Und wir wollen fröhlich vorwärtsgehen in unserer Predigtreihe. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen!
Die Bedeutung des Staunens im Glauben und in der Wissenschaft
Albert Einstein, der berühmte Physiker, soll gesagt haben: „Wann immer ich einen Assistenten treffe, der bereit ist zu staunen, bin ich bereit, von ihm zu lernen.“
Für einen guten Wissenschaftler ist es unbedingt wichtig, dass er sich das Staunen bewahrt. Er darf sich nie einbilden, er wüsste schon alles. Ebenso sollte er nicht in Routine verfallen. Stattdessen muss er immer wieder bereit sein, Neues zu lernen, weiterzukommen und mehr zu entdecken.
Nur ein Wissenschaftler, der staunen kann, hat etwas zu sagen. Und das gilt für den Christen mindestens genauso. Nur ein Christ, der staunen kann, hat etwas zu sagen. Ein Christ, der nicht in Routine verfällt, der immer bereit ist, Neues zu lernen, Neues zu entdecken und tiefer in die Wahrheit der Bibel einzudringen, den lebendigen Gott besser kennenzulernen.
Darum ist es so wichtig, dass wir uns Zeit nehmen, unseren Epheserbrief gemeinsam zu studieren. Es lohnt sich, denn hier lässt Paulus uns in eine Schatztruhe hineinschauen.
Die Schatztruhe geistlicher Segnungen im Epheserbrief
Er hat das in den ersten drei Versen des Epheserbriefes beschrieben. Sie haben den Text vor sich: „Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, an die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus Jesus. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. Diesen Text haben wir bereits genauer betrachtet. Paulus öffnet die Schatztruhe und sagt: „Aller geistlicher Segen – Gott hat viel für euch bereit, aller geistlicher Segen – nichts fehlt.“
Im weiteren Verlauf des Epheserbriefes öffnet er die Schatztruhe erneut und packt die einzelnen Schätze aus. Dabei merkt man, wenn man das liest, dass Paulus selbst als ein Staunender schreibt. Das erkennt man sogar bis in die Grammatik hinein. Zum Beispiel bilden im ersten Kapitel die Verse 3 bis 14 im griechischen Originaltext einen einzigen langen Satz. Paulus fügt immer wieder Einschübe hinzu, und man spürt richtig die Freude an seinem Thema.
Paulus schreibt selbst als ein Staunender und geht zugleich ganz logisch vor. Er lässt sich von seinem Staunen nicht zu einer unsachlichen, emotionalen Darstellungsweise verleiten, sondern bleibt klar und strukturiert.
Gleich zu Beginn schreibt er, womit dieser Reichtum, den Gott uns Christen geschenkt hat, begann. Er erklärt, wie es dazu kam und wie ein Christ überhaupt in den Genuss all dieser Vorzüge kommt, die der Apostel im Verlauf dieses Briefes schildern wird.
Die ewige Erwählung der Gläubigen als Grund des Christseins
Paulus beginnt also mit dem Anfang: Wie wurden wir überhaupt Christen? Dabei enthüllt er eine erstaunliche Tatsache. Im letzten Abschnitt der Predigtreihe haben wir bereits begonnen, uns diese Tatsache näher anzusehen. Wer das noch einmal nachhören möchte, kann das über Kassette, CD oder die Homepage der Bibeltage tun.
Wir haben gesehen, wie Paulus eine ganz erstaunliche Tatsache offenbart. Wie wurden wir überhaupt Christen? Dabei geht Paulus nicht nur zurück zum Tag unserer Bekehrung, sondern noch weiter. Er geht nicht zurück zum Tag unserer Geburt, sondern noch weiter. Auch nicht nur zurück zu dem Tag, an dem diese Welt geschaffen wurde, sondern noch weiter.
Er geht zurück, wenn man das so sagen darf, bis in die Ewigkeit. In den Versen 4 und 5 schreibt er: „Denn in ihm, also in Christus, hat er, Gott der Vater, uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten. In seiner Liebe hatte er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein, durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens.“
Wir haben beim letzten Mal bemerkt, dass Paulus uns gleich in den ersten Versen mit diesem Geheimnis der Erwählung konfrontiert. Ja, mit dieser eigentlich so widerständigen und anstößigen Lehre von der Erwählung der Gläubigen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir diese ersten Verse geschafft haben – und das wird heute die letzte Predigt zunächst einmal über die Verse 4 bis 6 sein –, dann haben wir die erste große Klippe dieser Predigtreihe umschifft.
Gleich am Anfang macht Paulus also klar: Dass du zu Gott gehören darfst, ist Gottes Verdienst. Noch bevor du irgendeine Entscheidung selbst treffen konntest, noch bevor du überhaupt deinen ersten Atemzug getan hast, hat der lebendige Gott sich für dich entschieden. Er hat beschlossen, dich zu erwählen und festgelegt, dich zu seinem Kind zu machen.
Wenn du also nach dem tiefsten Grund suchst, warum du Christ werden konntest, dann liegt er hier, sagt Paulus: Gott hat dich von Ewigkeit her erwählt. „In ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war.“ Danach hat Gott alles Weitere getan, was nötig war, um dich in dieser Welt aufzufinden, dir zu begegnen, dich zum Glauben zu bringen und zur Bekehrung. Dann hat er dein Leben unter seine Fittiche genommen. Das hat Gott gemacht.
