Einführung und Zielsetzung des Vortrags
Also, die Pfingst- und charismatische Bewegung, Teil eins: Entstehung und Geschichte heute Abend.
Wir hatten mittwochs in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Seminare über Sekten und geistliche Strömungen. Heute Abend geht es jedoch nicht um eine Sekte. Das möchte ich vorher noch einmal ganz klar abgrenzen. Hier geht es nicht um Zeugen Jehovas, Neuapostolische oder Ähnliches.
Es geht hier nicht um eine Sekte im Sinne einer verderblichen Lehre, sondern um Brüder und Schwestern. Das ist der große Unterschied. Es geht um Menschen, die den Herrn Jesus kennen, ihn liebhaben und den gleichen Heiligen Geist empfangen haben wie wir.
Darum eine Vorbemerkung: Es geht um Lehre und Praxis, nicht um Personen. Wir wollen heute Abend niemandem zu nahe treten, keine Person schlechtmachen oder kritisieren. Es geht um Lehre und Praxis.
Wir sprechen niemandem die persönliche Errettung ab. Wir können nicht prüfen, ob jemand in dieser Bewegung wiedergeboren ist oder nicht – das weiß allein der Herr. Aber eines weiß ich: Wir haben so viele Geschwister, wie Gott Kinder hat.
Wenn Gott Kinder in dieser Bewegung hat, dann sind es unsere Brüder und Schwestern. Auch wenn uns manches an ihrem Frömmigkeitsstil oder an Lehre und Praxis nicht behagt oder wir es von der Schrift her ablehnen müssen, bleiben es doch Brüder und Schwestern.
Wir unterstellen auch niemandem Böswilligkeit, wenn wir im Folgenden auf die eine oder andere Sichtweise eingehen, die wir von der Bibel her ablehnen. Wir wollen damit nicht behaupten, dass die Geschwister aus der Pfingst- und charismatischen Bewegung das böswillig tun, jemanden verführen oder schaden wollen.
Nein, sie handeln aus ihrer Sicht so, wie sie es erkennen, und wollen damit nichts Böses tun.
Viertens: Wir wollen die positiven Aspekte erkennen und davon lernen. Ich kann euch sagen, da können wir einige dicke Scheiben abschneiden – ganz dicke Scheiben.
In vier Wochen, so Gott will, wenn wir Teil zwei haben, werde ich mit den Punkten beginnen, die wir von der Pfingst- und charismatischen Bewegung lernen können. Da wird vielleicht dem einen oder anderen zunächst die Luft wegbleiben, so viel Positives werden wir zunächst erst einmal zur Kenntnis nehmen müssen.
Und dann wollen wir auch die falschen Aspekte kennenlernen, damit wir sie vermeiden können.
Zusammengefasst wollen wir differenzieren. Das fällt manchem gar nicht so leicht. Wir neigen oft dazu, pauschal zu urteilen – einfach alles über einen Kamm zu scheren. Aber wir sollten lernen, alle Dinge differenziert zu betrachten und zu unterscheiden.
Genau das möchte der Herr von uns, wenn er uns durch den Apostel Paulus sagen lässt: "Prüft aber alles, das Gute haltet fest, von aller Art des Bösen haltet euch fern." (1. Thessalonicher 5,21-22).
Genau das meint differenzieren: prüfen, damit ich das Gute festhalten kann und das Böse vermeide. So wollen wir auch mit allen Glaubensrichtungen verfahren – und auch mit der Pfingst- und charismatischen Bewegung.
Exkurs: Das Phänomen des Schwarmgeistes
Ich beginne heute Abend mit einem Exkurs zu diesem Thema. Ein Exkurs bedeutet einen Ausflug, in diesem Fall einen geistlichen Ausflug.
Exkurs Nummer eins beschäftigt sich mit dem Phänomen des Schwarmgeistes. Der Begriff Schwarmgeist kommt so nicht in der Bibel vor, aber er beschreibt eine Situation, in der Gläubige in ihrer Glaubenshaltung und Frömmigkeit einen enthusiastischen Stil zeigen, der ins Unnüchterne tendiert und schwärmerisch wirkt.
Wenn zum Beispiel zwei junge Leute, etwa Teenager, bis über beide Ohren verliebt sind, schwärmen sie voneinander. Sie sehen alles rosarot und idealisieren die Situation. Schwärmerisch zu sein heißt, die Realität nicht mehr klar wahrzunehmen, in Wunschdenken zu verfallen und das Ganze emotional und gefühlsmäßig zu übertreiben.
In diesem Sinn sprechen wir von einem Schwarmgeist. Dabei ist wichtig zu betonen, dass das Wort „Geist“ darin enthalten ist. Es bedeutet, dass ein Geist mitverursachend ist, der Menschen dazu bringt, alles zu unkritisch zu sehen und über die Schrift hinauszugehen.
Ich habe viel zu diesem Thema gelesen, insbesondere zur Pfingst- und charismatischen Bewegung. Dabei habe ich nichts Besseres gefunden als das, was ein gewisser Pastor Ernst Buddeberg bei der 14. Gnadauer Konferenz in Wernigerode im Harz im Jahr 1910 in einem Referat dargelegt hat. Es ging um die Kennzeichnung des Wesens der Schwärmerei.
Das hat mir sehr viel gesagt, und ich hoffe, es wird auch euch heute Abend hier weiterhelfen. Ernst Buddeberg war übrigens der Nachfolger von Pfarrer Körper als Missionsdirektor bei der Liebenzeller Mission ab 1936.
Charakteristika der Schwärmerei nach Ernst Buddeberg
Erstens: Schwärmerei ist eine Krankheit des Glaubenslebens, ein erregtes Fiebern der Seele. So wie der Körper Fieber hat, wenn seine Temperatur erhöht ist, gibt es auch ein Fiebern der Seele. Buddeberg beschreibt Schwärmerei als eine Krankheit des Glaubenslebens.
Die Bibel spricht im Titusbrief dreimal von gesundem Glauben im Zusammenhang mit gesunder Lehre. Es gibt kranken Glauben, sogar sehr kranken Glauben, der fast sterbenskrank ist. Buddeberg betont, dass Schwärmerei eine solche Krankheit des Glaubenslebens ist. Im Neuen Testament werden wir an unzähligen Stellen zur Nüchternheit ermahnt. Das hängt stets mit einem einfachen Festhalten an Gottes Wort zusammen.
Zweitens: Schwärmerei ist eine Versuchung des Satans, der die Kinder Gottes zum Glaubensübermut verleiten möchte. Es handelt sich hier nicht nur um ein übertriebenes Schwärmen, wie man es vielleicht von Teenagern kennt, sondern dahinter steht ein Geist – ein falscher Geist, ein sogenannter Schwarmgeist.
In vier Wochen, beim zweiten Teil, werden wir die biblische Begründung dafür sehen, dass die Bibel selbst von Situationen berichtet, in denen eindeutig Schwarmgeist am Werk ist.
Drittens: Die Wurzel der Schwärmerei liegt im mangelnden Wahrheitssinn und im Hochfahren des menschlichen Geistes. Ein sehr wichtiger Punkt ist der mangelnde Wahrheitssinn – also nicht ehrlich mit sich selbst zu sein, sich selbst etwas vorzumachen oder sich selbst zu belügen.
Beispielsweise geht jemand auf Veranstaltungen, um sich dort mit einer Kraft aufladen zu lassen, die dort scheinbar gegenwärtig ist. Man lässt sich aufblasen wie ein Luftballon und tut so, als wäre man ein geisterfüllter Christ, der Gnadengaben auslebt. Doch zu Hause, in Ehe, Familie, am Arbeitsplatz und in allen Beziehungen stimmt es hinten und vorne nicht. Das passt nicht zusammen.
Diese Inkongruenz zeigt mangelnden Wahrheitssinn und ein Hochfahren des menschlichen Geistes, also Hochmut. Man möchte mehr sein, als man glaubensmäßig wirklich ist.
Viertens: Schwärmerei beginnt dort, wo der Mensch die Prinzipien missachtet, die Gott für seinen Umgang mit den Menschen ein für alle Mal festgelegt hat.
