Das Gebet als Macht
Eine Predigt, gehalten von C. H. Spurgeon
Gebet ist eine der größten Mächte, die uns zur Verfügung stehen. Es ist das Mittel, durch das wir mit Gott in Verbindung treten und seine Kraft in unserem Leben erfahren können. Ohne Gebet bleibt unser Glaube schwach und unser Leben leer. Wenn wir jedoch beten, öffnen wir die Tür zu göttlicher Hilfe und Führung.
Gebet verändert nicht nur die Umstände um uns herum, sondern auch unser eigenes Herz. Es hilft uns, Gottes Willen zu erkennen und uns ihm hinzugeben. Durch das Gebet werden wir gestärkt, getröstet und ermutigt. Es ist ein Werkzeug, das uns befähigt, Herausforderungen zu meistern und im Glauben zu wachsen.
In der Bibel finden wir viele Beispiele, die die Macht des Gebets belegen. So betete etwa Daniel in großer Not und Gott erhörte sein Flehen (Daniel 6). Jesus selbst verbrachte viel Zeit im Gebet, besonders vor wichtigen Entscheidungen oder Herausforderungen (Lukas 6,12). Auch die Apostel betonten die Bedeutung des Gebets für das Leben der Gemeinde (Apostelgeschichte 1,14).
Es ist wichtig, beständig im Gebet zu bleiben. Nicht nur in Zeiten der Not, sondern auch im Alltag sollten wir regelmäßig mit Gott sprechen. Dadurch wird unser Glaube lebendig und unsere Beziehung zu Gott wächst. Gebet ist keine Pflicht, sondern eine Freude und ein Privileg.
Wenn wir beten, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott hört und handelt. Er ist allmächtig und liebt es, seinen Kindern zu helfen. Deshalb sollten wir mutig und mit Zuversicht vor ihn treten, wissend, dass unser Gebet Wirkung hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Gebet ist eine mächtige Kraftquelle für jeden Christen. Es verbindet uns mit Gott, verändert uns und unsere Umstände und schenkt uns Kraft für das tägliche Leben. Wer das Gebet vernachlässigt, versäumt eine der größten Segnungen, die Gott uns gegeben hat. Daher lasst uns das Gebet als Macht erkennen und es in unserem Leben an erste Stelle setzen.
Einführung in die Bedeutung des Gebets
Was wir bitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und tun, was vor ihm gefällig ist. Und das ist sein Gebot, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus und uns untereinander lieben, wie er uns das Gebot gegeben hat. Wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm, und er bleibt in ihm. Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat (1. Johannes 3,22-24).
Ich hatte mir vorgenommen, heute über die Wichtigkeit des Gebets zu sprechen und euch dringend zu ermuntern, für mich und für das Werk des Herrn, das wir treiben, intensiv zu flehen. Brüder, betet für uns! Was kann unser Dienst am Evangelium nützen ohne den göttlichen Segen? Und wie können wir den göttlichen Segen erwarten, wenn er nicht von der Gemeinde Gottes erfleht wird? Brüder, betet für uns!
Vernachlässigt das Gebet nicht! Seid im Gegenteil inbrünstig in eurer Fürbitte und lasst sie überströmen! Nur so kann das Werk der Gemeinde gefördert werden. Doch dann drängte sich mir die Frage auf: Was, wenn sich in der Gemeinde irgendetwas fände, das der Erhörung unserer Gebete im Wege stünde? Dieser Frage müssen wir nachgehen, noch bevor wir zu Fürbitte auffordern.
Schon das erste Kapitel des Propheten Jesaja belehrt uns, dass die Gebete eines unheiligen Volkes vor Gott leicht zum Gräuel werden können: „Wenn ihr eure Hände auch ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch. Und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht, denn eure Hände sind voll Blut“ (Jesaja 1,15). Gemeinden können in einen Zustand geraten, in dem ihre Gottesdienste zur Gotteslästerung werden.
Wenn wir die Gottlosigkeit betrachten, die noch in unserem Herzen wohnt, kann der Herr uns nicht erhören. Nach unserem Schriftwort gibt es einige Dinge, die für die Erhörung der Gebete wesentlich sind. Gott will alle wahren Gebete erhören, aber es gibt bestimmte Eigenschaften, die das Volk Gottes besitzen muss. Sonst verfehlen unsere Gebete ihren Zweck.
Unser Text belehrt uns: Was wir bitten, empfangen wir von ihm, denn wir halten seine Gebote und tun, was vor ihm gefällig ist. Lasst uns also die wesentlichen Bedingungen für die Erhörung unseres Gebetes betrachten. Was müssen wir tun, was müssen wir sein, was müssen wir haben, damit unsere Gebete bei Gott stets Beachtung finden?
Voraussetzungen für erhörtes Gebet
Unterschiedliche Gebetsarten und ihre Voraussetzungen
Erstens: Was muss ich tun, damit Gott mein Gebet erhört? Hier gilt es, einige Unterscheidungen zu treffen.
Meiner Meinung nach besteht ein großer Unterschied zwischen dem Gebet eines Menschen, der Begnadigung sucht, und dem Gebet eines Menschen, der bereits errettet und selig geworden ist.
Ich möchte jedem zurufen: Wenn du ernstlich Begnadigung von Gott in Jesus Christus suchst, so wirst du sie empfangen. Unabhängig davon, in welchen Lebensverhältnissen du früher gestanden hast, wenn du reuevoll das Angesicht Gottes suchst – und zwar durch den von Gott eingesetzten Mittler, Jesus Christus – wird er sich von dir finden lassen.
Wenn dich der Heilige Geist zum Beten gelehrt hat, zögere nicht länger. Eile zum Kreuz und vertraue dein schuldbeladenes Leben Jesus an. Ich kenne keine weitere Vorbedingung für das erste Gebet eines Sünders, außer dass es ernstlich gemeint ist.
