Einführung in die Filmhandlung und zentrale Problematik
Viele werden den Film nicht gesehen haben. Er gehört zu den spannendsten und innerlich aufregendsten Filmen, die es in letzter Zeit gegeben hat.
Money muss hunderttausend Mark transportieren. Er soll das Geld irgendwo abholen und zu einem verabredeten Zeitpunkt übergeben. Dabei geht es um Schiebergeschäfte in Berlin. Money fährt mit den hunderttausend Mark in einer Plastiktüte in der Berliner S-Bahn – ohne Fahrkarte.
Als Kontrolleure einsteigen, wird er etwas nervös. Bei einer Station steigt er aus. Draußen, als der Zug abfährt, bemerkt er, dass er die Tüte mit dem Geld stehen gelassen hat. Der Grund, warum er das vergessen hat, ist ein Penner, um den er sich gekümmert hatte. Der sieht die Tüte, macht sie auf, entdeckt die hunderttausend Mark und macht sich damit davon.
Money gerät in Panik. An einer Telefonzelle ruft er seine Freundin Lola an und erzählt ihr die Geschichte. Er hat nur zwanzig Minuten Zeit bis zur Übergabe. Er weiß, es gibt keine Ausflucht, keine Erklärung, und niemand wird ihm glauben, wie das Geld verschwunden ist. Das kostet ihn sein Leben. Er braucht innerhalb von zwanzig Minuten hunderttausend Mark, sonst ist er verloren.
Er steht an der Telefonzelle gegenüber von dem Supermarkt, den wir gesehen haben. Sein einziger Gedanke ist: „Ich nehme die Knarre, gehe rein, raube den Laden aus und beschaffe mir das Geld.“ Lola beschwört ihn, das nicht zu tun. Sie bittet ihn, zwanzig Minuten zu warten und ihr diese Zeit zu geben.
Dann beginnt die Geschichte. Lola rennt los.
Die Struktur des Films und die Bedeutung der Zeit
Nun ist das Spannende an diesem Film, dass die gleichen zwanzig Minuten dreimal gezeigt werden – dreimal!
Sie rennt los. Beim ersten Mal ist ihr Vater Banker. Sie ist ausgestiegen, geht nach Hause und versucht, ihren Vater zu überreden. Das gelingt alles nicht. Die Szenen hin und zurück werden gezeigt. Sie kommt zurück, und wir haben diese Szene im ersten Teil gesehen. Sie versucht, ihn im letzten Augenblick zu erreichen, kommt aber zu spät, und er macht den Überfall.
Sie geht dann mit dem erbeuteten Geld aus dem Supermarkt raus, die Straße runter. Die Straßen sind von der Polizei abgeriegelt, die Polizei schießt, und Lola wird erschossen. In dem Augenblick blendet der ganze Film um. Man sieht noch einmal den Augenblick mit dem Telefon aus der Zelle, und die gleiche Geschichte beginnt zwanzig Minuten vor zwölf noch einmal.
Sie geht wieder zu ihrem Vater, diesmal mit nur ganz leichten Veränderungen. Nun bittet sie nicht mehr, sondern geht mit Gewalt vor. Sie holt sich selbst die Knarre, hält sie ihm an den Kopf, und er muss aus seiner Bank hunderttausend Mark rausrücken. Sie hat die hunderttausend Mark und rennt los.
Die Ereignisse dazwischen verschieben sich alle um kleine Nuancen. Die zwanzig Minuten gehen weiter, aber sonst passiert alles wie zuvor. Alle Figuren kommen wieder vor, einige geraten in Schwierigkeiten. Bei diesen sieht man dann blitzschnell, wie Lebensszenen aus ihrem Inneren vorbeirattern, die im Film gezeigt werden.
Sie kommt an, Manni steht vor dem Supermarkt. Er sieht sie kommen, läuft auf sie zu, gerät unter ein Auto, wird überfahren und ist tot. Die Sache dreht wieder zurück. Noch einmal die zwanzig Minuten: Das Geld beim Vater ist nicht zu bekommen. Sie ist unterwegs und sieht plötzlich ein Casino.
Sie geht ins Casino und hat mit sensationellem Glück die Möglichkeit, hunderttausend Mark zu gewinnen. Sie gewinnt die hunderttausend Mark und macht sich auf den Weg. Inzwischen ist Manni auf seinem Weg ganz zufällig dem Penner begegnet, der auf dem Fahrrad durch die Stadt fährt. Er erkennt ihn wieder, rennt wie verrückt hinterher, holt ihn ein, stellt ihn, nimmt ihm die Tüte mit den hunderttausend Mark ab, geht an den Treffpunkt zum vereinbarten Zeitpunkt und gibt die hunderttausend Mark ab.
Er steht an der Stelle, kommt dann dazu, und sie treffen sich. Es ist, als ob nichts gewesen wäre. Zweimal hunderttausend Mark gehabt, sie gehen, und der Film endet offen. Man hat den Eindruck, die Beziehung läuft ins Leere.
Die Zeit als raubendes Raubtier und die Frage nach der richtigen Entscheidung
Am Anfang dieses Films sieht man unter anderem eine Uhr, die das Bild eines Raubtieres zeigt. Das Tier reißt den Rachen auf und frisst die rasende Zeit – das Leben.
Die Deutung bleibt offen: Kann man das Leben neu leben? Bedeutet es nur, dass man denkt: Hätte ich das anders gemacht, wäre es anders ausgegangen? Ja, aber welche Möglichkeit ist die richtige? Bei der einen stirbt sie, bei der anderen stirbt er. Bei der dritten ist am Ende die Beziehung bedeutungslos.
Was ist eigentlich die richtige Lösung? Und was würde ich tun, wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte? Habe ich diese Möglichkeiten?
Die Zeit arbeitet radikal gegen uns. Was soll ich tun? Ich muss mich entscheiden, weil die Zeit mich zwingt. Niemand hat die Möglichkeit, die Entscheidung zu verweigern. Denn auch wenn ich nichts tue, habe ich mich entschieden – eben nichts zu tun. Und das ist unwiderruflich.
Einfach weil die Zeit weitergeht und mich zwingt, gibt es keine Verweigerung der Entscheidungen. Ich muss leben – so oder so. Und wie ich auch immer lebe, entscheide ich mich für eine Möglichkeit. Damit schließe ich viele andere aus und schaffe Fakten, die ich nicht mehr ungeschehen machen kann.
Am Ende frage ich mich: War es das? Hätte ich anders gehandelt, was wäre dann gewesen?
Die Multioptionsgesellschaft und die Herausforderung der Wahl
Beobachter unserer Zeit sagen, dass das Kennzeichen unserer Gegenwart darin besteht, dass wir eine rasant steigende Anzahl von Möglichkeiten zum Handeln, Kaufen und mehr haben. In New York gibt es ein Geschäft namens 2000 Bulbs, in dem man 2000 verschiedene Sorten von Glühbirnen kaufen kann. Das ist doch beeindruckend!
BMW produziert zehn Milliarden verschiedene Kombinationsmöglichkeiten bei der Autoausstattung. Man kann also zwischen zehn Milliarden verschiedenen BMWs wählen, wenn man alle Optionen berücksichtigt. Das ist doch beruhigend, oder? Vor allem für diejenigen, die sich noch keinen BMW leisten können. Das ist eine tröstliche Perspektive.
Typisch für unsere Zeit ist, dass es diese Vielzahl an Möglichkeiten gibt. Das gilt natürlich auch für Lebenskonzepte und Lebensstile. Man nennt das in der soziologischen Fachsprache die Multioptionsgesellschaft – also eine Gesellschaft mit vielen Wahlmöglichkeiten.
Das Problem des Menschen heute lautet: Was wähle ich denn? Wenn ich das eine wähle, verpasse ich vielleicht etwas anderes, das wichtig, richtig oder sogar schöner wäre. Kann ich das Verpasste wieder aufholen oder nicht?
Aus diesem Bedürfnis ist eine ganze Industrie entstanden: die Aufnahmetechnik. Wenn man 32 Fernsehkanäle hat, kann man ja nicht überall gleichzeitig sein. Deshalb gibt es Systeme, mit denen man schnell zwischen den Kanälen hin- und herschalten kann, um möglichst viel mitzubekommen. Trotzdem verpasst man oft etwas.
Deshalb gibt es Videorekorder, mit denen man Sendungen aufzeichnen kann, die man gerade nicht sehen kann. So kann man später alles nachholen. Die ganze Technik baut darauf auf, dass man möglichst überall gleichzeitig sein möchte. Und das ist ein gutes Geschäft.
Wir wollen alles – und zwar jetzt.
Der Soziologe Professor Peter Gross von der Hochschule St. Gallen hat ein Buch mit dem Titel Die Multioptionsgesellschaft geschrieben. Es ist ein kompliziertes, umfangreiches und kluges Werk, in dem er diese Situation beschreibt und erklärt, woher sie kommt.
