Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von machbar, dem Podcast für Alltagsmissionare. Ich bin Christian, und heute ist Philipp Bartholomay mit dabei. Schön, dass auch ihr wieder zuhört.
Unser Anliegen ist es, euch Hilfestellungen, Tipps und Anregungen zu geben, damit ihr euren evangelistischen Lebensstil entwickeln könnt. So könnt ihr euren Nächsten einen Schritt näher zu Jesus führen. Heute geht es um das Thema Gemeinde – Gemeinde mit Mission.
Bevor ich euch Philipp etwas näher vorstelle und wir richtig ins Thema einsteigen, habe ich noch eine Bitte an euch. Mit dem Podcast wollen wir möglichst viele Christen erreichen und sie in ihrer Alltagsmission unterstützen. Wenn euch der Podcast gefällt, empfehlt ihn gerne weiter und gebt eine gute Bewertung ab. So können auch eure Freunde und Geschwister aus der Gemeinde den Podcast entdecken.
Lasst uns gemeinsam Alltagsmission leben. Teilt gerne eure Erfahrungen in der Community mit uns. Ihr könnt uns auch schreiben. Für alle, die sich melden und etwas schreiben, gibt es ein frisch gedrucktes Gebetsjournal als kleines Dankeschön. Dazu sage ich am Ende noch mehr, aber das reicht fürs Erste.
Philipp, herzlich willkommen bei machbar!
Danke.
Wenn es um Theologie geht, bringst du eine spannende Mischung aus Theorie und Praxis mit. Du warst lange als Pastor tätig und bist jetzt Professor für praktische Theologie. Dabei beschäftigst du dich damit, wie sich theologische Erkenntnisse ganz konkret im Alltag und in der Gemeindearbeit umsetzen lassen.
Du unterrichtest an der FTH in Gießen, hältst Vorträge und schreibst Bücher. Dein Schwerpunkt liegt auf Gemeindegründung, Gemeindeerneuerung und Multiplikation. Zusammen mit Stephan Schweyer hast du das Buch Gemeinde mit Mission geschrieben.
Ich habe das Buch mitgebracht, für diejenigen, die es noch nicht kennen. Wir werden es euch auf jeden Fall in den Shownotes verlinken, damit ihr wisst, wo es erhältlich ist.
Im Buch geht es auch darum, wie nachchristlich Deutschland ist. Was du mit nachchristlich meinst, klären wir später noch genauer. Über das Buch wollen wir uns heute auch ausführlich unterhalten.
Philipp, stell dir vor, du hättest einen Wunsch frei. Mit einem Fingerschnips würdest du allen Gemeinden im deutschsprachigen Raum etwas dauerhaft verändern können. Was wäre das?
Wir wünschen uns mehr als alles andere für unsere Gemeinden eine wirklich tiefgreifende Evangeliumskultur. Dass wir nicht nur über das Evangelium reden, sondern es auch verkörpern. Dass es unsere Kultur prägt – oder wie ich an anderer Stelle einmal gesagt habe – das Klima in den Gemeinden. Dass wir das leben, was das Evangelium beinhaltet: Güte, Freundlichkeit, Gnade, Freude, Jubel und auch Gottesfurcht. All diese Dinge. Das würde ich mir sehr, sehr wünschen.
Sehr schön. Philipp, das Buch, das du zusammen mit Stefan geschrieben hast, ist jetzt seit etwas über einem Jahr auf dem Markt. Wie würdest du Bilanz ziehen? Wie sind die Reaktionen? Hast du das Gefühl, das Ziel, das du dir mit dem Buch gesteckt hast, erreicht zu haben?
Also, wir sind, glaube ich, selbst überrascht, wie viel Resonanz es gefunden hat. Natürlich hat man immer gewisse Hoffnungen, aber der theologische Buchmarkt ist nicht unproblematisch. Viele lesen gar nicht mehr so viel.
Unser Ziel war ja, dieses Buch in die Hände von Gemeindeleitungskreisen zu bekommen. Also nicht nur Einzelpersonen oder Pastoren, die es lesen und sich ein bisschen inspirieren lassen, sondern wirklich als eine Art Arbeitsbuch für Älteste und Leitungskreise. Die sich damit den dringlich wichtigen Fragen der Gemeindeerneuerung und des missionalen Gemeindeaufbaus stellen.
Da überrascht uns die Resonanz sehr freudig. Wir hören inzwischen immer wieder, dass Leitungskreise angefangen haben, mit diesem Buch zu arbeiten. Sie nehmen sich in ihren Sitzungen Zeit, um Kapitel für Kapitel diese Themen durchzugehen.
Insofern sind wir sehr, sehr dankbar, dass jetzt in diesen Tagen schon die dritte Auflage erscheint. Das ist sehr, sehr ermutigend und hätten wir so gar nicht erwartet.
Sehr schön!
In dem Buch schreibst du, dass unsere Gesellschaft nicht nachchristlich ist, wie es oft gesagt wird, sondern eigentlich nachchristentümlich. Was hat es mit diesem Begriff auf sich, und welche Konsequenzen hat das für den Umgang mit dem Thema Evangelisation?
Ich glaube, die Unterscheidung „nachchristlich“ und „nachchristentümlich“ klingt ein wenig nach Theologen, die versuchen, die Dinge ganz messerscharf zu trennen. Was wir damit ausdrücken wollen, ist, dass wir nicht glauben, dass „nachchristlich“ unsere Gesellschaft vollständig beschreibt. Denn es gibt immer noch christliche Elemente und Prägungen.
Deshalb verwenden wir den Begriff „nachchristentümlich“. Damit wollen wir sagen, dass die Zeit, in der das Christentum die große Nummer war – also die umfassende Weltanschauung, die den Alltag, das Bildungssystem, die Politik und sogar die Wirtschaft prägte – so nicht mehr existiert. Das Christentum ist bestenfalls noch eine Randerscheinung.
Auch wenn man auf den zweiten Blick noch christentümliche Spuren feststellt, wie etwa die Kirchensteuer oder den staatlich verordneten Religionsunterricht, sind das Nachwehen, Überbleibsel eines christentümlichen Zeitalters. Im Grunde leben wir heute in einer säkularen Kultur, in der das Christentum für die großen gesellschaftlichen Vollzüge keine Rolle mehr spielt.
Das ist bedeutsam für die Art und Weise, wie wir Gemeinden gestalten – besonders für uns Freikirchen. Das ist sozusagen der Kontext, aus dem ich komme und für den wir auch schreiben.
Was würdest du sagen, kann man in wenigen Sätzen darstellen, worin die Abkehr begründet liegt?
Du meinst, wie es zu einem säkularen Zeitalter gekommen ist?
Genau, weil du sagst, das Christentum war früher viel stärker vertreten, besonders in Europa und Deutschland. Wie kam es dazu, dass wir heute dort sind, wo wir sind?
Also, damit provozierst du jetzt einen sehr langen Exkurs, den du, glaube ich, gar nicht willst. Deshalb versuche ich es kurz zusammenzufassen.
Charles Taylor ist ein großer kanadischer Sozialphilosoph und Kulturanalyst. Er hat diese Frage in seinem berühmten Werk „Das säkulare Zeitalter“ auf etwa 1300 Seiten behandelt.
Kurzgefasst würde er sagen: Alles beginnt – und das ist eine spannende Feststellung – mit der Reformation.
Vorher gab es einen monolithischen katholischen Block, also nur eine Glaubensoption. Vielleicht gab es hier und da ein paar wenige andersgläubige Menschen, aber bis ins 16. Jahrhundert hinein war das die vorherrschende Situation.
Dann kam Luther mit der Reformation, und plötzlich gab es eine zweite Option. Man kann sagen, die Büchse der Pandora wurde geöffnet. Es folgten die Reformierten, Calvin und andere, und damit eine dritte Option. Danach kam das Täufertum, der linke Flügel der Reformation.
Im Laufe der Geschichte spalteten sich die Freikirchen immer weiter ab. Heute leben wir, so sagt Taylor, in einer explodierenden Supernova – ein astronomischer Begriff, der hier bedeutet, dass etwas explodiert.
Wir haben heute tausende Glaubensoptionen. Mit der Globalisierung kommen noch mehr dazu. Über Medien und das Internet erfahren wir von allen möglichen Glaubensrichtungen weltweit. Schon Jahrzehnte zuvor lebten Muslime, Buddhisten, Hinduisten und andere in unserer Nachbarschaft.
Dadurch wird unser Glaube, so sagt Taylor, fragiler. Denn ich muss mich ständig damit auseinandersetzen, dass es noch viele andere Optionen gibt. Dieser Prozess beschleunigt sich und gesellschaftlich lässt er sich nicht mehr einfangen.
