Der Apostel Paulus hat sich in seinen Beispielen nicht gescheut, in die Erfahrungen und Erlebnisse seiner Mitmenschen einzugreifen. So nimmt er ein Beispiel aus dem Sport, und deshalb dürfen wir auch heute einen Blick darauf werfen.
In 1. Korinther 9,24-27 heißt es: Wisst ihr nicht, dass die, die in der Aschenbahn laufen, alle laufen, aber nur einer den Siegespreis empfängt? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder, der kämpft, enthält sich aller Dinge. Jene empfangen einen vergänglichen Kranz, wir aber einen unvergänglichen.
Ich laufe aber nicht wie ins Ungewisse, ich fechte nicht wie jemand, der in die Luft schlägt. Vielmehr züchte ich meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde.
Die Faszination des Sports und die Gefahr der Zuschauerrolle
Herr, hilf uns, dass wir laufen! Amen!
Vor zwölf Tagen fand in Amerika ein aufsehenerregender Boxkampf statt. Er wurde bei uns in Deutschland um drei Uhr fünfundzwanzig am frühen Morgen übertragen. Ich habe es mir nicht nehmen lassen, aufzustehen, um dieses Schauspiel mitzuerleben.
Was mich am meisten verwunderte, war, als ich zum Fenster hinausschaute, dass meine ganze Umgebung erleuchtet war. Viele Fenster leuchteten! Ich habe eine sportbegeisterte Nachbarschaft, die sich das nicht entgehen lassen wollte.
Es ist ja eine peinliche Sache: Zwei arme Kerle verhauen sich, und Millionen Menschen auf der Welt amüsieren sich daran. Zwei Aktive und Millionen Zuschauer – welch krasses Missverhältnis! Das ist vielleicht beim Sport das Schlimmste: Es gibt so viele Zuschauer. Wenn man jemanden fragt, ob er sportlich sei, sagt er natürlich: „Sehr sogar.“ Und wenn man fragt, was er denn macht, heißt es: „Fußball und so.“ Wann denn? „Samstags auf der Gegengerade im Stadion.“ Das ist dann ein Sportbetrieb.
Das hat Paulus gemein, deshalb hat er dieses Bild genommen. Er meint, dass es bei Christen ähnlich sei: Man verfällt immer wieder dem Fehler, die Zuschauerrolle einzunehmen und ausschließlich Zuschauer zu bleiben. Das kann man ja sehr engagiert und begeistert tun. Sport kann sogar jeden noch faszinieren – bis hin zu den Ältesten unter uns, die selbst bei den Olympiaden noch voller Bewegung die Medaillen zählen, die die deutsche Bundesrepublik erzielt hat, oder traurig sind, wenn ein großes Länderspiel verloren geht. Das ist Zuschauerbegeisterung, die jeden mitreißt.
Und das war die Not, die schon in den ersten Gemeinden begann: Dass man über Jesus reden kann – in der Zuschauerrolle. Man kann große Themen diskutieren über die Ewigkeit, über das Leben der Christen. Wir haben das ja mit den Konfirmanden jetzt ein Jahr lang getan. Wir haben immer über das Thema geredet, wir waren Zuschauer.
Die Konfirmanden haben das gern getan und gesagt, sie wollten das auch kritisch tun, die anderen Christen daraufhin ansehen, ob die richtig laufen und ob sie in ihrem Leben wirklich aktiv sind. Aber heute dreht es der Apostel Paulus um und sagt: Jetzt interessiert mich, ob ihr aktiv seid.
Und das ist ein Problem, wenn man darüber predigt – das hat Paulus selbst gemerkt. Deshalb sagt er, dass er nicht anderen predigen will und selbst verwerflich wird. Wir Pfarrer stehen hier in erster Linie in Gefahr, dass wir schön darüber reden und es nicht leben, dass wir große Worte machen und sie nicht verwirklichen können.
Deshalb wollen wir das jetzt ganz auf uns beziehen.
Die Bedeutung eines aktiven Christenlebens
Ich möchte meiner Gewohnheit treu drei Punkte herausgreifen.
Erstens: Aktiver Christenstand lohnt sich. Man sagt oft, im Sport sei die Hauptsache, dabei gewesen zu sein. Das erzählt man den jungen Leuten und meint, es sei gar nicht so wichtig, ob man gewinnt – Hauptsache, man hat mitgemacht. Das ist sicher ein schöner ethischer Gedanke: Es ist nett, dabei gewesen zu sein. So wie bei Kim Ki, der beim 30-Kilometer-Skilanglauf in Grenoble bei den Olympischen Spielen erst am Ziel ankam, als der Sieger schon im Hotel war und sein Dessert verzehrte. Man sagte, das sei wahre Sportbegeisterung, dass er trotzdem noch zu Ende lief, auch wenn er keine Chancen mehr hatte.
