Die Bedeutung der Bibelkenntnis und Jesu Aussage vor dem Hohen Rat
Es ist immer gut, wenn Teilnehmer eines Bibelseminars ihre Bibel dabei haben und darin lesen wollen. Zum Beispiel in Matthäus 26. Mohammedaner oder Muslime können den Koran auswendig, richtige Juden kennen das Alte Testament so gut, dass sie es vorwärts und rückwärts aufsagen können.
Ich erlebe es immer wieder bei Bibelseminaren, dass wenn man sagt, wir schlagen den Hesekiel auf, manche antworten, man müsse ihn etwas vor der ersten Hälfte aufschlagen. Wir müssen wieder besser in die Bibel hineinkommen.
Matthäus 26,63: Und Jesus schwieg still zu all den Anklagen, die ungerechterweise gegen ihn vorgebracht wurden. Der Hohepriester sprach zu ihm: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Messias, der Sohn Gottes.“
Jesus antwortete ihm: „Du sagst es. Doch ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels.“
Wenn Jesus etwas sagt, hat jedes einzelne Wort eine Bedeutung. „Ihr werdet sehen“ – der Glaube, den wir haben dürfen, ist kein Phantasieprodukt. Siehe, die Herrlichkeit Gottes kam. Wie wir Jesus schon bei der Taufe erlebt haben, wie oft schon bei der Geburtsgeschichte. Und siehe, Johannes der Täufer sagte: „Siehe, das ist Gottes Lamm.“ Schwäbisch gesagt: „Guck doch, schau doch!“
Ihr werdet den Menschensohn kommen sehen, „was kein Auge gesehen hat, kein Ohr gehört hat.“ Das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.
„Seht auf, erhebt eure Häupter, denn euch naht die Erlösung.“
Die Verheißung der Wiederkunft und die Bedeutung des Menschensohns
Wenn unsere jungen Leute sagen: „Ich blick’s nicht“ oder „Es ist was zum Blicken“, dann haben sie verstanden, dass sie etwas sehen möchten. Und wir werden einmal die ganze Welt etwas zu sehen bekommen, wenn der Menschensohn Jesus wiederkommen wird.
Wir haben jetzt schon genug zu sehen bekommen, aber darüber möchte ich nicht reden. Wir könnten auch darüber sprechen: Ihr werdet sehen, den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft. Damit ist Gott gemeint, wie es Jesus demütig über seinen Vater selbst gesagt hat. Man nimmt nicht einfach so, mir nichts, dir nichts, den Namen Gottes in den Mund. Sie werden sehen, dass er zur Rechten Gottes sitzt.
Der Tübinger Professor für neutestamentliche Theologie, Martin Hengel, hat einen wichtigen Aufsatz veröffentlicht. Darin weist er noch einmal darauf hin, dass kein Wort aus dem Alten Testament im Neuen Testament so oft zitiert wird wie dieses Zitat: „Du bist mein Sohn, zur Rechten Gottes eingesetzt“ – Psalm 110. Dieses Zitat ist sogar in unser Glaubensbekenntnis eingegangen: „Er sitzt zur Rechten Gottes.“
Petrus erwähnt, als Jesus von den Pharisäern und Sadduzäern gefragt wurde, wie das mit der Steuer ist, antwortet Jesus: „Ich will euch mal was fragen: Wen nennt David seinen Herrn? Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten.“ Und sie konnten ihm darauf nichts antworten.
Das größte Geheimnis ist: Wer ist denn der, der zur Rechten Gottes sitzt? Ein Ausführungsorgan, nicht ein bisschen Kinkel, sondern mit Vollmacht! Wer ist das? Darüber könnte man eine eigene Bibelstundenreihe halten.
Die Symbolik der Wolken und die Nähe Gottes
Wir könnten darüber sprechen, dass Sie ihn sitzen sehen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen werden.
Warum gerade Wolken? Wolken sind schön und heute wunderbar, aber so ist es sicher nicht gemeint.
Wie Wolken entstehen, habe ich zu Hause in der Knospstraße entdeckt, in der Waschküche. Wissen Sie noch, wenn die warme Luft aus der Waschküche hinausströmt und auf die Kaltluft trifft, entsteht Dampf.
