Liebe Gemeinde,
gestern Abend wurde für die Brüdergemeinde das Los gezogen aus Römer 12: "Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet!"
Als eine Art Kommentar dazu gilt die allgemeine Jahreslosung: "Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig."
Entstehung und Bedeutung der Jahreslosung
Die Jahreslosungen wurden im Januar 1930 eingeführt, in einer Zeit, die von großer Spannung geprägt war. Diese Spannung entstand durch die Parolen auf der einen Seite: „Deutschland erwache“, und auf der anderen Seite: „Rotes Deutschland, freies Deutschland“.
Die Menschen waren hin- und hergerissen zwischen dumpfen Ängsten und phantastischen Hoffnungen darauf, was alles geschehen könnte. In diese Atmosphäre trat der junge schwäbische Mädchenpfarrer Otto Riedmüller. Er erfand die Jahreslosungen mit dem Gedanken, dass mitten in diesem Geflecht aus Stimmungen, Ängsten und Hoffnungen ein klares Wort Gottes zu den Menschen sprechen solle.
Seit 1930 gibt es die Jahreslosungen. Für das Jahr 2012 lautet sie: „Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Die Botschaft an Paulus in der Schwäche
Er hat zu dem Apostel Paulus in einer ganz schwierigen Situation gesprochen. So wie im 2. Korintherbrief Kapitel zwölf berichtet wird, war der Apostel am Ende auch mit seiner Zuversicht.
Er schreibt: „Er hat einen Pfahl im Fleisch, einen Engel des Satans, der mich schlägt.“ Die Krankheit kann einen ja so fertig machen, die körperliche Ohnmacht, dass der Glaube verdunstet. Paulus hat dreimal, so sagt er, zum Herrn gefleht, dass er die Krankheit, die Schwachheit, die Angst von ihm nimmt.
Der Herr hat zu ihm gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in Schwachen mächtig.“ Vielleicht hat der Apostel Paulus – ich weiß nicht, vielleicht ganz sicher – etwas anderes erwartet: Heilung, Hilfe, dass er aus dem Tief herauskommt, aus der Verzweiflung.
Und dann hat Jesus ihm ganz klar wissen lassen: „Du, schwache Leute sind meine Chance. Es ist meine Freude, dass ich bei Ohnmächtigen zeigen kann, was ich kann. Wenn du am Ende bist, bin ich noch lange nicht am Ende. Meine Kraft ist in schwachen Mächten.“
Bei Jesus haben Ausgepowerte eine Chance. Menschen, die am Ende sind, können darauf bauen, dass der Herr Jesus mit Lust und Freude zeigen will, dass er festhalten, stärken, kräftigen und gründen kann.
Dieser Zuspruch „Meine Kraft ist in Schwachen mächtig“ ist ja nicht bloß ein Wort der Ermutigung, ein Zuspruch, sondern er hat sogar drei Verlässlichkeitssiegel.
Gottes Kraft in der Geschichte und im Alltag
Drei feste Testate – das stimmt, darauf ist Verlass. Erstens: Gottes Kraft ist den Schwachen mächtig. Das hat Gott immer wieder quer durch die Jahrhunderte Bedürftigen erfahren lassen.
Unser Gott will Beachtliches schaffen aus dem, was uns mickrig und unzuverlässig vorkommt. Das, was in unseren Augen ein Nichts ist, will Gott zu einem Kunstwerk machen. So war es schon bei der Schöpfung aus dem Tovabo. Die ganze Missionsgeschichte ist ein Beispiel dafür.
Im Alten Testament werden uns deshalb so anschaulich die Geschichten erzählt. Die Bibel ist kein Rezeptbuch für allerlei Probleme, die Staatsmänner und Staatsfrauen beschäftigen. Sie ist vielmehr ein Bericht darüber, was Gott tun kann und tun will.