Er sagt, der Grund, warum wir in Schwierigkeiten geraten, ist eigentlich paradox: Eigentlich ist es ja schön, so viele Wahlmöglichkeiten zu haben. Und in manchen Situationen ist das auch ganz toll. Aber oft wird das gar nicht als so schön empfunden.
Wenn ich so viele Möglichkeiten habe und weiß, ich kann nur eine Entscheidung treffen, mit der der Zug abgefahren ist, dann bekomme ich Angst. Es gibt Panik und Lähmung. Man weiß gar nicht mehr, was man tun soll, weil es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt.
Man hat keine Kraft mehr, überhaupt noch eine Entscheidung zu fällen. Die Zeit frisst das Leben auf und arbeitet gegen uns. Man steht mit dem Rücken zur Wand.
Die Veränderung der Lebensperspektive durch den Verlust der Ewigkeit
Peter Gross beschreibt einen der Gründe, warum dieses Thema in der modernen Zeit zum Problem geworden ist, mit einem interessanten Bild. Er sagt, die Himmelsleiter sei von der Vertikalen in die Horizontale verwandelt worden.
Früher, so erzählt er, glaubten die Menschen an den Himmel, an die Ewigkeit und an das Zukünftige. Sie wussten, dass noch etwas kommen würde. Deshalb genossen sie das, was sie jetzt hatten, und verstanden, dass dies nur ein Teil ist. Sie mussten nicht alles hier auf Erden besitzen oder haben. Stattdessen verfügten sie über eine Ewigkeit voller Reichtum und Vielfalt. Sie hatten alle Zeit der Welt, weil sie eine Ewigkeit besaßen.
Die Moderne hingegen, die ohne Gott auskommt und davon überzeugt ist, dass wir durch Wissenschaft und Technik alles selbst machen und erklären können, hat Gott gewissermaßen gekündigt. Für den modernen Menschen ist Ewigkeit keine Perspektive mehr. Die Weltzeit, die gesamte Zeit der Welt, schrumpft auf die eigene Lebenszeit zusammen. Alles muss in dieser Lebenszeit geschehen.
Es gibt keine Himmelsleiter mehr, wie in der Geschichte vom Traum Jakobs im Alten Testament, in der die Verbindung zur Gotteswirklichkeit im Traum sichtbar wird. Dort steigen Engel auf und ab – diese Verbindung zwischen menschlicher, begrenzter Existenz und der unerschöpflichen Möglichkeit Gottes.
Diese Himmelsleiter, die bildlich von unten nach oben führt, so Peter Gross, wurde in die Horizontale gelegt. Das bedeutet: Ich kann und muss nichts mehr von Gottes Welt und der Ewigkeit erwarten. Stattdessen muss ich alles innerhalb der Zeit meines Lebens erreichen. Dadurch entsteht ein enormer Druck.
Individualismus und die Last der eigenen Entscheidungen
Und jetzt kommt noch etwas dazu: Wir leben in einer Zeit, die vom Individualismus geprägt ist. Das heißt, wir sind zum Glück nicht mehr gezwungen, in Sozialsysteme eingebunden zu sein, in denen beispielsweise die Großeltern entscheiden, wen man heiratet und welchen Beruf man wählt. Solche Sippenoberhäupter gibt es in vielen Teilen der Welt noch heute. Bis vor etwa hundert bis 150 Jahren, je nachdem, welcher Bereich gemeint ist, war das auch in unseren Breiten üblich.
Das bedeutete eine Erleichterung des Lebens. Man musste viele Entscheidungen gar nicht selbst treffen, konnte es aber auch nicht. Diese waren weitgehend vorgegeben von der Familie, in der man lebte, oder von der Region, in der man war. Man hatte ganz bestimmte Lebenswege vor sich, sei es beruflich oder anderweitig.
Wir feiern das natürlich als eine große Befreiung, dass jetzt jeder selbst wählen kann. Ich weiß nicht, ob hier jemand ist, der gerne von jungen Leuten möchte, dass der Ehepartner vom Onkel ausgesucht wird, vom Vater oder vom Opa. Wir sind doch alle immer froh, dass wir uns selbst verlieben können. Die Erfolgsquote ist zwar nicht höher als früher, aber das ist ein anderes Thema, über das ich heute nicht sprechen kann.
Früher haben Ehen gehalten, allerdings aus anderen Gründen – nicht, weil sich die Partner geliebt haben. Es gab viele äußere Stützen. Diese sozialen Bezüge haben mitgeholfen, das Leben zu bewältigen, auch wenn man nicht alles selbst wählen konnte.
Heute ist die Freiheit des Einzelnen radikal entwickelt. Das ist eine große Freiheit und eine Möglichkeit, eine neue Qualität des Lebens zu erfahren. Aber wir sind auch verurteilt dazu. Jeder muss jetzt wirklich seine eigenen Möglichkeiten wählen. Man muss Ja und Nein sagen. Wählen heißt immer, Ja und Nein zu sagen. Und wo ich Nein sage, ist das jetzt richtig? Das ist vorbei, das ist verpasst.
Darauf lastet ein enormer Druck. So fühlt es sich an und so sieht es aus. Für viele fühlt es sich im Moment auch so an, als wäre das ein wahnsinniger Reichtum, ein richtiger Lebensgenuss. Doch das wandelt sich häufig im gleichen Leben. Beim Nachbarn ist es oft schon so weit. Man sieht den Druck, der darauf lastet: Was soll ich denn nun wählen? Und ich muss doch. Und mein Leben…
Je näher der Tod rückt, desto mehr steht man mit dem Rücken zur Wand. Die Konsequenz ist dann: Der Tod ist nicht mehr der Grund für etwas Positives. Er ist nur noch der Spielverderber. Er vernichtet meine Wahlmöglichkeiten.
Interessant ist, dass das eine ganz neue Erkenntnis ist. Theodor W. Adorno hat den Satz gesagt: „Leben heißt Hoffnungen begraben.“ Es ist wie bei einer Wurst, von der immer ein Stück abgeschnitten wird. Man hat so viele Träume gehabt, und dann ist alles weg. Man wird älter und älter und wacht irgendwann nicht einmal mehr auf, um zu sehen, was eigentlich noch alles ist. Dann merkt man, dass es nicht mehr geht. Und man hat nicht einmal mehr die Kraft, innerlich darüber nachzudenken.
Man traut sich gar nicht, weil man verrückt wird angesichts dessen. Da rennt man zur Medizin, die einem verspricht, dass wir im Prinzip 260 Jahre alt werden könnten. Das ist natürlich eine fantastische Vorstellung. Wenn langsam alle Ersatzteile verbraucht sind, gibt es die Möglichkeit, ein lebendiges Ersatzteillager zu züchten. So könnte man einen lebenden Organismus ohne Kopf erschaffen, in dem alle Organe wachsen, die man im Bedarfsfall transplantieren kann.
Das ist alles möglich. Und bisher wurde in der Geschichte alles, was technisch möglich war, auch gemacht. Ich kenne kein Beispiel, bei dem etwas wissenschaftlich-technisch Machbares nicht umgesetzt wurde.
Aufgrund dieses historischen Ablaufs sehe ich keinen Grund zur Hoffnung, dass in Zukunft das, was technisch und wissenschaftlich möglich ist, nicht gemacht wird. Auch wenn heute die Diskussion groß ist und manche Möglichkeiten Schrecken auslösen – ob man sie machen darf oder nicht.
Bisher hat noch kein Verrückter, Verbrecher oder auch jemand mit guten oder schlechten Gründen sich davon abhalten lassen, etwas trotzdem zu tun. Wir dürfen uns also darauf einstellen, dass alles, was möglich ist, auch irgendwo realisiert wird.
Daran führt wohl kein Weg vorbei, ob es uns passt oder nicht.
Die Lebenssituation im Film "Lola rennt" als Spiegel unserer Lebensrealität
So, das ist unsere Möglichkeit. Der Film "Lola rennt" zeigt uns auf eine sehr starke und emotionale Weise plötzlich: Das ist die Situation meines Lebens. Es geht nur um zwanzig Minuten, die lebensentscheidend sind. Diese zwanzig Minuten könnte ich ganz unterschiedlich leben, und es könnten ganz unterschiedliche Ergebnisse daraus entstehen.
Doch was ist jetzt eigentlich die richtige Entscheidung? Oft sind es Kleinigkeiten, aber es sind Weichenstellungen. Und dann ist es gar nicht nur meine Entscheidung. In diesem Film wird das sehr deutlich: Es sind die sogenannten Zufälle.
