Einleitung
Das Unser Vater ist wohl das bekannteste Gebet der Christen und das zu Recht, denn mit diesem Gebet lehrte Jesus seine Jünger beten. Von daher ist es ganz gut, dass wir uns die nächsten Sonntage mit diesem Gebet beschäftigten. Heute werden wir besonders Matthäus 6,9 betrachten, aber ich möchte auch noch etwas zu den Hinführungsworten von Jesus sagen.
I. Gott will weder Selbstdarstellungen noch Geplapper
Bevor Jesus seine Jüngern eine Mustergebet zeigte, erklärte er ihnen zwei grundsätzliche Dinge.
In Israel gab es viele Menschen, die ihre Gebete in der Öffentlichkeit verrichteten. Gut sichtbar stellten sie sich in die Synagogen und an die Strassenecken, so dass sie von den Menschen gut beobachtet werden konnten. Ähnlich wie die beiden Jungs, die August Hermann Francke beobachtete, sie knieten und beteten miteinander. Er freute sich sehr über diese beiden Jungs. Doch hörte er plötzlich den einen zum andern sagen: "Du, habe ich heute nicht schön gebetet?" Jesus sagt: Diese Leute haben ihren Lohn schon erhalten. Sie suchen in ihrem Gebet nicht die Nähe Gottes, sondern die Bewunderung der Menschen. Diese Bewunderung bekommen sie und so haben sie, was sie wollten erhalten. Jesus sagte: Wenn Du beten willst, geh in dein Zimmer, schliess die Tür, und dann bete zu deinem Vater, der auch im Verborgenen gegenwärtig ist. Matthäus 6, 6.
Das ist keine Aussage Jesu gegen das gemeinsame Gebet, aber Jesus will hier deutlich machen, wie persönlich das Gebet ist. Es geht in erster Linie um Gott und mich. »Ein Redner, der die Vereinigten Staaten besuchte, musste telefonieren. Es war bereits am eindunkeln, als er die Telefonzelle betrat. Obwohl an der Decke eine Lampe sichtbar war, gab sie kein Licht, wie er sich das aus seiner Heimat gewohnt war. Er versuchte eine Nummer im Telefonbuch, aber konnte mangels Licht, die Nummer nicht finden. Eine Passant erkannte seine Not und rief ihm zu: »Herr, wenn Sie Licht haben wollen, dann müssen Sie die Tür schliessen.«
Wenn wir Licht haben wollen, dann ist es gut, wenn wir uns zurückziehen und mit unserem Vater sprechen. Jesus sagt sogar: Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dich belohnen. Matthäus 6, 6
Einen zweiten Grundsatz zeigte Jesus auf: Es nützt nichts, wenn wir viele Worte machen. Der Grund: Denn euer Vater weiss, was ihr braucht, und zwar schon bevor ihr ihn darum bittet. Matthäus 6, 8. Es nützt nichts Gott mit Formeln und Floskeln zu bearbeiten. Es ist überflüssig. Auch hier, ist nichts gegen ein ausgedehntes Gebetsleben gesagt, aber es ist etwas gegen das hirnlose Gebet gesagt, gegen Gebetsmühlen.
Wie tief Gott solche religiösen Praktiken verabscheut können wir an seiner Aussage durch den Propheten Amos sehen: Der HERR sagt: »Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht ausstehen. (Amos 5, 21)Eure Brandopfer und Speiseopfer sind mir zuwider; das gemästete Vieh, das ihr für das Opfermahl schlachtet, kann ich nicht mehr sehen. (Amos 5, 22)Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder! Euer Harfengeklimper ist mir lästig! (Amos 5, 23)Jesus lehrt die Jünger nun beten.
II. Gott wohnt im Himmel
Zuerst, am Beginn des Gebets, wird klar benannt, wer angesprochen wird. Unser Vater im Himmel! Matthäus 6, 9. Das ist ganz wichtig, dass wir wissen, wen wir ansprechen und es ist ausserordentlich wichtig, dass Gott weiss, ob wir ihn meinen. Es werden in dieser Welt viele Götter angerufen, da möchte der Schöpfer schon wissen, ob wir wirklich ihn meinen. Wir sprechen in diesem Gebet nicht irgendeinen Gott an, sondern unseren Vater, der im Himmel wohnt. Unser Gott ist nicht von dieser Welt, sondern er steht quasi über der Welt.