Die Herausforderung, Gottes Perspektive zu verstehen
Und diese Wahrheit fällt uns nicht leicht, zumindest den meisten von uns. Wir neigen dazu, die Dinge nicht aus Gottes Perspektive zu betrachten, sondern gehen lieber und ständig von uns selbst aus. Dabei kann es schnell passieren, dass wir einen entscheidenden Ausschnitt der Wirklichkeit einfach übersehen.
So wie jenes kleine Mädchen, von dem Rabbi Zacharias in seinem Jesusbuch erzählt. Die Familie wohnt am Rande eines Waldes. Eines Tages macht sich die Kleine selbständig auf den Weg, um das Geheimnis des Waldes zu erkunden.
Sie gehen weiter und weiter hinein in den Wald. Dabei merkt sie nicht, wie das Gehölz um sie herum immer dichter wird. Plötzlich hat sie die Orientierung verloren. Vor Panik schreit sie, aber niemand hört sie. Sie läuft ziellos durch den Wald und ruft nach Sirenen, Papa, Mama – doch niemand kann sie hören.
Schließlich ist die Kleine so erschöpft, dass sie einschläft. Natürlich bemerken die Eltern irgendwann das Verschwinden des Kindes. Sie trommeln Freunde und Freiwillige zusammen, auch die Polizei kommt dazu. Sie suchen lange und ausdauernd, doch stundenlang finden sie nichts.
Erst im Morgengrauen entdeckt der Vater endlich seine Tochter. Sie liegt zusammengekauert auf einem Felsen und schläft. Er ruft ihren Namen, rennt so schnell wie möglich zu ihr, nimmt sie in die Arme. Das Mädchen schreckt aus dem Schlaf hoch und klammert sich glücklich an den Vater.
Während der Vater sie nach Hause trägt, ruft sie immer wieder: „Papa, ich habe dich gefunden! Papa, ich habe dich gefunden!“ Das ist unsere Sichtweise.
In Wirklichkeit aber war sie gefunden worden. Es war allein das Verdienst des Vaters. Später, als das Töchterchen größer und vernünftiger wurde, dürfte sie es auch begriffen haben. Der Vater wird ihr erzählt haben: Nicht ich habe den Vater gefunden, sondern der Vater hat mich gefunden.
Aber sie rief fröhlich: „Papa, ich habe dich gefunden!“ Und der Papa hörte dieses Rufen gern.
Genau dieses Licht soll auch uns durch den Epheserbrief aufgehen. Paulus will den Ephesianern an dieser ersten Stelle genau das klar machen. Deshalb spricht Paulus vom Wunder der Erwählung in Form eines Lobliedes.
Die kontroverse Reaktion auf die Lehre der Erwählung
Das ist erstaunlich. Aber wer jubelt mit? Die Kirchengeschichte hat gezeigt, dass viele Christen auf diese Wahrheit nicht mit Freude, sondern mit Grübeln und Skepsis reagiert haben. So nach dem Motto: Ist das nicht ungerecht, wenn Gott bestimmte Menschen erwählt und andere offenbar nicht? Und wie kann ein Mensch dann überhaupt herausfinden, ob er erwählt ist oder offenbar nicht?
Andere haben versucht, mit menschlichen Spekulationen diese Lehre noch weiter auszubauen. Zum Beispiel der Hyperkalvinismus. Er behauptet, man dürfe Menschen, die keine Christen sind, gar nicht die Einladung von Jesus verkünden: "Kehr um zum Herrn", denn man wisse ja gar nicht, ob sie überhaupt erwählt sind. Das ist natürlich Unfug, weil die Bibel uns ausdrücklich dazu auffordert, Menschen zu Christus zu rufen.
Wieder andere haben gesagt: Wenn Gottes Verdienst und Wille ist, dass der eine gerettet wird, dann ist es offensichtlich auch Gottes Verdienst und Wille, dass der andere verloren geht. Daraus entstand die Lehre einer strengen doppelten Prädestination, nach der Gott schon vor Grundlegung der Welt aktiv etliche zur Verdammnis bestimmt hat.
Doch auch diesen Schluss lässt die Bibel nicht zu. Sie betont immer wieder: Wenn du gerettet wurdest, dann ist das Gottes Verdienst – danke ihm dafür! Gleichzeitig macht sie deutlich: Wenn du verloren gehst, dann ist es deine eigene Schuld. Du gehst verloren aufgrund deiner Sünde und deines Unglaubens. Gott macht dich für deinen Unglauben verantwortlich.
Hier führt uns Gottes Offenbarung, wie wir in der letzten Predigt gesehen haben, an die Grenzen unserer Alltagslogik. Dabei erhalten wir eher Hilfe durch die moderne Naturwissenschaft. Seit dem zwanzigsten Jahrhundert kennt sie das Phänomen, dass zwei Dinge gleichzeitig wahr sein können, die sich auf den ersten Blick widersprechen scheinen.
Gott sagt: Wenn du gerettet wirst, ist das mein Verdienst. Paulus sagt, Gott hat uns vor Grundlegung der Welt erwählt. Gleichzeitig macht Gott den Sünder für seine Schuld verantwortlich und sagt nicht: Du gehst verloren, weil ich das von Ewigkeit her so über dich beschlossen habe. Vielmehr sagt er: Ich halte dich an deiner Schuld, an deinem Unglauben fest. Deshalb wirst du auf ewig von mir getrennt sein.
So wird es uns in Gottes Offenbarung dargestellt: Erwählt vor Grundlegung der Welt.
