Die verborgene Sehnsucht nach Erlösung
Verehrte Schwestern und Brüder, die Formulierung ist falsch gewählt. Es hat wohl noch nie ein Mensch allgemein nach Erlösung geschrien, vielleicht einzelne, aber es war immer von Gott her die Sehnsucht, mein Herz still zu berühren: „Dir entgegen, so oft ich an dich denke, möchte ich dich doch befreien aus den Bindungen, die dir selbst noch nicht einmal bewusst sind!“
In Matthäus 9 steht der herrliche Vers, als Jesus das Volk sah. Er jammerte über sie, denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Es wird jedoch nirgends gesagt, dass sie sich so gefühlt hätten. Jesus sah, dass die eigentliche Not ihr Verschmachten war.
Dennoch gibt es ein geheimes Sehen, das sich bei Menschen gar nicht ausdrückt. Der ostafrikanische ugandische Bischof Festo Kivengere erzählte einmal, wie die religiöse Anschauung in seinem heimatlichen Stamm war. Demnach sei der große, erhabene Schöpfergott längst von unserer Welt weggegangen. Die ganze Welt war ihm zu dreckig, die Menschen strebten nur nach eigener Ehre und Eigenbesitz. Er habe sie losgelassen und sei weit weggegangen, unerreichbar weit.
Seitdem hätten die Menschen es mit einem Heer, einem Gewusel von Dämonen zu tun. Man könne die Dämonen, die ins eigene Leiden eingebrochen sind und sich festgesetzt haben, nur vertreiben, wenn der Medizinmann einen noch stärkeren Dämon beschwört. Dieser soll die kleinen Dämonen vertreiben, doch dann sitzt der stärkere Dämon da.
Diese Vorstellung entspricht etwa der, die auch die Zeitgenossen Jesu hatten: Man kann böse Teufel nur durch einen stärkeren austreiben, durch Beelzebul.
Die Realität des Bösen und die Hoffnung auf den Erlöser
Es ist eine faszinierende Vorstellung, dass in unserer Welt der Teufel los ist und alle Dämonen nicht nur im Fernsehen oder an Zeitschriftenkiosken, sondern direkt bei mir sind.
Ich möchte lieb und brav sein, doch plötzlich hängt die Haussäge nicht nur schief, sondern hat sich siebenmal gedreht, bevor sie schief hängen bleibt. Ich wollte doch nicht zornig oder ungehalten sein, es ging mir doch nicht um meine Ehre. Der Teufel ist los.
Erstaunlicherweise hat Festo Kivengire gesagt, dass unsere religiöse Vorstellung wie eine Vorbereitung ist, wie ein gespanntes Erwarten. Man erwartet, dass wirklich der Stärkere kommt – nicht der stärkere Dämon, sondern der Herr Jesus, der mit der Macht der Dämonen fertig wird. Er besiegt auch die Macht der Blutrache und der Feindschaft zwischen den Stämmen.
Deshalb möchte ich heute mit Ihnen über einige Werke moderner Literatur sprechen. In vielen dieser Werke herrscht eine tiefe Hoffnungslosigkeit, ähnlich wie in der religiösen Vorstellung des Stammes von Festo Kivengire im Südwesten Ugandas.
Vielleicht hatte der katholische Schriftsteller Franz Werfel, der 1945 gestorben ist, ein Gespür dafür. In seinem Werk „Der veruntreute Himmel“ hinterlässt er uns einige Sätze, die wir fast auswendig lernen sollten.
Er wirft den Kirchen vor, den Menschen den Himmel veruntreut zu haben. Sie haben über alles mitdiskutiert, was ohnehin schon in der Zeitung steht. Aber dass es Gott gibt, dass es die Welt Gottes gibt und dass man diese Welt verlieren kann – das haben sie veruntreut.