Prinzipien Gottes und Schwärmerei
Solche Prinzipien sind:
A. Gott will durch sein geschriebenes Wort mit uns verkehren.
Das Hauptprinzip ist, dass Gott durch sein Wort mit uns kommunizieren will. Die Schwärmerei hingegen will darüber hinaus ein inneres Wort Gottes haben und richtet ein neues Prophetentum mit autoritativer Gewalt auf. Das bedeutet, dass sie sagen: „Ach, warum kommst du denn immer mit der Bibel? Die Bibel ist vergangenes Wort. Das haben Menschen vor zweitausend Jahren empfangen, das ist vergangenes Wort. Wir heute haben gegenwärtiges Wort. In unserer Versammlung spricht Gott durch Propheten direkt in unsere Gemeindesituation hinein. Dort sind Brüder oder Schwestern, die begabt sind, die Visionen empfangen, Weisungen vom Herrn erhalten. Das ist gegenwärtiges Wort Gottes, nicht Vergangenes in der Bibel, nicht verstaubtes Wort.“
Ich überzeichne jetzt ein wenig, aber so wird unterschieden: Die Bibel, das geschriebene Wort, ist vergangenes Wort, und in die Versammlungen hinein geschieht gegenwärtiges Wort. Somit wird ein neues Prophetentum aufgerichtet. Die Menschen, die Träger dieser „Offenbarungen“ sind – in Anführungsstrichen –, sind dann praktisch höhergestellte Personen in der Gemeinde. Ein neues Prophetentum wird aufgerichtet, wie zur Zeit des Alten Testaments und zu Beginn des Neuen Testaments.
B. Gott will durch seinen Sohn mit uns verkehren.
Die Schwärmerei löst den Geist von der Person Jesu Christi, und meine Anmerkung stellt ihn oft in den Mittelpunkt. Bitte versucht, euch das tief einzuprägen: Jesus Christus und der Vater sind eins, und Jesus Christus und der Geist Gottes gehören auch ganz eng zusammen. Die Person Gottes in Vater, Sohn und Heiligem Geist darf in keiner Weise auseinandergerissen werden. Darum verwendet die Bibel zum Beispiel für den Heiligen Geist einmal „Geist des Vaters“, „Geist Jesu Christi“. Diese Ausdrücke machen deutlich: Es gehört alles zusammen. Wir dürfen den Heiligen Geist nicht von der Person Jesu Christi trennen.
Dort fängt Schwärmerei an, wenn das geschieht, wenn man nur den Geist in den Mittelpunkt stellt. In der Pfingst- und charismatischen Bewegung gibt es ungezählte Gläubige, die zum Heiligen Geist beten. In der ganzen Bibel gibt es jedoch kein einziges Gebet zum Heiligen Geist, auch nicht zu Maria, Engeln oder Heiligen. Wir finden in der Bibel nur Gebete zum Vater und zum Sohn, sonst keine echten biblischen Gebete. Es kommt schon vor, dass Menschen versuchen, Engel anzubeten, aber das wird immer sofort abgewehrt. Jesus, der Vater und der Sohn werden angebetet – nur nicht der Heilige Geist.
Der Heilige Geist ist wie ein Scheinwerfer, der Jesus Christus anstrahlt und groß macht, aber er selbst will nicht groß gemacht werden. Wenn ihr manchmal eine Bühne seht, wo ganz unten am Bühnenrand der Scheinwerfer versteckt ist, strahlt er auf den Hauptdarsteller oder einen bestimmten Punkt. Der Scheinwerfer selbst wird vom Publikum nicht gesehen, sondern nur der Lichtkegel, den er wirft. So wirft der Heilige Geist den Lichtkegel auf Jesus Christus und will selbst nicht in den Mittelpunkt gestellt oder angebetet werden.
C. Gott hat uns an die Schöpfung und ihre Ordnung gewiesen.
Die Schwärmerei will aber alles Kreatürliche hinter sich lassen und nur Geist sein. Das gibt es schon seit mehreren Tausend Jahren, dass das Körperliche, das Geschaffene, Kreatürliche abgelehnt wird und das Geistliche hochgestellt wird. In der griechischen Philosophie war die Tendenz: Geist ist alles, Körper, Materielles ist nichts, ist Dreck. Diese Linie findet sich auch in schwärmerischen Kreisen wieder: Nur Geist, das Körperliche wird zurückgestellt.
Wenn zum Beispiel Menschen wegen bestimmter Geisterlebnisse den Schlaf vernachlässigen und sagen: „Ich brauche nicht schlafen, ich brauche nur noch fünf Stunden, nur noch drei Stunden, nur noch eine Stunde Schlaf. Der Herr gibt mir so viel Kraft, ich kann die ganze Nacht durchbeten“, dann weiß ich, dass es nicht mehr lange dauert bis zur Nervenklinik. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Das will Gott nicht.
Gott hat uns geschaffen als Menschen, die den Rhythmus von Tag und Nacht brauchen. Wir müssen darauf achten, dass unser Körper Nahrung, Ruhe und Bewegung bekommt, die er braucht. Wir dürfen nicht übergeistlich werden und denken: „Ach, das lassen wir alles hin, Hauptsache ich bin geisterfüllt und kann beten.“ Natürlich sollen wir beten, aber in der Nacht wohl nur, wenn wir schlaflos da liegen – nicht mit gestelltem Wecker, um eine Gebetsnacht zu machen.
D. Gott stellt seinen Verkehr mit uns Sündern auf den Grund der gerechtmachenden Gnade.
Es ist ganz wichtig, dass wir überhaupt mit Gott Gemeinschaft haben können, dass wir zu ihm kommen und beten können. Das hat allein den Grund in seiner gerechtmachenden Gnade, in der Rechtfertigung, wie unsere Väter das genannt haben. Das heißt, dass Gott die Kluft von oben zu uns überbrückt hat, in Christus zu uns gekommen ist, gestorben am Kreuz, auferstanden und das volle Heil vollbracht hat.
Die Schwärmerei lässt die Rechtfertigung als Anfangsstufe des Glaubens hinter sich und sagt: „Am Anfang ist die Bekehrung, das ist schön und recht, aber das lässt man bald hinter sich, dann kommt die Wiedergeburt, und wenn man wiedergeboren ist, dann geht es erst richtig los. Dann kommt die Geistestaufe und die Erfüllung mit dem Heiligen Geist, und dann ist man ein Fullpower-Christ. Schnalz mit dem Finger, und dann geschehen Zeichen und Wunder, oder dann bekehren sich alle Leute um mich herum, oder es werden alle Leute gesund, die mit mir in Berührung kommen.“
So geht das natürlich nicht.
E. Gott stellt seinen Verkehr mit uns Sündern auf die Furcht des Herrn.
Die Grundlage unserer Gottesbeziehung ist die Gottesfurcht, die Ehrfurcht vor Gott – nicht Angst, das ist etwas anderes. Die Ehrfurcht ist gepaart mit der Liebe zu ihm, weil er unser liebender Vater ist. Aber beides gehört wie zwei Seiten einer Münze zusammen; die Grundlage ist die Ehrfurcht.
In Sprüche 1,7 heißt es: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis.“ Die Schwärmerei überspringt oft in falscher Vertraulichkeit diese heiligen Grenzen. Es gibt ganz groteske Formen von Grenzüberschreitungen, die ich hier nicht alle aufzählen möchte.
F. Gott tut uns seinen Willen vornehmlich kund durch sein Wort, durch die Lebensumstände und durch erfahrene Christen – aber zuerst durch sein Wort.
Wir unterscheiden in der Bibel den allgemeinen Willen Gottes, der uns in der Heiligen Schrift gegeben ist. Dort steht, was Gott über Ehe, Familie, Erziehung, Gemeinde, Staat und all diese Dinge will. Das ist der allgemeine Wille Gottes.
Daneben gibt es den persönlichen Willen Gottes für mein kleines persönliches Leben. Diese Führungen geschehen immer im Rahmen des allgemeinen Willens Gottes. Gott wird uns persönlich nie gegen seine Prinzipien führen, die in der Bibel geschrieben stehen.
