Lieber Herr,
manchmal fällt es uns sehr schwer, still zu werden und auf deine Stimme zu hören. Du hast uns in dieses Leben gestellt, und eines Tages werden wir vor deinem Gericht stehen. Heute bist du auch der Herr dieses Tages.
Wir wollen unsere Ängste und Sorgen bei dir ablegen. Zugleich danken wir dir, dass du Herr bist. Du bist größer als alle dunklen Mächte, größer als die Krankheit, größer als alles Böse und größer als unser Herz.
Gib uns heute Abend den Mut und die Freude, die du aus deinem Wort wirkst. Amen.
Einführung in das Thema des Hohenpriesters
Hebräer 4,14 markiert den Beginn eines Abschnitts über Christus als den wahren hohen Priester. Die Einteilung der Kapitel wurde erst viel später vorgenommen und steht daher nicht im Zusammenhang mit den ursprünglichen Texten.
Für manche ist dieser Abschnitt etwas ungewohnt, besonders wenn sie mit Israel als Gottesvolk nicht sehr vertraut sind. In Israel war das Leben eng mit dem Glauben verbunden. Noch heute erhalten alle Juden, ob gläubig oder Atheist, etwa vier Stunden Bibelunterricht über das Alte Testament. Daher ist ihnen die Bibel sehr vertraut.
Der Hebräerbrief ist an Juden geschrieben, genauer gesagt an hebräische Christen, also Judenchristen. Dort heißt es: Weil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, sollen wir festhalten an dem Bekenntnis.
Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht mit unserer Schwachheit mitleiden könnte. Er wurde in allem versucht, wie wir, doch ohne Sünde. Deshalb sollen wir mit Zuversicht zum Thron der Gnade treten, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, wenn wir Hilfe brauchen.
Jeder hohe Priester, der von den Menschen eingesetzt wird, dient den Menschen vor Gott. Er bringt Gaben und Opfer für die Sünden dar. Er kann mitfühlen mit denen, die unwissend sind und irren, weil er selbst Schwachheit kennt.
Darum muss er sowohl für das Volk als auch für sich selbst Opfer bringen wegen der Sünden. Niemand nimmt sich selbst die hohe priesterliche Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie auch Aaron.
Die Berufung Christi als Hoherpriester
So hat auch Christus sich nicht selbst die Ehre beigelegt, hoher Priester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat in Psalm 2,7: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“, wie er auch an anderer Stelle spricht, in Psalm 110,4: „Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“
In den Tagen seines irdischen Lebens hat er Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte. Und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.
So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, genannt von Gott ein hoher Priester nach der Ordnung Melchisedeks.
Herausforderungen und Chancen der Kirche in der heutigen Zeit
Sie kennen das Problem: Kirchengemeinden sterben ab, Gottesdienste sind leer. Das ist kein Wunder, denn es interessiert niemanden, es ist langweilig. Die Frage, wie man Menschen aktivieren kann, wird vernachlässigt. Dabei ist sie hochinteressant.
Wenn man zum Beispiel, wie jetzt beim kommenden Kirchentag, Harald Schmidt als Bibelarbeiter einlädt, wird es sicher brechend voll in der Schleierhalle. Es ist interessant, und viele Themen können eingebracht werden, auch politische. Man kann viel aktivieren.
Wenn man jedoch die Geschichte der Christen betrachtet, sieht man, dass sie immer wieder versucht haben, sich ihrer Zeit anzupassen und in diese hineinzugehen. Bei einer kritischen Würdigung der Kirchengeschichte muss man sagen: Es ist eigentlich schlimm, wenn sich Christen zu sehr mit ihrer Zeit vermählen.
Es war schlimm, wie viele Christen mit Begeisterung im Dritten Reich mitgeschwommen sind und gesagt haben, das sei die Stunde Gottes. Natürlich marschierte die ganze SA in die Kirche. Es war ein Erlebnis, die Kirche voller Männer zu sehen. Viele fromme Leute sagten, es habe so viele Männer in der Kirche noch nie gegeben. Doch es war ein Irrweg. Ideologie war eingedrungen.
Im Mittelalter haben sich die Kirchen oft mit den Mächtigen vermählt. Wenn man jedoch wirklich schaut, wo große Glaubensbewegungen entstanden sind, waren es keine Machtbewegungen, bei denen man sich anbiederte. Stattdessen begannen Menschen plötzlich zu begreifen, worum es im Wort Gottes geht.