Die Leere der modernen Welt und die Sehnsucht nach Gott
Da lässt er nun einen Menschen mit einem Kaplan sprechen: „Ich verabscheue unsagbar den Geisteszustand unserer modernen Welt.“
Früher war der Nihilismus eine Religion der geistig Hochstehenden. Heute aber schmückt sich jeder mit dem Nihilismus. Wenn ich als junger Mensch durch die Straßen der Städte ging, hatte ich das Gefühl, all diese hastenden Menschen mit ihren stumpfen Gesichtern festhalten zu müssen. Ich wollte ihnen zurufen: „Bleibt doch stehen, denkt einmal nach und kostet es aus, dieses Ungeheure! Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Warum leben wir?“
Dieser Aufstand gegen Gott ist die eigentliche Ursache unseres ganzen Elends. Der veruntreute Himmel ist der große Fehlbetrag unserer Zeit. Eine konsequent gottlose Welt ist wie ein Bild ohne Perspektive: flach. An die Stelle der Dreieinigkeit – Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist – ist eine Trinität getreten aus Zeit, Arbeit und Geld. Heute könnte man auch sagen: Vergnügen, das göttlich verehrt wird, Vergnügen in allen Spielarten und durch eine flache Welt.
So hat es Franz Werfel gesehen: die armen Menschen. „Ich bin gerade durch die Stadt gegangen. Es ist wirklich so“, sagt er. Als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn. Sind sie überhaupt bereit, auch wenn wir sie noch so geschickt einladen würden, mit Gott zu rechnen und in Gott den Hirten zu finden?
Kurt Häuser, der begabte Schriftsteller unseres Jahrhunderts, berichtet, er habe bei einer Akademietagung, bei der es um Sozialismus, Kapitalismus und Wirtschaftsordnung ging, einen etwas einfältig scheinenden bayerischen Lehrer getroffen. Dieser habe sich nicht zur Diskussion gemeldet. Er sagte: „Diese ganzen Begriffe, diese ganze Nomenklatur ist mir zu fremd.“
Doch dann fügte er zu Kurt Häuser hinzu: „Sie können mich für dumm halten, aber ich finde, diese Menschen sind unglücklich, weil sie so gottlos geworden sind.“ Kurt Häuser, der Schriftsteller, sagt, dieser Lehrer habe es getroffen. Es war ihm wie eine Erleuchtung. Das ganze Geheimnis unserer Welt: Sie haben Gott verloren. Nicht, dass sie gegen Gott sind, sie haben ihn einfach verloren.
Der katholische Kardinal Martini von Mailand hat vor einigen Jahren im Mailänder Dom begonnen, Andachten zu halten und mit der Bibel beten zu lernen. Es kamen Tausende. Es gibt sicher mehr Menschen, als wir ahnen, die gerne wieder beten wollten und gar nicht mehr wissen, wie man das macht. Sie haben Gott verloren.
Die Verlorenheit der Menschen und das Ringen um Glauben
Nochmal ein Wort von Franz Werfel:
Die Menschen fühlen sich heute wie Büßer für eine Schuld, die sie nicht kennen. Sie empfinden sich wie in einem Straflager im Kosmos, gefangen in einem irreparablen Unheilsgeschehen, das sie nicht wahrhaben wollen.
Wir essen, trinken und vergnügen uns, obwohl wir wissen, dass kein Ökonom dieser Welt – weder in Japan noch in Amerika – eine Lösung für die ökonomischen Probleme unserer Welt hat. Wir leben, ohne uns klarzumachen, dass wir für die ökologischen Probleme keine Lösung besitzen. Auch für die politischen Probleme, die Großmächte, kommen wir miteinander aus, doch plötzlich beginnen die Kleinkriege – in Afrika, in Bosnien. Wir vertuschen das, indem wir leben, genießen und denken: „Bis jetzt ist es noch mal gut gegangen.“
Und dazwischen wachen immer wieder einige auf, wie etwa der hebräische, gar nicht religiöse Schriftsteller Yehuda Ja'ari. Er sagt: „Sie müssen wissen, mein Freund, so steht es da, dass es unter allen bösen Erscheinungen, deren Fluch unsere Generation getroffen hat, keine gibt, die mich so aus der Ruhe bringt wie das Fehlen des Glaubens.“
Das heißt das Fehlen des Glaubens an die Dinge, auf denen die Welt beruht. Stattdessen haben die Menschen einen blinden Glauben an nichtige Dinge, die die Welt ins Verderben stürzen. Es ist die Wirkung der Propaganda und der Schlagworte, die heutzutage das Herz der Menschen erobern. Doch das Licht der göttlichen Lehre und der Wahrheit wollen sie nicht annehmen.