Beispiel: Ein junges Mädchen kann nie sagen: „Mir hat der Heilige Geist gezeigt, ich soll meinen ungläubigen Freund heiraten.“ Dann sage ich: „Das hat dir bestimmt ein Geist gezeigt, aber nicht der Heilige Geist. Das hat dein Ich-Geist gezeigt, der das gerne möchte, aber nicht der Heilige Geist.“ Der sagt uns nämlich im allgemeinen Willen Gottes, dass Gläubige nie Ungläubige heiraten sollen, sondern immer Gläubige.
Deshalb führt der Heilige Geist individuell nie gegen die Prinzipien, gegen den allgemeinen Willen Gottes. Das geht nicht, da würde sich Gott selbst widersprechen. Darum müssen wir sagen: Gott tut uns seinen Willen durch das Wort kund. Die Schwärmerei will oft nur unmittelbar vom Geist geleitet werden und sagt: „Ach, was da in der Bibel steht, mir hat der Heilige Geist gezeigt, ich soll so machen.“ Das geht eben nicht. Der Heilige Geist führt nicht gegen die Prinzipien der Bibel.
Gott stellt seinen Verkehr mit uns auf den Glauben und nicht auf das Schauen.
Ein ganz wichtiger Satz: In 2. Korinther 5,7 heißt es: „Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“ Wir möchten manchmal gerne im Schauen wandeln, wir möchten gerne erleben, wie Gottes Allmacht durch Krankenheilungen oder andere Zeichen sichtbar wird. Das kommt auch vor, wo Gottes Wille ist, aber nicht immer dort, wo wir es wollen.
Die Schwärmerei möchte aus der Glaubensbahn heraustreten und Gesichte und Erscheinungen haben. Sie überschätzt die ekstatische Frömmigkeit. Immer wieder strecken sich Gläubige danach, übernatürliche Erlebnisse zu haben – in Träumen, Visionen oder Stimmen, die sie hören. Ich möchte betonen: Streckt euch danach nicht aus!
An dieser Stelle kann man von Martin Luther lernen. Er war nüchtern. Er hatte eine Christusvision: Plötzlich stand Christus in seinem Zimmer, er sah eine Gestalt wie Christus. Wisst ihr, was er gemacht hat? Er hat sein Tintenfass nach der Christusgestalt geworfen und gerufen: „Weg mit dir, du Schandteufel! Ich kenne keinen anderen Christus als den, der gepredigt und geglaubt wird in Gottes Wort.“ Das war gut und richtig so.
Der Herr Jesus hat gesagt, als er sich von seinen Jüngern verabschiedete: „Ich gehe zum Vater, und ihr werdet mich hinfort nicht sehen.“ Christus hat sich nach seiner Himmelfahrt nur in einer außergewöhnlichen, besonderen Situation noch einem Menschen offenbart – und das war Saulus vor Damaskus, weil er ihn als auserwähltes Werkzeug haben wollte. Aber das kann heute von uns niemand mehr so beanspruchen. Darum halten wir uns daran: im Glauben und nicht im Schauen.
A. Gott stellt die Entwicklung unseres Glaubens unter die Gesetze des wachstümlichen Lebens.
Ein ganz wichtiger Satz steht in Galater 5,22: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede.“ Dann wird die Liebe beschrieben. Da steht die Frucht. Es gibt wohl nur ganz wenige Pflanzen, die über Nacht Frucht ansetzen. Wenn es irgendwo eine gibt, in Südamerika vielleicht, mag das sein. Aber in der Regel dauert es Wochen oder gar Monate, bei manchen sogar Jahre, bis die erste Frucht kommt.
Unser Glaubensleben ist unter die Entwicklung des wachstümlichen Lebens gestellt. Gott spricht von Frucht, und die Schwärmerei möchte durch einen Glaubensflug, durch ein Hauruck-Erlebnis auf die Höhen des christlichen Lebens kommen. „Ich lege dir die Hände auf, wir beten um die Taufe mit dem Heiligen Geist, und dann bist du ein Fullpower-Christ.“ Ich kann es nicht anders ausdrücken: Mit diesen Worten wird jemand, der erst seit ein paar Stunden oder Tagen gläubig ist, durch Handauflegung zu einem reifen Christen gemacht. Wie soll das gehen? Das widerspricht den Gesetzen des wachstümlichen Lebens.
Wir haben eingefahren: „You Will 3. Warum 12.“ Dort wird ganz klar gesagt, dass Gesichter kommen werden. „Danach will ich meinen Geist ausgießen, die Söhne sollen weiss sein, eure Ältesten sollen Träume haben, Gesichte und so weiter.“ Das ist richtig. Ich meine ganz klar, wir dürfen keinesfalls vom geschriebenen Wort abweichen. Aber trotzdem ist es weiter erwähnt, das ist ganz klar, das kann sein, auch das ist in der Bibel festgehalten.
Trotzdem steht es hier, und trotzdem wird es in der Endzeit, in der wir leben, Menschen geben, die Gesichte haben. Wir dürfen das einfach nicht absprechen. Nein, das hat die Bibel gesagt. Aber abstreiten sollte man es nicht. Das sollte man eigentlich nicht kommentieren, aber es wird wiedergegeben.
Das Problem bei der Stelle Joel 3 ist die heilsgeschichtliche Einordnung: Wann wird sich Joel 3 erfüllen? Das ist keine Vertröstung. In vier Wochen werden wir auch Joel 3 lesen und schauen müssen, wann sich diese Stelle erfüllt – am Ende der Zeit der Gemeinde oder zu Beginn des Tausendjährigen Reiches. Das wird die Auslegungsfrage sein, die wir dann klären müssen. Dann können wir vielleicht noch einmal darauf eingehen.
So, das war der erste lange Exkurs. Ich wollte ganz bewusst damit beginnen, weil dieses Referat von Buddeberg so kernige und für mich hilfreiche Aussagen enthält. Ich bitte euch, noch einmal darüber nachzudenken und es in Ruhe zu lesen. Das finde ich äußerst wertvoll.
Schwarmgeistliche Bewegungen in der Kirchengeschichte
Exkurs Nummer zwei: Schwarmgeistliche Bewegungen in der Kirchengeschichte
Die Pfingst- und charismatische Bewegung, die Anfang dieses Jahrhunderts aufbrach, war nicht die erste ihrer Art. Im Verlauf der fast 2000 Jahre Kirchengeschichte gab es immer wieder schwarmgeistige Aufbrüche. Schwarmgeistig im Sinne der oben definierten Bedeutung, dass etwas Unnüchternes aufkam, etwas, das sich von der Bibel entfernt hat oder weit darüber hinausging.
Ich möchte hier einige Beispiele anführen.
Da waren die Montanisten, die vom zweiten bis vierten Jahrhundert aktiv waren. Sie hatten ebenfalls Offenbarungen Gottes in der Ich-Form, bei denen plötzlich jemand aufstand und sagte: „Ich, Jesus, sage euch“ oder „Ich, Gott, sage euch“. Solche Offenbarungen in der Ich-Form, Zungenreden, Visionen und ähnliche Phänomene treten auch heute in der Pfingst- und charismatischen Bewegung auf.
Dann gab es die Donatisten, die im vierten Jahrhundert in Nordafrika ansässig waren. Sie zeigten ähnliche Erscheinungen wie die Montanisten, unterschieden sich aber in einigen Punkten. Diese Themen könnte man kirchengeschichtlich ins Endlose fortsetzen, doch dafür gibt es Bücher, und sie müssen hier nicht weiter behandelt werden.
Drittens gab es Schwärmerei in der katholischen Mystik. Das betrifft beispielsweise die Erlebnisse der heiligen Katharina von Siena im Mittelalter oder die heilige Theresia, die viele Christus- und Engelsvisionen hatte. Auch Ignatius von Loyola, ein Zeitgenosse Luthers, spielte eine Rolle. Er nannte sich am liebsten Anti-Luther und betrieb die Gegenreformation, bei der Gläubige in manchen Fällen mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurden. In heutigen Büchern wird er jedoch oft unter den Heiligen und Vätern der Christenheit geführt. Wenn es jemals einen echten Christenverfolger gab, dann war es Ignatius von Loyola. Auch er hatte Visionen und eine eigenartige mystische Beziehung zu Maria. Zu seiner Zeit sprach man von der Viereinigkeit: Vater, Sohn, Geist und Mutter Maria.
