Einstieg und Gebet zum Beginn der Arbeit
Schön, dass alle da sind und wir heute Nachmittag mit unserer Arbeit beginnen können. Ich gehe davon aus, dass die Liederbücher ausliegen. Es wäre doch hilfreich, jetzt, unmittelbar nach der Mittagspause, mit einem Lied zu starten.
Ich hoffe, das Ziel steht im Buch. Wunderbar! Der Mann kann es schon auswendig: Nummer 160, hundertsechzig. Okay, lass uns das Ziel vor Augen haben: „Hilf mir aufs Neue, im Vertrauen auf deinen Sieg voranzugehen.“
Jesus, der mich so liebt, hilf mir, auf dich zu schauen und nicht nur auf das Ziel. Hilf mir auch, auf dein Vertrauen zu bauen. Dort werden alle Dämmerungen und alle Nächte dieser Zeit in alle Ewigkeit vom Lichtglanz deiner Herrlichkeit verschlungen.
Bin ich versucht, nur auf mich zu schauen und nicht mehr auf das Ziel, hilf mir, aufs Neue zu vertrauen und auf deinen Sieg voranzugehen.
Wir sind sogar schon so munter, dass wir den Tonartenwechsel mitbekommen haben. Vielen Dank für die schöne Begleitung.
Jetzt wollen wir unseren Herrn um seinen Segen und Beistand bitten:
Lieber Jesus Christus, du hast selbst gesagt, dass du unser Lehrer bist. Wir wissen, dass wir auch in der Auseinandersetzung mit den Entwicklungen, die sich speziell in unserer Zeit ereignen, in der Auseinandersetzung mit den Konzepten und Gedankensystemen, die versuchen, deine Gemeinde und uns ganz persönlich in unserem Denken zu verändern, wirklich von dir gehalten sind.
Du lehrst uns zu erkennen, worum es geht. Herr, bewahre uns vor allem Hochmut. Wir wissen, dass wir nicht besser sind als andere und dass wir darauf angewiesen sind, dass du uns leitest. Darum wollen wir dich auch jetzt in der kommenden Stunde bitten.
Dir sei alle Ehre, Amen.
Einführung in das Thema und biblische Grundlage
Zu Beginn ein Wort aus dem zweiten Korintherbrief des Apostels Paulus, als Vorbereitung für die Bibelarbeit morgen. Dieses Thema wird dort noch einmal eine Rolle spielen, und ich werde ausführlicher darauf eingehen. Es beleuchtet einen Aspekt dessen, was Paulus auch zum Schwert des Geistes sagt. Dennoch möchte ich diese Verse voranstellen, weil sie wichtig sind für die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt.
Paulus sagt: „Obwohl wir, also 2. Korinther 10, Vers 3, im Fleisch leben, kämpfen wir doch nicht auf fleischliche Weise. Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig, im Dienste Gottes Festungen zu zerstören. Wir zerstören damit Gedanken – man kann das auch als Gedankengebäude übersetzen – und alles Hohe, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes. Wir nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus.“
Das ist unsere Aufgabe immer wieder, wenn wir uns mit geistigen Strömungen und Entwicklungen auseinandersetzen, die uns herausfordern und vor die Aufgabe stellen: Prüft, prüft alles!
So wollen wir uns heute mit dem Thema Transformation oder Umbruch beschäftigen. Die Frage lautet: Wie kommt das Reich Gottes? Dabei wird es vor allem um den Weg der Emerging Church gehen, im Hinblick auf diese Fragestellung der Transformation.
Kritische Betrachtung aktueller Missionsverständnisse
Vielleicht wundert es, dass ich diesen Vortrag ausgerechnet mit dem Titelblatt der letzten Ausgabe von "dmg informiert" starte, Nummer drei aus dem Jahr 2012. Die Überschrift lautet: "Irrtümer über Mission". Dieses Informationsorgan der DMG ist wahrscheinlich das maßgebliche evangelikale Missionswerk in Deutschland, das viele Missionare aus den unterschiedlichsten evangelikalen Missionen entsendet.
Auf dem Titelblatt sieht man eine Karikatur, die eine traditionelle Vorstellung eines Missionars darstellt. Darunter entfaltet der Leiter dieser Mission, Doktor Detlef Blöcher, das, was er als zwölf große Irrtümer über Mission bezeichnet.
Beim Lesen dieser Liste stutzt man. Einer der angeblichen Irrtümer lautet zum Beispiel: "Mission rettet aus der Welt heraus." Natürlich ist es richtig, dass Jesus uns nicht aus der Welt herausrettet und dass wir die Welt sich selbst überlassen. Aber kann man das wirklich als einen Irrtum der Mission bezeichnen? Dass das Evangelium aus der Welt herausreißt, wird hier in Frage gestellt.
Ein weiterer Irrtum nach Blöcher ist: "Mission bedeutet evangelisieren." In diesem Zusammenhang bekommt dieser Satz den Stempel "falsch" – sehr plakativ: immer falsch, falsch, falsch. Doch wer will schon gerne evangelisiert werden?, fragt Blöcher. Dann fügt er hinzu, dass es im Missionsauftrag eben nicht nur um Mission geht, sondern darum, Menschen zu Nachfolgern zu machen, die alle Lebensbereiche Christus unterordnen. Das ist ja nicht alles ganz falsch. Am Ende wird gesagt, es geht um viel mehr als Evangelisieren. Aber ist dadurch der Satz "Mission bedeutet Evangelisieren" schon falsch?
Ein weiterer Irrtum laut Blöcher ist: "Mission bedeutet vor allem Bibelwissen vermitteln." Natürlich wird kein Missionar vor allem Bibelwissen vermitteln oder nur Bibelwissen als reines Kopfwissen vermitteln wollen. Aber gehört es nicht doch dazu? Es wird ausgeführt, Jesus spricht in der Tat vom Lehren, doch nicht vom reinen Bibelwissen, sondern davon, alles zu halten, was er aufgetragen hat. Gehört das Bibelwissen nicht dazu?
Blöcher fährt fort: Hier geht es um das praktische Leben im Alltag, nicht allein um Fachwissen. Fachwissen, Bibelwissen – ist das so abstrakt? Es sagt doch niemand, dass es allein um Bibelwissen geht. Warum wird das so stark als ein Irrtum plakatiert?
Ein weiterer Irrtum: "Nur Gemeinden gründen, wo keine sind." In dem Text wird dann generell in Frage gestellt, ob Jesus in Matthäus 28 wirklich die Gründung von Gemeinden beauftragt hat. Es wird darauf hingewiesen, dass in den Evangelien nur zweimal das Wort Gemeinde vorkommt, aber – notabene – 70 Stellen über das Reich Gottes. Das Reich Gottes wird dann mal schnell definiert als die Herrschaft von Jesus im Alltag eines Menschen.
Ich darf daran erinnern, dass wir ein ganzes Buch haben, das die Entwicklung der Gemeinde beschreibt: die Apostelgeschichte. Außerdem beschreibt, kommentiert und erläutert der Apostel Paulus in einem Großteil seiner Briefe den Weg der Gemeinde.
Vieles von dem, was hier geschrieben wird, kann man mit gutem Willen und theologischen Präzisierungen noch in eine Richtung bringen, die es richtig deutet. Aber warum diese Karikatur auf dem Cover? Warum diese Infragestellung der Vermittlung von Bibelwissen? Niemand will doch nur Bibelwissen vermitteln. Man stutzt.
Man erinnert sich dann daran, dass derselbe Leiter desselben Werkes im September 2011 von Faktum dazu befragt wurde, ob angesichts der Diskussion über den Begriff Mission und Missionar nicht auch die deutsche Szene darüber diskutieren müsse. Darauf antwortete der Bruder, dass auch sie diese Frage diskutieren, also auch in der DMG darüber gesprochen wird, ob der Begriff Missionar weiterhin verwendet werden soll.
Es gilt stets abzuwägen, ob ein Begriff, der in der Alltagssprache eine andere Bedeutung bekommen hat, noch verteidigt werden kann. Es wird also nicht zurückgewiesen, sondern gesagt: Ja, möglicherweise müssen auch wir als DMG ganz neu den Begriff des Missionars diskutieren.
Wir müssen immer vorsichtig sein, nicht zu kurzschlüssig und zu voreilig Schlüsse zu ziehen. Aber das irritiert.