Zum Beispiel bekommt der Greis Abraham, 80 Jahre alt und ohne einen Sohn, als Herdenbesitzer und Nomade plötzlich eine Zukunft. Er erhält die Verheißung: „Du sollst der Vater vieler Völker sein.“
Mose ist ein weiteres Beispiel. Auch er war 80 Jahre alt und lebte in der Wüste. Einst hatte er eine Prinzenerziehung genossen, doch dann schien alles aus zu sein. Er dachte: „Vergessen hat Gott mich.“ Doch Gott sagt zu ihm: „Jetzt habe ich mit dir einen Plan. Ich will etwas aus dir machen – den Erlöser für mein Volk.“
Der verzagte Gideon fragt: „Herr, warum das alles über unserem Volk?“ Der Elija sagt: „Ach Herr, lass mich sterben, schalte ab. Ich bin auch nicht besser als meine Väter. Es hat ja gar keinen Wert.“
Die kinderlose Hanna wird von ihrer Gefährtin Penina verspottet: „Du bist doch nichts wert, du bist eine hohle Nuss.“ Doch Gott hat einen Plan mit ihr.
Das geht bis hinein in die Zeit der Jünger, die zu Jesus sagen: „Herr, da sind 5000 Leute mit hungrigen Mägen. Was sollen da fünf Brote und zwei Fische?“ Ein paar Stunden später bleiben zwölf Körbe voll mit Sättigendem übrig.
Es gibt keine Situation, die zu aussichtslos oder zu verzweifelt ist, in der Gott nicht mit Lust und Freude zeigen will, was er kann.
Beispiel Alfred Zechnall und die Kraft in der Schwäche
1944 hat hier in Korntal der in Stuttgart ausgebombte junge Verleger Alfred Zechnall Zuflucht gefunden. Er ist einer der weniger bekannten Persönlichkeiten, die eine besondere Segensspur in unserem Württemberg hinterlassen haben: Doktor Alfred Zechnall, ein begabter Ingenieur.
Nach dem Krieg haben die Amerikaner ihm als Erstem die Drucklizenzen genehmigt. Er hat den Quell Verlag aufgebaut, ebenso wie zahlreiche christliche Verlage und das evangelische Gemeindeblatt. Außerdem hat er nach dem Krieg den Hymnuschor wieder aufgebaut. Zudem erfand er die Auswahllager für Seminare, die zukünftige Pfarrer vorbereiteten.
Martin Scheid aus Korntal verdankt ihm ebenso viel wie der Mabacher Theosorg. Eine Vielzahl junger Menschen war dankbar für den Dienst von Alfred Zechnall, diesem stillen Junggesellen.
Er wurde verachtet. 1934, als die evangelische Jugend in die Hitlerjugend überführt wurde, sagte der Jungbandführer von Stuttgart: „Ich kann die jungen Christen gebrauchen, die tüchtigen, die sportlichen, die unternehmungslustigen. Die leibarmen, die unsportlichen, die untüchtigen können bei Alfred Zechnall in seinen Bibelkreisen bleiben.“
1945 waren das die verachteten jungen Leute, die „Fußkranken der Völkerwanderung“, mit denen Gott noch einmal unser Gemeinwesen aufgebaut hat. Das wurde anschaulich. Professor Schlatter hat es übersetzt: „Gotteskraft kommt in der Schwachheit erst zur Vollendung.“ Erst an Schwachen wird deutlich, was Gott kann.
Die Erfahrung Jesu am Kreuz als Verlässlichkeitssiegel
Verlässlichkeit, das erste Siegel, das haben Menschen über die Jahrhunderte hinweg erfahren. Das zweite Verlässlichkeitssiegel hat unser Herr Jesus erlebt.
Man kann sich kaum vorstellen, wie grenzenlos schwach Jesus am Kreuz war. Dieses millimeterweise Absterben des Körpers während der Qual der Kreuzigung – und dazu der Spott von außen. Anderen hat er geholfen, aber sich selbst konnte er nicht helfen.
