
Was in der letzten Woche geschehen ist, finden wir im Markus-Evangelium. Markus gibt uns immer wieder Hinweise darauf, wann ein neuer Tag beginnt und was an diesem Tag passiert. So lesen wir immer wieder Formulierungen wie „Und am folgenden Tag“ oder „Am nächsten Morgen“, gefolgt von Berichten über Ereignisse dieses Tages.
Deshalb möchten wir uns heute anhand des Markus-Evangeliums anschauen, was in dieser Passionswoche vom letzten Sonntag bis heute, am Freitag, geschehen ist.
Die letzte Woche mit Jesus beginnt in Markus 11. Das könnt ihr gerne schon einmal aufschlagen, denn wir werden einige Stellen aus diesem Kapitel lesen. Am Palmsonntag, wie wir letzte Woche von Friedrich gehört haben, zieht Jesus in Jerusalem ein – als ein König, aber als ein König auf einem Esel. Das war so prophezeit und zeigt die Demut dieses Königs.
Dieser König und sein Königreich sind ganz anders als alle Königreiche, Regierungen oder Länder dieser Erde. Sein Königreich ist völlig anders.
Und das Volk ruft ihm ein Zitat entgegen. In Vers 9 können wir das lesen, in Markus 11, Vers 9 und 10. Dort heißt es: „Und die Vorausgegangenen und die Nachfolgenden riefen und sprachen: Hosianna, gepriesen sei der, welcher kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das Reich unseres Vaters David, das kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“
Gerade mit diesem Vers 9 zitiert das Volk einen Psalm, und zwar Psalm 118. In diesem Psalm 118 heißt es in Vers 25: „Ach Herr, hilf! Ach Herr, lass wohl gelingen!“ Und weiter: „Gepriesen sei der, welcher kommt im Namen des Herrn! Wir segnen euch vom Haus des Herrn aus.“ Das ist Psalm 118.
Dieser Ruf „Ach Herr, hilf!“ ist im Hebräischen der Ausruf, den das Volk mit „Hosianna“ übersetzt. Somit zitiert das Volk einen Psalm, der ein zentraler Psalm im Passafest ist, das in wenigen Tagen stattfinden wird. Am Donnerstag beginnt das Passafest, und dieser Psalm ist ein wichtiger Bestandteil dieses Festes.
Zum anderen zitieren sie einen messianischen Psalm, einen Psalm, der prophetisch vom Retter, vom Messias spricht, der kommen soll. Aber welchen Retter erwarten sie? Welchen König erwartet das Volk?
Sie erwarten einen König, der sie mit den täglichen Dingen versorgen kann, der ihnen tägliche Nahrung gibt. Jesus hat dies bewiesen: Zweimal hat er Tausende von Menschen mit ein paar Broten und Fischen versorgt. Das Volk erwartet einen König, der sie mit diesen alltäglichen Dingen versorgen kann, der aus dem Nichts das ganze Volk ernähren kann.
Was für ein König wäre das, der das Volk so ernähren kann! Es gäbe keine täglichen Sorgen mehr.
Sie erwarten auch einen König, der sie von körperlichen Krankheiten heilt. Am selben Tag, wenn wir in den anderen Evangelien nachschauen, ist Jesus zuvor noch in Jericho, und dort heilt er einen Blinden. Einige Tage vorher erweckt er Lazarus von den Toten.
Johannes macht uns darauf aufmerksam, dass das Volk, das Jesus hier am Palmsonntag entgegenströmt, deswegen zu ihm kommt, weil es gehört hat, dass dieser Jesus Tote auferwecken kann.
Sie erwarten einen König, der sie ernährt, der sie von Krankheiten heilt und der vielleicht sogar die lieben Verwandten wieder zurückholt – wenn es denn liebe Verwandte waren.
Vor allem aber erwarten sie einen König, der sie vor den Römern rettet, der sie aus der Unterdrückung befreit, in der sie in den letzten Jahren und Jahrhunderten gelebt haben. Sie erwarten Rettung von den Römern.
Doch eine Rettung von ihren eigenen Sünden erwarten sie nicht. So weit haben sie gar nicht gedacht. Es war ihnen gar nicht bewusst, welche Erlösung sie eigentlich nötig haben – nämlich eine Erlösung von der Sklaverei der Sünde, in der sie tagtäglich leben.
Dieser Sünde waren sie sich nicht bewusst. Sie erwarten einen König als Retter von den Römern, aber nicht den Retter, den Matthäus uns vorstellt mit den Worten: „Denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ (Matthäus 1,21)
Und Jesus zieht in Jerusalem ein. In Markus 11, Vers 11 lesen wir dazu folgende Worte: „Und Jesus zog ein in Jerusalem und in den Tempel. Nachdem er alles betrachtet hatte, ging er, da die Stunde schon vorgerückt war, mit den Zwölfen hinaus nach Bethanien.“
Warum betont Markus, dass Jesus in den Tempel geht, sich einmal kurz umschaut und dann wieder hinausgeht? Warum ist das so wichtig? Warum notiert Markus diesen Halbsatz – dass Jesus sich umgeschaut hat und dann wieder gegangen ist?
Die Antwort finden wir am nächsten Tag. Jesus verlässt am Sonntag, es ist schon langsam Abend geworden, nachdem er sich im Tempel umgeschaut hat, den Tempel und geht zurück nach Bethanien.
Bethanien ist eine kleine Ortschaft, die im Osten von Jerusalem liegt, also in Richtung des Ölbergs. Es ist etwa drei Kilometer entfernt. Dort hat Jesus während dieser Woche immer wieder übernachtet. Er ist also immer wieder von Bethanien nach Jerusalem hinein und zurück nach Bethanien gegangen.
Es ist möglich, dass er bei Lazarus direkt übernachtet hat, der in Bethanien gelebt hat. So ging Jesus täglich von Bethanien nach Jerusalem und wieder zurück – auch an diesem Sonntagabend. Am Montagabend kam er dann zurück nach Jerusalem.