Plötzlich sieht er das Casino. Er entdeckt den Penner wieder mit der Tüte. Es sind Dinge, die man nicht beeinflussen kann, die plötzlich passieren. Oder es sind Dinge, die andere tun, die ich nicht beeinflussen kann und die meinen Weg und meine Pläne total durchkreuzen und umkrempeln.
Das ist ein wahnsinniger Mix aus Dingen, die ich selbst planen will, aus Möglichkeiten, die ich wähle und bei denen ich schon Schwierigkeiten habe zu entscheiden, welche es denn nun sein soll. Und dann kommen noch die Dinge hinzu, die ich gar nicht beeinflussen kann, die querkommen und die meinen Weg mitprägen.
Wer soll sich da noch zurechtfinden? Wie soll man überhaupt leben? Ist es empfehlenswert, über diese Problematik nachzudenken? Oder ist es nicht besser, tatsächlich zu sagen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Leb den Weg mehr intuitiv. Fang nicht an, über so etwas nachzudenken – du wirst nur verrückt.
Tun das nicht die, die sich von morgens bis abends müde arbeiten und Spaß und Sorgen abrackern, damit sie schlafen können? Und bei denen habe ich immer den dringenden Verdacht, dass der Alkoholkonsum in unserem Land und der Medikamentenkonsum hier seinen Grund hat.
Denn wir können uns eigentlich nicht mehr leisten, über bestimmte Dinge nachzudenken. Du wirst verrückt. Warum soll ich mich mit Dingen auseinandersetzen, die ich doch nicht bewältigen kann? So selbstquälerisch ist doch kaum jemand veranlagt.
Also schaltet man das Denken ab und freut sich, dass es über weite Strecken halbwegs erträglich geht. Und da sollte man zufrieden sein. Jetzt nicht noch wirbeln und dann so Abende machen wie heute Abend, um einem das letzte bisschen Ruhe, das man mühsam verteidigt hat in diesem Trabbelleben, auch noch zu rauben.
Die Rolle der Religion und die Herausforderung der persönlichen Entscheidung
Peter Gross, der Soziologe aus Sankt Gallen, sagt, dass das unwiderruflich vorbei ist. Früher hatten die Menschen den Rahmen der Ewigkeit. Ich weiß gar nicht, wo er selbst steht. Er kommt aus dem Hintergrund der katholischen Kirche, ist aber in seiner Literatur offensichtlich nicht mehr mit dem christlichen Glauben verbunden.
Er deutet das so und sagt, früher hatten die Menschen den Rahmen der Gottesherrschaft, des Reiches Gottes und der Ewigkeit. In diesem Bezugsrahmen konnten sie wirklich Entscheidungen treffen. Sie wussten, was richtig und was falsch war, was wichtig und was weniger wichtig war, was jetzt dran war und was möglicherweise später. Sie wussten, was in diesem Leben galt und was für die Gottes-Ewigkeit bedeutend war. So konnte man ein Leben nach einer Rangliste und nach einer Wertordnung gestalten.
Er sagt, das ist passé, das gibt es heute nicht mehr. Wir müssen irgendwie anders zurechtkommen. Das Buch ist trostlos, denn am Ende gibt es keine wirkliche Lösung. Es gibt keine Möglichkeit, Stopp zu sagen. Die Entwicklung ist einfach ein Selbstläufer.
Ich fand es interessant, dass ein so kluger Denker und Beobachter unserer Zeit die Entwicklung der Geschichte eigentlich als ein unvermeidbares und unbeeinflussbares Naturgeschehen ansieht. Das ist so ein bisschen in unseren Köpfen verankert.
Das hängt damit zusammen, dass das Christentum in unseren Breiten in Europa auf eine unglückselige Weise eingeführt worden ist, und das hat uns bis heute geprägt. Die einzelnen Menschen wurden ja nie gefragt. Die Verhandlungen wurden immer an den Königshöfen geführt. Dort wurden entweder aus tief religiösen Gründen oder aus politischen Erwägungen Entscheidungen über Christentum ja oder nein, katholisch oder evangelisch, getroffen. Dann wurde das einfach von oben verordnet. Die Untertanen wurden nie gefragt, sie wurden immer zwangsbekehrt zu irgendetwas. Das ging immer im Gleichschritt und in Kolonne.
Deshalb hatte man in Deutschland und Europa immer den Eindruck, Christentum und Religion seien irgendwie ein Schicksal, das über uns kommt. Das ist verordnet, vorgegeben, und nicht die Sache meiner persönlichen Entscheidungen oder meiner inneren Wahl, was ich für wichtig oder unwichtig halte.
Das ist über Jahrhunderte in Europa so gegangen. Den ersten Knacks hat es vor etwa 200 Jahren bekommen. Erst seit 1918, als die Trennung von Staat und Kirche auch verfassungsmäßig durchgeführt wurde, setzt sich das auch in den Köpfen durch. Jetzt bricht das alles auf. Die Sozialkontrolle gibt es nicht mehr, die Institutionen – nicht nur die Kirchen, sondern auch die Gewerkschaften und Parteien – haben plötzlich keinen Einfluss mehr auf die Gestaltung des Lebens. Jeder entscheidet für sich selbst.
Im Blick auf Religion und Gottesglauben ist in unseren Köpfen immer nur so: Früher haben sie mal geglaubt, aber heute glaubt ja kein Mensch mehr. Also ist das vorbei. Das ist eine so verkorkste Art und Weise, das Leben zu betrachten.
Die Geschichte und die geschichtlichen Ereignisse sind kein Naturgeschehen. Sie wachsen nicht wie ein Baum, wie der Regen, wie ein Gewitter oder wie ein Erdbeben. Sondern sie geschehen in Begegnungen von Menschen und Menschengruppen. Es werden Entscheidungen getroffen, die verantwortet oder nicht verantwortet werden. Geschichte ist ein komplizierter, komplexer Prozess solcher Entscheidungen und kein Naturschicksal, das über uns kommt, bei dem man nichts machen kann und nur zusehen muss.
Die Entscheidungen des Lebens, auch unsere Lebensorientierung, entstehen aus Begegnungen, die wir haben. Begegnungen bestimmen unser Denken, Fühlen und Handeln. Sie sind Weggabelungen und führen zu Entscheidungen. So erhalten wir die Möglichkeit und die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen.
Wir haben aber insbesondere im Blick auf den christlichen Glauben gelernt, dass man das nicht tut. Es gibt immer noch Leute, die so ein Denken befördern. Ich bin ja evangelischer Pfarrer und sage jetzt mal gefährliche Sachen. Meine freikirchlichen Geschwister mögen mir das verzeihen. Ich praktiziere ja und kann das theologisch halbwegs vertreten, wie das mit der Kindertaufe geht. So machen wir das ja in der Kirche: Wir fragen ja niemanden, sondern nehmen alle einverleibt und versuchen dann zu erklären, warum das so ist. Und irgendwann wachen sie auf. Das ist natürlich unsäglich. Das gab es in der Kirchengeschichte am Anfang nie.
Am Anfang haben bewusste, überzeugte Christen gedacht: Unsere Kinder, die zu uns gehören, wollen wir auch mit unserem Glauben nehmen und haben sie zu diesem Zeichen getauft. Ob man das machen soll oder nicht, da sind die Christen unterschiedlicher Meinung. Ich sage ja, ich habe das auch getan.
Aber was ich völlig unvorstellbar finde, ist, dass Kinder von Menschen getauft werden, die ganz bewusst nicht an Christus glauben und nicht daran denken, ihre Kinder Jesus Christus wichtig zu machen, weil sie ihn überhaupt nicht für wichtig halten. Was das für einen Sinn haben soll, habe ich bis heute nicht begriffen. Das steht in keiner Bibel. Trotzdem prägt das unser Land.
Die allermeisten in diesen Bereichen sind nominelle Mitglieder, die gar nicht gefragt worden sind. Sie sind einfach dabei. Daraus entsteht das Bewusstsein: Religion ist wie Naturschicksal. Da hast du nichts zu entscheiden. Das kommt einfach über dich. Du brauchst dir nicht viele Gedanken zu machen, du wirst da irgendwie eingewickelt und mitgeschwemmt.
Das funktioniert aber nicht in einer Zeit, in der der Einzelne bis aufs Blut herausgefordert ist, seine Lebensentscheidungen zu treffen. Ich finde es ja putzig, dass wir besorgt sind, solche Filme ab zwölf zu zeigen. Zehnjährige Kinder müssen heute Entscheidungen treffen, ob sie Drogen nehmen oder in Großstädten in Gangs oder Diebesbanden mitmachen. Es wird ein unerhörter Druck auf die Einzelnen ausgeübt, immer früher und immer jünger Entscheidungen zu treffen und zu wählen. Dabei geht ihr Leben vor die Hunde.