Der Satan hat im Lauf der Zeiten dazugelernt. Er möchte nicht nur den Schatten der Menschen haben, sondern die Seele der Menschen besitzen.
Ein paar Seiten weiter schreibt Werfel: „Es lastet vor allem jene Angst vor mir selbst auf mir. Sie hat mich von Zeit zu Zeit befallen und abgrundtief niedergedrückt. Manchmal überkam mich das schreckliche Gefühl, dass der Teufel, der sich von Angesicht zu Angesicht nicht sehen lässt, seinen Wohnsitz im Innern meiner Seele aufgeschlagen habe. Wirklich in mir selber hausen als Ungeheuer – ich selber sei der Teufel.“
Die Hoffnungslosigkeit in der modernen Literatur
Ein moderner Schriftsteller, der Atheist sein möchte, rechnet auch mit dem Teufel.
In einer Diskussion vor einigen Jahren führten Günter Grass und Günther Augstein vom Spiegel ein Gespräch. Günter Grass fragte: „Meinen Sie, dass der Mensch erziehbar ist, verbesserbar?“ Günther Augstein griff sich schnell an seine randlose Brille und antwortete: „Nein, es bleibt beim alten Adam.“
Warum verwendet ein moderner Mensch plötzlich diese religiöse Begrifflichkeit? Warum berücksichtigt er nicht, dass in Römer 5 vom neuen Adam die Rede ist, vom neuen Menschen, der in die Welt gekommen ist und das Verderben überwindet? Warum dieses Festhalten an der Vorstellung, dass es beim alten Adam bleibt?
Dies zeigt eine große Hoffnungslosigkeit, die auch in der modernen Literatur spürbar ist. Viele sagen, die gesamte Produktion der Verlage und Fernsehanstalten sei nicht nur auf Unterhaltung ausgerichtet – natürlich ist das vordergründig so – aber wenn jeden Abend auf fast allen Kanälen Betrug, Gemeinheit, Ehebruch, Unterschlagung, Hass und Mord gezeigt werden, könnte es auch sein, dass der Mensch damit seine Not hinausschreit.
Es ist möglich, dass er sich betäuben will und sagt: „Das ist ja alltäglich, andere machen es auch.“
Ich erinnere mich, wie Wilhelm Busch immer wieder bei Evangelisationen sagte: Wenn man einen reparaturbedürftigen Zahn hat, schiebt man den Besuch beim Zahnarzt lange hinaus, auch wenn das heute gar nicht mehr so weh tut. Aber die Zunge macht dauernd an dieser Stelle herum, an dem Loch, wo die Plombe herausgefallen ist, und erinnert einen daran, dass dort etwas nicht in Ordnung ist.
Wilhelm Busch meinte, dass, wenn in den Romanen – damals gab es noch nicht so viel Fernsehen – so viel über die Sünde geschrieben wird, das wie eine Spielerei sei. Es ist, als würde die Zunge am Zahn herumspielen und denken, es sei ein Kaugummi oder Ähnliches.
Und trotzdem ist es ein ständiges Erinnern: Da ist etwas krank. Eigentlich müsste ich längst zum Arzt gehen, müsste ich schon längst in Behandlung sein.
Die Ambivalenz des Religiösen in der Kultur
Aber die Lage ist heute so tragisch, dass selbst das Erhabene, das Religiöse, in diesen Sumpf gezogen wird. Für Schriftsteller und Dichter gab es zu allen Zeiten die Faszination des Religiösen. Manche haben es nur benutzt, weil sie wussten, dass es gut ankommt. Hilft es einem dramatischen Werk, wenn neben einer Liebesgeschichte auch noch religiöse Fragestellungen enthalten sind?
Von Homers Odyssee angefangen bis hin zu Wolfgang Borchert, der „Draußen vor der Tür“ schrieb, spielten religiöse Fragestellungen bei den großen Dichtern und Schriftstellern immer eine Rolle. Denken Sie nur an Goethes Faust. Die ganze Dramatik besteht darin, dass der Versucher, der Mephistopheles, herantritt, um zu sehen, ob er Faust herumkriegt. Und als Gretchen beginnt, ist alles so lieb und schön. Am Schluss aber ist der Abgrund, ist Vernichtung? Nein, der Schluss heißt: verloren? Nein, gerettet.