Anders müssen wir jedoch mit denen sprechen, die bereits Errettung gefunden haben. Ihr seid nun Gottes Kinder geworden und werdet natürlich erhört, genauso wie ein Sünder erhört wird. Ihr findet täglich die notwendige Gnade, die jede suchende Seele als Antwort auf ihr Gebet empfängt.
Doch jetzt seid ihr Kinder Gottes und genießt eine besondere Erziehung, die der wiedergeborenen Familie eigen ist. Dabei haben Gebetserhörungen einen hohen Stellenwert und sind von großem Segen. Für den Gläubigen sind sie eine Erquickung, die weiter und höher geht als die bloße Errettung.
Es sind Gnadengaben und Segnungen, Tröstungen und Gunstweisen, die sein jetziges Leben segensreich, glücklich und geachtet machen. Diese haben eine Beziehung zu seinen Charaktereigenschaften.
Sie sind keine Grundbedingung für seine Seligkeit. Diese besitzt jeder Gläubige ohne Vorbedingungen, denn sie ist eine Bundesverheißung. Wir sprechen hier von den Segnungen, die uns geschenkt oder vorenthalten werden – je nach unserem Gehorsam als Kinder Gottes.
Wenn ihr die Pflichten der Kinder Gottes vernachlässigt, habt ihr keinen Anteil an diesen Geschenken des himmlischen Vaters.
Um es bildlich zu sagen: Wenn ein Hungriger vor eurer Tür stünde und um ein Stück Brot bäte, würdet ihr es ihm geben, egal welcher Mensch er auch sei. Auch eurem Kind gebt ihr zu essen, ganz gleich, wie es sich verhalten hat.
Ihr verweigert eurem Kind nichts, was es zum Leben braucht. Ihr straft es niemals so, dass ihr ihm notwendige Nahrung oder ein Kleidungsstück zum Schutz gegen die Kälte verweigert.
Doch es gibt viele andere Dinge, die euer Kind begehrlich haben kann. Diese gewährt ihr ihm, wenn es folgsam ist, verweigert sie ihm aber, wenn es sich widerspenstig zeigt.
Dies möge euch zur Erläuterung dienen, in welcher Weise die väterliche Erziehung Gottes erfolgt.
Die Macht des Gebets und die Bedingung des Gehorsams
Unsere Schriftstelle bezieht sich also nicht auf Gottes Erhörung der Bitten seiner Kinder, die sie in bestimmten Fällen an ihn richten. Denn er erhört diese Bitten, auch wenn sie von seinem Wege abgeirrt sind und wenn er sein Antlitz vor ihnen verbirgt.
Die Macht des Gebets, auf die hier hingewiesen wird, ist eine fortwährende und unbedingte Macht bei Gott. So empfangen wir alles, was wir bitten, wenn wir mit unseren Schritten und unseren Schriftworten zu ihm reden. Für ein solches Gebet bestehen jedoch gewisse Vorbedingungen und wesentliche Erfordernisse, von denen wir nun sprechen wollen.
Die erste Voraussetzung ist kinderlicher Gehorsam. Was wir bitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten. Wenn es bei uns daran fehlt, dann schaut der Herr auf uns wie auf das Volk Israel: "Ihr habt mich verlassen und anderen Göttern gedient, darum will ich euch auch nicht mehr helfen. Geht hin und schreit zu den Göttern, die ihr euch erwählt habt!"
Jeder Vater wird sagen, dass er, wenn er den Bitten eines ungehorsamen Kindes nachgäbe, damit den Ungehorsamen seiner Familie Tür und Tor öffnen würde. Es ist oft notwendig, dass Eltern ihren Kindern sagen: "Mein Kind, du hast nicht auf mein Wort gehört, und darum kann ich leider auch deinem keine Beachtung schenken." Nicht, dass der Vater keine Liebe hätte – im Gegenteil, er liebt sein Kind. Und gerade weil er es liebt, fühlt er sich verpflichtet, dem irrenden Kleinen die Bitte zu verweigern.
Gott verfährt mit uns ebenso. Wenn er sieht, dass wir in Sünde und Übertretung fallen, so gehört es zu seiner liebevollen, väterlichen Zucht, zu sagen: "Ich weise dein Gebet von mir. Wenn du zu mir rufst, will ich dich nicht erhören. Wenn du mich um etwas bittest, will ich dich nicht verloren gehen lassen. Du sollst errettet werden, dein täglich Brot haben und das Wasser des Lebens empfangen. Aber mehr erhältst du nicht. Die feineren Genüsse meiner königlichen Tafel bleiben dir versagt, ich werde dir keine besondere Gunst erweisen."
Dass der Herr in dieser Weise mit den Seinen verfährt, geht aus dem achtzigsten Psalm hervor: "Wenn doch mein Volk mir gehorsam wäre und Israel auf meinen Wegen ginge, dann wollte ich seine Feinde bald demütigen und meine Hand gegen seine Widersacher wenden. Israels Zeit würde ewiglich währen, und ich würde es mit dem besten Weizen speisen und mit Honig aus den Felsen sättigen."
Wenn dem ungehorsamen Kind Gottes die Verheißung gegeben wäre, dass es im Gebet alles empfangen würde, was es bittet, dann würde es ganz gewiss um etwas bitten, wodurch es nur noch mehr in seiner Widerspenstigkeit bestärkt würde. Es würde um Mittel zur Befriedigung seiner Lüste bitten und um Unterstützung in den Dingen, die gegen Gottes Willen sind. Das kann niemals gemeint sein.
Soll Gott zu unserem Verderben mithelfen? Soll er uns noch Brennstoff suchen für die Flammen unserer fleischlichen Leidenschaften? Ein eigenwilliges Herz sehnt sich nach größerer Freiheit, damit es umso hartnäckiger auf seinen Willen bestehen kann. Ein hochmütiger Geist begehrt eine noch höhere Stellung, um für seinen Stolz noch mehr Nahrung zu haben. Ein träger Geist verlangt nach noch mehr Bequemlichkeit, um noch untätiger und gleichgültiger sein zu können als zuvor. Und ein herrschsüchtiger Geist verlangt nach größerer Macht, damit er noch mehr Gelegenheit zur Unterdrückung findet.