Diesen Tag möchten wir uns etwas näher anschauen, weil er einige Fragen aufwirft.
Es handelt sich um diesen Montag. Wir lesen ab Vers zwölf, den ihr gerne mitverfolgen könnt. Dort heißt es in Vers 12: „Und als sie am folgenden Tag, also dem Montag früh, Bethanien verließen, hatte er Hunger. Und als er von fern einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, ging er hin, ob er etwas daran finden würde. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter, denn es war nicht die Zeit der Feigen. Und Jesus begann und sprach zu ihm: Es esse in Ewigkeit niemand mehr eine Frucht von dir!“ Seine Jünger hörten es, und sie kamen nach Jerusalem.
Jesus ging in den Tempel und begann, die hinauszutreiben, die im Tempel verkauften und kauften. Er stieß die Tische der Wechsler um und die Stühle der Taubenvorkäufer. Er ließ nicht zu, dass jemand ein Gerät durch den Tempel trug. Und er lehrte und sprach zu ihnen: „Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“ Die Schriftgelehrten und die obersten Priester hörten es und suchten, wie sie ihn umbringen könnten. Denn sie fürchteten ihn, weil die ganze Volksmenge über seine Lehre staunte.
Als es Abend geworden war, ging er aus der Stadt hinaus. Am Morgen, also am Dienstag, als sie vorbeikamen, sahen sie, dass der Feigenbaum von den Wurzeln an verdorrt war. Petrus erinnerte sich und sprach zu ihm: „Rabbi, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.“
Matthäus betont in der Parallele, dass sie sehr früh am nächsten Morgen losgegangen sind, offensichtlich so früh, dass Jesus keine Zeit mehr hatte zu frühstücken. Er kommt hungrig an diesem Feigenbaum vorbei, an dem keine Frucht zu finden ist. Er verflucht den Feigenbaum, geht in den Tempel, treibt dort alles hinaus und geht wieder nach Hause zurück.
So wirkt es, wenn wir diese Geschichte lesen, als hätte Jesus einfach einen richtig schlechten Montag und würde alles verfluchen, was ihm in den Weg kommt, alles kurz und klein schlagen, als hätte er sich gar nicht unter Kontrolle. So erscheint diese Erzählung bei Markus.
Aber schauen wir, was tatsächlich passiert. Achte auf Vers 13, was dort steht: „Und als er von fern einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, ging er hin, ob er etwas daran finden würde. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter, denn es war nicht die Zeit der Feigen.“
Was fällt in diesem Vers auf? Markus betont gleich zweimal die Blätter des Feigenbaums. Die Frage ist: Warum betont Markus die Blätter des Feigenbaums?
Ihr müsst wissen, was einen Feigenbaum in dieser Region ausmacht. Die Arten, die dort wachsen, sind bei uns wenig bekannt und weniger gut verbreitet. Diese Arten haben eine Besonderheit: Ein Feigenbaum trägt erst Früchte und dann kommen die Blätter. Die Blätter wirft der Feigenbaum über den Winter ab. Im Frühjahr wachsen zuerst die Knospen, die Feigen, und erst danach kommen die Blätter.
Das heißt: Ein Feigenbaum, an dem Blätter zu sehen sind, weckt die Erwartung, dass auch Früchte daran sind, dass es Feigen geben sollte – auch wenn noch nicht die Zeit der Ernte ist. Deshalb betont Markus, dass man die Blätter schon von ferne gesehen hat. Es suggeriert, dass dieser Baum auch Früchte trägt. Der Baum sah so aus, als wäre er gesund, als würde er Früchte tragen, weil er bereits Blätter hatte.
Aber als Jesus hinkommt, was sieht er? Und das ist wieder das, was Markus betont: Er findet nichts als Blätter, obwohl eigentlich schon Früchte daran zu sehen sein sollten. Der Schein trügt: Von ferne sieht der Feigenbaum so aus, als würde er Frucht tragen, als wäre er fruchtbar. Doch sobald man näher hingeht, sieht man, es sind nur Blätter, er trägt keinerlei Frucht.
Und genau das ist die Parallele zu dem, was im Tempel vor sich geht. Wenn ihr darauf geachtet habt, dann umrahmt Markus diese Tempelreinigung mit dem Feigenbaum.
Wir haben schon gelesen, was dort passiert ist: Jesus geht einen Tag vorher, am Sonntag, irgendwann am Nachmittag, in den Tempel hinein. Er schaut sich um, sieht, was dort los ist, und geht wieder zurück.
Was sieht er? Eigentlich war dieser Tempel ein Ort der Anbetung. Jesus betont zu seiner Lebzeit, dass dieser Ort das Haus seines Vaters ist. Er sagt, dass es der Ort ist, zu dem man kommt, wenn man Gott anbeten möchte.
Aber was wurde aus diesem Ort der Anbetung? Wir lesen hier von Geldwechslern und von Taubenverkäufern. Was war hier los im Tempelbezirk?
Es gab Geldwechsler, weil in diesem Tempel nur eine bestimmte Währung angenommen wurde. Nur eine bestimmte Währung wurde für die Tempelsteuer und für den Kauf von Opferthieren akzeptiert.
In ein paar Tagen beginnt das Passafest, am Donnerstag. Wir sind am Montag. Viele Juden kommen aus dem ganzen Römischen Reich nach Jerusalem, um das Passafest zu feiern. Natürlich haben sie eine andere Währung in der Tasche. Also müssen sie erst ihr Geld wechseln in die Währung, die im Tempel angenommen wird.
Das geschieht natürlich nicht ohne Gebühren. Es geht nur mit einer hohen Gebühr. Weil das Passafest naht, kommen sehr viele Menschen. Die Nachfrage steigt, und damit auch die Gebühren. Nicht nur die Geldwechsler verdienen sich daran eine goldene Nase, sondern auch der Tempel selbst und alle, die daran mitarbeiten: die Pharisäer, die Schriftgelehrten, die Hohenpriester – alle bekommen etwas von diesem Gewinn ab.