Im zweiten Teil heißt es: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Das sind religiöse Stichworte, auch wenn das Evangelium hier verdreht wird – ins Gegenteil. Nicht der Erlöser wird gebraucht, sondern wir selbst, wenn wir uns strebend bemühen, können wir uns erlösen. Aber man merkt, die ganze Begrifflichkeit war da. Auf dem Klavier der religiösen Begrifflichkeit haben die Nazis, wer es noch miterlebt hat, mit Begeisterung und Können gespielt.
Heute wird das Religiöse in den Sumpf hinuntergezogen. Es ist nicht so, dass unsere Welt biblische Begriffe nicht mehr im Mund nehmen will. Vor drei, vier Wochen erschien in einer Ausgabe des Spiegel – ich habe sie dummerweise gekauft und dem Herrn Augstein fünf Mark zugeschanzt – ein Artikel von ihm. Darin steht: „Es ist Sünde gegen den Heiligen Geist.“ Das habe ich sofort bemerkt. Das ist seit sechzig Jahren immer wieder die Frage: Was ist Sünde gegen den Heiligen Geist?
Jetzt wissen wir endlich, was Sünde gegen den Heiligen Geist ist. Herr Augstein sagt, es sei Sünde gegen den Heiligen Geist, wenn die Regierung Kohl noch weiter wurstelt. Jetzt wissen wir es endlich. Aber abgesehen davon, wo man politisch steht – vielleicht hatte er Recht –, das ist nicht Sünde gegen den Heiligen Geist. Warum benutzt er so eine Begrifflichkeit? Weil er weiß, dass sie Gewicht hat.
Warum benutzt Herr Schröder, der Kanzlerkandidat der SPD, nach der Niedersachsenwahl den Slogan „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“? Das ist ein Wort Jesu. Er weiß, dass das gut ankommt, weil die Menschen es noch im Hinterkopf als religiöses Wort haben. Also das religiöse Wort – er hat nicht gesagt zu seinem Berater: „Mit so einem frommen Wort kannst du nicht kommen.“ Doch, doch, das zieht manchmal.
Aber das Religiöse wird in den Sumpf hinuntergezogen. Es wird nicht mehr dort gelassen, wo es seinen Platz hat, nämlich dort, wo der Herr Jesus sagt: „Wenn da einer Wunder getan hat und die Jünger sagen, sollen wir es ihm verbieten? Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.“ Aber „wer nicht mit mir ist, ist widerlich.“ Dort müssen wir diese Sachen lassen.
Die Verklärung und Verfälschung religiöser Sehnsüchte
In den Sumpf wird hinuntergezogen, etwa auch das ganze Sehnen nach Erlösern.
Denken Sie nur an den Rummel, der vor wenigen Wochen um Prinzessin Diana entstand und die ganze Welt erschütterte. Die Blumengeschäfte haben dadurch ein großes Geschäft gemacht, nicht wahr? Mit Blumen führte Diana weltweit. In ihrem Leben waren ja Märchenmotive enthalten.
Wenn heute in Kindergärten Märchen erzählt werden, heißt es oft, das sei fast so gut wie biblische Geschichten. Doch Märchen sind verwässerte biblische Geschichten. Die biblischen Geschichten sind viel älter. Märchen sind erst im frühen Mittelalter entstanden. Sie haben Motive übernommen, wie etwa die von Sauls Eselinnen. Wer ein wenig Verstand hat, weiß, dass Märchen nicht uralt sind, sondern weltliche biblische Weisheit übernommen haben.
Bei Diana sieht man das Märchenmotiv der bösen Schwiegermutter, die vom Hof, vom Königshaus, von ihrem bösen Prinzen verstoßen wird. Doch noch im Elend verschenkt sie zwar nicht das letzte Hemd, aber doch ihre ausgediente Abendgarderobe, die sie versteigert. Sie segnet zwar keine Kinder, aber sie umarmt im Weißen Haus Kinder. Sie ist mit Mutter Teresa auf Du und Du, stirbt jedoch einen elenden Tod im dunklen Tunnel, nachdem sie in einem Nachtlokal war.
