Liebe Gemeinde,
heute Morgen starten wir zu einer neuen Reise. Man könnte auch sagen, wir beginnen ein neues Abenteuer. Wir fangen mit einer neuen Predigtreihe an und werden uns einem Buch aus der Bibel neu zuwenden, das wir in den nächsten Wochen und Monaten Schritt für Schritt miteinander studieren wollen.
Wer sich mit diesem Dokument gründlich befasst, den wird es nicht kalt lassen. Wir werden eintauchen in eine faszinierende, ferne Welt bis hin nach Babylonien im Zweistromland, am Euphrat und Tigris. Wir werden Weltherrschern über die Schulter schauen und einige junge Leute beobachten, wie sie mitten in einem totalitären Staat leben und sich trotzdem nicht verbiegen lassen.
Wir werden nachprüfen, wie sich Vorhersagen Gottes präzise erfüllen – mitten in der politischen Geschichte. Außerdem werden wir weitere Prophetien kennenlernen, die noch ausstehen und die sogar für unsere Zukunft noch Bedeutung bekommen.
Dabei werden wir immer wieder auf Strukturen und Gesetzmäßigkeiten stoßen, die eins zu eins aus dem Jahr abgeschrieben sein könnten. Paulus hat über das Alte Testament einmal gesagt, in Römer 15,4: "Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben."
Das Alte Testament ist uns also zur Lehre geschrieben, sagt Paulus. Und im ersten Korintherbrief, Kapitel 10, Vers 6, berichtet er, wie Gott mit seinem Volk in der Wüste erzieherisch umging. Paulus sagt dann: "Das ist aber geschehen uns zum Vorbild." Für uns, sagt Paulus, also auch für uns ist das Buch Daniel von Gott gegeben – für uns als Gemeinde Jesu Christi.
Die Bedeutung des Buches Daniel und seine Herausforderungen
Wenn wir verstehen wollen, warum Gott uns dieses Buch gegeben hat und was er uns damit sagen möchte, müssen wir zunächst so nahe wie möglich an die Zeit herangehen, in der dieses Buch entstanden ist, sowie an die dramatischen Ereignisse, von denen es berichtet.
Ich möchte vorab sagen: Unser Buch gehört zu jenen Schriften des Alten Testaments, die von der Bibelkritik bis heute mit besonderer Härte bekämpft werden – das Buch Daniel. Immer wieder wurde behauptet, es enthalte keine zuverlässigen Berichte. Man warf dem Buch Daniel vor, dass Fälscher am Werk gewesen seien.
Wir werden noch sehen, dass es verständlich ist, warum die Bibelkritik dieses Buch so bekämpft. Denn wenn das, was hier steht, wirklich so zugetragen hat, würde das dem gesamten System der Bibelkritik den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Bibelkritik behauptet nämlich, es könne keine echte Offenbarung geben. Es könne zum Beispiel auch keine echte Prophetie von Ereignissen geben, die erst Jahrzehnte oder Jahrhunderte später eintreten.
Doch dieses Buch enthält große Prophezeiungen, die sich zum Teil so präzise erfüllt haben, dass darin geradezu ein Beweis für die Göttlichkeit der Bibel zu finden wäre. Es sei denn, man könnte nachweisen, dass es sich nicht um echte Vorhersagen handelt, sondern nur um nachträgliche Fälschungen aus späteren Zeiten.
Ein Beispiel: Wenn ich am Donnerstag gesagt hätte, dass Deutschland bei der Handball-WM am Samstag gegen Frankreich mit 29 zu 26 Toren gewinnt, wäre das eine echte Vorhersage gewesen. Diese konnte gestern jeder überprüfen, als das Spiel am Samstag stattfand.
Wenn ich aber heute meinen Bericht nachträglich zurückdatieren würde, nach dem Motto: „Ich habe am Donnerstag schon gewusst, dass Deutschland gegen Frankreich 29 zu 26 gewinnt“, dann wäre das eine glatte Fälschung. Ich hätte etwas als Vorhersage ausgegeben, was ich erst nachträglich gesagt habe.
Genau das wollen manche dem Buch Daniel unterstellen: gefälschte Prophezeiung. Dafür gibt es auch ein vornehmes theologisches Wort: „Vaticinia ex eventu“. Im Grunde genommen bedeutet das jedoch nur eines – Fälschung.
Darum wird es wichtig sein, dass wir genau hinsehen und dieses Dokument gründlich studieren. Dabei sollten wir uns auch mit den kritischen Rückfragen auseinandersetzen, die dem Buch Daniel immer wieder entgegengebracht werden. Außerdem gilt es zu prüfen, was die Bibel selbst dazu sagt.
Historischer Kontext und der Beginn der babylonischen Herrschaft
Schon der erste Satz deutet an, dass es in diesem Dokument um knallharte Geschichte geht. Es handelt sich nicht um erbauliche Fantasie oder fromm verpackte Unterhaltung, obwohl der Text sehr spannend zu lesen ist. Vielmehr geht es zunächst um die Geschichte, die unsere Kinder in der Schule lernen – oder auch nicht lernen.
Dabei stehen Jahreszahlen, Könige, militärische Schlachten und politische Machtkämpfe im Mittelpunkt. Und plötzlich betrifft das Thema auch uns persönlich. Wenn Babel zuschlägt, ist das das Thema heute Morgen. Babel steht hier zunächst für die Weltmacht der Babylonier, etwa 600 vor Christus. Doch Babel ist darüber hinaus in der Bibel zum Symbol geworden – zum Symbol für ein totalitäres System, für einen diktatorischen Staat, der auch von den Leuten Gottes Anpassung, Gehorsam und Unterwerfung fordert.