Aber das stimmt nicht ganz. Wer ein wenig den Sport verfolgt, weiß, dass es den Sportlern um den Siegespreis geht. Warum war Christa Zechmeister so traurig? Oder gestern Colombon, als er stürzte und sich in einem Tor verfing? Da kommen manchmal Tränen in die Augen, weil es eben nicht nur darauf ankommt, dabei gewesen zu sein, sondern darauf, zu siegen. Im Christenleben kommt es nicht darauf an, dass man einmal in einer Kirche saß, schöne Worte hörte und Lieder sang, sondern darauf, den ganzen Preis zu bekommen, den Lohn. Man soll sagen können: Mein Christenleben hat sich wirklich gelohnt, da war etwas drin.
Was denken Sie, wenn zwei Boxer ihre Beute teilen und ihre Gage aufteilen? Da ging es diesmal, glaube ich, um mehrere Millionen. Die wissen genau, worum es geht. Warum sind Sie heute Morgen gekommen? Was wollen Sie haben? Was soll sich für Sie lohnen? Was wollen Sie kriegen? Jesus hat doch deutlich gesagt, dass er nicht vordergründig mit ein paar billigen Hilfen zufrieden ist, nicht mit ein paar einfachen Geschenken für die nächsten drei Tage, nicht mit ein bisschen Gesundheit oder Fortkommen. Das will er nicht.
Wissen Sie, was der Siegespreis der Christen ist? Dass wir in dieser Welt nicht nur Reichtümer sammeln, eine Familie gründen, Häuser bauen oder Ehre bekommen, sondern dass der ewige Jesus Christus sich in unserem Leben sichtbar verherrlichen will. Er will uns begegnen, sich in den kleinen Nöten unseres Lebens zeigen, in der Schwachheit unseres Leibes und in der Unvollkommenheit unserer Persönlichkeit. Er will sich erweisen als der Herr, der ein Leben umgestaltet.
Und das lohnt sich. Das ist der Preis, um den es geht. Wahrlich, dies Kleinod verlohnt den Streit. So heißt es in dem Lied von Allendorf: „Streitet nur unverzagt, seht auf die Krone! Selber der Herr wird den Siegern zum Lohne geben.“ Das ist der Siegespreis der Christen.
Wenn wir hier im Gottesdienst zusammensitzen oder zu Hause die Bibel lesen, dann haben wir einen großen Ehrgeiz, ein Ziel. Wir wollen das gar nicht kümmerlich verstehen, als ginge es nur um ein paar besänftigende Gefühle. Wir wollen nicht leer von hier weggehen. Wir wissen, Menschen können uns Jesus nicht geben, sie können uns nur darauf hinweisen. Aber wir wollen ihn haben, Jesus haben, damit er mit uns in diese kommende Woche hineingeht.
Was hilft uns eine Zuschauerhaltung? Was hilft es, nur von anderen zu hören, was sie empfinden oder in ihrem Glauben erleben? Wir wollen ihn haben, wir wollen ihn finden.
Den toten Punkt im Glaubensleben überwinden
Das Zweite: Man muss den toten Punkt überwinden. Wer schon einmal selbst Sport gemacht hat, weiß, dass dieser tote Punkt in allen Sportarten kommt. Die Zuschauer wissen das nicht. Sie können schnell ein Pfeifkonzert anstimmen und sagen: „Da, der ist in einer Formkrise, unser Libero in unserer Fußballmannschaft oder unser Stürmer. Den wechseln wir aus.“
Und der arme Mann, der das mitmacht – was jeder Mensch fortwährend mitmacht –, muss einen toten Punkt überwinden. Statt ihn aufzumuntern und ihm eine Stütze zu geben, pfeifen sie ihn aus. Wer selbst gelaufen ist, etwa 3.000 Meter, weiß, dass nach etwa 1.500 Metern das erste Mal dieser tote Punkt beginnt. Wenn die ersten Kraftreserven vorbei sind, denkt man: „Jetzt könnte ich mich einfach in der nächsten Kurve links in den satten grünen Rasen fallen lassen und mich hinlegen. Es ist alles ganz egal.“
Dann gibt es Traumbilder, die einen beschäftigen. Man denkt: „Jetzt könnte ich im Liegestuhl liegen und Cola trinken.“ Und immer hört man das Stampfen auf der Aschenbahn.
