Einführung und biblischer Ausgangstext
Ich freue mich, dass Sie das Lied singen können. Es wurde nie für die Gemeinde komponiert, da es schwierig zu singen ist. Die Melodie moduliert nicht durch drei Tonarten, sondern ist für ein Griffenspiel und den Chor gedacht. Dennoch ist es schön, dass wir es singen konnten, gerade heute, wo wir das Thema des Leidens haben.
Ich habe diesen Text gewählt, weil ich heute Morgen im Südwestrundfunk einen Gottesdienst gefeiert habe. So möchte ich auch hier den Text aus der Offenbarung 12, Verse 1 bis 6 lesen:
Es erschien ein großes Zeichen am Himmel: Ein Weib, mit der Sonne bekleidet, der Mond lag unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt war eine Krone von zwölf Sternen. Das ist eine der Visionen aus der Offenbarung, die Johannes empfängt. Es ist ein strahlend helles Bild – eine Frau, die von der Sonne begleitet wird. Man kann das kaum beschreiben, denn in die Sonne kann man ja gar nicht blicken.
Sie war schwanger und schrie in Kindsnöten, hatte große Qualen bei der Geburt. Dann erschien ein anderes Zeichen am Himmel: Ein großer roter Drache. Er hatte sieben Häupter und zehn Hörner – ein Zeichen riesiger Macht. Auf seinen Häuptern trug er sieben Kronen, sieben Herrschaften. Sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg. Dieser rote Drache hat also sogar Macht bis in die Überwelt hinein und warf die Sterne auf die Erde.
Der Drache trat vor das Weib, das gebären sollte, um, wenn sie geboren hätte, ihr Kind zu verschlingen. Doch sie gebar einen Sohn, ein Knäblein, das alle Völker mit eisernem Stab weiden sollte. Ihr Kind wurde entrückt zu Gott und seinem Thron. Das Weib entfloh in die Wüste, wo ihr ein Ort bereitet war von Gott. Dort wurde sie zwölfhundertsechzig Tage lang ernährt.
Herr, erkläre uns dieses Bild. Amen.
Die wahre Bedeutung der Weihnachtsbotschaft
Die Weihnachtsbotschaft wird oft missverstanden. Viele sprechen heute von „Friede auf Erden“. Doch die Weihnachtsbotschaft sagt nicht, dass auf dieser Erde tatsächlich Friede herrscht.
Lesen Sie doch einmal nach: Kaum war Jesus geboren, ließ der König Herodes seine Truppen aufmarschieren und befahl, alle männlichen Säuglinge in Bethlehem brutal ermorden zu lassen. In dieser Wirklichkeit geschieht die Geburt Jesu in Bethlehem.
Nirgendwo in der Bibel wird behauptet, dass Frieden herrscht. Die Bibel ist viel nüchterner und härter: In dieser Welt wird es keinen Frieden geben bis zur Wiederkunft Jesu – auch wenn wir Weihnachten feiern.
Wo ist also der Friede? Gilt das mit dem Frieden nicht doch? Der einzige Friede in dieser Welt ist Jesus selbst. Er ist unser Friede. Er sagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Das ist die Weihnachtsbotschaft: „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“
Das apokalyptische Bild der Offenbarung und seine Bedeutung
Und deshalb zeichnet uns Johannes auch dieses Bild, das er dort gesehen hat. Er, der Märtyrer, der um seines Glaubens willen nach Patmos verbannt war, schaut in die Zukunft und sieht, was auf die Gemeinde Jesu zukommt.
Ich möchte nur zwei Gedanken daraus herausnehmen.
Einmal: Dem Kommen Jesu wird widersprochen werden. Es ist ein wahrhaft apokalyptisches, endzeitliches Bild. Der Drache mit seinen sieben Häuptern, sieben Köpfen, zehn Hörnern ist ein Zeichen der Macht. Auf jedem Kopf sitzt eine Krone, ein Zeichen seiner Herrschaft.
Und dann diese Frau, mit der Sonne bekleidet – ein ungeheures Bild, das man eigentlich kaum richtig beschreiben kann. Wer ist denn diese Frau mit der Sonne bekleidet? Unsere katholischen Brüder sehen in dieser Frau Maria, die Mutter Jesu.
Ich kann diese Auslegung nicht teilen, denn etwas ganz anderes ist hier beschrieben. Dieses Bild der Frau ist neutestamentlich, und hier sind sich die Bibelausleger im ganzen evangelischen Raum einig: Es ist nicht Maria, sondern die Gemeinde.
Jesus wird aus der alttestamentlichen Gemeinde herausgeboren. Oder noch einmal anders gesprochen: Die Leiden, die über die Gemeinde kommen, die schweren Zeiten, die Anfeindungen und der Druck, der auf der Gemeinde lastet, führen dazu, dass immer wieder Christus aus der Gemeinde heraus geboren wird. Es kommt zu einer immer neuen Geburt Christi.