Wir lesen weiter von Taubenverkäufern und davon, dass andere Tiere verkauft werden, die als Opfer benötigt wurden. Wenn du eine lange Reise nach Jerusalem vorhattest, hattest du vielleicht nicht die Gelegenheit oder auch nicht die Lust, ein Opfertier mitzuschleppen. Vor allem bestand die Gefahr, dass du ausgeraubt wirst oder dass sich das Tier auf der langen Reise verletzt und dann nicht mehr als Opfertier verwendet werden darf. Sehr häufig kam es auch vor, dass dein Tier nicht akzeptiert wurde und du ein anderes von den Verkäufern kaufen musstest.
So sehen wir, was in diesem Tempel los war. Es gab viele Verkaufsstände, Wechselstände, überall liefen Tiere herum, die Tiere waren eingepfercht. Es war laut, es stank nach Schafen und Tauben. Man hörte das Blöken der Schafe, das Gurren der Tauben. Es herrschte ein Riesentrubel.
Dann lesen wir in Vers 16: „Und er ließ nicht zu, dass jemand ein Gerät durch den Tempel trug.“ Also nicht in den Tempel hinein oder aus dem Tempel hinaus, sondern durch den Tempel hindurch.
Das Wort „Gerät“ kann auch mit „Gefäß“ oder „Behälter“ übersetzt werden. Die Mengeübersetzung übersetzt es mit „Hausgerät“, also irgendein Gegenstand aus dem Haushalt. Jesus hinderte Leute daran, mit irgendwelchen Gefäßen oder Behältern einfach so durch den Tempel zu gehen.
Offensichtlich war so viel los in diesem Tempelbezirk, dass einige das ausnutzten, um mit ihrem ganzen Ramsch durch den Tempel zu laufen. Vielleicht als Abkürzung, weil sie sowieso in den anderen Teil der Stadt mussten. Gerade waren sie noch auf dem Markt, haben die letzten Gewürze und alles Mögliche für das Passafest gekauft, und weil sowieso so viel Chaos im Tempelbezirk herrschte, nahmen sie die Abkürzung durch den Tempel.
Wir sehen, was mit dem Tempel los war, was daraus geworden ist. Jesus treibt die Geldwechsler hinaus, die Verkäufer, die mit ihrem halben Haushalt durch den Tempel marschierten.
Es wirkt so, als wäre Jesus jähzornig, als würde er aus dem Affekt heraus handeln und im Zorn alles kurz und klein schlagen. Aber wir sehen anhand einiger Punkte, die ich euch zeigen möchte, dass er nicht in einem Jähzorn handelt, sondern in einem gerechten, kontrollierten und heiligen, göttlichen Zorn. Und alles, was er tut, ist gerecht.
Wir haben bereits Vers 11 gelesen. Jesus war schon einen Tag vorher im Tempel und hat sich angeschaut, was dort los ist. Dieser Sonntag war der Tag, an dem laut 2. Mose das Passalam gekauft oder abgesondert werden musste, um es vier Tage später am Donnerstag zu schlachten. Es war also sehr viel los an diesem Sonntag, als Jesus sich alles ansah. Erst am nächsten Tag geht er wieder in den Tempel und reinigt ihn.
Es war keine Kurzschlussreaktion von Jesus. Er wusste genau, was er tat.
Außerdem sehen wir, dass niemand einschreitet oder ihn aufhält. Die Umstehenden waren offensichtlich einverstanden mit dem, was Jesus tut. Die Pharisäer, die die ganze Zeit überlegen, wie sie Jesus mundtot machen können, hätten sofort die Chance genutzt, ihn bloßzustellen, zur Seite zu nehmen oder zu verhaften, wenn es ein unkontrollierter Ausraster gewesen wäre.
Selbst die Pharisäer verstehen in gewisser Hinsicht, dass das, was Jesus tut, richtig ist.
Wir sehen auch, dass Jesus das ganz alleine macht. Er ist völlig in der Unterzahl. Es sind viele Geldwechsler und Verkäufer da, aber er treibt sie allein hinaus. Wir können uns nur vorstellen, mit welcher Vollmacht er das getan haben muss, dass sich alle hinaustreiben ließen.
Was sehen wir noch? In den nächsten Tagen spricht ihn niemand darauf an und fragt: „Hey, was war da eigentlich los? Warum bist du so ausgerastet? Warum hattest du so einen Zornausbruch?“
Warum spricht ihn keiner an? Weil es keiner war. Es war kein Zornausbruch, ganz im Gegenteil. In Vers 18 lesen wir im zweiten Teil, dass sich die Pharisäer fürchteten, weil die ganze Volksmenge über seine Lehre staunte. Das geschah nachdem er den Tempel gereinigt hatte. Das Volk war über seine Lehre erstaunt, nicht entsetzt über das, was er getan hatte.
Eine weitere Sache wird deutlich, und das macht Jesus selbst mit einem Zitat aus Jesaja 56 klar. Damit zeigt er, was der eigentliche Zweck dieses Tempels war: ein Anbetungsort, und zwar nicht nur für das Volk Israel, sondern – und das betont Jesus – auch für Nichtjuden.
Das wird auch bei der Einweihung des Tempels deutlich. Salomo spricht dort ein Gebet zu Gott mit den folgenden Worten: „Auch wenn ein Ausländer, der nicht zu deinem Volk Israel zählt, deinetwegen aus einem fernen Land kommt, denn sie werden von deinem großen Namen hören und von dem, was du mit deiner starken Hand und deinem ausgestreckten Arm getan hast. Wenn er also kommt und zu diesem Haus hinbetet, dann höre du es im Himmel, dem Ort, wo du thronst, und erfülle seine Bitte. So werden alle Völker der Erde deinen Namen erkennen und dich fürchten, wie dein Volk Israel es tut. Sie werden wissen, dass dein Name über diesem Haus, das ich gebaut habe, ausgerufen ist.“
Schon bei der Einsetzung dieses Tempels macht Salomo deutlich: Dieser Tempel soll eine Anbetungsstätte für alle Völker sein, für alle, die in Demut vor Gott treten möchten.