Ihr lieben Konfirmanden, wenn ihr Christen sein wollt, aktive Christen, müsst ihr wissen, dass ihr fortwährend mit einem toten Punkt kämpfen müsst. Das traurigste und verlotterste Leben dieser Welt, das eines Menschen, der nie lachen kann, wird euch plötzlich noch leuchtend erscheinen. Denn das sind die Halluzinationen, die gerade Christen gern am toten Punkt haben: dass man plötzlich denkt: „Wirf es doch weg, sei doch nicht so unvernünftig, lass es doch, es lohnt sich doch nicht.“
Manchmal denkt man als junger Mensch, vielleicht geht dir doch das ganze Leben verloren, wenn du dich nicht einfach hineinstürzt und das nimmst, was die anderen so billig vom Leben mitnehmen – dieses Oberflächliche. Vielleicht macht es dich doch satt.
Eine Mutter sagt: „Ich höre jetzt eben auf mit meinen Kindern, ich schaffe das nicht mehr, und ich lasse sie jetzt einfach ihren Weg gehen.“ Sie erliegt am toten Punkt den Trugbildern.
Alte Menschen versinken plötzlich in der Traurigkeit und meinen: „Was soll ich immer gegen diese dunklen Schatten ankämpfen? Ich lasse es einfach. Ich glaube nicht mehr, dass mein Glaube mich fröhlich macht, und ich glaube einfach nicht mehr, dass ein Alter eine erfüllte Zeit sein kann.“
Es gibt ja furchtbar viele Versuchungen. Deshalb sagt Paulus: „Ich betäube meinen Leib, ich betäube meinen Leib.“ Die einzige Gefahr im Leben eines Christen kommt von mir selbst. Verstehen Sie doch bitte jetzt, warum wir in unseren Gemeindeveranstaltungen gewisse Themen so ungern ansprechen. Nicht, dass uns die Nöte in Chile oder sonst wo auf der Welt nicht bewegen – natürlich bewegen sie uns. Auch die Inflation und andere Probleme.
Aber wir sehen eine viel, viel größere Not: das ist mein Leib, mein Leben, meine Gefühlswelt. Diese wird mir fortwährend in meinem Christenlauf zur Anfechtung und hindert mich daran, das Ziel zu erreichen. Sie jagt mich hierhin und dorthin, sodass ich gar nicht konzentriert meinen Lauf vollenden kann.
Deshalb sagt Paulus: Es gibt eigentlich bei Christen immer nur ein Thema. Das soll auch in der Verkündigung vorne stehen. Daraus ergeben sich dann die anderen Antworten, zum Beispiel wie ich meinen Leib betäuben kann, wie ich meinen toten Punkt überwinden kann.
Dieser tote Punkt ist, dass ich als Vater meiner Familie nicht die Liebe ausstrahlen kann, die ich gern meinen Kindern geben möchte. Wir haben oft mit unseren Konfirmanden darüber gesprochen, dass das tote Punkte sind. Dass wir eine Konfirmandenstunde nicht so harmonisch durchführen können, wie wir es eigentlich wollten, weil der tote Punkt kommt: mein Leib und Leben, dass ich nicht die Geduld habe.
Und weil mir das fehlt, fehlt mir das Laufen auf dieses eine Ziel, das Paulus nennt: „Ich möchte zur Auferstehung der Toten gelangen. Ich möchte, dass dieser Christus, der mich ergriffen hat, auch jetzt in dieser Welt mich schon prägen und verwandeln kann, damit ich anderen Menschen etwas von der großen Freude weitergeben darf, die ich empfangen habe.“
Das ist doch unser Ziel, oder? Dass wir hier nicht zu Gericht sitzen über eine böse Welt. Natürlich gibt es in der Welt Unfrieden, Krieg und Ungerechtigkeit. Aber woran wir leiden, ist, dass wir uns immer wieder von unserem Leib und unseren Gefühlen wegtreiben lassen.
Paulus sagt: „Ich betäube meinen Leib, ich will laufen, ich will das Ziel erlangen, ich will Christus fassen in meinem Leben und von ihm ergriffen sein. Ich züchte meinen Leib und zähme ihn.“ Manche meinen, das sei heute nicht modern. Das war es noch nie. Auch zur Zeit der Griechen war es nicht modern. Das alte militärische Leben der Spartaner war auch nur eine falsche Fiktion eines erfüllten Lebens.