Immer häufiger begegnen wir der Forderung, dass sich die Evangelikalen stärker der Welt zuwenden müssen – Matthäus 28. Wolfgang Bühner hat es heute Morgen schon gesagt: Die Ziele richten sich gar nicht in erster Linie auf die Evangelisierung der Einzelnen, um sie zu einer Gemeinde zusammenzufügen. Vielmehr müssten sich die Evangelikalen stärker der Welt zuwenden, und zwar sozialdiakonisch.
Dann taucht das Schlagwort der Transformation auf, und die theologische Begründungskategorie, die dafür verwendet wird, ist der Begriff des Reiches Gottes, das in der Welt ausgebreitet werden soll. Das haben wir eben auch schon gehört.
Man fragt sich: Ist diese Transformations-Euphorie nur eine Modeerscheinung? Oder steckt mehr dahinter?
Debatte um die Emerging Church und ihre theologischen Ansätze
Einige von Ihnen haben sicherlich das Streitgespräch in IDEa mitbekommen, das zwischen Martin Erdmann stattfand. Erdmanns Buch, das Wolfgang Bühne heute Morgen vorgestellt und empfohlen hat, ist weder spannend, noch kurz, noch günstig – und trotzdem sollte es gelesen werden.
In dieser Diskussion traf Erdmann auf einen der führenden Vertreter der Emerging Church in Deutschland, Tobias Feix. Feix sagte unter anderem: Das Evangelium zeigt sich auch im sozialen Miteinander. Christus ist gekommen, um die Welt zu versöhnen. Dabei wird der Begriff „versöhnen“ nicht nur auf das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen bezogen, sondern auch auf die horizontale Ebene, also auf die innerweltlichen Beziehungen.
Weiter erklärt Tobias Feix in diesem Interview: Das Evangelium nur auf das persönliche Heil zu beschränken, ist eine Verengung des Evangeliums. Unser eigentlicher Auftrag besteht darin, das Reich Gottes zu bauen. Die klassische Verkündigung, so wie Erdmann sie vertritt, habe nur ein Evangelium für den Mittelstand. In Deutschland leben Millionen Menschen, die durch das Wort allein nicht erreicht werden.
Außerdem stimmt er der Formulierung von Johannes Reimer zu, der gesagt hat, man habe in der Vergangenheit zu einseitig auf evangelistische Verkündigung im Rahmen der Mission gesetzt.
Diese Töne sind uns vertraut und lösen Irritationen aus, weil hier viele Aspekte miteinander vermischt werden. Sollen wir nicht Licht und Salz in der Welt sein? Das hat unser Herr doch gesagt. Salz sein heißt eben auch, sich der Fäulnis – auch der ethischen Fäulnis dieser Welt – entgegenzustellen. „Tut Gutes jedermann“, schreibt Paulus in Galater 6,10.
Andererseits hat unser Herr gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18,36). Grundsätzlich stellt sich die Frage: In welchem Verhältnis stehen Evangelisation und soziale Aktionen? Und noch grundsätzlicher: In welchem Verhältnis steht die Gemeinde Jesu Christi zur Welt?
Die Transformationsschalmeien erklingen von vielen Seiten. Es gibt verschiedene Stränge und Bahnen, über die diese Entwicklungen auf uns zukommen. Denken wir an Warren und seine Rede von der sogenannten Zweiten Reformation, bei der es um eine Wende hin zur Welt geht – und zwar konfessionsübergreifend, also auch mit dem Katholizismus.
Später werden wir noch sehen, wie auch die Entwicklung der Lausanner Bewegung in Richtung dieses Transformationsdenkens zumindest einige Türen geöffnet hat. Dennoch gibt es eine Bewegung, die sich mit ganzem Herzen dieser Frage widmet. Eine Bewegung, die leidenschaftlich darum kämpft, unser Denken an dieser Stelle zu verändern.
Darum müssen wir uns auch mit dieser Bewegung auseinandersetzen, denn wir sollen ja auch transformiert werden. Wir sitzen hier nicht nur als Zuschauer. Wir nehmen wahr, was geschrieben, gesendet und gesprochen wird. Und wir tragen Verantwortung für die nächste Generation.
Wir können nicht einfach die Augen verschließen und uns hier in Zabelstein zurückziehen. So wunderschön es hier auch ist und so gern man hier noch länger bliebe – das wird das Problem nicht lösen. Und es wird auch unseren Kindern und Jugendlichen nicht helfen.
Vorstellung der Emerging Church Bewegung
Die Bewegung nennt sich Emerging Church. Wir haben ja schon auf vergangenen Malachi-Konferenzen einiges dazu gesagt. Sie finden sicherlich noch alte CDs dazu, die ich zum Nachhören empfehlen würde. Auch auf dem Büchertisch gibt es einige einführende Bücher, etwa von Ebertshäuser „Emerging Church – Aufbruch in ein neues Christsein?“ oder von Donald A. Carson „Emerging Church – Abschied von der biblischen Lehre“.
Hier geht es vor allem um ein Problem, das wir heute nicht behandeln können, nämlich wie sich bestimmte Vertreter der Emerging-Church-Bewegung zur Frage des Sühnetodes Jesu äußern. Ein ganz wichtiges Buch dazu ist ebenfalls vorhanden. Wenn Sie ein bisschen verstehen wollen, wie Emerging Church im Rahmen der Postmoderne insgesamt zu verorten ist, dann können Sie noch einmal nachschlagen bei „Evangelisation in der Postmoderne“. Das gibt es alles da vorne.
Ich möchte jetzt noch einmal eine kurze Definition versuchen. Emerging Church versteht sich als eine dynamische Bewegung, die auf die Umbrüche der Postmoderne eine relevante, also stimmige, passende und hörbare christliche Reaktion geben will. Diese Reaktion soll auch wirklich auf die Situation eingehen. Das ist zunächst einmal ein ehrenwertes Unterfangen. Jeder Christ, der weiß, dass wir in der Postmoderne angekommen sind, sollte fragen: Wie können wir darauf reagieren? Wie können wir unsere Zeitgenossen gewinnen?
In der Emerging Church geht das einher mit der Kritik an der traditionellen evangelikalen Bewegung. Diese wird teilweise, und zu Recht, dafür kritisiert, nicht ausreichend sensibel auf die Kultur ihrer Zeitgenossen einzugehen. Das ist ein Punkt, den von einer ganz anderen, sehr konservativen Position aus Francis Schaeffer immer wieder gefordert hat. Er sagte, wir müssen uns mit unseren Zeitgenossen wirklich auseinandersetzen. Wir müssen verstehen, wie sie denken und wie sie leben. Das bedeutet auch immer Kulturanalyse.
Deshalb hat Francis Schaeffer in seinem wunderbaren Buch „Wie können wir denn leben“ eine brillante Entwicklungsgeschichte der Kultur seit der Antike vorgelegt. Es ist ein mutiges Buch, von dem ich hoffe, dass es irgendwann noch einmal neu aufgelegt wird.
Natürlich müssen wir, wenn wir diesen Punkt der Transformation herausgreifen, uns klar machen, dass die Emerging-Church-Bewegung sehr vielgestaltig ist. Nicht jeder einzelne Vertreter stimmt in jeder Frage mit jedem anderen Kollegen überein. Das ist nun mal so. Leider bietet das oft die taktische Ausweichmöglichkeit, zu sagen: „Nee, das sehe ich ja gar nicht so.“
Ich würde dann immer fragen: Hast du dich davon auch schon distanziert? Die Bewegung ist sehr vielgestaltig, aber es gibt doch eine erkennbare gemeinsame Linie.
Emerging Church versteht sich und möchte die Gemeinden dafür gewinnen, sich auch so zu verstehen als ein emergentes System. To emerge heißt eigentlich hervorkommen, heraufkommen. Etwas Neues kommt herauf, entwickelt sich. Sachlich stammt der Begriff zum Beispiel aus der Biologie oder Physik. Ein komplexes, emergentes System, ein Organismus oder eine Gemeinschaft entwickelt sich positiv weiter, wenn es miteinander auf seine Umwelt reagiert und sich veränderten Bedingungen anpasst.
Das ist das Emergenzdenken: Eine Gemeinschaft, verschiedene Faktoren, die miteinander reagieren auf das sich verändernde Umfeld, und dadurch entsteht Neues. Dieser Prozess wird nicht durch eine normative Vorgabe gesteuert oder bestimmt, sondern durch Selbstregulation.