Diese sichtbare Welt könnte die Herrlichkeit Gottes gar nicht fassen. König Salomo baute Gott einen grossartigen Tempel in Jerusalem, doch bei der Einweihung des Tempels betete er: Aber bist du nicht viel zu erhaben, um bei uns Menschen zu wohnen? Ist doch selbst der ganze weite Himmel zu klein für dich, wieviel mehr dann dieses Haus, das ich gebaut habe. (1. Könige 8, 27)Dieser riesige Tempel war tatsächlich zu klein für Gott. Salomo wusste, dass der Tempel nur als Symbol der Gegenwart Gottes dienen konnte. Ein Ort, den Gott ganz besonders in den Augen behält, aber nicht wo er sich niederlassen kann. Paulus sagte den Griechen in Athen: Gott, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschen erbaut wurden. Apostelgeschichte 17, 24. Wie sollte er auch? Er lebt in einer ganz anderen Dimension. Einige Propheten bekamen einen kleinen Einblick in diesen Ort, wie z.B. Micha, der schrieb: Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen. Rechts und links vor ihm stand das ganze Heer der Engel. (1. Könige 22, 19)Es ist ein Ort, zu dem wir keinen Zugang finden können – noch nicht. Paulus schrieb über den Wohnort Gottes: Er, der als einziger Unsterblichkeit besitzt und der in einem unzugänglichen Licht wohnt, er, den kein Mensch je gesehen hat und den kein Mensch je sehen kann. 1. Timotheus 6, 16.
Mose gehört zu den Menschen, die einen kurzen Augenblick ihres Lebens einen ganz kleinen Einblick in die Herrlichkeit Gottes erhielten. Mose hatte sich das erbeten. Er wollte Gott sehen. Gott versprach ihm, dass er ihm nachsehen darf, er könne ihn aber nicht in seiner ganzen Herrlichkeit sehen, denn sonst müsste er sterben. In einer Wolke kam der HERR auf den Berg herab, stellte sich neben Mose und rief seinen Namen aus. (2. Mose 34, 5)Er ging an Mose vorüber (2. Mose 34, 6)Die Reaktion des Mose ist erstaunlich. Da warf sich Mose anbetend vor dem HERRN nieder. (2. Mose 34, 8)Wie wunderbar es an dem Ort sein muss, wo Gott wohnt, sehen wir bei den Jüngern, die Jesus auf dem Berg der Verklärung sahen. Zuerst erlebten sie es ähnlich wie Mose, Matthäus schreibt: Die Stimme versetzte die Jünger so sehr in Schrecken, dass sie sich zu Boden warfen, mit dem Gesicht zur Erde. Matthäus 17, 6. Doch dann, machte Petrus Jesus einen Vorschlag, der zeigt, wie wunderbar der Ort sein muss, an dem Gott wohnt: Meister, wie gut ist es, dass wir hier sind! Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elia. Lukas 9, 33.
Bibelstellen zum Nachschlagen:2. Mose 33, 20; 2. Mose 34, 1-9; 1. Könige 8, 27; 1. Könige 22, 19; Matthäus 17, 6; Lukas 9, 33; Johannes 1, 18, ; Apostelgeschichte 7, 48; Apostelgeschichte 17, 24; 1. Timotheus 6, 16
Das wunderbare ist, dass Gott, der so erhaben ist, der an einem wunderbaren Ort wohnt, wo jeder von uns gerne sein möchte, wenn er nur könnte. Dieser Gott, ER ist unser Vater! Wir haben einen Vater im Himmel! Er wohnt nicht im weissen Haus, er wohnt nicht im Buckingham Palast oder sonst an einem herrschaftlichen Ort, was ja alles ganz nett wäre. Nein, unser Vater wohnt im Himmel, einem Ort, der alle Paläste dieser Welt übertrifft, ein Ort, der nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist.
Als in Indien ein Missionar daran ging, das NT in das Tamilische zu übersetzen, da schlug ein eingeborener Helfer als Übersetzung von 1. Johannes 3, 1 vor: »Sehet, welch eine Liebe hat uns der König erzeigt, dass wir den Saum seines Gewandes fassen dürfen.« – »Nein meinte der Missionar, es muss heissen: Sehet welche Liebe hat uns der Vater gezeigt, dass wir seine Kinder heissen sollen!« – »O, das ist zuviel für uns.«
Diesen mächtigen Gott dürfen wir Vater nennen. Paulus schrieb den Römern: Der Geist, den ihr empfangen habt, macht euch nicht zu Sklaven, sodass ihr von neuem in Angst und Furcht leben müsstet; er hat euch zu Söhnen und Töchtern gemacht, durch ihn rufen wir, wenn wir beten: „Abba, Vater!“ Römer 8, 15. Normalerweise fürchten wir uns vor einflussreichen Leuten. Normalerweise fürchten sich Menschen vor Göttern, sie machen viel, um sie zu beschwichtigen. Aber – durch den Glauben an Jesus – hat sich etwas ganz fundamentales verändert. Du kannst heute ein Kind Gottes werden. Das ist ganz einfach. Im Johannesevangelium steht nämlich: All denen, die Jesus aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden. Johannes 1, 12.