Dann waren es immer Zeiten, in denen etwas wach wurde. Das haben wir zuletzt besprochen: Wenn das Wort Gottes ins Gewissen der Menschen dringt und sie plötzlich sagen, das größte Problem meines Lebens ist Schuld.
Hunderttausend Mal wurde die Geschichte von jenem Mönch in Wittenberg erzählt, der sich mit dieser Frage quälte: Martin Luther. Er war es, der als Einzelner die ganze Reformation Europas auslöste. Die Frage lautete: Wie komme ich mit Gott klar?
Doch das war nicht nur bei Luther so. Auch die verschiedenen Erweckungsbewegungen zeigen das. Nehmen wir die große Erweckungsbewegung im 18. Jahrhundert in unserem Land. Die Gorken in Tübingen, die Weingärtner, sie gingen nie in den Gottesdienst. Plötzlich aber war ihr Gewissen aufgewühlt.
Man weiß gar nicht genau, wie es begann. Irgendwie kam das Gefühl auf: Ich muss mein Leben mit Gott in Ordnung bringen. Doch sie hatten nicht den Mut, in die Kirche zu gehen. Stattdessen baten sie die Pfarrer, doch in ihre Weinberghäuschen zu kommen.
So begannen diese Bibelstündchen in den Weinberghäusern. Das königliche Regiment und das herzogliche griffen schließlich ein und verboten diese privaten Versammlungen aus Todesangst, dass sich Sekten breitmachen könnten.
Es war immer so, wenn man es zurückverfolgt: Aufbrüche. Wie war das in Ihrem Leben? Viele haben mir erzählt, dass sie eigentlich gleichgültig gelebt haben, bis in ihrem Leben plötzlich etwas passierte und sie wach wurden.
Das Wort Gottes ist das einzige Instrument, durch das der Geist Gottes in unser Leben eindringen kann. Es kann sein, dass Sie auf einem Plakat Gotteswort lesen, dass Ihnen jemand sagt oder dass Sie selbst es lesen – irgendwo trifft Sie Gott.
Das Wort Gottes ist das Instrument, das in unserem Gewissen ungeheure Unruhe auslöst. Lesen Sie das Gotteswort, wenn Sie ein suchender Mensch sind und nach Wahrheit verlangen. Lesen Sie das Wort Gottes.
Es ist ein lebendiges Wort, kein Todeswort. Zeitungen sind meist am nächsten Tag schon veraltet, doch das Wort Gottes veraltet nie. Ganz interessant ist, wo es in unserem Leben zuschlägt.
Darum kann man das Wort Gottes auch nicht anpassen oder mit seinem Denken korrigieren. Stattdessen korrigiert das Wort Gottes uns. Es hat Autorität, die uns packt. Obwohl viele es als stumpf empfinden, regt das Wort Gottes niemanden mehr auf.
Es ist so lebendig und kräftig, dass es durchdringt. Es hat mich immer gewundert, wie rigoros die Kommunisten die Bibel verboten haben. Es war nie möglich, über eine kommunistische Grenze eine Bibel zu importieren.
Das ist bis heute in China nur sehr begrenzt möglich – nur durch die Bibeldruckerei in Nanking, die rund um die Uhr in drei Schichten Bibeln druckt. Das reicht aber nicht.
Für uns ist das völlig ungewöhnlich, wenn man sagt, die Bibel interessiert doch keinen mehr. Doch lassen Sie das Wort Gottes einmal wirken.
Ich freue mich sehr an unseren starken jungen Männern, wenn sie auf ihre Jugendfreizeit oder ihr Jugendlager gehen und plötzlich sagen, dass sie jetzt eine ganze Reihe russischer Aussiedler dabei haben. Dann schlägt das Wort Gottes zu.
Die jungen Leute, die sonst ihr tolles Programm durchführen, erkennen plötzlich: Das Wort Gottes ist das Wichtigste. Da wird ihr Leben vor Gott offenbar.
Das war der erste Punkt: Das Wort Gottes löst Unruhe aus. Es schafft Unruhe in unserem Leben. Ohne diese Unruhe bleiben wir oberflächlich.
Beim Wachwerden geht es so: Da ist es schon halb sieben oder ich muss aus den Federn. Das Wachwerden, das Bewusstwerden – halt mal, ich stehe plötzlich in der Gegenwart Gottes.
Die reformatorischen Zeugen haben eine Faustregel aufgestellt: Das Wort Gottes kommt immer zuerst so, dass es uns erschüttert, bevor es uns trösten kann. Es hat immer diese Doppelwirkung.
