Kommt mir ein bisschen so vor: müde Gemeinde. Das Wetter, der gestrige Tag und die Arbeit waren schön.
Nichtsdestotrotz gilt: Je müder man ist, desto wichtiger ist es, dass das liebevolle Ertragen und das Thema von heute trotzdem funktionieren.
Deshalb möchte ich gern noch einmal zurückspringen auf die letzte Predigt. Die Frage war: Wie gehen wir liebevoll miteinander um? Wie kann das gelingen?
Letzte Woche habe ich gesagt, dass es gelingen kann, wenn wir mit unserem Denken anfangen. Liebevolles Ertragen und ein liebevoller Umgang miteinander beginnen hier oben, im Kopf.
Die Bedeutung des Denkens für liebevolles Miteinander
Wir hatten uns Philipper 4,8 angeschaut. Mir ging es darum, dass ihr begreift: Wenn wir anfangen, unser Denken zu ändern und wirklich das tun, was dort steht, wo Paulus sagt: „Alles, was wahr, alles, was ehrbar, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was liebenswert, alles, was wohllautend ist, das erwägt“ – wenn wir darüber nachdenken, dann haben wir eine Chance, dass sich auch unser Leben ändert.
Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt in unserer Zeit. Unser Denken wird so überfrachtet mit Eindrücken. Die wenigsten Menschen haben heute noch die Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, worüber sie eigentlich nachdenken wollen. Sie werden permanent mit Informationen zugedröhnt und sind einfach froh, wenn sie mal nicht denken müssen.
Das Verrückte ist: Wenn wir aber aufhören zu denken, ändert sich in unserem Leben nichts. Die Bibel sagt: „Ändere dein Denken!“ Und man denkt sich vielleicht: „Boah, ich muss doch schon so viel denken. Ich habe eigentlich gar keine Lust, noch mehr zu denken.“ Das ist ein bisschen ein Widerspruch.
Das heißt, wir brauchen genug Zeit, um unser Denken zu ändern. Wir müssen Zeit haben, darüber nachzudenken, ob die Gedanken, die wir denken, auch wahr sind. Ob sich nicht irgendwo Lügen in unserem Leben eingenistet haben. Ich glaube persönlich, dass das Leben der meisten Menschen deshalb schiefgeht, weil sie irgendwo in ihrem Kopf einer Lüge glauben.
Das kann die Lüge sein: „Wenn ich nur im Beruf da und da ankomme“, oder „wenn ich nur die Frau habe“, oder „wenn ich nur das Auto habe“, oder eine andere Lüge, die sich festgesetzt hat. Und dann laufen die Leute diesem Gedanken hinterher.
Wir müssen aufpassen, dass wir Dinge denken, die ehrbar sind, sagt die Bibel. Also keine vulgären Gedanken. Wir sollen gerecht denken, also keine bösen Gedanken, denn böse Gedanken machen immer kaputt. Wir sollen rein denken und liebenswert, das heißt, wir wollen keine verletzenden Gedanken denken. Wir sollen uns mit dem Guten für den Nächsten beschäftigen, nicht voller Vorwürfe sein. Wir wollen Dinge denken, die wahr sind, und uns von Kritik fernhalten.
Da fängt es an, die richtigen Dinge zu denken. Wer sich jemals darauf eingelassen hat, wirklich an diesem Punkt anzufangen, wird merken: Das ist echt, das ist Christsein pur, und da wird es wirklich spannend.
Wir können die ganze Zeit mit einem freundlichen Lächeln durch die Gemeinde laufen und auf die Frage „Wie geht es dir?“ sagen: „Mir geht es gut, super, klasse.“ Aber in dem Moment, wo du ehrlich anfängst, darüber nachzudenken, wie du denkst, und dann sagst: „Oh Backe, was finde ich da für einen Mist in meinem Kopf!“, und dort ansetzt, neu denkst und dir ein neues Denken angewöhnst, dann merkst du erst, wie verkorkst du wirklich bist.
Die Herausforderung des neuen Denkens und die Rolle Jesu
Und diese grundsätzliche Ausrichtung auf ein neues Denken ist aus zwei Gründen unglaublich wichtig.
Der erste Grund ist, dass schlechte Gedanken uns ganz leicht fallen. Wir müssen uns gar nicht anstrengen, um auf irgendeine Lüge hereinzufallen. Wir sind irgendwie darauf gepolt: Jemand erzählt uns irgendeinen Blödsinn, und wir glauben es. Erstmal glauben wir es. Wir sind auf Oberflächlichkeiten eingestellt. Wenn wir uns über Klatsch und Tratsch unterhalten, sind wir einfach darauf gepolt. Du möchtest vielleicht nichts damit zu tun haben, hast aber doch irgendwo ein Interesse daran, es zu hören.
Wir sind auf unreine Gedanken gepolt. Die ganze Werbeindustrie lebt davon, die ganze Verführung lebt davon. Du musst dich nicht anstrengen, solche Gedanken zu denken, sie kommen fast von alleine. Wir sind darauf gepolt, Vorwürfe und Kritik mit uns herumzutragen. Das steckt irgendwie ganz tief drin. Diese ganzen falschen Gedanken kommen so ganz von alleine. Ich sitze einfach nur da und denke, und schon sind sie da. Ich muss eigentlich gar nichts Großes machen.
Das ist ein Ausdruck unserer Befallenheit. Es ist ein für jeden Mann und jede Frau nachvollziehbarer Punkt, an dem man erkennen kann: Ja, ich bin an meiner Seele wirklich krank, ich brauche Jesus. Wenn ich Menschen einlade und sage: „Hey, du brauchst Jesus, ich lade dich ein, dein Leben Jesus zu übergeben, ich lade dich ein, die ganze Sache mit Jesus zu machen“, dann gerne deshalb, weil ich weiß, dass echte Heilung gerade dort, wo es um unser Denken geht, und dann um unser Verhalten und unseren Charakter geht, immer von innen herauskommen muss.