Das heißt, wir müssen endlich wieder kapieren – ich hoffe, es dauert nicht mehr lange, bis dieses Bewusstsein sich in unserer Gesellschaft in Deutschland verändert –, dass Religion nicht etwas ist, das man angeboren hat oder anerzogen bekommt. Sondern es ist ein Angebot, auf das man antwortet. Das entspricht der biblischen Botschaft.
Das tiefste Wesen der Gottesbeziehung ist, dass Gott den Menschen zu dem Geschöpf macht, das er anredet, zu dem er spricht, das er als ein Du, ein Ebenbild, ein Gegenüber nennt – so heißt es in der Schöpfungsgeschichte der Welt. Und die Würde des Menschen, die unverlierbare Würde, besteht darin, dass er das einzige Wesen auf der Welt ist, das zu Gott Du sagen kann, in eine Ich-Du-Beziehung zu Gott tritt, mit dem ganzen Leben Antwort gibt, mit dem Wort Antwort gibt und mit dem Leben Antwort gibt auf das, was Gott ihm geschenkt hat und was Gott ihm sagt.
Das macht die Lebensbeziehung aus. Und das passiert nicht automatisch. Es ist nicht wie eine Depotspritze, die man irgendwo in den Muskel bekommt und dann wirkt alles automatisch. Es ist nicht wie eine Schluckimpfung, die man irgendwann mal heruntergeschluckt hat und die dann wirkt. Sondern Gott redet uns an und ruft uns zur Antwort.
Das ist der tiefste Kern der Gottesbeziehung und passt mit unserer heutigen Zeitsituation so zusammen wie kaum etwas anderes. Wir müssen endlich aufwachen und begreifen, dass unser Leben nur gelingen kann, wenn wir in den Begegnungen Stellung nehmen, wählen und wirklich bewusst und verantwortlich Entscheidungen treffen.
Nur stellt sich die Frage: Gibt es denn wirklich eine Alternative? Das ist meine Kritik an einer solchen Darstellung eines großen Gelehrten unserer Zeit, der mit großer Sorgfalt unsere Zeit beschrieben hat – die Multioptionsgesellschaft mit all ihren Problemen und Chancen.
Aber es wundert mich sehr, dass aufgeklärte Denker heute diesen ganzen Prozess als naturhaft ansehen und sagen: Ja, früher konnte man mal von der Ewigkeit reden, heute geht das alles gar nicht mehr. Das ist immer eine Frage: Welche Antwort gebe ich auf Gottes Angebot?
Die Bergpredigt als Antwort auf die Lebensfragen
Und jetzt möchte ich Ihnen dieses Angebot genauer beschreiben. Jesus hat einmal eine Art Regierungserklärung abgegeben – wir nennen sie die Bergpredigt. Sie ist eine konzentrierte Zusammenfassung dessen, was Jesus zu sagen hatte. Ähnlich wie eine Regierungserklärung, in der klar dargelegt wird, was getan werden soll, wofür die Regierung steht und wie sie ihre Ziele umsetzen will.
Natürlich wird eine solche Erklärung später daran gemessen, ob die Versprechen eingehalten werden oder nicht. Die Bergpredigt können Sie im Neuen Testament nachlesen, und zwar in Matthäus 5 bis 7. Sie ist sozusagen die Regierungserklärung von Jesus.
Er ist gekommen, um uns Menschen die Beziehung zu Gott neu zu schenken, die wir von Natur aus verloren haben. Das Problem ist, dass die Ich-Du-Beziehung zum Schöpfer der Welt abgerissen ist. Wir leben ohne ihn. Das ist nicht nur eine philosophische Frage, sondern betrifft auch unser tägliches Leben.
Man muss dafür nicht einmal Atheist sein. Atheismus ist nämlich viel zu anstrengend, und Atheisten sind seltener als Waschgold im Rhein – wer leistet sich das schon? Wir sind viel weiter. Atheismus ist sogar noch eine Art, Gott zu ehren. Denn wer Gott leugnet und bekämpft, der ehrt ihn ja auf eine gewisse Weise noch.
Wir sind inzwischen viel weiter gegangen. Wir halten Gott nicht einmal mehr für ein Argument in einer Auseinandersetzung. Wir geben ihm einfach die kalte Schulter. Wir lassen ihn links oder rechts liegen, als hätte er sich selbst überflüssig gemacht.
Wir sind die Chefs. Wir entscheiden, was mit dem Geld passiert, mit der Zeit, mit unserem Körper, mit unseren Beziehungen, mit der Pädagogik und mit der Wirtschaft. Das bestimmen wir selbst. Und dann schauen wir, ob noch etwas übrigbleibt, was wir in der Religion machen können.
Das heißt, wir haben Gott ganz links liegen gelassen – auf eine beleidigende Art und Weise. Wenn Gott existiert, kann das nicht gutgehen. Denn das Leben ist eine Ich-Du-Beziehung.
Es ändert nichts daran, wenn wir über Gott reden, als wäre er ein grünes Männchen vom Mars oder ähnliches. Dann wird er zu einem Gegenstand oder bloß einem Gedanken. Nein, Leben ist Beziehung. Über Gott kann ich eigentlich nur angemessen in der zweiten Person sprechen, indem ich ihn anrede – als Antwort darauf, dass er mich anredet.
Deshalb gibt Jesus uns sieben Sätze und legt sie uns in den Mund. Er sagt: Wenn du diese Sätze zu Gott sagst und damit lebst – und er meint natürlich nicht, sie einfach nur herunterzuleiern –, sondern wenn du sie als Ausdruck deines Lebens sagst, als Antwort auf Gottes Einladung, dann wirst du leben.
Das Vaterunser als Lebensrahmen
Unser Vater im Himmel
Unser Vater im Himmel – dazu ist Jesus gekommen, um uns den Gott zu zeigen, den wir von uns aus nicht kennen. Oft basteln wir uns nur eigene Vorstellungen von Gott zurecht, doch das ist niemals die Wirklichkeit. Wir dürfen ihn kennen – nicht nur, dass er ist, sondern wie er ist, in seiner Liebe.
Niemand soll sich anmaßen, Gottes Bild vom menschlichen Vatersein abzuleiten – und erst recht nicht umgekehrt. Wenn man wissen will, was ein Vater eigentlich sein sollte, muss man sich anschauen, wie Gott sich offenbart hat. Er hat sich in Jesus Christus offenbart, in seiner hingebungsvollen Liebe bis zum Tod am Kreuz. Dort hat er bewiesen: So sehr habe ich dich geliebt, dass ich alle Ehre, alle Macht, alle Herrlichkeit opfere, um für dich da zu sein. Er will dich in der tiefsten Tiefe deiner Existenz abholen und zu sich zurückholen – so sehr.
Indem er uns Jesus geschenkt hat, schenkt er uns alles. Paulus fragte einmal: Wenn Gott uns den einzig geborenen Sohn geschenkt hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? So ist er der Vater.
Jesus sagt: Eure Haare auf dem Haupt sind alle gezählt. Das ist selbst bei Leuten mit einem breiten Scheitel eine ziemlich schwierige Angelegenheit – alle Haare zu zählen. Ich habe es nie für notwendig gehalten, meine Haare zu zählen. Doch dieser Satz ist ein Ausdruck für die fast unvorstellbare Sorgfalt, mit der Gott, der Vater, sich uns zuwendet – durch Jesus.
Wenn ein Mensch sich für Jesus öffnet und sagt: Dir vertraue ich, ich nehme die Vergebung der Schuld an, das Trennende lasse ich mir von dir wegnehmen, ich lasse mich durch dich mit Gott verbinden, dann ist das Ergebnis: Ich habe Gott zum Vater.
Unser Vater im Himmel – der Himmel ist nicht dort, wo die Flugzeuge fliegen. Der Himmel ist ein doppeldeutiger Ausdruck: Zum einen der meteorologische Himmel, wo Wolken und Flugzeuge sind, zum anderen ein Begriff für die unsichtbare Wirklichkeit des ewigen Gottes. Diese Wirklichkeit durchdringt uns in jedem Molekül. Gott wohnt nicht irgendwo fern, wie in Tamsirius, und trotzdem übersteigt er das Universum. In ihm leben, existieren und sind wir. Trotzdem ist er nicht einfach unser Blut oder eine Naturkraft. Er ist nicht Teil seiner Schöpfung, sondern ganz nah und doch unerreichbar überlegen.
Wir können uns das kaum vorstellen. Wir können ihn nur kennen, weil er uns menschlich begegnet in Jesus. Indem wir ihn als den Vater in seiner Liebe durch Jesus kennenlernen, öffnet sich uns die Ewigkeit. Die Wirklichkeit Gottes umfasst den ganzen Reichtum, nicht nur der raumzeitlichen Welt, sondern auch den Reichtum von Gottes unermesslicher Ewigkeit.