Viel wird von einem Weg gesprochen, auf dem man sich befindet, und von einem Dialog, in den man andere hineinführen will.
In der Franke-Buchhandlung, dem Franke-Verlag, wird jetzt eine ganz neue Buchreihe herausgegeben unter dem Motto „Einfach emergent“. Der erste Band trägt den Titel „Emerging Church verstehen – eine Einladung zum Dialog“. Ganz typisch wird die Emerging Church darin als ein fortwährender Dialog über Fragen beschrieben, die – ganz bescheiden formuliert – für den Fortbestand des Glaubens in einer tiefgreifenden Umwälzung existenziell sind.
Also: Emerging Church ist ein fortlaufender Dialog. Es geht um nicht weniger als den Fortbestand des Glaubens in der Postmoderne zu retten. Das nenne ich mal einen Anspruch.
Grundverständnis und theologische Positionen der Emerging Church
Einer ihrer Vertreter, Fabian Vogt, hat es folgendermaßen formuliert in seinem kleinen Büchlein „Das Einmaleins der Emerging Church“.
Darin sagt er, dass es in der Emerging Church um die Relevanz der Kirche, also der Gemeinde, geht. Man könnte auch sagen, es geht um eine sich rapide verändernde Gesellschaft und damit um die Verbundenheit der Gemeinde mit ihrer Umwelt.
In der Emerging Church trifft die biblische Exegese immer auf die kulturelle Exegese, also die biblische Auslegung auf die Auslegung der Kultur. Dabei kommen Begriffe zum Tragen, die einen ständigen Austausch zwischen beiden, Bibel und Kultur, beschreiben. Dieser Austausch ist gekennzeichnet durch eine radikale Offenheit.
Das ist jetzt wichtig und muss verstanden werden: In diesem Gespräch zwischen Bibel und Kultur gibt es kein Oben und kein Unten, keine Norm. Es gibt keinen feststehenden Maßstab für Wahrheit, an dem die Ergebnisse gemessen werden könnten. Ebenso gibt es keine hierarchische Zuordnung. Es ist ein offenes System, ein Austausch.
Dabei entwickelt sich im Miteinander-Reagieren von christlichen Gemeinden, von biblischer Tradition, von Glaubensgeschichten und von postmodernem Gedankengut ein neues Reaktionsfeld. Aus diesem ergibt sich dann eine neue Form von Christentum. Das ist die Idee.
Emergente Systeme fragen nicht nach einer ewig gültigen Wahrheit, wie es typisch postmodern ist, sondern sie fragen nach der Wahrheit einer bestimmten Situation. Das heißt, es handelt sich um einen ständigen Prozess.
In diesem freien Spiel reagieren verschiedene emergent ausgerichtete Gemeinschaften miteinander. Man darf es so verstehen wie ein Netzwerk. Einzelne Vertreter dieses Denkens und das postmoderne Umfeld werden dabei als Bundesgenossen angesehen.
In diesen Prozess sollen viele einzelne Christen, Gemeinden und Gemeinschaften hineingezogen werden. Es ist ganz wichtig, dass wir das verstehen.
Die Rolle der Postmoderne in der Emerging Church
Wie wird hier die Postmoderne gesehen?
Die Postmoderne zeichnet sich durch ihren totalen Relativismus aus. Gleichzeitig vertritt sie die These, dass es keine absolute Wahrheit geben dürfe – vorgetragen mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit. Das ist ein Selbstwiderspruch.
In diesem Buch erhalten Sie auf 25 Seiten eine Zusammenfassung zur Struktur der Postmoderne. Die Postmoderne wendet sich ab von dem, was objektive Lehre und systematisches Denken ausmacht. Ihr totaler Relativismus wird als ein Bundesgenosse des christlichen Glaubens verstanden. Ziel ist es, gemeinsam mit der Postmoderne die verkrusteten Strukturen des traditionellen konservativen Christentums endlich aufzubrechen.
Einerseits werden die postmodernen Zeitgenossen als eine missionarische Aufgabe verstanden, wobei der Begriff „missionarisch“ noch zu klären sein wird. Andererseits wird die Postmoderne als ein Bundesgenosse zur Wiedergewinnung eines authentischen Christseins gesehen.
Phil Johnson, einer der engsten Mitarbeiter von John MacArthur, hat dies sehr gut kommentiert. Er sagte, der Anspruch der Postmoderne beziehungsweise der Emerging Church beruhe auf der Annahme, die Postmoderne selbst sei eine Korrektur der philosophischen Irrtümer der Moderne. Dabei übersieht man, dass die Postmoderne schlicht ein Schritt weiter in die falsche Richtung ist.
Der Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne wird hoffentlich aus dieser Skizze deutlich.
Die Glaubenssätze der Moderne lauten zum einen: Der menschliche Verstand auf sich selbst gestellt kann die entscheidenden Fragen beantworten und die entscheidenden Probleme lösen. Das ist der Glaube an den Rationalismus.
Der zweite Glaubenssatz der Moderne lautet: Es gibt Wahrheit.
Richtig hat die Postmoderne erkannt, dass der Rationalismus gescheitert ist. Darin stimmen wir ihr als Christen zu: Der Mensch, der sich alleine auf seinen Verstand verlässt und glaubt, er brauche nicht die Offenbarung der Bibel, um die Wahrheit zu erkennen, der kommt nicht zum Ziel.
Zugleich behauptet die Postmoderne aber im Gegensatz zur Moderne: Es gibt keine Wahrheit.
Und nun sehen Sie, was ich mit diesem roten Kasten umrahmt habe: Das bekennen auch die Christen. Mit der Moderne sagen wir ja: Es gibt Wahrheit. Und mit der Postmoderne konstatieren wir, dass der Rationalismus gescheitert ist.
Worüber wir der Postmoderne widersprechen müssen, ist der Satz, dass es keine Wahrheit gebe. Und worüber wir der Moderne widersprechen müssen, ist der Glaube an den Rationalismus.
Die Moderne hat den christlichen Glauben unter Berufung auf vermeintliche Wissenschaftlichkeit angegriffen. Die Postmoderne greift den christlichen Glauben mit der These an, dass es keine verbindliche Wahrheit geben könne.
Die Postmoderne kann nicht der Bundesgenosse der Gemeinde Jesu sein.
Die Emerging Church aber hat den Anspruch, sich gewissermaßen mit der Postmoderne auf einen offenen Dialog einzulassen, um miteinander zu lernen und emergent herauszuarbeiten, was authentisches Christentum sei.
Ziel und Weg der Transformation in der Emerging Church
Eines der Leitkonzepte der Emerging Church wollen wir jetzt etwas genauer betrachten. Das ist unsere Aufgabe heute Nachmittag. Wir wollen fragen, was die Emerging Church unter Transformation versteht und wie sie dieses Ziel erreichen und vorantreiben möchte.
Dazu haben wir zwei Fragen zu beantworten: Zum einen, was das Ziel ist, und zum anderen, wie der Weg aussieht, den sich die Emerging Church hin zu diesem Ziel überlegt hat und den sie bereits jetzt zu beschreiten versucht. Dabei möchte sie uns alle am liebsten möglichst bald mitnehmen.
Vorab noch einige Namen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Bekannte Vertreter des Emerging Church-Ansatzes in Deutschland sind zum Beispiel Johannes Reimer, Tobias Falks, Peter Aschoff, Christina Brudereck, Thomas Weissenborn und Fabian Vogt. In der Schweiz zählen Reinhold Scharnowski, Mike Bischoff und viele andere dazu.
Auch verschiedene Organisationen gehören dazu. In Deutschland ist die Hauptdenkfabrik der Emerging Church das Marburger Bibelseminar. Außerdem ist die Öffentlichkeitsarbeit von Alpha Deutschland wichtig. In der Schweiz handelt es sich um das Institut für Gemeindebau und Weltmission (IGW) in Zürich.
Damit Sie einige der Namen gehört haben: International gilt Brian McLaren als Guru der Bewegung. Rob Bell wurde durch sein Buch über die Hölle bekannt. Weitere wichtige Persönlichkeiten sind Dallas Willard, Tony Jones, Dan Kimball, Irvin Ralph McManus, Scott McKnight, Ken Wilber und viele andere.
Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, sind missional, integrierte Spiritualität, narrative Verkündigung, Dekonstruktion, das Evangelium leben und eben auch unser Stichwort Transformation.