Wenn zwei unterschiedliche Atmosphären zusammenstoßen, wenn die Heiligkeit Gottes in die Atmosphäre der Welt eintritt, die von der Ausdünstung der Menschen bestimmt ist – sogar im Volk Israel, das von Zweifeln und Widerreden gegen Gott geprägt ist –, erscheint Gott in der Wolke.
Die Wolke ist ein gnädiges Zeichen der Nähe Gottes. Er kann sich nicht einfach offenbaren, denn kein Mensch hat ihn gesehen noch kann ihn sehen. Sonst würden wir vergehen. Die Wolke ist das Zeichen: Gott ist da, aber wir können ihn nicht sehen, weil er verhüllt ist.
Ich möchte heute mit Ihnen ein wenig über den merkwürdigen Begriff nachdenken, den Jesus immer wieder benutzt: „Ihr werdet den Menschensohn sehen.“
Die Bedeutung des Begriffs „Menschensohn“ bei Jesus
Warum sagt Jesus nicht einfach: Er ist doch sonst so klar in seinen Gleichnissen. Warum sagt er nicht: „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen“? Warum benutzt er an so vielen Stellen die Formulierung „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen“?
Warum sagt er nicht einfach: „Ich bin gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“? Warum spricht er stattdessen vom Menschensohn? Warum macht er es so umständlich? Warum antwortet er dem Hohenpriester, der wissen will: „Wer bist du?“ mit den Worten: „Ihr werdet den Menschensohn kommen sehen“? Ja, er sagt: „Ich bin der Messias, ich bin der Christus, ich bin der Sohn Gottes“, aber noch wichtiger ist: Den Menschensohn werdet ihr kommen sehen.
Die Theologen haben unheimlich viel darüber geschrieben. Es sind oft Menschen, die jedes Jahr ein Buch veröffentlichen und mindestens vier Artikel dazu schreiben. Der Begriff „Menschensohn“ ist dabei sehr günstig, denn darüber kann man sich endlos ausbreiten.
Aber die Bibel ist für einfache Menschen geschrieben, für Menschen wie mich und vielleicht auch für Sie. Dafür braucht man keinen großen Kommentar, um das zu verstehen. Man muss nur die Bibel lesen.
Gott als Mittler in menschlicher Gestalt
Zweiten Mose 20
Als Gott seinem Volk am Sinai in der Wolke mit Blitz und Donner erscheint und seine Stimme erschallt, flieht das Volk. Sie rufen nicht „Halleluja, Gott ist da“, sondern sie fliehen. Sie sagen: „Das halten wir nicht aus.“ Mose hingegen nicht. Der liebe Gott soll zu ihm sprechen, aber die Menschen können die Nähe und das Reden Gottes nicht ertragen.
Das Volk wünscht sich, dass Gott Mose beauftragt, einen Menschen wie sie mit Fleisch und Blut. Das Merkwürdige ist, dass Gott auf diesen Wunsch Israels eingeht. Mose wird zum Mittler. Wir wissen, dass Jochebed, seine Mutter, kein Mensch ohne Gefühle war – mit Zorn, Ungeduld und Enttäuschung. Ein Mensch wird zum Mittler zwischen dem heiligen Gott und seinem Volk.
Von da an hält sich Gott an diese Bedingungen: Wenn wir Menschen sagen, „Nein, halt, es ist viel zu heilig, viel zu groß“, dann erschrecken wir. Als der Prophet Hesekiel beauftragt wird, dem gottlosen Volk Israel den Willen Gottes zu sagen – egal, ob sie hören oder nicht – möchte Gott die Gottlosen warnen, weil er sie retten will. Dabei sagt Gott immer wieder: „Du Menschenkind!“
Gott möchte sich an die Bedingungen halten. Hesekiel durfte mit eigenen Augen die Herrlichkeit Gottes sehen, in einem Gefährt, das kaum mehr mit menschlichen Worten zu beschreiben ist. Doch jetzt soll er als Menschenkind gehen und den Menschen in verständlichen Worten sagen, wie es zwischen Gott und ihnen steht.