Die Gründe für Gottes Erwählung: Souveränität und Liebe
Aber jetzt wird vielleicht der eine oder andere fragen: Ja, warum bitteschön dann an diesem Sonntag, heute nochmal diesen Text, nochmal diese Verse vier bis sechs?
Meine Antwort lautet: Weil darin noch mehr brisante Antworten stecken, als wir bei der ersten Predigt behandeln konnten.
Also erstens haben wir gesagt: Wann hat Gott mich erwählt? Vor Grundlegung der Welt. Und jetzt kommt die zweite Frage: Warum hat Gott mich erwählt? Warum darf ich glauben? Warum hat Gott mich aus so vielen möglichen Menschen herausgefischt, sein Kind zu werden? Warum gerade ich?
Manche haben versucht, sich das so zu erklären: Sie sagen, ja, Gott hat ja in Ewigkeit gewusst, wer sich bekehren wird, und dann hat er die, von denen er das wusste, ausgewählt zum ewigen Leben. Das ist ein interessanter Gedanke, auch John Wesley etwa hat den vertreten. Er hat nur einen Nachteil: Er stimmt mit den Bibeltexten nicht überein.
Die Bibel redet nicht nur von einem Vorherwissen Gottes. Das wäre ja noch einfach zu erklären. Dann läge die entscheidende Aktivität ja wieder beim Menschen. Es kommt darauf an, wie du dich entscheidest, und Gott weiß das, und entsprechend erwählt er.
Nein, die Bibel spricht eindeutig von einem Vorherbestimmen, von einem Vorherauswählen. Gott schafft in Souveränität eine neue Wirklichkeit.
Und merken Sie den Unterschied: Bei Wesley etwa kommt es in letzter Instanz auf den Menschen an. Also Gottes Vorherbestimmung hängt dann doch im letzten Zündchen von dir ab, ob er weiß, dass du dich bekehrst.
Das passt so zu unserem natürlichen Lebensgefühl: Im Letzten entscheiden wir selbst, die letzte Weiche stellen wir selbst und nicht Gott.
Aber in der Bibel kommt es in letzter Instanz auf Gott an. Meine Bekehrung hängt von seiner Erwählung ab.
Und das schlägt natürlich zunächst einmal meinem Selbstverständnis unheimlich ins Gesicht, denn unser Denken und Empfinden beginnt immer mit uns. Die Bibel aber beginnt immer mit Gott und seiner Souveränität.
Also nochmal: Warum hat Gott Sie erwählt, wenn Sie Christ sind?
Wesley würde sagen: Weil er vorher wusste, dass Sie sich bekehren würden. Aber wozu müsste er Sie dann noch erwählen? Das wäre ja dann nur noch ein formaler Nachvollzug dessen.
Dann hätte Paulus geschrieben, hier in Vers 5: Er hat uns vorherbestimmt, seine Kinder zu sein, nach dem Vorherwissen bezüglich unserer Bekehrung.
Aber das schreibt Paulus nicht.
Sehen Sie mal hin, was Paulus in Vers 5 schreibt: Er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein, durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens.
Also warum wurden wir erwählt? Auf Deutsch: Weil Gott es so wollte. Weil Gott es so wollte, in völliger Souveränität und Freiheit.
Und das ist Gott als Begründung offensichtlich völlig ausreichend. Und das haben wir erst mal zu akzeptieren.
Wissen Sie, wir maßen uns oft Gott gegenüber ein Recht an, das uns gar nicht zusteht: dass er uns nämlich begründen müsste, seine Kriterien, warum er uns erwählt oder nicht, dass er uns Kriterien vorlegen müsste, die unserem begrenzten Verstand einleuchten.
Das maßen wir uns oftmals an. Aber Gott hat das nicht nötig, und uns steht es nicht zu, solche Forderungen zu stellen.
Aber Gott sagt uns in seinem Wort und auch in diesem Text ganz klar: Es geschieht aufgrund von Gottes souveränem Wohlgefallen.
Jedoch, und das ist ganz wichtig und halten Sie das unbedingt fest: Bei diesem Wohlgefallen handelt es sich nicht um eine kalte Willkür. So wie sich die Moslems Allah vorstellen, der ferne Allah, und dann ist es Fismit, also Schicksal, ob der eine gerettet wird und der andere verloren geht oder auch nicht.
Nein, schauen Sie hin: Paulus sagt in Vers 4, in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt.
Verstehen Sie? Warum hat Gott Sie erwählt? Er hat Sie erwählt, weil es in seinem Wohlgefallen lag. Und sein Wohlgefallen ist begründet durch seine Liebe. Weil er Sie geliebt hat, weil er Sie liebt. Darum hat er Sie erwählt.
Die Grenzen menschlichen Verstehens und die Größe göttlicher Gnade
Und natürlich stellt sich uns dann die Frage: Wie passt das zu Gottes Liebe, dass er die einen nach seinem Wohlgefallen erwählt und die anderen nicht?
Wir müssen an dieser Stelle einfach sagen, dass wir es letztlich nicht vollständig verstehen können. Martin Deutsch-Jones hat das wunderbar formuliert. Er sagte, dass dies so vorgesehen ist im Denken und Herzen des ewigen Gottes. Er ist ewig, er ist absolut. Ich hingegen bin begrenzt und nicht nur das, ich bin auch sündig.