Was also war um 600 vor Christus geschehen? Sie haben den Text vor sich. Wir werden heute nicht das ganze erste Kapitel schaffen, das sei zu Ihrer Beruhigung schon vorab gesagt. Aber wir wollen uns in die ersten Verse hineinbegeben:
„Im dritten Jahr der Herrschaft Joachims, des Königs von Juda, zog Nebukadnezar, der König von Babel, vor Jerusalem und belagerte es. Und der Herr gab in seine Hand Joachim, den König von Juda, und einen Teil der Geräte aus dem Hause Gottes. Diese ließ er nämlich Nebukadnezar ins Land Schinar bringen, sein alter Name für Babel, in den Tempel seines Gottes, und er tat die Geräte in die Schatzkammer seines Gottes.“
Diese Angabe ist so präzise, gerade dieser erste Vers, dass man genau den Zeitpunkt benennen kann, zu dem die Ereignisse geschehen. Es handelt sich exakt um das Jahr 605 v. Chr. Dieses Jahr markiert, wie wir auch aus anderen Quellen wissen, die große Wende für die Machtverhältnisse im Nahen Osten.
Im Mai oder Juni 605 besiegt Nebukadnezar, damals noch Kronprinz von Babylonien, die Supermacht Ägypten in der großen Schlacht bei Karkemisch. Schon in den Jahren zuvor hatte Babylon Machtansprüche angemeldet und sich als Global Player in Szene gesetzt.
Erst war man 625 v. Chr. von den Assyrern abgefallen – all das geschah unter Nebukadnezars Vater Nabopolassar. Dann hatte man 614 Assur eingenommen, 612 Ninive, und damit verschwand das große assyrische Weltreich völlig aus der Geschichte. Babels Macht nahm immer mehr zu. Sie waren die neue Größe, mit der zu rechnen war.
Schließlich war im Mai oder Juni 605 Ägypten fällig. Von Ägypten aus marschierte die babylonische Armee weiter Richtung Syrien und Israel. Diese waren Vasallen Ägyptens gewesen. Als Ägyptens Macht zerbrach, waren auch Israel und Syrien den Babyloniern hilflos ausgeliefert.
Noch während dieses Feldzugs, im August 605, stirbt der babylonische König Nabopolassar. Sein Sohn Nebukadnezar sichert sich die Thronfolge. Das ist hier der Nebukadnezar aus unserem Vers. Er setzt den Siegeszug des Vaters fort und schickt seine Truppen gegen Israel. Dort trifft er auf den jüdischen König Jojakim.
König Jojakim und die politische Lage in Juda
Auch über Joachim wissen wir einiges. Sie können dies im zweiten Buch der Könige, Kapitel 23, Vers 36, nachlesen. Er wurde von Ägyptens Gnaden eingesetzt. Dieser Joachim war gottlos bis ins Mark. Er richtete sich nicht nach dem Wort Gottes, praktizierte Götzendienst und verfolgte den Propheten Jeremia. Zudem verbrannte er dessen erste Schriften. So machte er Israel vollends zu einer Bananenrepublik, in der nicht Gerechtigkeit herrschte, sondern Gewalt und Betrug das öffentliche Leben bestimmten.
So viel zu Joachim.
Als Ägypten dann besiegt wurde, wackelte auch Joachims Stuhl. Es ging ihm an den Kragen. Nun ist es spannend, wie genau hier die Datierung erfolgt. Wir lesen in diesem Vers vom dritten Jahr der Herrschaft Joachims.
Kritiker haben jedoch gesagt, dass man an dieser Stelle sehen könne, wie ungenau Daniel berichtet. Wenn man Jeremia 46, Vers 2 liest, steht dort etwas anderes: Nebukadnezar, der König von Babel, schlug im vierten Jahr Joachims, des Königs, das ägyptische Heer.
Also: Ist es nun das dritte Jahr Joachims oder das vierte Jahr? Besteht hier ein Widerspruch zwischen Daniel und Jeremia?
Die Sache ist ganz einfach. Jeremia verwendet hier die hebräische Zählweise. Bei dieser Zählweise zählt man das Jahr der Thronbesteigung mit.
Daniel hingegen, der aus babylonischer Perspektive schreibt, verwendet die babylonische Zählweise. Die Babylonier zählen es so, dass das Thronbesteigungsjahr separat betrachtet wird. Das erste Jahr der eigentlichen Regentschaft beginnt erst im darauffolgenden Jahr.
Wenn man also sagt, Joachim kam 608 v. Chr. an die Macht, bedeutet das nach der hebräischen Zählweise: 608, 607, 606, 605.
Nach der babylonischen Zählweise ist 608 das Jahr der Thronbesteigung, dann ist 607 das erste Jahr, 606 das zweite Jahr und 605 das dritte Jahr.
Das heißt: Das vierte Jahr nach der hebräischen Zählung entspricht exakt dem dritten Jahr nach der babylonischen Zählung.
Bei Daniel, der aus babylonischer Perspektive schreibt, steht also im dritten Regierungsjahr Joachims, 605 v. Chr., ein Beispiel dafür, wie korrekt Daniel auch in historischer Hinsicht berichtet.
Nun belagert Nebukadnezar Jerusalem (Vers 2). Der Herr gab in seine Hand Joachim, den König von Juda, sowie einen Teil der Geräte aus dem Haus Gottes. Diese ließ er ins Land Chinar, also nach Babylon, bringen – in den Tempel seines Gottes – und tat die Geräte in die Schatzkammer seines Gottes.
Sie sehen, Joachims geborgte Macht von Ägyptens Gnaden ist am Ende. Wie wir aus dem zweiten Buch der Chronik wissen, wird er zunächst verhaftet und in Ketten gelegt durch die Babylonier. Er darf dann aber in Jerusalem bleiben und unter strengen Auflagen weiterhin einem vasallen Regime vorstehen.
Er hat jedoch sehr viel Macht eingebüßt, im Gegensatz zu seinem Komplott mit den Ägyptern.
