Einführung in das Thema Zeitgeist und Gottesgeist
Unser Gesamtthema heute war ein ziemlich großes, nämlich der Zeitgeist und der Gottesgeist. Zeitgeist bedeutet, wie die Menschen denken, empfinden und ihr Leben gestalten. Ich habe euch deutlich gemacht, dass dies stark von der Kultur und dem Land abhängt, in dem man lebt, ebenso von der Zeit und der Generation, in der man lebt. Heute spielt auch die Szene, in der du dich befindest, eine Rolle.
Das heißt, ob du eher zur Mittel-, Unter- oder Oberschicht gehörst oder ob du dich mehr ökologisch orientierst – all das führt zu bestimmten Entwicklungen. Manche davon verbinden sich allgemein in der Gesellschaft.
Wir haben jetzt einige dieser Entwicklungen betrachtet. Mir war es wichtig, immer wieder klarzumachen, dass viele dieser Entwicklungen nicht von vornherein böse sind. Als Christen sollten wir nicht die Meinung vertreten, dass alles Neue deshalb schlecht oder böse ist. Nur weil etwas neu und unbekannt ist, ist es nicht automatisch böse.
Gleichzeitig müssen wir bei allem, egal ob neu oder alt, überprüfen, was uns prägt. Zuerst sollten wir wahrnehmen, was auf uns wirkt. Dazu können wir zum Beispiel einmal bewusst durch Zeitschriften blättern und darüber nachdenken, was wir so aufnehmen.
Diese Wahrnehmung sollten wir analysieren und mit dem Anspruch vergleichen, den wir aus der Bibel kennen. Dabei ist es wichtig, ehrlich den biblischen Anspruch an uns herankommen zu lassen. Wir sollten nicht von vornherein das, was die Gesellschaft uns sagt und wie sie uns prägt, als das Natürliche oder Richtige ansehen, sondern es auch einmal durch die Bibel in Frage stellen.
So können wir uns korrigieren, erst innerlich die Überzeugung gewinnen, dass wir etwas verändern wollen, und dann äußerlich Wege finden, wie wir es verändern können. Denn nur die Einsicht, dass etwas falsch ist, führt nicht automatisch dazu, dass wir auch anders handeln. Die Einsicht ist eine Sache, ...
Die Herausforderung der Umsetzung von Einsicht in Handeln
Ihr werdet das manchmal erleben: Ihr alle wisst, dass Lügen falsch ist. Trotzdem gibt es wahrscheinlich keinen von euch als Christen, die ihr heute hier seid, der nach der Bekehrung noch nie gelogen hat.
Vielleicht denkt ihr jetzt: „Wie schlecht denke ich von euch?“ Nein, ich denke gar nicht schlecht von euch, ich denke realistisch. Das ist vollkommen klar, weil ich euch ein bisschen kenne. Manche sogar etwas näher, da sie schon an der Bibelschule waren. Aber ich kenne mich selbst auch gut.
Ich weiß, dass ich seit über dreißig Jahren Christ bin. Klar habe ich in dieser Zeit gelogen – und nicht nur einmal. Manches Mal sogar ohne es bewusst zu planen. Es war einfach so: Da war eine Frage, ich habe schnell geantwortet, und das aus verschiedenen Motiven. Manchmal aus Unsicherheit, manchmal um eine Diskussion abzukürzen. Schnell habe ich gelogen, und hinterher dachte ich: „Hey, warum hast du das Falsche gesagt?“
So eine eher unproblematische Sache ist vor einiger Zeit passiert: Ich hatte mit meiner Frau abgemacht, sie in der Stadt abzuholen, und ich kam zu spät. Da dachte ich: „Was sage ich jetzt?“ Das eigentliche Problem war, dass ich mich an der Bibelschule verquatscht hatte. Es kamen noch Schüler, die etwas wissen wollten, ich habe mit ihnen geredet, und plötzlich waren eine Viertelstunde, zwanzig Minuten vergangen – die Zeit war weg.
Was mache ich jetzt? Wenn ich meiner Frau sage, ich hätte mich verquatscht, fragt sie vielleicht: „Warum hast du das nicht früher gesagt? Warum bist du nicht vorher losgefahren?“ Das wäre eine lange Diskussion. Dann sehe ich meine Frau an der Straßenecke warten. Was sage ich ihr? Ich sage: „Es war zu viel Verkehr.“
Das ist eine Lüge, ganz klar. Innerlich habe ich mich dann etwas gerechterfertigt: Ja, tatsächlich waren auffällig viele rote Ampeln auf der Fahrt. Sicher hat der Verkehr auch ein bisschen dazu beigetragen. Vielleicht war ich wegen des Verkehrs zwei, drei Minuten später. Aber zwanzig Minuten Verspätung lagen am zu langen Reden.
Solche Situationen zeigen mir oft, dass ich lüge, ohne es groß zu planen oder böse Absichten zu haben. Es passiert ganz spontan und falsch.
Genauso kann es passieren, wenn wir stark von unserer Umgebung geprägt sind – von dem Denken und den Werten, die uns umgeben. Diese beeinflussen irgendwann unser Leben, indem wir so handeln, wie wir denken.
Je mehr wir uns aber von Gott prägen lassen, desto weniger wird das passieren. Umso seltener werden wir lügen. Stattdessen handeln wir dann immer öfter so, wie Gott denkt und handelt.
Jesus ähnlicher werden als Ziel christlicher Prägung
Das ist ja genau das, was mit „sich prägen lassen“ gemeint ist – Jesus ähnlicher zu werden. Ich fühle, denke und empfinde immer stärker: Wenn Jesus das will, wenn Gott das will, dann wird auch die Umgebung, die mich prägt, nicht mehr so starken Einfluss auf mich haben.
Zum Beispiel: Du siehst einen Film und irgendwann ekelt er dich nur noch an. Dann denkst du dir: „Wie blöd!“ und schaltest ihn einfach aus. So hast du den ganzen Abend noch frei, was ein zusätzlicher positiver Nebeneffekt ist.
Manchmal kann man sich auch gegenseitig so stimulieren. Bei uns fing das vor etwa zehn Jahren an, als wir unseren Fernseher abgeschafft haben. Damals sahen wir noch ab und zu einen Film. Ich erinnere mich an einen Film, den wir vor ungefähr zehn Jahren gesehen haben – ich weiß gar nicht mehr, welcher das war. Das ist ja erlaubt, oder? Meine Frau sagte damals: „Der Film ist doch blöd, komm, lass uns abschalten.“ Ich habe aber argumentiert: „Vielleicht wird er ja noch besser.“ So haben wir den Film bis zum Ende angeschaut – und er war bis zum Schluss blöd. Auch sonst hatte er keinen Inhalt.