Wir sind keine Hunde. Wir sind nicht wie ein Rettungshund, den man dressiert und der dann auf „Platz“ geht und sich einfach hinsetzt. So funktionieren wir nicht. Natürlich können wir uns ein bisschen dressieren, aber was wir eigentlich brauchen, ist von innen heraus ein Neuanfang. Wir brauchen Buße, wir brauchen Vergebung, wir brauchen Jesus in unserer Mitte, wir brauchen die Kraft des Heiligen Geistes, die uns erst befähigt, ein verändertes Leben zu führen.
So können wir Menschen werden, die gegen dieses sündige Gedankenleben ankämpfen. Die sagen: „Nee, ich denke das nicht mehr zu Ende. Jetzt ist mal Schluss an der Stelle. Jetzt breche ich den Gedanken einfach ab.“ Und zwar immer dann, wenn er kommt. Wir sollen Menschen werden, die andersherum positiv denken. Die sagen: „Wenn ich die ganze Zeit so kritisch denke, was könnte ich denn Gutes denken?“ Und dann kommt vielleicht das Erschrecken: Mir fällt ja gar nichts ein. Ich weiß ja gar nicht, was ich denken soll.
Und dann gehe ich da ran und sage: „So, jetzt will ich es aber trotzdem. Ich werde jetzt anfangen, positiv zu denken, und ich werde mir gute Gedanken machen. Ich werde über das nachdenken, was wahr ist, was ehrbar, gerecht, rein usw. ist.“ Ich werde dieses Getrimmtsein auf schlechte Gedanken ablegen. Ich werde den Kampf aufnehmen.
Das ist der eine Punkt, warum diese grundsätzliche Ausrichtung auf ein neues Denken so wichtig ist.
Der zweite Punkt, um den es mir heute bei „liebevollem Ertragen“ geht, ist folgender: Jeder von uns, wie wir hier sitzen – und zwar wirklich jeder – gibt dem jeweiligen anderen genug Anlass für schlechte Gedanken. Ich rede noch nicht mal über Sünde. Ich rede einfach darüber, dass jeder von uns Dinge hat, ich sage mal, Unausgewogenheiten im Charakter, Unterschiedlichkeiten, wo man sagen muss: „Du bist echt komisch.“
Die Herausforderung der Unterschiedlichkeit in der Gemeinde
Also, ich habe oben an meinem Whiteboard folgende Übung gemacht: Ich habe eure Namen aufgeschrieben und mir sind so ungefähr 15 bis 20 Dinge eingefallen, die mir spontan dazu eingefallen sind. Zu jedem Namen habe ich etwas dazu geschrieben – etwas, woran man denken könnte, wenn man einen schlechten Tag hat oder schlecht geschlafen hat. Dann könnte man denken: „Das ist anstrengend an der Stelle.“
Mir ist aufgefallen, dass ich keine Ausnahme bin. Bei mir hätte ich wahrscheinlich am meisten hinschreiben können, weil ich zu jedem Namen etwas habe, wo ich denke: „Muss der das so machen?“ Das fällt einem ganz leicht.
Ich habe ein paar Beispiele mitgebracht, damit ihr versteht, was ich meine. Einige sind nicht da, aber sie werden es mir verzeihen.
Wir haben im Brüderkreis das Brotbrechen. Der Kelch geht rum, Flo ist dran, legt den Kelch weg und sagt: „War der Wein sauer?“ Wer Flo kennt, weiß, das ist ein typischer Flo. Keiner würde das an der Stelle so sagen. Ich denke dann: „Ey du Nase, diese süße Plörre, die du normalerweise trinkst – klar ist das ein vernünftiger Wein zum Brotbrechen.“ Das ist einfach so: Du suchst was, du findest es.
Oder hinten sitzt Holger. Holger hat schon mal gemeindeintern einen kleinen Anschiss von Brüdern bekommen, weil er immer so lang betet. Ich erinnere mich: Wenn Holger so richtig in Fahrt ist, kann das mal passieren. Dann kann man schon mal sagen: „Das war mir jetzt ein bisschen zu lang.“ Man kann es auch sein lassen.
Ich will heute darüber reden, dass man es sein lassen kann. Aber da ist ein Punkt, wo man zu Recht sagen kann: „Ja, wenn der mal so richtig in Fahrt ist, da fällt ihm noch was ein, und noch was, und noch was.“
Oder letztes Jahr – jetzt kommt Thomas, ich hatte ihn vorgewarnt – da sagt Thomas: „Ich habe es geil geratet, Ehe-Auszeit, ein Jahr lang mache ich gar nichts.“ Da dachte ich: „Na, vielen herzlichen Dank, dass wir die Arbeit mitmachen dürfen.“ Natürlich kann man das erst mal so denken. Es ist keine Sünde, das so zu sagen. Aber jeder gibt einfach so sein.
Oder meine Frau, die ist heute nicht hier, sie ist unten, aber vor dem Gottesdienst, wenn sie gerade total unter Stress steht und schon viel geschafft hat, da kann das mal ein bisschen leicht genervt sein. Ja, das stimmt, das passiert einfach.
Ich denke auch an Janine. Wie viele Leute hat die mit ihrem Hund? Ja, sie hat einen Hund, was soll ich sagen, das ist halt nun mal so.
Oder ich denke an Till, der mir manchmal so ein bisschen zu streng rüberkommt, wo ich denke: „Till, muss das immer so sein?“
Oder ich denke an Eugen, weil ich ihn gerade sehe. Eugen finde ich immer noch ein bisschen kauzig, von seiner ganzen Art her. Nein, ist einfach so. Er ist so anders. Wir sind so weit, wo ich dann denke: „Ja, ey, er ist einfach so. Er ist Eugen, und er ist nicht Mainstream.“
So finden wir einfach. Wenn ich jetzt hier durchgehen würde, könnte ich wahrscheinlich zu jedem, den ich länger als ein Vierteljahr kenne, sagen: „Hey, da hast du etwas, wo ich sagen muss: Ja, wenn ich mal einen schlechten Tag habe und du mir mal so richtig querkommst, dann könnte ich an der Stelle echt so reagieren.“
Das ist einfach die Realität. Wenn wir wollen, finden wir bei jedem etwas zum Bemängeln, zum Bekritteln und zum Verurteilen. Das geht ganz, ganz, ganz schnell.