Die Bedeutung der Tempelgeräte und die erste Deportationswelle
Etwas anderes nimmt Nebukadnezar mit nach Babylonien, wie wir hier in Vers 2 sehen. Er nimmt nämlich Teile der Tempelgeräte mit, also Teile des Tempelschatzes. Das ist interessant, denn im Jahr 605 erfolgt die erste Deportationswelle von Jerusalem nach Babylonien. Dabei werden die ersten Teile des Tempelschatzes mitgenommen.
Im Jahr 597 folgen weitere Teile, und 587, mit der dritten Deportationswelle, werden schließlich noch einmal Reste des Tempelschatzes abtransportiert. Alles wird sorgfältig nach Babylonien gebracht. Ich denke, Nebukadnezar setzt hier auch auf die demoralisierende Wirkung dieses Vorgehens.
Er signalisiert: Seht her, euer Gott kann nicht einmal seinen eigenen Tempel beschützen. Er kann nicht einmal seinen eigenen Tempelschatz verteidigen. Ich gehe in den Tempel Israels, zeige meine Macht und nehme die Schätze mit. Dann opfere ich sie gewissermaßen meinem Gott.
Sein Gott war höchstwahrscheinlich Marduk, der Gott, den Nebukadnezar nach allem, was wir wissen, bevorzugte. Es gibt eine interessante babylonische Urkunde, in der Nebukadnezar Folgendes von sich sagt – das bestätigt auch die Darstellung im Buch Daniel: Nebukadnezar sagt, Zitat: „Silber, Gold, kostbare Edelsteine brachte ich in meine Stadt vor ihm, nämlich vor dem Gott Marduk.“
In diesem Zusammenhang werden auch Tempelgeräte aufgezählt, die er mitgenommen hat, um sie in seine eigenen religiösen Gebäude einzubringen.
Die Auswahl und Umerziehung der jungen jüdischen Männer
Mit den ersten beiden Versen wird der große Rahmen gespannt, unter dem die folgenden Ereignisse stattfinden werden. In diesen Versen wird gewissermaßen die Bühne aufgebaut, auf der sich das Drama des Buches Daniel abspielen wird.
Im dritten Jahr der Herrschaft Juliakims, des Königs von Juda, zog Nebukadnezar, der König von Babel, vor Jerusalem und belagerte die Stadt. Der Herr übergab Juliakim, den König von Juda, in seine Hand sowie einen Teil der Geräte aus dem Haus Gottes. Diese ließ Nebukadnezar ins Land China bringen, in den Tempel seines Gottes, und legte die Geräte in die Schatzkammer seines Gottes.
Nebukadnezar erweist sich hier als Stratege mit Weitblick. Er stellt sich die Frage: Wie kann ich dafür sorgen, dass diese Region langfristig in meinen Machtbereich integriert wird? Wie kann ich die wertvollsten Ressourcen dieses Landes am effektivsten für mein eigenes Reich nutzen und einsetzen? Dabei kommen die jungen jüdischen Männer in den Blick, also die Nachwuchselite aus Israel (Vers 3).
Der König Nebukadnezar sprach zu Aspenas, seinem obersten Kämmerer, und befahl ihm, einige von den Israeliten auszuwählen. Diese sollten vom königlichen Stamm und von edler Herkunft sein. Es sollten junge Leute sein, die keine Gebrechen hätten, sondern schön, begabt, weise, klug und verständig – also intelligent und fähig, am Königshof zu dienen. Sie sollten in Schrift und Sprache der Chaldäer unterrichtet werden. Der König bestimmte, was man ihnen täglich von seiner Speise und von dem Wein, den er selbst trank, geben sollte. So sollten sie drei Jahre erzogen werden und danach vor dem König dienen.
Unter ihnen waren aus Juda Daniel, Hananja, Michael und Asarja. Der oberste Kämmerer gab ihnen andere Namen: Daniel nannte er Beltschazar, Hananja Schadrach, Meschach Meschach und Asarja Abednego.
Der Plan ist durchaus clever. Nebukadnezar sagt sich: Wer die Jugend hat, hat die Zukunft. Dabei zeigt sich der totalitäre Charakter des babylonischen Regimes. Das Erste, was mit diesen jungen Männern passiert, ist, dass sie verschleppt werden. Gleich mit der ersten Deportationswelle bringt man sie nach Babylonien. Als Geiseln nimmt Nebukadnezar also nicht irgendwelche, sondern gezielt junge Männer aus gutem Hause, nämlich aus königlichen Familien und Adelsgeschlechtern, wie Vers 3 sagt.
Nebukadnezar achtet nicht nur auf die Herkunft, sondern auch auf Ausstrahlung, Begabung und Leistungsfähigkeit. Wenn man diese Auswahlkriterien liest, entsprechen sie genau den Maßstäben, die auch an den babylonischen Priesternachwuchs angelegt wurden. So heißt es in einer solchen Quelle beispielsweise, sie sollen edler Abkunft, aus altem Geschlecht, von priesterlichem Geblüt, körperlich gesund und normal sowie in der religiösen Lehre bewandert sein.
Das waren die Wertvorstellungen und Kriterien, die Babylon schon damals anlegte. So waren zukünftige Führungskräfte gedacht. Besonders interessant ist, wie hier die geistigen und intellektuellen Fähigkeiten betont werden. In der Mengeübersetzung dieses Verses wird das noch einmal besonders deutlich. Dort heißt es:
„Sie sollen aus dem königlichen Geschlecht und aus den vornehmsten Familien kommen. Jünglinge, die frei von jedem körperlichen Fehler sind, ein schönes Äußeres, eine reiche Begabung, eine gute Vorbildung und ein leichtes Fassungsvermögen besitzen und sich so zum Dienst im königlichen Palast eignen.“
Diese jungen Leute waren wahrscheinlich zwischen dreizehn und fünfzehn Jahre alt. Sie werden nun abkommandiert, um in Babylon am Königshof zu dienen.