Auf jeden Fall war ich danach etwas verärgert, weil ich mir so einen blöden Film angesehen hatte und meine Frau sogar noch eine Auseinandersetzung hatte, die sie nicht wollte, während ich den Film zu Ende sehen wollte.
Kurz darauf habe ich mich revanchiert: Titanic kam heraus. Ich empfand Titanic als einen Schmalzfilm. Außerdem hatte ich in einer Zeitschrift gelesen, dass alle Leonardo DiCaprio lieben. Ich dachte mir: „Na, hoffentlich nicht meine Frau, sondern ich!“ Ich fragte sie, und sie sagte, Leonardo sei nicht ganz ihr Typ. Trotzdem wurde in dem Film alles so aufgebaut, dass es richtig romantisch wirkt – für die ganze Familie. Der Film ist ja nicht erst ab sechzehn freigegeben, sondern für ein jüngeres Publikum.
Als wir den Film durchgeschaut hatten, habe ich mich revanchiert und gesagt: „Dieser Leonardo ist doch wirklich ein blöder Typ. Das stimmt doch alles gar nicht, was der da macht. Er ist doch nur ein Lügner.“ Tatsächlich ist das nicht aus der Luft gegriffen. Wenn man den Film genau betrachtet, ist er total unmoralisch.
Zum Beispiel: Wodurch verdient der Kerl seine Überfahrt nach Amerika? Durch Glücksspiel. Das ist doch kein gutes christliches Beispiel.
Außerdem bändelt er mit einer jungen Frau an, obwohl er weiß, dass sie verlobt ist. Das ist auch nicht in Ordnung.
Dann gehen sie gerade zwei Tage zweimal tanzen unter Deck. Schließlich sieht man, wie sie in einer Kutsche zusammen schlafen. Da wird natürlich nur von außen gezeigt, wie die Kutsche wackelt, und wie sie später wieder herauskommen. Aber jeder weiß, was sie darin getan und getrieben haben.
Diese scheinbar so schöne romantische Liebesgeschichte ist aus christlicher Sicht eigentlich unmoralisch.
Ich habe meiner Frau dann gesagt: „Guck mal, du findest die Liebesgeschichte schön, aber sie ist an mehreren Stellen unmoralisch. Dieser Kerl ist böse und so weiter.“ Ich musste mich dabei auch selbst noch retten, damit nicht nur Leonardo der Held ist, sondern ich der Held bleibe.
Losgelöst davon ist es tatsächlich so, dass dem Zuschauer unterschwellig vermittelt wird, dass das, was die beiden tun, ganz in Ordnung ist.
Wie funktioniert das? Unter anderem dadurch, dass der Verlobte als ein ekliger Typ dargestellt wird. Er ist zwar nicht böse, aber ein Langweiler, etwas formal und herzlos. Deshalb hat man den Eindruck: „Sie kann gar nicht anders, als zu Leonardo, dem Jack im Film, zu gehen.“
Sie kennen sich nur zwei Tage, haben einmal miteinander getanzt, sind einmal zusammen betrunken gewesen und lagen dann im Bett. Als Christ ist das eigentlich ziemlich unmoralisch.
Doch im Film werden durch die Gefühle, die geweckt werden – das könnt ihr mal überprüfen –, die wenigsten Zuschauer denken: „Ach, wie unmoralisch und schlimm!“ Die meisten fühlen mit und denken: „Ah, jetzt haben sie sich, und wie lieben sie sich! Würde mein Mann oder meine Frau mich auch so lieben?“
In Wirklichkeit ist das aber kein Vorbild, das da vermittelt wird. Weil die Emotionen so stark gewichtet werden – durch Musik und Bilder – wird gerechtfertigt, dass sie als Verlobte mit einem anderen Mann zusammen ist, obwohl sie sich kaum kennen und er moralisch nicht vorbildlich ist. Fromm ist er schon gar nicht.
Genau so funktionieren diese Beeinflussungen durch Medien. Uns werden emotionale Vorbilder gegeben. Emotional sagen wir „Ja“, aber unser Verstand sagt „Nein“. Und das, was auf Dauer mehr prägt, ist diese emotionale Stellungnahme.
Einfluss emotionaler Medien auf Jugendliche und Gesellschaft
Ich erinnere mich, dass ich einmal mit ein paar Jugendlichen gesprochen habe. Eigentlich waren es nicht nur ein paar Jugendliche, sondern meine Tochter und ihre Schwester waren dabei. Eine von ihnen hatte in einer Zeitschrift einen Artikel gelesen. Es ging um das Thema „Ich bin im falschen Körper geboren“. Der Artikel erschien in der Bravo.
An der christlichen Schule wurde dieser Artikel zwar nicht von den Lehrern, aber von den Schülern weitergegeben. Meine Tochter las ihn, kam nach Hause und sagte zunächst: „Das ist doch Quatsch, das stimmt doch gar nicht.“ Doch später war sie vehement davon überzeugt, dass es doch stimmt. Warum? Weil der Artikel sehr emotional aufgebaut war.
Dort wurde ein Junge von etwa 13 oder 14 Jahren interviewt. Er erklärte, er habe schon immer gewollt, ein Mädchen zu sein. Dazu gab es ein sehr kitschiges Bild in der Bravo. Der Junge trug ein Kleid und Zöpfe, so wie Mädchen es eigentlich heute nicht mehr tragen – richtig übertrieben mädchenhaft, um die Aussage zu unterstützen.
Daneben wurde ein Psychologe zitiert, der sagte, wenn man sich selbst so fühlt, verstehen viele Eltern das nicht. Es gab Hinweise auf Sorgentelefone und Hilfsangebote, die dabei helfen, die eigene Sexualität zu entwickeln – all so etwas.
Der Artikel war so gut geschrieben, dass meine Tochter erst überzeugt war, das stimmt wirklich. Sie stellte sich wahrscheinlich vor, wie es wäre, morgens plötzlich im Körper des anderen Geschlechts aufzuwachen. Gerade in der Pubertät wäre das besonders schlimm. Für junge Mädchen wäre es also wahrscheinlich nicht erstrebenswert, plötzlich im Körper eines Jungen aufzuwachen.
