachklingen: Von Luther her können und sollen wir die familiäre Form des Gemeindelebens nicht scheuen, sondern ihr hoffnungsvoll entgegensehen.
Peter Stuhlmacher ist ebenfalls ein Lehrer, der so gut wie jeden württembergischen Pfarrer ausgebildet hat, der momentan etwa in meinem Alter ist. Wir merken also, selbst von den alten Haudegen, den alten Theologen-Haudegen – ich wage es jetzt einfach mal, meine ehemaligen Lehrer so zu nennen – kommt die Aufforderung, ganz neu zu denken. Wir dürfen hier keine Denkverbote mehr haben.
In der Zwischenzeit gibt es bereits Ansätze solcher Hauskirchen. Ich habe das am Anfang erwähnt: Ein Jugendpastor, der am BSK seine Ausbildung macht, geht in eine Gemeinde, die Erlebtgemeinde in Landau heißt. Sie können lesen: Erlebt oder Erlebtgemeinde. Ich würde sagen, das ist eine Gemeinde, wie wir sie in einer guten Freikirche kennen.
Momentan hat diese Gemeinde 35 Hauskirchen – 35 Hauskirchen, eine Zahl, die stark steigt. Dabei ist wichtig zu wissen: Ihr Gottesdienst ist deshalb nicht ausgeblutet, und in der Lehre sind sie nicht nachlässig geworden.
Ich habe Ihnen einfach mal kopiert, wie sie selbst diese Hauskirchen beschreiben:
„Kirche ist mehr als sonntags vor einer Stunde im gleichen Raum zu sitzen. Kirche ist Beziehung zu Jesus Christus und zueinander. Kirche heißt, miteinander von der Gnade Gottes zu leben, Schritte im Glauben zu gehen, zusammenzustehen in allen Lebenslagen und andere in dieser Gemeinschaft willkommen zu heißen. Eine Hauskirche ist Kirche im Kleinen, in privater Umgebung. In ihr gelingt, was in einer großen Gruppe kaum möglich ist: ein vertrauter Umgang miteinander. Daher treffen wir uns als Erlebtgemeinde regelmäßig in Hauskirchen von sechs bis zwölf Personen, verteilt über die ganze Südpfalz. Der Gedanke ist, dass über die ganze Südpfalz lauter Hauskirchen entstehen – und 35 sind momentan keine kleine Zahl.
In den Hauskirchen möchten wir Freundschaft leben. Wir denken gemeinsam über Bibeltexte nach, sprechen über das, was uns bewegt, beten zusammen und richten unser Leben so auf Jesus Christus aus. Willst du mit uns unterwegs sein, dann bist du herzlich willkommen. Wir helfen dir, die passende Gruppe zu finden.“
Das ist keine Utopie, die wir heute Abend hier aufgleisen. Das ist umgesetzte Realität.
Ich möchte noch auf eine Sache hinweisen. Wir haben ja diese Hauskirchen weltweit an vielen Orten. Ich möchte es einmal so sagen: In unseren Breitengraden haben wir immer noch eine gewisse – und ich stelle das bei mir selbst fest – Arroganz gegenüber den ehemaligen Missionsgemeinden, also den Gemeinden, zu denen wir Missionare gesandt haben.
Wir denken oft, dass wir diejenigen sind, die noch viel lehren können, und dass wir sozusagen den württembergischen Talar bringen. Wir sollten endlich die Arroganz aufgeben, zu glauben, dass wir im Westen die einzige und ewig gültige Form von kirchlichem Leben haben.
Die Hauskirchen sind eine riesige Bewegung in China. Dort gibt es Zigtausende von Hausgemeinden und Hauskirchen, von denen wir viel lernen können. Auch von anderen Ländern, ich habe hier nur ein Beispiel genommen. Dieses Bild zeigt eben eine chinesische Hauskirche, wie Sie sehen können.
In der Mission spricht man heute von „Mission reverse“, also davon, dass Missionare zu uns kommen und uns zeigen, wie Gemeinde gelebt wird. Wir sollten den Mut haben, von Christen in ehemaligen Missionsländern zu lernen und nicht zu meinen, wir müssten unsere 1500-jährige kirchliche Kultur dorthin importieren. Das ist sicherlich gut, aber wir müssen sehr differenzieren.
Was ist die Aufgabe der Gesamtgemeinde? Ich habe sie Ihnen einfach mal aufgelistet, damit Sie nicht denken, ich wolle hier die Gesamtgemeinde abschaffen.