Wie der Mensch so sein Gebet: Ein rebellischer Geist bringt Eigenwille und hochmütige Gebete dar. Soll Gott auf solche Gebete hören? Das darf nicht sein. Er schenkt uns, was wir bitten, wenn wir seine Gebote halten. Wenn wir aber ungehorsam werden und seine Leitung und Herrschaft verwerfen, dann verwirft er auch unsere Gebete.
"Denn gegen die Reinen bist du rein, und gegen die Verkehrten bist du verkehrt" (Psalm 18,27). Selig sind wir, wenn wir durch die göttliche Gnade mit David sprechen können: "Ich wasche meine Hände in Unschuld und halte mich her zu deinem Altar" (Psalm 26,6). Das kann zwar nie eine vollkommene Unschuld sein, aber es ist wenigstens eine Unschuld, frei von der Liebe zur Sünde und von der frechen Empörung gegen Gott.
Die Bedeutung kindlicher Ehrfurcht
Eine weitere wesentliche Voraussetzung für erhörtes Gebet ist kindliche Ehrfurcht. Wir empfangen, was wir bitten, weil wir seine Gebote halten und das tun, was vor ihm gefällig ist.
In unserer Beziehung zu Gott, der ein vollkommener Vater ist, dürfen wir ohne Furcht Fehler machen. Dabei sollten wir stets sein Wohlgefallen als Richtschnur unseres Handelns nehmen. Wir können überzeugt sein, dass wir damit das Richtige tun. Was ihm missfällt, darf uns sicher als Unrecht gelten.
Stellen wir uns vor, einer von uns wäre eigenwillig und sagte: „Ich will nicht tun, was Gott gefällt, ich tue, was mir gefällt.“ Welche Art von Gebeten hätten wir dann? Unsere Bitten hätten einen gemeinsamen Nenner: „Lasst mich meine eigenen Wege gehen.“ Dürfen wir erwarten, dass Gott dem zustimmt? Dann wollten wir nicht nur Herren über Gottes Erbe sein, sondern sogar über Gott selbst.
Soll der allmächtige Gott auf seinem Thron verzichten, um einem hochmütigen Sterblichen Platz zu machen? Würdet ihr einem Kind erlauben, euch vorzuschreiben, was ihr zu tun habt, und dabei vergessen, dass es euch Achtung schuldet? Würdet ihr zu ihm sagen: „Ja, mein liebes Kind, du sollst Herr im Haus sein, und was du verlangst, sollst du bekommen“? Was für ein Haushalt wäre das?
Ich fürchte, es gibt solche Häuser, denn es gibt törichte Eltern genug, die dulden, dass ihre Kinder ihre Herren sind und sie zur Rute für den eigenen Rücken werden. Aber in Gottes Haus läuft es nicht so. Gott hört nicht auf seine eigenwilligen Kinder, es sei denn, dass er sie im Unmut hört und ihnen im Zorn antwortet.
Erinnert euch, wie er in der Wüste das Schreien Israels nach Fleisch erhörte. Doch als sie das Fleisch noch zwischen den Zähnen hatten, wurde es ihnen zum Fluch. Viele Leute werden dadurch gezüchtigt, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen – gerade wie Treulose von ihren eigenen Anschlägen getroffen werden.
Wir müssen eine kindliche Verehrung für Gott haben, so dass wir fühlen: „Herr, wenn das, worum ich bitte, dir nicht gefällt, würde es mir keine Freude machen. Meine Wünsche lege ich in deine Hände, damit du sie prüfst. Mache einen Strich durch jeden Wunsch, den ich vor dich bringe, wenn er unrecht ist. Und, Herr, lege du hinein, was ich dabei vergessen habe.
Guter Herr, wenn ich es hätte wünschen sollen, so erhöre mich, als wenn ich es erbeten hätte – nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Ihr könnt sehen, dass dieser kindliche Geist für erhörliches Beten wesentlich ist. Das Gegenteil wäre ein sicherer Riegel gegen die Gewährung unserer Bitte. Der Herr will von denen geehrt sein, die um ihn sind. Sie müssen ein Auge für sein Wohlgefallen in allem haben, was sie tun und bitten. Sonst sieht er nicht mit Wohlgefallen auf sie.
Die Notwendigkeit kindlichen Vertrauens
Drittens setzt unser Schriftwort die Notwendigkeit kindlichen Vertrauens voraus. Das Gebot lautet, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes, Jesus Christus. Immer wieder spricht die Heilige Schrift davon, dass zu erhörtem Beten Glauben an Gott erforderlich ist. Die Erhörung unseres Gebets steht in direktem Verhältnis zu unserem Glauben. Es ist eine feste Regel im Gottesreich: Dir geschehe, wie du geglaubt hast.
Erinnert euch an das, was der Heilige Geist durch den Mund des Apostels Jakobus spricht: „Wenn jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte Gott, der gibt jedermann und allem mit Güte. So wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas vom Herrn empfangen werde“ (Jakobus 1,5.7).
Unsere Schriftstelle spricht vom Glauben an den Namen des Sohnes Jesus Christus. Darunter verstehen wir den Glauben an seine geoffenbarte Persönlichkeit, den Glauben an sein Evangelium, den Glauben an sein stellvertretendes Leiden und seine Erlösung. Oder es ist der Glaube an die Machtvollkommenheit Jesu Christi gemeint. Wenn ich zu Gott flehe und spreche: „Tue es doch um des Namens Jesu willen“, so verstehe ich darunter: „Tu an mir, wie du an Jesus getan hättest, denn ich bin von ihm bevollmächtigt worden, seinen Namen zu gebrauchen. Tue an mir, wie du an ihm getan hättest.“
Wer im Glauben in Jesu Namen beten kann, dem kann es nicht fehlen. Denn der Herr Jesus hat gesagt: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun“ (Johannes 14,14). In jedem Fall muss Glaube vorhanden sein. Wenn kein Glaube da ist, dürfen wir nicht mit Erhörung rechnen.