Das ist die große Linie. Dazu kommen Aspekte wie die Aufklärung, die manche Glaubensinhalte problematisch oder unglaubwürdig erscheinen lassen. Auch der technische Fortschritt spielt eine Rolle: Früher war man auf Gott angewiesen, etwa in der Landwirtschaft, wenn das Wetter stimmte.
Heute gibt es Dünger, technische Hilfsmittel und medizinische Behandlungsmöglichkeiten. Der Mensch ist nicht mehr so verletzlich, sagt Taylor, weil es Antworten auf viele große Lebensfragen gibt. All das führt zusammen zu dem Säkularisierungsprozess.
So, in aller Kürze.
Sehr gut, vielen Dank, dass du uns da mit hineingenommen hast, um das ein bisschen besser zu verstehen.
Für alle, die hier zuhören: In einer der nächsten Folgen werden wir noch ausführlicher auf dieses Thema eingehen.
Ja, Philipp, es ist allgemein bekannt, dass die Großkirchen gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Mitglieder verloren haben. Gleichzeitig scheinen Freikirchen unter jungen Christen populärer zu werden. Aber welche Rolle spielen Freikirchen wirklich in unserer Gesellschaft? Wie stark wachsen sie tatsächlich? Machen wir als Gemeinde bisher einen guten Job mit der Mission, würdest du sagen?
Kurz gefragt: Wie missionarisch sind wir? Wie schätzt du das ein?
Wenn wir vom Ergebnis herkommen, war ich in der Vergangenheit oft derjenige, der ein wenig Wasser in den Wein gekippt hat, so würde ich es mal sagen. Natürlich gibt es dieses Narrativ, diese Erzählung, dass Freikirchen noch verhältnismäßig wettbewerbsstark sind. So haben das manche Soziologen ausgedrückt – also noch relativ erfolgreich. Aber jetzt ist die Frage, was bedeutet dieses Wort „relativ“?
Da müssen wir ganz klar sagen: Wenn wir uns die Wachstumszahlen der organisierten oder in Bünden organisierten Freikirchen anschauen, dann sind wir weit davon entfernt, die Verluste der Landeskirchen auszugleichen. Das ist die erste, sehr banale und offensichtliche Beobachtung.
Mich hat das interessiert, und ich rahme das jetzt mal aus meiner persönlichen Biografie: Ich war Pastor einer Freikirche, die relativ stark gewachsen ist. Irgendwann musste ich mir selbst Rechenschaft geben: Mit welcher Story will ich denn durch die Lande ziehen, wenn Leute mich fragen? Das ist eine sehr naheliegende und beliebte Frage unter Pastoren: Wie wachst ihr denn? Wie viele Mitglieder habt ihr? Als sei das das Entscheidende.
Dann hätte ich sagen können: Ja, hier großes Wachstum usw. Aber mir war klar, dass wir zwar erfreulicherweise auch eine gute Zahl von Bekehrungen von außen hatten, aber die große Zahl der Leute, die dazukamen, war Transferwachstum – Leute, die in unsere Stadt gezogen sind und dann bei uns angedockt haben.
Das hat mich interessiert, weil ich ein Freund davon bin, ehrlich zu sein – auch an schmerzhaften Punkten.
Ich bin der Sache ein bisschen nachgegangen, und um es kurz zu sagen: Bei den freikirchlichen Bünden, die noch am stärksten wachsen, sprechen wir von maximal 0,7 Bekehrten, also neu für den Glauben und für Christus gewonnene Menschen, pro Gemeinde und Jahr – 0,7.
Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass ungefähr 50 Prozent der Gemeinden in Anführungszeichen 100 Prozent dieser Bekehrungen generieren. Das heißt, über 50 Prozent der Gemeinden haben keinerlei Bekehrung von außen.
Das ist natürlich immer der Durchschnitt. Es gibt Gemeinden, bei denen es besser läuft. Aber all das führt nicht dazu, pauschal von einer freikirchlichen Krise der Mission zu sprechen.
Ich glaube nach wie vor, dass das in der Breite in unserem Land den empirischen Fakten entspricht. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ich will damit nie sagen, dass es keine Gemeinden mit starker missionarischer Wirksamkeit gibt. Aber in der Summe muss man sagen: Auch bei großen, bekannten, wachsenden Gemeinden wird man feststellen, wenn man ehrlich ist, dass ein großer Teil der neuen Mitglieder aus anderen Gemeinden kommt – auch aus anderen Freikirchen.
Also nicht nur von der Landeskirche zur Freikirche, sondern eher von Freikirche zu Freikirche – von Gemeinden, die an der einen oder anderen Stelle den Zug verpasst haben, die teilweise sehr ungesund sind oder keine Kinder- und Jugendarbeit haben. Solche Leute wechseln dann zu anderen Gemeinden.
Das ist grundsätzlich sehr okay, da muss sich keiner für entschuldigen. Aber wir müssen ehrlich sein: Das ist nicht die missionarische Dynamik, die wir uns flächendeckend wünschen.
Du nennst das ja auch in deinem Buch „Heiligentransfer“. Ja, genau, es ist ein Transfer der Heiligen.
Den wird es immer geben. Ich sage meinen Studenten immer: Eine gesunde Gemeinde wird einen solchen Transfer in unserer Zeit immer haben. Das kann gar nicht anders sein.
Aber die Frage ist, ob wir uns damit zufrieden geben und uns dann auf die Schultern klopfen und sagen: „Guck mal, wie toll unsere Gemeinde wächst“, wenn 98 Prozent derer, die dazukommen, vorher schon gläubig waren und wir von der Arbeit anderer Gemeinden profitieren.
Da bin ich einfach für eine gewisse gesunde Ehrlichkeit. Alles andere füttert nur unser Ego, und das ist nicht gut.
Ja, was würde man sagen: Wie kommen diese wenigen kirchenfernen Menschen zum Glauben und in die Gemeinden, also diese 0,7 Prozent?
Ich glaube, dass es bestimmte Faktoren gibt. Ich habe mir dazu einige Best-Practice- oder Good-Practice-Gemeinden angeschaut, von denen ich wusste, dass sie überdurchschnittlich stark durch Bekehrungen wachsen. Dabei fällt auf, dass es oft ein Zusammenspiel ist.
Zum einen gibt es eine ganz starke, tatsächlich missionarische Leidenschaft. Das bedeutet: raus aus der Selbstzufriedenheit. Die Gemeinden sagen: Wir wollen Menschen erreichen, das ist unsere Aufgabe, unser Auftrag.
Zum anderen ist damit ein bewussteres Nachdenken über kontextuelle Veränderungen verbunden. Man überlegt, wie unsere Zeit anders ist, wie Menschen heute anders ticken als noch vor 20 Jahren. Diese Veränderungen sind sehr schnell und dynamisch, das merken wir alle. Das kann auch überfordern.
Gleichzeitig sind wir beim Thema des Podcasts: alltagsmissionarische Kontakte. Es geht um Beziehungen zu noch nicht glaubenden Menschen auf einer natürlichen Ebene, mit langem Atem. Diese Kontakte werden dann mit Gemeindeveranstaltungen unterschiedlichster Art verknüpft, die sensibel sind für Menschen, die noch nicht glauben.
Wenn solche Faktoren zusammenkommen, entsteht eine gewisse Dynamik. Das heißt aber nicht, dass Bekehrungen sofort machbar oder immer verfügbar sind. Man muss nicht nur ein paar richtige Knöpfe drücken. Das bleibt eine Herausforderung unserer Zeit.
Ich glaube nicht, dass wir in einer Zeit leben, die besonders erweckungsfördernd ist. Aber mir fällt auf, dass dort, wo Bekehrungen passieren, diese genannten Faktoren eine wichtige Rolle spielen.
Wenn man auf Deutschland schaut, stellt sich die Frage: Wie hoffnungsvoll ist die Situation für uns Christen und die Gemeinde Gottes? Ich habe den Begriff des „hoffnungsvollen Realismus“ geprägt. Das bedeutet, dass wir uns nicht von einem übertriebenen Hoffnungsnarrativ leiten lassen sollten, das zwar theologisch richtig ist, aber in der Praxis oft zu unrealistisch wirkt.
Hoffnung ist theologisch verankert, denn der Herr sagt: „Ich werde meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden“ (Matthäus 16). Diese Zusage gilt für die globale Gemeinde, nicht jedoch für jede einzelne Ortsgemeinde, die vielleicht nicht alle die nächsten zehn Jahre überleben wird. Das wäre eine falsche Interpretation dieser Stelle. Dennoch gibt es Hoffnung: Gott führt seine Gemeinde zum Ziel. Er sitzt nicht untätig da und ist überrascht von der Säkularisierung. Vielmehr zeigt sich an anderen Orten der Welt gerade mehr geistliche Dynamik als bei uns.