Und weil das eine Realität ist, weil diese Lust zum Kritisieren und zum Richten tatsächlich tief in uns drinsteckt, und weil wir natürlich wissen, dass echtes Christsein nicht daran erkannt wird, wie gut wir darin sind, uns möglichst effektiv zu kritisieren, sondern daran, wie tief wir uns lieben, müssen wir uns heute in dieser Reihe über Liebe unterhalten.
Es geht um das Thema: Wie funktioniert liebevolles Ertragen? Wie funktioniert das in der Gemeinde?
Die innere Spannung des Christenlebens
Ich möchte mit einer Spannung beginnen, die im Römerbrief von Paulus beschrieben wird. Ich bitte euch, Römer Kapitel 7 aufzuschlagen.
Ich möchte das dem eigentlichen Thema voranstellen, damit wir begreifen, in welcher grundsätzlichen Spannung Christsein gelebt wird. Im Römerbrief Kapitel 7 heißt es in Vers 22: „Denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes.“
Das bedeutet, in mir drin bin ich von Gott im Moment meiner Bekehrung erneuert worden. Ich möchte Gott gefallen. Ich finde in meinem inneren Menschen diese Regel, dass ich das Gesetz Gottes toll finde. Ich habe nach meinem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes. Wenn da steht: „Du sollst lieben“, dann stimmt in mir drin mein innerster Kern dem zu und sagt: „Halleluja, ja, so ist gut.“
Aber es geht weiter, Vers 23: „Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, also in meinem Körper, wenn ich jetzt so mal schaue, was ich wirklich tue, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“
So schreibt Paulus. Man kann das ein bisschen leichter formulieren: Wenn ich jetzt versuche, das, wozu ich Lust habe, auch zu tun und mir meinen Alltag anschaue – was kommt denn hinten raus? Na ja, ich habe schon Lust am Gesetz Gottes, ich möchte schon lieben, aber wenn ich mal ganz ehrlich bin, dann ist das, was ich wirklich sage und tue, nicht immer so, dass man sagen würde: Das ist toll.
Ich lebe in einer Spannung, in einer Spannung, dass ich das Gute will, aber beim Versuch, das Gute zu tun, an Grenzen stoße. Grenzen, die damit zu tun haben, dass in mir, in meinem Körper, Sünde steckt. Ein ganz unheiliges Etwas, das mich dazu bringen will, Böses zu tun.
Und es geht dann weiter in Vers 24: „Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?“
Wenn es so ist, dass ein erneuerter innerer Mensch in einem nicht erneuerten Körper steckt, der immer noch sündigen will, wer wird mich retten?
Dann heißt es in Vers 25: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.“
Dann lese ich in Kapitel 8, Vers 3 weiter: „Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sandte und die Sünde im Fleisch verurteilte, damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.“
Die Situation ist erst einmal aussichtslos: Ich bin jemand, der das Gute will und es nicht schafft. Wer wird mich retten?
Und die Antwort, die Paulus bringt, ist: Du kannst dich nicht selbst retten. Das Einzige, was du tun kannst, ist, dass Gott es schon getan hat. Er hat dir seinen Geist, den Heiligen Geist, gegeben. Dafür kannst du dankbar sein. Immer dann, wenn der Heilige Geist dir einen Impuls zum Guten gibt, kannst du diesen Impuls aufgreifen. Und das kannst du tun.
Das heißt, wenn es hier steht, dass wir im Geist wandeln, bedeutet das, dass da, wo wir vom Geist die Idee bekommen: „Hey, ich soll das Richtige tun“, wir es dann auch tatsächlich in seiner Kraft tun. Aus uns selbst heraus sind wir verlorene Menschen, wir können das Gute nicht tun. Das müssen wir begreifen. Wir leben in einer Spannung.
Immer dann, wenn wir uns dazu entscheiden, das Richtige zu tun, also wenn du in eine Situation kommst und merkst: „Ah, jetzt müsste ich das tun, das wäre richtig.“ Du kommst abends in eine Situation, es schaukelt sich so ein bisschen hoch zwischen dem Ehepaar, und jetzt müsste mal einer aufhören zu reden, das wäre gut. Und du sagst: „Das mache ich. Ich höre jetzt mal auf zu reden.“ Dann eskaliert es nicht weiter.
Man weiß ja immer, an welcher Stelle es gut ist, mal zu schweigen. Oder vielleicht muss man auch manchmal was sagen. Und du entscheidest dich dazu, das Richtige zu tun. Jedes Mal, wo du das tust, weil du dem Geist Gottes Folge leisten möchtest und das Richtige tun möchtest, wird in dir ein Stück von deinem alten Charakter abgeschlagen. Du wirst ein Stück verändert in Richtung Jesus.
Das ist das, was der Heilige Geist in dir tun will. Er gibt dir diesen Impuls. Er stellt dich quasi vor die Frage: „Möchtest du das Richtige tun? Ich bin da mit meiner Kraft, ich möchte dich unterstützen.“ Und du wirst dabei auf die Nase fallen. Dann kannst du wieder aufstehen. Aber möchtest du das Richtige tun?
Jedes Mal, wenn wir sagen: „Ja, ich möchte das tun“, wenn wir uns auf dieses Zusammenspiel einlassen, wo der Heilige Geist uns mit unserem Geist in die richtige Richtung drängen möchte, wo wir so leben, wie unser Vorbild, wie der Herr Jesus das getan hätte – immer dann, wenn wir das tun, werden wir verändert.
Immer dann, wenn wir uns dafür entscheiden, Liebe zu leben, werden wir tatsächlich ein Stück liebevoller.
Voraussetzungen für liebevolles Ertragen
Diese Spannung ist wichtig, denn ich möchte euch jetzt einige Dinge sagen, die für ein liebevolles Ertragen und ein liebevolles Miteinander wesentlich sind. Ihr könnt das dann durchgehen und vielleicht denken: Das schaffe ich ja nie.
