Spiel ohne Grenzen

Konrad Eißler

Das Gleichnis von den Kindern, die keine Mitspieler finden, hält uns einen Spiegel vor: Spielverderber, Neinsager sind wir in den Augen von Jesus. Er unterstreicht damit: Gott spielt sich auf uns ein, wir aber spielen diesen Gott aus, nur Gott spielt nicht ewig mit. - Jugendgottesdienst zum Thema “Buße” aus der Stiftskirche Stuttgart


Stichwort Buße. Ich weiß, dass dies ein Reizwort ist. Weil es aber ein Hauptwort der Bibel ist, soll es uns jetzt beschäftigen.

Buße erinnert zum Beispiel an einen Schulhof. Theobald hat von seiner ernährungsbewussten Mutter eine Tomate zum Vesper mitbekommen. Aber anstatt sie als Vitaminstoß zu vertilgen, wirft er sie als Schleuderball in die Menge. Unglücklicherweise steht die Pausenaufsicht in der Gestalt des Mathelehrers voll in der Flugbahn. Sein Kopf wird zum Hamburger mit Ketchup. Der Pauker sieht nur noch rot. Während er sein Matschauge ausräumt, brüllt er: “Theobald, das musst du mir büßen.” Buße hat es also mit Vergeltung zu tun.

Oder Buße erinnert zum Beispiel an eine Straßenkreuzung. Der Vater kutschiert seine Familie durch die Stadt. Plötzlich fährt ein heller Blitz durch die Karre. “Papa, was ist das?”, schreien die Kinder. “Habt ihr noch nie was von Wintergewitter gehört?”, antwortete er: “Besser aufpassen im Erdkundeunterricht!” 14 Tage später liegt der Buß­geldbescheid im Briefkasten: bei Rot über die Kreuzung. Das Wintergewitter kam aus der Kamera und kostet 100 DM, zum Donner noch einmal! Buße hat es also mit Strafe zu tun.

Oder Buße erinnert zum Beispiel an eine Kanzel. Der Prediger hat alle Register seiner Redekunst gezogen. Im Tutti braust es über die Gemeinde: Ihr Ottern und Schlangen! Ihr Nattern und Zangen! Jeder zieht das Genick ein und legt sein unschuldiges Gesicht in Falten. Buße hat es also mit Vorhaltungen zu tun.

Jesus erinnert aber an ein ganz anderes Bild. Da ist kein Schulhof und keine Straßenkreuzung und keine Kanzel, sondern ein Marktplatz, ein richtiger Marktplatz. Freunde, das war noch kein Standplatz für den Flohmarkt, wo jeder den Floh hat, seinen “Allmachtsgruscht” aus Ton und Blech in Silber umzumünzen. Das war noch kein Sitzplatz für das Weindorf, wo es nach dem Dreiklang Goethes “Wein, Weib und Gesang” zur größten Flaschenversammlung Württembergs kommt. Das war noch kein Stehplatz für Demonstrationen, wo es abwechselnd schreit: “Nieder mit dem Aufzug!” Oder: “Lieber roh als gekocht!” Oder: “Weg mit dem Packeis, Freiheit für Grönland!” Jesus sieht den Marktplatz als Spielplatz. Kinder sind drauf und vertreiben sich die Zeit mit Räuber und Bolle, blinde Kuh, Faul-Ei oder Fanges. Jeden Tag ist dort high life. Aber eines Nachmittags läuft überhaupt nichts. Alle trülen vor sieh hin. Einfach tote Hose. Schließlich zieht einer eine Blechflöte aus der Jeansjacke. Er kann mit seinen Wurstfingern sogar ein paar Töne spielen. Machs A-Loch auf und B-Loch zu! Prompt kommt der Vorschlag: “Wir spielen Hochzeit!” Ein Mädchen läuft in die Mitte und streckt die Hände aus. Die andern sollen anfassen und mittanzen. Aber niemand fasst an. Keiner tanzt mit. Jeder bleibt hocken. “Kein Bock!”, sagen die einen. “Hochzeit ist blöd!”, sagen die andern, “nach deiner Pfeife tanzen wir nicht!” Der Vorschlag ist ab­gelehnt. Die Flöte verschwindet wieder in der Jacke. Dann heult einer wie ein hysterisches Weibsbild. Prompt kommt der Vorschlag: “Wir spielen Beerdigung!” Ein Bub läuft in die Mitte und mimt toten Mann. Die andern sollen aufstehen und herummarschieren. Aber niemand steht auf. Keiner marschiert herum. Jeder pflatscht auf dem Pflaster. “Keine Lust!”, sagen die einen. “Beerdigung ist doof!”, sagen die andern. Nach diesem Dummkopf geht es sowieso nicht. Auch dieser Vorschlag ist vom Tisch. So sind sie alle miteinander Spielverderber, Neinsager, Geschwister jenes Bruder Ärgerlich, von dem schon in meinem Bilderbuch vor 50 Jahren gestanden ist: “Mein lieber Bruder Ärgerlich, hat alles, was er will. Und was er hat, das will er nicht und was er will, das hat er nicht, mein lieber Brud­er Ärgerlich, hat alles, was er will.”