Damit erfüllt sich wortwörtlich, was Jesaja etwa ein Jahrhundert zuvor dem König Hiskia gesagt hatte. Das steht im 2. Königsbuch 20,18. Jesaja sagte, dass Gott ein Gericht über Juda bringen werde, weil sie ihn verlassen hätten. Dabei wird unter anderem Folgendes passieren: Von den Söhnen, die von Hiskia kommen, werden einige genommen, damit sie Kämmerer im Palast des Königs von Babel werden.
Genau das geschieht hier: Die jungen Männer werden aus ihren Familien herausgerissen, verschleppt und als Geiseln nach Babylonien gebracht. Dort angekommen, unterzieht man sie sofort einem umfassenden Programm zur Umerziehung und ideologischen Schulung.
Dieser Schritt macht einen ganz strategischen Plan deutlich. Wenn es heißt, sie sollen fähig werden, am Königshof zu dienen, und der oberste Kämmerer soll sie in Schrift und Sprache der Chaldäer unterrichten lassen, dann ist das der zweite Schritt.
Erst werden sie verschleppt, dann werden sie verbildet. Nebukadnezar würde natürlich sagen: „Nein, sie werden gebildet. Wir lassen ihnen die beste Ausbildung zukommen, die es gibt.“ Aus Gottes Sicht müssen wir jedoch sagen: Sie werden umgepult, sie werden verbildet.
Mit „Schrift und Sprache der Chaldäer“ ist die gesamte kulturelle und geistige Bildung Babyloniens gemeint. Das heißt nicht nur, dass sie lesen und schreiben lernen sollen, um am Hof Formulare ausfüllen zu können. Dafür wäre keine so aufwändige Ausbildung nötig gewesen.
„Schrift und Sprache der Chaldäer“ meint vielmehr eine vielfältige Kultur und eine groß ausgedehnte Wissenschaft, für die die Babylonier bekannt waren. Darin sollen die jungen Männer unterwiesen werden und davon überzeugt werden.
Babylon verfügte über eine reichhaltige Literatur, beispielsweise historische Berichte über Schlachten, Architektur und große Bauwerke sowie deren Erbauer. Es gab in dieser Literatur auch viele esoterische Themen. Traumdeutung hatte zum Beispiel eine sehr prominente Stellung im damaligen Wissenschaftskanon.
Nebukadnezar schrieb einmal: „Alle meine kostbaren Arbeiten schrieb ich auf eine Tafel und stellte sie für die Nachwelt auf. Alle meine Werke, die ich auf die Tafel geschrieben habe, sollen die Verständigen lesen und der Herrlichkeit der großen Götter gedenken.“
Viele der Themen in der Literatur, die die vier jungen Männer nun studieren werden, waren religiös bestimmt oder zumindest religiös beeinflusst. Astrologie und Astronomie gingen damals fließend ineinander über. Physik und Okkultismus, Chemie und Alchemie – die Grenzen waren sehr fließend.
In dieses geistige und geistliche Milieu sollen die jüdischen Männer nun tief eintauchen. Man will sie so richtig babylonisch einfärben. Denn was nützen einem die klügsten Männer, wenn sie sich nicht bewusst ins neue System einfügen?
Was jetzt gebraucht wird, ist ein gründlicher Prozess der Re-education, also der Umerziehung. Sie müssen weltanschaulich auf Linie gebracht werden. Es geht darum, ihr Herz zu gewinnen und ihr Denken zu lenken.
Andernfalls wären sie höchstens ein gefährliches, kritisches Potenzial. Ein Nährboden für unangepasste, revolutionäre Gedanken – und das wäre das Letzte, was der Diktator Nebukadnezar brauchen könnte: selbständig denkende junge Leute. Wo kämen wir da hin?
Wenn die jungen Leute selbständig in ihren alten Maßstäben weiterdenken würden, könnte eine Oppositionsgruppe entstehen, die nach und nach an Einfluss gewinnt. Das darf nicht sein, und darum dieser umfassende Umerziehungsprozess.
Parallelen zur heutigen Gesellschaft und die Herausforderung für Christen
Überlegen Sie einmal, welche Einflüsse auf Daniel und seine Freunde eingestürmt sind. Was Nebukadnezar mit den jungen Männern Israels macht, ist im übertragenen Sinne ein Beispiel dafür, wie Christen und besonders junge Christen bis heute von einem System indoktriniert werden. Dieses System nennt die Bibel „die Welt“. Man könnte auch von Zeitgeist oder den dominierenden Weltanschauungen unserer Zeit sprechen.
Es besteht gerade auf unsere jungen Leute ein starker Anpassungsdruck in unserer Gesellschaft. Dieser Druck richtet sich zunächst auf ihr Denken, ihr Empfinden und auf die gesamte Art und Weise, wie sie die Welt sehen und beobachten. Dabei werden uns viele scheinbare Selbstverständlichkeiten untergeschoben, so als gäbe es darüber gar nichts mehr zu diskutieren.
Zum Beispiel wachsen unsere jungen Leute mit dem Empfinden auf, dass Wahrheit immer relativ sei. Dieser postmoderne Gedanke – dass es keine absolute Wahrheit gibt und jeder seine Position vortragen kann – ist heute Konsens. Dass es eine verbindliche Wahrheit geben könnte, ist kaum noch vorstellbar im heutigen Lebens- und Denkgefühl.
Oder denken Sie an das Thema Homosexualität. Es gilt als selbstverständlich, alles zu tolerieren, im Sinne davon, dass es letztlich gleichwertig sei und man nicht sagen darf, es sei Sünde. Vor zehn oder zwanzig Jahren gab es in unserer Gesellschaft noch eine andere Stimmung zu diesem Thema. Heute hat man sich fast daran gewöhnt, wie normal das ist.