Stellt euch vor, ein misstrauisches Kind habe sich in den Kopf gesetzt, sein Vater wolle nicht für seine tägliche Nahrung sorgen. Es kommt zu seinem Vater und sagt: „Vater, gib mir so viel Geld, dass es für die nächsten zehn Jahre zu meinem Unterhalt ausreicht. Denn dann bin ich erwachsen und kann für mich selber sorgen. Gib mir das Geld, damit meine Sorgen um meinen Zweifel behoben werden.“
Der Vater antwortet: „Mein Kind, warum sollte ich das tun?“ Die Antwort lautet: „Es tut mir sehr leid, lieber Vater, dass ich sagen muss, aber ich habe kein Vertrauen zu dir. Ich fürchte, du lässt mich eines Tages verhungern, und darum wäre es mir lieb, wenn ich ein sicheres Kapital auf der Bank hätte.“
Wer von euch Vätern würde auf solche Bitten seines Kindes hören, wenn es so dächte? Ihr würdet sehr betrübt sein, dass solche Gedanken einem eurer Lieben in den Sinn kommen könnten. Aber ihr würdet und könntet auf keinen Fall darauf eingehen.
Wendet nun dieses Gleichnis auf euch selbst an. Habt ihr nie Gott um etwas gebeten, das auf dasselbe hinausläuft? Seid ihr unfähig gewesen, Gott zuzutrauen, dass er euch Tag für Tag euer tägliches Brot zukommen lasse? Darum habt ihr euch abgemüht, um das, was ihr einen Notgroschen für die Zukunft nennt. Ihr wollt einen zuverlässigeren Fürsorger als die Vorsehung, eine bessere Bürgschaft als Gottes Verheißung.
Und ihr seid nicht imstande, eurem himmlischen Vater aufs Wort zu glauben? Ein paar Pfandbriefe irgendeines x-beliebigen, fast zahlungsunfähigen, fremden Staates betrachtet ihr als zuverlässiger? Ihr glaubt dem türkischen Sultan, dem Vizekönig von Ägypten, aber dem Gott der ganzen Erde glaubt ihr nicht?
Auf tausenderlei Weise beleidigen wir den Herrn, indem wir meinen, die sichtbaren Dinge hätten mehr Gehalt als seine unsichtbare Allmacht. Wir bitten Gott, er möge uns auf einmal so viel schenken, wie wir für den Augenblick gar nicht brauchen und vielleicht in aller Zukunft nicht nötig haben. Im Grunde liegt die Veranlassung zu solchen Wünschen in einem strafbaren Misstrauen gegen Gott. Es täuscht uns vor, es seien große Vorräte nötig, damit wir unsere Bedürfnisse genügend absichern.
Brüder, erwartet ihr, der Herr werde eure Torheit gutheißen und unterstützen? Soll er euch einen Haufen verrosteten Goldes und Silbers schenken, damit die Diebe nachgraben und stehlen? Oder Kisten voller Feierkleider, die die Motten fressen? Soll der Herr etwa so handeln, als ob er euer Misstrauen für gerechtfertigt hielte und zugeben, dass auf ihn kein Verlass mehr sei?
Gott behüte, ihr werdet keine Erhörung finden, wenn eure Gebete von eurem ungläubigen Herzen untergraben werden. „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen.“
Die nächste wesentliche Bedingung für eine fortwährende Macht des Gebets ist kindliche Liebe: dass wir glauben an den Namen seines Sohnes, Jesus Christus, und einander lieben, wie er uns das Gebot gegeben hat.
Die zentrale Rolle der Liebe im Gebet
Das größte Gebot nach dem Glauben ist die Liebe. So wie es von Gott heißt: Gott ist Liebe, können wir auch sagen: Das Christentum ist die Liebe.
Wenn jeder von uns menschgewordene Liebe wäre, dann wären wir zum vollkommenen Ebenbild Christi gelangt. Wir sollten überströmend in der Liebe zu Gott, in der Liebe zu Christus, in der Liebe zur Gemeinde, in der Liebe zu den Sündern und in der Liebe zu allen Menschen sein.
Hat ein Mensch keine Liebe zu Gott, dann befindet er sich in der gleichen Lage wie ein Kind, das seinen Vater nicht liebt. Wird sein Vater etwa versprechen, bedingungslos alle Wünsche seines lieblosen, unkindlichen Herzens zu erfüllen? Oder wenn ein Kind keine Liebe zu seinen Brüdern und Schwestern hat, soll ihm dann der Vater mit einem unbedingten Versprechen entgegenkommen und sagen: „Bitte, so wird’s dir gegeben“?
Der lieblose Sohn würde mit seinem selbstsüchtigen Bitten die ganze Familie in Armut stürzen, ohne jede Rücksicht auf die übrigen Familienmitglieder. Er würde nur dafür sorgen, seine Leidenschaften frönen zu können. Schon bald würde er verlangen: „Vater, gib mir das Erbteil, das mir gehört!“ oder „Vater, richte das Haus nach meinem Geschmack ein und sorge dafür, dass sich meine Brüder allen meinen Wünschen fügen!“
Eitel, auf seine persönlichen Entscheidungen bedacht, wie Absalom, der auf seinen Haarschmuck stolz war, würde er bald seine Hände nach dem Königreich ausstrecken. Wenige sind wie Joseph, die imstande sind, das bunte Kleid zu tragen, ohne zu Haustyrannen zu werden.
Wer würde einen verschwenderischen Sohn gestatten, mit dem ganzen Besitz auf und davon zu gehen? Wer wäre so unweise, einen zänkischen, herrschsüchtigen Sohn an den Ehrenplatz über seine Brüder zu setzen? Daraus erkennt ihr: Der Selbstsucht kann keine Macht des Gebets gewährt werden.
Lieblosen Leuten, die weder Gott noch Menschen lieben, können keine großen, weitgehenden und unbegrenzten Verheißungen anvertraut werden. Wenn uns Gott erhören soll, müssen wir Gott lieben und unsere Mitmenschen lieben.