Gott ist souverän, und auch hier, in unserem westlichen Breitengrad, ist seine Gemeinde nicht am Ende. Darin liegt unsere Hoffnung – sie liegt im auferstandenen Herrn der Kirche. Gleichzeitig tut uns geistlich ein gewisser Realismus gut. Könnte es nicht sein, dass das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld (Matthäus 13) heute eher der Normalfall ist? Die Saat geht immer wieder auf, aber vieles fällt auf den Weg, vieles wird schnell überwuchert, und die Frucht ist an manchen Stellen überschaubar. Doch es gibt sie.
Deshalb blicken wir mit diesem Realismus nach vorne. Wir leben nicht gerade in einer erwecklichen Zeit, in der die Menschen so offen für das Evangelium sind, dass schon ein kleiner Tropfen genügt, um eine große Blüte hervorzubringen. Das glaube ich nicht. Wenn wir diesen Realismus verlieren – und das ist mein seelsorgerlicher Punkt, besonders im Blick auf Gemeindeverantwortliche –, dann werden wir von unrealistischen Erwartungen erdrückt. Das führt irgendwann zu Verbitterung und hoffnungslosem Aufgeben.
Deshalb ist es mir so wichtig, gerade denen Mut zu machen, die sich am hingegebensten für die Gemeinde einsetzen. Bei ihnen ist die Gefahr von Zynismus und Bitterkeit am größten. Andere sind es vielleicht eher gleichgültig, aber diejenigen, die „all in“ sind, können leicht überfordert werden, wenn man ihnen verspricht, dass die Erweckung gleich um die Ecke wartet und die Ernte bald eingefahren wird. Ich habe schon viele Menschen, die so überfordert wurden, als Kollateralschaden gesehen. Das halte ich für ungesund.
Gleichzeitig dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren. Diese Spannung zu halten, scheint mir die größte Herausforderung für missionarisch gesinnte Christen in unserer Zeit zu sein.
Du hast das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld erwähnt. Was ich daran so schön finde, ist der Sämann, der auf Hoffnung sät, weil er weiß, dass die Saat aufgehen wird. Er weiß nicht, wie viel davon aufgehen wird, aber er streut aus, weil das Wort Gottes Kraft hat. Das gibt uns Hoffnung.
Wenn wir im Alltag wirklich das Evangelium vorleben und es den Menschen vermitteln, wie auch immer, dann können wir später noch darauf vertrauen, dass Gott auch in den Herzen wirkt, weil sein Wort Kraft hat. Der Boden ist aber oft hart, und an manchen Stellen gibt es viel Weg.
Der harte Boden kann auch schnell zur Entschuldigung für Untätigkeit werden. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht vom Pferd fallen. Mich bewegt besonders die Verheißung aus Psalm 126: „Die mit Tränen säen, werden mit Freude ernten.“ Ich habe das vor kurzem auch einmal Pastoren gesagt. Vielleicht würden uns ein paar mehr Tränen beim Sehen, ein emotionaleres, auf Gott geworfenes Frustriertsein guttun.
Diese Dynamik ist stark: Hoffnung, aber eben auch das Sehen auf Hoffnung und nicht die Erwartung, dass alles sofort und mühelos gelingt. Ich bete sehr dafür, dass Gott uns noch einmal eine Zeit schenkt, in der das, was wir jetzt vielleicht in 20 Jahren in der Gemeinde erarbeiten, innerhalb einer Woche möglich wird. Ich sehne mich sehr danach, dass manches schneller geht, weil der Geist Gottes weht und Gott Wasser auf dürres Land gießt.
Ich wünsche mir sehr, dass wir das noch zu unseren Lebzeiten erleben. Das ist meine Hoffnung. Doch die Realität sieht im Moment etwas anders aus.
Philipp, einerseits sind Menschen ja kirchenfern, besonders auch in Ostdeutschland. Dort sind viele Familien bereits in zweiter oder dritter Generation atheistisch geprägt und haben wirklich nichts mehr mit Glauben zu tun. Andererseits bezeichnen sich gerade junge Leute, zumindest ist das meine Wahrnehmung, oft als nicht religiös, aber spirituell. Wenn man sie konkret zum Glauben befragt, zeigt sich dieses Bild.
Was hat es damit auf sich? Und wie können wir das in unserem Auftrag für die Alltagsmission nutzen? Das ist eine sehr gute, aber auch sehr schwer zu beantwortende Frage. Ehrlich gesagt bin ich mir selbst nicht ganz sicher, wie ich diese etwas ambivalenten Narrative und Nachrichten interpretieren soll.
Wenn wir uns die Fakten anschauen, zum Beispiel die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) der EKD vom Ende des vergangenen Jahres, wird ein sehr breites Bild der religiösen Landschaft in Deutschland erhoben – nicht nur der evangelischen Kirchenmitglieder. Das Ergebnis ist relativ klar: Nicht nur die kirchliche Religiosität nimmt ab, sondern auch außer kirchliche Formen, die man vielleicht als esoterisch oder alternativspirituell bezeichnen würde, nehmen eigentlich ab.
Das heißt, aufgrund quantitativer religionssoziologischer Daten wird argumentiert, dass Religiosität jeglicher Couleur abnimmt. Wir können also nicht sagen, die Leute gehen nicht mehr in die Kirche, aber spirituell sei ein riesiges Vakuum, und die Menschen seien auf der Suche. Für uns wäre das eine hoffnungsvolle Botschaft, weil wir als Christen dann an das eine oder andere andocken könnten. Das geben manche Daten jedoch nicht her.
Andererseits berichten mir zum Beispiel Freunde, die in Ostdeutschland Gemeinden gründen – etwa in Magdeburg in einem konfessionslosen Kontext – dass immer mehr Esoterik-Läden und -Geschäfte aus dem Boden sprießen. Das kann ich nicht ganz miteinander in Einklang bringen. Ich beobachte beides.
Fakt ist, glaube ich, und das würden vielleicht die meisten Hörer auch aus ihrem persönlichen Erfahrungshorizont bestätigen: Selbst wenn es diese starke Spiritualität gäbe – und für mich steht da ein Fragezeichen – habe ich noch nicht den Eindruck, dass wir als Kirchen davon stark profitieren. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass der Weg von einer spirituellen Offenheit hin zu unserer doch etwas institutionellen kirchlichen Landschaft oder unserem kirchlichen Setting so leicht gangbar ist.
Trotzdem bleibe ich dabei: Diese Spiritualität der Suche sensibilisiert uns zumindest dafür, dass es noch Anknüpfungspunkte gibt. Sie fordert uns heraus, darüber nachzudenken, welche das sein könnten. So würde ich versuchen, mit dieser etwas unklaren Datenlage umzugehen.
Um das zusammenzufassen: Wir haben klare Zahlen und Statistiken, die zeigen, dass Freikirchen kaum Menschen erreichen – sehr wenige. Trotzdem wollen wir hoffnungsvoll bleiben, einen hoffnungsvollen Realismus bewahren, wie du es genannt hast.
Müssen wir als Gemeinde das ein Stück weit hinnehmen, weil wir in einer stark säkularisierten Gesellschaft leben? Oder gibt es Brücken, die Menschen ganz konkret helfen, die vom Evangelium keine Ahnung haben? Was kann ich als Einzelperson tun, und was können wir als Gemeinden tun? Vielleicht lässt sich das in der Antwort auch ein bisschen unterscheiden.
Ich würde sagen, ein möglicher Anknüpfungspunkt ist das Aufgreifen menschlicher Sehnsüchte. Diese Sehnsüchte, die der Mensch hat – wir Christen würden sagen, wie es in Prediger 3 heißt, dass Ewigkeit ins Herz der Menschen gelegt ist – davon gehen wir aus. Wenn das stimmt, sollten wir uns auf die Suche machen, wie sich diese Ewigkeitssehnsucht heute im Leben von Menschen zeigt.
Dabei ergeben sich Anknüpfungspunkte, wenn es uns gelingt, deutlich zu machen: Schau mal, du hast ganz ähnliche Sehnsüchte wie ich als Jesusnachfolger. Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung, Sicherheit und all den menschlichen, spirituellen Grundinstinkten, die vielleicht auch jemand hat, der in Esoterik oder einer Patchwork-Religiosität Antworten sucht.
Wenn es uns dann gelingt aufzuzeigen, wie all diese Sehnsüchte letztlich im Evangelium von Jesus Christus ihre Erfüllung finden – oder, wenn man es eher dekonstruierend sagen will, dass diese Sehnsüchte an anderen Stellen in dieser Welt nie vollkommen erfüllt werden – dann haben wir zumindest eine Gesprächsgrundlage.
Diese Grundlage macht auch deutlich, dass es hier nicht nur um den Kampf besserer Argumente geht. Es wird immer noch Menschen geben, die ein klares Wort möchten: Wie vertrauenswürdig ist die Bibel? Brauche ich Argumente? Hat die Auferstehung Jesu historisch überhaupt stattgefunden? Das ist nach wie vor relevant.