Das kennen Sie aus den neutestamentlichen Geschichten. Als Petrus den wunderbaren Fischfang hatte, war er zuerst frustriert, weil er nichts gefangen hatte. Dann schickte Jesus ihn noch einmal raus.
Plötzlich war das Netz voller Fische. Seine erste Reaktion war: „Herr, gehe vor mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch.“ Zuerst ist das Gesetz, das uns erschüttert, bevor der Trost des Evangeliums kommen kann.
Die berühmte Formel „Gesetz und Evangelium“ bedeutet Erschütterung und Trost. Wir wollen nicht nur trösten, sondern auch erschüttern. Das hat nichts damit zu tun, dass man schimpft, sondern es kann sogar erfreulich sein.
Wie bei einem Netz voller Fische, wenn ein Mensch plötzlich sagt: Ich muss mein Leben in Ordnung bringen. Ein Erschrecken wird ausgelöst.
Es kann auch sein, dass jemand einen Unfall hat, unverletzt bleibt und erkennt: „Herr, du hast mich gefunden.“ Auch Wohltaten können uns erschüttern.
Man weiß, wie es ist, wenn Mütter gesunde Kinder geboren haben. Sie sind oft ganz erschüttert, so nah sind sie dabei, wenn Gott in ihr Leben eingreift.
Das war der erste Punkt, diese Verse 12 und 13: Wir sind in den Augen Gottes offenbar.
Der Trost des Evangeliums im Blick auf Christus
Und jetzt kommt der Trost des Evangeliums. Und was ist der Trost des Evangeliums immer wieder im Hebräerbrief? Der Blick auf Christus. Ja, den kennen wir doch? Nein, den kennen wir gar nicht. Ich kann ihn nur richtig erkennen, wenn ich mich der Schuld meines Lebens stille, meinem verpfuschten Leben.
Darf ich noch einmal den Zusammenhang sagen für die, die vielleicht das letzte Mal nicht da waren? Der Hebräerbrief ist geschrieben an vertrottelte, müde, laue Christen, die bloß noch dahintrotten. Das gibt es ja sehr häufig. Der Christenstand ist Routine geworden, und der Hebräerbrief zeigt nun die Dinge, die uns wieder lebendig machen.
Was ist das? Einmal das Wort Gottes, das in unser Leben hineinspricht. Dann hatten wir das letzte Mal die große Ruhe. Heute hört ihr seine Stimme. Ist ihr Glaubensleben zur Ruhe gekommen, da sie den Frieden Gottes schmecken und fühlen? Da sagt er: Ich bin geborgen in Christus.
Im Christenleben ist ja nimmer ein Zappeln, sondern es ist eine Freude: Ich habe das gefunden, eingehen in die Ruhe Gottes. Nicht erst in der Ewigkeit, sondern ich habe heute schon Anteil an der himmlischen Ruhe, an der Sabbatruhe. Auch in einer Welt, in der ich so viel falsch mache, bin ich geborgen und im Frieden.
Und das zeigt er hier noch einmal in dem herrlichen Bild des Hohen Priesters. Und uns gebraucht er eine Redeweise, die in unserer Zeit die meisten Christen auf die Palme bringt. Das werden Sie erleben, wenn Sie heute mit normalen Christen, so ganz normalen Leuten reden, dann sagen die: So darf man nicht reden. Wir haben, wir haben einen Hohenpriester.
Die sagen alle: Ich bin auf der Suche oder ich taste oder ich bin im Zweifel. Kann man das überhaupt gewiss sagen: Wir haben? Kann man das so sagen? Wir haben wie ein Besitz, sagen manche Kritiker, wir haben es doch nicht in der Tasche. Aber vielleicht hat er uns in der Tasche, deshalb kann man sagen: Wir haben, er hat uns. Wir haben einen großen Hohenpriester.
Achten Sie noch einmal darauf, dass das Häufigere in der Bibel vorkommt. Eine Stelle mag ja noch Zufall sein, aber wenn man dann mehrere Stellen der Bibel findet, muss man es nachdenken. Römer 5,1 sagt: Paulus, der so viel von seinen zweifelnden Ängsten und von seinem bösen und wankenden Herzen schreibt, schreibt auch: Wir haben Frieden mit Gott. Wir haben das jetzt ergriffen.