Ein ganz interessantes Bild, das Johannes hier malt und zeichnet. Er beschreibt nicht nur die Vorgänge von Bethlehem, das Kindlein, das geboren wird, sondern es vollzieht sich fortwährend im Wirken der Gemeinde Jesu, dass dort Menschen sind, die plötzlich Christus begegnen.
Man vermutet das gar nicht, wenn sie heute Morgen in so eine Kirche treten: Was ist denn da schon Besonderes? Und plötzlich geschieht es, dass aus der Gemeinde heraus Christus geboren wird.
Und dieser Christus wird sofort von diesem Drachen bekämpft.
Die Macht des Bösen und der Kampf gegen Christus
Wer ist denn dieser rote Drache? Es wäre einfach, wenn wir sagen würden, das sei einfach das Rote weltweit. Doch ich glaube, dass dieser Drache auch die schwarze Farbe tragen kann und alle Farben anziehen kann, so wie er es durch die Welt hindurch tut. Er ist die Macht des Bösen schlechthin.
Manchmal tun wir so, als sei das Böse nur bei uns ein Fehler, eine kleine verzeihliche Sache, etwas, das man korrigieren kann. Irren ist menschlich – das sei eben das Böse bei mir. Ich bin nicht vollkommen, an mir haftet noch etwas, das mich ein bisschen tappig macht. Oder man stellt sich das Böse vor wie einen Kobold, das Schicksal oder einen lustigen Teufel.
Doch Jesus hat der Macht des Bösen die Tarnung weggerissen. Seitdem er damals in der Versuchungsgeschichte dem Teufel gegenüberstand und gezeigt hat, dass es in der Welt eine Scheidung gibt zwischen Licht und Finsternis, ist das klar. So wie wir es am Anfang in dem Lied „Dies ist die Nacht“ gesungen haben, wo das Licht in der Nacht plötzlich hervorbricht.
Die ersten Christen haben fröhlich bekannt: Jesus hat mich errettet aus der Macht, aus dem Machtbereich der Finsternis, und hat mich ins Reich seines lieben Sohnes versetzt. Seitdem tobt diese Macht des Bösen, dieser Drache, und möchte Christus wieder wegreißen – überall dort, wo heute Christus Gestalt gewinnt.
Dieser Drache ist lebendig und will die Freude des Glaubens herausreißen. Das haben Sie sicher schon erlebt: Dann beginnt dieses Bombardement. „Bist du denn wirklich so sicher? Bist du nicht einer Täuschung aufgesessen? Kannst du denn wirklich glauben, dass Christus dir gehört? Willst du denn mit deinem Leben das so fest glauben? Sieh doch deine Schuld an, sieh doch, was für ein kümmerlicher Mensch du bist!“
Er hat nur dieses eine Ziel: Dieser Drache, diese Macht des Bösen, will mir den Frieden rauben, den mir das Evangelium Jesu zugesprochen hat. Die Freude des Glaubens und die Gewissheit des Glaubens sollen genommen werden. Die Gemeinde steht deshalb unter der Anfeindung des Drachen des Bösen, denn dieser Drache will genau diesen einen Punkt treffen.
Doch dann holt Gott dieses Kind, diesen Christus, zu sich an seinen Thron. Das ist ein Trost für die Gemeinde: Niemand kann dich aus seiner Hand reißen. Die Glaubensgewissheit kann niemand nehmen. Du kannst dir nicht mehr streitig machen lassen, was Jesus dir geschenkt hat.
Er ist beim Vater erhöht, der Sieg ist da. Doch die Gemeinde spürt noch die ganzen Auswirkungen dieses Drachen. Sie wird in die Wüste getrieben, und auch dort steht sie unter dem Schutz Gottes. Bis zur Wiederkunft Jesu wird sie eine verfolgte und leidende Gemeinde sein, die doch nicht überwunden werden kann.
Denn die Pforten der Hölle können sie nicht überwältigen.
Die Macht des Bösen in der Weltgeschichte und der Schutz Gottes
Darf ich noch einmal an das Bild des Johannes anknüpfen? Wenn er sagt, dieser Drache könne sogar den dritten Teil der Sterne vom Himmel herunterreißen, dann möchte er damit ausdrücken, dass die Macht des Bösen selbst in der überirdischen, übersinnlichen Welt so groß ist, dass die Weltgeschichte davon geprägt sein wird.
Lasst euch jedoch nicht ängstigen. Freut euch vielmehr, dass Gott seinen Christus zu sich holt und er geborgen ist. Auch die Gemeinde ist dort geborgen, wo Christus geborgen ist.
Der Auftrag der Gemeinde in der Welt
Noch ein zweites, was ich dazu sagen möchte: Das erste war, dass dem Kommen Jesu widersprochen wird. Das ist eine wichtige Sache, gerade wenn wir den Stephanustag in den Weihnachtstagen begehen. Jesu Kommen wurde schon bei seiner Geburt in Bethlehem widersprochen.