Wir sollten uns also gar nicht darüber wundern, dass wir Gottes Gedanken und Ziele nicht bis ins Letzte erfassen können. Glauben heißt hier, dass ich das akzeptiere und Gott abnehme, was er mir in seinem Wort offenbart, und dass ich meinen Stolz darunter beuge.
Wenn es schon Anlass zum Wundern gibt, dann nicht darüber, dass jemand verloren gehen kann. Vielmehr sollten wir uns darüber wundern, dass überhaupt jemand gerettet wird.
Gott ist absolut nicht verpflichtet, irgendeinen Menschen zu retten. Verdient haben wir das alle nicht. Denn die Bibel sagt sehr deutlich, dass jeder Mensch, ob er es weiß oder nicht, zunächst als Feind Gottes auf die Welt kommt. Wir sind von Natur aus gegen Gott gerichtet in unserem Herzen. Oft ignorieren wir ihn einfach oder behandeln ihn nur am Rande.
Also hat keiner verdient, von Gott gerettet zu werden, obwohl genau dieses Denken noch in unseren Herzen steckt.
Wissen Sie, über Gottes Gerechtigkeit erschrecken wir, und an Gottes Gnade haben wir uns gewöhnt. Ich frage mich, ob es uns nicht oft genauso geht wie jenen Studenten, von denen Artis Prowl, ein Pastor und Theologieprofessor aus Amerika, erzählt.
Er hatte Altes Testament in einem großen Kurs mit 250 Studenten gelehrt. Von vornherein sagte er ihnen: „Ihr habt drei Arbeiten pünktlich abzugeben, am 30. September, am 31. Oktober und am 30. November. Bitte pünktlich!“
Von den 250 Studenten verpassten 25 den ersten Termin. Sie sagten: „Ja, Professor, wir sind noch nicht ganz fertig geworden. Wir müssen uns erst ans Studium gewöhnen. Können wir nicht ein paar Tage später abgeben?“ Er sagte: „Okay, es sei euch gewährt, aber denkt daran, im Oktober müsst ihr den Termin einhalten.“ Die Arbeiten wurden nachgereicht.
Dann kam der Oktobertermin. Jetzt waren es schon etwa 50 Studenten, die mit leeren Händen zum Termin kamen. Sie waren nicht mehr ganz so geknickt wie die 25 beim ersten Mal. Nun kamen noch 25 dazu. Sie sagten: „Ja, Professor, wir haben es nicht ganz geschafft. Wir sind jetzt in der Mitte auch anderer Kurse. Können Sie noch einmal Geduld haben?“ Einige gaben die Arbeit nach.
Sproul sagte: „Okay, ich habe noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und euch die Nachfrist eingeräumt. Aber bitte denkt an den 30. November. Da gibt es wirklich kein Pardon mehr.“
Was geschah am 30. November? Sie können sich das vorstellen: Etwa 100 von den 250 Studenten hatten ihre Arbeit nicht rechtzeitig fertig. Sie sagten locker: „Ja, Professor, Sie wissen ja Bescheid, wir haben es nicht ganz geschafft.“
Er nahm sein Notenbuch vor, notierte sich die Namen und fragte: „Johnson, haben Sie die Arbeit?“ – „Nein.“ „Okay, Miltner, wo ist Ihre Arbeit?“ – „Auch nicht da.“
Er hatte genau das erwartet. Es gab einen Aufschrei. Die Studenten beschwerten sich, er sei unfair und solle gerecht sein. Darauf antwortete er: „Was, ihr ruft nach Gerechtigkeit? Gut, dann muss ich euch leider für die letzte Arbeit auch eine Sechs geben. Denn wenn es gerecht wäre, hättet ihr sie ja auch nicht rechtzeitig fertig.“
Die Studenten waren froh, dass er ihnen nur für die letzte Arbeit eine Sechs gab. Ihnen war deutlich geworden: Wenn wir nach Gerechtigkeit verlangen und nach Gerechtigkeit schreien, dann geht es uns schlecht.
Ich denke, das ist ein gutes Bild. So empfinden wir Gottes Gnade als normal. Wir sollten uns davor hüten, von Gott Gerechtigkeit zu fordern. Das würde uns sehr schlecht bekommen.
Bei Gott gibt es nur Gerechtigkeit oder Erbarmen. Er ist immer entweder gerecht oder gnädig. Wer von Gott Gerechtigkeit fordert, fordert sein eigenes Todesurteil.
Darum ist die einzig angemessene Haltung, mit der wir uns dem heiligen Gott nähern dürfen, die Bitte um Erbarmen. Das ist die uns angemessene Haltung, sagt die Bibel.
Ich erinnere gern noch einmal an diesen Liedvers, den viele von Ihnen kennen, aus einem alten Barockbuch. Er macht die Haltung deutlich, mit der wir zu Gott kommen sollen. Dort betet jemand:
„Nun pack mich, alten Hund, beim Ohr, wirf mir den Gnadenknochen vor und bring mich, Sündenlümmel, in deinen Gnadenhimmel.“
Das ist die Haltung. Das ist die einzig uns angemessene Haltung.
Die Erwählung als Ausdruck herrlicher Gnade
Und wenn Gott diesem Sündenlümmel dann sagt: „Du, ich habe dich erwählt vor Grundlegung der Welt, du Sündenlümmel, ich habe dich erwählt vor Grundlegung der Welt“, dann gibt es auf die Warum-Frage nur eine Antwort: Warum hat Gott mich erwählt? Weil er es so wollte.