Die Aufgaben der Gesamtgemeinde sind zum Beispiel einladende Gottesdienste, Evangelisation am Sonntagmorgen und Gemeindebibelschule. Dabei kommt man zusammen, alle gemeinsam, wird unterrichtet und trägt das Gelernte dann in die Hausgemeinden hinein.
Ich habe das am Ende meines Pastorendienstes, im letzten Drittel, so gemacht: Wir haben uns einmal im Monat getroffen, die ganzen Hauskreise sind zusammengekommen. Ich habe eine Einführung in einen Bibeltext oder in ein biblisches Buch gegeben, und dann sind sie in ihre Hauskreise zurückgekehrt. Damals konnte man natürlich noch nicht von Hausgemeinden sprechen.
Zu den Aufgaben gehört auch, Hauptamtliche für die Hausgemeinden zu haben. Diese Hauptamtlichen sitzen in der eigentlichen Gemeinde, betreuen aber unter Umständen zehn, zwölf oder dreizehn Hausgemeinden von dieser Hauptgemeinde aus.
Weitere Aufgaben sind Kasualien, also Hochzeiten und ähnliche Feiern, die man natürlich nicht in einem kleinen Haus abhalten kann, da wird es bei manchen sehr eng. Diese Feiern sollten gemeinsam stattfinden.
Auch Verwaltung, Vereinsangelegenheiten und Öffentlichkeitsarbeit gehören dazu. Diese Aufgaben sollten bitte nicht an Theologen abgegeben werden, sondern an Leute, die das wirklich können. Ich weiß, wovon ich rede.
Darüber hinaus braucht es gemeinsame Gottesdienste und Veranstaltungen. Das gemeinsame Miteinander ist wichtig, denn wir müssen auch sehen, dass wir nicht nur ein kleines Häufchen sind.
Dann gibt es die Aussendung und Finanzierung von Missionarinnen und Missionaren. Last but not least könnte man noch viel weiter ausführen: Diakonische Dienste gehören ebenfalls dazu. Eine kleine Hausgemeinde ist dafür finanziell meist zu schwach.
Ich sehe durchaus die Problemzonen von Hausgemeinden. Einige habe ich bereits erwähnt: den Konkurrenzverdacht, den zu großen Einfluss starker Persönlichkeiten – man ist ja in jemandes Haus, also auch ein Stück weit privat – sowie Eigenbrötlererei, Abspaltung von der Gesamtgemeinde und die Ausbildung von Sonderlehrern. Ich sehe all das. Verstehen Sie mich richtig?
Aber lassen Sie mich so sagen: Das, was ich hier gerade aufgezählt habe, ist im Lauf der Kirchengeschichte ebenfalls vielfach bei den Großkirchen passiert. Das ist kein Phänomen der separatistischen Gruppierungen. Manchmal wurde es sogar institutionalisiert, bis hin dazu, dass Irrlehre institutionalisiert wurde.
Der Generalverdacht der Uneinigkeit: Sind sonntägliche Gottesdienste, ist meine Frage, gemeinsame Gebäude und eine gemeinsame Struktur Garanten für eine Einheit im Geist? Dass wir uns für zwei Stunden am Sonntag pro Woche treffen – ist das Einheit? Hat die 1500-jährige Struktur, wie wir sie bis heute kennen, die Einheit gefördert oder ihr geschadet?
Und ich meine jetzt nicht eine institutionelle Einheit, sondern die Einheit der Wiedergeborenen. Wird die Einheit verordnet oder wirkt sie durch den Heiligen Geist, wird sie gelebt und aktiv daran gearbeitet? Ich kann natürlich Einheit einfordern, ich kann sie befehlen, aber das ist nicht die Einheit im Geist. Diese wird gewirkt.
Denn selbst wenn die organisatorische Einheit der Gesamtgemeinde lockerer wird, spricht das tatsächlich gegen Hausgemeinden, die Lebensgemeinschaften sind. Ich hätte Ihnen hier noch ein paar interessante Modelle, wie man Hausgemeinde leben kann.
Ich möchte schließen mit einem Resümee und einem Zitat von meinem Lehrer Peter Stuhlmacher.
Resümee
Ich gebe zu, ich habe keine fertige Konzeption. Möglicherweise gibt es auch nicht die eine Konzeption einer Hausgemeinde oder einer Hauskirche. Ich bin genauso wie Sie in der Phase des Lernens. Ich mache mir Gedanken darüber, wie wir die nächsten Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, Gemeinde so gestalten können, dass sie im Sinne des Wortes Gottes und Jesu Christi ist.
