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Sieg

Was Leutnant Hiroo Onoda mit Ostern zu tun hat
14.04.19901. Korinther 15,20-28
Das Neue Test­ament ist das Dokument eines gewonnenen Krieges gegen den Teufel. Daraus wird an Ostern die Siegesmeldung vorgelesen. Deswegen braucht es kein Versteck der Not und keinen Dschungel des Zweifels mehr. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

Kennen Sie Hiroo Onoda, liebe Gemeinde?

Ich meine Leutnant Hiroo Onoda von der kaiserlich-japanischen Armee des zweiten Weltkriegs. Laut Stellungsbefehl ging er an Land der Pazifikinsel Lubang. Pflichtbewusst verschanzte er sich im Urwald und hielt das Pulver trocken. Immer kampfbereit war seine Losung. Und dann kam das Jahr 45. Und dann trafen sich die Kriegsgegner auf dem Schlacht­schiff Missouri im Hafen von Tokio. Und dann wurde die Kapitulationsurkunde Japans unterzeichnet und der Sieg Amerikas festgestellt.

Aber der Herr Leutnant bekam von alledem nichts mit. Täglich stu­dierte er Lagekarten, plante neue Erdlöcher und polierte seine Waffen, so als ob nichts geschehen wäre. Als 29 Jahre später, also im Jahre 74, zufällig ein Tourist auf diesen Soldaten stieß und ihn vom längst errungenen Sieg berichtete, wehrte er energisch ab: "Das ist ein Märchen. Mit solchen Geschichten kann man mir nicht kommen. Das ist Propaganda! Auf solche Tricks falle ich nicht herein. Das ist Wunschdenken! Die Wirklichkeit ist eine andere." Höchst erregt fuchtelte er mit dem Samuraischwert und zog sich in sein Grabensystem zurück. Erst dann, als ihm die alte Friedensurkunde gezeigt und vorgelesen wurde, stand er stramm und übergab sein Gewehr.

Dschungelsoldat, Durchhaltekrieger, das war Hiroo Onoda.

Liebe Freunde, Dschungelsoldaten, Durchhaltekrieger, das sind viele. Irgendwo haben sie ihre Stellung bezogen. Pflichtbewusst verschanzen sie sich hinter ihren Aufgaben. Immer dienstbereit ist ihre Losung. Und dann kam das Jahr 33. Und dann trafen sich auf dem Hügel Golgatha vor den Toren Jerusalems die Kriegsgegner. Und dann wurde die Kapitulations­urkunde der Hölle unterzeichnet und der Sieg des Himmels festge­stellt.

Aber der Herr Jedermann bekommt von alledem nichts mit. Täglich studiert er und poliert seine Welt, so als ob nichts passiert wäre. Und wenn ihm dann ein Zeitgenosse die Siegesnachricht überbringen will, wehrt er energisch ab: "Das ist ein Märchen der Frommen. Mit solchen Geschichten sind denkende Leute nicht zu überzeugen. Das ist Propaganda der Kirche. Auf solche Tricks fallen nur die Dummen herein. Das ist Wunschdenken der Enttäuschten. Die Wirklichkeit hat sie eines anderen belehrt." Erregt ziehen sie sich in ihr Denksystem zurück. Aber genau ihnen wird heute die Friedensurkunde gezeigt.

Sehen Sie, das Neue Test­ament ist das Dokument eines gewonnenen Krieges gegen den Teufel. Genau Ihnen wird heute die Siegesmeldung vorgelesen. Hören Sie, wie es Paulus am Schluss dieses Kapitels formulierte: "Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesus Christus." Genau Ihnen wird heute das Osterevangelium verkündigt.

Merken Sie doch endlich:

"Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht,
sein ist die ganze Welt.
Denn alles ist nach seines Todes Nacht
in seine Hand gestellt.
Nachdem am Kreuz er ausgerungen,
hat er zum Thron sich aufgeschwungen.
Ja, Jesus siegt."

Unser Briefabschnitt, herausgeschnitten aus dem Auferstehungskapitel des Paulus an seine korinthische Gemeinde, erläutert dies näher.

1. Ostern: Der zentrale Sieg über den Tod

Christus bekam es mit dem Tod zu tun. Er hat sich an Passah nicht dünn gemacht und ist im Weltraum verduftet. Er hat sich an Passah nicht verleug­net und ist dem Endkampf ausgewichen. Er hat sich an Passah auch keine himmlische Leibgarde besorgt, um das Exekutionskommando in die Flucht zu schlagen. Gehorsam ging er den Hügel Golgatha hinauf. Geduldig ertrug er die Schändung am Kreuz. Geschlagen ließ er den Kopf hängen.