Bedeutung und Inhalt von Transformation
Worum geht es? Was ist das Ziel?
Transformation bedeutet zum einen die Umgestaltung der Welt hin zu dem Ziel des Reiches Gottes. Zum anderen bedeutet es auch die Transformation der Gemeinde – sowohl in ihrem Verständnis der Welt als auch im Hinblick auf ihr Selbstverständnis und ihren Auftrag. Es handelt sich um einen umfassenden Umgestaltungsprozess.
Dabei lehrt die Emerging Church, dass unser Herr diese Welt in sein Reich umgestalten möchte. In der Buchreihe „Einfach emergent“ ist als zweiter Band „Evangelium“ von Walter Ferber und Peter Aschoff erschienen. Dieses Buch will das Evangelium erklären.
Dort wird Evangelium folgendermaßen definiert: „Evangelium – Gottes langer Marsch durch die Welt“. Es wird beschrieben als die Bewegung, mit der Gott geduldig und auf vielen Umwegen seine Welt zurückgewinnt. Diese Definition stammt aus einer Veröffentlichung, die im September 2012 erscheinen wird.
Die Bewegung, mit der Gott geduldig und auf vielen Umwegen seine Welt zurückgewinnt – das ist das Evangelium.
Man könnte sagen, dass hier das Kreuz fehlt. Das ist keine falsche Beobachtung. Worum geht es beim Evangelium? Was lernen wir bei Paulus? Es geht um die Rettung des Einzelnen aus der Verlorenheit, um die Versöhnung des Sünders mit Gott. Dies geschieht aufgrund des Sühnopfers, mit dem unser Herr am Kreuz stellvertretend die Strafe für unsere Schuld getragen hat.
Das Evangelium ruft den Sünder, indem es ihn über seine verlorene Situation vor dem heiligen Gott informiert und ihn auffordert, in Christus seinen Herrn und Retter anzurufen. Nur er kann den Sünder zum ewigen Leben retten und vor der ewigen Verdammnis bewahren.
In der Definition der Emerging Church ist Evangelium die Bewegung, mit der Gott geduldig und auf vielen Umwegen seine Welt zurückgewinnt. Natürlich kann man mit viel theologischer Interpretation versuchen, eine gewisse Ähnlichkeit zum Evangelium des Neuen Testaments herauszulesen. Aber offensichtlich ist es nicht so gemeint.
Die Emerging Church betont, dass es nicht in erster Linie darum geht, dass der Herr seine Gemeinde baut und Christus verherrlicht wird – sodass sogar die Engelwelt an seiner Gemeinde seine Herrlichkeit und Größe erkennt. Vielmehr geht es darum, dass diese Welt immer mehr nach Jesu Vorstellung von Gerechtigkeit erneuert und transformiert wird, um so das Reich Gottes zu erreichen.
Darin passt auch die Definition des Reiches Gottes, wie wir sie eingangs in einem Artikel der DMG gelesen haben: die Gestaltung des Alltags. Dass dies dazugehört, ist klar, aber darin erschöpft sich das Reich Gottes nicht.
Am Marburger Bibelseminar gibt es jetzt einen Studiengang für Gesellschaftstransformation. Der Studienleiter Tobias Falks sagte, dass Christen neu lernen müssten, dass das Reich Gottes schon im Hier und Jetzt angebrochen sei.
Ja, man könnte sagen, dort wo Christus in den Herzen regiert, ist das Reich Gottes „inwendig in euch“. Aber so meint Falks das nicht. Er meint, dass Christen durch politisches und soziales Engagement eine Gesellschaft heilen können.
Bei der Eröffnung dieses Studienseminars berichtete Tupik darüber. Johannes Reimer führte aus, dass der Missionsbefehl keine Aufforderung zur Proklamation des Evangeliums sei, sondern zur Transformation des Denkens und als Folge davon des Lebens.
Hier sehen wir also eine neue Definition des Verhältnisses von Gemeinde und Welt. Die Welt wird nicht als eigentliches Gegenüber zur Gemeinde verstanden. Deshalb soll mit Mission auch nicht jemand aus der Welt herausgewonnen werden.
Paulus sagt in Römer 12: Stellt euch nicht dieser Welt gleich. An anderer Stelle lehrt uns die Heilige Schrift, dass Satan der Fürst dieser Welt ist und wer der Freund der Welt sein will, Gottes Feind wird.
Auch die Emerging Church gibt zu, dass die Welt zwar gestört ist, aber grundsätzlich einen positiven Raum darstellt, in dem jederzeit das Reich Gottes auch durch Taten sozialer Gerechtigkeit gebaut werden kann.
Gott ist schon längst am Werk mit dem Bau seines Reiches und lädt uns Christen zur Mitwirkung ein. Deshalb sollen wir einen großen Teil unserer Zeit investieren, um soziale Aktionsprogramme durchzuführen – am besten auch gemeinsam mit Nichtchristen.
In dieser Sicht trägt jede gute soziale Aktion auch dazu bei, äußerlich am Reich Gottes zu bauen. Diese Auffassung vertreten Falks und andere zum Beispiel in der Buchreihe „Transformationsstudien“. Vor kurzem ist dort der dritte Band erschienen.
Im zweiten Band definiert Falks die Ausbreitung des Reiches Gottes so, dass er auf Jesus verweist. Jesus kümmerte sich um die Armen und sozial Ausgegrenzten und hatte immer das Heil von Land und Leuten im Blick.
Damit wird weiter entfaltet: Jesus ging es darum, dass Menschen ganzheitlich gesund werden – an Leib, Seele und Geist –, dass sie am öffentlichen Leben teilnehmen und ein respektierter und anerkannter Teil der Gesellschaft sind.
Darum sei es Jesus gegangen. Und für dieses Denken sollen sich die Gemeinden jetzt öffnen.
Der Weg der Emerging Church zur Transformation
Auf welchem Weg nimmt man uns damit mit? Der Weg lässt sich kurz als die Veränderung maßgeblicher Verhältnisse beschreiben.
Dabei geht es zum einen um die Veränderung des Verhältnisses zwischen Gemeinde und Welt, zum anderen um die Veränderung des Verhältnisses zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung. Zudem betrifft es die Veränderung des Verhältnisses zwischen der Bibel und unserer Verkündigung.
Den ersten Punkt werden wir am ausführlichsten behandeln, da er grundsätzlich die anderen bereits vorwegnimmt.
Also: Auf welchem Weg will uns die Emerging Church mitnehmen?
A: Die Veränderung des Verhältnisses zwischen Gemeinde und Welt.
Veränderung des Verhältnisses zwischen Gemeinde und Welt
Nochmal: Unser Herr hat gesagt, mein Reich ist nicht von dieser Welt. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, aber Schaden an seiner Seele nähme? Wir könnten auch sagen: Er transformiere die Welt, nimmt jedoch Schaden an seiner Seele.
Unser Herr hat uns nicht versprochen, dass wir diese Welt schrittweise in sein Reich verwandeln werden. Vielmehr hat er eine sehr scharfe Trennung zwischen Welt und Gemeinde vorgenommen. Lesen wir dazu, was Johannes 15,20 über das Verhältnis des Christen zur Welt schreibt: Wir sind knallhart von der Welt geschieden in unserem Herzen und werden von dort aus mit der Liebe Christi ausgerüstet, um in die Welt geschickt zu werden und ihr mit Hingabe und Opferbereitschaft zu dienen.
Doch dies geschieht auf der Basis der Wahrheit, dass wir grundsätzlich von ihr geschieden sind, dass wir nicht mehr zu dieser Welt gehören und deshalb in gewisser Hinsicht auch Fremdkörper in dieser Welt sind. Manche Christen haben dies so verstanden, dass sie dachten: Ja gut, da muss ich die Welt ja auch nicht mehr verstehen.
Hier trifft die Kritik der Emerging Church uns zu Recht. Sie sagt, und das hat schon Francis Schäfer in den siebziger Jahren betont, dass wir uns gründlich mit dem Denken unserer Zeitgenossen befassen müssen. Wir müssen voller Liebe versuchen, sie zu verstehen, die Kultur kennen und analysieren. Zudem müssen wir überlegen, mit welcher Sprache wir die ewige, unveränderliche Wahrheit des Evangeliums kommunizieren.
Dazu hat Christus uns aufgefordert, aber alles unter der Voraussetzung, dass diese Welt unser Gegenüber ist. Wir gehen auf diese Welt als Gemeinde ein, aber wir gehen nicht in dieser Welt auf. Eine scharfe Unterscheidung.