Ich habe keine fertige Konzeption, sondern möchte Ihnen einen Anstoß geben, weiter darüber nachzudenken. Die Zeit ohne Hausgemeinden war sehr lange. Wir können uns das kaum vorstellen, denn wir können uns nur Dinge vorstellen, die wir zumindest ansatzweise erlebt haben. Vielleicht können das unsere Missionare, die in China oder in Südamerika waren. Aber wir in Deutschland, in Zentraleuropa, können uns Kirche kaum anders vorstellen als so, wie sie sich in 1500 Jahren entwickelt hat oder in 500 Jahren. Strukturell ist der Unterschied nicht sehr groß.
Deshalb müssen wir geduldig miteinander sein. Gehen Sie jetzt nicht in Ihre Gemeinden und sagen, wir brauchen bis nächsten Sonntag nicht 35, aber mindestens 30 Hausgemeinden. Das würde nur spalten. Für die Veränderungen der nächsten Zeit glaube ich jedoch, dass das Modell Hausgemeinde das zukunftsfähigste ist.
Ich würde gerne sagen, ich irre mich an dieser Stelle, aber ich fände es schade, wenn ich mich irre. Denn ich setze zusammen mit anderen, und das sind keine Phantasten, relativ große Hoffnungen in dieses Modell. Abwarten und Bedenkenträgerei halte ich für die falsche Vorgehensweise. Wir Deutschen haben da, glaube ich, eine ganz besondere Prägung: das Abwarten und die Bedenkenträgerei. Das haben Sie in den letzten Wochen an anderer Stelle wahrscheinlich beobachten können.
Das sollten wir an dieser Stelle nicht tun. Wir sollten jetzt darüber nachdenken, in den ältesten Kreisen und darüber hinaus. Kommen Sie ins PSK, lassen Sie sich ausbilden, denn die Gemeinde wird in Zukunft auf mehreren Schultern getragen werden.
Wir sollten von Modellen lernen, die es in anderen Ländern gibt und die punktuell auch schon in Deutschland existieren. Machen Sie mal einen Ausflug nach Landau und sprechen Sie mit den Gemeindegliedern und Pastoren. Fragen Sie sie: Wie ist das mit Ihrer Hausgemeinde? Ein schöner Ausflug in die Pfalz kann da sehr aufschlussreich sein. Hoffentlich lege ich ihnen jetzt nicht ein Ei.
Die Gemeinden sollten alles tun, um Hausgemeinden – und ich meine damit nicht nur Hauskreise – als integrativen Bestandteil ihrer Gesamtgemeinde zu fördern.
Ich schließe mit dem Zitat von Professor Peter Stuhlmacher aus dem Jahr 1994:
„Es ist Zeit, über solche kleinen Versammlungen im volkskirchlichen Ganzen neu nachzudenken, weil wir am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sehen, dass die Kirche unter dem Regiment der Landesherren, auf das Luther seine Hoffnung gesetzt hatte, nicht die Weiterentwicklung erfahren hat, die sie biblisch war und sein soll.“
Ich hoffe, dass es im einundzwanzigsten Jahrhundert anders aussehen wird – in Gottes Namen.
Ich danke Ihnen, dass Sie so lange ausgehalten haben. Ich entschuldige mich noch einmal für die Tonstörungen am Anfang und dafür, dass Sie mich vielleicht zweimal hören mussten, falls Sie keine Tonstörung hatten.
Vielen Dank, dass Sie dabei waren.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie heute der 500. Abonnent unseres YouTube-Kanals werden können. Sie finden einen Button unterhalb dieses Fensters, in dem Sie diesen Film gerade angeschaut haben. Dort können Sie unseren Kanal abonnieren. Das ist bei YouTube immer ganz wichtig.
Wir fiebern gerade dem 500. Abonnenten entgegen. Vielleicht sind Sie es – nutzen Sie die Gelegenheit.
Sie dürfen gerne die Seminare des BSK besuchen. Unsere Abendvorträge sind nur ein kleiner Einblick in das vielfältige Programm, das wir haben. Schauen Sie vorbei auf unserer Internetseite bibelstudienkolleg.de und melden Sie sich an. So gut wie alle Seminare können Sie auch von zuhause aus mitverfolgen, daran teilnehmen und in die Diskussionen einsteigen.
Wir sind hybrid unterwegs – da hat sich beim BSK vieles verändert.
Last but not least: Wir sind ein reines Spendenwerk und freuen uns natürlich auch, wenn Sie uns mit einer Spende unterstützen, gerne auch regelmäßig. Ich bedanke mich schon jetzt ganz herzlich dafür.
Ich wünsche Ihnen einen bewahrten, gesegneten Abend. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr aufgewühlt. Träumen Sie heute Nacht schön von Ihrer Hausgemeinde.
In diesem Sinne: Gott befohlen und auf Wiedersehen.