Christus ist gestorben, so wie wir alle sterben werden. Der Tod ist unser Schicksal. Den Totenschein, auf dem nur noch das Datum fehlt, haben wir in der Tasche. Die Tatsache Tod ist eine todsichere Sache.

Sicher können wir den Tod übersehen, so wie Ludwig XIV., der strahlende Sonnenkönig Frankreichs, der jedesmal die Vorhänge zuziehen ließ, wenn eine Leichenkutsche seinen Palast passierte. Wir schaffen den Toten schnell aus dem Haus und machen einen Bogen um den Friedhof.

Sicher können wir den Tod verharmlosen, so wie das Volkslied im Liederbuch, das wir in der Schule gehabt haben, das den Sensen­mann als netten "Freund Hein" bezeichnet. Wir legen nur den Hobel aus der Hand und sagen der Welt ade.

Sicher können wir den Tod verachten, so wie der Nobelpreisträger Dr. Switter, der in Fried­rich Dürrenmatts Schauspiel Meteor auftritt: "Das Leben ist Schindluderei der Natur. Aus Totem zusammengesetzt, verfallen zu Totem. Schmettert mich die Treppe hinunter. Allein der Tod ist ewig."

Aber, liebe Freunde, egal was wir auch tun, ob wir den Tod übersehen, verharmlosen oder verachten, der Tod überwindet uns alle. Jeder hat gegen ihn anzutreten. Jeder hat mit ihm zu kämpfen. Und jeder hat seine Niederlage einzustecken. Der Tod bleibt immer erster Sieger.

"Nun aber", und diese zwei Wörtlein trennen Räume: vorher Dunkelheit, nachher Helligkeit. Nun aber ist Christus auferstanden. Nun aber ist Christus aus dem Grab gebrochen. Nun aber ist Christus Erster geworden.

Den, den sie in die hinterste Schublade stecken wollten und als Verbrecher einordnen, den, den sie auf die unterste Stufe stellten und als Judenkönig blamierten, den, dem sie den letzten Platz einräumten und als Spinner disqualifizierten, den, den sie auspeitschten und anspuckten: Der ist der Allerletzte und das wäre das allerletzte, ihn anzubeten, genau den hat Gott geholt, erhöht und ihn an die Spitze gestellt, denn die Letzten werden die Ersten sein. Christus ist erster Sieger geworden. Der Tod hat seinen Nimbus als unbesiegbarer Held eingebüßt. Nur noch als Angeschlagener und Bezwungener kann er Macht ausüben.

Im letzten Augenblick meines Lebens, denn wenn Ärzte mit ihrer Kunst am Ende sind, dann wenn Schwestern mich hinüberschieben ins Sterbezimmer, dann wenn hoffentlich ein lieber Mensch noch meine Hand hält, im letzten Augenblick meines Lebens kann ich wissen: "Jesus lebt, ich bin gewiss, nichts soll mich von Jesus scheiden."

Ostern, der zentrale Sieg über den Tod.

2. Ostern: der globale Sieg über das Totenreich

Christus bekam es mit dem Totenreich zu tun. Er ist am Karfreitag nicht am Kreuz hängengeblieben und zur Schau gestellt worden. Er ist am Karfrei­tag nicht auf der Bahre liegengeblieben und von Frauen gesalbt worden. Er ist am Karfreitag nicht im Felsengrab zurückgeblieben und von Freunden beweint worden. Er ist den Todesweg weitergegang­en. Er ist den Abgrund hinuntergegangen. Er ist in die Hölle hineingegangen.

Christus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, so wie wir alle hinabsteigen werden. Das Totenreich ist unser Schicksal.

Es mag tröstlich sein, mit dem Dichter zu singen: "Der Leib in seim Schlafkämmerlein, / gar sanft ohn eig'ne Qual und Pein / ruh bis zum Jüngsten Tage." Es mag geistreich sein, mit dem Denker zu glauben, dass jeder Tote bei einer Seelenwanderung in neuer Leiblichkeit zum alten Leben zurückkehre. Es mag erleichternd sein, mit dem Nihilisten anzunehmen, dass alles unwiderruflich in Staub und Asche versinkt.

Biblisch ist dies alles nicht. Der Psalmist war Realist, wenn er feststellte: "Sie liegen bei den Toten wie Schafe und der Tod weidet sie".

"Nun aber", und diese zwei Wörtlein trennen Zeiten: vorher Sterblichkeit, nachher Ewigkeit. Nun aber ist Christus auferstanden. Nun aber ist Christus aus dem Grab gebrochen. Nun aber ist Christus Erstling geworden.