Wer ist der Fürst dieser Welt? Johannes 12,31, 14,30 und 16,11 nennen ihn Satan. Die Heilige Schrift sagt, dass der Gesandte Satans zunächst mit dem Anspruch auftreten wird, diese Welt global zu befrieden. Erst unser Herr wird bei seiner Wiederkunft sein sichtbares Reich auf diese Erde bringen. Bis dahin ist sein Reich in seiner Gemeinde und in den Herzen seiner Jünger.
Diesen grundsätzlichen Unterschied und Gegensatz zwischen Welt und Gemeinde weicht die Emerging Church systematisch auf. Dies wird dadurch verschleiert, dass man diese Welt ansatzweise als Königreich Gottes bezeichnet. Die Bibel lehrt das jedoch nirgends. Diese Welt ist Gottes Schöpfung, aber sie ist nicht Gottes Königreich.
Es gibt interessante Zitate in einem Buch, die diese Haltung der Emerging Church unterstreichen. Ab Seiten 87 und 88 kann man das nachlesen, wenn man das Buch später kauft. Dort sagt Rob Bell zum Beispiel: „Für Jesus lautet die Frage nicht, wie man in den Himmel kommt, sondern wie man den Himmel hierher bringt. Für Jesus geht es beim neuen Leben, das er bringt, nicht um eine Flucht aus dieser Welt. Darum geht es uns auch nicht.“
Verstehen Sie? Hier wird ein typisches Stilmittel verwendet, das immer wieder begegnet: Man baut falsche Alternativen auf. Indirekt wird uns unterstellt, wenn wir sagen, aus dieser Welt sollen Menschen herausgerettet werden, wollten wir eine Flucht aus der Welt. Oder wenn in der Mission gelehrt und Bibelwissen vermittelt werden soll, wird uns gesagt, ihr lehrt ja nur Fachwissen.
Wir müssen lernen, diese unterschwelligen Töne sehr genau zu lesen und zu hören. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in falsche Alternativen verstricken lassen und uns keine Haltungen unterstellen lassen, die wir als bibeltreue Christen gar nicht vertreten.
Nochmal Rob Bell: Es geht um eine Verbesserung dieser Welt hier und jetzt. Jesu Ziel ist nicht, in den Himmel zu kommen, sondern den Himmel hierher zu holen. Wenn das stimmte, wäre es in der Tat wichtiger, diese Welt zu verbessern als die Gemeinde zu bauen.
Dieser Grundgedanke begegnet uns zurzeit an allen Ecken und Enden. Ich erinnere mich an eine Familienfeier bei Angehörigen eines Bruders aus unserer Gemeinde. Diese Familie war ebenfalls in freikirchlichen Gemeinden engagiert. Beim Kaffeetrinken erzählten sie ganz begeistert, dass sie als Gemeinde ganz neue Wege gehen und sich engagieren würden, vor allem in ihrer Kommune einen Spielplatz für Kinder mitaufbauen und Hausaufgabenhilfe organisieren. Das seien jetzt ihre neuen Projekte des Gemeindebaus.
Ich finde es toll, Menschen in unserem Umfeld bei Hausaufgaben zu helfen. Auch beim Ausbau von Spielplätzen mitzuwirken, kann sinnvoll sein. Aber was will ich damit erreichen? Das ist immer die Frage.
Welches Gewicht hat das? Denke ich, dass ich damit zur Gesellschaftsveränderung beitragen will, auf dem Weg des Reiches Gottes? Oder sage ich: Da zeige ich mal mein Interesse als Christ an einem gesellschaftlichen Umfeld und hoffe, gute Kontakte aufzubauen, um die Kinder dann zum Kindergottesdienst einzuladen?
Ihr zweckt das nur ab, würden sie dann vielleicht sagen. Was wollen wir? Verstehen Sie? Denken wir noch einmal an die seltsame Akzentverschiebung in dem Artikel, den ich eingangs vorgelesen habe.
Wie wird diese Öffnung zur Welt hin dann begründet? Wolfgang Bühner hat es heute Morgen schon gesagt: mit dem Begriff der Inkarnation, also dass Christus Mensch wurde, sich entäußert hat, wie Paulus schreibt (Philipper 2), und in diese Welt hineingekommen ist.
Nun wird gesagt, genauso muss die Gemeinde sich entäußern und in diese Welt hineingehen. Das ist der inkarnatorische Grundgedanke.
Zwei Zitate dazu, einmal aus einem Artikel von Tobias Feix und seinem Kollegen Enes. Dort wird es folgendermaßen ausgedrückt: Die bewusste Öffnung gegenüber der Gesellschaft und die Orientierung auf den Menschen basiert auf der Annahme, dass Gott in Jesus Mensch wurde, wofür das lateinische Wort Inkarnation verwendet wird.
Auch Fabian Vogt nimmt diesen Begriff auf und sagt: Ich könnte die Emerging Church auch als Inkarnationstheologie bezeichnen, da sie nach der Menschwerdung der Kirche fragt. Jetzt hören Sie, wie das definiert wird: „Nach ihrem der Welt gleich werden, um so das Reich Gottes mitten unter den Menschen zu bauen.“
Wurde Christus der Welt gleich? Ja und Nein. Er wurde ein Mensch wie wir, schreibt Paulus, und wurde als Mensch erfunden (Philipper 2). Er ging in diese Welt ein, aber er ging nicht in ihr auf. Er blieb Gottes Sohn, blieb sündlos. Er ging in diese Welt ein und blieb immer von ihr unterschieden.
Das bedeutet Inkarnation. Inkarnation bedeutet nicht nur, dass Gott Mensch wird, sondern auch, dass Gott Mensch wird und Gott bleibt.
Wenn man das auf die Gemeinde überträgt, muss man sagen: Die Gemeinde muss in die Welt hineingehen mit dem Evangelium, darf sich aber nicht dieser Welt anpassen. Sie muss auf die Welt eingehen, aber darf nicht in der Welt aufgehen. Sie muss bei der Wahrheit ihres Herrn bleiben und mit dieser Wahrheit die Welt liebevoll konfrontieren.
Dann wird sie auch ein Fremdkörper in dieser Welt bleiben.
Verstehen Sie, was hier geschieht? Das ist typisch: Ein gut klingender theologischer Begriff wird aufgenommen, ein Aspekt dieses Begriffes lässt sich auf das Anliegen der Emerging Church übertragen, aber das gesamte Konzept, was Inkarnation bedeutet, passt überhaupt nicht zu dem, was die Emerging Church daraus macht.
Das ist nicht aufrichtig theologisch zu Ende gedacht. Das meint nicht Inkarnation, was die Emerging Church daraus macht. Inkarnation bedeutet eingehen, aber nicht aufgehen in der Welt.
Es wird gefordert – das klingt alles sehr interessant – eine Symbiose mit der Welt sogar. Viele Zitate dazu finden Sie in einem wunderbaren Artikel von Benedikt Peters, den ich gar nicht intensiv genug empfehlen kann. Er befindet sich in der Zeitschrift Gemeindegründung Nummer 98, zweite Ausgabe 2009, auf Seite 18. Titel: Die Emerging Church in ihrem Selbstverständnis und in ihrem Reichsgottesverständnis.
Dort stattet uns Benedikt Peters mit sehr vielen hilfreichen Zitaten aus. Er zitiert beispielsweise Caster Bruin, der zum Thema Inkarnation Folgendes sagt: „Die Emergenz Christi als ein Säugling, hineingeboren in eine spezifische Kultur zu einer bestimmten Zeit, ist ein Archetypus für Veränderung. So soll nun auch die Gemeinde sich gewissermaßen hilflos in die Welt hineingeben. Wir müssen klein und hilflos werden und von der Welt, die unser Gastgeber ist, die Nahrung bekommen, so wie Christus die Milch von seiner Mutter Maria brauchte.“
Das ist die Symbiose: hinein in die Welt, genährt von der Welt. Aber das ist nicht Inkarnation. Inkarnation wahrt immer das Gegenüber. Das ist gerade das Wunder der Inkarnation, dass Gott Mensch wird und Gott bleibt.
Die Gemeinde kann das ohnehin nicht nachmachen, da wir Sünder sind und bleiben, auch wenn wir von der Vergebung des Herrn leben und wirklich verwandelt werden. Wir sind nicht sündlos wie Christus.