Aber stattdessen übernehmen Geldwechsler und Verkäufer den Tempelbezirk. Menschen, die von weit her angereist sind, müssen erst einmal finanziell bluten, um ein Opfer bringen zu können und Gott anzubeten – wenn sie sich die Geldwechselgebühr überhaupt leisten konnten.
Diejenigen, die nicht die finanziellen Mittel hatten, hatten überhaupt keine Möglichkeit, Gott anzubeten.
Deshalb umrahmt Markus die Tempelreinigung mit dem Ereignis des Feigenbaums. Warum? Weil im Tempel alles nur noch so aussah, als wäre es Anbetung. Es sah nur äußerlich danach aus, als wäre es ein Gottesdienst, der Gott gefällt. Aber es hatte nichts mehr damit zu tun. Es waren nur Blätter, aber keinerlei Früchte zu sehen.
Dieser Gottesdienst war wie ein toter Feigenbaum. Es gab keinen echten Gottesdienst, keine echte Anbetung mehr.
Jesus räumt hier nicht einfach nur den Tempel auf. Er räumt mit dem ganzen falschen Gottesdienst der Pharisäer auf. Er räumt mit ihrer Heuchelei und ihrer falschen Anbetung auf.
Sie können ihre Falschheit und Heuchelei nicht vor Jesus verstecken – genauso wenig wie wir uns vor Jesus verstecken können.
Du kannst ihm nichts vormachen. Er blickt hinter deine Fassade. Du kannst vielleicht allen anderen, die hier sitzen, etwas vormachen, aber nicht Jesus.
Du kannst heute hier sitzen, am Sonntag schön fromm in den Gottesdienst gehen, am Montag wieder fromm hierher kommen. Du kannst deine Maske aufsetzen und jedem etwas vorspielen, dass du echt bist. Du kannst dir selbst ein Verhalten antrainieren, das christlich aussieht. Du kannst ein Leben leben, wie es alle anderen in der Gemeinde von dir erwarten – vielleicht sogar ein Leben, das andere in der Gemeinde bewundern, wie sie es auch bei den Pharisäern getan haben.
Du kannst zum Schein lange, wohlformulierte Gebete öffentlich sprechen. Du kannst mit Begeisterung laut bei den Liedern mitsingen, ohne wirklich mit dem Herzen dabei zu sein. Du kannst allen etwas vormachen.
Aber Jesus blickt hinter die Fassade, in dein Herz hinein, und sieht deine Heuchelei. Er will keinen heuchlerischen, fromm aussehenden Gottesdienst. Er ist mehr an deinem Herzen interessiert als an deinen Taten.
David schreibt in Psalm 51, Vers 18: „Schlachtopfer gefallen dir nicht, ich gäbe sie dir nicht; Brandopfer machst du dir nichts. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz verachtest du nicht.“
Diese Opfer wurden zwar noch dargebracht, aber Gott hatte keinen Gefallen an all den Tieren, die verkauft und geopfert wurden. Was er möchte, ist ein Sünder, der gebrochen ist über seine eigene Sünde. Er möchte ein ehrliches, gebrochenes, demütiges Herz, das sich seiner Sündhaftigkeit bewusst ist.
Das Evangelium von Jesus Christus, dessen Kernbotschaft wir an diesem Wochenende bedenken, ist nicht dazu da, uns nur einen neuen Anstrich zu verpassen. Jesus will uns ein komplett neues Herz geben. Er will anpacken.
Die Pharisäer hatten einen Retter erwartet, der ihre Gesetzestreue gutheißt. Stattdessen bekamen sie einen Retter, der ihre Heuchelei und Falschheit aufdeckt – und den ganzen falschen Gottesdienst.
Wir haben bereits gelesen, dass sie am nächsten Morgen, am Dienstag, wieder an diesem Feigenbaum vorbeikommen, auf dem Weg nach Jerusalem. Sie sehen, dass der Feigenbaum von der Wurzel an verdorrt ist – genauso wie dieser falsche Gottesdienst, diese falsche, heuchlerische Anbetung der Pharisäer von einer verdorbenen Wurzel, von einem verdorbenen Herzen herkommt.
Der Mensch braucht keinen neuen Anstrich, wie es sämtliche andere Religionen uns versuchen weiszumachen. Er braucht eine komplette Erneuerung von innen heraus. Alles andere ist Heuchelei – eine Heuchelei, die Jesus auch am Dienstag immer wieder aufdeckt.
Dieser Dienstag ist geprägt von Auseinandersetzungen zwischen den Pharisäern und Jesus. Er ist vollgepackt mit Lehre und Predigten von Jesus. Am Dienstagmorgen geht Jesus zurück in den Tempel. Im Lukasevangelium lesen wir, dass er dort dem Volk das Evangelium erklärt.
Dann kommen die Pharisäer zu ihm und hinterfragen ihn. Sie wollen ihn schon die ganze Zeit mundtot machen. So fragen sie ihn nach seiner Vollmacht: Wer hat dir diese Autorität gegeben, dass du hier einfach durch den Tempel gehst, obwohl du ein ganz normaler Zimmermann bist, und Leute belehrst, ihnen das Evangelium predigst?
Vielleicht hatten sie auch, oder wahrscheinlich hatten sie, noch den Vortag im Hinterkopf, als er den ganzen Tempel reinigte. Sie fragen also: Wer hat dir das Recht dazu gegeben? Wer hat dir die Autorität gegeben?
Jesus beantwortet die Frage gar nicht. Stattdessen stellt er eine Gegenfrage, die die Pharisäer nicht beantworten möchten. Anschließend gibt es ein ständiges Hin und Her an diesem Dienstag zwischen Jesus und den Pharisäern.