Jesus hat wenigstens mit seinen Jüngern vorher das Abendmahl gefeiert.
Doch merken Sie, wie nah diese Vorstellungen aufgeputscht werden. Jesus steht ein paar Tage später wieder auf, während John Elton in der Westminster Abbey den Song der großen Liebe singt: Diana lebt.
Ich würde sagen, viele religiöse Begriffe und Vorstellungen werden in den Sumpf hineingezogen. Trotzdem ist es eine verborgene Sehnsucht.
Die Sehnsucht nach Umkehr und Neuanfang
Ich habe bei dem französischen Schriftsteller Pierre Berthod, einem Freund des Fischer Verlags und damals Kultusminister in Frankreich, eine Tagebuchnotiz gefunden.
Ich hörte einen Vortrag über den Begriff der Umkehr. Es ging eigentlich um Hölderlin, aber das Thema traf mich wie ein Blitz. Es war ein unerhört reiches Thema – nicht wegen Hölderlin, sondern weil die Umkehr die Sehnsucht des Menschen ist.
Nach einem heilen Zustand, wie vor der Geburt, merkt man plötzlich bei sich selbst, dass etwas aufgewacht ist. Man fragt sich: Könnte ich noch einmal umkehren? Mein Leben ganz anders gestalten, damit es eine richtige Wende bekommt.
Ich denke an den Manager, der durch die Arbeitsgemeinschaft unseres Bruders „Glaube und Leben“ zum Glauben gekommen ist. Er erzählte, dass er zu einem Vortrag eingeladen wurde, bei dem über die Wiedergeburt gesprochen wurde – nicht über Reinkarnation, sondern nach dem Johannesevangelium, wo es heißt: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird…“ (Johannes 3,3).
Das hat ihn tief getroffen, die Erkenntnis, dass es das wirklich gibt – dass mein Leben noch einmal ganz anders werden kann.
Ich sehe, dass das, was wir oft als Gleichgültigkeit wahrnehmen, eigentlich die Haltung der Masse der Menschen ist. Sie wollen von Gott nichts wissen, aber sie sehnen sich danach, dass Gott ihnen das richtige Stichwort gibt.
Das richtige biblische Stichwort, das Menschen öffnet und sie sagen lässt: „Das ist es! Wir wollen doch herauskommen aus dem Dreck, wir wollen doch herauskommen aus dem Sumpf.“
Die Herausforderung, Hilfe anzunehmen
Es stellt sich auch die Frage, ob Menschen heute überhaupt noch Hilfe wollen. Der Nobelpreisträger Saul Beller hat einen Roman geschrieben, der im Deutschen sehr schlecht übersetzt wurde: „The Dean’s December“ – „Der Dezember des Dekans“. Dabei denkt man bei uns bei „Dekan“ eher an einen kirchlichen Würdenträger. Gemeint ist hier jedoch ein amerikanischer Wissenschaftler, der Dekan einer Fakultät ist und was er alles im Dezember durchgemacht hat.
Dieser Dekan sucht in Chicago eine bekannte Entgiftungszentrale, eine Einrichtung, in der schwer drogenabhängige Menschen frei werden können. Er muss in abgelegenen Lagerhallen und an den letzten Bahnhöfen von Chicago suchen, dort, wo früher die Schlachthöfe waren. Schließlich betritt er die Entgiftungszentrale und steigt die Treppe hinauf. Die Bürofenster sind dicht mit geblümten Vorhängen in Rosa und Grün bedeckt.
Der Leiter der Entgiftungsstelle, querschnittgelähmt, sitzt in einem Sessel. Sein Torso wirkt mächtig, die Schenkel sind riesig, die Finger dick. Der Anzug passt nicht recht zu ihm. Er trägt ein beiges Strickhemd, eine Wildlederjacke, schokoladenfarbene Hosen und gelbbraune Cowboystiefel. Auf dem Kopf trägt er eine richtige Jungenmütze. Dann kommen sie ins Gespräch.