Doch in Wirklichkeit ist das nicht so. Der Artikel arbeitet nur emotional. Ich habe dann auch ein bisschen dagegen argumentiert, etwas polemisch, um einen Effekt zu erzielen. Ich sagte: „Was wäre, wenn ich morgen aufwache und dir sage, ich bin ein Hund? Dann würdest du doch auch sagen: ‚Hundehütte, Gassi gehen und so?‘ Nein, du würdest sagen, du hast wahrscheinlich seelische Probleme und musst zum Psychologen. Du bist kein Hund.“
Genau so ist es bei diesem Jungen. Jede Zelle seines Körpers sagt: „Ich bin ein Junge.“ Wenn er sagt: „Ich bin ein Mädchen“, dann ist das ein psychisches Problem. Man muss ihm helfen, sein Jungesein anzunehmen. Man sollte nicht sagen, weil er ein psychisches Problem hat, müsse er jetzt als Mädchen umgebaut werden.
Denn wie gesagt: Alles in seinem Körper – die Hormone, jede einzelne Zelle mit den XY-Chromosomen – sagt: „Ich bin ein Junge.“ Hier liegt eine Irritation oder Fehlentwicklung in der sexuellen Identität vor, und dem muss man helfen.
Das würde heute wohl jeder so sehen. Bei anderen Dingen ist das ähnlich. Was ist zum Beispiel, wenn jemand aufwacht und sagt: „Ich liebe nur Kinder“ – also Pädophilie? Das ist eine sexuelle Störung. Da würde man sagen, du brauchst eine Therapie.
Aber bei der Geschlechtsidentität könnte man genauso argumentieren: „Warum, das fühlt er so, dann ist er halt so, das muss man ihm ermöglichen.“ Das würden wir heute nicht sagen, weil wir hier noch eine Hemmschwelle haben. Diese Hemmschwelle ist schwer logisch zu vertreten, aber sie ist durch die Geschichte geprägt.
Genau dieselbe Hemmschwelle gab es früher bei Homosexualität. Da sagte man: „Das gibt es doch nicht, Männer lieben doch keine Männer.“ Man meinte, das sei eine Fehlentwicklung und müsse behandelt werden. Heute sagt man das nicht mehr. Heute gilt Homosexualität als normal, und Ähnliches wird bei anderen Themen auch kommen.
Gesellschaftliche Entwicklungen und Gesetzesinitiativen im Wandel
Ich habe vorhin im Kleinkreis gesagt, dass es in der letzten Woche in der Schweiz einen Gesetzesantrag des Bundesrats gab. Es geht um ein neues Bundesgesetz, das Inzest straffrei stellen soll.
Der Grund dafür ist, dass man sagt: Wenn Eltern mit ihren Kindern oder Geschwister untereinander im gegenseitigen Einverständnis zusammenleben oder eine Beziehung haben, dann sei das in Ordnung. Sie lieben sich ja, und deshalb solle es keine Strafe geben. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet, es handelt sich bisher nur um einen Antrag.
Für mich ist dieser Antrag keine Überraschung. Ich denke, es ist eine notwendige Weiterentwicklung des Grundgedankens: Du und dein Gefühl sind absolut. Wenn dein Gefühl dir sagt, dass du jemanden liebst, dann musst du das tun. Niemand darf dir dabei im Weg stehen oder dir sagen, dass es falsch ist.
Man sagt natürlich auch, dass man dann darauf achten muss, keine Kinder zu bekommen. Falls doch ein Kind entsteht, soll man es abtreiben oder vorher gute Verhütungsmittel verwenden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Denn bei Verwandten besteht eher die Gefahr von genetischen Problemen. Aber wenn man das unter Kontrolle hat – und das ist heute möglich – dann soll man miteinander schlafen dürfen.
Hier empfinden viele wahrscheinlich noch eine gewisse Abneigung. Man denkt: „Das ist ja komisch, das ist blöd, das macht man doch nicht.“ Aber in der Gesellschaft, wenn man erst einmal akzeptiert, dass das eigene Gefühl absolut und unhinterfragbar ist, dann stellt sich die Frage: Warum eigentlich nicht? Warum sollten wir sagen, es ist nicht so?
Letztendlich sagen wir das, weil wir glauben, dass Gott es nicht will. Gott sagt dazu Nein. Das ist für uns das entscheidende Argument. Warum? Weil wir Gott vertrauen, der uns geschaffen hat. Er weiß am besten, was für uns gut oder schlecht ist. Das gilt in allen Lebensbereichen, auch in diesem.
Vermischung von Glauben und weltlichen Interessen in christlichen Kreisen
Eine andere Entwicklung des Zeitgeistes, von der ich hier stellvertretend einige Beispiele nennen möchte, ist die Vermischung von Glaubensfragen mit Dingen, die eigentlich nichts mit dem Glauben zu tun haben. In den letzten Jahren kommt es immer häufiger vor, auch gerade in christlichen Kreisen, dass Glaube mit Themen verbunden wird, die gar nichts mit dem Glauben zu tun haben. Manchmal geschieht dies, um eigene Interessen durchzusetzen, manchmal geht es einfach ums Geldverdienen.
Zum Beispiel findet man Psychoratgeber zu Erziehung oder Ehe, die man durchliest und in denen eigentlich nichts von der Bibel steht. Man kann sagen, das sind ganz normale Ratgeber, die die Weltanschauung widerspiegeln, wie sie gerade vorherrscht. Weil sie aber im christlichen Kreis vertrieben werden, sind dort noch fünf Bibelverse eingefügt. Diese könnte man jedoch genauso gut weglassen. Trotzdem werden diese Ratgeber als christlich verkauft.
Es gibt auch Formen christlicher Psychotherapie, zum Beispiel die biblisch-therapeutische Seelsorge. Darin sind viele gute Ansätze enthalten, aber manches davon ist einfach eins zu eins die momentan gültige psychologische Deutung, die als christlich ausgegeben wird, obwohl sie es nicht wirklich ist. Das ist ein Problem, denn Christen treten mit demselben Anspruch und missionarischen Anliegen auf, solche Inhalte zu verbreiten, obwohl sie nicht wirklich christlich sind.