Das Universum, das er geschaffen hat, ist für uns noch lange nicht erforscht. Es gibt Tausende von Milchstraßensystemen – ein unglaublicher Reichtum. Und das ist alles nur Schöpfung Gottes. Der Schöpfer selbst ist unermesslich reicher und größer.
Und er will mein Vater sein. Wer kann das begreifen? Das kann sich niemand ausdenken. Das ist jenseits jeder Möglichkeit, es zu verstehen. Ja, so ist es.
Weil es so ist, macht Gott mitten in unserer kleinkarierten Welt ein Koordinatenkreuz und sagt: Hier ist der Mittelpunkt des Orientierungssystems – am Kreuz von Golgatha. Dort erklärt Gott in Jesus seine Liebe und bestätigt sie in der Auferweckung. Jesus ist die Schlüsselfigur, das Orientierungskreuz, der Bezugsrahmen für unsere Welt. Ob uns das passt oder nicht, ob wir es glauben oder nicht – dieses Kreuz von Jesus ist der Maßstab.
So sehr hat Gott die Welt geliebt. So heilig ist Gott. Er ist der Ewige, der Vater im Himmel. Unser Vater im Himmel, sagt Jesus. Er sagt nicht: Bete meinen Vater, sondern: Unser Vater. Gott hat keine Einzelkinder, hat jemand einmal formuliert. Das ist ein netter Satz, und er ist wahr.
Religion mag Privatsache sein. Aber wenn sie eine Verbindung mit Christus bekommen und durch ihn Gott zum Vater haben, dann gehören sie automatisch zur Familie Gottes. Die Lebensgemeinschaft mit Jesus ist immer eine soziale Angelegenheit, immer eine Gemeinschaftssache. Man ist hineingeboren in die Familie Gottes.
Dann wacht man auf und denkt: Heul, merkwürdige Verwandte. Nein, es ist so. Man hat sich diese Familie nicht ausgesucht. Das ist auch bei Christen so. Wenn Sie anfangen zu glauben, denken Sie vielleicht: Meine Güte, was ist das alles? So ein merkwürdiges Volk. Es ist wie in der Familie: Man hat sich die Mitglieder nicht ausgesucht.
Sie sind verbunden, nicht aufgrund von Sympathie oder gemeinsamen Interessen, wie im Tennis- oder Schachclub, sondern weil sie alle ihr Leben diesem Mittler Jesus verdanken. Er hat ihnen die Verbindung zur Quelle des Lebens, zum Vater, geschaffen.
Das Schöne daran ist: Ich bin nicht allein. Ich bin ergänzungsbedürftig, aber auch ergänzungsfähig. Ich kann andere ergänzen. Ich bin nie überfordert. Ich darf mit meinen Begrenztheiten leben. Ich muss nicht alles machen und nicht alles haben. Ich darf mich ergänzen lassen.
Damit ist im Grunde schon das Entscheidende gesagt.
Dein Name werde geheiligt
Er sagt, so darfst du reden und dich Gott zuwenden – wegen Jesus. Im zweiten Satz heißt es: „Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt.“ Das ist ein schwieriger Ausdruck. Heilig sein bedeutet, einzigartig zu sein. So ist nur Gott. Sein Name soll geheiligt werden, das heißt, er soll die Nummer eins sein, ganz oben stehen.
Vor allem bedeutet es, dass Gott uns seinen Namen gibt. Wir sollen ihn anreden. Er gibt uns seinen Namen und bleibt nicht anonym. Er gibt uns seinen Namen – Jesus, Hilfe! Mose offenbarte sich mit dem Namen Yahweh, was bedeutet: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Das heißt, Gott ist treu und zuverlässig.
In Jesus offenbarte er sich erneut. Jesus heißt Jeschua, was ebenfalls „Hilfe“ bedeutet. Er ist Gottes Hilfe in Person. Wer diesen Namen anruft, wird, so heißt es in der Bibel, gerettet werden. Gott gibt uns diesen heiligen Namen. Ihn angemessen zu gebrauchen heißt, ihn zu nutzen, um ihn anzusprechen.
Wenn ich diesen Namen ungenutzt lasse, verachte ich ihn. Dann sage ich, das ist nichts wert, der Name ist Schall und Rauch, nur ein Etikett – was soll ich damit? „Geheiligt werde dein Name“ heißt hier: Ich möchte das genießen. Ich möchte es gebrauchen und leben. Ich bin eingeladen, dich anreden zu dürfen. Mit deinem Namen so vertraut zu sein, scheint maßlos. Kein Mensch könnte das von sich aus sagen: Wer bin ich, dass ich glaube, Gott wäre auf Du und Du mit mir?
Aber er sagte: „Bittet, so wird euch gegeben.“ In seiner Regierungserklärung, der Bergpredigt, fordert er zum Bitten auf. Das ist der einzige Grund, warum ich bete. Sonst würde ich es gar nicht wagen. Für meinen Verstand macht das keinen Sinn. Muss ich Gott über meine Not informieren? Wenn es Gott gibt, weiß er es sowieso besser. Muss ich ihm Vorschläge machen, wie er mir am besten helfen könnte? Wenn er Gott ist, weiß er sowieso, was für mich gut ist.
Warum soll ich also bitten? Ist das nur eine Beruhigung meines Herzens? Nein. Gott sagt: Bitte! Das ist ein Ausdruck meiner Liebe und meines Vertrauens. Ich mache mich mit meiner Not und meiner Ausweglosigkeit an ihn fest und richte alles an ihn.
Dein Reich komme
Der Grund zum Beten ist, dass Gott zu uns spricht und sagt: „Tu es ja! Ich bin nicht ein anonymer Krake im Jenseits. Dein Vater will ich sein, und du darfst mit mir vertrauensvoll sprechen.“
„Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, deine Herrschaft komme.“ Damit bricht der Horizont der Zukunft auf. Er hat die Macht in Händen und das Leben unter Kontrolle. Es ist nicht so, wie es manchmal den Eindruck macht, dass unsere Welt aus den Fugen geraten ist und dass, wer weiß, wer – irgendwelche Narren, Idioten oder Machthaber, die man nicht berechnen kann – das Schicksal dieser Welt bestimmen.
„Dein Reich komme“ ist eine Zukunftsvision, ein klares Ziel. Es bedeutet nicht „schneller, höher, mehr, mehr, mehr“, sondern: Er kommt.
Die Zukunft heißt Jesus Christus, und er wird den neuen Himmel und die neue Erde schaffen. Er wird uns alle zum Gericht und zur Verantwortung vor sein Angesicht rufen. Er wird über unser Leben in Ewigkeit entscheiden.
Er wird die Tränen abwischen und den neuen Himmel schaffen, in dem Gerechtigkeit wohnt, wie die Bibel es sagt.
„Dein Reich komme“ – bete es, sagt Jesus, damit dein Leben hineinkommt in den Sog der Herrschaft Gottes. Er hat das Leben seiner Regierung, die so menschenfreundlich ist, die Regierung der Liebe, nicht der Unterdrückung.
„Dein Reich komme.“
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden
Der vierte Satz lautet: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Das ist der meist missverstandene Satz des Vaterunsers. Manche sagen, das sei ein Schicksalssatz: Da passiert irgendetwas, und man muss sich fügen. Doch das ist ein Kampfsatz. Hören Sie ihn einmal: „Dein Wille soll geschehen, wie im Himmel.“
Wie geschieht denn der Wille Gottes im Himmel? Dort geschieht er in der Gotteswelt ohne jede Einschränkung, ohne Abstriche. Und ich bete darum, dass Gottes Wille genauso, wie er in Gottes Welt geschieht, auch auf dieser Erde geschieht. Das ist wirklich der Kampf nach vorne. Herr, das ist meine Orientierung. Muss ich das noch haben? Kann ich das noch haben? Verpasse ich das Leben, wenn ich das nicht habe? Ist das unbedingt notwendig? Was sagt man? Was erwartet man? Was ist trendy, was ist in, was ist out? Herr, was willst du?
Himmel und Erde werden vergehen, sagt Jesus, aber seine Worte werden nicht vergehen. Wer die Spur der Ewigkeit, der Zukunft haben will, nimmt den roten Faden seiner Gebote. Ich sage euch, aus Alten und Jungen: Seid doch nicht so feige! Ich sage das den Christen: Seid doch nicht so feige, so speichelig gegenüber dieser Zeit. Ängstlich drehen sich die Christen nach rechts und links um und geben dem Druck nach, weil die Mehrheit in unserer Zeit moralisch anders handelt.
Ist das denn der Grund, dass wir uns daran orientieren? Es war noch nie so, dass die Mehrheit sich nach Gottes Willen gerichtet hat. Wenn alle die Ehe brechen, wenn alle betrügen, wenn alle das für normal halten, dann wollen wir fragen: Was sagt der Freund des Lebens? Hier ist die Spur in die Zukunft. Lebendige Fische schwimmen gegen den Strom. Jesus sagt: Bete so, „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Das ist meine Orientierung.