Aber ich glaube, für die meisten Menschen ist das nicht mehr der Hauptzugang. Die meisten glauben heute nicht deshalb nicht, weil sie 50 Bücher gelesen und alle Argumente abgewogen haben und dann sagen: Ich glaube nicht, ich bin Atheist oder Agnostiker. Vielmehr herrscht eine kulturelle Stimmung, dass Glaube irrelevant ist und nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat.
Wenn wir diese kulturelle Stimmung aufgreifen und sagen: Aber schau mal, deine Sehnsüchte sind ja immer noch da. Wo stillst du sie? Und jetzt bezeuge ich dir, wo ich in aller Schwachheit – und auch nie vollkommen – meine Sehnsüchte gestillt bekomme, dann ist das ein zeugnishafter Hinweis auf das Evangelium. Das könnte ein erster Schritt sein.
Gerade weil die Leute nicht vor unserer Gemeindetür stehen und sagen: Wann habt ihr den nächsten Kurs zur Historizität der Auferstehung? Ich habe viele Fragen. Sondern eher so: Man sitzt beim Grillen mit Leuten zusammen und kommt über das eine oder andere ins Gespräch. Da wäre die Sehnsuchtschiene ein guter Anknüpfungspunkt, glaube ich.
Sehr gut. Du hast auch den Begriff Kontextualisierung verwendet. Wir sprechen oft darüber, dass wir Menschen, die wenig oder keinen Bezug zum Glauben haben, den Zugang zum Evangelium erleichtern und an ihre Lebenswelt anknüpfen wollen.
Diese Lebenswelt muss man natürlich erst einmal verstehen – diese Sehnsucht, dieses Vakuum, das Gott ins Herz des Menschen gelegt hat und das nur von ihm gefüllt werden kann.
Der Begriff Kontextualisierung ist aber auch schwierig, weil er sehr unterschiedlich verstanden wird. Manche Christen oder Gemeinden fallen auf der einen Seite vom Pferd und versuchen, das Evangelium anzupassen, um es annehmbarer zu machen.
Das Wort vom Kreuz wird als Torheit abgetan und soll kein Anstoß sein. Man will es irgendwie glätten und einen Jesus predigen, der vor allem hilft, die eigenen Träume zu leben.
Dabei geht es eigentlich darum, die biblischen Antworten, die Menschen vielleicht gar nicht hören wollen oder erwarten, in ihre Lebensfragen hineinzubringen. So soll das Evangelium als Antwort anknüpfen und nicht verwässert werden.
Hast du konkrete Hilfestellungen und Ideen auch für die Gemeinde vor Ort? Grundlegend wichtig ist meiner Meinung nach, in der Gemeinde eine Diskussion über den Begriff und die Anwendung von Kontextualisierung zu führen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass dies in unterschiedlichen, auch kirchlich-gemeindlichen Kreisen verschieden verstanden wird.
Zunächst sollten wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir immer kontextualisieren. Die Frage ist nur: Kontextsualisieren wir in einer kulturellen Form der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts oder im Blick auf die Fragen, Hoffnungen und Befindlichkeiten unserer heutigen Zeit?
Ein Beispiel: Wenn wir sagen, wir haben um zehn Uhr am Sonntag Gottesdienst, dann fangen wir auch pünktlich um zehn Uhr an. Das ist deutsche Kontextualisierung. Das steht nicht direkt in der Schrift. In einem afrikanischen Land würde das bei Geschwistern, die dieselbe Theologie und dasselbe Schriftverständnis haben wie wir, ganz anders aussehen.
Dieses Bewusstsein zu schaffen, dass Kontextualisierung immer automatisch passiert, ist wichtig. Jetzt würde ich sagen: Kontextualisierung sollte nicht als Bedrohung verstanden werden. Natürlich gibt es die Gefahr einer Überkontextualisierung, die du genannt hast – eine Anpassung an den Zeitgeist und die Befindlichkeiten der Leute. Das ist nicht gemeint.
Kontextualisierung im positiven Sinn ist ein Akt der Liebe. Ich sage das jetzt mal so: Es ist ein Akt, um das Evangelium, das uns so kostbar ist, verständlich in die Lebenswelt von Menschen hineinzukommunizieren, die kaum noch einen christlichen Grundwasserspiegel haben. Deshalb verstehen sie vieles von dem, was wir sagen und anbieten, erst einmal gar nicht.
Sich verständlich zu machen ist ein Akt guter Kommunikation und an diesem Punkt auch ein wirklicher Akt der Liebe. Wenn ich mit Gemeindegründern spreche, gerade in Ostdeutschland, sagen sie mir: Das Erste, was wir in den ersten Wochen unserer Gründungsarbeit lernen mussten, ist, dass wir großartige Antworten auf Fragen haben, die kein Mensch stellt.
Jetzt können wir sagen: „Okay, Freunde, wir haben keinen Bock auf Kontextualisierung. Deswegen hauen wir unsere guten biblischen, dogmatischen, sauberen, wahren Antworten raus. Es ist uns egal, ob jemand uns versteht oder nicht, das ist doch euer Problem.“ Oder wir können sagen: Die Liebe Jesu treibt uns dazu, das Menschenmögliche zu tun, damit unsere Botschaft, die Botschaft Gottes in Jesus Christus, bei den Menschen ankommt.
Dann muss ich anfangen, ihnen zuzuhören: Was ist ihr Lebenshorizont? Was sind ihre Fragen, Hoffnungen und Ängste? Was treibt sie im Alltag um? Welche Erfahrungen haben sie mit Kirche? Warum finden sie das Christentum unter Umständen so blöd? Welche Erfahrungen haben sie mit Gemeinden gemacht, die in ihrem Kopf ein bestimmtes Bild ergeben, sodass sie sagen: „Ich will mit denen eigentlich gar nichts zu tun haben“?
Ich muss erst einmal verstehen, dass Christen auch anders sein können. Das wäre gelebte Kontextualisierung. Auf diesem Weg können wir uns alle machen, indem wir anfangen, unseren Mitmenschen besser zuzuhören, bevor wir meinen, wir müssten erst einmal alle möglichen Antworten raushauen.
Der Christus, an den wir glauben – das ist immer wieder meine Erinnerung – ist die Menschwerdung Jesu, die Inkarnation. Diese ist der maximale Akt der Kontextualisierung. Gott hat sich in unseren Kontext hineinbegeben.
Im Alten Testament steht, dass wer in die Nähe von Gott kommt, stirbt. Im Johannesevangelium lernen wir nun: Die Herrlichkeit Gottes ist Mensch geworden, wir können sie sogar anfassen. Das ist maximale Kontextualisierung.
Das hilft, glaube ich, ein wenig, die Angst davor zu verlieren. Natürlich gibt es viele Beispiele, wo man es übertrieben und falsch abgewogen hat. Das ist mir bewusst. Aber der schlechte Gebrauch hebt den guten Gebrauch nicht auf.
Wir brauchen Kontextualisierung als eine Hinwendung der Liebe zu unseren Mitmenschen mehr denn je. Die Kluft in einem nachchristlichen Zeitalter zwischen Gemeinde und Welt ist größer als noch vor 40 oder 50 Jahren. Das ist, glaube ich, der Punkt, der uns so stark herausfordert.
Das finde ich auch, wenn man sich anschaut, wie Jesus selbst Menschen begegnet ist und wie sehr er sich ihnen auf ihre Weise angenähert hat.
Dass Jesus ein Freund der Zöllner und Sünder genannt wurde, dass er eine Frau ganz unkonventionell anspricht – in der Mittagszeit, allein am Brunnen sitzt, und dann noch eine samaritische Frau, obwohl er Jude war – davon kann man viel lernen. Das ist alles andere als das, was wir Christen oft meinen: Hauptsache, das Evangelium muss raus, und man sagt es dann brettelhart gerade heraus. Das Wort wirkt, ja, aber das ist eigentlich ganz lieblos, oder?
Ja, ganz genau. Mir hat mal jemand gesagt: „Christian, du musst die Leute dort kratzen, wo es sie juckt.“ Das ist ein bisschen anders ausgedrückt, als du es eben gesagt hast. In unserem Buch greifen wir diese Metapher auf und sagen: Es gibt eben Themen, die alle Menschen „jucken“ – diese großen Menschheitsfragen oder, wie ich sie vorhin genannt habe, Sehnsüchte.
Diesen Fragen nachzuspüren, also zu überlegen: Was juckt denn die Menschen? Und dann noch einmal neu zu reflektieren, welche Antworten wir haben und welche schmerzstillende Salbe wir für diesen Juckreiz in Christus anbieten können – das erfordert eine neue Denkkraft und eine neue kontextuelle Sensibilität. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Kontextualisierung betrifft also alles, was die Gemeinde und Christen tun. Es geht darum, dass wir in dieser Welt sichtbar sind, keine Weltflucht begehen und gleichzeitig sichtbar anders leben – also keine Anpassung.