Man spricht auch von einer Professionalisierung der Seelsorge. Diese führt oft dazu, dass in Gemeinden kaum noch echte Seelsorge betrieben wird. Ich habe zum Beispiel mit einem Ehepaar gesprochen, das in einer Gemeinde lebt – ich nenne keine Namen, damit keine falschen Ideen entstehen. Dort wird ein seelsorgerliches Gespräch vom Pastor angeboten, aber als Erstes heißt es: Du musst mir hundert Euro bezahlen. Seelsorge ist hier professionalisiert, weil der Pastor eine Ausbildung hat und deshalb wie ein Psychotherapeut bezahlt werden muss.
Das kann es doch wohl nicht sein. Seelsorge als professionelle Dienstleistung? In der Bibel ist Seelsorge ganz klar: Jeder in der Gemeinde kann Seelsorge leisten. Sie geschieht ganz einfach, wenn man beim Kaffeetisch zusammensitzt, sich austauscht, fragt: Wie geht es dir? Was machst du? Dann betet man zusammen. Wenn jemand ein Problem hat, trägt man es gemeinsam, gibt ein paar Tipps oder ermutigt mit Bibelversen. Wenn Seelsorge auf diese Weise geübt wird, gibt es viel seltener schwere Fälle.
Schwere Fälle entstehen meistens, weil jahrelang keine Seelsorge praktiziert wurde und die Probleme immer größer wurden, weil niemand wusste, wie damit umzugehen ist. Ich erinnere mich zum Beispiel an unsere Zeit als jung verheiratetes Paar in einem Hauskreis. Dort war ein anderes jung verheiratetes Ehepaar dabei, außerdem zwei Ledige. Wir haben gegenseitig Seelsorge geübt. Gab es Probleme mit den Kindern, hat der eine den anderen getröstet, gesagt: „Das ist bei mir auch so, probier das mal.“ Wir beteten füreinander und riefen uns gegenseitig an. Das war eine sehr intensive, gute Form von Seelsorge. Viele Probleme sind so gar nicht erst groß geworden.
Wir haben uns gegenseitig als Ehepaare geholfen, und das hat einen sehr intensiven, guten Kontakt geschaffen. Ich glaube, das ist auch in der Gemeinde so: Jeder ist befähigt, Seelsorge zu üben. Warum? Nicht, weil man dafür ausgebildet ist, sondern weil man den Heiligen Geist hat, hoffentlich die Bibel kennt und eigene Lebenserfahrung mitbringt. Man kann nicht zu allen Themen etwas sagen, das muss auch gar nicht sein. Aber die meisten Fälle von Seelsorge sind keine hochkomplexen oder psychopathischen Probleme. Es sind ganz normale Situationen: Jemand ist entmutigt, jemand frustriert, jemand müde, jemand hat Konflikte mit dem Ehepartner und weiß nicht, wie er damit umgehen soll.
In solchen Fällen können wir alle Seelsorge üben. Ich habe den Eindruck, dass es im christlichen Bereich eine Entwicklung hin zur Professionalisierung gibt – aber im falschen Kontext und Zusammenhang. Das führt eher dazu, dass Menschen in der Gemeinde entmutigt und frustriert sind. Sie trauen sich nicht mehr, Seelsorge zu leisten. Sobald jemand sagt: „Hier gibt es ein Problem“, wird zuerst nach einem christlichen Psychotherapeuten gesucht. Das kostet oft viel Geld, das sich manche nicht leisten können. Deshalb gibt es dann gar keine Seelsorge mehr.
Die Ratschläge, die gegeben werden, sind häufig keine biblischen Ratschläge mehr. Mehrfach habe ich erlebt, dass ein Ehepartner zu einem christlichen Psychotherapeuten geht, der sich als biblisch-therapeutisch ausgibt, und dann gesagt wird: „Trenn dich von deinem Ehepartner, lass dich scheiden!“ Dabei denke ich: Wenn es um Eheratgeber geht, müssten zumindest grundlegende biblische Prinzipien beachtet werden. Diese lauten nicht: „Lass dich scheiden“, sondern vielmehr: „Wir wollen alles unternehmen, damit ihr wieder zusammenfindet.“
Ein anderes Beispiel: „Dein Mann engt dich zu sehr ein, du musst dich befreien, dich aus der Bevormundung deines Mannes lösen.“ Das wird als christlich-therapeutische Seelsorge verkauft. Mehrere solcher Fälle kenne ich persönlich, bei denen Ehen nicht wegen der Probleme, sondern aufgrund solcher Ratschläge in der christlich-therapeutischen Seelsorge gescheitert sind. Das ist völlig daneben.
Hier zeigt sich ein Einfluss des Zeitgeistes auf die Gemeinde, der das, was Gemeinde hat und haben kann, vollkommen zerstört. Psychotherapie und Psychologie können uns eine Hilfe sein, aber nur als Hilfswissenschaft, wenn wir sie unter dem Dach christlicher Werte und Ethik anwenden. Wenn wir in der Ethik und den Werten klar sind, dass die Ehe erhalten und gerettet werden soll, kann Psychologie unterstützend sein.
Zum Beispiel kann ich in meinem Buch über Gesprächsführung lehren, wie man mit seinem Ehepartner spricht. Rede stärker in Ich-Botschaften statt in Du-Botschaften. Solche Tipps sind prinzipiell klar und nicht unbiblisch. Es geht darum, nicht zu sagen: „Du bist blöd“, sondern: „Ich empfinde es so.“ Das ist ein erster Vorteil, weil der andere zuhören kann und erkennt, dass es dein Empfinden ist, nicht eine objektive Feststellung. So kann er weniger ablehnen als bei einer direkten Anschuldigung.
Auch kann Psychologie helfen zu verstehen, wie Männer und Frauen typischerweise reagieren. Es gibt Bücher wie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, die solche Unterschiede gut beschreiben. Das kann hilfreich sein. Aber all das muss in die biblischen ethischen Maßstäbe eingebettet und diesen untergeordnet werden, die wir aus dem Wort Gottes ableiten.
Wenn es umgekehrt läuft – man nimmt zuerst den aktuellen Stand der Therapie, fügt ein paar Bibelverse hinzu und verkauft das als christliche Seelsorge – dann kann man die Bibelverse auch gleich weglassen. Das hat mit biblischer Ethik und echter Seelsorge nichts mehr zu tun, sondern ist weltliche Seelsorge mit christlichem Anstrich. Und das schadet der Gemeinde.
Diese Form der Professionalisierung ist ein Problem.