Dazu hat er uns die Bibel in die Hand gegeben, wo schwarz auf weiß steht, was er will. Maßstäbe sind nur deshalb hilfreich, weil sie unveränderlich sind – und nur wenn sie unveränderlich sind. Maßstäbe, die ich selbst festlege und nur solange gelten lasse, wie ich nicht in Konflikt mit ihnen komme, die ich dann verrücke, wie es mir passt, kann ich mir gleich schenken.
Das Besondere ist, dass Maßstäbe auch dann gelten, wenn ich mit ihnen in Konflikt komme. Ja, ich bin sehr oft schuldig geworden an den Geboten Gottes. Das ist ein trauriges Kapitel meines Lebens. Es gibt kein Gebot Gottes, das ich nicht vielfach missachtet habe – sehr zum Schaden meines Lebens und leider noch mehr zum Schaden anderer.
Doch jetzt steht man vor der Frage: Mache ich aus meiner Not eine Tugend? Weil ich Mist gebaut habe, sage ich jetzt: Ich konnte nicht anders, so machen es ja alle, so muss man es machen, so macht man es heute? Früher hat man die Ehe gehalten, heute schläft jeder mit jedem quer durch die Betten, je nachdem, wie die Gefühle es machen. Früher galt das Wort, heute ist der Ehrliche der Dumme.
Muss ich mein Versagen und meine Schuld rechtfertigen und theologisch hochstilisieren zur Tugend? Nein! Ich sage: Herr, ich bin schuldig geworden, ich habe Mist gebaut. Ich komme und bitte dich um Vergebung. Dann bringt er mich wieder neu auf den Kurs, neu in die Verbindung mit Gott.
„Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Ach, was für ein wunderbares Gebet! Was für eine Dimension öffnet sich da in einer Multioptionsgesellschaft, in der man weiß, was man essen soll, ob man nicht alles zugleich will und vielleicht doch noch eine Diät dazu? Dieses Vertrauensgebet: Ich will dir glauben, dass du mir gibst, was ich zum Leben heute brauche.
Ich will das Essen, das ich bekomme, aber auch die Gespräche, die ich führen kann, die beruflichen Möglichkeiten, die ich habe oder noch habe, oder auch die soziale Hilfe, die möglich ist. Ich will das alles als eine Gabe von dir nehmen. Du versorgst mich. Das lässt uns verantwortlich und dankbar mit den Dingen umgehen. Es lässt uns zufrieden sein und nicht maßlos und gefräßig, nicht ewig hungrig.
Dann kommt der sechste Satz. Er ist so revolutionär: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ja, das ist das Grundlebensmittel für unser Leben. Vergebung ist das wichtigste Lebensmittel. Wo Menschen zusammenleben, werden sie einander schuldig, verletzen sich, bleiben einander liebeschuldig.
Das wird der Maßstab im Gericht Gottes sein. Nicht nur das Böse, das wir getan haben, sondern viel radikaler: die Liebe, die wir schuldig geblieben sind. „Ich war hungrig, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich war krank und gefangen, und ihr habt mich nicht besucht. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht gekleidet.“
Wenn sie sagen: „Wann haben wir dich je so gesehen?“, dann heißt es: „Was ihr nicht getan habt für die geringsten Brüder und Schwestern, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Der radikale Maßstab der schuldig gebliebenen Liebe – wer ist da ohne Schuld?
„Vergib uns unsere Schuld, damit die Beziehung zu Gott wieder geheilt wird, die Verbindung zur Quelle des Lebens wieder sprudelt.“ Aber nicht nur, damit ich jetzt meine Ruhe habe. Manche meinen, Vergebung sei dazu da, dass sie wieder ruhig schlafen können. Das ist auch eine schöne Nebengabe. Nein! Jesus möchte, dass es Kreise zieht.
Deshalb verbindet er es: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Er möchte, dass mehr passiert als nur die Gemeinschaft der Sympathie-Klicks. Derer, die es eh gut miteinander können, weil sie dieselben Klamotten tragen, die gleiche Musik mögen, die gleichen Vorstellungen vom Leben haben.
Bei den vielen verschiedenen Lebensstilen gibt es ja immer nur kleinere Gruppen, die das Gleiche teilen. Die Kulturen werden fragmentiert, zerreißen und zerbröseln unsere Gesellschaft. Wenn wir als Christen auch nur fromme Cliquen bilden, unterscheiden wir uns nicht von der Mafia. Jesus sagt: „Wenn du nur liebst, die dich lieben, was tust du anderes als die Sünder und Zöllner?“ Das waren die Mafiosi von damals.
Jede Gang hält zusammen nach innen. Aber das Problem dieser Welt ist: Wie kommen wir über die Gräben zu denen, mit denen ich es nicht gut kann, die mir auf die Nerven gehen, die anders denken, die nicht dazugehören? „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ja, auch denen, die mich verletzt haben, die meine Feinde sind.
„Ich kann das doch nicht“, sage ich. Jesus sagt: „Ich habe doch gesagt: Nimm erst mal, bete für dich. Vergib uns unsere Schuld, unser Vater im Himmel.“ Nimm alles, was er dir schenkt. Und dann nimm von dem, was er dir schenkt, eine kleine Prise und teile sie mit anderen aus. Nicht von dir, nicht von dem, was du kannst.
Jesus macht sich keine Illusionen über uns. Er weiß, was wir hinbringen oder nicht hinbringen. Er beschenkt uns und sagt: „So, jetzt hast du eine Möglichkeit, um auszuteilen. Jetzt geh offensiv, lebe offensiv in der Liebe, in der Feindesliebe, in der Versöhnung, in der Fürbitte für andere. Segne sie, tue ihnen Gutes, lass es Kreise ziehen, damit Menschen auf den Geschmack kommen, dass sie einbezogen werden, rausgerissen aus dem Teufelskreis von Hass, Vergeltung, Kälte und Lieblosigkeit und hineingenommen in den Sog der Liebe Gottes.“
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Dann ist der siebte Satz: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Ich sage mal so: Im Kern heißt das eigentlich: Lass mir nichts zur Versuchung werden. Versuchung bedeutet im radikalen Sinn, so redeten die Juden damals von der letzten Versuchung, einer Anfechtung, in der Menschen Gott absagen und von ihm getrennt sind.
Lass nichts dazu führen, dass ich mich von dir trenne oder trennen lasse. Das können sehr schöne Dinge sein, aber auch sehr böse. Es kann Not und angstmachende Bedrückung sein, aber auch eine faszinierende Verführung schöner, ästhetischer Dinge, die mein Herz so sehr füllen, dass ich Gott nicht mehr brauche. Sie trennen mich von ihm, und das ist die eigentliche Lebensbedrohung.
Es mag schwer sein, es mag Spannungen und Schmerzen geben im Leben, aber kaputt sind wir, wenn wir von der Quelle des Lebens getrennt sind. Deshalb diese Schlussbitte, ein Höhepunkt: Lass mich nicht so werden, dass es mich letzten Endes von dir trennt.
Das ist das Gebet, das Jesus uns gibt, um in dieser Welt Halt zu finden, Geborgenheit, ein erfülltes Leben mit Zielstrebigkeit, mit einem Bezugsrahmen der Ewigkeit.
Es gibt ein schönes altes christliches Lied, das wahrscheinlich die wenigsten kennen, und Jüngere schon gar nicht. Ich habe es als Junge gelernt, als ich 14 oder 15 Jahre alt war und Christ wurde. Merkwürdigerweise hat es mich damals sehr beeindruckt.
Da gibt es eine kleine Strophe, die heißt: „Ewigkeit in die Zeit leuchte hell herein, dass mir werde klein das Kleine und das Große groß erscheine.“
Dieses alte Lied habe ich jetzt dauernd im Kopf, wenn ich die moderne Problematik der Multioptionsgesellschaft bedenke und sehe, wie sie uns zerreißt und wie wir ums Überleben kämpfen.
Es gibt kein größeres Geschenk, als im Rahmen der Ewigkeit Gottes leben zu können. Da hast du alle Zeit der Welt. Und dann gehst du gelassen deinen Weg, auch auf der Zielstrecke.
Ich finde, das ist eine Schönheit des Altwerdens. Ich kann ja auch zählen: 58 Jahre jetzt. Und ich empfinde es als Geschenk, alt zu werden, zum Ziel zu kommen, die Tage noch zu haben – wie viele, wie wenige –, zu spüren, wie langsam die Kräfte nachlassen.
Das ist nicht ganz einfach zu sagen: Herr, du hast doch jetzt eine neue Bestimmung für mich. Was ist jetzt dran? „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, dein Reich komme.“ Ewigkeit in die Zeit leuchte heller herein.