Dann antworte ich: Ja, das wirst du nie schaffen. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht nicht darum, dass wir aus eigener Kraft zu Überhelden werden, die ein Käppi aufsetzen und einen Superman-Anzug anziehen, um dann wuff durch die Luft zu fliegen. Darum geht es nicht.
Wir sind keine Supermänner, sondern haben einen Supergeist geschenkt bekommen, der uns unterstützen will, neue Menschen zu werden. Vergesst das bitte nicht, wenn ich jetzt sage, dass bestimmte Dinge dazugehören, wenn wir einander mit Liebe begegnen wollen.
Der erste Punkt, den ich vorweg schiebe, ist, dass wir ein großes Maß an etwas brauchen, das ihr schon kennt: heiliger Gelassenheit. Viele kennen schon mein T-Shirt, das grüne mit der roten Aufschrift „heilige Gelassenheit“.
Ich glaube, wir können einander überhaupt nur liebevoll ertragen, wenn wir nicht mehr glauben, dass wir das Zentrum des Universums sind und dass unsere Vorstellungen vom Leben die einzigen sind, die ein Recht auf Existenz haben – egal wie wichtig das Projekt ist, an dem wir gerade sitzen.
Das ist sozusagen eine Vorbedingung, die man erst einmal akzeptieren muss: Du bist nicht der Wichtigste oder die Wichtigste, und ich bin es auch nicht. Das sage ich einfach mal vorneweg.
Grenzen des liebevollen Ertragens
Und dann möchte ich, wenn wir über liebevolles Ertragen reden, zwei Randbedingungen skizzieren. Zunächst möchte ich sagen, was nicht dazugehört. Was ertragen wir nicht liebevoll? Wo hört liebevolles Ertragen eigentlich auf?
Der erste Punkt, der nichts mit liebevollem Ertragen zu tun hat, steht hier auf der linken Seite: grobe Sünde. Wir ertragen keine grobe Sünde. Es ist nicht liebevoll, wenn wir über Sünde im Leben von Geschwistern, die ihr Leben zerstört oder die in der Lage ist, die Gemeinde kaputtzumachen, einfach so hinwegsehen – nach dem Motto: „Na ja, die Liebe erträgt alles, soll sie ruhig mal.“ Das ist keine Liebe, sondern Lieblosigkeit und Desinteresse.
Die Korinther hatten so ein Problem, aber sie waren nicht die Ersten. Schon im Alten Testament gibt es einen Vers in 3. Mose 19, wo Gott sagt: „Du sollst deinen Nächsten ernstlich zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld trägst.“ (3. Mose 19,17). Du sollst ihn ernstlich zurechtweisen.
Ich weiß, dass das anstrengend ist. Ich weiß, dass es keinen Spaß macht, zu jemandem hinzugehen und zu sagen: „Hey, in deinem Leben passieren Dinge, die nicht mehr in Ordnung sind. Du machst dich kaputt, wenn du das zu Ende lebst, oder du machst womöglich die Gemeinde kaputt.“ Also liebevolles Ertragen bezieht sich nicht auf grobe Sünde.
Ich habe ein anderes Beispiel aus 2. Thessalonicher 3. Dort heißt es in Vers 7, dass Paulus mit seinem eigenen Vorbild in die Gemeindesituation hineinkommt, in der sich ein gewisser Schlendrian eingeschlichen hatte. Es gab Leute, die dachten: „Der Herr Jesus kommt eh bald wieder, dann kann ich aufhören zu arbeiten, dann kann ich mich so ein bisschen durchschnorren, und dann ist gut.“
Paulus sagt: „Denn ihr selbst wisst, wie man uns nachahmen soll.“ (2. Thessalonicher 3,7) „Denn wir haben unter euch nicht unordentlich gelebt, noch haben wir von jemandem Brot umsonst gegessen, sondern wir haben mit Mühe und Beschwerde Nacht und Tag gearbeitet, um keinem von euch beschwerlich zu fallen.“
Und dann in Vers 10: „Denn auch als wir bei euch waren, geboten wir euch dies: Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen. Denn wir hören, dass einige unter euch unordentlich wandeln, indem sie nicht arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben.“
An so einer Stelle hört liebevolles Ertragen auf. Wenn du merkst, jemand ist einfach faul, jemand will nicht arbeiten, dann ist es nicht so, dass man sagt: „Na ja, komm, wir haben eh genug, dann geben wir ihm ab und zu mal einen Lidl-Gutschein, dann ist schon in Ordnung.“ Nein, der braucht etwas ganz anderes.
Paulus sagt in Vers 12: „Solchen aber gebieten wir und ermahnen sie im Herrn Jesus Christus, dass sie in der Stille arbeiten und ihr eigenes Brot essen.“ Und dann in Vers 14: „Wenn aber jemand unserem Wort durch den Brief nicht gehorcht, den bezeichnet, habt keinen Umgang mit ihm, damit er beschämt werde.“
Dem hilft es nicht zu sagen: „Du, das macht man nicht.“ Sondern da muss man sagen: „Wenn du das nächste Mal bei mir klingelst und wieder etwas zu essen haben willst, kannst du es haben, aber vorher geh doch mal arbeiten.“ Da muss wieder so ein bisschen ins Arbeitsleben zurückgeschoben werden.
Das ist ein Beispiel, wo wir merken, dass liebevolles Ertragen dort endet, wo Sünde vorliegt, wo jemand sich mit seinem Leben kaputtmacht. Dort gibt es eine Grenze. Wir reden heute nicht darüber, dass es Liebe ist, zu allem zu schweigen und alles irgendwie gutzureden. Das ist keine Liebe.
Ich möchte eine zweite Grenze für liebevolles Ertragen zeigen, über die selten gepredigt wird. Zumindest habe ich noch nie eine Predigt darüber gehört. Ich habe sie mit „Privatsphäre“ überschrieben.