Epheser 1,17: Wir haben Erlösung, wir haben! 1. Johannes 2,1: Wir haben einen Fürsprecher bei Gott. Ich bin ganz sicher, während ich heute Nacht schlafe, plädiert Jesus beim Vater für mich und sagt zum Vater: Lass deine Gnade von dem nicht weggenommen sein. Und lass deine schützende Hand über ihm stehen. Der Vater ist mein Führer, Jesus ist der Fürsprecher beim Vater.
Und ganz ähnlich kommt im 1. Johannes 3 die Sprache zum Beispiel: „Wir wissen“ (1. Johannes 3,2), „es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, werden wir Jesus gleich sein.“ Das wissen wir, das wissen wir als ganz sichere Sache.
Im Neuen Testament ist der Glaube kein Zappeln, auch kein Angefochtensein, sondern etwas Gewisses, etwas ganz Gewisses. Machen wir den 1. Johannesbrief weiter: 1. Johannes 3,14: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder.“ Wir wissen das als einen festen Tatbestand.
1. Johannes 5,18: „Wir wissen, dass wer von Gott geboren ist, der sündigt nicht.“ Es gibt im Glauben ganz gewisse Besitzstände. Jetzt sagen Sie: Die habe ich nicht, aber die will Ihnen Gott geben. Gott will Sie gewiss machen. Es ist ein großer Trost, dass ich nicht in Fragen stehenbleiben muss.
Da hast du keine Anfechtung? Ja doch, wir verzweifeln ja immer an uns selber. Hier fängt es an. Wir verzweifeln an vielen anderen Dingen, aber das Wort Gottes macht uns gewiss. Und hier sagt er: Wir haben doch den Hohenpriester Jesus.
Bedeutung und Funktion des Hohenpriesters im Judentum und Christentum
Zuerst muss ich erklären, dass der Begriff des Hohenpriesters eine ganz besondere und wichtige Figur bezeichnet. In der Bibel finden wir genaue Informationen darüber, wie seine Unterkleidung beschaffen war. Sie bestand aus Leinen, und er trug einen Turban sowie ein Efo, das war eine Art Jacke, die er oben drüber anzog. Alles musste genau richtig sitzen, es durfte kein Riemen verschränkt sein. Außerdem trug er ein Brustschild.
Wenn Sie einmal nach Prag kommen, sollten Sie das jüdische Museum besuchen. Dort hat Hitler alle Gegenstände aus zerstörten Synagogen zusammengetragen. Es ist bedrückend, aber in Prag befindet sich die größte Sammlung jüdischer Religionsgegenstände. Dort können Sie auch die Brustschilde sehen, die der Hohepriester trug. Es handelt sich um große Metallschilde, meist silbern. Oben auf dem Schild trug er ein Band über der Stirn mit der Aufschrift „Heilig dem Herrn“ – das bedeutet, er gehörte dem Herrn.
Wann hatte der Hohepriester seine wichtige Funktion? Im Neuen Testament war er auch der politische Führer. Die Hohenpriester, einschließlich der Familienangehörigen von Hannas und Kaiphas, spielten eine große Rolle bei der Hinrichtung Jesu. Vor allem waren sie jedoch für den Tempeldienst zuständig.
Man muss immer zwischen den Leviten und dem Hohenpriester unterscheiden. Die Leviten waren zum Beispiel die Familie von Johannes dem Täufer. Sein Vater Zacharias war ein Levit. Er wurde ausgelost, welche Gruppe den Dienst im Tempel verrichten durfte. Es war ein feierlicher Moment, als Zacharias das Rauchopfer im Tempel darbringen musste.
Wir wissen also sehr viel und sehr genau über den Tempeldienst Bescheid und kennen auch die Aufgaben des Hohenpriesters. Am Jom Kippur, dem großen jüdischen Versöhnungstag, musste der Hohepriester seine Hände auf den Sündenbock legen. Von diesem Brauch stammt auch der Begriff „Sündenbock“. Der Bock wurde dann in die Wüste gejagt. Der Hohepriester brachte Opfer dar, um die Versöhnung des Volkes zu bewirken.
Für die Juden ist dieser Tag bis heute sehr wichtig. Sie erinnern sich vielleicht noch daran, dass vor einigen Jahren ein schrecklicher Angriff auf Israel gerade am Jom Kippur stattfand. Das hat die Menschen besonders erschüttert, weil sie zu diesem Zeitpunkt am wenigsten darauf vorbereitet waren und deshalb besonders verwundbar.