Jesus erzählt einige Gleichnisse, die alle gegen die Pharisäer gerichtet sind. Gleichzeitig macht er in diesen Gleichnissen deutlich, dass er ihnen prophezeit, dass sie ihn, den Messias, töten werden – und dass es genau dem Plan Gottes entspricht.
Auch in diesem Gleichnis, das er erzählt, oder das Markus auflistet, in Markus 12, steht wieder Psalm 118 im Vordergrund. Jesus zitiert zwei Verse aus diesem Psalm, Psalm 118, Verse 22 und 23:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden; vom Herrn ist das geschehen, es ist wunderbar in unseren Augen.“
Die Pharisäer verstehen das. Sie erkennen, dass die Gleichnisse gegen sie gerichtet sind. In Markus 12, Vers 12 heißt es:
„Da suchten sie ihn zu ergreifen, aber sie fürchteten das Volk, denn sie erkannten, dass er das Gleichnis gegen sie gesagt hatte, und sie ließen ab von ihm und gingen davon.“
Sie haben verstanden, was Jesus ihnen deutlich machen wollte. Sie gehen davon, aber damit hört die Auseinandersetzung nicht auf.
Sie schicken einige Leute zurück zu Jesus, um ihn weiter zu hinterfragen. Sie stellen eine Frage nach der anderen, um ihm irgendwie ein Bein zu stellen. Sie fragen ihn, ob man denn Steuern zahlen muss.
Die Sadduzäer, die nicht an die Auferstehung glauben, hinterfragen Jesus. Ein Schriftgelehrter kommt zu ihm und fragt ihn nach dem größten Gebot.
Jesus antwortet ihm, dass das größte Gebot sei, Gott von ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten wie sich selbst.
Diese ganze Fragerunde endet mit folgenden Worten, Vers 34 von Kapitel 12:
„Und da Jesus sah, dass er diesem Schriftgelehrten verständig geantwortet hatte, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“
Dann heißt es weiter:
„Und es getraute sich niemand mehr, ihn weiter zu fragen.“
Sie stellen eine Frage nach der anderen, um ihm ein Bein zu stellen, bis sie irgendwann feststellen: Okay, da verbrennen wir uns nur die Finger, wenn wir weiter Fragen stellen.
Jesus stellt an diesem Tag eine zentrale Gegenfrage. Diese richtet er nicht direkt an die Pharisäer, sondern wendet sie dem Volk zu und hinterfragt damit die Pharisäer.
Schaut in Vers 35 bis 37 in Kapitel 12:
„Und Jesus begann und sprach, während er im Tempel lehrte: Wie können die Schriftgelehrten sagen, dass der Christus Davids Sohn ist? David selbst sprach doch im Heiligen Geist: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße lege.‘ David selbst also nennt ihn Herr. Wie kann er dann sein Sohn sein?“
Die Volksmenge hörte ihm mit Freude zu.
Warum ist diese Frage, die Jesus hier indirekt an die Pharisäer stellt, so wichtig? Was macht Jesus damit deutlich?
Die Juden der damaligen Zeit, die Schriftgelehrten und Pharisäer, waren der Ansicht, dass dieser Messias – das ist einfach nur der hebräische Ausdruck für Christus, der verheißene Retter – Davids Sohn sei. Also ein Nachkomme Davids und damit ein ganz normaler Mensch.
Der Messias ist ein Sohn Davids, ein Nachkomme Davids, ein ganz normaler Mensch. Und das ist die Frage, die Jesus stellt: Wie kann es sein, dass dieser Messias, der Sohn Davids, ein Nachkomme Davids ist, obwohl David ihn in Psalm 110 Herr nennt?
Ein Vater würde seinen Sohn – ich weiß nicht, wie ihr das macht – aber ein Vater würde seinen Sohn oder irgendeinen Nachkommen nicht als Herr bezeichnen. Warum nennt David diesen Messias Herr?
Ganz einfach: Weil der Messias nicht nur Mensch ist, sondern weil er Gott ist, weil er der Sohn Gottes ist, weil er gottgleich ist.
Psalm 110 ist nicht die einzige Stelle im Alten Testament, die deutlich macht, dass dieser Messias Mensch und wahrer Gott ist.
Jesaja 9, Vers 5 zum Beispiel:
„Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Ein Kind, ein Sohn – ein normaler Mensch.
Aber im zweiten Teil dieses Verses wird dieses Kind, das geboren werden soll, so genannt:
„Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst“ – das ist der Name, den dieses Kind erhalten soll.
Warum ist diese Frage, die Jesus indirekt an die Pharisäer stellt, so wichtig? Weil sie deutlich macht, wen die Pharisäer und das Volk hier ablehnen.
Sie lehnen den Messias ab, den verheißenen Retter. Sie lehnen Gott selbst ab. Das Volk lehnt Gott selbst ab – und sie werden Gott selbst kreuzigen.
Wie auch der Hauptmann später sagen wird: Als der Hauptmann, der vor dem Kreuz stand, Jesus so sterben sah, sagte er: „Dieser Mann war wirklich Gottes Sohn.“
Es erwartet einen menschlichen Retter, aber der Retter, den Gott sendet, ist er selbst. Er selbst kommt auf die Erde. Und...
Im Anschluss an diese Fragen oder an die Frage, die Jesus stellt, beginnt er eine längere Strafrede gegen die Pharisäer. Dabei deckt er ein letztes Mal ihre Heuchelei auf, bevor er Jerusalem verlässt und wieder Richtung Bethanien geht.
Auf dem Heimweg am Ölberg erklärt er den Jüngern, was in den letzten Tagen passieren wird, unter anderem, dass der Tempel niedergerissen wird. Bemerkenswert ist, dass dieser Dienstag vollgepackt ist mit Lehre, mit viel Unterricht für das Volk und mit zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern. Es ist auch das letzte Mal, dass Jesus sich mit den Pharisäern auseinandersetzt.