Was gibt es für eine Freiheit, für eine Lebensfreude, für eine Konzentration auf die Kleinigkeiten des Lebens! Ich brauche mir nicht vorzukommen, als wäre ich mir zu schade für irgendeine Kleinigkeit. Ich darf mit liebevoller Sorgfalt am Detail arbeiten. Ich brauche es nicht zu übersehen, weil ich weiß: Gott wird es zusammenfügen zu seinem Bild in Ewigkeit.
Dann werden wir seinen Reichtum sehen, und dann wird es Optionen geben, von denen wir uns gar nicht träumen lassen. Ich freue mich darauf, wenn er alle Tränen abwischt. Ich sehne mich danach, dass es eine Welt gibt, in der Gerechtigkeit zu Hause ist.
Ja, ich sehne mich danach. Aber das gibt mir Kraft, jetzt konzentriert zu leben, mit freiem Rücken, weil er mich liebt. Er ist für mich gestorben, so sehr hat er mich geliebt. Die Zukunft ist offen, weil er auferstanden ist und in Herrlichkeit kommen wird. Er wird das letzte Wort der Weltgeschichte sprechen.
Deshalb ist der Schlussrefrain dieses Vaterunsers die Doxologie, der Lob Gottes: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ So ist es. Amen heißt: Es ist gewiss, so ist es.
Ich sage Amen: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Das macht unser Leben groß. Die Grundmelodie unseres Lebens wird das Lob Gottes. Ich muss mich nicht mehr albern und verkrampft selbst loben, mich wichtigtuerisch aufblasen. Hinter jeder Angeberei stehen Angst und Schwäche, dass dieser Luftballon zerplatzen könnte, wenn einer eine brennende Zigarette heranführt.
Das ist die Angst hinter aller Aufgeblasenheit und Wichtigtuerei der Welt. Wo das Lob Gottes die Mitte unseres Lebens ist, da ist der Schöpfer des Universums die zentrale Quelle unserer Existenz, unserer kleinen Existenz. Der ewige Gott will darin wohnen.
Solange wir sein Lob singen und leben, hat unser Leben Format. Wenn ihr anfängt, sein Lob zu singen und zu leben, gewinnt euer Leben Format. Deshalb bitte und lade ich mit Leidenschaft und Nachdruck ein: Verschwende keinen Tag deines Lebens, sondern nimm Kontakt auf.
Gott bietet es an: Die ausgestreckten Hände, die durchbohrten Hände des Gekreuzigten sind Gottes Arme, die er dir entgegenstreckt und sagt: „Komm heim, komm heim, endlich!“
Vielleicht sagst du: Ich bin jetzt sechzig Jahre alt, habe mich bisher nicht darum gekümmert. Soll ich jetzt einen frommen moralischen Krieg führen? Komm heim! Gott hat sich nicht aufgegeben. Er kennt die Dunkelheit in deiner Biografie. Er ist kein Zyniker und kein Menschenverächter geworden.
Du hast dich selbst aufgegeben. Du erwartest nichts mehr. Er erwartet etwas, er hat noch etwas vor mit deinem Leben.
Und junge Leute werden in diesem Land kaputtgemacht – die 14- und 15-Jährigen –, die immer wieder hören, dass es auf sie nicht ankommt. Für sie gibt es keine Lehrstellen und keine Ausbildungsperspektiven. Sie zerbrechen zunehmend an ihrem Selbstwertgefühl.
Man spürt es an der Gewalt, denn Gewalt ist immer die Kehrseite der Hoffnungslosigkeit. Wenn alles schwarz ist, bleibt nur noch die Chance, andere plattzumachen, damit wenigstens einer noch schlechter dran ist als ich.
Wenn du dieses Gefühl hast, Claudia und Jürgen, ich sage es euch: Wenn du in den Spiegel schaust und sagst: „Mich will keiner, bin ich wirklich geliebt?“ – du solltest wissen, dass du Gott kostbar bist. Dann mach Kontakt mit ihm und geh nicht allein durch die Welt.
Lass dich nicht kaputtmachen von deiner Clique. Sie werden dich wegwerfen und liegenlassen wie eine leergefressene Bananenschale. Keiner wird sich um dich kümmern. Die Bravo-Redaktion wird dir nicht in deinem Leben helfen, nachdem sie Geschäfte mit dir gemacht hat, wenn sie dich auf falsche Wege geführt hat.
Glaub das nicht! Und RTL 2 auch nicht! Komm, glaub ihm, dass er dich liebt!
Ich lade euch ein, an diesem Abend noch einmal – wer möchte –, einfach hier vorne zu kommen. Ich biete euch ein Gebet an. Gemeinsam wollen wir ein ganz einfaches Gebet beten und antworten: Herr, ich habe deine Einladung gehört. Ich danke, dass du mich liebst. Ich öffne dir mein Leben.
Dann bekennen wir ihm unsere Sünde. Pack in diesen Satz, was dir bewusst ist: den Bruch, den du gebaut hast, das Alte, was Jahre her ist, was im Gewissen brennt, wo Gras drüber zu wachsen schien. Sag es ihm: „Ich bekenne dir meine Sünde und bitte dich um Vergebung, alles, was mich von dir trennt.“
Dann wollen wir ihm danken, dass er am Kreuz für uns gestorben ist und alles vergeben hat. So sind wir mit ihm verbunden.
Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben
Und dann kommt der sechste Satz, der so revolutionär ist: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.“ Ja, das ist eigentlich das grundlegende Lebensmittel für unser Leben. Vergebung ist das wichtigste Lebensmittel.
Wo Menschen zusammenleben, werden sie einander schuldig, verletzen sich gegenseitig und bleiben einander liebeschuldig. Das wird der Maßstab im Gericht Gottes sein. Nicht nur das, was wir Böses getan haben – das auch –, sondern viel radikaler: die Liebe, die wir schuldig geblieben sind. „Ich war hungrig gewesen, er hat mich nicht gespeist; ich war durstig, er gab mir nicht zu trinken; ich war krank und gefangen, er hat mich nicht besucht; ich war nackt, er hat mich nicht gekleidet.“ Wenn sie sagen: „Wann haben wir dich je so gesehen?“ – „Was ihr nicht den geringsten Brüdern und Schwestern getan habt, das habt ihr mir auch nicht getan.“ Der radikale Maßstab der schuldig gebliebenen Liebe: Wer ist da ohne Schuld?
„Vergib uns unsere Schuld“, damit die Beziehung zu Gott wieder geheilt wird und die Verbindung zur Quelle des Lebens wieder sprudelt. Aber nicht nur, damit ich jetzt meine Ruhe habe. Manche meinen ja, Vergebung der Schuld wäre dazu da, damit ich jetzt wieder ruhig schlafen kann. Das ist auch eine schöne Nebengabe. Nein, Jesus möchte, dass es Kreise zieht. Deshalb verbindet er es und sagt: „Betet es so: Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.“
Er möchte, dass mehr passiert als nur die Gemeinschaft der Sympathie-Klicks – derer, die es eh gut miteinander können, die alle auf derselben Wellenlänge ticken, weil sie dieselben Klamotten tragen, die gleiche Musik mögen und die gleichen Vorstellungen vom Leben haben. Und bei den vielen verschiedenen Lebensstilen gibt es ja immer nur kleinere Gruppen, die das Gleiche miteinander teilen. Die Kulturen werden heute fragmentarisiert, zerrissen und zerbröseln unsere Gesellschaft.
Wenn wir als Christen auch nur fromme Klicken bilden, dann unterscheiden wir uns in keinem Punkt von der Mafia, hat Jesus gesagt. „Wenn du nur liebst, die dich lieben, was tust du anderes als die Sünder und Zöllner?“ Das waren die Mafiosi von damals. Jede Gang macht das so, dass sie nach innen zusammenhält. Aber das Problem dieser Welt ist: Wie kommen wir über die Gräben zu denen, mit denen ich es nicht gut kann, die mir auf den Keks gehen, die anders denken, die nicht dazugehören?
„Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind“ – ja, denen, die mich verletzt haben, die meine Feinde sind. „Ich kann das doch nicht“, sage ich. Jesus sagt: „Ich habe doch gesagt, nimm erst mal, bete doch für dich, vergib uns unsere Schuld, unser Vater im Himmel, nimm alles, was er dir schenkt, und dann nimm von dem, was er dir schenkt, eine kleine Prise und teile sie an andere aus.“
Nichts von dir, nicht das, was du kannst. Jesus macht sich keine Illusionen über uns. Er weiß, was wir hinbringen oder nicht hinbringen. Er beschenkt uns und sagt: „So, jetzt hast du eine Möglichkeit, um auszuteilen.“ Jetzt geh offensiv, lebe offensiv in der Liebe, in der Feindesliebe, in der Versöhnung, in der Fürbitte für andere. Segne sie, tue ihnen Gutes, lass es Kreise ziehen, damit Menschen auf den Geschmack kommen, einbezogen zu werden, rausgerissen zu werden aus dem Teufelskreis von Hass und Vergeltung, Kälte und Lieblosigkeit – und hineingenommen zu werden in den Sog der Liebe Gottes.
„Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.“
Und führe uns nicht in Versuchung
Und dann ist der siebte Satz: „Und führe uns nicht in Versuchung.“
Im Kern bedeutet das eigentlich: Lass mir nichts zur Versuchung werden. Versuchung heißt in einem radikalen Sinne, so redeten die Juden damals, die letzte Anfechtung, in der die Menschen Gott absagen und von ihm getrennt sind.
Lass nichts dazu führen, dass ich mich von dir trenne oder trennen lasse. Das können sehr schöne Dinge sein, aber auch sehr böse. Es kann Not und angstmachende Bedrückung sein, aber es kann genauso eine faszinierende Verführung schöner ästhetischer Dinge sein, die mein Herz so sehr füllen, dass ich Gott nicht mehr brauche.
Diese Dinge trennen mich von ihm, und das ist die eigentliche Lebensbedrohung. Es mag mir schwer sein, es mag Spannungen geben, es mag Schmerzen im Leben geben, aber wir sind kaputt, wenn wir getrennt sind von der Quelle des Lebens.
Deshalb diese Schlussbitte, ein Höhepunkt: Lass mir nicht so werden, dass es mich letzten Endes von dir trennt.
Das ist das Gebet, das Jesus uns gibt, um in dieser Welt Halt zu finden, Geborgenheit zu erfahren und ein erfülltes Leben mit Zielstrebigkeit und einem Bezugsrahmen der Ewigkeit zu führen.
Die Kraft des Glaubens und die Einladung zur Lebensentscheidung
Es gibt ein schönes, altes christliches Lied, das wahrscheinlich die wenigsten kennen – und Jüngere schon gar nicht. Ich habe es als Junge gelernt, als ich ungefähr 14 oder 15 Jahre alt war und Christ wurde. In den Jahren danach hat mich dieses Lied merkwürdigerweise immer mehr beeindruckt.
In dem Lied gibt es eine kleine Strophe, die heißt:
„Ewigkeit in die Zeit leuchte hell herein,
dass mir werde klein das Kleine
und das Große groß erscheine.“
Dieses alte Lied habe ich jetzt dauernd im Kopf, wenn ich über die moderne Problematik der Multioptionsgesellschaft nachdenke und sehe, wie sie uns zerreißt und wie wir ums Überleben kämpfen.
Es gibt kein größeres Geschenk, als im Rahmen der Ewigkeit Gottes leben zu können. Dort hat man alle Zeit der Welt. Und dann geht man in Gelassenheit seinen Weg, auch auf der Zielstrecke.
Ich finde, das ist eine Schönheit des Altwerdens. Ich kann ja auch zählen: 58 Jahre jetzt. Und ich empfinde es als ein Geschenk, alt zu werden, zum Ziel zu kommen, die Tage noch zu haben – wie viele, wie wenige –, zu spüren, wie langsam die Kräfte nachlassen.
Es ist nicht ganz einfach zu sagen: Herr, du hast jetzt eine neue Bestimmung für mich. Was ist jetzt dran? Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, dein Reich komme, Ewigkeit in die Zeit leuchte heller rein.
Was gibt es für eine Freiheit, für eine Lebensfreude, für eine Konzentration auf die Kleinigkeiten des Lebens! Ich brauche mir nicht so vorzukommen, als wäre ich mir zu schade für irgendeine Kleinigkeit. Ich darf mit liebevoller Sorgfalt am Detail arbeiten. Ich brauche es nicht zu übersehen, weil ich weiß: Gott wird es zusammenfügen zu seinem Bild in Ewigkeit.
Dann werden wir seinen Reichtum sehen, und es wird Optionen geben, von denen wir uns gar nicht träumen lassen. Ich freue mich darauf, wenn er alle Tränen abwischt.
Ich sehne mich danach, dass es eine Welt gibt, in der Gerechtigkeit zu Hause ist. Ja, ich sehne mich danach. Aber das gibt mir Kraft, jetzt konzentriert zu leben – in Rückenfreiheit –, weil er mich liebt. Er ist für mich gestorben, so sehr hat er mich geliebt. Die Zukunft ist offen, weil er auferstanden ist und in Herrlichkeit kommen wird. Er wird das letzte Wort der Weltgeschichte sprechen.
Deshalb ist der Schlussrefrain dieses Vaterunsers nämlich die Doxologie, der Lob Gottes: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ So ist es! Amen heißt: Es ist gewiss, so ist es.
Und ich sage Amen: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Das macht unser Leben groß. Die Grundmelodie unseres Lebens wird das Lob Gottes.
Ich muss mich nicht mehr auf alberne, verkrampfte Weise selbst loben, mich wichtigtuerisch aufblasen. Hinter jeder Angeberei stehen Angst und Schwäche – die Angst, dass dieser Luftballon zerplatzen könnte, wenn jemand eine brennende Zigarette heranhält und er flau liegt.
Das ist die Angst hinter aller Aufblasenheit und Wichtigtuerei der Welt. Dort, wo das Lob Gottes die Mitte unseres Lebens ist, ist der Schöpfer des Universums die zentrale Quelle unserer Existenz – unserer kleinen Existenz. Der ewige Gott will darin wohnen.
Solange wir sein Lob singen und leben, hat unser Leben Format. Wenn ihr anfängt, sein Lob zu singen und zu leben, gewinnt auch euer Leben Format.
Deshalb bitte und lade ich mit Leidenschaft und Nachdruck ein, keinen Tag eures Lebens zu verschwenden, sondern Kontakt zu machen. Er bietet ihn an: die ausgestreckten Hände, die durchbohrten Hände des Gekreuzigten sind Gottes Arme, die er euch entgegenstreckt und sagt: „Komm heim, komm heim, endlich!“
Ihr sagt vielleicht: Ich bin jetzt sechzig Jahre alt, habe mich bisher nicht darum gekümmert. Soll ich jetzt einen frommen moralischen Kriegen? Komm heim! Gott hat sich nicht aufgegeben. Er kennt die Dunkelheit in eurer Biografie. Er ist nicht zum Zyniker und Menschenverächter geworden.
Ihr habt euch selbst aufgegeben schon. Ihr erwartet nichts mehr. Er erwartet etwas. Er hat noch etwas vor mit eurem Leben.
Und junge Leute werden in diesem Land kaputtgemacht – die 14- und 15-Jährigen, die immer wieder deutlich gemacht bekommen, dass es auf sie nicht ankommt. Für sie gibt es keine Lehrstellen und keine Ausbildungsperspektiven. Und zunehmend zerbrechen sie an ihrem Selbstwertgefühl.
Man spürt es an der Gewalt, denn Gewalt ist immer die Kehrseite der Hoffnungslosigkeit. Wenn alles schwarz ist, habe ich nur noch eine Chance: andere plattzumachen, damit wenigstens einer noch schlechter dran ist als ich.
Wenn du dieses Gefühl hast, Claudia und Jürgen, ich sage es euch: Wenn du in den Spiegel schaust und sagst: „Mich will keiner, bin ich wirklich geliebt?“, dann solltest du wissen, dass du Gott kostbar bist. Mach Kontakt mit ihm und laufe nicht alleine durch die Welt.
Lass dich nicht kaputtmachen von deiner Clique. Sie werden dich wegschmeißen und liegenlassen wie eine leergefressene Bananenschale. Keiner wird sich um dich kümmern.
Die Bravo-Redaktion wird dir nicht in deinem Leben helfen, nachdem sie Geschäfte mit dir gemacht hat und dich auf falsche Wege geführt hat. Glaub das nicht! Und RTL 2 auch nicht!
Glaub ihm, dass er dich liebt!
Ich lade euch ein, an diesem Abend noch einmal, wer das möchte, einfach hier vorne hinzustellen. Ich biete euch ein Gebet an. Gemeinsam möchte ich mit euch ein ganz einfaches Gebet beten und Antwort geben.
Sagt: Herr, ich habe deine Einladung jetzt gehört. Ich danke, dass du mich liebst. Ich öffne dir mein Leben.
Dann bekennen wir ihm unsere Sünde. Packt in diesen Satz, was euch bewusst ist: den Bruch, den ihr gebaut habt, das Alte, das Jahre her ist, was im Gewissen brennt, wo Gras drüber zu wachsen schien. Sagt: Ich bekenne dir meine Sünde und bitte dich um Vergebung für alles, was mich von dir trennt.
Dann wollen wir ihm danken, dass er am Kreuz für uns gestorben ist und alles vergeben hat. Wir sind mit ihm verbunden.