Ein weiteres Beispiel ist Therese von Connersreuth, vielleicht habt ihr diesen Namen schon einmal gehört. Sie war bekannt für das Phänomen der Stigmatisierung, bei dem sie in der Passionszeit plötzlich aus Händen, Füßen und der Seite blutete. Stigmatisierung ist übrigens ein rein okkulter Vorgang. Wenn man in der Geschichte dieser Frau forscht, stellt man fest, dass ihre Eltern oder Großeltern irgendwann mit Zauberei in Verbindung standen. Solche Erscheinungen treten dann bei den Enkeln auf. Das ist in vielen anderen Fällen nachgewiesen, wenn auch nicht direkt bei Therese von Connersreuth. Wenn ihr von solchen Dingen hört oder lest, seid nüchtern und glaubt nicht automatisch an göttliche Vorgänge. Solche Phänomene können auch eine ganz andere Ursache haben. Therese von Connersreuth lebte übrigens lange Zeit nur von Hostien, was ebenfalls als übernatürlich gilt.
E. Edward Irving, der Gründer der Neuapostolischen Kirche, war ebenfalls ein Mann, der sich dem Schwarmgeist öffnete und Eingebungen empfing. Daraus entstand später die Neuapostolische Kirche.
Dies sind nur einige Beispiele aus der Kirchengeschichte, die zeigen, dass es immer wieder schwarmgeistige Bewegungen oder einzelne Personen gegeben hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Erscheinungsformen der heutigen Pfingst- und charismatischen Bewegung gab es im Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder, allerdings ausschließlich in schwarmgeistigen Gruppen.
Entstehung und Ausbreitung der Pfingstbewegung
So, nach diesem langen Vorspann kommen wir nun zu Punkt A: Entstehung und Ausbreitung der Pfingstbewegung – dem Nährboden der Pfingstbewegung. Hier müssen wir noch etwas weiter voranschreiten. Es ist mir sehr wichtig, dass wir diese geschichtlichen Grundlagen verstehen, bevor wir mit den Lehren beginnen.
Die amerikanische Evangelisationsbewegung um Charles Finney war von großem Segen geprägt. Finney war ein Mann, der als Evangelist in großem Umfang wirkte. Wenn ich nur ein Tausendstel seines Segens in meinem Leben hätte, wäre ich wahrscheinlich schon reich gesegnet. Durch ihn kamen unzählige Menschen zum Glauben. Wir wollen das nicht gering achten, doch wir müssen auch prüfend festhalten, dass er nach seiner Bekehrung wenig später eine Geistestaufe erlebte – so hat er es selbst beschrieben. Das gestehen wir ihm zu, da habe ich nichts dagegen. Aber Finney machte einen Fehler: Er machte aus seinem persönlichen Erlebnis eine Lehre, nämlich eine Heiligungslehre in zwei Stufen. Zuerst sei die Bekehrung, später dann die Geistestaufe, bei der ein großer Fortschritt im Glaubensleben stattfinde. Das sei die zweite Stufe des Glaubenslebens.
Das ist gefährlich und nicht biblisch. Es ist nicht richtig, das Christsein in zwei Stufen zu unterteilen. Finney wollte das sicher nicht böswillig, und hätte er geahnt, wie verhängnisvoll sich das auswirken würde, hätte er es bestimmt nicht getan. Die Wurzel für Finneys Verhalten lag schon früher in der Vollkommenheitslehre Wesleys. Auch dieser Mann wirkte groß für den Herrn und gründete die Methodistenkirche. Doch auch er hatte in Bezug auf seine Vollkommenheitslehre eine etwas perfektionistische Sicht.
Ein Mann namens Boardman verkündete später eine Stufenlehre zum "Higher Christian Life", zum höheren christlichen Leben. Hier wurde der Faden von Wesley über Finney zu Boardman weitergesponnen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstand bei vielen Christen weltweit, besonders in England, der Wunsch nach mehr Heiligung. Dieser Wunsch ist gut, daran ist nichts Schlechtes. Heiligung unseres Lebens bedeutet, dass unser Leben ganz in Gottes Hände kommt, dass wir in den Glaubensgehorsam treten und Gott alle Lebensbereiche beherrschen darf. Das ist ein guter Wunsch.
Aus diesem Wunsch entstand die Holiness-Bewegung, die "Holiness Movement". Der Weg zu dieser Heiligung wurde folgendermaßen gelehrt: Heiligung durch den Glauben. Das klingt zunächst ganz biblisch und wunderbar – Heiligung durch den Glauben. Man müsse einfach glauben, dass man errettet sei, frei von der Sünde, dass Jesus schon alles für einen getan habe und den alten Menschen mit ans Kreuz genommen habe. Dabei wurde der Glaube stark betont: "Glaube doch, dass du schon frei bist von der Sünde." Besonders der Römerbrief wurde ausgelegt, vor allem Kapitel 6 und 8.
Das klingt sehr biblisch, doch es gibt eine kleine Akzentverschiebung. In 1. Korinther 1,30 schreibt der Apostel Paulus: "Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur Erlösung, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung." Alle vier Aspekte werden genannt. Jesus Christus ist unsere Errettung und auch unsere Heiligung und Erlösung, er ist unsere Vollendung. Alles ist in ihm. Mit anderen Worten: Der Gekreuzigte ist auch das Zentrum meiner Heiligung. Ich wachse nie über ihn hinaus. Ich werde immer unter dem Kreuz und an dem Kreuz stehen und niemals darüber hinauswachsen.
Das ist das Gefährliche, wenn man meint, das Kreuz, die Begehung und Sündenvergebung seien ganz am Anfang, und man wachse dann auf die Höhen eines sündlosen oder perfektionistischen Lebens. Die herausragende Gestalt dieser Bewegung war ein Mann namens Smith im letzten Jahrhundert. Er predigte zunächst in England auf Konferenzen und kam dann auch nach Deutschland – nach Berlin, Basel, Stuttgart, Wuppertal. In der Folge entstanden auch in Deutschland Heiligungskonferenzen. So sprachen dort berühmte Männer wie Jellinghaus, Rappard und Stockmayr.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Wales eine echte Erweckung, die so großartige Auswirkungen hatte, dass hunderte Gaststätten schließen mussten, weil keine Trinker mehr da waren. Keine Menschen mehr, die Alkohol tranken – eine durchgreifende Erweckung. Man stelle sich das heute einmal vor, wenn der Herr uns so etwas noch einmal schenken könnte. Es war wirklich ein gewaltiger Geistesaufbruch in Wales. Dort wirkten Männer wie Toray und Alexander, die das Evangelium von Jesus Christus predigten, aber unter anderem auch die Geistestaufe als ein von Bekehrung und Wiedergeburt getrenntes Erlebnis.
Evan Roberts, ein einfacher Mann, kein Theologe, sondern ein Arbeiter, sowie Jesse Penn Lewis schlossen sich dieser Bewegung an. In Deutschland lasen viele Christen in ihren christlichen Blättern von der Erweckung in Wales. Dort wurde berichtet, und es entstand in Deutschland eine richtige Sehnsucht: "Ach Herr, schenk uns doch auch diese Erweckung wie drüben in Wales." Das ist sehr verständlich, wenn nur ein paar hundert Kilometer entfernt ein solcher Aufbruch stattfindet. Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in Deutschland eine große Sehnsucht nach Erweckung.