Professionalisierung in der theologischen Ausbildung und ihre Grenzen
Eine andere Form von christlicher Professionalisierung zeigt sich auch im Bereich der theologischen Ausbildung. Dabei muss ich vorsichtig sein, um mich nicht ins eigene Fleisch zu schneiden – schließlich bin ich selbst Bibelschullehrer. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es eine Tendenz gibt, wissenschaftliche Theologie überzubewerten.
Ich habe mehrfach erlebt, dass sich Menschen an christlichen Ausbildungsstätten plötzlich etwas auf ihre Wissenschaftlichkeit einbilden. Sie meinen, deshalb das letzte Wort in der Gemeinde zu haben. Oft ist diese Wissenschaftlichkeit jedoch gar nicht so ausgeprägt. Ich habe länger studiert als die meisten dieser Personen und kann sagen: Das stimmt oft gar nicht, es klingt nur wissenschaftlich.
Das bedeutet, dass unter Christen nicht mehr gilt: „Ich kenne die Bibel.“ Stattdessen heißt es: „Ich habe gelesen, was Barth, Bultmann, Lüdemann, Bengel, Drewermann und viele andere dazu sagen. Ich kenne die Fachbegriffe und kann das einordnen.“ Weniger wichtig ist dabei die geistliche Qualifikation.
Werfen Sie einen Blick in den ersten Timotheusbrief, den ersten Petrusbrief oder den Titusbrief, um die Qualifikationen der Ältesten zu sehen. Wissenschaftliche Ausbildung steht dort nicht als Voraussetzung. Das heißt nicht, dass sie schlecht ist, aber sie ist nicht das Entscheidende.
Dort steht zum Beispiel, dass ein Ältester gütig sein muss, lehrfähig, vor der Welt anständig und nüchtern. Das sind wichtige Kriterien. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Wissenschaftliche Ausbildung ist nicht schlecht. Aber eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit, die geistliche Nachfolge und ein vorbildliches Leben ersetzt, kann nicht funktionieren.
Genau das hat die Kirche gemacht und ist damit gescheitert. Denn das macht den Pastor, Prediger oder Pfarrer nicht aus. Ein Pastor ist anfassbar. Man merkt, dass er sich versteht, dass er so lebt, dass er einem nachgehen kann, sich hineinversetzen kann und vor allem die Bibel kennt.
Ich bemerke immer stärker, dass es in einigen Ausbildungsstätten eine Veränderung gibt – eine falsch verstandene Professionalisierung. Man meint, je mehr Fußnoten man in einer Ausarbeitung setzen kann, desto besser ist man als Pastor. Das ist in der Welt vielleicht so, aber in der Gemeinde kann das nur Schaden anrichten.
Ich kenne manche Doktoren der Theologie, die ich niemals als Gemeindepastor einstellen würde, weil sie menschlich einfach unfähig sind. Und das ist der entscheidende Faktor. Den kann keine Ausbildung, egal wie bibeltreu sie ist, fördern.
Deshalb habe ich auch keine Illusionen, was Absolventen der Bibelschule Brake betrifft. Obwohl wir keine hochwissenschaftliche Ausbildung bieten, sondern wissenschaftlich arbeiten, aber nicht so, wie manche meinen, können auch wir keine Garantie geben. Nicht alle unsere Absolventen sind perfekte Pastoren oder vorbildliche Menschen. Das hängt viel vom einzelnen Menschen ab.
Und das ist das Entscheidende. Eine Schule kann nur Unterstützung, Entwicklungshilfe und Input geben. Was daraus gemacht wird, liegt immer am einzelnen Menschen. Aber gerade das ist entscheidend.
Deshalb spielen bei den Qualifikationen der Ältesten genau diese menschlichen und geistlichen Eigenschaften die entscheidende Rolle.
Hier zeigt sich ein Trend oder gesellschaftlicher Zeitgeist: Professionalisierung, also die Vermischung von weltlichen und geistlichen Dingen auf eine falsche Weise. Auch darauf müssen wir achten.
Finanzielle Vermischungen mit geistlichen Anliegen
Vermischung von weltlichen und geistlichen Dingen hat im letzten Jahr ein aktuelles Beispiel in Form von Geldverdienen erfahren. Einige haben in den letzten Jahren wahrscheinlich häufiger den Namen Paul Traxl gehört, zumindest ich habe ihn öfter gehört – zunächst gar nicht gewollt.
Das begann vor ungefähr einem Jahr. Verschiedene Geschwister, unter anderem Absolventen der Bibelschule oder noch Studenten, sind auf mich zugekommen. Die Schüler sagten dann zu mir: „Michael, da haben wir ein Angebot. Wenn wir 10 Euro bezahlen, bezahlt er uns die ganze Ausbildung und noch mehr.“ Ein ehemaliger Schüler, der in die Mission gehen wollte, musste nur in Anführungsstrichen 60 Euro einsammeln. Dann sollte er bis zum Ende seines Lebens fünf Euro monatlich für die Mission bekommen. Ein tolles Geschäft.
Das klang auch richtig gut. Er wandte sich an mich, schrieb unter anderem, dass er es bei einem Nichtgläubigen gar nicht ernst nehmen würde. Aber da es von einem Gläubigen kam, müsse doch etwas dran sein. Er war allen Ernstes dabei, Geld von Freunden und Bekannten einzusammeln, um darin zu investieren. Ein ehemaliger Bibelschüler ging in die Mission, verkaufte sein Haus und investierte alles dort hinein – warum? Weil es gläubig war.
Ich habe mit einigen Leuten gesprochen und manchen gesagt: „Pass auf, das ist nicht seriös.“ Daraufhin gab es Ärger. Paul Traxl selbst kam auf mich zu und meinte, ich mache das alles falsch. Er lud mich an seinen Firmensitz ein, wir sprachen miteinander. Ich bemängelte immer wieder – und tue das bis heute – die falsche Vermischung zwischen geistlichen und geschäftlichen Dingen.
Der Großteil der Leute, die investierten, tat dies, weil er ein frommer Christ ist und weil gesagt wurde, das Ganze werde für die Sache des Herrn gemacht. Die Werbung lautete: 51 Prozent des Gewinns für Gott und 49 Prozent für dich. Dabei war der Gewinn so großzügig kalkuliert, dass man mit den 49 Prozent sogar reich werden konnte.