Der Dekan fragt, ob der Mann und sein Freund dieses Center gegründet haben, um Rauschgiftsüchtige zu heilen. Der Mann antwortet: „Ja, wenn man sie heilen kann.“ Sie haben das Center selbst in diesem alten Speicher aufgebaut. Unten befinden sich die Schlafsäle, die Küche und Werkstätten, in denen Handwerk gelehrt wird. Außerdem bringen sie alte Leute aus der Umgebung hierher – Menschen, die sonst verhungern würden, obwohl sie Lebensmittelmarken haben. Diese Alten plündern hinter den Supermärkten die Mülleimer. Hier dürfen sie stundenlang polstern, Elektroarbeiten machen, Tischlern oder Schneidern. So bringen sie den jungen Strolchen auch Respekt bei.
Doch es sind nicht nur Strolche. In der Entgiftungsstelle nehmen sie alle Sorten von Menschen auf: Schwarz, Weiß, Indianer, welcher Hautfarbe auch immer, sogar aus den reichsten Vororten wie Lake Forest.
Der Dekan fragt, ob der Leiter das Center als Erfolg bezeichnen würde. Der Gelähmte schaut ihn einen Augenblick an, starrt ihn an, und sagt dann: „Nein, Sir, als Erfolg bezeichne ich es nicht. Sie kommen und gehen. Bei manchen schlägt es an, davon könnte ich Ihnen eine ganze Reihe nennen. Aber es gibt Tausende, die man niemals retten kann.“
Bis jetzt hatte er unbeweglich auf seinem Stuhl gesessen. Doch jetzt begann er, zu meinem großen Erstaunen, sich auf den Boden herunterzulassen. Er ließ sich auf die Knie sinken, streckte die Arme aus wie ein Gekreuzigter zum Boden hin, die Finger nach oben gebogen – so, wie wir es von vielen Darstellungen Jesu am Kreuz kennen.
Ein Schriftsteller, der dieses Bild aufnimmt, zeigt, wie religiöse Sprache benutzt wird. Die Finger nach oben gebogen – sehen Sie, was wir zu tun haben: Diese Menschen sind unten im Dreck. Wir strecken uns nach ihnen aus und versuchen, sie zu packen: „Haltet fest, haltet fest!“ Sie sind in der Scheiße. Wenn wir sie nicht rausziehen können, gehen einige unter. Andere lassen sich retten, andere gehen unter. Manche kennen das Elend und werden es nie schaffen.
Mit einer Anstrengung, die die eine Hälfte seines Gesichts zucken ließ, arbeitete er sich wieder auf die Beine und ließ sich rücklings in den Stuhl sinken.
Er sagte: „Sie haben mir erzählt, dass die Leute, die hierherfinden...“ Er unterbrach sich und sagte: „Ich sage Ihnen, Professor, die wenigen, die uns finden, und viele Hunderttausende mehr, die es nie tun oder tun wollen, die sind gezeichnet. Sie sind dem Untergang geweiht. Diese Menschen sind dem Tod geweiht, Sir. Das haben wir im Blick.“
Die Dringlichkeit des Handelns und die Gnade annehmen
Moderne Literatur! Wir wollen helfen, aber die Frage ist, ob sie sich helfen lassen wollen und ob sie sich überhaupt noch helfen lassen können. Dennoch müssen wir es tun.
Hinter dem Schrei steht Jesus. Es jammerte ihn; er hat nicht gewartet, bis die Menschen sehnsüchtig zu ihm kamen. Wir können auch nicht warten. Wir müssen vom Herrn Weisheit erbitten, das richtige Stichwort zu finden und die richtige Behandlung zu wählen. So eine Zuneigung, wie Jesus sie hatte, damit einige merken, dass wir es gut mit ihnen meinen.
Die Frage heute lautet: Wollen Menschen Hilfe annehmen? Vor einigen Wochen saßen wir mit ein paar Leuten, die bei Pro Christ tätig sind, im ICE von Kassel im Abteil und sprachen darüber, ob es Männern schwerfällt, Gnade zu akzeptieren. Eugen Reisser sagte, und auch Werner Schmückli war der Meinung, dass Frauen viel leichter Gnade annehmen. Männer hingegen wollen alles selbst schaffen.