Es ist interessant, wie wir heute als moderne Menschen oft unsere Schuld verdrängen. Viele suchen falsche Hilfe, etwa durch Suchtmittel oder psychologische Bewältigung, obwohl es eigentlich der Seelsorger mit dem Vergebungswort wäre, der gefragt ist, wenn Schuld anklagt.
Die Großmutter von Trautmann, die Mutter von Frau Trautmann, ist kürzlich verstorben. Frau Trautmann hat sie mit großer Liebe gepflegt, Tag und Nacht. Viele bewundern, wie sie das geschafft hat. Das Interessante war, dass die Großmutter als Erstes sagte, sie werde jetzt erst richtig bewusst, dass sie vielleicht nicht immer lieb gewesen sei.
Wer ehrlich ist, leidet doch an seiner Schuld. So geht es Ihnen sicherlich auch. Ich war noch nie bei einer Beerdigung, bei der ich nicht gedacht hätte, man hätte sich mehr kümmern oder mehr tun können. Besonders als Angehöriger ist man oft von Schuldgefühlen geplagt, weil man meint, etwas versäumt zu haben. Es gab immer Spannungen, und das Vergebungswort ist deshalb etwas ganz Großes.
Die Rolle Jesu als Hoherpriester und seine Opferfunktion
Nun wird gesagt: In Israel war der Hohepriester nach der Ordnung Aarons der erste Hohepriester. Er hatte das höchste Amt inne und brachte Opfer für die Sünden des Volkes dar.
Wir haben einen Hohepriester, und das muss für diejenigen, die durch das Wort Gottes in ihrem Gewissen erschrocken sind, Trost und Freude sein. Er sühnt meine Schuld. Unsere Glaubensfreude ruht auch darin, dass wir auf Jesus blicken. Das gilt besonders in unseren Anfechtungen und im Leiden an unseren Versäumnissen. Denn je älter wir werden, desto schwerer fällt es uns, dass wir so untreu sind und so wenig Gott gehorsam sind.
Der große Trost ist: Jesus will meine Schuld sühnen.
Jetzt möchte ich sagen, dass diese Botschaft gerade für unsere moderne Zeit von Bedeutung ist. Nicht nur, weil sich das Evangelium nicht wandelt, sondern auch, weil das das Oberflächlichste und Primitivste ist. Der moderne Mensch sagt oft: „Es interessiert mich nicht, wie ich mit Gott klarkomme.“
Ein Beispiel dafür ist ein amerikanischer Flugzeugabsturz neulich in New York. Ein berühmter Mann war mit seiner Freundin an Bord. Er sagte: „Ich hoffe, dass sie, als das Unglück geschah und sie starben, wenigstens bis zum Schluss nichts anderes dachte als an das Sektglas, das sie in der Hand hielt.“
Das zeigt das Denken moderner Menschen: Wenn der Tod kommt, möchte ich es wenigstens nicht spüren. Und dann gibt es die völlig absurde Vorstellung, dass es nach dem Tod irgendwie glücklich weitergeht.
Was wir wissen, ist: Die Rechenschaft kommt, die ich ablegen muss. Und wie der moderne Mensch sich darüber betrügt! Sie kennen das ja: Viele wünschen sich, möglichst unbewusst zu sterben.
Als Christen sollten wir das nicht sagen. Vielmehr möchten wir unser Leben ordnen, wenn wir sterben. Wir möchten keine unfertigen Dinge zurücklassen und alles noch in Ordnung bringen können. Wir wollen keinen Streit mitnehmen, wenn wir sterben, oder irgendeine ungerechte Sache, die wir noch heute klären müssen.
Der moderne Mensch ist doch nicht gründlich. Man sagt oft, er fragt nicht mehr so wie der Mensch der Reformation. Aber damals haben die Menschen auch nicht so gefragt. Zur Zeit Luthers etwa haben die Landsknechte nicht so gefragt, und der Papst in Rom hat sich nur um ausgelassene Feste gekümmert. Es gab aber auch damals Menschen, die der Sache auf den Grund gingen.
Wenn wir unser Leben betrachten, gerade wenn wir vom Tod so nah umfangen sind, stellt sich die Frage: Was ist mein Leben im Blick auf mein Sterben?
Der Trost ist: Ich habe den großen Hohepriester. Ich bin von ihm angenommen. Erinnern Sie sich an die Zeit, als Ludwig Hofhacker predigte? Aus den Erzählungen wissen wir, dass in Stuttgart plötzlich viele Menschen begannen, zu laufen, weil er ihnen das Opfer Jesu so vor Augen malte. Jesus, der die Himmel durchschritten hat, der von den Toten auferstanden ist, der heute in der Kraft Gottes herrscht und wirkt, will uns ganz fest sagen: Es ist alles weggetan, alles vergeben.