In dem Buch erwähnst du in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Opel-Mentalität“, also „Umparken im Kopf“. Das hast du zitiert, und das war ja mal eine Werbekampagne von Opel. Was meinst du damit?
Für die jungen Zuhörer, die sich an diese Werbekampagne nicht mehr erinnern: Echt, das ist schon so lange her? Ich müsste jetzt nochmal nachschauen. Ich glaube, es war 2013. Das Gesicht der Kampagne war Jürgen Klopp, den kennen wir noch. Der Hintergrund war, dass Opel gemerkt hat: Unsere Automarke ist nicht die coolste und hippste. Das soll jetzt nicht despektierlich klingen, aber Opel hatte ein bisschen ein Seniorenimage. Opel war nicht der Inbegriff von Coolness, wenn es um Autos ging.
Das wollten sie ändern und starteten deshalb die Kampagne „Umparken im Kopf“. Die Idee war: „Hey Leute, ihr habt ein bestimmtes Bild von Opel im Kopf – altbacken und spröde. Aber ihr müsst im Kopf umparken. Wir sind eigentlich viel besser, cooler und moderner, als ihr denkt.“ Und jetzt haben wir sogar den coolen Jürgen Klopp als Werbegesicht, der Opel fährt. Natürlich fuhr er keinen Opel, aber so in etwa.
Für mich ist das ein starkes Bild für das, was ich glaube, dass Gemeinden neu verinnerlichen müssen: Wir müssen umparken im Kopf. Der Kontext, in dem viele Freikirchen über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte relativ wirksam Gemeinde gestaltet haben, existiert so nicht mehr.
Meine These ist, dass das bisher bestenfalls ansatzweise bei uns angekommen ist. Das meine ich mit „Umparken im Kopf“. Wir müssen begreifen, dass die Art und Weise, wie wir bisher evangelistisch und missionarisch in dem alten Kontext operiert haben, heute nicht mehr so zielführend ist.
Das ist tatsächlich eine der Kernausgangsthesen im Buch. Es hat sich ganz viel verändert, gerade für Freikirchen. Die Freikirchen haben von ihrer Gründung an sehr davon profitiert, dass sie an einen, ich sage mal, volkskirchlich vorbearbeiteten Boden anknüpfen konnten.
Der christliche Grundwasserspiegel war viele Jahrzehnte und Jahrhunderte relativ hoch. Dann sind wir Freikirchen reingekommen und haben gesagt: „Hey, wir haben das lebendigere, bibeltreuere, tiefere und konsequentere Gemeindeleben.“ Und das stimmte zum großen Teil.
Die Leute vollzogen keinen Religionswechsel im klassischen Sinne, keine Bekehrung von Schwarz nach Weiß, sondern sie waren latent christlich und sagten: „Jetzt will ich das Lebendige.“ So haben sie, wie wir es nennen, eine Wiedergeburt erlebt. Großartig.
Aber der Ausgangspunkt war viel näher an dem, was wir anzubieten hatten, als das heute der Fall ist. Das zeigt sich unter anderem daran, dass man geografisch sehen kann, wo die großen Hotspots der Freikirchen in Deutschland sind. Überall dort, wo die Erweckungsbewegung schon in der evangelischen Landeskirche einige Jahrzehnte zuvor gewirkt hat, sind die Freikirchen entstanden und bis heute am stärksten.
Das trifft zu im Schwäbischen, in Mittelhessen, im Oberbergischen, im Rheinland und in Teilen Sachsens. Das lässt sich sehr gut nachweisen. Aus diesem Erweckungsmodus, so nenne ich das, müssen wir herauskommen, denn heute gibt es nicht mehr so viel zu erwecken.
Die naheliegenden Anknüpfungspunkte in vielen Teilen unseres Landes existieren nicht mehr. Das merken unsere Geschwister in Ostdeutschland etwas schneller als die im Siegerland, aber die Tendenz ist ähnlich.
In eurem Buch stellt ihr im Kontext des Hingehens und Hinzukommens auch Gastfreundschaft als eine missionarische Schlüsselrolle dar. Wie meint ihr das? Was versteht ihr unter Gastfreundschaft, und wie lebst du das persönlich?
Gastfreundschaft hat im Neuen Testament eine tiefere Bedeutung, als uns das häufig bewusst ist. Das griechische Wort dafür ist Philoxenia, also die Liebe zum Fremden. Wir kennen den Begriff Xenophobie, die Furcht vor dem Fremden, und Philoxenia steht dem gegenüber als die Liebe zum Fremden.
Das knüpft direkt an das an, was wir zum Thema Kontextualisierung besprochen haben: die Liebe zu unseren Mitmenschen. Wir müssen neu lernen, den Fremden, den anderen zu verstehen, wahrzunehmen und gastfreundlich mit ihm umzugehen – und das auf unterschiedlichen Ebenen.
Das könnten wir im Blick auf die Gemeinde besprechen: Wie sieht eine gastfreundliche Gemeinde aus? Wie sieht ein gästefreundlicher oder sensibler Gottesdienst aus? Solche Fragen sind wichtig.
Eine andere Ebene ist Gastfreundschaft im Sinne von: Ich öffne mein Haus, ich pflege Gastfreundschaft mit meinen Nachbarn oder Arbeitskollegen. Der Kern privat gelebter Gastfreundschaft ist wahrscheinlich die Tischgemeinschaft. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass wir manchmal neidisch auf andere Kulturen blicken, in denen es ganz normal ist, miteinander zu essen. Dabei wächst über eine herzlich gelebte Gemeinschaft am Tisch viel, sowohl kommunikativ als auch beziehungsmäßig.
Wir glauben, dass Gastfreundschaft der Schlüssel ist zwischen der gemeindlichen christlichen Wirklichkeit und unseren Freunden und Bekannten, die Jesus noch nicht kennen. Deshalb ist sie ein Schlüssel und auch für mich persönlich immer wieder eine Herausforderung im beschleunigten Alltag: Wie schaffe ich es, Menschen zusammenzubringen, auch gemeinschaftlich als Gemeinde?
Das muss ich nicht alles alleine machen. Ich kann mich einklinken, wenn zum Beispiel ein Ehepaar aus meiner Kleingruppe seine Nachbarn einlädt. Dann kommen wir als Ehepaar dazu, oder andere. Dieses Thema auf verschiedenen Ebenen zu durchdenken, ist auf jeden Fall ein Schlüssel.
Diese Erfahrung habe ich auch gemacht: Unsere Gemeinde ist vor etwas mehr als zwanzig Jahren genau so entstanden. Ich habe das, glaube ich, hier im Podcast schon mal erzählt, nur dir nicht. Sie entstand aus einem Bibelgesprächskreis, der sehr privat war. Essen und Tischgemeinschaft waren ein sehr wesentliches Element.
Auf die Frage, warum Menschen dort zum Glauben gekommen sind, was passiert ist und warum sie sich entschieden haben, war die Antwort oft: Diese Gastfreundschaft, diese Herzlichkeit, diese Atmosphäre. Dabei ging es gar nicht so sehr um die Lehre oder das Evangelium – irgendwann natürlich, weil wenn du mit Menschen in der Bibel liest und Fragen an den Text stellst, hat jemand mal gesagt, das sei wie eine Operation am offenen Herzen, ohne dass der Patient es merkt. Gottes Wort wirkt.
Der Rahmen dieser Gastfreundschaft ist so wertvoll und öffnet unbedingt eine Tür. Ich glaube auch, dass gerade dort, wo Menschen noch weit weg von Gott sind und keinen religiösen Bezug haben, Gastfreundschaft eine gute Möglichkeit ist, sie zu erreichen – auch in unserer Gesellschaft.
Unsere Hoffnung ist, dass dort, wo wir Gastfreundschaft im privaten Leben leben, es auch eine Schnittstelle zur gemeindlichen Wirklichkeit gibt. Das ist mir als Pastor ein Herzensanliegen: Wir stellen uns immer die Frage, wie wir eine gemeindliche Realität schaffen können, zum Beispiel im Gottesdienst, die sensibel ist. Nicht nur, wie wir oft sagen, für Gäste, sondern gastfreundlich im Sinne von liebevoll dem Fremden gegenüber – demjenigen, der völlig fremd ist in dieser für uns so normalen Gemeindewelt.
Wir machen uns gar keine Vorstellung, wie viele Menschen es gibt, die tatsächlich, sagen wir, Mitte dreißig sind und noch nie in einem Gottesdienst waren. Vielleicht waren sie ein- oder zweimal mit der Oma früher in der katholischen Kirche. Was bedeutet Fremdenliebe für solche Menschen?