Wo spielt dieser Begriff „Menschenkind“ noch eine große Rolle? Grundsätzlich bei den Knechtsliedern, „Du bist mein Knecht“, ab Jesaja 40. Vor allem aber bei Daniel 7: Nach dem Toben der Völker und dem bestialischen Treiben wird einer vor Gott gebracht – ein Menschenkind. Dort erscheint dieser Begriff. Gott gibt diesem Menschen Gestalt Ehre, Reich, Weisheit und Macht, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.
Es war nicht bloß ein Mensch, sondern einer, der von Gott begnadigt ist. Er war bei den Menschen, damit die Menschen verstehen, was der Wille Gottes ist.
Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum Jesus diesen Begriff gern benutzt hat: „Ich bin der Sohn Gottes, aber ich bin zu euch gekommen als einer, der euch als Menschen versteht, durch und durch, der unter euch lebt.“ Ihr sollt wissen, ihr seid die Adressaten. „Ich bin der Heiland aller Menschen.“
Das Menschsein war für Jesus nicht bloß ein Expeditions-Outfit für drei Jahre, das er sich überstülpt hat. Es wird seine Ehre sein. Ihr werdet sehen, wenn der Menschensohn kommt, dann wird klar werden, dass Gott um die Menschen geht.
Die Menschwerdung Jesu und ihre Bedeutung
Apostel Paulus schreibt in Galater 4 eine ganz zentrale Stelle, die er uns weitergibt. Galater 4, Vers 4 lautet:
„Als aber die Zeit erfüllt war“, die Gnadenzeit Gottes also zum Höhepunkt gekommen war, „sandte Gott seinen Sohn.“
Was geschah damals? Die römischen Herrscher wurden vom Thron gestoßen, alle Gefängnisse geöffnet. In diesem entscheidenden Moment sandte Gott seinen Sohn. Er sandte ihn, denn Jesus blieb Sohn Gottes. Glauben Sie nicht den Aussagen von Frau Sullivan, die behauptet, Jesus sei nur Mensch gewesen, nichts anderes. Nein, er war der Sohn Gottes.
Weiter heißt es: „geboren von einer Frau“ – wie vermutlich die meisten von uns. Trotz aller modernen Techniken wie Insemination oder Leihmutterschaft kommt die Menschheit nicht darüber hinaus, dass Menschen von einer Mutter geboren werden. Man kann Menschen nicht im Backofen herstellen. Das macht das Menschsein aus: dass man eine Mutter hat.
Ich verstehe das absolut. Manchmal denke ich, unsere ganze Zeit ist so beschränkt, wenn wir immer wieder von Theologieprofessoren hören, die sagen, Jesus sei wahrscheinlich vergewaltigt worden und der eigene Vater habe Maria missbraucht. Nein! Gott hat das Wunder getan, seinen Sohn in den Leib der Maria hineinzulegen und ihn dort heranwachsen zu lassen – neun Monate lang, so wie wir alle im Leib unserer Mütter herangewachsen sind.
Um die Jungfrauengeburt wird oft viel Wirbel gemacht. Für Gott ist das ein kleines Wunder. Die Jungfrauengeburt ist kein biologisches Wunder, sondern von Anfang an ein Wunder, denn als Jesus die neun Monate im Leib der Maria heranwuchs, verstand er uns. Er verstand sogar schon, wie es einem Ungeborenen zumute ist. Er versteht, wie sich eine Schwangere fühlt.
Der Herr Jesus hat gesagt: „Eine Frau, die ein Kind erwartet, ist in Angst. Wenn die Schmerzen der Wehen über sie kommen, ist sie in panischer Furcht. Und wenn das Kind geboren ist, ist nur noch Freude da.“
Jesus war nicht nur Mensch, sondern der Sohn Gottes, der sich ganz in die Bedingungen unseres Menschseins hineingab. So, dass die Menschen nie sagten: „Den verstehe ich nicht richtig, wenn er spricht.“ Es war nie zu hoch oder zu heilig, als käme er aus einer anderen Welt. Nein, man verstand ihn. Das Himmelreich wurde erklärt mit Bildern, die jeder kannte: wie ein Acker oder wie eine Hochzeit.