Denn wenn wir Gott lieben, dann bitten wir nicht um irgendetwas, was nicht zu Gottes Ehre wäre. Und wenn wir unsere Brüder lieb haben, dann wünschen wir nicht, dass uns etwas widerfahre, was nicht auch unseren Brüdern zum Segen gereiche.
Ihr müsst alle Selbstsucht loswerden, ehe euch Gott die Schlüssel des Himmelreichs anvertrauen kann. Wenn aber die Selbstsucht tot ist, dann dürft ihr seine Schatzkammer aufschließen. Wie Fürsten werdet ihr Gewalt bei Gott haben und ausrichten, was ihr begehrt.
Die Bedeutung des Verbleibens in Gott
Weiterhin müssen wir auch kindliche Wege gehen. Lest den folgenden Vers: Wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm und er in ihm.
Jedes Kind liebt seine Heimat. Kein Ort ist so sehr geliebt wie das liebe alte Haus, in dem seine Eltern wohnen. Wer nun Gottes Gebote liebt und hält, von dem heißt es, er bleibe in Gott. Er hat gewissermaßen den Herrn zu seiner Heimstatt gemacht und bleibt in heiliger Vertraulichkeit mit Gott.
In ihm erfüllen sich die Worte unseres Herrn: Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch, so könnt ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. In Gott zu bleiben ist eine unerlässliche Bedingung für erhörliches Beten.
Stellt euch vor, jemand von euch hätte einen Sohn, der zu ihm spräche: Vater, ich bin nicht gerne zuhause, du interessierst mich im Grunde nicht, und die Hausordnung ist mir auch egal. Ich will ausziehen. Aber Vater, ich komme jede Woche einmal vorbei, und ich werde dich um dies und jenes bitten. Ich erwarte, dass du mir alles gibst, was ich von dir verlange.
Nun, wenn euch daran gelegen ist, das Haupt eurer Familie zu sein, so werdet ihr antworten: Junge, wie kannst du so etwas mit mir reden? Wenn du so eigenwillig bist, dass du mein Haus verlässt, kannst du da erwarten, dass ich deinen Bitten entspreche? Wenn du gar keine Rücksicht auf mich nimmst, kannst du da von mir erwarten, dass ich dich in deiner Lieblosigkeit und Widerspenstigkeit auch noch unterstütze?
Nein, mein Sohn, wenn du nicht bei mir bleiben willst und mich als Vater respektierst, so kann ich dir gar nichts versprechen.
Und so verhält es sich mit Gott. Wenn wir bei ihm bleiben und in kindlichem Umgang mit ihm leben, dann gibt er uns alles. Wenn wir ihn lieben, wie er geliebt werden soll, und unser ganzes Vertrauen so auf ihn setzen, wie man auf ihn vertrauen soll, dann hört er unser Flehen. Wenn aber nicht, dann können wir vernünftigerweise auch nicht erwarten, dass er uns hört.
Habe deine Lust am Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht (Psalm 37,4).
Wenn du aber keine Lust hast am Herrn und er nicht deine Heimstatt ist, dann erhört er dich auch nicht. Es kann sein, dass er dir gar das Brot der Trübsal gibt, aber ganz gewiss gibt er dir nicht, was dein Herz wünscht.
Die Rolle des Heiligen Geistes im Gebet
Und schließlich müssen wir einen kindlichen Geist haben. Daran erkennen wir, dass der Geist, den Gott uns gegeben hat, in uns bleibt. Was ist das anderes als der Geist der Kindschaft, der Geist, der in allen Kindern Gottes wirkt?
Die Eigenwilligen, die Gott entgegengesetzt denken, fühlen und handeln, dürfen nicht erwarten, dass Gott umkehrt, um auf ihre Weise zu denken, zu fühlen und zu handeln. Die Selbstsüchtigen, die vom Geist des Hochmuts getrieben werden, und die Trägen, die vom Geist der Bequemlichkeit geleitet sind, dürfen nicht erwarten, dass Gott ihnen etwas zu Gefallen tut.
Wenn der Heilige Geist in uns wirkt, unterwirft er unserer Natur seinen eigenen Willen. Dann stimmen die Gebete, die aus unserem erneuerten Herzen hervorgehen, mit dem Willen Gottes überein. Solche Gebete werden natürlich erhört.
Keinem Vater und keiner Mutter würde es je einfallen, auf ein eigensinniges Kind zu hören, das sagt: „Ich weiß, dass mein Vater nicht will, dass ich dies bekomme, aber ich will es trotzdem haben.“ Kein Mensch würde sich von einem eigensinnigen Kind so nötigen lassen.
Sollte uns denn Gott etwas gewähren, wonach wir verlangen, wenn es seinem eigenen heiligen Willen entgegensteht? Das kann nicht sein. Es muss in uns der gleiche Sinn walten wie in Christus Jesus. Dann können wir auch sagen: „Ich weiß, dass du mich allezeit hörst.“
Die Beziehung von Glauben, Liebe und Gehorsam im Gebet
Was müssen wir sein und haben?
Zweitens: Was müssen wir sein und haben? Wenn diese Eigenschaften in uns reichlich vorhanden sind, werden unsere Gebete nicht unfruchtbar und vergebens sein.
Vor allem gilt: Wenn wir an Gott glauben, können wir nicht im Zweifel sein, ob Gott unsere Gebete erhört oder nicht. Wenn wir uns im Glauben auf Jesus berufen, werden wir Erhörung finden.
Doch tausend Einwendungen stellen sich dagegen. Wenn zum Beispiel Gebete Naturgesetze betreffen, widersprechen uns die Männer der Wissenschaft. Aber was macht das? Ich will diesen Männern der Wissenschaft gern den freiesten Spielraum ihrer Ansichten lassen – fast hätte ich gesagt, ihres Wollens und Handelns.
Dennoch wüsste ich kein einziges Gebet, das des Betens wert ist und nicht mit irgendeinem oder anderen Naturgesetzen im Widerstreit stünde. Und dennoch glaube ich, dass Gebete erhört werden.