Die meisten Anleger gaben nicht nur kleine Darlehen, sondern beispielsweise 240 Euro im Jahr. Das ist eine ganze Menge. Bei der Bank bekommt man vielleicht ein halbes oder zwei Prozent Zinsen, 240 Euro Gewinn im Jahr klingt verlockend.
Ich fragte ihn, ob das nicht Gier und Geiz fördere. Das wird in der Bibel als schlimm angesehen. Er sagte, er habe den Leuten auch schon gesagt, sie sollen nicht gierig werden. Aber wie kann man jemandem so viel Gewinn versprechen, ohne dass Gier entsteht?
Dann fragte ich, was mit dem Geld für Gott passiere. Er antwortete, die 51 Prozent gingen in die Paul-Traxl-Stiftung. Wer hat die alleinige Verfügungsgewalt über diese Stiftung? Paul Traxl selbst. Ich fragte ihn, warum er nicht ein Gremium von guten Brüdern einsetzt, die das Geld verteilen. Er sagte, das mache er alleine.
Das zeigt, dass es nicht wirklich für Gott ist, sondern für ihn selbst. Wenn es ein Ungläubiger wäre, könnte man sagen: „Das Geld ist in der Stiftung, und er hat die Verfügungsgewalt, er kann damit machen, was er will.“ Aber bei einem Christen sollte man mehr erwarten.
Ich fragte weiter, wo es jemals in der Weltgeschichte eine Rendite gab, wie er sie verspricht. Eine garantierte Rendite von 240 Prozent im Jahr gibt es nicht. Das ist völlig unrealistisch, jenseits von Gut und Böse. Die Verbraucherberatung warnt schon bei 20 Prozent im Jahr vor unseriösen Angeboten.
Ich wollte wissen, wie er das macht. Er sagte, durch Devisenspekulation. Das ist an sich schon problematisch, aber woher weiß man, wie sich die Devisenkurse entwickeln? Zwei Leute sind vollzeitlich angestellt, beten dafür, dass sich die Kurse so entwickeln, wie er sie braucht. Sie sagen, sie hätten Gebetserhörungen gehabt und setzten auf den Dollar, der dann stieg. Das ist eine falsche Vermischung von Geschäft und Glauben.
Das klingt alles sehr fromm: Es wird für Gott gebetet und investiert. Dabei war es nicht direkt für Gott investiert, sondern letztlich für die eigene Geldbörse. Wenn du wirklich etwas für Gott geben willst, gib von dem, was du hast.
Hier wurde viel argumentiert: „Wenn ich erst reich bin, dann gebe ich.“ Mit dieser Perspektive werden die Leute nie geben. Das musste ich selbst lernen, als ich als Jugendlicher Zeitungen verteilte, um Geld zu verdienen. Wenn ich nur daran denke, dass ich erst geben will, wenn ich genug Geld habe, werde ich nie geben.
Ich musste lernen, von den wenigen damals verdienten D-Mark etwas zu spenden. Bei Gott kommt es nicht auf die absolute Menge des Geldes an, sondern auf die Bereitschaft zu geben. Daraus kann Gott Großes machen.
In der Bibel wird die kleine Münze der Witwe als Vorbild genannt, nicht die große Summe des Pharisäers. Darauf kommt es an. Bei Gott zählt nicht, dass du erst reich werden musst, um viel geben zu können, sondern gib von dem, was du jetzt hast. Gott kann daraus Großes machen.
Wir müssen klar sagen: Wenn Gott Geld haben will, kann er alles Geld der Welt haben. Dafür braucht er keine windigen Finanzspekulationen. Er könnte zum Beispiel einfach Bill Gates bekehren lassen. Gates hat ungefähr 20 Milliarden. Damit könnte er erst einmal so viel finanzieren, wie eine ganze Gemeinde im Leben nie verdienen wird.
Mir fällt eine Erinnerung ein: Ein Bericht, der vor einigen Jahren in den Nachrichten war, von Opera zur Mobilisation, aufgeschrieben von George Rover. Sie wollten in London eine neue Zweigorganisation aufbauen, hatten aber kein Geld. Die Frage war: Woher nehmen wir das Geld?
Die Lösung kam, als er auf einer Flugevangelisation in Asien war. Dort traf er einen reichen Geschäftsmann aus Singapur oder Indonesien. Einige Wochen später bekehrte sich der Mann. Er sagte: „Es ist toll, dass ich jetzt Jesus kenne. Ich will etwas für euch tun. Was braucht ihr?“ Sie antworteten, sie bräuchten ein Haus in London.
Der Geschäftsmann sagte: „Ich habe ein Haus in London gekauft. Ich stelle es euch kostenlos zur Verfügung.“ Manchmal arbeitet Gott so. Gott braucht keine krummen Wege. Er muss uns nicht erst reich machen, damit wir Geld spenden.
Von dem Geld, das ihr habt, sollt ihr geben und einsetzen. Nicht spekulieren mit dem Gedanken: „Irgendwann habe ich viel und dann gebe ich.“ Solche krummen Wege sind nicht nötig.
Hier ist ein typisches Beispiel, wo geistliche Dinge mit finanziellen Interessen vermischt wurden – sogar höchst unlauter. Die Staatsanwaltschaft muss jetzt recherchieren, weil von den 15 Millionen Euro, die eingesammelt wurden, scheinbar jede Spur fehlt. Das Geld ist verspekuliert oder verschwunden.
Das sind Dinge, die selbst nach weltlichen Maßstäben nicht korrekt laufen. Als Christen sollten wir noch viel empfindlicher sein und Geschäftsideen oder Anlageberatung nicht mit geistlichen Inhalten vermischen.
Ich könnte euch die E-Mail eines ehemaligen Bibelschülers zeigen, der mir schrieb: „Wäre das von einem Ungläubigen gekommen, würde ich gar nicht darüber nachdenken. Aber weil es ein Christ ist, frage ich dich: Soll ich das machen oder nicht?“ So haben viele Leute gehandelt – weil es ein Bruder war, weil es im christlichen Rahmen stattfand und weil es gut für das Reich Gottes sein sollte.
Im Grunde genommen hat man sich aber etwas in die Tasche gesteckt. Es ging nicht in erster Linie um das Reich Gottes, sondern um eine private Geldanlage. Was du mit deinem Gewinn machst, ist deine Sache vor Gott. Aber es rechtfertigt keine zweifelhafte finanzielle Transaktion, nur weil man darüber betet oder verspricht, von dem Gewinn etwas zu geben – der hinterher oft gar nicht da war.