Die Bedeutung von Privatsphäre im liebevollen Miteinander
Auch das Ertragen hat Grenzen. Anders ausgedrückt: Christen leiden nicht, obwohl manche es tun, unter einem Helfer-Syndrom.
Ja, Helfersyndrom bedeutet, dass man immer helfen muss, immer einspringen und ständig dem anderen weiterhelfen will. Nein, das ist eigentlich nicht Christsein. Die Bibel ist nüchtern genug, um zu betonen, dass ich mein Leben lebe und nicht das deines.
Ich möchte das noch einmal betonen: Ich lebe mein Leben und bin für mein Leben verantwortlich, aber ich lebe nicht deins. Ich finde es einen ganz wichtigen Punkt, dass wir das wirklich verstehen. Ich bin erst einmal nur für mein Leben verantwortlich.
Auch dort, wo Gott uns zusammengestellt hat, heißt liebevolles Ertragen nicht, dass du von mir verlangen kannst, was du willst, und dass ich immer bereitstehen muss, um dir in allen Lebenslagen zu helfen.
Dazu gibt es in den Sprüchen einen Vers, den ich sehr witzig finde und lange nicht verstanden habe, inzwischen aber gut verstehe. Es heißt in Sprüche 25,17: „Mache deinen Fuß selten im Haus deines Nächsten, damit er dich nicht satt wird und dich hasst.“
Da habe ich mich gefragt, was das soll. Es ist ein Recht auf Privatsphäre, ganz einfach. Ich muss – und das heißt nicht, dass ihr mich nicht mehr besuchen sollt, keine Sorge, darum geht es gar nicht – ich habe ein Recht darauf, mein Leben zu leben.
Ich habe ein Recht darauf, auch mal zu sagen: Freunde, jetzt ist genug! Wer öfter bei mir ist, weiß, dass ich manchmal Leute rauswerfe, mehr oder weniger offensichtlich, weil ich einfach sage: „Du, ich brauche jetzt mal meine Ruhe, ich brauche jetzt mal meine Familie, meine Kinder brauchen mich, jetzt ist Schluss.“
Liebevolles Ertragen bedeutet nicht, dass ich immer dann springen muss, wann du Lust hast. Das ist einfach nicht liebevolles Ertragen – auch von deiner Seite aus nicht. Das wäre ein merkwürdiges Beherrschtwerden, und das möchte ich nicht.
Also heißt liebevolles Ertragen nicht, dass wir alles gutreden oder immer Zeit haben. Das bedeutet es nicht.
Die Grundlage für liebevolles Ertragen: Warnung vor falschem Richten
Jetzt stellt sich die Frage: Was bedeutet das eigentlich? In der Mitte zwischen diesen beiden Balken stehen verschiedene Punkte. Ich möchte mit der ersten Bibelstelle beginnen, Matthäus 7,1-4. Mitten in der Bergpredigt finden wir einen sehr bekannten Text, der uns schon am Anfang gut dabei hilft, zu überlegen, was es heißt, einander in Liebe zu ertragen.
Ein ganz wichtiger Punkt, mit dem das anfängt. Ich lese die ersten vier Verse vor. Was gehört zum liebevollen Ertragen auf jeden Fall dazu? Ich habe es überschrieben mit einer Warnung vor dem falschen Richten.
Im Matthäusevangelium, Kapitel 7, Verse 1 bis 4, heißt es: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was aber siehst du den Splitter, der im Auge deines Bruders ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr.
Hier geht es um falsches Richten. Es geht darum, dass Menschen, die ihre eigenen Fehler übersehen, den noch so kleinen Fehler im Leben des anderen sehen. Ich kann den Balken in meinem Auge irgendwie nicht sehen. Das ist natürlich ein Bild und auch ganz bewusst lustig gemeint. Stell dir jemanden vor, der wirklich mit so einem Holzbalken herumläuft. Der sieht quasi gar nichts außer dem Balken, wenn er die Augen aufmacht, aber er sieht jeden Splitter im Auge des anderen.
Wenn das bei uns so ist, dass wir das kleinste Versehen beim anderen sehen, aber unsere richtig großen Fehler nicht wahrnehmen, dann kann liebevolles Ertragen schon gar nicht passieren. Wenn ich darauf gepolt bin, immer die Fehler beim anderen zu suchen und verurteilen zu wollen – und bitte schön, wir kommen mit dieser Haltung quasi in das neue Leben rein –, dann ist das die Norm.
Die Norm ist, dass man immer erst mal schaut, wo der andere schlecht ist. Dann kann liebevolles Ertragen eigentlich nicht gelingen. Und das müssen wir uns echt sparen. Deshalb sagt Jesus das auch so deutlich: Richtet nicht! Diese falsche Art von Richten wollen wir nicht. Lasst die kleinen Fehler kleine Fehler sein!
Die Bedeutung von Selbsterkenntnis und Nachsicht
Da sind wir schon beim nächsten Punkt: dem Wert einer korrekten Selbsteinschätzung, um die Fehler anderer nicht zu übersehen.
Das Alte Testament ist da sehr hilfreich. In Sprüche 19,11 heißt es: „Die Einsicht eines Menschen macht ihn langmütig.“ Je mehr ein Mensch von sich selbst versteht – und ich denke, das ist hier besonders gemeint –, je mehr er seine eigenen Fehler und Schwächen erkennt, was er schon ausgefressen hat und wo er voller Idealismus irgendwo hineingesprungen ist, das sich dann aber als Luftblase erwiesen hat, desto mehr versteht er über sich selbst und über die Welt, wie sie läuft und wie er in dieser Welt agiert. Die Einsicht eines Menschen macht ihn langmütig!