Man sagt, Gott werde nicht um unserer Willen die Naturordnung ändern. Ich antworte darauf: Wer behauptet denn dies? Der Herr kennt genug Wege, unsere Gebete zu erhören, ohne Wunder wirken oder Naturgesetze aufheben zu müssen. Er hat allerdings zu Zeiten Gebete durch Wunder erhört.
Das ist etwa so, als wenn man eine Dampfmaschine abstellt wegen eines geringen Nebenzwecks. Aber er weiß auch, seine Absichten zu erreichen und unsere Gebete auf irgendeinem uns verborgenen Weg zu erhören.
Vielleicht gibt es andere Kräfte und Gesetze, die er zu der Zeit, wenn das Gebet zu ihm dringt, in Tätigkeit setzt – gerade so, wie er es in seiner allwissenden Vorsehung von alters her verordnet und zuvor ersehen hat. Ebenso bestimmte Gesetze und ebenso natürliche Kräfte wie diejenigen, die unsere gelehrten Naturforscher entdeckt haben.
Die weisesten Menschen kennen noch lange nicht alle Gesetze, die das Weltall beherrschen – oh nein, kaum deren Alphabet. Wir glauben, dass die Gebete der Christen ein Glied im Getriebe der Vorsehung bilden, Zähne im großen Räderwerk der göttlichen Schicksalsfügung.
Und wenn Gott seine Kinder zum Beten veranlasst, hat er schon irgendeinen Hebel in Bewegung gesetzt, wie es für die erbetene Wirkung erforderlich ist. Die dargebrachten Gebete wirken wie ein Getriebe des Ganzen.
Der Vers vor unserer Schriftstelle lautet: So uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir Frieden mit Gott, und was wir bitten, das empfangen wir von ihm. Wer ein gutes Gewissen hat, kommt mit Vertrauen zu Gott. Dieses Vertrauen des Glaubens sichert ihm die Erhörung seines Gebets zu.
Kindliches Vertrauen bringt uns zum Beten – nichts anderes. Es bewirkt, dass ein Mensch um Großes bittet, um das er nie gebeten hätte, wenn er nie so Vertrauen gelernt hätte. Es bewirkt auch, dass er um Kleinigkeiten bittet, um die viele sich scheuen, weil sie noch nie kindliches Vertrauen zu Gott verspürt haben.
Ich habe oft gefühlt, dass es ein größeres Vertrauen zu Gott erfordert, wegen etwas Geringem zu ihm zu flehen, als etwas Großes von ihm zu begehren. Wir bilden uns ein, unsere großen Anliegen seien einigermaßen wert, dass Gott seine Aufmerksamkeit darauf richte – obwohl sie in der Tat für ihn unbedeutend genug sind.
Und dann meinen wir, unsere kleinen Angelegenheiten seien so winzig in seinen Augen, dass es beinahe eine Beleidigung für ihn wäre, wenn wir ihn damit belästigen. Doch sollten wir wissen, dass das, was einem Kind als etwas sehr Großes erscheint, für seine Eltern ganz unbedeutend ist.
Und doch beurteilen diese die Sache nicht von ihrem eigenen Gesichtspunkt aus, sondern vom Standpunkt des Kindes.
Da weint ein kleiner Junge bitterlich. Seine Mutter ruft ihn und fragt, was ihm fehle. Es steckt ein kleiner Splitter in seinem Finger. Seht, etwas Unbedeutendes. Ihr habt doch nicht nötig, den Arzt kommen zu lassen, um den Splitter zu entfernen oder in der Zeitung nach geeigneter Hilfe zu suchen. Nur eine Pinzette her, und es ist bald erledigt.
Aber was für ein großes Anliegen ist es doch für den kleinen Schmerzensmann, wenn er so dasteht mit großen Tränen und angsterfülltem Gesicht. Für ihn ist es etwas Wichtiges.
Er scheint nur seinen Schmerz seiner Mutter zu gering, als dass sie ihm helfen sollte? Ganz und gar nicht. Zu was wären denn die Väter und Mütter da, wenn nicht, um auf die Bedürfnisse ihrer Kleinen zu achten?
Und Gott, unser Vater, ist ein guter Vater. Er hat Mitleid mit uns wie ein Vater mit seinem Kind und neigt sich zu uns hernieder. Er zählt die Sterne am Himmel und ruft jeden bei seinem Namen. Dennoch heilt er die zerschlagenen Herzen und verbindet ihre Wunden.
Derselbe Gott, der die Sonne flammend erhellt, hat gesagt: Den glimmenden Docht will ich nicht auslöschen.
Wenn ihr nur euer Vertrauen auf Gott setzt, so kommt ihr mit euren großen und kleinen Anliegen zu ihm. Er wird euer Vertrauen nie täuschen, denn er hat gesagt: Wer auf ihn vertraut, soll nimmermehr zu Schanden werden.
Solange die Welt steht, wird der Glaube gekrönt sein.
Die Liebe als Spiegelbild Gottes und Grundlage erhörten Gebets
Aber nun muss auch von der Liebe die Rede sein. Wir haben bereits gesehen, dass derjenige, der im christlichen Sinne Liebe übt, nach dem Herzen Gottes handelt. Wenn ihr eure Liebe jedoch nur auf eure nächsten Angehörigen beschränkt, dürft ihr nicht erwarten, dass Gott ebenso handelt. Gebete, die sich nur auf diesen engen Kreis beschränken, berücksichtigt er kaum.
Wenn ein Mensch sein eigenes Ich liebt und hofft, dass bei anderen die Weizenernte fehlschlägt, damit sein eigener Ertrag umso höher erscheint, darf er gewiss nicht erwarten, dass der Herr mit solcher niedriger Selbstsucht einverstanden ist.