Dieser Tag ist das letzte Mal, dass Jesus öffentlich das Volk belehrt, die Pharisäer tadelt, sie mahnt und versucht, sie wachzurütteln. Er macht sie auf ihre Heuchelei aufmerksam. Es ist der letzte Weckruf Jesu an die Pharisäer, dass sie umkehren und Buße tun sollen. Danach wird er das nicht mehr tun.
Bei seiner Verurteilung wird er nur noch wenige Worte sprechen. Eine ausführliche Verteidigung wird es nicht mehr geben. Dementsprechend ist dieser Dienstag der letzte Weckruf von Jesus an die Pharisäer. Danach gibt es für sie keinen weiteren Weckruf Gottes mehr.
Die nächsten beiden Ereignisse, die Markus niederschreibt, finden möglicherweise am Mittwoch statt. Wahrscheinlich ist es aber auch wahr, dass sie noch am Dienstagabend passiert sind. Ein kurzer Blick in Markus 14, die ersten zwei Verse, ist hier hilfreich. Dort heißt es: „Es war aber zwei Tage vor dem Passa und dem Fest der ungesäuerten Brote, und die obersten Priester und die Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. Sie sprachen aber nicht während des Festes, damit kein Aufruhr unter dem Volk entsteht.“
Wenn wir nur das Markus-Evangelium lesen, klingt es so, als würde hier ein neuer Tag beginnen. Die Formulierung „zwei Tage vor dem Fest der ungesäuerten Brote“ kann sich durchaus auf den Mittwoch beziehen. Warum? Weil das Fest der ungesäuerten Brote offiziell mit dem Passamahl am Donnerstagabend beginnt. Für einen Juden beginnt der Tag bereits mit dem Abend. Der Abend zählt also schon zum nächsten Tag dazu.
Das bedeutet, wenn Markus von „zwei Tagen vor dem Fest“ spricht, kann er sich durchaus auf den Mittwoch beziehen. Wenn wir jedoch das Matthäusevangelium hinzunehmen, ist es wahrscheinlicher, dass sich dieses Treffen der Priester und Schriftgelehrten noch am selben Tag, also am Dienstag, stattgefunden hat. Direkt nachdem sie die Auseinandersetzung mit Jesus hatten und den letzten Weckruf von ihm gehört haben, trafen sie sich und schmiedeten den Plan, Jesus zu töten.
Auch der Verrat von Judas könnte vielleicht am Mittwoch früh stattgefunden haben, wahrscheinlich aber eher am Dienstagabend. Genau wissen wir es nicht, doch das ist nicht entscheidend.
Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können – und das möchte ich kurz erwähnen, weil ich selbst darüber gestolpert bin – betrifft die Salbung, die Markus in Markus 14 beschreibt. Diese Salbung fand mit Sicherheit nicht am Dienstag oder Mittwoch statt.
Sowohl Markus als auch Matthäus ordnen diese Salbung zwischen den Plan des Hohen Rates, Jesus zu töten, und den Verrat von Judas ein. Beide packen diese Geschichte mit der Salbung dazwischen. Aus dem Johannesevangelium erfahren wir jedoch, dass die Salbung eigentlich schon einen Tag vor dem Einzug Jesu stattgefunden hat, also am Samstag.
Vor diesem Einzug hat diese Salbung stattgefunden. Warum packt Markus dieses Ereignis mit der Salbung, bei der die Frau Maria Jesus mit teurem Öl salbt, dennoch hier dazwischen?
Er möchte damit einen Kontrast deutlich machen: den Kontrast zwischen den Pharisäern, die Jesus tot sehen wollen, und Judas, der sich daran bereichern möchte, auf der einen Seite – und auf der anderen Seite Maria, die ihre Liebe, Zuneigung und Hingabe an Jesus mit diesem kostbaren Salböl ausdrückt.
Zum Mittwoch an sich finden wir nicht wirklich viele Informationen. Wahrscheinlich war an diesem Tag nicht viel los, Jesus war nicht in Jerusalem. Deshalb wird dieser Tag manchmal auch als stiller Mittwoch bezeichnet.
Vers 12 von Kapitel 14 beschreibt den Donnerstag, an dem Jesus mit seinen Jüngern das Passalamm vorbereitet. In Vers 12 heißt es: „Und am ersten Tag der ungesäuerten Brote, als man das Passalamm schlachtete, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, dass wir hingehen und das Passa zubereiten, damit du es essen kannst?“
Dieser erste Tag des Passafestes war ein von Gott geheiligter Tag. In 2. Mose 12 führt Gott das Passafest ein, bevor er das Volk aus Ägypten ausziehen lässt und es daraus errettet. Dort heißt es in 2. Mose 12,16: „Am ersten und am siebten Tag sollt ihr euch zu einem heiligen Fest versammeln. Da muss jede Arbeit ruhen, nur das Essen darf zubereitet werden.“
Warum ist es wichtig, dass Gott betont, dass man das Essen an diesem ersten Tag der eigentlichen Feiertage essen darf? Warum durfte man es vorbereiten? Warum war das so wichtig? Warum betont Gott das?
Weil an diesem Nachmittag, am Donnerstag, das Passalamm geschlachtet wurde – wahrscheinlich zwischen 15 und 17 Uhr. Petrus und Johannes sind die zwei Jünger, die von Jesus ausgesandt werden, um für Jesus und seine Jünger dieses Passalamm vorzubereiten. Das heißt, auch sie mussten an diesem Nachmittag das Passalamm schlachten.
Es war nicht das einzige Passalamm, das an diesem Tag geschlachtet wurde. Zur Zeit Jesu wurden an diesem Tag etwa 250.000 Lämmer geschlachtet. Ein junges Lamm hat etwa vier Liter Blut. Das bedeutet, dass an diesem Nachmittag, als Petrus und Johannes das Lamm schlachteten, ungefähr eine Million Liter Blut geflossen sind.