Wenn du Christian als deine Nachbarn irgendwann in die Gemeinde mitbringst, haben sie natürlich in dir einen Bezugspunkt. Aber wie wäre es, wenn wir ihnen durch die Art, wie wir kommunizieren, schon in der Begrüßung deutlich machen: Egal, wie skeptisch du bist, egal, wie sehr dir der christliche Glaube noch suspekt ist oder vielleicht sogar auf die Nerven geht, egal wie viel Skepsis, Aggression oder Zweifel du in dir hast – wir danken dir, dass du die Hürde übersprungen hast und mitgekommen bist.
Du kannst in der Nähe oder Distanz, die für dich jetzt passt, hier das Geschehen mitverfolgen. Wir werden dir hinterher nicht gleich um den Hals fallen, und wenn du schnell gehen willst, darfst du auch schnell gehen. Das, was im privaten Bereich völlig normal ist – freundlich zu sein, aber nicht übertrieben einengend – wollen wir auch in unseren Gottesdiensten schaffen.
Ich glaube, so eine Kultur würde Menschen sehr ermutigen, im Privaten gastfreundlich zu sein. Denn sie wissen dann: Ich kann die Leute irgendwann an die größere Community übergeben, in der Hoffnung, dass dort die Prozesse weitergehen.
Diese Dynamik wünschen wir uns: Dass der private Gastfreundschaftskontakt zu noch nicht Glaubenden Hand in Hand geht mit Prozessen, Überlegungen und Gemeindegestaltungen. So verstärken sie sich gegenseitig, anstatt sich zu behindern.
Im Podcast der FTH hast du gesagt, dass Mission von zwei Dingen abhängt, auf die wir keinen Einfluss haben: Gottes Wirken einerseits und wie gut der Boden ist. Du hast außerdem erwähnt, dass der Boden bei uns sehr hart zu sein scheint. Darüber haben wir gerade eben schon gesprochen. Das ist anders als vielleicht in anderen Gebieten der Welt, wo in letzter Zeit mehr Erweckung zu sehen ist.
Trotzdem wollen wir uns nicht entmutigen lassen – hoffnungsvoller Realismus ist gefragt. Aber welche Möglichkeiten haben wir, den Boden, also vermutlich eher bei einzelnen Personen als bei der gesamten Gesellschaft, aufzulockern und für die Saat vorzubereiten? Oder ist das gar nicht unsere Aufgabe?
Ich glaube, das Bild, das ich damals benutzt habe – und for the record: Das geht nicht auf mich zurück, sondern auf Tim Keller – ist hilfreich. Er hat gesagt: Wenn wir uns den Gemeindegründer oder Gemeindegestalter als Nachfolger Jesu mit einem Gärtner vergleichen, dann hat der Gärtner wenig Einfluss auf die Bodenbeschaffenheit. Er muss mit dem leben, was er zunächst mal vorfindet. Und das ist unser Kontext, der so ist, wie wir ihn vorhin beschrieben haben.
Die Wetterbedingungen haben wir auch nicht im Griff. Das ist dann das, was Keller als das Wirken des Geistes bezeichnet. Darum können wir bitten, aber es ist unverfügbar. Der Geist weht, wo er will.
Was ist dann die Aufgabe des Gärtners? Dass er treu und kompetent seine gärtnerische Arbeit erfüllt. Treu im Sinne von: Er muss zu bestimmten Zeiten gießen und vielleicht mal ein bisschen früher aufstehen als andere Landwirte. Also dranbleiben, treu sein und sich Gott zur Verfügung stellen.
Darauf zielt jetzt, glaube ich, deine Frage ein bisschen ab: Was zählt zu dieser Art von gärtnerischer, gemeindeaufbauender Kompetenz? Wie können wir das als ganz normale, ich sage jetzt mal, Otto-Normal-Christen machen?
Da haben wir schon ganz viel im Zuge dieses Podcasts genannt. Zum Beispiel ein neues Gespür für den Kontext zu entwickeln, indem wir bewusster versuchen, unsere Mitmenschen zu verstehen. Nicht gleich „zuzumachen“ und zu denken: „Jetzt reden meine Arbeitskollegen wieder über dies oder jenes.“ Sondern einfach mal dieses liebevolle „Ich höre zu“.
Wir haben ja manchmal auch so einen inneren Stress, als müssten wir gleich eine Antwort geben. Und wenn sie etwas Blödes sagen, müssen wir irgendwie Christus bezeugen oder so. Nein, diesen Stress würde ich gerne mal rausnehmen und sagen: Lasst euch Zeit, einfach genau hinzuhören.
Als Gemeindeverantwortliche können wir überlegen: Wie können wir kleine Schritte eines gastfreundlicheren Gemeindelebens und einer entsprechenden Gemeindekultur leben? Was braucht es dafür? Wie können wir in unseren Gottesdiensten Fremden deutlich signalisieren, dass sie herzlich willkommen sind? Welche Schritte können wir gehen?
Wie können wir in unseren Predigten – wenn wir im Predigtdienst sind – bewusst nicht nur für die anwesenden Christen beten, sondern auch daran denken, dass Paulus in 1. Korinther 14 davon ausgeht, dass immer auch Nichtglaubende anwesend waren, schon im urchristlichen Gottesdienst?
Das heißt: Beten wir dafür, dass Menschen erreicht werden. Und zweitens: Wie holen wir die Nichtglaubenden in der Predigt ab? Oder reden wir komplett an ihnen vorbei?
Welche apologetischen „Pfeile“ – so sage ich das meinen Studierenden – können wir abschießen, um Leute damit „rein“zuholen? Um zu sagen: Ich weiß, dass hier Leute sind, die nicht alles glauben, was wir glauben. Hier ist etwas zum Nachdenken für euch in den nächsten drei Minuten.
Ich habe vorhin von missionarischer Leidenschaft gesprochen. Mich hat bei meinen Forschungen beeindruckt, wenn ich mir „Good Practice“-Gemeinden anschaue. Das hat mehr mit der gärtnerischen Treue zu tun. Da habe ich Gemeinden erlebt, die überdurchschnittlich viele Bekehrungen haben. Und ich wusste nach der Beobachtung auch warum: Sie beten vor jedem Gottesdienst, vor jeder Veranstaltung explizit dafür, dass heute Menschen zum Glauben kommen.
Das macht einen Unterschied. Kleine Dinge, bei denen ich gerne sagen würde: Das können nicht nur die 400-Mitglieder-Großgemeinde oder der hippe ICF oder was auch immer, sondern das können auch die ganz normalen Gemeinden mit 30 oder 40 Mitgliedern machen.
Nicht zu sagen: Wir beten nur, dass der Beamer nicht ausfällt, dass der Computer schnell genug die Folien klickt oder dass der Klavierspieler sich nicht verspielt. Das muss jetzt mal ein bisschen flapsig sein.
Sondern: Herr, wie wäre es, wenn heute jemand zu deiner Ehre zum Glauben kommt in unserem ganz normalen Sonntagsgottesdienst?
Das Problem ist: Wir haben das schon lange nicht mehr erlebt und können es kaum selbst glauben. Aber vielleicht müssen wir da mal gegen unsere eigene Herzensskepsis Gott wieder mehr zutrauen.
Wir kratzen nur an der Oberfläche, aber das wären so ein paar Dinge, bei denen ich sage, das verstehe ich unter dieser Treue und Kompetenz: Schritte zu gehen.
Und wenn ich das noch einmal sagen darf: Das ist mit der Grund, warum wir dieses Buch geschrieben haben. Wir glauben, es kann in kurzen Einzelkapiteln zu unterschiedlichen Themen helfen, dass Leitungskreise gemeinsam ihr Herz neu justieren und eine Gemeinde kompetenter auf bestimmte neue, gute evangelistische Wege führen.
Das wäre unser Anliegen.
Was dann auf dem Boden passiert und wie groß die Frucht ist – ob dreißigfach, sechzigfach oder hundertfach – und wie der Geist weht, das bleibt unverfügbar. Es steht nicht in unserer Verantwortung.
Du warst selber jahrelang Pastor und hast auch Gemeindegründungsarbeit gemacht. Welche Unterstützung hättest du dir von deiner Gemeinde gewünscht? Und vielleicht auch Unterstützung von außen?
Ich war nie – um das gleich richtigzustellen – aktiv in der Gründungsarbeit. Ich habe von außen Gründungsinitiativen mitbegleitet, gemeinsam mit einem Team. Ich muss sagen, ich hatte das große Glück und die große Gnade, in einem Team arbeiten zu können, in dem wir die Wege, die ich in den letzten Minuten versucht habe zu skizzieren, in aller Schwachheit, aber doch gemeinsam gegangen sind.