Wenn Jesus Stürme stillte, Hungrige speiste und Kranke heilte, hörte man nie: „Er ist eben der Sohn Gottes.“ Stattdessen fragten die Menschen: „Was ist das für ein Mensch? Ein ganz gewöhnlicher wie wir, der als Zimmermann arbeitete. Wie kann der das schaffen?“
So hat Jesus sich hineingegeben in unser Menschsein und nicht gesagt: „Also eigentlich bin ich ja noch ein bisschen mehr, aber ich sage es nicht so laut.“ Nein, er war Mensch unter uns, damit wir wissen: Wir sind die Adressaten seines Rettungshandelns.
Jesu Verständnis für die Menschen und seine seelsorgerliche Nähe
Einer der ersten Basler Missionare, Hermann Mögling, litt darunter, dass die Basler Missionare arm waren und kaum Versorgung hatten. Dennoch lebten sie hundertmal besser als die indischen Parias. Sie lösten sich von der Basler Mission, weil sie als Inder unter Indern leben wollten. Dabei merkten sie: Auch wenn ich noch so armselig leben will und nur ein paar Sandalen an den Füßen habe, laufen die anderen barfuß. Ich kann mich gar nicht vollständig in diese Bedingungen hineinversetzen.
Jesus ist in unsere menschlichen Bedingungen hineingegangen – bis zum Letzten –, damit wir wissen, dass er uns versteht. Die meisten von Ihnen kennen Doktor Rolf Hille, der in Ihrer Gemeinde wohnte. Seine erste Vikarstelle war in Schorndorf. Nach einem Abendgottesdienst hat mich einmal jemand aus der Arnold'schen Fabrik angesprochen und gesagt: „Herr Schiffbuch, Sie verstehen uns nicht, Sie sind ein Beamtensohn.“ Er wusste nicht, woher Wolf Hille stammt, und sagte: „Der Herr Vikar Hille versteht uns, er ist einer von uns.“ Das spürt man. Man kann es nicht an der Sprache ablesen, aber er versteht uns.
Durch und durch ist es ein großes seelsorgerliches Anliegen Jesu, dass er, der niedriger geworden ist als die Engel, uns versteht. Er ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um uns zu dienen.
Ich möchte an dieser Stelle nur einen Punkt weiterführen: Es gibt viele Menschen, die unter Minderwertigkeitskomplexen leiden. Sie denken, die anderen verachten sie, sie gelten bei anderen Menschen nichts, niemand versteht sie, sie ecken immer an und werden oft übergangen. Was sagen wir solchen Menschen? „Ach, ich verstehe dich gut, ich kann mich gut in dich hineinfühlen.“ Meist stimmt das überhaupt nicht.
Verstehen Sie, das ist ein seltsamer Trost. Wenn jemand krank ist, sagen wir: „Ja, ich war auch mal vor drei Jahren krank.“ Das möchte der Kranke oft gar nicht hören. Oder wenn jemand einen Angehörigen verloren hat, sagen wir: „Vor zehn Jahren ist auch meine Mutter gestorben, es war auch schwer.“ Das möchte der Trauernde nicht hören, ob ich vor zehn Jahren meine Mutter verloren habe.
Aber Sie können ihm ehrlich sagen: „Ich kann dich nicht trösten, ich habe kein Wort.“ Man muss wieder sagen: Wenn dich jemand versteht – in deiner Einsamkeit, in deiner Angst, wenn niemand auf dich eingehen kann –, dann ist es Jesus. Er ist der Menschensohn, der ganz Mensch wurde und jeden versteht. Das dürfen Sie einem Menschen sagen, ohne dass es frommes Tralala ist.
Es gibt auch Menschen, die bekommen nicht nur einen roten Kopf, wenn sie vor dem Spiegel stehen. Einer der wenigen, der keinen roten Kopf bekommt, ist Edzard Reuter. In seiner Lebensbeschreibung schrieb er immer: „Kann ich noch in den Spiegel sehen? Ja, ich kann in den Spiegel sehen.“ Wenn ich in den Spiegel sehe, hätte ich gerne eine andere Nase und bin mit meinem Äußeren nicht zufrieden. Aber warum bin ich heute wieder aus der Haut gefahren? Das bestimmt mein Leben oft so sehr, dass ich mich selbst anspucken könnte.