In dieser Not, als Jesus die Sünde der Welt auf sich geladen hatte und spürte: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, da war Jesus schwach. Das war etwas ganz anderes, als wenn wir sagen, uns ist heute einfach nur schwach zumute. Es war grenzenlose Schwachheit, Elend und Ausgestoßenheit.
Gleichzeitig war es die Geburtsstunde einer Weltveränderung. Mit Jesus kommt man zum Vater. Es war der Moment, in dem Jesus von der Nähe Gottes umfangen wurde. Nicht das Letzte war: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, sondern: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ So nah war Gott plötzlich, mitten in der Schwachheit.
Doch das ist nicht nur eine Begebenheit von vor zweitausend Jahren. Dieser Jesus, der wie ein Weizenkorn erstorben ist, wollte Frucht bringen. Er wollte uns mitnehmen, damit wir ganz zu ihm gehören.
So können wir mitten in körperlicher Schwachheit, in Not und Sorgen tröstlich von ihm hören: „Du, mein Kind, meine Tochter, mein Sohn, ich kenne das, wie schwach man sein kann, wenn sich kein Gebet mehr formen will und man sich von Gott verlassen fühlt. Aber ich habe es erlebt, und du kannst es auch erfahren: Gott ist mit seiner Kraft ganz nahe und lässt dich in der Schwachheit nicht allein.“
Paulus’ Zeugnis und die Kraft in der Gemeinde
Zweites Prüfungssiegel – Jesus hat es erlebt.
Drittes Verlässlichkeitssiegel – Er hat es gesagt, und darauf wagt mein Herz es froh und unverzagt und lässt sich gar nicht grauen.
Dem Apostel Paulus war es nicht so zum Gemüt, als ob Jesus zu ihm direkt gesagt hätte, sondern er bezeugt in 2. Korinther 12, dass er gehofft hat, der Herr würde ihm helfen und die Schwachheit von ihm nehmen. So hat er gebetet, und dann hat der Herr zu ihm gesprochen.
Das war noch einmal ein bisschen anders, als wenn bei uns eine Gesangbuchzeile durch die Wirkung des Geistes Gottes aufwacht: „Befiehl du deine Wege und was dein Herz erkränkt der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt.“
Für Paulus war es etwas anderes, etwas, das ihm plötzlich zugeteilt wurde. Er brauchte keine neue Offenbarung.
Ich bin eigentlich fest überzeugt: Das Grundwort der Bibel vom Herrn Jesus wird immer wieder bezeugt. Gott erhöht nicht die Frommen, nicht die Zuversichtlichen, nicht die Erwartungsvolle. Gott erhöht die Erniedrigten, die Zerbrochenen.
Das ist ein Grundwort der Bibel, und plötzlich war es Paulus zugesprochen. Er wollte es nicht nur für sich gelten lassen, sondern auch seiner Gemeinde in Korinth weitergeben.
Diese Gemeinde hatte so sehr darauf gewartet, dass Begeisterung in ihr herrscht und dass sie Ausstrahlung hat. Doch sie war so armselig. Man hätte gern gehabt, dass sie Erfolg hat.
Paulus sagt: Leute, Gottes Kraft kommt in der Schwachheit zum Ziel. Wenn man nicht mehr weiß, wie eine Gemeinde weiterleben soll, wenn es immer weniger wird und wenn sie bröckelt, dann geht es so weiter.
Ich bin guten Muts in Schwachheit, guten Muts, denn wenn ich schwach bin, bin ich stark. Weil Jesus da ist und weil die Möglichkeiten des Herrn Jesus für mich da sind.
Abschluss und Ermutigung zum Glauben
Seid fröhlich in der Hoffnung! Gestern sind wir losgezogen für unsere liebe Brüdergemeinde, die als Untergrundgemeinde lebt.
Denn Jesus spricht: „Meine Kraft ist in schwachen Mächten.“ Er hat es gesagt, und darauf vertraut mein Herz froh. Es lässt sich gar nicht entmutigen, sondern bleibt geduldig in Trübsal.
Haltet fest am Gebet! Herr Jesus, danke, dass du da bist! Amen.