Es lohnt sich nur, sich zu züchten und zu zähmen, um einen Preis zu gewinnen. Und das hat Jesus deutlich gesagt, als er von der Perle sprach: Er beschenkt sie. Sie brauchen ihm nichts zu opfern.
Wenn Sie ein erfülltes Leben haben wollen, dann müssen Sie sich züchten und zähmen. Das kostet viel Mühe, zum Beispiel wenn Sie nur 15 Minuten am Morgen still sein wollen. Das ist Betäubung unseres Leibes.
Viel wichtiger wollen wir morgen früh die Schlagzeile lesen, ob wirklich gestreikt wird oder nicht. Viel wichtiger ist uns, dass wir noch ein Telefongespräch erledigen, mit unserem Familienangehörigen reden oder einen Streit weiterführen, als dass wir uns darauf konzentrieren, dass in dieser Woche Jesus selbst uns treiben kann.
Die Notwendigkeit der Zielorientierung im Glaubenslauf
Dann sind wir schon beim letzten Punkt: Konzentration aufs Ziel ist nötig. Ich möchte noch einmal daran erinnern, was wir gesagt haben: Ein aktiver Christenstand lohnt sich. Es gibt einen Preis, und zwar nicht nur einen vergänglichen Kranz.
Man muss den toten Punkt überwinden und sich nun auf das Ziel konzentrieren. Emil Zátopek, der Weltrekordler und Olympiasieger, hat selbst davon berichtet, wie er bei jedem Lauf an diesem toten Punkt leidet. Er kann ihn nur überwinden, indem er sich bei jeder Runde vorstellt: „Jetzt kommt das Ziel. Wenn ich durch die letzte Kurve durch bin, dann bin ich da.“ Und dann läuft er immer noch eine Runde weiter. Er kann sich das Ziel nur ganz nah vorstellen, das Ziel vor Augen haben. Sonst kann man es nicht überwinden.
Wenn Sie von hier weggehen, vom Gottesdienst, möchte ich Ihnen sagen: Die kommende Woche werden Sie ohne diese Konzentration aufs Ziel nicht schaffen. Die ganze Woche wird ganz anders aussehen, als Sie ahnen. Sie werden ein nervenzerrissener Mensch werden, ohne Freude und Gelassenheit. Die Kämpfe dieser Welt werden Sie überwältigen, wenn Sie nicht ganz nah das Ziel vor Augen haben. Wenn Sie nicht gleichsam auf Du und Du mit der Ewigkeit leben.
Nur wenn Sie das haben – die Ewigkeit hell in die Zeitleuchte hinein – dann werden uns das Kleine klein und das Große groß erscheinen. Dann können Sie laufen und das Ziel erreichen.
Als ich noch im Jugendkreis der Johannesgemeinde war, wollte ich einmal einen ganz berühmten, weltbekannten Sportler einladen, dessen Namen Sie wahrscheinlich alle noch kennen. Er war sehr angetan und sagte: „Ich würde eigentlich gern kommen, aber ich habe so viele Termine. Hören Sie, ich war auch mal im CEFIM.“ Ich hatte damals nicht den Mut, nachzufragen, warum es eigentlich aufgehört hat.
Sicher war keine böse Absicht dahinter. Es hat einen nur herausgetrieben, weil man das Ziel nicht mehr sah und weil andere Ziele stärker wurden.
Das heißt nicht, dass wir uns in dieser Welt nicht an allem freuen dürfen. Es heißt nicht, dass wir uns nicht in unsere Berufsarbeit hineinstürzen können. Nein, aber diese Berufsarbeit, unser Familienleben, die Freude an den Menschen und an der Natur bekommen erst ihren Sinn von der Ewigkeit her. Dann kann uns das, was in dieser Welt vergeht, nicht mehr zerstören.
Was auch immer in der kommenden Woche kommt, ob wir plötzlich an Gräbern stehen – wenn ich auf Du und Du mit der Ewigkeit lebe, mit Konzentration aufs Ziel, dann kann ich das einordnen in meinen Lauf und überwinden.
Ich kann es ertragen, wenn treue Menschen mich verlassen oder wenn ich enttäuscht werde. Ich kann es ertragen, weil ich meine Heimat vor Augen habe, mein Ziel, auf das ich zulaufe.
Eine Angst treibt mich um: Dass keiner von uns in der Ewigkeit fehlen möge.
Über dem ganzen Neuen Testament liegt der Ernst, dass man verloren gehen kann. Dass man dabei war, mitgelaufen ist, dann Zuschauer wurde und am Ende nichts hat.
Paulus sagt: Lauft so, dass ihr das Ziel erlangt. Dafür leben wir.
Amen.