Der Grund liegt allein in seinem Erbarmen und zu keinem Prozent oder Promille in irgendeiner Qualität, die ich mitbringe, oder in irgendeiner Entscheidung, die er von mir vorher hätte vorausgewusst.
Sehen Sie, darum ist jeder Christ, darum ist jeder Verlorene, der gerettet wird, und darum ist jeder Erwählte ein Beweis und ein leuchtendes Beispiel wofür? Wofür? Dafür, wie großartig und herrlich Gottes Gnade ist. Jeder Christ ist ein Beweis und ein Beispiel dafür, wozu Gottes Gnade fähig ist.
Genau das sagt Paulus hier am Ende in Vers 6. Er sagt: „Er hat uns erwählt zum Lob seiner herrlichen Gnade.“ Das meint Paulus. An jedem von uns wird deutlich, was Gottes Gnade kann – dass sie aus Sündenlümmeln Gottes Kinder macht.
Jeder, der an Jesus glaubt, jeder, der aus seiner Finsternis gerettet wurde, ist ein Lobpreis, ein Loblied auf die Macht der Gnade Gottes.
Sie merken, damit richtet Paulus den Blick schon nach vorn. Erst hat er gesagt, wann Gott uns erwählt hat und warum Gott uns erwählt hat. Jetzt sagt Paulus noch, wozu Gott uns erwählt hat.
Ganz deutlich sagt er das hier im Vers 4: Er hat uns in ihm erwählt, wozu? Dass wir heilig und untadelig sein sollten.
Verstehen Sie, mit diesem Ziel hat Gott sie erwählt. Er hat sie nicht nur dazu erwählt, dass sie im Himmel dabei sein sollen – das natürlich auch –, dass sie den Sinn ihres Lebens finden sollen – das natürlich auch. Aber wozu hat Gott sie erwählt? Er hat sie dazu erwählt, dass sie heilig und tadellos vor ihm sein sollten.
Dazu hat er sie erwählt. Das ist Gottes Plan mit seinen Leuten: Er stellt wiederher, was einmal vor dem Sündenfall gewesen ist. Nämlich, dass wir mit ihm zusammenleben in ungetrübter Gemeinschaft.
Natürlich wird das, solange wir hier auf dieser Erde sind, immer nur sehr gebrochen und unvollständig erreicht werden. Aber Paulus schreibt das hier zu Christen in Bezug auf ihr Leben schon hier auf dieser Erde.
Er sagt: „Er hat euch dazu erwählt, dass ihr heilig sein sollt“ (Vers 4). Das ist die Rechtsstellung, die Gott seinen Leuten schenkt: dass wir ganz zu Gott gehören, dass wir wissen, wir stehen jetzt auf seiner Seite, wir gehören nicht mehr zu dieser Welt, wir haben einen neuen König und einen neuen Herrn.
Und dass wir nicht nur heilig sein sollen, sondern tadellos. Dazu hat er sie erwählt. Sie sollen tadellos in dieser Welt leben.
Das heißt nicht sündlos. Sündlos schafft keiner von uns. Aber sie sollen leben mit einem praktischen Verhalten, das ihrer Stellung als Christ entspricht.
Dazu hat er sie erwählt, dass sie tadellos in dieser Welt leben. Fleckenlos kann man das auch übersetzen.
Natürlich beflecken wir uns immer wieder, und dann kommen wir immer wieder zu Jesus und bitten um Vergebung. Aber es treibt uns dieses Ziel: tadellos vor ihm zu leben.
Verstehen Sie? Deshalb ist es unmöglich, dass ein echter Christ sich nicht um ein gehorsames Leben bemüht. Das kann nicht sein, dass jemand echt Christ ist und es ihm nicht ein Herzensanliegen ist, Gott mit seinem Leben zu gefallen.
Das kann nicht sein, denn Gott hat sie erwählt zum Glauben. Er hat sie dazu erwählt, damit sie automatisch heilig sind und tadellos. Dazu hat er sie erwählt.
Die Erwählung zum Leben als Gottes Kinder
Paulus geht noch weiter und sagt, dass wir vor Gott leben. Ist das nicht großartig? Gott hat uns dazu erwählt, wirklich in seinem Angesicht zu leben, in seiner Gegenwart. Wie Kinder sollen wir fromm und fröhlich vor ihm sein, wie es in dem Lied heißt.
Denken Sie auch an Henoch, der uns als großes Beispiel im Alten Testament gezeigt wird. Dort heißt es, er wandelte mit Gott. Gott hat uns dazu erwählt, vor ihm zu leben – jeden Tag, jede Stunde – damit die zerstörte Gemeinschaft wiederhergestellt wird. Dazu hat er uns erwählt.
Doch es ist Gott noch nicht genug, dass wir als seine Geschöpfe vor ihm leben. Was sagt er in Vers 5? Wozu hat Gott uns erwählt? Er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein. Also nicht nur seine Geschöpfe, die jetzt vor ihm leben, sondern seine Kinder. Dazu hat er uns erwählt: Gottes Kind zu sein.
Wenn Paulus das schreibt, verwendet er den Begriff „hyothesia“. Dabei steht das römische Adoptionsrecht im Hintergrund. Dieses besagt, dass ein adoptiertes Kind alle Rechte und Pflichten wie ein natürliches Kind hat. Paulus sagt also, Gott hat euch vollgültig adoptiert als seine Kinder. Dazu hat er euch erwählt, damit ihr als seine Kinder leben sollt.