Dann kleben Sie sich ein Jesusbild irgendwo an den Spiegel – ob Jesus mit oder ohne Bart, modern oder alt, das ist ganz egal. Der ließ sich anspucken, er versteht mich. Den haben Sie verachtet, wie ich noch nie verachtet wurde. Den haben Sie beiseitegestellt, wie ich noch nie beiseitegestellt wurde. Er versteht mich.
Stellen Sie sich ein Jesusbild auf Ihren Nachttisch, egal ob modern oder alt. Er versteht mich. Dann dürfen Sie nur sagen: „Jesus, danke.“ Das wichtigste Gebet ist: „Führ du mich recht.“ Jesus versteht uns durch und durch.
Das sind nur ein paar Beispiele. Er hatte einen Körper wie wir. Er weiß, wie es einem Achtzehnjährigen zumute ist – sowohl einem Mädchen als auch einem Jungen. Es ist gut zu wissen, dass Jesus mit dreißig Jahren aufgetreten ist. Die ganzen schwierigen Jahre der Pubertät hat er miterlebt. Ob man den Eltern untertan sein soll oder nicht, weiß er genau, wie spannend und schwierig das ist.
Er hatte einen Vater, Joseph von Nazareth, der ein Häuslebauer war, Maurermeister und Bauunternehmer. Jesus wusste, was es heißt zu bauen, zu schaffen und schwierige Hände zu haben. Er kannte auch die Sorgen von Leuten, die angefangen haben, ein Haus zu bauen, und dann ist das Geld ausgegangen. Das Gleichnis Jesu, wer ein Haus anfängt zu bauen, soll überlegen, ob er es auch vollenden kann, kennt er aus eigener Erfahrung.
Er kennt uns mit unserem eingetrockneten Gespür für Gott, das so schnell schläfrig wird. „Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?“ Das war bei seinen Jüngern auch so. Der schnelle Enthusiasmus am Anfang – „Juhu, ich will wieder ganz anders beten“ – war oft nach drei Tagen vorbei. Herr Jesus kennt selbst seinen engsten Jüngerkreis und dass sie eingeschlafen sind. Er kennt unsere Anfälligkeit für das Böse.
Petrus, ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Jesus kennt uns in unserer Überheblichkeit. Und der, der sein Haupt hinlegte, weiß, wie sehr uns die Sehnsucht erfüllt, an einer Stelle wirklich daheim zu sein. Selbst wenn man die schönste Wohnung hat und durch und durch Stuttgarter ist, fühlt es sich oft noch nicht ganz so an.
Ich hoffe, dass es einmal wahr wird: „Ich wandere meine Straßen, die zu der Heimat führen.“ Alles hier ist nur eine vorläufige Station. Jesus versteht uns in diesem Sehnen nach Heimat. Er, der Mensch wurde, versteht uns durch und durch. Aber das wäre noch nicht genug. Ihr werdet den Menschensohn kommen sehen in den Wolken des Himmels.
Die Wiederkunft des Menschensohns und das Endgericht
Was geschieht dann, wenn er kommt? Den Prozessakten des Synetriums haben Sie wahrscheinlich ein Ausrufezeichen hingemacht und gesagt: Das ist doch verrückt. Aber es ist die ganze Dynamik unseres Glaubens, dass wir auf jenen Augenblick warten, in dem Jesus in großer Kraft und Herrlichkeit kommen wird.
Und noch einmal: Es darf nicht übersehen werden, dass er der Menschensohn war. Sie werden den Menschensohn kommen sehen. Das wird die größte Ehre Jesu sein.
Ich habe mich mehr als Albert Schweitzer, Gandhi und alle Wohltäter um die Menschen angenommen. Wohltäter der Menschen zu sein, ist etwas Gutes. Was Gustav Siegl in Stuttgart, Basel und Stuttgart alles geleistet hat, ist beeindruckend. Ein Arzt setzt oft alles daran, einem schwer verletzten Menschen zu helfen, der eben wichtig ist. Wo bekomme ich die wichtigsten Stellen, um das Blut zu stillen? Das ist eine großartige Sache.
Aber dem Herrn Jesus wird es in Ewigkeit wichtig sein: Mir waren die Menschen wichtig. Ich bin Mensch geworden und will der Heiland aller Menschen sein. Das sind ein paar Worte über den Menschensohn, die er gesagt hat.