Freuen Sie sich an der Ruhe Gottes! Lassen Sie uns zur Ruhe kommen! Sie können heute Abend sagen: „Ich schlafe ganz befreit ein, ich habe alles bei Jesus abgelegt.“ Das dürfen Sie nicht nur beim Abendmahl tun, sondern jederzeit, denn Jesus nimmt es an.
Abends, wenn Sie einschlafen, können Sie beten: „Herr, jetzt lege ich alles bei Dir hin, unter dein Blut. Reinige mich, du bist der Hohepriester.“
Es war Jesus so wichtig, Menschen mit Gott zu versöhnen, damit wir vor Gott treten können.
Was bedroht uns denn? Die Bibel sagt immer wieder, dass der Fluch Gottes eine Realität ist. Wenn wir in Gottferne leben, in der Sünde, dann macht uns das blind für Gott. Wir erkennen ihn nicht mehr, können seine Worte nicht mehr hören. Dabei sind wir selbst betrogen und verharren in einem falschen Leben.
Das ist übrigens der Grund, warum heute so wenige Menschen glauben können: Weil Umkehr nötig ist. Und wenn ich zum Hohepriester komme, dann habe ich Vergebung.
Hier könnte man viel darüber sagen, aber wir wollen es kurz machen: Das Bild des Hohepriesters, Jesus, der Gottessohn, ist eine der Kernaussagen der Bibel. Ein Mensch kann mir nicht helfen. Es gibt viele gute Menschen, wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa, aber sie können mir nicht helfen, meine Schuld zu sehen.
Das Schlimme ist, dass wir in Sackgassen stecken durch unseren Ungehorsam. Wie komme ich da wieder raus? Es ist herrlich, wenn Sie in Ihrem Leben diese Befreiung durch den Hohepriester empfangen.
Es wird gesagt, wir haben einen Hohepriester, der mit unserer Schwachheit mitleiden kann. Der Mensch wurde.
Wo hat Jesus diese Schwachheit erlebt? Als er versucht wurde. Was ist mit dieser Versuchung gemeint? Erinnern Sie sich an die Versuchung Jesu in der Wüste, Matthäus 4. Eine Versuchung war, dass Jesus groß herauskommen sollte vor dem Volk. Aber bei den beiden Versuchungen spielten andere Menschen keine Rolle. Es ging dem Versucher, dem Teufel, nur darum, Jesus aus dem Vertrauen auf Gott herauszulösen, aus dem Gehorsam und aus dem Vertrauen.
Es ist interessant, dass der Hebräerbrief sagt, das sei die gefährliche Klippe für Christen. Schon bei Jesus war die Gefahr, dass der Versucher sagt: „Mach doch nichts, sieht ja jetzt niemand, du brauchst Gott nicht zu vertrauen.“
Die Hauptnot ist doch, dass ich Gott nicht mehr vertraue, ihm nicht fest vertraue und nicht gehorche. Das war die Versuchung.
Wir kommen später noch einmal darauf zurück: Wenn ich Gott nicht vertraue, bin ich von ihm abgeschnitten, wenn ich nicht aus dem Glauben lebe. Das ist die Not.
Ich denke jetzt an viele Menschen, die durch schwere Nöte und Anfechtungen gehen, ganz schwere Nöte. Es ist gerade in unseren Liedern schön beschrieben, wie Menschen aus Anfechtung und Not vom Vertrauen reden und sagen: „Ja, Herr, dir vertraue ich.“
Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn uns Hilfe nötig sein wird.
Die Berufung und Einsetzung Jesu als Hoherpriester
Jetzt möchte ich ganz kurz noch einmal auf den Punkt zurückkommen, den ich in den nächsten Versen ansprechen möchte. Dabei nehme ich den Zwischenruf auf, denn es wird erneut ein Gegensatz dargestellt:
Der irdische Hohepriester, der von Aaron abstammt, also der jüdische Hohepriester, war berufen. Er konnte sich nicht selbst zum Hohepriester einsetzen, genauso wie Jesus. Aber Jesus ist viel höher berufen – nicht von Menschen, sondern von Gott. Er dient den Menschen, so wie auch Jesus dient.