Das ist eine ungute Vermischung von weltlichen und geistlichen Aspekten, die man nicht mehr trennt. Man lügt sich selbst etwas vor, weil man eigentlich weltliche Ziele verfolgt, aber christliche Alibiargumente nutzt, um das Ganze zu rechtfertigen.
Ich hoffe, niemand von euch war Anleger und ist mir jetzt böse, weil ich das Beispiel kritisiere. Aber es hat damit zu tun, dass ich einige Auseinandersetzungen hatte und teilweise auch von Paul Traxl beschimpft wurde, weil er sich sehr darüber geärgert hat.
Für ihn ging es um Geschäft. Ich habe daran keinen einzigen Euro verdient, aber er hat Millionen eingesammelt. Dass er böse war, als ich Kritik übte, ist verständlich. Wenn man einem das Geschäft erschwert, ist das nachvollziehbar.
Trotzdem sollte man aufpassen. Solche Fälle sind kein Einzelfall. Sie sind in den letzten Jahren leider immer wieder passiert und werden es auch in Zukunft tun: falsche Vermischung von geistlichen und weltlichen Dingen.
Weltliche Finanzanlagen sind ein Thema für sich. Man könnte Seminare darüber halten, welche Anlagen ethisch zulässig sind. Aber das Vermischen mit geistlichen Inhalten – und dass Gemeindepastoren Provisionen bekommen, wenn sie in der Gemeinde dafür werben und Leute zum Anlegen bringen – das darf nicht sein.
Wie kann ein Gemeindepastor seinen Schäfchen noch in die Augen sehen, wenn er weiß, dass er sie überzeugt hat und sie ihr ganzes Geld verloren haben? Das ist untragbar.
Ich habe einige Pastoren aufgefordert, sich zu entschuldigen und Buße zu tun. Das geht so nicht. Sie sind Vorbilder ihrer Gemeinde. Sie können solche Dinge nicht empfehlen, einen Mann einladen, der in der Gemeinde wirbt und hinterher so eine Wahrheit präsentiert.
Das führt zu Vertrauensverlust. In der Gemeinde in Wolfsburg sagte mir jemand, dass Junggläubige die Gemeinde verlassen haben und nichts mehr vom Glauben wissen wollen. Sie hatten ihr Geld verloren und waren enttäuscht von dem, was sie als geistlich angesehen hatten.
Das ist eine Folge der falschen Vermischung von geistlichen und weltlichen Dingen. Wir müssen lernen, diese Bereiche klar zu trennen und getrennt zu bewerten. Dabei sollten wir uns immer wieder biblische Maßstäbe vor Augen führen.
Biblische Perspektiven auf Reichtum und Besitz
Wie ist es denn mit Reichtum und Besitz?
Zunächst muss man sagen, dass dies nicht das Schwerpunktthema ist. Sonst würde ich die entsprechenden Bibelstellen noch nennen. Vielleicht kennt ihr sie ja auch. Es gibt ganz klare biblische Aussagen, die sagen, dass Reichtum ein Geschenk Gottes sein kann. Aber Reichtum ist nicht automatisch an den Segen Gottes gebunden. Manchmal lässt Gott auch Ungläubige reich werden, die dann dennoch unglücklich sind. Die meisten Frommen in der Bibel waren bitterarm.
Natürlich werden gerne Beispiele wie Salomo, Hiob, David oder Abraham zitiert, die reich waren. Aber wie sieht es mit den vielen Propheten aus? Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Joel – waren sie arm oder reich? Arm.
Im Neuen Testament: Wie viele der Jünger Jesu waren durch ihren Glauben reich? Soweit wir wissen, keiner. Jesus, der Sohn Gottes, war materiell nicht reich durch seinen Glauben.
Auch in der Kirchengeschichte: Wo sind die Reichen, die im Werk Gottes Gutes getan haben? Relativ selten. Die meisten, die sich im Reich Gottes ganz eingesetzt haben, waren eher arm.
Ich will nicht sagen, dass man unbedingt arm sein muss. Aber die Verknüpfung von Reichtum, materiellem Besitz und Glauben war für die christliche Welt sehr ungünstig. Sie hat eine völlig falsche Perspektive geschaffen. Dabei wird oft übersehen, wie häufig Jesus im Neuen Testament das Thema Reichtum aus unserem täglichen Leben aufgreift – vor allem die Probleme und den Missbrauch des Reichtums.
Da ist zum Beispiel der reiche Jüngling, der reiche Kornbauer, und in der Bergpredigt wird das Thema zweimal angesprochen: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ oder „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das alles zufallen“. Außerdem heißt es: „Sorgt euch nicht um den morgigen Tag“ und so weiter. Es gibt sehr viele Stellen, die zeigen, dass der falsche Umgang mit materiellen Dingen uns geistlich großen Schaden zufügen kann.
Diese Perspektiven erfordern ein gründliches Bibelstudium. Es ist wichtig, diese Texte genau zu lesen und zu verstehen. Besitz an sich ist nicht schlecht und auch nicht sündig, aber er ist nicht das Wesentliche. Vor allem erfüllt er unser Leben nicht. Er birgt eine große Gefahr, weil wir unser Herz daran hängen können. Wir müssen Besitz richtig einsetzen.
John Wesley hat einmal gesagt: Wenn du viel Geld sparst, bringt das gar nichts. Du könntest es genauso gut ins Meer werfen. Wenn du Geld hast, sollst du es in das Reich Gottes investieren. Nur dann bringt es etwas. Solange das Geld irgendwo herumliegt, nützt es niemandem. Und wenn du tot bist, kannst du sowieso nichts davon mitnehmen.
John Wesleys Worte sind zwar kein Bibelzitat, aber sie geben einen wichtigen Denkanstoß. Diese Themen müssen wir uns auseinandersetzen, um ein biblisches Denken über den Umgang mit materiellen Gütern zu entwickeln. Daraus können wir dann unsere Entscheidungen ableiten – und nicht umgekehrt, dass unser Gefühl oder unsere Sehnsucht nach Reichtum und Glück uns leitet, wie es die Gesellschaft suggeriert.