Wenn aber ein Mensch alle Geschöpfe Gottes in seine Liebe einschließen möchte und besonders für das göttliche Gnadenwerk betet, dann sind seine Gebete nach Gottes Willen. Seine Liebe und Gottes Güte verlaufen nebeneinander. Obwohl Gottes Liebe einem mächtig wogenden Strom gleicht und die eines solchen Menschen einem schwach rieselnden Bächlein, fließen doch beide in dieselbe Richtung. Und beide gelangen an dasselbe Ziel.
Gott hört jederzeit die Gebete eines liebeerfüllten Menschen, weil diese Gebete die Spiegelung seiner eigenen Ratschlüsse sind. Ferner ist der Mensch, den Gott erhört, ein Mensch des Gehorsams. Sein gehorsames Herz leitet ihn dazu an, in Demut zu bitten. Sein höchstes Verlangen ist, dass der Wille des Herrn geschehe.
Daher kommt es, dass ein Mensch mit gehorsamem Herzen betet wie ein Prophet. Seine Gebete sind Weissagungen. Ist er nicht eins mit Gott, wünscht und bittet er nicht gerade das, was Gott beabsichtigt? Wünscht er nicht Gottes eigene Wünsche?
Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir nicht immer gewissermaßen auf Hörweite mit Gott bleiben. Wenn dies aber der Fall wäre, würden wir denselben Ton anschlagen, den auch Gott anschlägt. Und wenn auch sein Ton donnergleich erschallen würde und der unsere wie ein leises Lispeln klingt, wäre doch ein völliger Einklang vorhanden. Der Ton, den das Gebet auf Erden anschlägt, stimmte mit dem überein, der von den ewigen Ratschlüssen im Himmel ausgeht.
Anders gesagt: Wer in Gemeinschaft mit Gott lebt, wird gewiss erhörlich beten. Denn wenn er in Gott bleibt und Gott in ihm, wünscht er, was Gott selbst begehrt.
Der Gläubige, der Umgang mit dem Herrn hat, sucht das Beste für den Menschen – genau wie Gott. Er hat zum Ziel, Christus zu verherrlichen – genau wie Gott. Er sucht das Wohlergehen der Gemeinde – genau wie Gott. Er wünscht ein Vorbild der Heiligkeit zu werden, und das ist auch Gottes Wunsch.
Hat ein solcher Mensch zu irgendeiner Zeit einen Wunsch, der nicht nach Gottes Willen ist, so liegt das an seiner Unwissenheit. Denn ein Mensch ist nur Mensch und nicht Gott, auch wenn er noch so sehr gefördert ist. Er kann irren, doch er begegnet diesem Irrtum, indem er betet: Herr, wenn ich in diesem meinem Gebet um irgendetwas gefleht habe, das nicht nach deinem Willen ist, so bitte ich dich, achte nicht auf mich. Und wenn irgendein Wunsch deinen Augen nicht wohlgefällt, so achte meiner nicht, mein Vater, sondern in deiner unendlichen Liebe und Milde tue etwas Besseres für deinen Knecht.
Als dein Knecht zu bitten imstande ist, schaut der Herr aus den Fenstern des Himmels und sieht solch ein Gebet zu ihm kommen, wie Noah die Taube zur Arche zurückfliegen sah. Er streckt seine Hand aus diesem Gebet entgegen, und wie Noah die Taube in seiner Arche aufnahm, so empfängt Gott dieses Gebet, nimmt es entgegen und legt es an seine Brust. Er spricht: Von mir bist du ausgegangen, und ich nehme dich mit Freuden wieder auf. Mein Geist hat dich beseelt, darum will ich dich erhören.
Unsere Schriftstelle spricht vom Christen als einem Menschen, der mit dem Geist Gottes erfüllt ist. Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt, an dem Geist, den er uns gegeben hat. Wer kennt, was im Sinne eines Menschen ist, außer dem Geist des Menschen? Und wer kennt, was Gott ist, außer dem Geist Gottes? Wenn aber der Geist Gottes in uns wohnt, dann sagt er uns, was der Wille Gottes ist. Er vertritt in den Heiligen den Willen Gottes.
Man bildet sich manchmal ein, dass Menschen, die sehr kräftig beten, um alles beten können, was sie wünschen. Aber ich kann versichern, dass dem nicht so ist. Das wird er euch selbst bestätigen. Ihr könnt einen solchen Beter rufen lassen und von ihm verlangen, dass er für euch betet. Aber er kann euch nicht versprechen, dass es geschehen werde.
Es gibt für solche Menschen merkwürdige Hindernisse. Wenn er fühlt, dass er – er weiß nicht wie oder warum – in einem bestimmten Fall nicht inständig und erhörlich beten kann, obwohl er es wünscht. Paulus wollte einst nach Bithynien reisen, doch der Geist ließ es ihm nicht zu.
So gibt es manches Verlangen, dem wir gern und willig entsprechen möchten, aber wir fühlen uns im Geist gebunden. Es kann sein, dass nichts gegen den Gegenstand der Bitte einzuwenden ist, doch das Geheimnis Gottes ist bei denen, die ihn fürchten. Es gibt ein geheimnisvolles Wann und Wo, wann seine Auserwählten hoffen dürfen, Erhörung zu finden.
Er gibt dir die Verheißung, dass er dein gläubiges Gebet erhören will, da du ein Mensch bist, der mit ihm wandelt und vom Heiligen Geist erfüllt ist. Aber er gibt dir nicht zugleich den Glauben an alle möglichen Dinge, die irgendjemand dir vorlegt. Im Gegenteil, er gibt dir Zurückhaltung, Urteilskraft und Weisheit nach dem Willen Gottes. Und der Geist Gottes bittet in den Heiligen dem göttlichen Willen gemäß.
Praktische Anwendung und Ermahnung
Selbstprüfung und Gemeindeleben
Einige Worte zur Nutzanwendung
Ich wünsche, dass diese Worte vielen unter uns zum Segen werden. Vor allem ist es notwendig, dass wir für die Gemeinde um einen großen Segen flehen. Doch besitzen wir auch die erforderlichen Voraussetzungen, um ein solches Gebet zu erhöhen?