Oder dass junge Leute schon zusammenleben und zusammen schlafen, bevor sie heiraten. Das ist heute so normal, dass es kaum noch reflektiert oder diskutiert wird. Es gehört einfach dazu, man nimmt es unbewusst auf.
Dieser starke Anpassungsdruck wirkt leider auch auf viele Christen. Viele sind so naiv, dass sie nicht merken, welche starken Einflüsse unsere Kultur auf uns ausübt. Durch das, was wir lesen – etwa in Romanen –, durch das, was wir im Fernsehen und Kino sehen, und durch die Musik, die uns nahegebracht wird. Das ist nicht alles wertneutral oder nur Unterhaltung. Dort werden Botschaften verpackt.
Früher wurde ein Kommissar in einer Serie meist als treusorgender Familienvater oder knurriger Einzelgänger dargestellt. Heute sind es nicht selten Homosexuelle oder Menschen, die von einem Bett ins nächste springen. Sie gelten als besonders locker und flott, ihr Lebensstil steht im Kontrast zu ihrer ordnungssichernden Aufgabe. Das vermittelt Botschaften und prägt Einstellungen.
Diese Einflüsse wirken auf unsere Gedanken, wenn wir uns nicht bewusst und kritisch damit auseinandersetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Urteilsvermögen unserer jungen Leute und unser eigenes geschult wird – an der Bibel, an der Wahrheit des lebendigen Gottes. So lassen wir uns nicht einfach irgendwelche Thesen und Meinungen als selbstverständlich unterjubeln.
Stattdessen sollten wir wirklich in der Lage sein – und auch unsere jungen Leute dazu befähigen –, kritisch zu prüfen und mit guten Argumenten zu Beurteilungen zu kommen.
Die babylonische Wissenschaft und die geistige Prägung
Die babylonische Wissenschaft war alles andere als neutral oder objektiv. Auch die humanistische Bildung und Wissenschaft sind nicht neutral oder objektiv. Es gibt viele ideologische und religiöse Einflüsse, die nicht immer leicht zu durchschauen sind.
Sicherlich wird an der Akademie von Babylon viel Nützliches zu lernen sein. Daniel wusste bestimmt von Mose, der ihm 800 Jahre früher überlegen war. Wo hatte Mose seine Eliteschule durchlaufen? Am ägyptischen Hof, der ebenfalls von ägyptischer Philosophie geprägt war.
Doch diese Zeit war für Mose keineswegs verloren. Sie war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu seiner künftigen Lebensaufgabe. Er konnte das Gelernte nutzen und sortieren. Aber irgendwann kam der Tag, an dem Mose sich entscheiden musste – zwischen Israel und Ägypten, zwischen Gott und den Götzen.
Für Daniel kam dieser Tag sehr bald. Bei Nebukadnezar gab es nur ganz oder gar nicht. Nebukadnezar wollte eine einigermaßen gründliche Prägung. In Vers 5 steht, dass sie drei Jahre erzogen werden sollten.
Diese Dauer entspricht auch heute noch etwa der europäischen akademischen Grundausbildung, die zum Bachelor führt – drei Jahre. Das ist auch der erste Ausbildungsschritt an der ART hier bei uns, zum Bachelor-Äquivalent. Drei Jahre also auch am Hof Nebukadnezars.
Versorgung und Verführung als Mittel der Umerziehung
Erst verschleppt, dann verbildet, aber auch drittens versorgt. Schauen Sie mal: Das Versorgt kommt in Vers fünf. Der König bestimmte, was man ihm täglich geben sollte – von seiner Speise und von dem Wein, den er selbst trank.
Zu einer umfassenden Erziehung gehört also auch die Esskultur, lernen wir hier. Diese sollte ebenfalls umfassend von babylonischer Prägung bestimmt sein. Das war wahrscheinlich auch ein Zeichen guten Willens von Nebukadnezar. Er wollte die Jungen damit für sich gewinnen: Hier könnt ihr etwas werden, hier könnt ihr Karriere machen, hier kann es euch gut gehen.
Je weicher man sie bettet, desto mehr Grund haben sie, ihren Frieden mit dem Babelsystem zu machen. Das war eine sehr interessante, unterschwellige Unterstützung dieser Umerziehung. Vergünstigungen und Geschenke bewirken oft mehr als Druck und Drohung – wir kennen das ja.
Wenn die Welt uns lockt und uns schmeichelt, ist das oft viel gefährlicher, als wenn sie uns bedroht und bedrängt. Und wenn wir Erfolg und Ruhm ernten, dann muss das für sich genommen ja noch gar nichts Schlechtes oder Ungeistliches sein. Auch Christen können in ihrem Beruf durchaus erfolgreich sein. Es ist gut, wenn sie es sind.
Aber wenn Erfolg, Ruhm und Anerkennung uns irgendwann so wichtig werden, dass wir bereit sind, dafür geistliche Grundsätze zu opfern, dann ist höchste Vorsicht geboten. Vielleicht kann das passieren.
Nur ein Beispiel: Ich denke, so mancher Pfarrer würde vielleicht geistlich mutiger gegenüber einer liberalen Kirchenleitung handeln, wenn es nicht die beruhigende Beamtenpension zu verlieren gäbe. Ich unterstelle das niemandem, aber ich sehe die deutliche Gefährdung, die da besteht. Jeder von uns hat seine eigenen Gefährdungen.
Wie viele Gewissen wurden schon eingeschläfert, dadurch dass man ihre Besitzer in ein höheres Amt gelobt hat. Der württembergische Theologe Rolf Schäffbuch hat das einmal so ausgedrückt: Ab Superintendent beginnen in der Kirche die seelengefährdenden Ämter.