Ich könnte gar nicht sagen, die Gemeinde hätte nicht mitgezogen. Natürlich sind solche Kulturveränderungsprozesse nicht leicht, sie sind schmerzhaft. Wenn man manche Schritte der Fremdenliebe geht, muss man auch ganz offen sagen: Es wird Leute geben, die sagen, da gehen wir nicht mit. „Ihr verändert meine Gemeinde, ich will meine Gemeinde zurück“ – das ist ein Buchtitel von Gordon Macdonald vor ein paar Jahren. All das haben wir sehr offen mit unserer Gemeinde reflektiert.
Aber durch diese Prozesse, auch in manchen Verlusten als Vorbild durchzuleiten, fällt eben leichter, wenn man als Leitungskreis sozusagen gemeinsam auf diesem Zug sitzt. Dann kann man eine Gemeinde mitnehmen. Das ist auch der Grund, warum wir sagen, wir wünschen uns, dass dieses Buch nicht in die Hände Einzelner kommt, sondern dass Leitungskreise gemeinsam diese Prozesse durchgehen. Wie ein Ehepaar, das sich jung kennenlernt und manche Reifungsprozesse gemeinsam durchläuft. Das hat einen ganz, ganz großen Effekt.
Also das ist sozusagen ein herausfordernder Prozess. Vielleicht ein Beispiel, das ich immer wieder heranziehe und das im Detail zeigt, was das in der Praxis bedeuten kann: Wir hatten Leute, ich habe jetzt eine Person vor Augen, die irgendwann zu mir kam und sagte: „Philipp, das nervt mich total, dass wir in jedem Gottesdienst nochmal in der Begrüßung die Gäste und Nichtglaubenden begrüßen. Ich habe das schon so oft gehört, es hängt mir zum Hals raus.“
Dann musst du trocken schlucken und sagen: Ja, was machen wir denn für die, die tatsächlich kommen? Du weißt doch, wir haben jeden Sonntag neue Leute. Fremdenliebe, erinnerst du dich? Wir haben doch schon eine Schulung gemacht, wollen wir doch. Ja, aber es nervt mich.
Dann kam der Sonntag, an dem diese Person einen Arbeitskollegen – er war sogar der Chef – mitgebracht hat. Und an diesem Sonntag war natürlich alles anders. Er saß vorne auf der Stuhlkante, total nervös: Was wird passieren? Wie wird mein Angestellter das aufnehmen?
Nach dem Gottesdienst kam er zu mir, fiel mir um den Hals, küsste mich, tat Buße und bat mich um Vergebung. Er sagte: „Es tut mir leid, dass ich dich immer so genervt habe.“ Warum? Weil er sagte: „Ich bin so dankbar, dass ihr eure Gottesdienstbegrüßung so macht, wie ihr sie macht. Ich habe gemerkt, wie sich mein Angestellter, der skeptisch war, der gezweifelt hat und die Gemeinde nicht kannte, entspannt hat. Er hat gemerkt, hier wird nichts Krasses passieren. Ich kann hier einfach mal das Ganze verfolgen. Und wenn es mich hinterher nervt, gehe ich wieder nach Hause. Und alles ist gut. Die Leute haben mich sogar liebevoll im Blick mit meinen Fragen.“
Auf einmal war alles anders. So dauert es manchmal lange, um Leute für diese Prozesse zu gewinnen.
Wenn Hörer jetzt sagen: „Ich wünsche mir sehnsüchtig, mit meinen Leitungskreiskollegen Leute mitzunehmen“, würde es mich sehr freuen. Habt den langen Atem! Bei manchen dauert es ein bisschen länger. Geht ihnen liebevoll nach, nicht mit der Holzhammermethode. Es muss nicht alles über Nacht passieren.
Aber diese prägenden Prozesse mit einer Gemeinde durchzuführen – wir brauchen diese Veränderung. Ich bin nicht innovationsgläubig, indem ich sage: Neues Konzept, und dann wird morgen alles gut. Aber ich glaube, wir müssen diese wichtigen Fragen stellen, Dinge verändern und diese Wege gehen.
Alles, was wir im Buch beschreiben, sind Dinge, die Gemeinden schon immer gemacht haben. Wir müssen sie einfach neu in den Blick nehmen – in einem neuen Kontext. Das ist der einzige Unterschied.
Gastfreundschaft ist ja kein Ding des 21. Jahrhunderts. Es ist keine Raketenwissenschaft, keine neue Offenbarung. Es ist ein neues Schärfen für Dinge, die uns als Gemeinden schon immer gut zu Gesicht gestanden haben und die wir jetzt noch einmal mit Leidenschaft neu in den Blick nehmen.
Darum geht es: mit langem Atem, wie gesagt, mit Geduld, mit Sanftmut und Liebe auch denen gegenüber in der Gemeinde, die ein bisschen veränderungsresistenter sind und ein bisschen länger brauchen.
Ja, danke, du hast mitgenommen, auch ein bisschen den Blick in die Gemeinde hinein und wie man die Geschwister mitnehmen und das Anliegen dafür wecken und schärfen kann.
Aber von außen betrachtet – was hättest du dir da gewünscht? Ich meine, wir als Stiftung Heukebach wollen ja Christen, einzelne Christen, aber auch ganze Gemeinden gerne in dem Prozess unterstützen, Alltagsmission zu leben. Ziel ist es, Menschen einen Schritt näher zu Jesus zu führen.
Wie können wir da konkreter helfen? Hast du da eine Idee, wo du schon Bedarf siehst, auch in den Gemeinden? Du hast dich ja viel mit Gemeinden beschäftigt und selbst Gemeindearbeit gemacht.
Ich denke an etwas wie das, was wir jetzt hier machen: eine Podcast-Geschichte, die für diese Themen sensibilisiert. Heute haben wir viele Aspekte angeschnitten, die man durchaus noch einmal tiefer und Thema für Thema vertiefen könnte. Solche Formate finde ich hilfreich.
Ein Thema, das an dieser Stelle wichtig ist, ist: Wie werden wir sprachfähig? Dieses Wort ist heute noch nicht gefallen. Es gibt Leute, die sagen: „Ich habe ja schon Kontakte zu meinen Arbeitskollegen und Nachbarn.“ Aber wenn es dann an den Kern der Sache kommt, fühlen sie sich unsicher.
Da bräuchte es, glaube ich, noch mehr als das, was es schon gibt. Natürlich habe ich auch nicht alles im Blick, vielleicht gibt es schon einiges. Aber ich denke an Trainingstools, mit denen man lernen kann, wie man auf natürliche Weise seine Geschichte mit Jesus erzählt – so, dass ein völlig unbeleckter Nichtchrist es nachvollziehen kann.
Kann mir da mal jemand helfen, so als Training? Oder wie kann ich auf die zehn relevantesten Einwände eines Nichtchristen zum Glauben gut antworten? Früher gab es dafür Traktate oder Hefte, aber ich glaube, die Fragen haben sich inzwischen verschoben.
Zum Beispiel: Wie kann ich auf die Frage antworten, wie ein guter Gott so viel Leid in der Welt zulassen kann? Oder: Wenn Freiheit in unserer Gesellschaft einen so hohen Wert hat, wie kann es sein, dass ich mich an so etwas wie Jesus binde? Das macht mich doch total unfrei.
Viele von uns haben darauf keine Antwort. Wir glauben daran, dass der Sohn Gottes uns wahrhaft frei macht. Aber diese Art von Freiheit einem Nichtchristen zu erklären – geschweige denn erst einmal selbst durchzudenken – ist schwierig. Manchmal haben wir sogar selbst den Eindruck: „Boah, ich fühle mich sehr gegängelt, die Gemeinde schränkt mich ein.“ Was ist eigentlich christliche Freiheit, wenn Freiheit doch ein so hoher gesellschaftlicher Wert ist?
Du hast vorhin gesagt, Freiheit ist ein „Juckreiz“. Wir sagen, wir haben eigentlich das Monopol auf Freiheit, aber wir können es nicht so gut erklären. Deshalb wäre es gut, Tools zu entwickeln, mit denen man sprachfähig wird.
Wie kann man das lernen? Wie wird man sprachfähig zu diesen und vielen anderen Fragen? Ich glaube, ihr habt mit eurer jetzigen Aufstellung und eurer Vision einen Beitrag in diesem Bereich zu leisten.
Ich denke, es könnte noch mehr geben – ich nenne es jetzt mal Sprachfähigkeits-Trainings-Tools.
Ja, vielen Dank für die Anregung, das ist sehr gut.
Das ist auch unsere Wahrnehmung: Das Thema Sprachfähigkeit, zum Beispiel das Evangelium zu erklären, fällt uns schwer. Es ist nicht einfach, es auf den Punkt zu bringen oder zu lernen, keine christlichen Begriffe zu benutzen, die niemand versteht, wenn man gegenübersteht und große Mühe hat.
Gastfreundschaft haben wir schon, es gibt viele Dinge.