Weiter heißt es: „Und sein Ruhm ist es, an der Übertretung vorüberzugehen.“ Hier geht es nicht um grobe Sünde, sondern um die kleinen Dinge, über die man sich aufregen kann. Die Sprüche betonen den Wert, sich selbst richtig einzuschätzen. Es ist etwas Positives, ein Ruhm, etwas, worauf man stolz sein kann, wenn man es schafft, an diesen kleinen Problemen vorbeizugehen – wenn der andere mich ein bisschen nervt oder einen Fehler gemacht hat. Wir sprechen hier von Übertretungen, also wenn im Leben des anderen etwas schiefgelaufen ist, und trotzdem vorbeizugehen, ohne einen großen Aufriss zu machen.
Ihr kennt sicher den Spruch aus dem Prediger, den ich schon vor ein paar Wochen zitiert habe. Er passt einfach so gut, dass ich ihn noch einmal bringen möchte. Prediger 7,20 sagt: „Denn kein Mensch auf Erden ist so gerecht, dass er nur Gutes täte und niemals sündigte.“ Man kann nur Amen dazu sagen! Keiner ist so gerecht, dass er nur Gutes tut.
Was bedeutet das für Vers 21? „Auch richte dein Herz nicht auf all die Worte, die man redet, damit du nicht hörst, wie dein Knecht dich verflucht.“ Achte also nicht auf das ganze Geschwätz hinter deinem Rücken. Warum soll ich nicht darauf hören? Ist es nicht schlimm, wenn jemand mich verflucht? Sollte ich ihn nicht bestrafen? Muss ich das nicht wissen, wenn jemand schlecht über mich redet?
Der Prediger erklärt dazu in Vers 22: „Denn auch viele Male, dein Herz weiß es, hast auch du andere verflucht.“ Das ist so eine unglaublich herrliche biblische Nüchternheit. Eigentlich dürfte kein Mensch auf dieser Erde ein Problem damit haben, an den ganz klassischen, einfachen Fehlern anderer Menschen vorbeizugehen. Ich meine solche Dinge wie zu spät kommen, sich mal im Ton vergreifen oder etwas tun, das nicht richtig war.
Eigentlich müssten wir alle einen entspannten Umgang mit solchen Sachen haben, weil wir selbst alle diese Fehler schon gemacht haben. Wenn wir einen nüchternen Blick auf unser eigenes Leben werfen und ehrlich zu uns sind, wenn wir den „Telefonmast“ in unserem Auge sehen, den wir vor uns hertragen, dann dürften wir den Splittern im Auge der Geschwister nur mit einem Lächeln, Geduld und Freundlichkeit begegnen.
Eigentlich ist das so. Aber so sind wir nicht. Dennoch ist das das Ziel, das die Bibel uns vor Augen stellt. Darauf sollten wir hinarbeiten.
Liebe deckt Sünde zu und schafft Gemeinschaft
Und wo wir schon dabei sind: Das ist jetzt sehr praktisch. Ja, ich bin irgendwie ein Sünder und du bist ein Sünder, und wir treffen uns ja eigentlich auf Augenhöhe.
Gehen wir noch einen Schritt weiter in den ersten Petrusbrief. Dort heißt es: Liebe deckt Sünde zu und nicht auf (1. Petrus 4,8). Ihr merkt, es wird immer ein bisschen mehr.
Das eine ist einfach nur, dass wir aufhören zu kritisieren. Dann werfen wir einen Blick in unser Leben und sagen: Na, eigentlich dürften wir gar kein Recht zu reden haben, wir wissen ja genauso viel.
Und jetzt, im ersten Petrusbrief Kapitel vier, stoßen wir auf unser eigentliches Thema, worüber wir die ganze Zeit reden: Wie funktioniert Liebe in der Gemeinde?
1. Petrus 4,8 sagt: Vor allen Dingen aber habt untereinander eine anhaltende Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden.
Du liest das und denkst dir: Das kann doch gar nicht sein. Doch, Liebe deckt Sünde zu. Schön, oder? Liebe deckt Sünde zu.
Ich mache etwas falsch und du deckst es zu, weil du mich lieb hast. So funktioniert Liebe.
Wir reden nicht über grobe Sünde, die dein Leben oder die Gemeinde zerstört, sondern über diese Alltagssünden, die uns das Leben schwer machen.
Liebe deckt Sünde zu. Ich sehe die Sünde, aber ich mache keinen Fass auf.
Ich bin vielleicht innerlich angezickt, logisch, wenn mein Gerechtigkeitsempfinden sagt: Das kann man doch nicht machen, wenn innerlich alles nach Vergeltung schreit.
Ja, das kenne ich auch, da macht einer einen Fehler. Aber der Punkt ist: Was würde die Liebe tun?
Die Liebe versucht ja immer herauszufinden, wenn ich auf der anderen Seite stehen würde: Was würde ich mir denn wünschen, wenn ich jetzt den Fehler machen würde, dass der andere mit mir tut?
Und da ist ganz klar: Wo Liebe da ist, wird Sünde zugedeckt.
Oder zusammen mit einem anderen Vers: Sprüche 17,9 heißt es: Wer Vergehen zudeckt, strebt nach Liebe; wer aber eine Sache immer wieder aufrührt, entzweit Vertraute.
Das ist das Gegenstück. Wer Vergehen zudeckt, strebt nach Liebe.
Lieben heißt, ich decke etwas zu. Du darfst in meine Gegenwart treten als fehlerhafter Mensch.
Du darfst dir einen Fehler erlauben, du darfst dich an mir versündigen, und ich werde dich trotzdem lieben.
Du darfst in deiner Falschheit, in deiner Unvollständigkeit, in deiner fehlenden Perfektion zu mir kommen. Du musst mir nichts vorspielen, du musst nicht so tun, als wärst du ein anderer, als der du bist.
Hey, ich weiß, dass du dabei bist, dich unter der Leitung des Heiligen Geistes zu entwickeln. Du möchtest Jesus ähnlicher werden, aber du bist noch nicht Jesus, du wirst sündigen.
Und meine Chance ist, da, wo du es tust, dich in den Arm zu nehmen und dir zu sagen: Hey, ich habe dich lieb. Ich habe dich wirklich lieb.
Und das, was du jetzt gesagt hast oder was du jetzt getan hast oder wie du mit mir umgegangen bist – ich habe dich einfach nur gern. Schwamm drüber, interessiert mich eigentlich nicht, weil du mich interessierst.