Wahrscheinlich hat Petrus bei der Vorbereitung, beim Schlachten dieses Passalamms, ein letztes Mal daran gedacht, als er später die folgenden Worte schrieb: „Denn ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, losgekauft worden seid aus eurem nichtigen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blut des Christus als eines makellosen und unbefleckten Lammes.“ (1. Petrus 1,18-19)
Wahrscheinlich hat er an diese letzte Schlachtung gedacht, an dieses letzte Passalamm, das er schlachtete, weil danach nie wieder eine Schlachtung notwendig war. Ein vollkommenes Opfer wurde vollbracht. Wahrscheinlich hat er daran gedacht, als er diese Verse schrieb.
Am Abend dieses Tages feiert Jesus das letzte Passalamm mit den Jüngern. Er prophezeit, dass einer aus ihrem Kreis ihn verraten wird. Er sagt ihnen voraus, dass sie ihn verlassen werden, und speziell prophezeit er Petrus, dass er ihn verleugnen wird.
An diesem Abend führt Jesus das Abendmahl ein. Er bereitet die Jünger auf sein Sterben vor. Bevor sie sich auf den Weg nach Gethsemane machen, singen sie die sogenannten Hallelpsalmen. Das ist das Letzte, was sie in diesem Obersaal tun, bevor sie sich Richtung Gethsemane, quasi Richtung Golgatha, aufmachen.
Diese Hallelpsalmen sind die Psalmen 113 bis 118. Es ist also wieder der Psalm 118, den Jesus als Letztes singt, bevor er den Weg nach Golgatha geht.
Wie bereits erwähnt, gehört für einen Juden der Abend bereits zum nächsten Tag dazu. Der Tag beginnt mit dem Abend. Das bedeutet, dass Jesus das Abendmahl, wie wir es jeden Sonntag feiern, nicht am Tag vor seiner Hinrichtung einsetzt, sondern nach jüdischer Rechnung am Tag seiner Hinrichtung.
Er beendet dieses Abendessen und damit den Beginn des neuen Tages mit den Worten aus Psalm 118, die er gemeinsam mit den Jüngern singt. Dort heißt es: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das Geschehen, es ist wunderbar in unseren Augen.“
Nun hört euch den nächsten Vers an. Jesus singt ihn am Abend, also zum Beginn des Tages, an dem er hingerichtet wird: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Wir wollen uns freuen und fröhlich sein in ihm.“ (Psalm 118,24)
Das singt er zum Beginn des Karfreitags, mit dem Wissen, dass er hingehen wird, um hingerichtet zu werden. Das sind die Worte, die Jesus singt, bevor er seinen Weg nach Golgatha antritt.
Dieser Freitag war buchstäblich der Tag, den der Herr gemacht hat, damit wir uns in ihm freuen können, weil er an diesem Tag die große Errettung vollbracht hat.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag tritt all das ein, was Jesus bereits vorher verheißen hat. Er wird verraten, verhaftet, von den Jüngern verlassen und von Petrus verleugnet. Außerdem wird er geschlagen, misshandelt und verspottet – vermutlich in der Zeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens.
Anschließend wird er vor Pilatus gebracht. Es ist bemerkenswert, wenn man sich anschaut, welches jüdische Recht und welche von Gott gegebenen Gesetze eigentlich bei dem Prozess gegen Jesus hätten gelten müssen. Die Pharisäer verstoßen in dieser Nacht gegen sämtliche Gebote, die sie selbst aufgestellt haben oder die Gott ihnen gegeben hat.
Das jüdische Recht zur damaligen Zeit sah einige Schutzvorrichtungen für Verurteilte vor. Zum einen durften gerichtliche Verhandlungen nur öffentlich und bei Tageslicht stattfinden, damit jeder sehen konnte, dass alles rechtmäßig abläuft. Außerdem musste dem Verurteilten ausreichend Zeit und Gelegenheit gegeben werden, sich zu verteidigen und Zeugen aufzurufen.
Wenn falsche Anklagen vorgebracht wurden, konnte man diese mit zwei oder drei Zeugen zurückweisen. Gott selbst hatte ebenfalls Schutzvorrichtungen eingesetzt. In 5. Mose 19 spricht er zum Beispiel von falschen Zeugen. Dort heißt es, dass einem falschen Zeugen, wenn er überführt wurde, das angetan wird, was er selbst für den anderen gefordert hat. Wenn ein falscher Zeuge also den Tod seines Nächsten gefordert hat, wurde er am Ende selbst hingerichtet.
In 5. Mose 17 äußert sich Gott speziell zur Todesstrafe. Dort legt er fest, dass der Hauptzeuge den ersten Schlag ausführen soll, also den ersten Stein werfen muss. Dies sollte verhindern, dass man leichtfertig als Zeuge in einem Mordfall oder bei einer Todesstrafe auftritt. Denn der Hauptzeuge musste der Erste sein, der das Urteil vollstreckt.
Es gab auch ein jüdisches Recht, das speziell für die Todesstrafe galt: Zwischen dem Tag der Verurteilung und dem Tag der Hinrichtung musste mindestens ein Tag liegen. Wurde an einem Tag verurteilt, war der nächste Tag frei, und erst am übernächsten Tag wurde das Urteil vollstreckt. Dieser Tag dazwischen sollte mit Fasten verbracht werden. Man sollte das Urteil überdenken, einen Priester einbeziehen und Gott fragen, ob das Urteil richtig ist.
An diesem freien Tag gab es auch die Gelegenheit, weitere Zeugen zu suchen, um den Angeklagten vielleicht doch noch freizusprechen. Aus diesem Grund wurde vor einem Festtag eigentlich nie ein Todesurteil gesprochen. Warum? Weil an einem Festtag nicht gefastet werden durfte. Deshalb wurden Urteile nur dann gesprochen, wenn die folgenden zwei Tage keine Feiertage waren.