Das ist auch schwierig, wenn man Memoiren von Männern betrachtet. Ich habe gestern Edzard Reuter erwähnt, aber man kann auch bei Trotzki lesen: Dort hat nie jemand Fehler gemacht. Und wenn doch, dann will man das ausbügeln und glaubt, dass sich noch zeigen wird, was man kann.
Während unseres Gesprächs saß eine Dame dabei. Sie sagte, das sei ein interessantes Thema. Sie komme aus Ahlen, aber man habe auch keine Schuld. Sie habe keine Schuld. Wenn man sich angestrengt habe, um es recht zu machen, dann gehe es manchmal trotzdem nicht recht, und manches laufe falsch. Aber sie habe es ja gut machen wollen.
Sie geht sowieso jede Woche zur Beichte, aber Fehler mache sie nicht. Das mache sie aus Tradition. Ich dachte, das sei schwierig: Der Mensch ist so stark. Bei jeder Beerdigung, wie es bei Ihnen wohl auch ist – wenn man älter wird, muss man viele Beerdigungen besuchen – fällt mir bei jedem Menschen ein, dass ich noch einen Brief schreiben sollte oder eine alte dumme Geschichte in Ordnung bringen müsste. Mein Leben ist geprägt von Schuld.
Die Sehnsucht nach echtem Glauben und Erlösung
Schriftsteller haben ein Gespür für Hintergründe, für Unechtes und für Echtes. Gabriele Wohmann, eine Schriftstellerin unserer Zeit, die in Darmstadt lebte, sagte vor zwei Monaten beim Jubiläum der hessischen Kirche: „Ich wünsche mir einen Pfarrer, dem man anmerkt, dass nicht er selbst so wichtig ist, sondern die Botschaft vom Erlöser. Und der selbst erlebt hat, dass er einen Erlöser braucht.“
„Ich möchte keinen Pfarrer, der ein geheimer Kofassier oder ein verhinderter Sozialarbeiter ist, sondern einen, der nur noch die eine Botschaft vom Erlöser hat“, sagt die Schriftstellerin.
Ich möchte mit einem Bericht von Alfred Anders abschließen, einem katholischen Schriftsteller, der eine eindrückliche Geschichte voller Reue erzählt. In der Nachkriegszeit hat ein alleinerziehender Vater seine Tochter, die ihm vertraute, im Zorn heftig geschlagen. Das Kind lief weinend davon.
Jetzt, viele Jahre später, geht der Vater wieder einmal zur Beichte. Er sagt zum Priester: „Ich möchte keine Vergebung, ich möchte bestraft werden. Was ich meinem Kind angetan habe, kann nicht vergeben werden. Nennen Sie mir eine Strafe, ich muss das büßen.“
Der Priester, der sich gerade auf die Messe vorbereitet, antwortet: „Wenn Sie keine Vergebung von mir wollen, dann gehen Sie. Ich habe für Sie nichts anderes. Ich habe keine Bestrafung, ich habe nur Vergebung. Aber wenn Sie das nicht wollen, dann lassen Sie es bleiben.“
Der Mann geht hinaus, und der Priester bemerkt, dass er weint. Alfred Anders schreibt: „Der Priester war ich. Ich war unfähig, zur Messe zu gehen. Ich hätte dem Mann die Vergebung aufzwingen sollen. Ich hätte ihn schütteln und ihm sagen müssen: ‚Du, viel größer als Bestrafung ist Vergebung.‘“
Die Botschaft der Vergebung und die Kraft des Erlösers
Als ich die Geschichte gelesen habe, dachte ich, vielleicht sind wir viel zu lethargisch, viel zu müde und meinen: Na ja, die Welt will von Jesus nichts wissen. Nein, wir sollten den Menschen sagen, die irgendwo ganz tief unten verdrängt haben, dass Schuld da ist, die sie gar nicht wahrhaben wollen. Sie tragen wie ein Spruchband vor sich her: „Ich habe alles recht gemacht, ich bin gut, wenn nur alles so wäre wie ich.“ Und doch wissen sie ganz tief unten, dass etwas nicht stimmt.
Wissen Sie, was die größte Angst des Menschen heute ist, wenn es auf eine Operation zugeht? Die Betäubung. Die Angst, dass man unter Betäubung Dinge herausposaunt, die ganz innen drin verborgen sind. Jeder Mensch weiß, dass tief innen im Keller seiner Seele Dinge sind, die nicht herauskommen dürfen.