Und weil ich ganz genau weiß: Wir beide sind auf dem Weg. Morgen komme ich und ich möchte von dir in den Arm genommen werden und von dir hören: Hey, ich habe dich lieb, du warst heute bestimmt nicht gut drauf.
Ertragen und Vergeben als Ausdruck der Liebe
Wie leicht passiert das? Und wo wir dabei sind, dass die Liebe Sünde zudeckt und eine Basis für ein echtes Miteinander schafft, können wir nicht weitergehen, ohne den nächsten Punkt anzusprechen: Wo Liebe herrscht, wird Sünde vergeben. Ertragen und Vergeben gehören ganz, ganz eng zusammen.
Lasst uns mal aufschlagen im Kolosserbrief, Kapitel 3. Dort finden wir das Thema „Miteinander leben“. In Vers 12 heißt es:
„Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte Herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut.“
Wenn ich jetzt einen Mantel dabei hätte – aber es ist viel zu warm dafür – könnte ich euch vormachen, worum es hier geht. Es geht darum, dass unser altes Leben wie ein alter, ausgedienter Mantel ist: unsere alten, bösen Verhaltensweisen. Diese ziehen wir aus, und dann ziehen wir einen neuen Mantel an.
Wir ziehen den Charakter Jesu wie einen Mantel an, so dass, wenn man uns sieht, man den Mantel, den Charakter Jesu in unserem Leben erkennt. Und der Charakter von Jesus ist von diesen Dingen geprägt: Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut.
Dann heißt es in Vers 13, und ich finde das ganz, ganz toll: Es ist eine nüchterne Feststellung. Es gibt Sünde in der Gemeinde, sonst bräuchte dieser Vers hier überhaupt nicht zu stehen.
„Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn einer Klage gegen den anderen hat. Wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr.“
Merkt ihr diese enge Verbindung von Ertragen und Vergeben? Du kannst das fast nicht auseinanderreißen. Die Tatsache, dass Sünde in der Gemeinde da ist, muss man einfach akzeptieren. Ja, wir machen Fehler.
„Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wechselseitig, egal in welche Richtung das geht, wenn einer Klage gegen den anderen hat.“
Und warum? „Wie auch der Christus euch vergeben hat.“ Ich treffe doch auf dich nicht als den Überheiligen, der immer alles richtig macht und sagen könnte, er sei am Ziel. Sondern ich bin doch auch nur so ein kleines erlöstes Schweinchen, das jetzt sagt: In der Kraft Gottes versuche ich, ein bisschen besser zu werden. Bitte hilf mir dabei.
Also vielleicht bin ich dir einen Schritt voraus, weil ich schon ein bisschen über etwas nachgedacht habe und ein paar Fehler mehr gemacht habe, das kann sein. Aber ich bin doch nicht derjenige, der sich hinstellt und sagt: Ich hab’s. Sondern ich kann nur sagen: Hey, wir sind ein Team.
Und genau dieser Gedanke kommt jetzt in Vers 14:
„Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist, und der Friede des Christus regiere eure Herzen, zu dem ihr auch berufen worden seid in einem Leib.“
Merkt ihr das? Ein Leib! Wir sind ein Team. Wenn man Brot bricht, wenn Brot und Kelch durch die Reihen gehen, dann ist das genau der Punkt: Wir sind ein Team.
Ich genieße es, wenn man im kleinen Kreis einmal um den Tisch herum sitzt und sagt: Ja, wir sind ein Team. Wir werden das am Mittwoch, wenn wir mit den Kleingruppenleitern zusammensitzen, wieder tun. Einmal geht der Kelch herum, und es ist einfach: Wir sind ein Team, wir gehören zusammen.
Uns kann nichts auseinanderreißen. Warum? Weil uns etwas verbindet, das einfach stärker ist als die Sünde, die wir tun. Es ist die Liebe.
„Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit oder das vollkommene Band ist.“
Darum geht es: Liebe verbindet uns. Und da, wo uns Liebe verbindet, da kann der Friede Gottes in unserem Leben herrschen. Da können wir Menschen sein, die dem Vorbild Jesu folgen.
Jesus kommt und bringt Frieden, seinen Frieden. Und jetzt sind wir Menschen, die in ihrer Umgebung auch Frieden bringen.
Wenn ich sage, dass der Friede Gottes in meinem Leben regiert, heißt das wörtlich auch: Er ist Schiedsrichter. In allen Entscheidungen trifft er die Entscheidung: Wo gehe ich hin?
Wenn ich sage, Jesus ist auf die Erde gekommen, um Frieden zu bringen, und er hat mir Frieden gebracht, wie kann es dann sein, dass von meinem Leben Streit ausgeht und Zwietracht?
Wie kann es sein, dass ich jemand bin, der den Frieden kaputt macht, wenn Jesus wesentlich auf die Erde gekommen ist, um mir Frieden zu schenken?
Wie kann es dann sein, dass ich zu einer Belastung für das Miteinander werde – durch meinen Neid, durch mein Tratschen, durch meine Faulheit, durch meine Streitsucht, egal wodurch?
Wie kann das sein? Das passt doch nicht.
Liebe als Grundlage für Gemeinschaft und gegenseitige Erbauung
Im Römerbrief Kapitel 14, einem ganzen Kapitel, geht es um die Frage, wie unterschiedliche Menschen in einer Gemeinde mit verschiedenen Vorlieben und Hintergründen zusammenleben können.
Zum Schluss möchte ich einen Punkt aus Römer 14 und 15 hervorheben. Ich habe ihn überschrieben mit: „Liebe will mehr als nur ertragen, sie will unterstützen und Gemeinschaft bauen.“
Ich zeige euch das noch einmal aus dem Römerbrief, Kapitel 14. Dort heißt es in Vers 13: „Lasst uns nun nicht mehr einander richten, sondern richtet vielmehr darüber, dass dem Bruder kein Anstoß oder Ärgernis gegeben wird.“ Das Wort „Anstoß“ oder „Ärgernis“ bedeutet hier einen Anlass zur Sünde. Es geht darum, Geschwister in der Gemeinde nicht in ihrem Glaubenswachstum zu behindern.