Am Ende der Tage wird der Menschensohn seine Auserwählten von den vier Enden der Erde sammeln. Es wäre furchtbar, wenn einer von uns nicht dabei wäre. Das heißt, 1. Korinther 15, die, die Jesus wirklich gehören – nicht bloß pro forma, dem Namen nach oder der Gewohnheit nach – wird er sammeln. Er wird sagen: Kommt her, ihr Gesegneten des Herrn!
Der Menschensohn, der von sich gesagt hat, dass er nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen, wird in der Offenbarung all seine Knechte und Mägde dienen lassen – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Christustag.
Mir ist es wichtig, dass durch den Brief deutlich wird: Nicht, dass ich euch nötig habe und weiß, dass es ein riesiges Opfer ist, den freien Tag herzugeben und von früh morgens bis abends da zu sein. Aber einmal ausnahmsweise, bitte, nein. Ich kann nur sagen: Das war der Glanz meiner Jugendzeit, wenn ich bei christlichen Festen als Ordnungsdienst mitarbeiten durfte – dass es gebraucht wurde.
Und das wird einmal in der Ewigkeit das Herrlichste sein, wenn der Herr Jesus uns sagt: Komm, ich brauche dich, komm! Seine Knechte und Mägde werden ihm dienen.
Oetinger hat gesagt: Wir sind berufen, nicht zum Palmenschwingen und Halleluja-Singen, sondern zur priesterlichen Aufwartung vor dem Thron Gottes.
Jesu Dienst und die Verheißung der Auferstehung
Wenn wir später unsere Gedanken ein wenig ordnen, um das Wesentliche bei Ludwig Hofacker herauszustellen, möchte ich immer das Geheimnis seines Lebens in den Satz Jesu einfließen lassen: „Wer mir dienen wird, den wird der Vater ehren.“
Ludwig Hofacker wurde nur dreißig Jahre alt und war körperlich stark angeschlagen. Doch selbst nach zweihundert Jahren sagen wir, dass er Württemberg mehr geprägt hat als mancher Prinz. „Wer mir dienen wird, den wird der Vater ehren.“
Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen. Stattdessen möchte er uns in seinen Dienst hineinnehmen.
Ein anderes Jesu-Wort über den Menschensohn lautet: So wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Bauch der Erde sein, aber dann wird er erweckt werden.
Der Menschensohn, der von Gott aus dem Tod erweckt wurde – denken Sie daran: Er hat sogar den Tod durchgestanden. Wenn bei Ihnen der letzte Augenblick kommt und die Angst aufsteigt, ob Sie mit Ihrem Glauben durchhalten, dann versteht der Herr Jesus Sie sogar in Ihrer Todesangst. Er versteht Sie auch in Ihrer Ohnmacht beim Sterben.
Und wenn Ihre Angehörigen die Hand loslassen, wissen Sie: Keiner kann Sie seiner Hand entreißen. Doch dann gibt es Erweckung.
Er, der Menschensohn, der für die Menschen gekommen ist, wollte nicht nur für sich selbst die auferweckende Kraft Gottes, sondern auch für diejenigen, die zu ihm gehören. Wir sollen gleich sein seinem verklärten Leib.
Der Menschensohn, der Herr über den Sabbat, zeigt uns: „Ihr sollt wissen, dass der Menschensohn Herr ist über den Sabbat.“ Er kann auch am Sabbat einem Gichtbrüchigen gesund machen oder einem Blinden die Augen öffnen. Er ist der Herr des Sabbats.
Er wird einmal den großen Welten-Sabbat eröffnen, an dem alles gut sein wird. Er hat alles richtig gemacht: „Siehe, ich mache alles neu.“ Dann gibt es für keine Aktionsgruppe mehr etwas zu reparieren.
Die neue Welt Gottes wird ohne das Böse sein. Dorthin möchte er uns mitnehmen – der Menschensohn.
Heilung, Glaube und die Offenbarung des Menschensohns
Deshalb ist er zu uns Menschen gekommen. Der Menschensohn, der hier seine gute Ernte aussät, will, dass bei uns eine dreissigfältige, sechzigfältige oder hundertfältige Frucht entsteht.