Viertens: Alles mitvorbereitende Faktoren für die Entstehung und Ausbreitung der Pfingstbewegung hierzulande war auch Jonathan Pauls Lehre vom reinen Herzen. Jonathan Paul war ein gläubiger, feiner geistlicher Mann, der Lieder dichtete, die wir heute noch singen, zum Beispiel "Dir fehlt wohl auch der Friede" und andere. Eines Tages beschäftigte er sich intensiv mit dem ersten Johannesbrief. Dieser Brief hat einige Stolperstellen, über die schon andere Menschen gestolpert sind. Wir werden ihn, wenn Gott will, eines Tages mal durchnehmen und darauf eingehen.
Jonathan Paul stolperte über den ersten Johannesbrief und verkündete eines Tages, dass man als Christ in einen Zustand der Sündlosigkeit kommen könne. Er war auf einer Konferenz vor über zweitausend Leuten und sagte den berühmten Satz: "Geschwister, ich habe schon seit vier Wochen meinen alten Adam nicht mehr gesehen." Daraufhin stand ein schwäbischer Bruder auf und sagte: "Aber wir haben ihn noch gesehen." Paul meinte, er habe nicht mehr gesündigt, doch er hätte mal seine Frau fragen sollen – die hätte wahrscheinlich den alten Adam bei ihm noch gesehen, oder den alten Jonathan.
Doch Paul ließ sich nicht mehr korrigieren, und das ist das Schlimme. Wir kommen darauf zurück. Die Brüder rangen mit ihm und sagten: "Bruder Paul, in 1. Johannes 1, Vers 8 steht: 'Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.'" Sie lasen ihm das vor, doch er sagte: "Nein, das verstehe ich nicht." Er machte einen Unterschied zwischen Sünde haben und Sünde tun, unterschied das auseinander und ließ sich nicht mehr korrigieren.
Jahrzehnte später lag Jonathan Paul auf dem Sterbebett, im Jahr 1939. Sein eigener Schwiegersohn, ebenfalls Pfingstler, nämlich Heinrich Vieter, war Zeuge dieses Erlebnisses. Jonathan Paul erwachte noch einmal und sagte zu allen Umstehenden – in solch einer Situation macht man gewöhnlich keine Scherze –: "Ich war vor den Toren der Ewigkeit, und man hat mir gesagt: Die Pforten sind dir verschlossen, du hast von dem Gift der alten Schlange getrunken." Was ist das für ein Gift? "Ihr werdet sein wie Gott" – Sündlosigkeit.
Nun sagen Angehörige der Pfingstbewegung, er habe dann Buße getan. In anderen, kritischeren Büchern zur Pfingstbewegung steht das nicht. Aber wir hoffen sehr, dass er Buße getan hat und in Frieden heimgehen durfte. Das müssen wir nicht entscheiden, das weiß Gott. Wir sehen aber an diesem Beispiel, wie ernst diese Dinge sind, wenn man sich auf ein solches Gleis begibt und meint, man könne bis auf die Höhen der Sündlosigkeit kommen.
Fünftens: Die Situation im Jahr 1905 unmittelbar vor dem Ausbruch der Pfingstbewegung hierzulande. Das Verlangen nach Erweckung war auf dem Höhepunkt. Deutschland glich einem geistlichen Pulverfass. Es fehlte nur noch jemand, der den berühmten Funken an die Lunte hielt.
Ursprung und Ausbreitung der Pfingstbewegung
Nun kommen wir zum zweiten Punkt, der römischen Bewegung, dem Ursprung der Pfingstbewegung. Der Ursprung der eigentlichen Pfingstbewegung liegt in den Vereinigten Staaten, genauer gesagt in der Bibelschule von Topeka in Kansas.
Im Jahr 1901 wurde dort unter der Leitung des Leiters dieser Bibelschule, einem Mann namens Paham, eine Bibelstudie durchgeführt. Er gab seinen Studenten das Thema: „Gibt es einen Beweis für die Taufe mit dem Heiligen Geist?“ Diese Studienarbeit mussten sie bearbeiten. Nach vier Wochen kamen sie zu dem Ergebnis, dass der biblische Beweis für die Taufe mit dem Heiligen Geist das Reden in Zungen sei. Sie studierten intensiv die Apostelgeschichte und kamen zu dem Schluss, dass das Sprechen in Zungen der Beweis dafür sei, dass jemand wirklich mit dem Heiligen Geist getauft ist, also den Heiligen Geist empfangen hat. Wer nicht in Zungen reden kann, hat den Heiligen Geist demnach noch nicht empfangen – so der Umkehrschluss.
Als Belegstellen wurden zwei Stellen aus der Apostelgeschichte angegeben. Diese Aussage der Bibelschüler von Topeka wurde zur grundlegenden Lehrnorm der Pfingstbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts – und ist es bis heute. Leider ist diese Aussage falsch. Das lässt sich eindeutig mit der Bibel widerlegen. Es ist nicht so, dass das Reden in Zungen der Beweis dafür ist, ob jemand den Geist empfangen hat.
In 1. Korinther 12,30 schreibt Paulus an die Korinther: „Reden etwa alle in Zungen?“ Er spricht vom Leib mit verschiedenen Gliedern, die nicht alle dieselbe Aufgabe haben. Er fragt, ob etwa alle in Zungen reden, und erwartet offensichtlich die Antwort Nein. Reden etwa alle Weissagungen? Nein, sondern nur die, denen Gott die Gabe gegeben hat – aber nicht alle.
Mit der gleichen Logik könnte man sagen: Alle Christen müssen die Gabe der Weissagung haben, sonst haben sie nicht den Heiligen Geist. Oder alle Christen müssen die Gabe der Barmherzigkeit haben, sonst haben sie nicht den Heiligen Geist. Das ist aber nicht so, denn das widerspricht dem Leibsprinzip: Der eine hat die eine Gabe, der andere die andere. Somit kann das Reden in Zungen nicht der Beweis für den Empfang des Heiligen Geistes sein.
Doch die Bibelschüler sahen es anders. Keiner von ihnen sprach in Zungen. Was machten sie? Sie begannen, Gott zu bitten, ihm möge ihnen die Gabe der Zungenrede schenken. Sie hatten erkannt, dass dies ihrer Sicht nach der Beweis sei, und da sie diese Gabe nicht hatten, fingen sie an, Gott zu bitten. Wochen- und monatelang beteten, flehten und fasteten sie, um die Gabe der Zungenrede zu empfangen. Schließlich kam sie eines Tages.
Sie empfingen solche „Geistestaufen“ – hier in Anführungszeichen auf dem Blatt geschrieben. Sprechen kann ich schlecht in Anführungsstrichen, dann kann ich immer nur diese Bewegung machen.
Die zweite Station ist Los Angeles. Am 9. April 1906, dem Datum, das heute als Beginn der eigentlichen Pfingstbewegung gilt, war eine farbige Gemeinde mit einem farbigen Pastor namens Seymour versammelt. Er hatte im Rahmen der Bibelschule von Topeka bereits eine solche Geistestaufe erlebt. Nun war man in der Azusa Street in Los Angeles zusammengekommen, betete, und plötzlich brach eine Ausgießung über sie herein.
Es gibt Berichte, die sagen – ich weiß nicht, wie authentisch sie sind – dass die ganze Versammlung vor Enthusiasmus so stark stampfte, dass ein Stockwerk tiefer die Decke einstürzte. Das hätte sicherlich Verletzte gegeben. Ich kann das nicht mehr überprüfen. Auf jeden Fall gab es an diesem Tag eine Ausgießung oder ein derartiges Erlebnis.
Diese Ereignisse verbreiteten sich durch sensationelle Zeitungsberichte rasch über Nordamerika. Die amerikanische Presse ist bekannt dafür, solche Ereignisse auszuschlachten. Von Los Angeles aus ging die Bewegung weiter nach Europa, und zwar über einen Mann namens Thomas Barrett, einen norwegischen Methodistenprediger. Er hielt sich in Amerika auf und betete und fastete nach eigenen Angaben 39 Tage lang, um die Geistestaufe mit Zungenrede zu empfangen.
Ich habe in einem Buch gelesen, wie er selbst beschreibt, wie er die Zungenrede empfing, wie sein Kiefer plötzlich vibrierte und wie die Worte aus ihm herauskamen. Wenn man das liest und ein gesundes Empfinden hat, merkt man, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Ich sage das mal vorsichtig.