Ja, sehr schön, vielen Dank.
Ich möchte zum Abschluss drei Fragen an dich richten, Philipp.
Was fordert dich persönlich am meisten heraus, wenn es darum geht, mit deiner Gemeinde gemeinsam Alltagsmission zu leben, zu gestalten und weiterzuentwickeln?
Da stelle ich mich ganz demütig in die Reihe derer, die sagen: Mein Leben ist so furchtbar schnell, mir fehlt die Zeit. Ja, da merke ich ganz offen, auch in meinen Aufgaben hier an der FTH, in diesem Dienst für die Studierenden, in manchem, was einen über den täglichen Lehr- und Forschungsbetrieb hinaus beschäftigt – plus Aussendienste und so weiter, plus Familie, noch mit zwei relativ kleinen Kindern – da ist es schon ein Krampf, überhaupt Zeit zu finden, um Freundschaften nicht nur mit den wichtigen Freunden, die glauben, sondern auch mit Leuten, die noch nicht glauben, zu pflegen.
Da bin ich im Moment sehr dankbar, dass meine Frau Freiräume hat, Kontakte zu pflegen, und ich komme dann immer dazu, wenn sie Taktiken geknüpft hat. Mehr ist bei mir gerade nicht drin, aber da leide ich auch ein Stück drunter.
Auch als Gemeinde, wir sind Teil einer eher jüngeren Gründung, auch hier in Gießen, ist es ähnlich: Wie schaffen wir es, natürliche Kontaktflächen zu Menschen zu bekommen, die noch nicht glauben?
An der Stelle vielleicht noch – das ist jetzt nicht ganz die persönliche Antwort, aber es scheint mir wichtig zu sein als Ermutigung: Wir müssen auch nicht alles alleine machen. Ich bin jemand, der Mission und Evangelisation sehr stark von der Gemeinde her denkt. Auch weil ich nicht die ganz starke evangelistische Gabe habe – ich bin nicht der Evangelist – aber ich habe ein evangelistisches, missionarisches Herz und eine Gemeinde. Das ist auch meine persönliche Erfahrung.
Da gibt es Leute, die sind nicht so ohne Weiteres in der Lage, ganz lockerflockig über den Gartenzaun Beziehungen aufzubauen, von ihrer Persönlichkeit her. Aber die können locker, weil sie die entsprechende Location haben, ihr Haus öffnen für irgendwelche Partys, Feiern und Tischgemeinschaften, und dann kochen sie.
Und dann gibt es die Bringer, die die Kontakte haben, und es gibt die, die das Setting vorbereiten. Und das ist ja dann auch Leib Christi: dass wir uns mit unseren unterschiedlichen Gaben an der Stelle helfen. Das sollten wir stärker in den Blick nehmen.
Wie machen wir es gemeinsam als Gemeinde und nicht so, dass jeder denkt: „Jetzt muss ich in der nächsten Woche meinen Nachbarn an meinen Tisch kriegen.“ Das ist vielleicht an manchen Stellen gar nicht möglich, weil die Nachbarn nicht zugänglich sind oder aus anderen Gründen.
Aber gemeinsam diese Prozesse zu steuern – da bin ich schon auch dankbar. Denn das ist die positive Seite: dass man als Gemeinde diese Schritte als Gemeinschaft gehen kann.
Ja, danke dir.
Philipp, welches Buch würdest du bezüglich Gemeinde-Alltagsmission empfehlen?
Also klar, „Gemeinde mit Mission“, unbedingt lesen, wenn ihr es noch nicht kennt. Aber ich meine jetzt ein anderes Buch.
Ganz demütig nenne ich jetzt mal mein eigenes. Ich bleibe beim Klassiker, auch wenn das vielleicht ein bisschen hoch ins Regal gegriffen ist. Bevor wir dieses etwas einfacher zugängliche Buch selbst geschrieben haben, haben wir immer gesagt, Leitungskreise müssten in der Lage sein, das Buch „Center Church“ (deutsche Ausgabe) von Tim Keller gemeinsam durchzuackern.
Das ist jetzt nicht die allerleichteste Lektüre, aber ich glaube, wenn man das mal wagen würde, hätte man großen Gewinn. Es gibt manches andere Gute, aber ich würde sagen, das wäre auf jeden Fall eine lohnenswerte Lektüre.
Da finden sich auch manche Gedanken ein bisschen runtergebrochen in unserem Buch. Aber man kann ja auch mal zum großen Original greifen. Sehr ausgewogen, sehr ausbalanciert. Da werden nicht unterschiedliche Modelle gegeneinander ausgespielt, sondern man lernt aus verschiedenen Blickrichtungen, und das ist sehr hilfreich.
Ja, es hat ein paar hundert Seiten, aber es lohnt sich, kann ich auch sagen. Ich habe es auch gelesen.
Wir verlinken es auch in den Show Notes.
Welchen Tipp hast du für unsere Podcasthörer und Zuschauer, den sie gleich umsetzen können? Was kann jeder Einzelne gut machen?
Spontan fällt mir ein: Am kommenden Sonntag im Gottesdienst bewusst darauf zu achten, wen ich nach dem Gottesdienst sehe, den ich noch nicht kenne. Dabei ist es egal, ob ich weiß, ob die Person Christ ist oder ob ich sie nur lose kenne. Ich gehe einfach auf diese Person zu.
Wichtig ist, es nicht so zu machen: „Hey, bist du neu hier?“ Und dann sagt die Person in der größten Gemeinde: „Nein, ich komme schon seit sechs Jahren.“ Das ist natürlich peinlich. Stattdessen könnte man sagen: „Ich bin Philipp, ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Wollen wir zusammen Kaffee trinken?“
Es geht darum, innerlich dieses Sich-nicht-nur-um-sich-selbst-Drehen zu durchbrechen. Statt mit den Leuten aus der eigenen Kleingruppe zusammenzustehen, fängt man in kleinen Schritten an, einen gastfreundlichen Blick für Fremde zu entwickeln. Das kann jeder tun.
Du hast ja nach einem Tipp gefragt. Dafür muss ich nicht bis Sonntag noch Center Church lesen oder Ähnliches. Es reicht, einfach zu üben: „Ich bin am Sonntag nicht nur für mich da.“ Natürlich kann ich auch mit meinen Freunden reden, das ist wichtig und christliche Gemeinschaft ist wichtig. Aber als Gemeinde haben wir einen Auftrag.
Wenn wir nicht lernen, unsere nichtglaubenden Mitmenschen, Menschen, die fremd sind und nicht zum Inner Circle gehören, wahrzunehmen, dann fehlt uns vielleicht die grundlegende Haltung. Ohne diese Haltung können wir keine wirksamen missionarisch-evangelistischen Prozesse starten und steuern.
Vielen Dank, Philipp. Wir sind damit zum Ende gekommen. Vielen Dank für deine Zeit und den wertvollen Input.
Ja, es hat mich ermutigt, diesen hoffnungsvollen Realismus zu leben und weiterzumachen, auf Hoffnung hin zu säen. Wir haben eine geniale Botschaft. Alltagsmission im eigenen Umfeld zu leben, Menschen zu begegnen, die Christus noch nicht kennen, und das auch vorzuleben, ist sehr wichtig.
Danke für die vielen guten Anregungen. Wenn ihr Fragen oder Anregungen habt, schreibt uns gerne an machbar@heuckelbach.org. Teile auch deine eigene Erfahrung als Alltagsmissionar in unserer Community.
In der Alltagsmission sind wir keine Einzelkämpfer. Philipp hat es gerade gesagt: Wir stehen gemeinsam da. Jeder hat unterschiedliche Qualitäten und Fähigkeiten. Der eine ist der Beziehungsmensch, der Leute heranführt, der andere kann das Evangelium sehr gut erklären und ist sprachfähig.
Wir sind nicht allein unterwegs, sondern wollen uns gegenseitig Tipps geben, ermutigen und zusammenarbeiten.
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Lasst uns auch wissen, wie ihr in eurer Gemeinde Alltagsmission ganz praktisch gestaltet. Was habt ihr als hilfreich erlebt, um kirchenferne Menschen mit dem Evangelium zu erreichen? Schreibt uns eure Erfahrungen.
Für jede Einsendung gibt es übrigens ein nützliches Machbar-Giveaway. Ich habe hier das Gebetsjournal, das ganz frisch gedruckt ist. Es kann dir helfen, ganz konkret für Menschen aus deinem Umfeld zu beten. Es enthält einige gute Anregungen. Wir geben es dir gerne. Wenn du uns deine Adresse schickst, senden wir es dir kostenfrei zu.
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Ich sage tschüss, bis zum nächsten Mal. Und dir auch nochmal tschüss, Philipp. Herzlichen Dank, dass du dabei warst.
Vielen Dank, tschüss!