Das bedeutet, dass ihr das Vorrecht habt, direkten Zugang zum Vater zu haben – als seine Kinder. Dazu hat er euch erwählt.
Wissen Sie, das war die große Neuentdeckung der Reformation, die Sie in der Bibel wiedergefunden haben: Es bedarf keiner Vermittlungsinstanz zwischen dem Menschen und Gott. Keine Kirche, keine Eucharistie, kein Priester, keine Instanz, die dazwischen geschaltet wird. Sondern direkter Zugang zum Vater, direkter Zugang zu Jesus. Er ist unser Mittler. Kein Priester, keine Kirche, keine Eucharistie steht dazwischen.
Gott sagt: „Ich habe euch erwählt und bestimmt, meine Kinder zu sein, die direkten Zugang zu mir haben.“
Das Privileg der Kinder schließt natürlich auch eine Verpflichtung ein – „Adel verpflichtet“. Ihr seid dazu erwählt, als Gottes Kinder in dieser Welt zu leben und gewissermaßen die göttliche Familie in dieser Welt zu repräsentieren.
Als Kind zu leben bedeutet auch, erzogen zu werden. Wie Gott es im Hebräerbrief 12,7 schreibt, werden die Kinder vom Vater erzogen. Wenn Gott euch erwählt hat, dann hat er euch dazu erwählt, in der Schule Gottes abgeschliffen zu werden, damit ihr als seine Kinder in dieser Welt lebt. Dazu hat er euch erwählt.
Die Erwählung als ganzheitliches Lebensprogramm
Und lassen Sie mich das noch einmal anders ausdrücken: Wenn Gott einen Menschen zu sich zieht, wenn Gott einen Menschen erwählt, dann geschieht das immer mit dem vollen Programm. Es geht immer um ein ganz hingegebenes Leben, ein Leben, das dem Herrn der Welt gewidmet ist.
Verstehen Sie, bei der Bahn gibt es die BahnCard Gold und die BahnCard Silber. Die BahnCard Gold ist etwas teurer, dafür bietet sie mehr Service. Die BahnCard Silber ist günstiger, bietet aber weniger Service. Ähnlich verhält es sich bei der Bank: Es gibt die Mastercard Gold und die Mastercard Silber. Die Goldkarte ist etwas teurer und bietet mehr Leistungen, die Silberkarte ist günstiger und bietet weniger Service.
Aber bei Gott gibt es nicht die Erwählungskarte Gold und die Erwählungskarte Silber. Es gibt kein Christsein in zwei verschiedenen Klassen: einerseits die besonders Hingebenden, die vielleicht als fanatisch gelten, und andererseits die, die es etwas langsamer und ruhiger angehen lassen. Wenn Gott jemanden erwählt, dann hat er ihn dazu erwählt, sein Kind zu sein. Er hat ihn dazu erwählt, wirklich in Heiligkeit vor ihm zu leben.
Das ist das großartige Programm! Unser Leben dient großen Zielen. All das zielt auf unsere größte Bestimmung ab: dass wir dem Lob der göttlichen Gnade dienen, wie es in Vers 6 heißt. Unser Leben ist dazu da, dass deutlich wird: Aus so einem Menschen macht Gott sein Kind. Das ist ein Beweis für die Macht, die Herrlichkeit und die Größe seiner Gnade.
Und wenn wir das hören, liebe Leute, dann schwirrt uns der Kopf. Ich denke, es bebt uns auch ein bisschen das Herz, weil uns klar wird: Dafür bist du hier auf dieser Erde, dafür bist du hier – nicht weniger.
Gott hat dich nicht dazu erwählt, dass du irgendwann einmal Christ wirst und dann hier ein leidlich ordentliches Leben führst. Deine Gedanken sollen sich nicht vorzugsweise um Rosen züchten, Fernsehen, Urlaub fahren, Kleidung und Essen drehen. Und schließlich kommst du in den Himmel, um dich bei ihm auszuruhen. Dazu hat Gott dich nicht erwählt.
Gott hat dich dazu erwählt und bestimmt, dass du heilig und tadellos vor ihm lebst – als sein Kind, zum Lob seiner Gnade. Dazu hat er dich bestimmt, nicht weniger. Das ist sein Ziel mit dir.
Die Zusicherung für Zweifelnde und der Ruf zu Jesus
Und wenn ich über dieses Thema predige, habe ich immer eine Sorge. Ich habe das letztens schon angedeutet: Ich sorge mich, dass jemand da sitzt und sich fragt: Bin ich überhaupt auserwählt? Habe ich überhaupt eine Chance?
Für Menschen, die sich so fragen, habe ich eine gute Nachricht. Wenn Sie die Sehnsucht haben, Gottes Kind zu sein, ist das ein sehr wahrscheinlicher Hinweis darauf, dass Sie erwählt sind.
Verstehen Sie, der nächste Schritt für Sie ist nicht, auf spekulative Weise herauszufinden, ob Sie erwählt sind oder nicht. Jesus hat ganz klar gesagt, was für Sie der nächste Schritt ist: Sie sollen sich an ihn wenden und ihn bitten, Ihr Leben in seine Hand zu nehmen. Sie sollen sich an Jesus wenden und ihn um Vergebung Ihrer Sünden bitten, sich zu ihm kehren.