Die Namensänderung als Zeichen der Identitätsauflösung
Erst verschleppt, dann verbildet, dann versorgt und schließlich viertens und letztens vereinnahmt – das steht in den Versen 6 bis 7. Dort erhalten die Deportierten neue Namen. Unter ihnen, also unter diesen Deportierten, waren aus Juda auch Daniel und seine Freunde. Daniel und seine Freunde sind also nicht die einzigen Juden, die mit dieser ersten Gruppe deportiert wurden. Was aus den anderen geworden ist, wissen wir nicht. Aber diese vier hier werden nun mit Namen vorgestellt, weil sie bei den folgenden Ereignissen eine entscheidende Rolle spielen werden.
In diesen Sätzen sehen wir, wie gründlich Nebukadnezars Umerziehung angelegt ist. Er versucht nicht nur, ihr Herz zu gewinnen, sondern er nimmt sich auch das Recht heraus, ihre Namen zu verändern. Er will ihre Identität brechen. Namen zu verleihen war ein königliches Recht. Das machte deutlich: „Ich habe Macht über dich.“ Er kann dich aus deiner alten Geschichte herausholen und in eine neue Geschichte hineinstellen.
Schauen Sie sich die Art und Weise an, wie diese Namensänderung geschieht. Sie macht klar: Diese vier Jungen sollen mit Haut und Haar und endgültig für das babylonische System vereinnahmt werden. Alles, was an ihr früheres Leben erinnert, alles, was sie mit ihrem früheren Leben in Juda verbindet, soll systematisch ausgelöscht werden.
Daniel bedeutet „Gott ist mein Richter“, im Sinne von „Gott ist der, der mir Recht verschafft“. Das ist das Programm über dem Leben Daniels: Gott ist mein Richter, er ist der, der mir Recht verschafft. Und was wird aus Daniel? Sehen Sie hin: Beelchaza! Das heißt so viel wie „Beel schütze sein Leben“. Beel war ein Gott Babyloniens. Es kann auch bedeuten, die weibliche Form der Göttin, also die Herrin, schütze den König. Jedenfalls geht es darum, dass die Erinnerung an den lebendigen Gott Israels ausgelöscht wird. Daniels neuer Name soll ihn nun unter den Schutz der babylonischen Götter stellen: Beelchaza.
Seinen Kollegen geht es ähnlich. Chananja bedeutet „Gott ist gnädig“. Darin steckt der besondere Name, mit dem Gott sich seinem Volk vorgestellt hat: Jahwe. Aus Chananja wird nun Schadrach. Das heißt so viel wie „Ich bin sehr in Ehrfurcht versetzt“, also vor den Götzen. Oder es kann auch bedeuten „Befehl Akkus“. Akku war ein Gott in Babylonien, der mit dem Mondgott zusammenhing und etwas mit Licht zu tun hatte. Schadrach kann also heißen: „Ich bin sehr in Ehrfurcht versetzt“ oder „Befehl Akkus“.
Dann Mischael. Mischael heißt auf Deutsch „Wer ist wie Gott?“ Dieser Mann hieß „Wer ist wie Gott?“ und aus Mischael wird nun Mäschach. Das bedeutet „Wer gehört Akku?“
Und schließlich Azarja. Azarja bedeutet „Gott ist der Helfer“. Wieder steckt Jahwe darin, im Sinne von „Gott ist mein Helfer“. Aus Azarja wird Abednego, was man am besten mit „Knecht des Nebo“ übersetzt. Nebo war der besondere Gott der Gelehrten und Priester.
Gott ist mein Richter, Beelchaza schützt sein Leben, Gott ist gnädig, ich bin sehr in Ehrfurcht vor den Götzen versetzt, Mischael heißt „Wer ist wie Gott?“, Mäschach „Wer gehört Akku?“, Gott ist mein Helfer, Knecht des Nebo. Das hat Methode. Bei allen vier jungen Männern soll der Name des wahren Gottes verschwinden und durch den Namen eines babylonischen Götzen ersetzt werden.
So will man sie vereinnahmen, sie in diese neue babylonische Identität hineindrücken. Und das alles mit dem einen großen Ziel, das in Vers 5 steht: Sie sollen vor dem König dienen, und zwar ungeteilt, mit ungebrochener Loyalität, ohne jegliche Kritik und Prüfung. Babylon will unseren Dienst, Babylon will unsere Hingabe, Babylon will unser Herz, Babylon will unser Denken.
Das Symbol Babylon und die Herausforderung der Treue
Und diese totalitäre Anmaßung Babels – wir werden das noch sehen – beginnt schon im ersten Buch der Bibel. In 1. Mose 11 geht es um den Turmbau zu Babel, die Anmaßung des menschlichen Hochmuts.
Diese totalitäre Anmaßung Babels zieht sich bis ins letzte Buch der Bibel hinein, in die Offenbarung 17 und 18. Dort wird das System einer antichristlichen Weltherrschaft unter dem Namen Babel beschrieben. Babel will unser Leben beherrschen.
Eine bange Frage des Lesers lautet an dieser Stelle zum Schluss: Wie werden die vier jungen Männer in dieser Herausforderung bestehen können? Wie werden sie reagieren?
Verschleppt, verbildet, versorgt, vereinnahmt – scheinbar schutzlos sind Daniel und seine Freunde diesem Zugriff Babylons ausgeliefert. Man könnte sagen, es gäbe kaum schlechtere Voraussetzungen, um im Glauben an den Gott Israels treu zu bleiben, als die, die diese Männer haben.
In 14 Tagen werden wir sehen, wie sie auf diese Versuchung reagieren. Am kommenden Sonntag findet unser evangelistischer Gottesdienst statt. Dort predige ich über Johannes 6, die Speisung der Fünftausend.