Glauben wir an den Namen Jesus Christus? Freilich, das sollte ich meinen. Ich denke, man wird an der Echtheit unseres Glaubens nichts vermissen, obwohl wir vieles zu bekennen haben, was dessen Schwachheit betrifft.
Wie steht es mit dem nächsten Erfordernis? Sind wir erfüllt von der Liebe zu Gott und zueinander? Haben wir uns untereinander lieb? Wandeln wir in der Liebe? Niemand von uns ist vollkommen in der Liebe.
Ich will mit einem Bekenntnis anfangen: Ich gestehe, dass ich in dieser Beziehung nicht bin, was ich sein sollte. Lasset dieses Bekenntnis die Runde unter euch machen und bedenkt jeder für sich, wie oft wir lieblos gewesen sind – in unserem Tun, Denken und Reden, darin, dass wir auf liebloses Gerede hörten, lieblos unsere Hand verschlossen, wo wir hätten helfen sollen, und wie wir lieblos einen Menschen zurückgewiesen haben, der strauchelte.
Wenn sich in der Gemeinde Gottes ein Mangel an Liebe findet, dann dürfen wir nicht erwarten, dass unsere Gebete erhört werden. Denn Gott wird sagen: Du bittest um Wohlergehen – weshalb? Einer Gemeinschaft zuliebe, die noch nicht genug Liebe zu ihren eigenen Gliedern hat? Du bittest um Bekehrung – warum? Um noch andere in eine lieblose Gemeinschaft mit hineinzunehmen?
Meint ihr, Gott werde Sünder selig machen, die ihr nicht liebt? Und werde Leute bekehren, um die ihr euch kein bisschen kümmert? Wir müssen die Menschen in Christus hineinlieben, denn unter dem Wirken des Heiligen Geistes ist das große Werkzeug zur Eroberung der Welt die Liebe.
Das Schwert des Geistes, das Wort Gottes, ist die Hauptwaffe. Danach kommt der liebevolle Umgang und die herzliche Gemeinschaft der Christen mit ihren Mitmenschen. Wie viel von all dem haben wir schon erlangt? Soll ich euch sagen, wie wenig? Und tun wir dann auch, was Gott gefällt?
Wir können auf keine Gebetserhörung hoffen, wenn das nicht der Fall ist. Stellt diese Frage an euch selbst und im Kreis umher. Lasst jedes Gemeindemitglied diese Frage beantworten: Habt ihr jüngst so gehandelt, wie ihr wünscht, dass Jesus Christus es sehen dürfte?
Ist eure Familie so geordnet, dass Gott Wohlgefallen daran hat? Stellt euch einmal vor, der Herr Jesus habe diese Woche euer Haus besucht – uneingeladen und ganz unerwartet. Was würde er wohl zu dem sagen, was er zu sehen bekam?
Ach, spricht einer, der und der handelt nicht, wie es sich für einen Christen gehört. Ich bitte dich, Freund, denke doch an dich selbst. Darauf kommt es an: Tade dich selbst!
Wenn die Glieder der Gemeinde Gottes nicht tun, was in seinen Augen wohlgefällig ist, dann verriegeln sie ihrem eigenen Wohlergehen Tür und Tor. Sie verhindern das Gebet der Gemeinde. Wer will denn dem Wohlergehen der Gemeinde durch einen unordentlichen Wandel im Wege stehen? Wer möchte solche Schuld auf sich laden?
Gott vergebe etlichen von euch solche Sünden! Wir könnten von manchen mit Tränen reden, denn ach, obwohl sie bekennen, Nachfolger Christi zu sein, so sind sie doch unzuverlässig, sodass sie nicht Freunde, sondern Feinde des Kreuzes Christi sind.
Die Notwendigkeit des Verbleibens in Gott und des Geistes Gottes
Die nächste Frage lautet: Bleiben wir in Gott? Unser Text sagt, wenn wir seine Gebote halten, bleibt Gott in uns und wir in ihm. Wie steht es damit?
Denken wir den Tag über an Gott? Sind wir auch während unserer Arbeit bei Gott? Ein Christ soll nicht nur am Morgen zu Gott laufen und am Abend wieder, ihn als Zuflucht und Obdach gebrauchen – so wie Menschen unter ein Gewölbe oder in eine Halle flüchten, wenn ein Regenschauer sie überfällt. Vielmehr sollen wir in Gott bleiben und in ihm leben, vom Sonnenaufgang bis zum Untergang. Wir sollen ihn betrachten, vor seinem Angesicht wandeln und jeden Augenblick mit ihm füllen.
Du, Gott, siehst du mich? Wie steht es mit euch, liebe Freunde? Lasst diese Frage von Mund zu Mund gehen und von Herz zu Herz. Erwägt sie und beantwortet sie bei euch selbst.
Schließlich müssen wir uns noch fragen: Treibt uns der Geist Gottes oder ein anderer Geist? Harren wir auf Gott mit den Worten: Herr, dein Geist wolle mir sagen, was ich tun soll. Regiere meinen Verstand, unterdrücke meine Begierden, dämpfe meine bösen Neigungen und lass deinen Geist mich leiten. Herr, sei du mir besser als ich selbst, sei mir Seele und Leben. In dem dreifachen Reich meines Geistes, meiner Seele und meines Leibes, lieber Herr, sei du der höchste Meister. So wird in jedem Gebiet meiner Natur dein Gesetz aufgerichtet und deinem Willen gehorsam geleistet.
Wir hätten eine einflussreiche Christengemeinde, wenn wir alle dieses Sinnes wären. Gott gebe, dass der Weizen das Unkraut überpflüge. Gott schenke seinen Knechten Gnade, damit sie kräftig genug seien, dem sie umgebenden Übel zu widerstehen.
Und nachdem sie alles getan haben, was in ihren Kräften steht, sollen sie wirken zum Lob und zum Preis der Gnade dessen, der uns angenehm gemacht hat in dem Geliebten. Der Herr segne euch und sei mit euch von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen, Amen.