Der irdische Hohepriester muss Opfer bringen, aber auch für seine eigenen Sünden opfern. Jesus hingegen muss für seine eigenen Sünden nichts opfern. Sein Opfer gilt einzig den Menschen. Es gibt keinen anderen Sinn im Leiden Jesu als das Opfer für meine Schuld.
In Vers 3 heißt es, dass er sich selbst opfern muss für die Sünden. Er kann sich die hohepriesterliche Würde nicht selbst nehmen, sondern muss dazu berufen werden – wie Aaron. So hat auch Christus die Ehre von Gott empfangen. Gott hat den Sohn eingesetzt nach der Ordnung Melchisedeks. Darüber werden wir übernächstes Mal noch mehr sagen.
Nun kommen die Verse, die mir besonders wichtig sind. Hier wird herausgehoben, was das größte Opfer Jesu war. In Vers 7 heißt es: Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens bitten und flehen mit lautem Schreien und mit Tränen zu dem gebracht, der ihn vom Tode erretten konnte. Und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.
Was war das? Die Passionsgeschichte erzählt, dass der römische Hauptmann, der am Kreuz stand, als er Jesus im Sterbensschrei hörte, glaubte. Was war das? Es wird zweifellos auf den Gethsemanekampf angespielt.
Die Buddhisten sind Meister im Ertragen des Schweren, wie man es aus vielen Bildern von Buddha kennt. Was Jesus aber getan hat, geht über das stille Ertragen hinaus. Jesus hat das Schwere, das Böse, das Unangenehme, das Bittere absichtlich und mit einem Ja auf sich genommen.
Den Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus – die Jünger schliefen noch und sagten später, es war die Zeit, als Jesus gebetet hat: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Plötzlich stehen wir in einer Kette unendlich vieler Menschen.
Darüber kann ich nur schwer sprechen, weil ich weiß, wie schwer es oft auch für viele Christen wird, wenn sie in unermessliches Leid geführt werden. Wenn sie bis in ihre Todesstunde sagen müssen: „Ich verstehe dich nicht.“
Lesen Sie einmal bei Wilhelm Busch nach, wie er in seinen Plaudereien im Studierzimmer erzählt, wie Bodelschwing die vier Kinder weggenommen wurden und wie er darunter litt – am Sterben seiner Söhne. Und wie er dann sagt: „Ich werde damit nicht fertig, solange ich lebe. Ich komme nicht drüber weg.“ Und er sagt zu ihm: „Einer muss eben darunter bleiben.“
Und da gibt es nur einen Trost: Jesus hat das für dich durchlitten. Warum? Damit du Ja sagen kannst: Ja, Vater, von Herzensgrund, leg auf, ich will dir das tragen.
Paul Gerhard hat eine so tolle Bibellehre in Liedversen übersetzen können: Was Jesus tut, ist, dass er Ja sagt zu etwas, wogegen sich unser ganzes Wesen sträubt – den Kreuzesweg zu gehen.
Das ging bis ins Physische hinein. Übrigens ist auch das Wort „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ keine Verzweiflung bei Jesus, sondern es ist das letzte Empfinden, unter dieser Last der Weltschuld zu schreien und doch mit einem Griff die Güte des Vaters zu packen: „Mein Gott, mein Gott!“ und in der Hand Gottes geborgen zu sein.
Karl Heim sagt an dieser Stelle in einer Predigtauslegung – und ich habe ihm gesagt, ich glaube mir die besten Sachen irgendwo, wo ich sie finde, damit es ein bisschen interessanter wird – er sagt: Wenn Seeleute im starken Sturm auf dem Deck stehen – Karl Heim hat immer tolle Bilder vom Deck – dann würden Landratten zu den Seeleuten sagen: „Wie machst du das bloß? Da können ja die Wellen toben wie verrückt, dich werfen sie doch nicht vom Deck runter.“
Aber der Seemann würde sagen: „Von wegen! Wie ich das erste Mal gestanden bin, da habe ich meine ganze Kraft nehmen müssen, bis ich rausgekriegt habe, mit welchem Griff ich mich wo festhalten muss, damit ich nicht vom Deck gespült werde.“
Karl Heim sagt: So müssen Christen lernen, in diesen furchtbaren Stürmen der Anfechtung zu wissen, dass nur der Griff bei Christus sie durchhält und dass dieses Vertrauen gar nie wanken darf.
Der Blick zum Hohenpriester, der für mich gebetet hat und der auch Petrus bewahrte in der Stunde der Anfechtung – in dem Augenblick, wo die Mächte der Finsternis los sind, wie damals in der Nacht der Hinrichtung Jesu.