Doch, dieser Text ist mit Humor erzählt. Trotzdem ist er keine Schmunzelgeschichte, sondern eine Bildgeschichte. Dieses Gleichnis hält uns einen Spiegel vor. Spielverderber, das sind wir. Neinsager, das sind wir. Bruder und Schwester Ärgerlich, das sind wir. Jesus meint nicht die Stifte vor, sondern die Jung-, Mittel-, Alt- und Uraltstifte in dieser Stiftskirche, wenn er dies Dreifache unterstreicht: Gott spielt sich auf uns ein, wir aber spielen diesen Gott aus, nur Gott spielt nicht ewig mit.

1. Gott spielt sich auf uns ein

Der lebendige Gott hat noch nie mit uns ein Versteckspiel getrieben. Er hat uns auch nicht mit ein paar Spielregeln, den 10 Geboten, auf der Erdrinde allein gelassen. Er machte uns erst recht nicht zu wilden Glückspielern, die am Roulettetisch der Welt ihre Chips legen. Von allem Anfang an ist er nach unten orientiert. So wie wir einen Zug nach oben haben, auf dem Bolzplatz klasse sein, in der Disco top sein, auf der Gehalts­liste spitze sein, oder so wie wir einen Zug in die Weite haben, mit dem Daumen Hitchhiker sein, mit der Interrailkarte Europabummler sein, mit dem Einhandboot Weltumsegler sein, so hat Gott einen unbeschreiblichen Zug nach unten, ein brennendes Herz für seine Leute, eine abgrundtiefe Liebe zu dir und mir. “Ich will mich mit dir verbünden”, hat er gesagt, “ich will mich mit dir verloben, ich will mit dir zusammensein in alle Ewigkeit.” Gottes Drängen zu uns ist überhaupt nicht zu überschätzen. Deshalb schickt er seine Boten los, um uns dies mitzuteilen. Einen Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel, Hosea, Micha, Maleachi, eine ganze Latte von Namen, deren letzter Johannes hieß. Nein, kein Querkopf und Feuerteufel, sondern ein Botschafter der Liebe Gottes. Und nicht genug. Gott macht sich selbst auf die Füße, um uns höchstpersönlich seiner Liebe zu versichern. In seinem Sohn taucht er auf dem Marktplatz unseres Lebens auf. Ihm ist dieser Ort nicht zu kleinkariert. Ihm ist dieses Spiel nicht zu albern. Ihm sind wir nicht zu wenig. Er streckt seine Arme aus und ruft: “Kommt, kommt her zu mir!” Er meint den Jungen mit der Laufnase im Gesicht genauso wie den Alten mit der Spielwiese auf dem Kopf. Er meint den Musikfreak mit dem Walkman über den Ohren genauso wie den Bücherwurm mit dem Asterix vor den Augen. Er meint den Rohkostler mit den Schrotkörnern im Müsli genauso wie den Donald-Fan mit dem Cheeseburger zwischen den Zähnen. Keiner ist ausgegrenzt. Jeder ist angesprochen. Alle sind gemeint. Das ist Gottes Spiel ohne Grenzen, weil er will, dass keiner sein Leben verspielt. Nichts hält ihn davon ab, nicht einmal das böse Spiel, das sie mit ihm am Kreuz treiben. Alles hat er unternommen, um sich auf uns einzuspielen und uns zu gewinnen. Doch, Gott spielt sich auf uns ein, aber, und das ist das Zweite:

2. Wir spielen diesen Gott aus

Nicht so, dass wir Tschüss sagen und andern ihr Spielchen treiben lassen. Wir sind schon mit von der Partie und mischen mit. Die Sache des Christentums ist “in”. So hören wir Johannes, der nicht isst und nicht trinkt und als echter Alternativer in der Wüste von Heuschrecken und Honig lebt: “Kommt”, ruft er, “bereitet die Ankunft des Herrn vor!” Aber keiner bereitet sich vor. Niemand regt nur einen Finger. Jeder bleibt hocken. “Kein Bock”, motzen die einen. “Johannes ist blöd!”, schmollen die andern. Nach der Pfeife dieses Trauerwedels tanzen wir nicht. Der Vorschlag ist abgelehnt. So hören wir Jesus, der isst und trinkt und als fröhlicher Gast an der Hochzeitsfete teil­nimmt. “Kommt”, ruft er, “hier ist Leben, das sich lohnt.” Aber keiner bewegt sich. Niemand muckt sich. Jeder vegetiert vor sich hin. “Keine Lust!”, sagen die einen. Jesus ist doof, sagen die andern. Nach diesem Fresser und Weinsäufer geht es sowieso nicht. Auch dieser Vorschlag ist vom Tisch. So hören wir Paulus, aber der ist zu radikal und Radikalität führt ins Abseits. So hören wir Petrus, aber der ist zu gesetzlich und Gesetzlichkeit beschränkt die Freiheit. So hören wir Lukas, aber der ist zu liberal und Liberalität führt ins Nichts.

Es ist ja zu allen Zeiten der gleiche Dreh. Man hält sich die Botschaft vom Leibe, indem man die Botschafter kritisiert. “Gott ist schon recht, aber sein Bodenpersonal!” So hören wir den Pfarrer, aber der labert und Laberer gehören ins Nähkränzchen. So hören wir den Evangelisten, aber der haut auf die Pauke und Pauker gehören in den Orchestergraben. So hören wir den Jugendkreisleiter, aber der ist eine Tulpe und Tulpen gehören in den Vorgarten. Der Typ Mensch war noch gar nie verlegen, dann Gründe zu finden, wenn es darum geht, sich an Gottes Einladung vorbeizudrücken: Den mag ich nicht, der liegt mir nicht, der geht mir senkrecht auf den Geist! Hand aufs Herz, sind deine Einwände nicht nur Vorwände, um diesen Gott auszutricksen? Sind deine Argumente nicht Ausreden, um sich an diesem Gott vorbeizumogeln? Sind deine Rolle als Motzer und Schmoller nicht nur Spielchen, um diesen Gott auszuspielen? Gott spielt sich auf uns ein, aber wir spielen diesen Gott aus, nur, und das ist das Letzte:

3. Gott spielt nicht ewig mit

Zugegeben, Gott hat eine Eselsge­duld. Mir geht es schon über die Hutschnur, wenn ich meine Konfirmanden zweimal bitten muss, ihren Tiefschlaf zu unterbrechen und am Unterricht teilzunehmen. Gott aber bittet dutzendmal. Gott aber ruft hundertmal. Gott gibt das Spiel nicht vorschnell verloren. Doch, Gott hat Geduld mit uns und will, dass keiner verloren gehe. Aber, liebe Freunde, daraus den Schluss zu ziehen, Gottes Spiel ohne Grenzen sei ein Spiel ohne Ende, ist ein gewaltiger Irrtum. Wir können nicht ewig motzen. Wir können nicht ewig schmollen. Wir können nicht ewig nein sagen. Einmal ist sein Angebot zu Ende. Vom Stiftskirchenturm hat es der Nachtwächter jahr­hundertelang heruntergesungen: “Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk’ die Ewigkeit!” Unser alle Tage münden ein in des Herrn Tag, an dem der Marktplatz zum Gerichtsplatz wird. Dann kann keiner verduften. Dann kann sich niemand verdünnisieren. Jeder steht vor seinem Richter. Alle Entschuldigungsgründe - ich habe es nicht so ernst gemeint und ich habe nur ein Späßchen gemacht - alle Entschuldigungsgründe werden uns im Halse steckenbleiben. Alle Hinweise - ich habe es nicht so ernst verstanden und ich habe die Konsequenzen nicht bedacht - alle Hinweise werden uns nicht abgenommen. Alle Bitten - gib uns noch eine Chance und schick uns noch einmal einen Boten - alle Bitten werden abge­schlagen. Das Spiel ist aus. Gottes Gericht ist kein jüngstes Gerücht. Das Glaubensbekenntnis stimmt: Von dannen er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Deshalb ruft Jesus: Weh dir, Chorazin! Weh dir, Bethsaida! Weh dir, Stuttgart! Das Wehe Gottes liegt über unserer Welt und deshalb tut so viel weh, was wir an Krieg und Terror und Ungerechtigkeiten erleben. Aber lieber Freund, Johann Christoph Blumhardt, ein schwäbischer Gottesmann, hatte schon recht, wenn er sagte, dass Jesu Weherufe noch Wehmutsrufe seien, die sein blutendes Herz und seine einladenden Hände zeigen. Noch steht er mitten unter uns. Noch lässt er sein Wort sagen. Noch ruft er: “Kommt!” Noch wartet er auf dich. Noch - wer weiß wie lang?

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]