Unser Auftrag ist der zweite Punkt. Die Gemeinde wird in diesem Bild als ein Weib dargestellt, mit der Sonne bekleidet. Das zeigt die Schönheit der oft kümmerlichen Gemeinde Jesu. Man kann die Kirche und die Gemeinde Gottes in dieser Welt manchmal grün und blau ärgern, weil sie so kümmerlich erscheint. Die Christen sind oft schwierig, und die Gemeinde ist in viele Konfessionen gespalten.
Doch Johannes malt dieses wunderschöne Bild einer Gemeinde, die mit der Sonne bekleidet ist und Licht in diese dunkle Welt bringt, weil Gott ihr dieses Licht schenkt. Diese Gemeinde darf immer wieder Christus freisetzen, immer wieder Christus gebären. So geschieht in ihrer Mitte das Wunder, dass sich ein paar junge Leute versammeln, miteinander die Bibel lesen und plötzlich Christus Menschen erscheint.
Das ist der Dienst, den die Gemeinde Jesu in dieser Welt tun darf und tun muss – ihr entscheidender Dienst. Mir ist es immer eindrucksvoll, wie etwa die russische Kirche einen großen Dienst tat, als sie sich vom Zaren in den Öffentlichkeitsauftrag einspannen ließ. Damals gründete sie Universitäten, befruchtete die Wissenschaft und baute Schulen auf. Jeder Priester in einem Dorf war gleichzeitig Repräsentant des Staates.
Die Kirche stellte ihre besten Leute für den bürokratischen Dienst der Staatsverwaltung frei. Das war ein Öffentlichkeitsauftrag, den diese Kirche wahrnahm. Heute wird das oft nicht mehr erkannt. Man sieht es nur unter dem Gesichtspunkt, als ob die Kirche Macht angestrebt hätte, als ob Kirche und Staat, Thron und Altar sich verbündet hätten. Aber es war ganz anders.
Dann kam die Revolution 1917, und die Kirche erhielt einen heftigen Rückschlag. Sie wurde in die Wüste gejagt, so wie es hier beschrieben steht. Sicher brauchte die russische orthodoxe Kirche lange Zeit, um sich von diesem Schlag zu erholen. Ihr wurde alles aus der Hand genommen: der Öffentlichkeitsauftrag, die Bildung, die Schulen, die Verbindung zum Staat. Die Macht war ihr genommen.
Dann hören wir, wie in dieser Kirche, auch in der orthodoxen Kirche, überall etwas Neues aufbricht: kleine Bibelkreise, eine Erweckung der Gemeinde. Plötzlich merken die Christen, dass sie einen Auftrag haben. Sie haben die Verheißung, der Welt Christus unter seinem Wort zu bringen. Und plötzlich wird die Kirche und die Gemeinde Jesu wieder das, was vorher verdeckt war: Gemeinde Gottes.
Ich möchte nicht behaupten, dass es bei uns, wo wir so viele Möglichkeiten des Dienstes in der Welt haben und so viel Freiheit, nicht auch so ist. Aber oft ist es verdeckt, dass der entscheidende Auftrag einer Gemeinde darin besteht, Christus freizusetzen, Jesus zu verkündigen und Zeugnis von ihm abzulegen.
Das geschieht auch in unseren Tagen überall dort, wo die Gemeinde Jesu durch Leiden geht. Ob das, wie wir jetzt hören, im Tschad ist, im gesamten kommunistischen Machtbereich oder auch bei uns, wo Christen Widerstand aushalten müssen. Es gibt Menschen, die das schon in der eigenen Familie spüren, wie es nicht ertragen wird.
Heute sind Leute unter uns, die heute Morgen schon einen Wortwechsel hatten, weil sie zum Gottesdienst gingen und andere sagten: Reicht das denn wirklich noch nicht? Das ist unser Auftrag: dass wir Christus freisetzen, sein Wort verkünden und von ihm reden.
Die Gemeinde hat das größte Wort – das Wort von Jesus und seinem Sieg. Die Gemeinde ist bewahrt unter der schützenden Hand Gottes. So sollte der Stephanustag kein Tag sein, an dem wir nur daran denken, wie schwer Christen leiden müssen. Vielmehr sollten wir uns freuen, dass auch in Zeiten des Leidens und der Verfolgung das Wort zum Leuchten kommt.
Die Gemeinde sagt, dass die Reiche Christus gehören, dass er die Macht und Gewalt hat. Gerade dieses Zeugnis wird erprobt und bewiesen unter dem Widerspruch und Widerstand der Welt. Sie darf dieses Wort weitersagen, wenn wir nur treue Zeugen werden – so wie Stephanus ein treuer Zeuge seines Herrn war.
Amen.