Dieser Schrei Jesu zeigt uns, wie schwer es ihm wog. Deshalb brauchen sie ihre Gefühle auch gar nie zu verstellen. Es wird uns auch noch einmal schwer werden, wenn der Herr uns durchs Leidenslager zum Sterben führt.
Aber ich darf dann auf den Kampf Jesu blicken, und er ist vorausgegangen. Was hat Jesus getan? Er hat Gehorsam gelernt. Er hat Gott in Ehren gehalten.
Das ist heute so schlimm, dass so viele Verkündiger des Evangeliums sagen: „Ja, man darf in Gott irre werden.“ Nein, das darf man eben nicht. Man muss Gott in Ehren halten. Obwohl ich verstehe, Jesus hat den Vater auch nicht mehr verstanden, aber er hat Gehorsam gelernt.
Die Bibel gebraucht dafür einfach dieses Bild. Und das ist der Weg.
Vers 8: Obwohl er Gottes Sohn war, hat er so viel von meiner menschlichen Schwachheit gehabt, dass er im Leiden den Gehorsam einüben musste.
Und jetzt wissen Sie, wie Sie in Ihren Anfechtungen am Leidensweg Jesu Trost schöpfen können. Wenn Jesus da durchging, dann hat er mir den Weg gewiesen, und ich darf mich an ihn halten.
Es steht in Vers 9: Und als er vollendet war, als er zur Herrlichkeit aufgestiegen ist, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.
Wie viele Menschen haben gerade auf diesem Weg des Leidens, wo sie Gehorsam gelernt haben, das Heil gefunden? Wie viele? Wir erzählen ja immer wieder Geschichten.
Aber das ist nicht die Regel. Es muss nicht so sein, dass ich nur Freude in meinem Leben habe. Er will uns wissen lassen, dass Gott uns oft so führen kann. Darum reden wir davon.
Es ist kein oberflächlicher Weg, sondern durch den Gehorsam, dass ich Gott Ja sage. Denken Sie an den schönen Vers aus dem Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“: Ja, Vater, ja, von Herzensgrund, vom Tiefsten will ich nicht gegen dich aufbegehren.
Der Urheber des ewigen Heils. Ich glaube nicht, dass man oberflächlich Christ werden kann. Man wird nicht Christ, weil es gerade Mode ist.
Paulus hat zu der Gemeinde in Ephesus, wo wir noch hinkommen werden, mit denen, die dabei sind, gesagt: „Ich habe euch Tag und Nacht mit Tränen vermahnt.“ Es ist ein Kampf, bei Christus zu bleiben.
Ein oberflächliches Christentum fällt einem in den Schoß. Das kann man immer machen. Aber bei Christus zu bleiben, ist ein Kampf. Paulus hat mit Tränen vermahnt, weil es ihm so bis ins Tiefste ging, wie er um Menschen gerungen hat, dass sie in dieser gottlosen Stadt des Heidentums bei Christus bleiben.
Bei ihm allein gehorsam werden.
Also noch einmal: Die Kernpunkte sind, dass ich Vertrauen habe, und aus dem Vertrauen kommt der Mut. Wissen Sie, woher der Mut kommt? Das ist kein irgendwie so über uns kommendes Fluidum.
Der Mut kommt aus dem Wissen, dass Jesus, der Hohepriester, für mich eintritt. Woher weißt du, dass du im Glauben durchhältst? Das weiß ich nicht, wenn ihr auf mich schaut, doch nie. Ich habe nie etwas in mir, aber der Hohepriester tritt für mich ein.
Ich traue ihm, dem Heiland Jesus, dass er mich durchträgt, dass er für mich eintritt beim Vater, und das macht mich mutig. Es macht mich mutig.
Und da will ich Gehorsam lernen, gerade dann, wenn ich durch diesen Kampf mit lautem Schreien und mit Tränen gehe.
Das ist also nicht irgendeine besonders nervlich labile Veranlagung Jesu gewesen, sondern das ist der letzte Kampf im Sterben, wo das Gericht Gottes erfahren wird über die Schuld der Welt, wo Jesus hindurchgeht.
Wer etwas von seinen Anfechtungen kennt und auch weiß, wie andere Menschen unter schweren Anfechtungen leiden, der weiß, wie viel Trost hier drinliegt.
Der darf Ja sagen, darf Gott gehorsam werden und ihm dienen.