Thomas Barrett brachte diese Bewegung nach Norwegen. Dann ging es sehr schnell weiter. Innerhalb weniger Monate brachte ein Emil Meyer aus Hamburg zwei Zungenrednerinnen aus Norwegen nach Hamburg und dann nach Kassel. In Kassel war ein gewisser Heinrich Dallmayr, der die beiden Zungenrednerinnen Agnes Telle und Dagmar Gregersen in den EC, den Friedenshof nach Kassel – meiner Heimat und mir gut vertraut – einlud.
Im Juli 1906 fanden dort Veranstaltungen zur Evangelisation statt. Es war sehr heiß, die Fenster standen offen. Dann geschahen diese Ereignisse: Geistesausgießungen, Menschen begannen, in Zungen zu reden, riefen „Halleluja“, krochen wie Schlangen auf dem Boden, andere wurden wie besessen und machten verschiedene Dinge.
Es ging so tumultartig zu, dass die Polizei eingreifen musste, weil sie wegen Ordnungsstörung gerufen wurde. Die Polizei musste die Versammlungen schließen – das war 1906 in Kassel.
Das begann so vielversprechend, dass ein geistesmächtiger Mann wie Elia Schrenk zunächst hoffte, dass die Bewegung wieder erwachen würde. Elia Schrenk schrieb in einem Brief an Johannes Seitz: „Jetzt haben wir auch die Erweckung, wie sie in Weiz ist.“ Einige Monate später sagte er öffentlich, dass alles geistliche Leben in seiner Heimat auf zwei Wochen Verkündigung von ihm zurückgehe.
Im weiten Umkreis hatten sich viele Menschen bekehrt. Doch dieser Mann sagte damals: „Brüder, ich wusste nicht, dass der Satan das Blut Jesu rühmen kann.“ Stellt euch diesen Satz vor. Er wollte damit sagen: Das war ein frommer Betrug.
Zunächst gab es auch positive Ansätze, aber dieser Geist offenbarte sich und verriet sich selbst. Das kann nicht der Heilige Geist sein, wenn solche Auswirkungen und Phänomene am Ende herauskommen.
Man könnte sagen, vielleicht war es doch der Heilige Geist, aber dass sich ein falscher Geist dazugemischt hat, wäre zu milde und nicht scharfsinnig genug geurteilt. Ich werde das gleich noch näher ausführen.
Fünftens: Die Ausbreitung in Deutschland. Interessant ist, dass es dazu eine Studie gibt. Wir haben sie in der Bibliothek stehen. Ein Mann namens Lange hat die Sache gründlich studiert, wahrscheinlich in einer Doktorarbeit.
Er schreibt, wo sich die Pfingstbewegung ausbreitete: a) in jungen Kreisen und bei jungen Gläubigen, die noch nicht in der Schrift gefestigt waren; b) dort, wo keine geistlichen Väter vorhanden waren, die die Dinge prüfen und zur Vorsicht mahnen konnten; und c) dort, wo Jonathan Paul besonders wirkte, nämlich in Pommern und Ostpreußen, mit der verhängnisvollen Lehre vom reinen Herzen.
Der Sitz der Bewegung wurde Mülheim an der Ruhr. Ein so gesegneter Mann wie Ernst Modersohn war zunächst offen für die Bewegung, ebenso Pfarrer Körper in Liebenzell. Sie gehörten zu den sogenannten Neutralen, das heißt zu denen, die nicht dagegen waren, aber auch keine Vollpfingstler, sondern zunächst eine neutrale, mittlere Haltung einnahmen – auch Modersohn.
Modersohn distanzierte sich später mehr und mehr von der Bewegung. Die Christliche Gemeinschaft hat heute noch ihren Sitz in Mülheim an der Ruhr. Das sind gemäßigte Pfingstler, die auf diese Zeit mit Ernst Modersohn und Jakob Vetter zurückgehen.
Als Antwort auf die Pfingstbewegung in Deutschland wurde 1909 die Berliner Erklärung verfasst. Dieses Papier hat es in sich. Für jeden echten Pfingstler ist es ein rotes Tuch. Es gibt kaum etwas Schlimmeres für sie als die Berliner Erklärung. Dennoch sollten wir sie gründlich lesen.
Die Brüder und eine Schwester, Eva von Thiele-Winkler, die damals unter viel Gebet aus dem Ringen heraus das Papier niederschrieben, wollten niemandem wehtun oder auf die Füße treten. Sie handelten aus heiliger Sorge und Verantwortung für die Gemeinde Jesu in Deutschland.
Sie schrieben damals Folgendes:
Die unterzeichneten Brüder erheben warnend ihre Stimme gegen die sogenannte Pfingstbewegung. Nicht aus der Distanz von achtzig Jahren, die wir heute haben, sondern direkt im unmittelbaren Ringen mit der Bewegung, die gerade aufbrach und in ganz Deutschland Spaltungen hervorrief.
Fast alle Kreise waren davon betroffen und spalteten sich in Pfingstler und Nichtpfingstler.
Erstens: Nach ernster gemeinsamer Prüfung umfangreichen und zuverlässigen Materials vor dem Herrn kamen sie zu folgendem Ergebnis:
a) Die Bewegung steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Bewegung von Los Angeles, Oslo, Hamburg, Kassel und Großalmarode – das waren die Stationen.
b) Das ist der Kernsatz der Erklärung: Die sogenannte Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten. Sie hat viele Erscheinungen mit dem Spiritismus gemein. In ihr wirken Dämonen, die vom Satan mit List geleitet sind und Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen.
In vielen Fällen haben sich die sogenannten Geistesbegabten als besessen erwiesen. Das ist sehr starke Kost, das weiß ich. In einer Zeit der geistlichen Entspannungspolitik traut man sich kaum noch, so etwas zu lesen. Aber wir sollten es einfach hören.
Aus einem ernsten Ringen heraus haben die Geschwister damals – es waren über sechzig – diese Erklärung verfasst.
c) Der Geist in dieser Bewegung bringt geistige und körperliche Machtwirkungen hervor, dennoch ist er ein falscher Geist. Er hat sich als solcher entlarvt.
Die hässlichen Erscheinungen wie Hinstürzen, Gesichtszucken, Zittern, Schreien, widerliches lautes Lachen und Ähnliches treten in den Versammlungen auf. Wir lassen dahingestellt, wie viel davon dämonisch, wie viel hysterisch oder seelisch ist. Gott gewirkt sind solche Erscheinungen nicht.
Zweitens: Eine derartige Bewegung als von Gott geschenkt anzuerkennen, ist unmöglich.
Drittens: Die Gemeinde Gottes in Deutschland hat Grund, sich tief zu beugen darüber, dass diese Bewegung Aufnahme finden konnte.
Viertens: Besonders verhängnisvoll und für die Pfingstbewegung förderlich war die unbiblische Lehre vom sogenannten reinen Herzen. Dabei handelt es sich um den Irrtum, dass die innewohnende Sünde in einem begnadigten und geheiligten Christen ausgerottet sei, als hätte er keine innewohnende Sünde mehr.
Fünftens: Wir können Jonathan Paul als Führer und Lehrer in der Gemeinde nicht mehr anerkennen.
Sechstens: Wir glauben, dass es nur ein Pfingsten gegeben hat, und zwar in Apostelgeschichte 2. Ein weiteres Pfingsten in diesem Sinne gibt es nicht. Es gibt hier und da geistliche Aufbrüche, aber kein Pfingsten in der Qualität von damals.
Wir bitten hiermit alle unsere Geschwister um des Herrn und seiner Sache willen, sich von dieser Bewegung fernzuhalten.
Die Berliner Erklärung wurde 1909 in Berlin verfasst. Ich nenne nur einige bekannte Namen, die nicht allen von uns bekannt sind: Friedrich Blecher, Gründer des EZ in Deutschland, Dallmayr, Michaelis von Rothkirch, Schrenk, Seitz, Stockmayr, von Thiele-Winkler, von Fiebern, Wittekind und andere mehr. Insgesamt waren es etwa sechzig Geschwister, die die Erklärung unterzeichneten.