Der Donnerstag war der erste Tag des Festes der Ungesäuerten Brote und somit ein Feiertag. Der Samstag danach war ein Sabbat und ebenfalls ein Festtag, an dem nicht gefastet werden durfte. Die Priester und die Obersten des Volkes nutzten die kurze Zeit zwischen dem Passamahl und dem Sabbat, der am Freitagabend beginnt, um alles schnell über die Bühne zu bringen – ohne auch nur eines ihrer eigenen Gesetze zu beachten.
Stattdessen bringen sie Jesus, wie wir im Johannesevangelium erfahren, zuerst in das Privathaus von Hannas. Hannas war früher selbst ein hoher Priester, bevor er von den Römern abgesetzt wurde. Nach ihm wurden fünf seiner Söhne und ein Enkel zum Hohenpriester ernannt. Er war außerdem Schwiegervater des offiziell amtierenden Hohenpriesters Kajaphas.
Dass Jesus zuerst zu Hannas gebracht wird, zeigt, wer in der Rangordnung tatsächlich am höchsten steht und wer die Zügel in der Hand hält. Hannas erhielt einen Anteil vom Verkauf der Opfertiere und von den Geldwechslern im Tempel. Er war das Oberhaupt einer der einflussreichsten Familien zur Zeit Jesu und hatte großen Einfluss sowohl auf das religiöse als auch auf das politische Leben.
Zudem hatte Hannas etwas Persönliches gegen Jesus, weil Jesus zweimal den Tempel von den Verkäufern und Geldwechslern gereinigt hatte. Jesus hatte also zweimal die Geschäfte von Hannas zerstört und stand deshalb in persönlicher Feindschaft zu ihm. Deshalb wird Jesus zuerst zu Hannas geführt.
Anschließend wird Jesus mitten in der Nacht, nicht öffentlich, zum offiziell amtierenden Hohenpriester Kajaphas gebracht. Im Privathaus von Kajaphas versammelt sich der Hohe Rat, bestehend aus den oberen Priestern, Ältesten und den Obersten des Volkes. Dies geschieht nicht öffentlich und nicht am Tag, wie es eigentlich gesetzlich vorgeschrieben war, sondern mitten in der Nacht.
In dieser Nacht fällt der Hohe Rat das Urteil. Falsche Zeugen treten gegen Jesus auf, er wird verspottet, geschlagen und angespuckt. Markus 14,65 berichtet: "Etliche fingen an, ihn anzuspucken, sein Angesicht zu verhüllen, also die Augen zu verbinden, und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage, wer dich geschlagen hat! Und die Diener schlugen ihn ins Angesicht."
Jesus erhält kein gerechtes Gericht. Die Verhandlung findet nachts statt, falsche Zeugen treten auf. Zur selben Zeit, als Jesus bei Kajaphas ist, verrät Petrus ihn im Vorhof dieses Privathauses. So sehen wir, dass in dieser Nacht nichts mit rechten Dingen zugeht.
Erst am Morgen, nachdem das Urteil bereits gesprochen wurde, trifft sich der Hohe Rat offiziell, um das Urteil zu bestätigen. Markus 15,1 berichtet: "Und gleich in der Früh, das ist irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr, fassten die obersten Priester mit den Ältesten, Schriftgelehrten und dem ganzen Hohen Rat einen Beschluss und führten Jesus gebunden hin und lieferten ihn dem Pilatus aus."
Jesus wird gegen sechs Uhr morgens vor Pilatus geführt, der nichts Falsches an ihm findet. Pilatus schickt Jesus zu König Herodes, der ebenfalls nichts Falsches an ihm findet. Schließlich landet Jesus wieder vor Pilatus, der dem Druck des Volkes nachgibt, das von dem Hohen Rat angestiftet wird.
Auch die Soldaten verspotten Jesus, schlagen ihn und spucken ihn an – wie schon einige Stunden zuvor in der Nacht. Markus betont, dass Jesus sowohl von den religiösen, frommen Menschen als auch von den gottlosen Soldaten verspottet, geschlagen und angespuckt wird.
Gegen neun Uhr am Freitagmorgen wird Jesus schließlich ans Kreuz genagelt und hingerichtet. Nach drei Stunden am Kreuz, um zwölf Uhr mittags, lässt Gott eine nie dagewesene Finsternis über das Land kommen. Gegen 15 Uhr, am Nachmittag, stirbt Jesus am Kreuz.
Das Allerheiligste Zeremoniell besteht aus zwei Teilen. Der Hauptmann stellt fest: "Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn."
Zum Schluss möchte ich euch noch etwas zeigen. Dazu könnt ihr gerne Apostelgeschichte 4 aufschlagen.
Es sind einige Wochen vergangen. Petrus, der Jesus in der Nacht von Donnerstag auf Freitag verraten hatte, und Johannes, der zusammen mit den anderen Jüngern geflohen war, als Jesus festgenommen wurde, stehen nun vor dem Hohen Rat. Es ist derselbe Hohe Rat mit denselben Personen, die Jesus hatten kreuzigen lassen.
In Apostelgeschichte 4,6 wird das besonders betont: Hannas, der Hohepriester, Caiaphas, Johannes, Alexander und alle, die aus hohem priesterlichem Geschlecht waren, waren dort versammelt. Es war also derselbe Hohe Rat, der Jesus hatte kreuzigen lassen, und nun lässt er Petrus und Johannes vor sich führen.
Ich möchte mit den zwei Worten schließen, mit den zwei Versen, die Petrus diesem Hohen Rat entgegenwirft. Es ist wieder ein Zitat aus Psalm 118. In Apostelgeschichte 4,11 heißt es: Petrus und Johannes stehen vor dem Hohen Rat, der Jesus hingerichtet hat, und Petrus sagt: „Das ist der Stein, dieser Jesus, der von euch, den Bauleuten, verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist.“
Und weiter sagt er: „In keinem anderen ist das Heil; denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden.“ Amen.