Die Gesellschaft sagt: Wenn du reich bist, bist du glücklich. Statistische Untersuchungen und die Bibel sagen genau das Gegenteil. Die Bibel spricht von „betrügerischem Reichtum“. Es ist also kein Problem, reich zu sein oder sich daran zu freuen. Aber Reichtum wird nicht die wahre Erfüllung bringen.
Ich habe eine Untersuchung gelesen, bei der mehrere hundert Lottogewinner über Jahrzehnte hinweg beobachtet wurden. Die meisten Lottogewinner wurden durch ihren Gewinn unglücklich.
Ein praktisches Beispiel: Vor ein paar Wochen war ich in einer Gemeinde im Rheinland. Dort traf ich ein Ehepaar, dessen Vater im Lotto gewonnen hatte – nicht ganz eine Million, aber eine beträchtliche Summe, mehrere hunderttausend Euro. Er hat nie darüber gesprochen, weil er Angst hatte, dass Freunde, Bekannte und Verwandte Geld von ihm wollen würden. Also hat er das Geld heimlich auf der Bank gelassen, damit spekuliert und ein Haus gekauft. Einige Jahre später war das ganze Geld weg, weil er finanziell nicht richtig damit umgehen konnte.
Er war unglücklich, weil er den Leuten misstraute. Die anderen fühlten sich hintergangen und waren ebenfalls unglücklich. Am Ende blieb nicht mehr übrig als vorher. Das ist keine Ausnahme, sondern der Normalfall bei den meisten Lottogewinnern.
Viele stellen sich vorher vor, sie würden durch den Gewinn glücklich werden. Das Ergebnis zeigt aber: Die meisten wurden dadurch unglücklich.
Ich will nicht sagen, dass ihr, wenn ihr reich seid, das nicht genießen solltet. Tut es! Aber glaubt nicht, dass Reichtum das Glück ausmacht. Die Welt sagt uns das, aber die Realität und die Bibel sagen etwas anderes.
Eine weitere Untersuchung aus diesem Herbst, durchgeführt an der Universität Bern, zeigt: Wenn du etwas mehr verdienst, fühlst du dich meistens glücklicher. Aber ab einer bestimmten Einkommenshöhe wirst du immer unglücklicher. Das emotionale Glück bei Superreichen ist viel geringer als bei Menschen mit weniger Geld.
Warum ist das so? Du musst ständig Angst haben, was mit deinem Geld passiert. Denk an Sin Merkle, der bei der Wirtschaftskrise zwei Milliarden verloren hat und sich dann vor den Zug geworfen hat – obwohl er noch drei Milliarden besaß. Für uns Normalsterbliche ist das kaum nachvollziehbar. Er war so todunglücklich wegen des Verlustes, obwohl er die verbliebenen drei Milliarden nie in seinem Leben hätte ausgeben können.
Außerdem weißt du nicht mehr, mit wem du wirklich zu tun hast. Viele wollen sich bei dir einschmeicheln. Du weißt nicht, ob sie nur dein Geld wollen oder dich wirklich mögen. Du musst deine Kinder davor schützen, entführt zu werden. Du musst dein Haus mit Sicherheitskameras ausstatten. Du kannst nicht mehr frei draußen spazieren gehen, aus Angst vor Überfällen, Erpressung oder Raub.
Das sind nur einige Ansätze, aber statistisch lässt sich zeigen: Ab einer bestimmten Stufe des Reichtums werden Menschen nicht glücklicher, sondern unglücklicher.
Das betrifft nur das Materielle, ganz abgesehen von der seelischen Leere, die Geld nie füllen kann. Schon das rein Äußere, was man sich leisten kann, hat eine Grenze. Es ist okay, aber wenn es mehr wird, führt es eher zu Druck und Stress.
Ich hoffe, es ist klar geworden: Es geht mir nicht darum zu sagen, Reichtum sei schlecht oder gut. Vielmehr müssen wir zuerst die biblischen Prinzipien im Umgang mit Geld und materiellen Dingen erarbeiten. Danach sollen wir unsere Entscheidungen im Alltag ausrichten – und nicht umgekehrt. Wir dürfen uns nicht vom Zeitgeist prägen lassen, der uns sagt, was „in“ ist, und dann versuchen, das noch biblisch zu rechtfertigen.
Das ist eine ungute Verbindung zwischen Bibel und Zeitgeist.
Abschluss und Einladung zur Diskussion
Ja, jetzt habe ich noch zwei Punkte erwähnt. Eigentlich ist es ein Punkt: die ungute Vermischung zwischen Zeitgeist und Bibel, insbesondere was die Gemeinde betrifft. Dabei geht es um Seelsorge, professionalisierte Seelsorge und akademische Ausbildung, die missverständlich sein kann. Ein Beispiel hierfür ist die Vermischung von biblischen und zeitgeistlichen Prinzipien, besonders im Umgang mit Geld.
An dieser Stelle möchte ich eine kleine Unterbrechung machen und euch die Möglichkeit geben, Ergänzungen oder Rückfragen zu stellen. Meine Zeit ist heute begrenzt, und ich möchte die Runde nicht zu sehr ausdehnen. Mir ist wichtig, dass ihr nicht verärgert seid über mich, denn ich möchte auch in Zukunft gerne wieder zu euch kommen dürfen. Deshalb halte ich die Zeit bewusst etwas kürzer.
Ihr merkt ja, es stecken noch einige Themen in dem Gespräch, und ich möchte euch vor allem zum Nachdenken anregen. Das soll der Sinn dieser Beitragsrunde sein. Ihr könnt Fragen stellen, Ergänzungen bringen, Beispiele nennen oder auch Entgegnungen äußern. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir da einige Beiträge hätten.
Falls gar nichts kommt, werde ich einfach noch ein kleines Thema zum Zeitgeist nachschieben. Ich habe hier auch einige Bücher, die ihr euch später gern ansehen könnt. Zum Beispiel dieses hier, das ich aus dem Auto geholt habe: Es behandelt das Thema Exzess und das Verschwinden des Eigentums. Jeremy Rifkin ist ein amerikanischer Zukunftsforscher, und Matthias Hawkes ist einer der bekannten Zukunftsforscher aus Deutschland.
Außerdem habe ich hier „Globale Trends 2007“, herausgegeben von der Bundesregierung im Bereich politische Bildung. Oder „Next – Wie sieht die Zukunft aus?“ Das sind alles Bücher, die beschreiben, wie Menschen fühlen und denken. Ihr könnt da gerne noch reinschauen.
Also, bitteschön, ihr seid dran!