Es kommt nicht auf die Zahl an – es könnten fünftausend oder nur drei gewesen sein, das spielt keine Rolle. Die Frage ist, ob sie richtig geurteilt haben oder nicht.
Entstehung und Ausbreitung der charismatischen Bewegung
b Entstehung und Ausbreitung der charismatischen Bewegung
Ich hoffe, ihr habt noch zehn Minuten Zeit. Jetzt machen wir einen großen Sprung.
Während wir uns bisher im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, also von 1901 bis 1909, befanden und das besprochen haben, was in dieser Zeit geschah, springen wir nun in das sechste oder siebte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts – je nachdem, wie man es zählen möchte.
In den sechziger und den folgenden Jahren entstand nämlich die charismatische Bewegung.
Unterschiede zur Pfingstbewegung
Was ist der Unterschied zur Pfingstbewegung?
Erstens: Die Pfingstbewegung ist organisatorisch selbständig und gründet eigene Gemeinden. Die charismatische Bewegung hingegen gründete zunächst keine eigenen Gemeinden, sondern versucht, die bestehenden Gemeinden charismatisch zu erneuern.
Versteht man den Unterschied? Die Pfingstbewegung ist selbständig und gründet eigene Gemeinden. In Deutschland gibt es beispielsweise den Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden (BfP), der aus selbständigen Gemeinden besteht. Die charismatische Bewegung hingegen gründete zunächst keine neuen eigenen Gemeinden, sondern wollte die bereits bestehenden Gemeinden charismatisch erneuern. Dies betraf sowohl Kirchengemeinden als auch freie Gemeinden – das war das erklärte Ziel.
Zweitens: Die klassische Pfingstbewegung lehrt, dass die Zungenrede der Beweis für die Erfüllung mit dem Heiligen Geist ist. Die charismatische Bewegung ist an dieser Stelle moderater, das heißt, sie behauptet das nicht unbedingt.
Es gibt allerdings auch Charismatiker, die diese Auffassung vertreten, aber ganz gewiss nicht alle. Einige sagen sogar, dass die damalige Erkenntnis aus Topeka, wonach die Zungenrede der Beweis für die Geistestaufe sei, unsinnig ist. Sie lehnen die Vorstellung ab, dass die Zungenrede der alleinige Beweis für die Erfüllung mit dem Heiligen Geist ist.
Entwicklung in den USA und Deutschland
Zweitens: Charismatische Erneuerung innerhalb der evangelischen Kirche
Die Wurzeln dieser Bewegung liegen in den USA. Pfarrer Dennis Bennett empfing 1959 die Geistestaufe nach Handauflegung durch Pfingstler in Los Angeles.
Hier möchte ich kurz etwas zu Los Angeles anmerken. Wenn es eine eigenartige Stadt auf dieser Erde gibt, dann ist es Los Angeles. Fast alle großen Sekten haben ihren Ursprung in dieser Stadt. Die Satanskirche wurde in Los Angeles gegründet. Es ist eine ganz, ganz eigenartige Stadt und heißt auf Deutsch „Engelsstadt“, ja, Los Angeles.
Ich fürchte, das sind keine guten Engel, sondern eher die anderen. Das muss man einfach mal sehen. Was aus Los Angeles kommt, macht mich schon ein bisschen skeptisch, allein schon wegen dieser Zusammenhänge. Interessant ist, dass sowohl die Pfingstbewegung als auch die charismatische Bewegung ihren Anfang in Los Angeles genommen haben.
Durch umfangreiche Vortragstätigkeit wurden diese Erlebnisse und die Geistestaufe in den USA und auch in Europa verbreitet.
Dann kam ein junger Pfälzer Pfarrer namens Arnold Bittlinger. Er war Leiter des Volksmissionarischen Amtes in der Pfälzischen Kirche. Während einer Dienstreise in Amerika empfing auch er die Geistestaufe. Ich habe hier ein Büchlein von ihm. Es gehört Isabella Arnold Bittlinger und heißt „Charismatische Erneuerung – eine Chance für die Gemeinde“. Auf dem Buchrücken ist er abgebildet.
Er machte die junge Bewegung ab 1960 durch Seminare und Bücher in Deutschland bekannt. 1978 übernahm Pastor Wolfram Kopfermann aus Hamburg die Leitung der charismatischen Erneuerung in der evangelischen Kirche.
Dieser Mann hat die geistliche Gemeindeeerneuerungsbewegung, wie sie sich dann nannte, in Deutschland und weit darüber hinaus sehr bekannt gemacht. Sogar im Fernsehen wurden Gottesdienste mit ihm ausgestrahlt. Ich habe das selbst einmal gesehen.
Ob wir das jetzt noch brauchen zu beantworten, wollen wir noch etwas warten mit der Entscheidung. Es ist ja inzwischen nicht mehr aktuell, da er aus der Kirche ausgetreten ist und vor einigen Jahren die Ansgar-Kirche gegründet hat – eine freie charismatische Kirche.
Heutiger Leiter dieser geistlichen Gemeindeeerneuerung in der evangelischen Kirche ist, wenn ich richtig weiß, Friedrich Aschow, ein Unternehmer aus Augsburg.
Charismatische Erneuerung in der römisch-katholischen Kirche
Römisch-katholische charismatische Erneuerung innerhalb der römisch-katholischen Kirche
Interessant ist, dass hier eine Brücke zu sehen ist: Ansgar, der heilige Ansgar, ein katholischer Heiliger, gilt als Namensgeber für die Kirche des Himmels in Brünn.
Zum Thema Ökumene kommen wir gleich zum Schluss noch kurz zu sprechen. Wir haben es fast geschafft.
Die charismatische Erneuerung innerhalb der römisch-katholischen Kirche hat ihre Wurzeln ebenfalls in den USA. Im Jahr 1966 empfingen katholische Laien an der Universität von Pittsburgh durch Handauflegung die Geistestaufe. Dabei fällt auf, dass die Handauflegung immer eine zentrale Rolle spielt. Wir werden später noch gezielt darüber sprechen müssen, welche Bedeutung die Handauflegung in der Bibel hat.
Nach diesem Ereignis folgte eine schnelle Ausbreitung der Bewegung über Nordamerika nach Deutschland. Das Zentrum wurde Paderborn. Über viele Jahre war Professor Doktor Heribert Mühlen, ein katholischer Dogmatiker in Paderborn, der führende Kopf dieser Bewegung.
Gemeinsame Kennzeichen der Pfingst- und charismatischen Bewegungen
Zweitens gemeinsame Kennzeichen der beiden oben angeführten Bewegungen:
Die Geistestaufe beziehungsweise Geistenerneuerung wird überall durch Handauflegung vermittelt.
Neben dem vergangenen Wort der Heiligen Schrift tritt gleichrangig das gegenwärtige Wort der charismatischen Propheten, wie wir bereits eingangs sagten.
Ein weiteres Merkmal ist das Drängen zu einer unbiblischen Einheit der Konfession, also die Ökumene. Es gibt einen sehr starken ökumenischen Zug in der charismatischen Bewegung.
Typisch sind auch Zungenrede, Visionen, Führungen durch den Geist, Heilungen und was ganz stark zum Erscheinungsbild gehört: Anbetung in Gebeten und in Liedern.
Ich will das jetzt zunächst nicht bewerten, sondern einfach nur aufzählen, was als Kennzeichen das Erscheinungsbild prägt.
Die Parole lautet: Die Lehre trennt, die Erfahrung eint. Ich sage es mal etwas salopp: Komm nicht so viel mit der Lehre, mit der Bibel, mit der Dogmatik. Wir haben doch die gleiche Erfahrung. Du kannst doch auch in Zungen reden, wenn du zur Maria betest, und ich nicht. Aber das eint uns doch – die gemeinsame Erfahrung.