Das wird inhaltlich so schief dargestellt.
Unsere Aufgabe ist es, in die Welt hineinzugehen mit einem brennenden Herzen, um Menschen aus der Welt heraus ins Reich Gottes hineinzurufen. Das ist die biblische Position.
Die Emerging Church hebt aber diese grundsätzliche kategoriale Trennung zwischen Welt und Gemeinde auf. Fabian Vogt sagt, die Emerging Church werde ein integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, also diese neue Kirche werde ein direkt in die Welt hineingehender Bestandteil dieser Gesellschaft sein.
Wie Rob Bell das Heilsverständnis umdefiniert hat, haben wir gehört: Christus will nicht Menschen in den Himmel bringen, sondern den Himmel auf die Erde holen.
Diese „Umarmung der Welt“ – ein Begriff, den auch Johannes Reimer verwendet – führt zu einer Veränderung des Verhältnisses zu den Religionen.
Ich darf in diesem Zusammenhang besonders auf die neue Ausgabe von Topic hinweisen. Dort bringt Uli Skammerks etliche Zitate von Johannes Reimer zu seinem Verständnis des Islam beziehungsweise Allahs.
Auf der Homepage der Reimer Ministries liest man die Ankündigung eines Vortrags von Johannes Reimer über Allah. Dort heißt es: „Diese Predigt erläutert anhand von Bibelstellen und Suren des Korans, welche Unterschiede zwischen dem Gott der Bibel und Allah bestehen. Sie klärt auf, dass es sich hauptsächlich um einen Unterschied des Begriffes handelt, nicht aber um einen Unterschied des Wesensgottes.“
Nach Johannes Reimer gibt es also zwar unterschiedliche Begriffe – Gott und Allah – aber es handelt sich letztlich um den einen Gott. Es gäbe keine grundsätzlichen Wesensverschiedenheiten.
Es ist interessant, wie dann im Verlauf dieser PowerPoint-Dokumentation, die ich mir natürlich angesehen habe, die ganze Allah-Frage behandelt wird – völlig unter Absehung von Mohammed.
Wir haben Allah jedoch nur aus den Händen und den Offenbarungen Mohammeds. Deshalb ist es richtig, dass arabische Christen Gott als Allah bezeichnen können. Aber das ist eine rein sprachliche Übereinstimmung.
Damit meinen sie jedoch nicht den Allah des Korans. Das müssen wir immer grundsätzlich unterscheiden.
Das ist auch ein Denkfehler, zu sagen: Es wird der gleiche Begriff verwendet, also ist die gleiche Person gemeint.
Der Allah des Korans hat Mohammed gesandt. Der Allah des Korans lehrt, dass Gott keinen Sohn hat. Der Allah des Korans fordert uns auf, zu glauben, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist und dass wir keinen Sühnetod brauchen zur Erlösung von den Sünden.
Der Allah des Korans fordert dazu auf, diejenigen, die dies behaupten und lehren, notfalls mit Gewalt in die Schranken zu weisen.
Das ist der Allah des Korans.
Im Rahmen dieser Umarmung der Welt kann es zu einer Umarmung der Religionen kommen. Die fundamentalen Gegensätze zwischen der Gemeinde und der Welt – welche Welt das auch immer sei, die Welt der Atheisten, die Welt der Religionen – werden dabei nicht mehr gesehen.
Diese grundsätzliche Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit kann so verloren gehen. Dahin kann es führen.
Veränderung des Verhältnisses zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung
Eine zweite Verhältnisbestimmung
Es verändert sich auf diesem Weg nicht nur das Verhältnis zwischen Gemeinde und Welt, sondern auch das Verhältnis zwischen Evangelisation und sozialer Verantwortung. Immer wieder begegnen wir der Argumentation: Ja, wir wollen nicht nur evangelisieren, sondern uns auch für die Welt einsetzen.
Wenn man die einzelnen Bausteine dieses Arguments näher betrachtet, geht es jedoch eher darum, vor allem zu betonen: Vor allem wollen wir uns für die Welt einsetzen, vor allem wollen wir die soziale Verantwortung hervorheben.
In den Ilea-Meldungen stoßen wir immer wieder auf kleine Hinweise, fast schon Hinweisleinen, könnte man sagen. Meine Frau kommt aus Franken, und dort liebt man den Diminutiv, also diese kleinen Formen. So wird etwa darauf hingewiesen, dass viel stärker auf soziale Verantwortung geachtet werden müsse. Beispiele sind Meldungen über die Micha-Initiative mit Aussagen wie: „Die Mission darf nicht auf Bekehrung beschränkt werden.“ Oder ein Bericht über einen Vortrag von Professor Michael Herbst mit dem Titel: „Noch vor der Predigt kommt der Dienst an den Armen.“
Achten Sie einmal auf Publikationen in evangelikalen Zeitschriften. Verstehen Sie, das ist ein Grundton, der uns seit drei, vier Jahren Monat für Monat immer wieder eingesäuselt wird. Wenn man sich nicht kritisch damit auseinandersetzt, wird man es irgendwann glauben. Deshalb brauchen wir eine gedankliche Auseinandersetzung mit diesem Konzept.
Wie war die urchristliche Position an dieser Stelle? Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung folgt aus der Bekehrung, und es gibt eine ganz klare Hierarchie. In erster Linie kommt es darauf an, dass Menschen aus der ewigen Verlorenheit gerettet werden. Wo sie Christus angehören, werden sie von ihm auf die Spur gesetzt, dieser Welt zu dienen. Das geschieht, indem sie das Evangelium verkündigen und, soweit sich dafür Türen öffnen und Möglichkeiten ergeben, den Menschen in ihren alltäglichen Nöten beistehen.
Diese Haltung hat dazu geführt, dass Christen maßgeblich an der Abschaffung der Sklaverei beteiligt waren. Die Erweckung, die von Wesley und Whitfield im achtzehnten Jahrhundert ausging, hat England davor bewahrt, ein Blutbad zu erleben, wie es in Frankreich nach der Revolution geschah.
Wolfgang Bühne hat in einem wichtigen Leserbrief als Reaktion auf die Diskussion zwischen Martin Erdmann und Tobias Feix Folgendes geschrieben. Darin ist eigentlich alles über diesen Zusammenhang gesagt. Mit Genehmigung des Verfassers darf ich diesen Brief hier in Auszügen zitieren:
Wolfgang Bühne schreibt: „Ich möchte daran erinnern, dass die ausgeprägt einseitig evangelistische Verkündigung der Erweckungsprediger August Hermann Francke, Jonathan Edwards, John Wesley, George Whitfield, Charles Haddon Spurgeon, Georg Müller, Friedrich von Bodelschwing und anderer immer auch nachhaltige soziale Auswirkungen zur Folge hatte. Aber nicht die Transformation der Gesellschaft war ihr ureigenes Anliegen, sondern die Bekehrung möglichst vieler einzelner Menschen.
Die ökumenische Bewegung hat in den vergangenen Jahrzehnten durch ihre politisch-soziale Ausrichtung jegliche geistliche Kraft und Autorität verloren. Die Lausanner Bewegung scheint auf dem besten Wege zu sein, die gleichen fatalen Fehler zu begehen. Es ist zu befürchten, dass die von Reimer und Falk propagierte emergente Bewegung wohl kaum die Welt verändern, aber den Gemeinden enormen Schaden zufügen wird.
Wenn wir das biblische Gottesbild, Menschenbild, Gemeindebild, Reichsgottesbild und Weltbild verbiegen, neu interpretieren oder auch nur teilweise humanistisch umdeuten, machen wir uns vor Gott und vor Menschen schuldig. Die Ablehnung einer heilsgeschichtlichen Auslegung der Bibel wird sich negativ auf die Ausrichtung der Gemeinden auswirken. Die propagierte Fokussierung auf die Welt wird uns den letzten Rest an Glaubwürdigkeit und geistlicher Kraft rauben.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Konzept wird nicht dazu beitragen, dass die Welt wirklich verändert wird. Aber es wird die Gemeinden nachhaltig verändern. Deshalb müssen wir hier aufmerksam und wachsam sein.
Wolfgang Bühne hat auch angedeutet, dass diese Gewichtsverlagerung schon begonnen hatte, lange bevor die Emerging Church am Horizont auftauchte. Ein markantes Datum, an dem das begann, war die Lausanner Verpflichtung bei dem großen evangelikalen Kongress in Lausanne 1974. Viele, die diese Verpflichtung damals mit unterschrieben haben, waren sich der Folgen sicherlich nicht bewusst.