Eine der schönsten Geschichten, in der der Begriff „Menschensohn“ auftaucht, ist die, als der Blindgeborene zu Jesus gebracht wird. Die Jünger streiten noch mit den Pharisäern darüber, wie es zu der Blindheit gekommen ist. Wo liegt die Schuld im Leben des Blindgeborenen?
Jesus blickt schon weit nach vorne. Er fragt sich, was er aus dieser Not machen kann. Lösungsorientiert, nicht problemorientiert. Wie kann sich die Herrlichkeit Gottes erweisen?
Dann wird der Blindgeborene geheilt. Schließlich wird er gefragt: „Bist du gesund geworden?“ Danach kommt er zu Jesus, und Jesus fragt ihn: „Glaubst du an den Menschensohn?“ Er sagt nicht: „Du traust mir etwas zu“, sondern: „Glaubst du an den Menschensohn?“
In Johannes 9 heißt es so schön, dass der Blindgeborene sagte: „Herr, wer ist er, damit ich an ihn glauben kann?“ Jesus antwortet: „Ich bin es, der mit dir spricht.“ Dem Blindgeborenen werden innerlich die Augen geöffnet für die Herrlichkeit des Menschensohnes, der sich ganz einem schwachen Bettler zuwenden kann.
Was wird das einmal sein, wenn Jesus uns die Augen öffnen wird? Dann werden wir den Menschensohn kommen sehen. Wenn alle Tränen von unseren Augen abgewischt werden – nicht nur die Tränen des Schmerzes, sondern auch die Tränen über unser Versagen. Über all das, was wir falsch gemacht und versäumt haben.
Wenn Menschen uns anklagen und sagen: „Ihr habt doch gewusst, wie wichtig Jesus ist. Warum habt ihr es uns nicht gesagt?“ – dann werden wir diese Tränen über unser Versagen und unseren Kleinglauben spüren.
Und wenn es dann wahr wird, was beim Apostel Johannes steht: Wir werden ihn sehen, wie er ist.
Die Hoffnung auf das ewige Leben und die Begegnung mit dem Menschensohn
Heute Morgen habe ich einen Brief von der Witwe unseres langjährigen Tübinger Professors Otto Michel erhalten. Ich habe ihn sehr geschätzt während meiner Studienzeit. Später habe ich ihn noch einmal in hohem Alter bei einer Arbeitstagung im Bengelhaus erlebt. Dort wurde über unsere christliche Hoffnung gesprochen und darüber, dass die Welt neu gemacht wird und vollkommene Gerechtigkeit herrschen wird.
In diesem Zusammenhang ist Professor Michel aufgestanden. Er hatte eine eigenartige Sprache, wie man sie sich als Pfarrer, Professor und Lehrer manchmal aneignet. Er sagte: „Eins haben sie vergessen: Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache an deinem Bilde, der Menschensohn, der sein Auge ganz auf uns gerichtet hat.“
Er erklärte, dass uns der Menschensohn einmal so entgegentreten wird – nicht als schreckliche Person, sondern als jemand, der uns versteht, kennt und liebt. „Meine Augen werden den König in seiner Schutz sehen“, sagte er, „nein, nicht den König, sondern den Menschensohn. Sie werden den Menschensohn sehen, unseren Heiland, der uns durch und durch versteht.“
Dann sprach er weiter: „Herr, wir danken dir, dass wir darauf zugehen dürfen. Noch mehr danken wir dir, dass du dich dafür eingesetzt hast, bis an dein Sterben am Kreuz. So gibt es für uns, trotz all dem, was in unserem Leben daneben geht, einen Trost.“
Er fuhr fort: „Du bist als der Menschensohn gekommen, um uns zu dienen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Das hast du in deinem Kreuz bestätigt. Und jetzt soll es gelten – ach Herr, es gilt in Ewigkeit.“
Zum Schluss sagte er: „Ich weiß die Frage, ob wir es gelten lassen. Sei du unser Heiland! Du weißt, bei wem von uns das jetzt die Bitte ist, du ewiger großer Menschensohn, der du uns verstehst. Hol uns heraus aus allem, was uns festhält in der Distanz von dir, und lass uns ganz dein Eigen werden. Amen.“