Ein Erstling bildet den Anfang. Der Erstling hat ein Gefolge. Ein Erstling zieht andere nach. Immer ist das so. Wenn im März die erste Lerche in den blauen Himmel aufsteigt, dann wissen wir mit Bestimmtheit, dass in kurzer Zeit all die andern Sänger scharenweise zurückkehren und die Natur mit ihrem Jubel erfüllen werden. Wenn im April die ersten Zweige im Schlosspark blühen, dann rechnen wir mit Bestimmtheit, dass in wenigen Wochen in dieser Stadt ein Meer von Blüten zu bestaunen ist. Wenn im August die ersten Ähren auf dem Feld geschnitten werden, dann denken wir mit Bestimmtheit, dass in zwei Monaten eine ganze Ernte eingefahren ist. Und wenn im Dezember die erste Schneeflocke vom Himmel wirbelt, dann sagen wir mit Bestimmtheit, dass in wenigen Stunden eine ganze Landschaft weiß zugedeckt ist.

Nicht anders ist es mit dem Erstling Christus. Wenn an Ostern die erste Auferstehung von den Toten passiert, dann glauben wir mit Bestimmtheit, dass dies kein isoliertes Wunder bleibt. Sie zieht die Auferstehung aller Toten nach sich. Der Auftakt zu dem globalsten Triumpfzug aller Zeiten ist geschehen: Christus voran, dann die Christen, dann der Rest. Keiner kann mit dem Sterben Gott aus den Fingern laufen. Wir werden auferstehen. Keiner kann mit dem Tod die ewige Ruhe herbeisehnen. Wir werden auferstehen. Keiner kann im Grab verkauft, verraten und vergessen sein. Wir werden auferstehen. Wenn ich in den Spiegel sehe, weiß ich Jahr für Jahr sicherer, dass ich mit Adam sterben werde. Wenn ich aber in die Bibel schaue, weiß ich Jahr für Jahr gewisser, dass ich mit Christus auferstehen werde. Und diese herrliche Zukunft hat mit Ostern schon begonnen.

Ostern, der globale Sieg über das Totenreich.

3. Ostern: Der totale Sieg über die Todesmächte

Christus bekam es mit den Todesmächten zu tun. Er jagte am Ostermorgen nicht den Pilatus über die Grenze und verwies ihn des Landes. Er schick­te am Ostermorgen nicht den Kaiphas in den Ruhestand und erteilte ihm Redeverbot. Er säuberte am Ostermorgen nicht die eigenen Reihen und rechnete mit den Umfallern ab. Der Staatsapparat blieb derselbe. Der Staatsterror ging weiter. Der Stasi funktionierte.

Jesus hatte es immer mit den Todesmächten zu tun, so wie wir es auch mit ihnen zu tun haben werden. Auch nach Ostern ist uns kein Himmel auf Erden versprochen.

Da ist der junge Mann, der unter der Macht des Ehrgeizes leidet. Unbedingt will er die Kar­riereleiter hinauf, auch wenn es nur unter Einsatz der Ellenbogen geht. Da ist die reife Frau, die unter der Macht der Lüge leidet. Ihr Mann führt sie hinters Licht und geht seine eigenen Wege. Da ist der alte Mann, der unter der Macht der Krankheit leidet. Auch mit Tabletten hat er keine schmerzfreie Stunde. Da ist kein einziger, der ein ruhiges Lebensplätzchen gefunden hätte, sondern jeder Arbeits- und Wohnplatz ist Kampfplatz geblieben, auf dem sich die Mächte austoben und um den ersten Rang streiten.

"Nun aber", und diese zwei Wörtlein trennen Welten: vorher Vergänglich­keit, nachher Herrlichkeit. Nun aber ist Christus auferstanden. Nun aber ist Christus aus dem Grab gebrochen. Nun aber ist Christus erstrangig geworden.

Er hat die Mächte im Auge. Er hat die Gewalt im Griff. Er ist hoch erhaben über alle Mächte und Gewalten. Deshalb werden sie sich nicht ewig aufspielen und uns Angst ein­jagen können. Einmal ist Schluss. Einmal wird ihnen der Garaus gemacht. Einmal werden sie nicht nur zur Ordnung gerufen, sondern radikal beseitigt.

Liebe Freunde, dann werden die Sterbezimmer nicht mehr gebraucht. Dann werden die Särge nicht mehr gezimmert. Dann werden die Beerdigungen nicht mehr gehalten. Den Pragfriedhof wird es nicht mehr geben. Den Fangelsbachfriedhof wird es nicht mehr geben. Den Waldfriedhof wird es nicht mehr geben, denn der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Die Allmacht Gottes ist allemal größer als die Macht der Mächte.

Ostern, nicht nur der zentrale und globale, sondern auch der totale Sieg über die Todesmächte.

Verlassen Sie die Höhle der Angst!
Kommen Sie heraus aus Ihrem Versteck der Not!
Leben Sie doch ohne den Dschungel des Zweifels!
Hören Sie: Christus ist auferstanden!

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]