Das, was Paulus hier schreibt, ist sehr wichtig: Mein Blick soll nicht auf den anderen gerichtet sein. Ich kann immer bei anderen Fehler finden. Die Frage ist: Worauf soll ich schauen? Auf mich selbst. Ich darf immer in den Spiegel schauen und mir die Frage stellen.
Sagen wir mal, Jürgen, wenn du dein Verhalten in der Gemeinde überdenkst – und nächsten Sonntag werden wir uns über unser Verhalten in der Gemeinde unterhalten –, dann habe ich noch ein paar kleine Beiträge dafür aufgespart. Wenn wir uns das anschauen: Was mache ich eigentlich? Bin ich jemand, der ständig kritisiert und nach Fehlern bei anderen sucht? Oder bin ich jemand, der sich weniger Gedanken über den anderen macht und mehr über sich selbst? Bin ich jemand, der hilft und aufbaut?
In Vers 19 heißt es: „So lasst uns nun dem nachstreben, was des Friedens ist und dem, was zur gegenseitigen Erbauung dient.“ Ertragen ist für die Liebe viel zu wenig. Ertragen ist sozusagen der Startpunkt. Liebevolles Ertragen ist das Minimum, der kleinste gemeinsame Nenner, hinter den ich nicht zurückgehen würde.
Wenn ich aber sehe, worum es eigentlich in der Gemeinde geht, dann geht es darum, dass wir aufbauen. Dass wir nicht nur ertragen, nicht nur Liebe zudecken oder auf eigenes Recht verzichten. Sondern dass wir aufbauen und uns fragen: Wo kann ich dir helfen, damit du weiterkommst? Das ist eigentlich das Ziel der Liebe. Und das ist auch die Verantwortung, die wir haben.
Jesus als Vorbild für liebevolles Miteinander
Überlegt euch noch einmal, wie das mit Jesus war. Jesus kommt auf die Erde – derjenige, der einmal jeden Menschen zur Verantwortung ziehen wird für das, was er getan hat. Der absolute, ewige Richter wird Mensch, und er kommt auf die Erde, um uns zu retten. Er stirbt am Kreuz für die Menschen.
Jesus geht über die Erde, und was macht er nicht? Er kritisiert nicht ständig an den Menschen herum. Überlegt mal: Jesus kennt die Menschen. Im Johannesevangelium heißt es einmal, er wusste, was in den Menschen war. Das heißt, die Leute tun so, als hätten sie Glauben, und Jesus durchschaut es. Er schaut durch die Menschen hindurch wie durch eine frisch geputzte Fensterscheibe.
Aber er macht nicht, dass er ständig sagt: „Du hast das falsch gemacht, und du das, und du das.“ Er wäre den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, nur an den Leuten herumzukritisieren und sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Und das hätte er tun können – und er hätte immer Recht gehabt. Er macht es aber nicht.
Er kommt, verzichtet auf Kritik, erträgt Sünde, erträgt Missverständnisse, erträgt Ablehnung, erträgt das ganze schlechte Gerede, erträgt das Kreuz. Und wisst ihr warum? Aus einem einzigen Grund: Weil er liebt. Weil Jesus wirklich weiß, was es heißt, zu lieben.
In Römer 15,2 heißt es: „Jeder von uns gefalle dem Nächsten zum Guten, zur Erbauung.“ Denn auch der Christus hat nicht sich selbst gefallen, sondern wie geschrieben steht: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“
Vers 5: „Der Gott des Ausharrens und der Ermunterung aber gebe euch, gleichgesinnt zu sein untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlicht.“
Deshalb nehmt einander auf, wie auch der Christus euch aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit.
War Jesus parteiisch, als er uns ausgewählt hat? Nein, jeder darf zu ihm kommen, jeder. Dürfen wir parteiisch in der Gemeinde sein? Nein, dürfen wir nicht. Wir sollen sein wie Jesus. Wir sollen jeden aufnehmen, unparteiisch, jeden einzelnen so annehmen, mit seiner Unterschiedlichkeit, wie er ist. Das ist Liebe.
Und da, wo wir anfangen, künstliche Trennungen zu schaffen, da machen wir Fehler. Und da hört dann auch schon die Liebe auf.
Meint ihr, wir kriegen das hin? Also, ich habe Hoffnung. Ich glaube, wir kriegen das hin. Nicht, weil wir so klug wären, aber wir haben ja schon mal den Weg verstanden.
Es fängt hier oben im Denken an. Wir hören einfach auf, nicht weiter übereinander schlecht zu denken, okay? Dann hören wir auf, übereinander zu seufzen. Dann hören wir auf, übereinander schlecht zu reden, einander zu verurteilen und unnötige Kritik zu finden. Das ist schon so – das ist der Weg.
Und wenn wir da sind, dann werden wir ein bisschen mutiger. Dann fangen wir an, da, wo jemand einen Fehler macht, das zuzudecken. Einfach aus Liebe zuzudecken.
Und dann kommt jetzt mein Traum als Gemeindeleiter, meine Vision: Dann kommen wir an den Punkt, wo wir ganz am Ende anfangen, einander nicht nur zu ertragen und zu lieben, sondern uns übereinander zu freuen, übereinander zu schmunzeln und diese Unterschiedlichkeit, die Gott in uns hineingelegt hat, auch zu schätzen.
Und wenn wir das geschafft haben, dann sind wir am Ziel. Schön, oder? Ich glaube, wir können das schaffen.
Also, ich habe mit dieser Reihe sehr viel Hoffnung verbunden, dass wir wirklich ganz tief drin begriffen haben, worum es geht, und da auch anfangen. Und ich freue mich auf nächste Woche, wo wir uns Gedanken darüber machen, wie das eigentlich konkret dann im Gottesdienst, in der Kleingruppe und so weiter aussieht, wenn wir uns treffen.