In Punkt 5 der Lausanner Verpflichtung heißt es unter anderem: „Wir bekräftigen, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermassen zu unserer Pflicht als Christen gehören.“ John Stott, der auch viel Gutes geschrieben hat, hat sich damals maßgeblich dafür eingesetzt, dass diese Erklärung so zustande kam. Sie trägt seinen Stempel: Gleichermassen Evangelisation wie soziale und politische Betätigung.
Wenn man sieht, wie sich die Lausanner Bewegung bis zum Lausanner Kongress in Kapstadt 2010 weiterentwickelt hat, stellt man fest, dass diese Entwicklung in die gleiche Richtung gegangen ist, in die sich auch die Emerging Church bewegt hat.
Es gibt eine interessante Kommentierung dieser Kapstadt-Konferenz von Professor Peter Beyerhaus, der die ökumenische Entwicklung seit Jahrzehnten verfolgt, in seiner Zeitschrift Diakrisis. Mit Peter Beyerhaus haben wir seit langem die Diskussion, wie stark er sich für eine Zusammenarbeit mit dem römischen Katholizismus ausgesprochen hat. Gleich im Anschluss an seinen brillanten Artikel veröffentlicht er eine Ansprache des Papstes zu einem vergleichbaren Thema. Das zeigt ihm auch die Problematik.
Beyerhaus hat in seiner ihm eigenen Brillanz klargemacht, dass dieser Lausanner Kongress in Kapstadt der Beleg für ein verändertes Weltverständnis der Evangelikalen ist. Das ist das gleiche Thema: Die Evangelikalen haben die Welt umgedeutet und ihr Verhältnis zur Welt völlig verändert.
Versöhnung wird nicht in erster Linie als Versöhnung zwischen Gott und Mensch beschrieben, sondern in Kategorien der innerweltlichen Versöhnung. Es hat eine totale Verschiebung gegeben, so Beyerhaus. Er spricht hier auch von einer „warmen Weltumarmung“ und betont, dass eine starke Dissonanz zwischen dem reformatorischen Menschenbild – nach dem der Mensch total durch den Sündenfall korrumpiert wurde – und dem, was Kapstadt lehrt, besteht.
Zwischen dem, was Kapstadt lehrt, und dem, was die Bibel und die Reformatoren gelehrt haben, besteht eine offensichtliche Dissonanz. Beyerhaus zitiert eine ältere Dame, die im Missionsdienst unter den Südseeinsulanern war, Dorothea Scarborough, die auch die Erklärung von Kapstadt gelesen hat und ihm dazu Folgendes schrieb. Er gibt das weiter und sagt, das sei zwar etwas überspitzt formuliert, aber es zeige die Richtung an.
Dorothea Scarborough schreibt: „Ich finde es sehr schön geschrieben, Kapstadt 2010. Aber die Überbetonung der Liebe macht es einseitig, denn Martin Luther sagt doch, wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Nirgendwo wird hier klar gesagt, dass heidnische Religionen dämonisch sind. Die Sünde, der Zorn Gottes, die ewige Verdammnis wie auch der Teufel werden in der Kapstadterklärung kaum genannt.
Am Ende erscheint diese Erklärung sozialistisch. Mit Liebsein allein kann man nicht die kämpfende Kirche auf Erden und auch nicht die triumphierende Kirche im Himmel sein.“ Kapstadt 2010.
Hier zeigt sich eine erstaunliche Konvergenz, also ein Zusammentreffen zwischen dem, was die Emerging Church behauptet und fordert, und der evangelikalen Bewegung beziehungsweise der neo-evangelikalen Bewegung.
Es war sehr erfreulich, dass ein massiver Widerspruch von Ulrich Parzany kam. Ulrich Parzany, von dem man selten kritische Töne im Hinblick auf den Neoevangelikalismus gehört hat, hat selbst beispielsweise dazu beigetragen, dass die Zusammenarbeit mit der charismatischen Bewegung und auch der römisch-katholischen Kirche im Rahmen der Evangelisation vorangetrieben wurde.
Derselbe Ulrich Parzany warnt nun in einem Artikel in idea (idea 18, 2012), also erst vor einigen Wochen, vor diesem Transformationskonzept. Er sagt: „Was in den Landeskirchen seit gut fünfzig Jahren läuft, wird neuerdings auch in Freikirchen und Gemeinschaften unter dem Begriff Gesellschaftstransformation beliebt.“
Dann grenzt er sich davon ab und sagt: „Wer meint, er würde durch diakonisches und politisches Handeln Relevanz in der Gesellschaft gewinnen und könnte dadurch dem Evangelium mehr Gehör verschaffen.“ Wobei die Emerging Church-Leute ja gar nicht sagen, dass sie das tun, um dem Evangelium mehr Gehör zu verschaffen, sondern um die Welt zu verwandeln.
Aber selbst wenn man das noch zum Besten hin interpretiert und sagt, wir wollen in der Welt mehr verändern, damit man das Evangelium vom Retter Jesus besser hört – selbst wenn sie es so meinten, sagt Parzany: „Wer das glaubt, der täuscht sich.“
Und wer eine Veränderung der Gesellschaft durch politisches und soziales Handeln anstrebt, muss die Frage beantworten, welche Gesellschaft er vor Augen hat und wie er mit denen umgehen will, die diesen Weg nicht freiwillig mitgehen. Der Staat setzt seine Gesetze bekanntlich durch Androhung von Gewalt durch.
Parzany betont am Ende, dass sich Gott die endgültige Transformation der Gesellschaft durch die Auferweckung der Toten, durch das Weltgericht und durch die Schaffung des neuen Himmels und der neuen Erde vorbehalten hat. Auf dem Weg dahin tun wir Gottes Willen im Vertrauen darauf, dass Gott die neue Welt schafft.
Unsere wichtigste Aufgabe auf dem Weg dahin ist die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus. Amen – man kann dazu nur sagen: So ist es.
Vielleicht, und das sage ich jetzt hier nur unter uns, hat Parzany auch deshalb so massiv Stellung bezogen, weil er möglicherweise ahnt, dass manche der Geister, die er selbst gerufen hat, diesen Weg der Emerging Church weiter vorantreiben. So etwa Christina Brudereck, die in Deutschland bekannt wurde als eine der führenden Evangelistinnen beim Jugendzweig von ProChrist, nämlich Jesushaus.
Was hier passiert, bedeutet eine dramatische Abkehr von dem Weg, den die Gemeinde Jesu dort, wo sie war, durch die Geschichte hindurch gegangen ist.
Ich kann es nur noch zum Ende nennen: Eine dritte Veränderung, die diesen Weg ausmacht, ist die Veränderung des Verhältnisses zwischen Bibel und Verkündigung.
Veränderung des Verhältnisses zwischen Bibel und Verkündigung
Für uns ist die Bibel die objektive Quelle der Wahrheit, die den Inhalt der Verkündigung vorgibt. Für die Emerging Church hingegen gibt es keinen objektiven Maßstab ewig gültiger Wahrheit.
Ich habe zahlreiche Zitate dazu, die ich Ihnen bei Bedarf gerne noch nennen kann. Es gibt keine Meta-Erzählung, keine große Leitlinie, die verbindlich den wahren Zusammenhang erklärt. Daher wird der Erfahrungsaustausch wichtiger als die Lehre. Für die Verkündigung bedeutet das, dass man sich Geschichten erzählt – narrativ und nicht in systematischer Lehre.
Wir erzählen unsere Glaubensgeschichten, andere erzählen ihre Glaubensgeschichten, und wir erzählen auch die biblischen Glaubensgeschichten. So verändert sich die Mission.
Dies wurde auch in einem Bericht über das Jubiläum der DMG im September letzten Jahres beschrieben: "Christliche Mission verändert sich – mehr als 1500 Besucher feiern mit der DMG sechzig Jahre Gottes Treue." Der Missionsleiter wird folgendermaßen zitiert: Zwei Drittel der Weltbevölkerung lernen nicht aus Büchern, nicht durch abstrakte Begriffe und nicht durch Drei-Punkte-Predigten, sondern durch erzählte Geschichten, persönliche Begegnungen und eigene Erfahrungen. Darum seien weiterhin Botschafter der guten Nachricht gefragt, damit Menschen rund um den Globus die Liebe Gottes auf authentische Weise erfahren.