Ich will nicht verschweigen, dass auch in den deutschen Freikirchen die charismatische Bewegung Einzug gehalten hat beziehungsweise eingebrochen ist. Zuerst bei den Baptisten durch einen Pastor namens Wilhard Becker, der auch Lieder gedichtet hat und die sogenannte Ruferbewegung ins Leben gerufen hat. Das hat nichts mit Windenrufer zu tun, der bei Werder Bremen spielt. Das ist ein anderer charismatischer Einbruch in die Freikirchen, insbesondere bei den Baptisten.
Man sagt, dass die Baptistengemeinden in Deutschland inzwischen zu 40 Prozent, wenn nicht sogar zur Hälfte, schon charismatisch geworden sind – fast die Hälfte der Baptistengemeinden.
Auch bei den Methodisten ist die Bewegung eingebrochen. Die Freie Evangelische Gemeinde wehrt sich noch relativ tapfer, wird es aber wahrscheinlich auch nicht verhindern können, dass es mehr und mehr einbricht.
Überkonfessionelle Bewegungen und Bruderschaften
Römisch viertens: Überkonfessionelle Bewegungen. Erstens die Geschäftsleute des vollen Evangeliums, nicht zu verwechseln mit IVCG. Letztere sind Pfingst- oder charismatische Gruppen, die überkonfessionell arbeiten wollen. Sie sind weder speziell in der katholischen noch in der evangelischen Kirche verankert, sondern überkonfessionell. Auf die Geschäftsleute komme ich später noch zu sprechen, denn das ist eine besondere Gruppe.
Alexander Salbe sagte einmal: Die Geschäftsleute des vollen Evangeliums verhalten sich zu einem normalen Pfingstler so wie ein Sozialdemokrat zu einem RAF-Mitglied. Man versteht also, dass das zwei ganz verschiedene Paar Stiefel sind.
Drittens gibt es das Christliche Zentrum Berlin mit Volkhard Spitzer und Peter Dippel sowie Jugend mit einer Mission, bekannt durch manche Lieder in unseren Liederbüchern. Jugend mit einer Mission schloss Holach bei Augsburg ist eine durch und durch charismatische Bewegung. Dazu kommen bisherige Pfingstkreise, die die überkonfessionelle Vision übernommen haben.
Ganz in der Nähe gibt es die Odenwälder-Heiden-Mission. Ein Pederasmus, der hier in Heppenheim, gar nicht weit entfernt, eine große Gemeinde hat. Dann die Altensteiger Bewegung in Altensteig bei Nagold, die ebenfalls weite Kreise zieht. Das sogenannte JMS – Jugend-, Missions- und Sozialwerk Altensteig.
Römisch fünftens: Charismatische Bruderschaften gibt es ebenfalls. Die Jesusbruderschaft Gnadenthal bei Limburg – ich war dort, habe es mir angeschaut. Auch in Altensteig konnte ich einige dieser Gruppen oder Bewegungen kurz kennenlernen durch Besuche.
Zweitens die Christusbruderschaft Selbitz in Bayern. Dann die Marienschwesternschaft Reinhards in Franken. Franken ist nämlich nicht Bayern. Das beleidigt einen echten Franken, wenn man sagt, es liegt in Bayern. Es ist in Franken.
Wir warten also auf die Marienschwesternschaft. Ja, da kommen sie: Marienschwesternschaft Darmstadt, Mutter Basilea Schlink, bekannt durch ihre Spruchkärtchen. Wir können noch gerade zwei Minuten sammeln.
Dann der Marburger Kreis mit Arthur Richter. Nicht pauschal, nicht pauschal – wir wollen nicht pauschalieren, sondern differenzieren. Er gehört zum Bereich der charismatischen Bewegung. Das heißt aber nicht, dass sie keine Jünger Jesu sind.
Ja, ich muss es hier anführen: Taizé ist eigenartig, eigentlich eine katholische Sache. Viele evangelische Pfarrer gehen dort mit ihren Konfirmanden hin, nach Taizé in Frankreich. Dort gibt es ebenfalls eine charismatische Bruderschaft.
Sechstens: Das Mittel der Großveranstaltungen wird von diesen Charismatikern und auch von den Pfingstlern sehr, sehr stark genutzt. Die Geschäftsleute des vollen Evangeliums haben auch am meisten Geld. Viele Millionäre sind darunter, die die Ausbreitung der charismatischen Bewegung weltweit fördern. Sie sehen das als ein Hauptziel ihrer Vereinigung.
Zum Beispiel Olympia 81 – nicht Olympia 2000, das war der Flop, der gerade erst passiert ist. Olympia 80 war aus Sicht mancher Beobachter ebenfalls ein Flop. Volker Adspitzer wollte das ganze Olympiastadion mit hunderttausend Leuten füllen, aber am Ende waren es wahrscheinlich nur etwa zwölftausend, nach Polizeischätzung.
Olympia 81 und der Einbruch dieser Bewegungen auch in die beiden Kirchentage. Das zählt inzwischen offiziell zum Programm. Auf den Kirchentagen werden auch charismatische Gottesdienste angeboten, sowohl im evangelischen als auch im katholischen Bereich.
Abschluss und Ausblick
Wir haben den trockeneren Teil hinter uns gebracht. Heute Abend folgt Teil 1: Entstehung und Geschichte.
Mir ist es sehr wichtig, dass wir die Wurzeln erkennen, dass wir sehen, wie das Ganze entstanden ist und was es vorbereitet hat. Bei so einem Thema könnte ich in alle Einzelheiten differenzieren. Manches muss ich jedoch nur grob anreißen, mit sieben Meilenstiefeln. In Büchern kann man das natürlich viel detaillierter nachlesen. Für heute Abend soll uns dieser Überblick erst einmal genügen.
Noch einmal zum Schluss eine Vorbemerkung: Es geht uns nicht darum, zu diffamieren oder böswillige Unterstellungen zu machen. Vielmehr wollen wir differenzieren – und das werden wir im Folgenden noch weiter tun.
Darf ich mit einem kurzen Gebet den Abend abschließen?
Herr Jesus Christus, Du bist das Haupt Deiner Gemeinde, und wir sind Glieder Deines Leibes. Wir wissen, dass Dein Leib viele Glieder hat – in Kirchen, Gemeinschaften, Freikirchen und freien Gruppen. Das ist uns voll bewusst. Wir wollen Dir dankbar sein für jedes Glied an Deinem Leib.
Bitte schenke uns die Fähigkeit, wirklich auseinanderzuhalten, was Bruderschaft ist und was Lehre und Praxis ist. Dinge, die wir nicht so sehen können oder die wir von Deinem Wort ablehnen müssen.
Wir haben heute Namen genannt, die wir nennen mussten. Wir wollen die Menschen, die noch leben und die wir genannt haben, in Deinem Namen segnen und das Allerbeste für sie erbitten. Wir wollen keinen von ihnen verurteilen.
Bitte hilf uns, die Dinge richtig einordnen zu können – nach dem Prinzip: Alles zu prüfen, das Gute festzuhalten und das Böse zu meiden. Amen.
Ich lade ein zur Fortsetzung Ende Oktober, am letzten Mittwoch. Dann geht es um Lehre und Praxis.
Am Freitagabend findet der Gebetskreis mit Brotbrechen bei uns in Ilvesheim statt. Am Sonntagmorgen ist Gottesdienst wie immer um zehn Uhr hier.
Nächsten Mittwoch setzen wir das Matthäusevangelium fort, Kapitel 4. Dort geht es um die Versuchung Jesu.
Wer noch Fragen hat oder gerne die Gebetsstunde bei sich zu Hause beherbergen möchte, kann sich in die Liste eintragen, die vorne am Brett hängt. Wir werden vielleicht später auch mal nach Weinheim kommen. Bitte macht davon Gebrauch!
Wer noch Fragen hat, kann gerne zu mir kommen. Ich kann sie jetzt nicht mehr im Plenum behandeln, aber vielleicht schaffen wir es, wenn wir ganz durch sind, auch noch eine Fragezeit einzurichten. Wer heute Abend eine dringende Frage hat, kommt einfach direkt zu mir.
Es gibt auch viel Literatur, die ich noch vorstellen und mitbringen werde. Heute Abend, bei der Entstehung, wollte ich das noch nicht tun.
Gut.