Ich meine immer, wir hätten mit dem, was Jesus erwirkt hat – „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ – eine Hoffnung. Er hat unsere Schulden hinaufgetragen ans Holz. Wir haben einen Hohen Priester, der für uns eintritt. Eine Botschaft, wie sie einmalig in unserer Welt ist, für jeden Menschen.
Sünde ist das, was typisch für den Menschen ist, ob bei den Indianern am Amazonas oder bei uns in Europa, ob schwarz, weiß, gelb oder braun: Wir machen im Leben Dinge falsch. Und wir haben die universell gültige Botschaft für Jung und Alt. Jesus hat die Sünde der Welt auf sich genommen.
Eindrücke aus russischer Literatur und die Ausgrenzung des Guten
Jetzt ein kleiner Einblick in das, was ich im Moment mit großem Interesse lese. Zunächst möchte ich noch eine Stelle erwähnen.
Nachdem wir im Herbst in Russland waren, lesen meine Frau und ich sehr viel russische Literatur. Besonders schön ist, dass wir in Korntal anfangs keinen Fernseher empfangen konnten. Jetzt sind wir verkabelt und könnten fernsehen, aber wir wollen es gar nicht mehr. Früher dachten wir, wir würden nur abends fernsehen, damit Peter Hane mal schnell nach uns sehen kann, und danach nur ein bisschen bis etwa halb zwölf, nicht wahr? Nur ein bisschen eben.
Seit wir keinen Fernseher haben, merken wir, wie viel wunderbare Zeit uns zur Verfügung steht. Wir genießen es, die Schätze der deutschen und ausländischen Literatur zu lesen. Im Moment sind wir besonders in der russischen Literatur vertieft.
Gorki, der später Atheist und Kommunist wurde – die Nowgorodisten wurden übrigens nach der Zeit von Gorki benannt – erzählt, wie er in der Verbannung in Sibirien mit Räubern zusammen war. Einer dieser Räuber sagte: „Wir waren eine Bande, aber leider mussten wir einen töten. Der war der Böse.“
Doch der Erzähler widerspricht: „Nein, das war der Beste von uns. Eines Tages sagte er: ‚Leute, wir sollen mit dem Stehlen aufhören, das ist kein Leben.‘ Und daraufhin haben wir ihn totgeschlagen.“
Gorki schreibt dazu, dass die menschliche Gesellschaft den guten Menschen ausstößt, weil sie ihn nicht ertragen kann. Das ist eine dauernde Erinnerung an das Gewissen der Menschen und daran, wie man eigentlich sein sollte.
Plötzlich erscheint wieder auf dem Gorgida-Schild das Bild Jesu. Sie hassen ihn ohne Ursache. Sie können ihn nicht gebrauchen, also weg mit ihm. Aus Neid haben sie ihn dem Pilatus übergeben – nicht nur ein bisschen Neid, weil Jesus mehr Erfolg hatte, sondern weil sie den guten Menschen nicht brauchen konnten.
Über diese Geschichte, dass Jesus ausgestoßen wurde, heißt es: Sie dachten, es böse zu machen, aber Gott gedachte, Gutes daraus zu machen. So gibt es plötzlich Vergebung für die Sünde.
Schlussgebet und Bitte um Weisheit
Jetzt darf ich mit Ihnen noch beten, Herr. Wir wissen nicht, wie es den Menschen geht, die neben uns wohnen. Aber wir bitten Dich, dass Du uns das rechte Wort zur rechten Zeit gibst.
Lass uns erkennen, dass Du der Erlöser bist von Schuld. Du kannst uns aus dem Sumpf der Gleichgültigkeit und Selbstgerechtigkeit herausziehen, du großer Erlöser. Du bist gekommen, um den Menschen Freiheit zu schenken – die wahre Freiheit, heimzukommen zum Vater.
Gib, dass wir Dir bei Deinem Wirken nicht im Weg stehen. Lass diese Tage, in denen wir Deines Sterbens gedenken, von Deinem Segen erfüllt sein, damit wir es selbst begreifen.
Wir brauchen Dich, Herr Jesus. Ich brauche Dich. Amen.