Jesus hat ganz deutlich gesagt: Wer zu mir kommt, den schicke ich nicht hinaus. Es gibt in der ganzen Bibel keinen Fall, in dem jemand zu Jesus kommt und sagt: Herr, rette mich, schenke mir das ewige Leben, schenke mir, dass ich Gottes Kind werde, schenke mir Vergebung – und Jesus antwortet: Wie ist dein Name? Nein, tut mir leid, du bist leider nicht erwählt.
Das gibt es nicht in der Bibel.
Darum, wenn diese Sehnsucht in Ihnen steckt und vielleicht durch diese Predigt über die Erwählung heute bei Ihnen der Wunsch geweckt wurde: Es müsste großartig sein, Gottes Kind sein zu dürfen, erwählt zu sein. Wenn das über meinem Leben stehen könnte, das würde wirklich den Unterschied ausmachen.
Dann gehen Sie zu Jesus und bitten Sie darum, dass er Sie rettet. Im Rückblick werden Sie erfahren: Jawohl, er hat auch mich erwählt.
Es ist wichtig, dass hier niemand mit Grübeleien herausgeht: Bin ich erwählt oder nicht? Jesus ruft und sagt: Wer zu mir kommt, den schicke ich nicht hinaus.
Die Art und Weise der Erwählung in Christus
Darum ist dieser letzte Gedanke besonders wichtig. Wir fragen uns: Wie ist das möglich? Wie macht Gott das mit seiner Erwählung?
Wir haben gesehen, wann Gott uns erwählt – vor Grundlegung der Welt. Wir haben erfahren, warum Gott uns erwählt – nach seinem souveränen Wohlgefallen, aufgrund seiner Liebe. Außerdem haben wir betrachtet, wozu Gott uns erwählt – dazu, seine Kinder zu sein, mit vollen Rechten, das volle Programm.
Jetzt fragen wir zum Schluss noch einmal: Wie hat Gott uns erwählt? Wie hat er das gemacht? Paulus gibt in jedem dieser Verse – vier, fünf, sechs – immer dieselbe Antwort, die gleiche Antwort: In ihm, also in Christus, hat er uns erwählt. In Vers 4 heißt es, dass wir in Christus erwählt sind. In Vers 5 steht, dass wir durch Jesus Christus seine Kinder sind. Und in Vers 6 wird noch einmal betont: Zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns in dem Geliebten begnadet hat.
Es ist also immer dieselbe Botschaft: Wir sind erwählt in ihm, wir sind vorherbestimmt durch Jesus Christus, wir sind begnadet in dem Geliebten. Dreimal sagt Paulus uns hier, wie die Erwählung vor sich gegangen ist.
Gott wusste doch! Gott wusste doch vorher, dass seine Geschöpfe, die er in diese Welt setzen würde, sich einmal von ihm losreißen und gegen ihn rebellieren würden. Das wusste Gott. Und wie konnte er dann trotzdem so viele von diesen zukünftigen Rebellen in der Ewigkeit schon als seine Kinder erwählen, die in Ewigkeit bei ihm sein sollten? Wie war das möglich?
Paulus gibt uns eine klare und einfache Antwort. Er sagt: Bedenke, in der Ewigkeit, als Gott dich erwählte, wusste er natürlich, dass du ein Sünder sein würdest. Wie konnte er dich trotzdem erwählen? Es gibt nur eine Antwort: in ihm, in Christus. Das heißt, durch Jesus hat Gott alles getan, damit die Erwählung gelingen und ihr Ziel erreichen würde.
Bedenke nun, was passiert wäre, wenn Jesus nicht gekommen wäre. Wenn Jesus nicht gekommen wäre, hätte ich nie und nimmer Gnade von Gott bekommen können. Wenn Jesus nicht gekommen wäre, hätte ich niemanden gehabt, der meine Sünde wegträgt. Wenn Jesus nicht gekommen wäre, hätte es überhaupt kein Heil, keine Rettung gegeben, keinen offenen Weg zum Himmel.
Und dann hätte es auch keine Erwählung zum Heil geben können, weil niemand da gewesen wäre, für den das Heil hätte gelten können. Ohne Jesus hätte über meinem Leben und über Ihrem Leben nur das Verdammungsurteil gestanden – schon um Gottes Willen, denn Gott ist heilig. Gott kann Schuld nicht einfach stehen lassen. Er kann nicht einfach, wie Professor Sproul es bei den ersten beiden Terminen beschrieben hat, durch die Finger sehen und sagen: „Okay, es ist schon gut.“ Gott kann Sünde nicht ignorieren.
Aber Jesus ist gekommen, weil er kommen musste – um Gottes und um unseres Willen. Er hat die Rechnung für mich bezahlt. Darum kann Gott zum Heil erwählen, weil Christus unsere Strafe trägt. Das wusste er von Ewigkeit her.
Und schauen Sie, das ist eine unfassbare Aussage: Schon in der Ewigkeit, als ich noch nicht geboren war, hat Gott mich zusammen mit Jesus gesehen. Er hat mich vor Grundlegung der Welt in ihm erwählt. Da hat Gott bereits verfügt, dass sein Sohn einmal für mich kommen würde, obwohl ich noch nicht geboren war.
Gott hat mich also schon vor Grundlegung der Welt in ihm erwählt – im Hinblick auf Jesus. Das heißt, er hat mein Leben mit dem Leben seines Sohnes zusammengepackt und gewissermaßen auf eine Karte geschrieben.