Das ist doch kein Gegensatz. Biblische Lehre, die Wahrheit über Erlösung, Himmel und Hölle, systematisch und gründlich erklärt – wir haben Missionare hier, die so predigen. Das heißt doch nicht, dass sie über die Köpfe hinwegreden oder keine persönlichen Erfahrungen und Geschichten einbringen könnten. Das ist niemals ein Gegensatz in der Bibel.
Diese abfällige Kennzeichnung von abstrakten Begriffen, Drei-Punkte-Predigten und Büchern als unzeitgemäß und stattdessen das Hervorheben von erzählten Geschichten und persönlichen Begegnungen als authentisch – das ist nicht authentisch, das ist emergent.
Es tut weh, es tut wirklich weh. Ich erzähle Ihnen diese Einzelheiten wirklich nicht gerne, glauben Sie mir, es tut weh zu sehen, wie evangelikale Institutionen, die über viele Jahrzehnte hinweg treu dem Evangelium gedient haben und dies sicherlich auch heute noch tun wollen, in den Sog einer Transformation eines veränderten Denkens geraten, das sie früher oder später hinwegschwemmen wird.
Fazit:
Fazit und Ausblick
Unter dem Mantel einer vermeintlich sanften Transformation strebt die Emerging Church einen radikalen Paradigmenwechsel an. Anders ausgedrückt: Mit dem Mittel der sanften Transformation zielt sie auf eine radikale Revolution.
Die Emerging Church geht ihren Weg, indem sie ein Netzwerk bibelwidriger Behauptungen und falscher theologischer Schlussfolgerungen spinnt. Am Ende tauscht sie den biblischen Glauben gegen eine postmoderne Karikatur des Christseins ein.
Albert Mohler hat gesagt – Erdmann zitiert Albert Mohler – und was Albert Mohler über Rob Bell hier sagt, gilt im Prinzip für weite Teile der gesamten Emerging Church Bewegung. Mohler sagt: Wenn du Universalismus annimmst, also Allversöhnung, und den Unterschied zwischen der Gemeinde und der Welt auslöschst – wie das geschieht, haben wir ja gesehen – dann brauchst du keine Gemeinde, keinen Christus und kein Kreuz. Das ist die Tragödie eines gerichtlosen Mainstream-Liberalismus und zugleich die Tragödie von Rob Bell in seinem Buch.
John MacArthur hat geschrieben: „Als ich meinen Dienst vor bald 40 Jahren antrat – 2007 hat er es geschrieben – da wusste ich um Anfeindungen, die da vor mir lagen. Angriffe gegen den Herrn und seine Gemeinde und gegen die Wahrheit waren fast unausweichlich. Aber was ich nie erwartet hätte, war die Tatsache, dass die bösartigsten Angriffe von innerhalb der Gemeinde kommen würden. Aber der Sturmangriff der Schrift – schließlich gegen die unmissverständliche Klarheit der Schrift – ist der gefährlichste Angriff auf die Gemeinde Jesu, den ich je gesehen habe.“
Dieser Angriff wird dadurch noch in seiner Wirkung verschärft, dass er im etablierten Neo-Evangelikalismus – also in den führenden allgemein anerkannten evangelikalen Institutionen – auf wenig Gegenwehr trifft.
Wolfgang Bühner hat erzählt, wie in Blankenburg Ulrich Parzany gegen Reimer Stellung nahm, und dass Parzany plötzlich nicht mehr sehr viel Zustimmung von den Brüdern erhielt. Das Traurige ist, dass sich der Evangelikalismus seit vielen Jahren systematisch von einer Position wegbewegt hat, die auf gründlicher biblischer Lehre und auf dem Bekenntnis zur Irrtumslosigkeit der Bibel gründet.
So ist der Evangelikalismus theologisch sturmreif geschossen worden und hat diesem Angriff wenig entgegenzusetzen.
Ich möchte das noch einmal ganz deutlich sagen: Nur vor dem Hintergrund eines theologisch schwindsüchtigen Neo-Evangelikalismus konnte die Emerging Church sich so tief in das Herz der evangelikalen Bewegung vorarbeiten. Und inzwischen steht – wo das nicht erkannt wird – die Identität der evangelikalen Bewegung als Ganzes auf dem Spiel.
Angesichts dieser Situation kommt allen, die diesen Zusammenbruch erkennen, eine erhöhte Verantwortung zu. Es genügt nicht, die Probleme zu verstehen – so wichtig das ist – und selbst eine bibeltreue Meinung dazu zu vertreten. Natürlich müssen wir das. Es genügt aber nicht, bibeltreue Konferenzen zu besuchen und sich dort in Glauben und Erkenntnis stärken zu lassen – so herzlich wir dazu immer wieder einladen und so glücklich und dankbar wir für jeden sind, der heute hier dabei ist.
Der Herr fragt uns aber nach unserem Bruder, und er fragt uns mehr noch nach unseren Kindern, also nach der nächsten Generation. Von daher können wir jetzt nicht einfach hinausgehen und sagen: Es ist schlimm, und wir gehen diesen Weg nicht mit. Diese Analyse muss uns ins Gebet treiben.
Jeder von uns – liebe Brüder und Schwestern – muss sich immer wieder vor dem Herrn fragen: Was kann ich persönlich beitragen? Wie kann ich persönlich dazu beitragen, für die Wahrheit einzutreten? Wen kann ich unterstützen? Welchem Theologiestudenten sollte ich vielleicht ein Buch weitergeben? Wo kann ich mich mit meinen Kräften dafür einsetzen, dass die Wahrheit unseres Herrn Jesus Christus in seiner Gemeinde weitergelehrt wird?
Getrost dürfen wir sein, wenn wir sehen, dass es solche Angriffe zu allen Zeiten gab. Mir ist eine Erklärung aus dem Jahr 1812 – also wohlgemerkt 1812, vor über 200 Jahren – in die Hände gekommen, die sich wie eine Reaktion auf die Emerging Church Bewegung liest.
Der Text stammt vom amerikanischen Kommissionsdirektorium für Auslandsmissionen aus dem Jahr 1812. Dort schreiben die Brüder: „Wenn ein Haus mitten in der Nacht in Flammen steht, gilt die erste und größte Sorge nicht dem Haus, sondern den schlafenden Bewohnern darin. Gleichermassen ist die erste und größte Sorge von Missionaren die Seele, um sie vor dem bestehenden Zorn zu retten. Zur passenden Zeit, wenn Männer und Frauen wirklich ausgesöhnt sind mit Gott, wird sicherlich auch eine soziale Erneuerung folgen.“
Eine solche Herangehensweise an missionarische Aktivitäten ist noch immer der gute alte Weg in den Fußstapfen der Apostel: der Frieden mit Gott und dann auch die Gemeinschaft untereinander. Diese Wahrheit gilt ewig, weil unser Herr sie in seinem Wort lehrt.
Deshalb möchte ich schließen mit diesem wunderbaren Zuruf des Herrn an seine Gemeinde, den er damals dem Petrus in einem ganz entscheidenden Gespräch gesagt hat: Markus 16,18. Dort sagt der Herr: „Ich werde meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.“
Das gilt unveränderlich durch alle Zeiten hindurch. Daher müssen wir uns jetzt auch nicht mit gesenkten Häuptern von dieser Diagnose verabschieden, sondern wir dürfen unseren Herrn fragen: Herr, wo siehst du unsere Aufgabe? Wo siehst du meine Aufgabe?
Wir dürfen uns daran klammern, dass der Herr sagt: Ich werde meine Gemeinde bauen. Es ist seine Gemeinde.
Als der Herr den Saul ansprach, der die Gemeinde verfolgte, sagte Jesus zu Saulus: „Was verfolgst du? Mich.“ Wer seine Hand an die Gemeinde Jesu legt, greift unseren Herrn selbst an.
Es ist so ermutigend und auffällig, wie liebevoll – man könnte fast sagen, wie zärtlich – unser Herr hier von seiner Gemeinde spricht: „Ich werde meine Gemeinde bauen.“
Es ist unser großes Privileg, dass wir zu seiner Gemeinde gehören dürfen und dass er für seine Gemeinde sorgt. Deshalb können wir ihm fröhlich in seiner Gemeinde dienen – gerade auch in solch schweren Zeiten.