In zwei Wochen machen wir dann mit Daniel weiter und werden besprechen, was sie jetzt tun und wie sie sich verhalten werden.
Gottes Souveränität trotz menschlicher Macht
Und doch darf ich Sie auch heute nicht nach Hause gehen lassen, ohne Sie noch auf den Lichtblick hinzuweisen, der bereits in diesen ersten Versen zu finden ist. Dieser Lichtblick steckt genau gesagt in Vers 2. Schauen Sie noch ein letztes Mal hin: Dort heißt es: „Und der Herr gab in seine, nämlich Nebukadnezars Hand, Joachim, den König von Juda.“
„Und der Herr gab“ – was hier geschieht, ist kein Unfall. Es ist nicht die Verselbständigung menschlicher Machtsysteme. Es steht immer noch unter der Kontrolle des lebendigen Gottes.
Verstehen Sie: So stark Nebukadnezar auch scheinen mag, er ist doch nur ein Werkzeug in der Hand Gottes. Natürlich ist Nebukadnezar voll verantwortlich für seine Taten und Planungen. Aber wenn Gott diesen Prozess in der Hand hat, dann wird er auch dafür sorgen, dass die, die ihm treu sind – wie Daniel – mitten im Chaos bewahrt und gesegnet werden. Das werden wir auch noch sehen.
Die Sache läuft Gott nicht aus dem Ruder. Das ist ganz entscheidend. Was Israel hier durchmacht, ist eine göttliche Erziehungsmaßnahme, wenn Sie so wollen. Es ist eine schmerzliche Heilbehandlung, die lange vorher angekündigt wurde.
Hans Dannenbaum, ein Freund von Wilhelm Busch, dem Jugendpfarrer, hat das in seiner unnachahmlichen Weise einmal so formuliert: Er sagte, Gott versucht es immer zunächst auf seine sanfteste Weise. Aber wenn ein Volk auf Abwege gerät, geht es irgendwann weiter. Auch mit Israel ist Gott zunächst freundlich umgegangen, aber dann greift er wie ein Operateur zum Messer und schneidet das Geschwür auf – und das tut weh.
So ist auch zur Zeit Daniels das Volk Israel wieder einmal unter das Skalpell des göttlichen Operateurs gekommen. Sein Messer ist in diesem Fall Babel. Gott, der Herr, ließ es zu, dass Nebukadnezar über Joachim siegte. Er ordnete dies an. Gott hatte diesen Mann für diesen Augenblick parat. Die Operationsmesser spazieren nicht von selbst auf den Operationstisch. Nebukadnezar marschiert nicht von alleine. Er ist das Objekt in der Hand des himmlischen Chirurgen, der mit dem Messer schneiden muss.
Soweit Hans Dannenbaum. Ich denke, hier ist sehr gut eingefangen, was mit dem Satz „Und der Herr gab“ gemeint ist: Gott macht das. Die Sache läuft Gott nicht aus dem Ruder. Nebukadnezars Macht ist nur geduldet und nur auf Zeit verliehen.
Und das will ich Ihnen zum Schluss sagen.
Prophetische Ankündigungen und die Dauer der babylonischen Herrschaft
So hat es bereits ein älterer Prophet etwa zwei Jahre zuvor angekündigt: Habakuk. Das war kurz nach dem Amtsantritt Joachims, wahrscheinlich um das Jahr 607. Habakuk sagte, dass Gott die Babylonier schicken werde.
Habakuk hatte Gott gefragt: Wie kannst du das zulassen? Diese Gottlosigkeit in deinem Volk, wie kannst du es zulassen, dass die Leute sündigen, was das Zeug hält, und nichts passiert? Gott antwortete ihm: Habakuk, sei ruhig und warte, ich werde etwas tun.
Dann sagte Gott in Habakuk 1,5: „Ich will etwas tun zu euren Zeiten, was ihr nicht glauben werdet. Ich werde die Chaldäer erwecken, ein grimmiges und schnelles Volk, das hinziehen wird.“ Die Chaldäer sind ein anderer Name für die Babylonier. Sie werden sich über die Erde ausbreiten, und alle Festungen werden ihnen ein Scherz sein. Sie werden sie einnehmen, und dann brausen sie dahin wie ein Sturm und jagen weiter.
Das hat Gott etwa zwei Jahre vorher durch Habakuk angekündigt: Sie werden kommen, und genau so ist es geschehen.
Aber Gott hatte auch noch etwas anderes angekündigt, nämlich in Jeremia 25. Dort sagte Gott, dass das Handeln Babylons eine Grenze haben würde; es würde nicht länger dauern als siebzig Jahre.
Das können Sie noch einmal nachlesen: Jeremia 25. Der Herr hat immer wieder seine Knechte zu euch gesandt, aber ihr habt nie hören wollen. Ihr habt euch nicht zu mir gekehrt. Siehe, so will ich nun alle Völker des Nordens kommen lassen, spricht der Herr, und meinen Knecht Nebukadnezar, den König von Babel. Ich werde sie über dieses Land und alle umliegenden Völker bringen, sodass das ganze Land wüst und zerstört liegen soll. Diese ganzen Völker im Umfeld, einschließlich Israels, sollen dem König von Babel dienen.
Siebzig Jahre, das ist die Grenze.
Wir sehen noch einmal, was zu Daniels Zeiten passiert: Alles steht völlig unter der Kontrolle des lebendigen Gottes. Er wird dafür sorgen, dass seine Kinder und seine Daniels die Nebukadnezars dieser Welt überwinden.