Dann, als ich Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geboren wurde – 1969 –, hat Gott dafür gesorgt, dass ich von Jesus erfahren habe. Er hat mein Herz bereit gemacht, an Jesus zu glauben und ihn um seine Gnade zu bitten. So durfte ich mich bekehren und ihn von ganzem Herzen um Vergebung bitten.
Heute weiß ich – und erfahre es zum Beispiel durch Epheser 1,4 – was ich an dem Tag, als ich zum Glauben fand, noch nicht wusste: Nämlich, dass all das möglich wurde durch Gott selbst. Er hat es in der Ewigkeit, vor Grundlegung der Welt, auf den Weg gebracht, weil es ihm so gefallen hat aus seiner Liebe heraus.
Schon damals hat er mich erwählt, dazu heilig und tadellos vor ihm zu leben, als sein Kind zu seiner Ehre. Darum hat er mich mit seinem Sohn Jesus Christus zusammengesehen und auf eine Karte geschrieben. Dann hat er Jesus auf die Erde geschickt, um die Strafe zu tragen, die sonst meine und Ihre Strafe hätte sein müssen.
Die Einladung zum Staunen und zur Dankbarkeit
Liebe Mitchristen, ich frage Sie: Wer das erfährt, wie kann der davon unberührt bleiben? Verstehen wir, warum Paulus jetzt, als er diese Wahrheit aufschreibt, nicht problematisiert, sondern wirklich Gott preist? Warum er nicht diskutiert, sondern dankt? Warum er nicht lamentiert, sondern lobt? Warum er nicht jammert, sondern jubelt? Weil sein Herz voll ist – weil sein Herz voll ist von dieser Wahrheit und er nur noch staunen kann.
Er schreibt diesen Brief und diese Verse, weil er uns anstecken will mit diesem Staunen. Weil er uns einladen will, mitzustaunen. Darum ist es so wichtig, dass wir Gottes Wahrheit über die Erwählung kennenlernen. Es ist eine Wahrheit, die zu Herzen geht und deine Liebe zu deinem Schöpfer und deinem Erlöser neu vertiefen und neu entzünden kann.
Vielleicht geht es dir dann ähnlich wie jener älteren Dame aus den neuen Bundesländern, mit der ich jetzt schließe. Sie nahm teil an der Sommerferienaktion in dieser Gemeinde. Für vier Wochen war ein Ferienkind eingeladen; es sollten Kinder aus Ungarn kommen. Sie hatte vorher schon gesagt: „Ich weiß auch schon, was ich haben will – so einen kleinen schwarzhaarigen ungarischen Jungen mit pfiffigen Augen, sowas kann ich gut leiden.“
Gegen Anfang der Ferien kam dann die Reisetruppe aus Ungarn an. Ein Bekannter traf die Frau Rieck und wunderte sich, denn sie sah ganz deprimiert aus. Neben ihr ging ein langes blondes Mädchen. Als er nach einiger Zeit wiederkam, sagte Judith: „Geh doch mal ein bisschen voran, ich will nur noch kurz was besprechen.“ Da fragte er: „Ja, was ist denn los? Warum gucken Sie so?“
Sie antwortete: „Ach, ich habe mir alles ganz anders vorgestellt. Ich hatte doch gesagt, was ich haben wollte – so einen kleinen schwarzhaarigen Jungen. Und dann schicken Sie mir so ein großes blondes Mädchen. Ich habe keine Lust mehr. Judith soll mit den Kindern im Nachbargarten spielen, irgendwie ist mir jetzt alles verhagelt.“
Zwei Tage später traf der Nachbar die Frau Rieck wieder. Sie saß in einem Straßencafé mit Judith, beide aßen Eis. Sie war ganz begeistert und strahlte über das ganze Gesicht. Der Nachbar kam zu ihr und fragte: „Was ist denn los?“
Da sagte Frau Rieck: „Ja, Judith, geh mal, hol dir ein paar Ansichtskarten, dann kannst du gleich wiederkommen.“ Der Nachbar fragte: „Was war denn?“ Sie antwortete: „Ach, es geht mir ganz wunderbar. Wissen Sie, es hat mir keine Ruhe gelassen. Ich bin dann abends zu dieser Reiseleiterin hin und habe sie gefragt: ‚Warum? Ich habe doch gesagt, einen kleinen schwarzhaarigen Jungen, und nun kriege ich ein großes blondes Mädchen. Warum haben Sie das gemacht?‘“
Die Reiseleiterin sagte: „Wissen Sie, als die Kinder aus dem Zug rauskamen, da hat Judith immer vor sich hingesprochen: ‚Die alte Frau, die sieht lieb aus, zu der will ich, zu der will ich.‘“
Und wie Frau Rieck sagte: „Wissen Sie, seit ich das weiß, ist für mich alles anders. Da am Bahnhof standen ganz andere Leute. Einige hatten schon große Geschenke mitgebracht oder standen tolle Autos da. Aber sie wollte zu mir, der alten Frau. Und seitdem ich das weiß, ist für mich alles anders, und ich bin so froh.“
Das ist ein schwaches Beispiel. Aber als die Frau erfährt, dieses Mädchen hat mich erwählt, sie hat mich gelesen, sie wollte bei mir sein, sie wollte mich bei sich haben – da wurde sie froh. Und wie viel mehr bedeutet es, wenn ein Mensch erfährt: Der allmächtige Gott aus der Ewigkeit hat mich erwählt, er will mich bei sich haben. Das ist das Größte, was es gibt. Amen.
Wir singen jetzt das Lied 428, Strophen 1 bis 3, 6, 7 und 10.