Aber es kommt noch viel besser, denn ein Kind Gottes zu sein ist nicht einfach eine schöne Redewendung, die uns durch das Leben hilft. Dass Gott unser Vater ist und wir seine Kinder, hat einen wichtigen rechtlichen Aspekt: Wir sind dadurch Erben geworden! Paulus meinte: Wenn wir aber Kinder sind, sind wir auch Erben – Erben Gottes und Miterben mit Christus. Dazu gehört allerdings dass wir jetzt mit ihm leiden, dann werden wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben. Römer 8, 17. Wir werden in der Herrlichkeit keine fremden Leute sein, die scheu herumstehen werden und sehen ob sie vielleicht noch etwas abbekommen. Nein, wir sind rechtmässige Erben. Wer in dieser Welt kein Erbe in Aussicht hat, der kann sich freuen, wenn er an Jesus glaubt und ihm folgt, wird er ein Erbe antreten, dass einfach alles in den Schatten stellt.
Bibelstellen zum Nachschlagen:Psalm 103, 13; Johannes 1, 12; Epheser 3, 14-15; Römer 8, 14-17; 2. Korinther 1, 3; Galater 4, 6; 1. Johannes 3, 1;
Noch was: wir sind Geschwister, keine Einzelkinder. Jesus fordert hier die Jünger nicht auf zu beten: Mein Vater. Das würden wir heute vermutlich tun, weil wir der einzelnen Person soviel Bedeutung geben und weil wir uns gerne in den Mittelpunkt stellen. Jesus wollte aber, dass niemand den Vater für sich selbst in Anspruch nimmt, sondern dass wir uns in die Gemeinschaft der Kinder Gottes hineingestellt sehen. Im Zentrum steht der Vater und um ihn herum stehen wir als seine Kinder. Wer das Vaterunser von Herzen betet, ist von seiner letzten Einsamkeit erlöst. Denn es gibt in Gottes Reich keine Einzelkinder. Christen sind keine versprengten Einzelkämpfer mit ihrem Glauben jeder für sich. Kinder gehören unter Kinder und Gotteskinder unter Gotteskinder. Christen gehören in eine Gemeinde. Manche Christen benehmen sich wie Schmetterlinge, sie flattern von Konferenz zu Konferenz. Aber in ihrer eigenen Gemeinde sind sie schwer zu fassen wie ein Stück Seife in der Badewanne. Die Anrede "unser Vater" erinnert uns daran, dass wir in eine verbindliche Gemeinschaft gestellt sind.
John Wesley, der Gründer der Methodisten-Kirche in England, hatte einmal in einem merkwürdigen Traum erlebt, wie Gott die Gemeinschaft seiner Kinder sieht. Er war gestorben und wanderte in die Ewigkeit. Da kam er an ein grosses Tor und klopfte an. "Ist hier der Himmel?", fragte er. "Nein", war die Antwort, "hier ist die Hölle!" Er erschrak, aber dann fragte er weiter: "Gibt es hier Leute von der englischen Kirche?" - "Ja, sehr viele!" - "Gibt es hier auch Baptisten?" - ,,Ja, sehr viele!" - "Gibt es hier auch Lutheraner?" - "Ja, sehr viele!" - Und dann dachte er an seine eigne Kirche und fragte: "Gibt es hier auch Methodisten?" - "Ja, sehr viele!" - Erschrocken eilte er weiter und kam an die Himmelstür. Wieder fragte er: "Gibt es hier im Himmel Methodisten?" - "Nein, keinen einzigen!", war die Antwort. Tief betrübt fragte er weiter: "Sind etwa Lutheraner hier?" - "Nein!" - "Aber vielleicht Leute von der englischen Kirche oder Baptisten?" - "Nein, auch nicht!" - "Ja, was für Leute sind denn im Himmel?" - Da hörte er das Wort: "Hier gibt es nur arme Sünder, die durch das Blut von Jesus am Kreuz reingewaschen sind!"