Darum schließt auch dieses erste Kapitel mit einem großen Ausblick. Darauf kommen wir noch einmal zurück, aber ich möchte jetzt schon darauf hinweisen: In Vers 21 heißt es: „Und Daniel blieb im Dienst bis ins erste Jahr des Königs Kyros.“
Dieser Bericht beginnt im Jahr 605, als Israel von Babylonien eingenommen wird, und endet mit diesem Vers 21 des ersten Kapitels. Daniel blieb im Dienst bis ins erste Jahr des Königs Kyros, das ist das Jahr 539. Zu diesem Zeitpunkt ist Nebukadnezar längst gestorben, und die Perser übernehmen die Weltherrschaft von den Babyloniern. Daniel lebt immer noch.
Wir würden sagen, er hat sie alle ausgesessen. Aber er hat sie nicht ausgesessen – er hat sie ausgebetet. Er hat die Zeit aktiv genutzt, um im Sinne Gottes zu handeln.
Darauf will uns dieses erste Kapitel hinweisen: Seht, wie groß die Spanne ist – von 605 in Vers 1 bis 539 in Vers 21. Dieses große Reich der Babylonier entsteht und vergeht, und dann kommen die Perser und lösen es ab. Aber Daniel, Daniel ist immer noch da. Daniel blieb, denn Gott sitzt im Regiment und führt alles wohl.
Das ist der große Trost für unsere Situation. Das ist der große Trost für alle, die dem Gott Daniels angehören, für alle, die sagen können: Gott ist mein Richter, er ist derjenige, der mir Recht verschafft. Gott ist unsere Stärke.
Sehen Sie, dass Gott das auflöst – das geschieht nicht immer sofort, es kann Jahrzehnte dauern. Aber auch während dieser siebzig Jahre bleibt Daniel immer unter Gottes Schutz. Das werden wir in den nächsten Monaten sehen.
Auch in diesen siebzig schweren Jahren bleibt Daniel immer in Gottes Nähe. So haben es viele Christen seitdem erlebt.
Zeugnis aus der NS-Zeit: Gottes Schutz in dunklen Zeiten
Und deswegen möchte ich zum Schluss Ihnen diese Begebenheit erzählen, von der Willem Busch berichtet hat. Er wurde zusammen mit vielen Freunden und Kollegen während der Nazizeit verfolgt, weil sie sich treu in der Öffentlichkeit zum Evangelium bekannt haben und allen möglichen Predigtverboten getrotzt haben.
Auch sie hatten so einen Nebukadnezar gegen sich, der eine totalitäre Bestimmung des Denkens aller erzwingen wollte. Manchmal wurden sie ins Gefängnis geworfen, auch Wilhelm Busch und sein Bruder Johannes.
So erzählte Willem Busch einmal: Mein Bruder Johannes war wieder verhaftet worden und in Bochum ins Gefängnis gekommen. Als ich ihn abholte, erzählte er mir, dass ihn zwei Tage lang eine abgrundtiefe Verzweiflung und Angst gepackt hätten. Doch dann hätte Gott ihm das Ohr geöffnet und zu ihm gesprochen. Er hätte Christus als seinen Retter und Heiland so deutlich erfahren.
Dann berichtete er folgendes Erlebnis: Neben dem Polizeipräsidium führte eine kleine Treppe mit drei Stufen auf die Straße hinaus. Es war eine Marmor- oder Kunststeintreppe und ziemlich glatt. Mein Bruder war abends verhaftet worden. Wenn so ein bekannter Pfarrer in den Knast kam, gab es immer große Aufregung. Das stand sofort in den ausländischen Zeitungen in der Schweiz, in Dänemark und in Holland.
So entstand bei den Beamten dort eine ziemliche Aufregung und Diskussion über die Frage, ob es richtig sei, diesen Pfarrer Johannes Busch einzusperren oder nicht. Einer von ihnen schrie: „Es ist richtig, dem Pfaffen gehört das Maul gestopft.“
Dieser Mann verließ an jenem Abend das Präsidium. Irgendjemand hatte eine Bananenschale auf diese drei Stufen geworfen. Der Mann rutschte auf den Stufen so unglücklich aus, dass er mit dem Kopf hinten aufschlug und sofort tot war.
Willem Busch sagt: Können Sie sich diese Situation vorstellen? Da wurde ein Pfarrer eingeliefert, den man als Zeugen Jesu Christi kennt, und ein SS-Mann schreit, es sei richtig, ihn einzusperren. Eine halbe Stunde später liegt dieser Mann tot auf der Treppe.
Natürlich können Sie sagen, das war Zufall. Klar, das könnte ich Ihnen nicht widerlegen. Aber das weiß ich: Die Gestapo-Beamten glaubten nicht mehr an Zufall. Mein Bruder sagte, da fing die Seelsorge an. Einer nach dem anderen dieser Beamten kam völlig aufgelöst zu mir und fragte: „Sagen Sie, gibt es einen Gott, der töten kann?“
Tja, und das ist noch ein Kinderspiel, sagte ich, auf der Treppe ausrutschen und tot sein. Aber was kommt dann? antwortete mein Bruder.
„Ja, ja, wie sollen wir denn errettet werden?“ fragte einer von ihnen. Mein Bruder sagte, die paar Tage in diesem Gefängnis waren eine Evangelisation, wie er in seinem ganzen Leben noch keine erlebt hatte.
Gott behält die Kontrolle, und all die Machthaber, die Großen und die Kleinen, sie dürfen nur so weit gehen, wie er es zulässt. Sie sind auch in seiner Hand. Sie sind verantwortlich für ihre bösen Taten, aber sie dürfen nicht weiter, als Gott es zulässt – auch Daniel.
Er hat diese Nähe des lebendigen Gottes erfahren, dort im Zentrum der babylonischen Herrschaft. Die Nehemias beziehungsweise die Nebukadnezars dieser Welt können zupacken, sie können zupacken. Aber der lebendige Gott spricht das letzte Wort, und daran wird niemand etwas ändern können.
Wohl dem, der durch Jesus Christus zu diesem lebendigen Gott gehört. Amen.