Maleachi schrieb: Haben wir nicht alle denselben Vater? Hat nicht der eine Gott uns alle geschaffen? Warum handeln wir dann treulos aneinander und entweihen so den Bund, den Gott mit unseren Vorfahren geschlossen hat? (Maleachi 2, 10)
III. Gott ist heilig
Die Ehre Gottes soll hochgehalten werden. Dein Name werde geheiligt. Matthäus 6, 9. Das verbietet uns von Gott dem Vater zu sprechen, als ob er ein gutmütiger Opa sei, den man doch nicht so ernst nehmen muss. Es verbietet uns respektlos vom Vater im Himmel zu sprechen und ihn gar zu beschimpfen, wie man das leider manchmal sogar in christlichen Kreisen hört. Da wird ein Christ in einem Interview gefragt: Klagen Sie Gott manchmal an? Wie? Wenn ich mit meinem Schicksal hadere, klage ich Gott sicher auch manchmal an. So spontan kommt mir gerade nichts in den Sinn. Offensichtlich wird es unseren Kreisen als Selbstverständlichkeit gesehen, dass wir Gott ab und zu anklagen. Da möchte ich wirklich zur Vorsicht mahnen. Dein Name werde geheiligt. Matthäus 6, 9. Aber was müssen wir unter dieser Bitte verstehen. Wie heiligen wir den Namen Gottes? Oder anders herum gefragt: Wie entheiligen wir seinen Namen?
Wir entheiligen Gott, dadurch, dass wir ihm nicht ganz vertrauen und uns sogar auf andere Götter, Talisman, unseren Verstand oder was auch immer verlassen. Darauf ist Gott sehr allergisch. Zu seinem Volk sagte Gott: Hört, ihr Leute von Israel, was der Herr, der mächtige Gott, zu euch sagt: »Tut, was ihr wollt; dient euren Götzen! Ihr werdet schon sehen, wie es euch dann ergeht. (Hesekiel 20, 39)Das Gebot, wir sollen keine anderen Götter neben unserem Vater im Himmel haben, ist Gott ganz und gar ernst.
Wir entheiligen den Namen Gottes, wenn wir seine Gebote verachten. Wenn es uns nur um uns selbst geht, wenn wir die Armen vernachlässigen. Gott sagte durch den Propheten Amos: Ihr giert sogar nach der Asche auf dem Kopf der Verzweifelten und wendet jeden Trick an, um die Schwachen um ihr Recht zu bringen. Vater und Sohn missbrauchen dasselbe Mädchen. Mit all dem befleckt ihr meinen heiligen Namen. (Amos 2, 7)Was nützt es, wenn wir mit unseren Worten Gott ehren, ihm schöne Lieder singen und mit unseren Taten Schande über seinen Namen bringen?
Gott ist nicht unser Kumpel. Er ist der heilige Gott, er ist unser heiliger Vater, und er soll durch unsere Worte und unser Leben geehrt werden. Wie leicht wir da die Perspektive verlieren können wird uns im Maleachi vor Augen geführt: Ihr bringt mir als Opfer ein blindes Tier und denkt: 'Das ist doch nicht schlimm!' Ihr bringt mir ein lahmes oder krankes Tier und denkt: 'Das ist doch nicht schlimm!' Versucht das doch einmal beim Statthalter! Meint ihr, daß ihr damit seine Gunst gewinnen könnt?« sagt der HERR, der Herrscher der Welt. (Maleachi 1, 8)»Gottes Name ist zwar in sich selbst heilig; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei uns heilig werde.« Wenn wir den Namen Gottes heiligen, werden wir Lichter in dieser Welt sein. So wie Jesus sagte: So soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten: Sie sollen eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. Matthäus 5, 16.
Bibelstellen zum Nachschlagen: 2. Mose 20, 39; 3. Mose 20, 3; 3. Mose 22, 32; Psalm 115, 1; Maleachi 1, 8; Matthäus 5, 16; Offenbarung 4, 8-11
Schlussgedanke
Einmal werden wir bei unserem Vater in der Herrlichkeit sein, denn unser Vater wohnt an einem wunderbaren Ort. Wir als seine Kinder werden das Reich Gottes erben. Diese Möglichkeit hat uns Jesus vorbereitet. Deshalb starb er am Kreuz für uns. Jesus sagt: Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich. Johannes 14, 6. Amen