Einführung: Die Bedeutung von Selbstvertrauen und Jesu Perspektive
Wie steht es um dein Selbstvertrauen? Fast alle Bücher zur Persönlichkeitsentwicklung betonen, wie wichtig Selbstvertrauen ist. Diese Erkenntnis hat inzwischen fast alle Lebensbereiche durchdrungen. Schon im Kindergarten lernen Kinder, auf sich selbst zu vertrauen. Um in der Welt Erfolg zu haben, sind ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl und ein starkes Selbstbewusstsein von großer Bedeutung.
Nun, wir hier in Bayern wissen das ja schon lange, schließlich haben wir das bekannte „Mir san mir“ erfunden. Auch Jesus hat dazu etwas zu sagen. Doch was Jesus dazu sagt, klingt ganz anders als das, was wir in der Welt hören. Deshalb möchte ich uns einladen, uns von Jesus herausfordern und auch korrigieren zu lassen in unserem Denken. Jesus lehrt uns, dass Selbstvertrauen sehr gefährlich sein kann.
Damit kommen wir zum heutigen Predigttext. Wir setzen unsere Predigtserie durch das Lukasevangelium fort und kommen heute zu Kapitel 18, Vers 9 bis 14. Die ersten acht Verse dieses Kapitels lassen wir aus, denn über diese Verse hat Matthias Mockler erst vor wenigen Wochen zu Beginn der Corona-Krise gepredigt. Diese Predigt steht im Predigtarchiv und kann gerne nachgehört werden. Vielleicht stellen wir sie so ein, dass ihr sie in der Predigtserie passend hier noch einmal leicht nachhören könnt.
Die ersten acht Verse enthalten das Gleichnis von der bittenden Witwe, die beständig gebetet hat, bis ein ungerechter Richter nachgegeben hat. Es war ein Gleichnis über Gebet. Auch das heutige Gleichnis in den Versen 9 bis 14 hat mit Gebet zu tun, aber auf ganz andere Weise. Gleichnisse benutzt Jesus gerne, um Menschen sehr direkt etwas zu sagen, das sie vielleicht nicht bereit wären, so aufzunehmen, wenn er es ihnen direkt zusagen würde. Ein Gleichnis ist ein geschickter Weg, Menschen den Spiegel vorzuhalten. So will dieser Text auch uns auf indirekte Weise ansprechen.
Ich lese aus Lukas 18, Vers 9 bis 14:
Jesus sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und die anderen verachteten, dieses Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ Der Zöllner aber stand ferner, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Ich möchte mit uns beten:
Himmlischer Vater, wir danken dir für dein heiliges Wort. Danke, dass du ein Gott bist, der uns lieb genug hat, um uns auch unangenehme Wahrheiten zu sagen. So wollen wir diese Worte hören und bedenken – als Kinder, die wissen, dass unser himmlischer Vater uns liebt und uns diese Dinge nicht sagt, um uns zu strafen, sondern um uns Gutes zu tun. Mach uns bereit zu hören, mach uns bereit, uns herausfordern und verändern zu lassen durch dein heiliges Wort. Das beten wir im Namen Jesu Christi. Amen.
Wir schauen uns den Predigttext in drei Abschnitten an. Es ist eigentlich ganz einfach: Wir haben einen Vers zu Beginn, einen am Ende und dazwischen das Gleichnis.
Zu Beginn, in Vers 9, wird deutlich, zu wem Jesus dieses Gleichnis spricht. Dann hören wir das Gleichnis selbst, und wir wollen es so betrachten, wie wahrscheinlich die ersten Zuhörer es gehört haben. Zum Schluss bedenken wir Vers 14, in dem Jesus das Gleichnis auslegt und erklärt, was er konkret lehren will.
Zuerst Vers 9: Hier erfahren wir, wen Jesus konkret anspricht. Die Lutherübersetzung, die ich gerade gelesen habe und die wir hier typischerweise benutzen, hat diesen Vers leider recht schlecht übersetzt. Wir schätzen die Lutherübersetzung, aber bei diesem Vers ist einiges schiefgegangen. Fast alle anderen Übersetzungen übersetzen diesen Text einhellig anders. Deshalb lese ich ihn noch einmal nach der Schlachterübersetzung, die ihr auch auf der Folie sehen könnt:
„Er, Jesus, sagte aber auch zu etlichen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien, und die übrigen verachteten, dieses Gleichnis.“
Jesus spricht hier zu Menschen, die auf sich selbst vertrauen, die sich für gerecht halten und die andere Menschen verächtlich anschauen.
Nun stellt sich die Frage: Was hat das mit uns zu tun? Was bedeutet das konkret für dich und für mich? Ich denke, wir alle sind durch unsere Umwelt geprägt. Wir sind darauf getrimmt, auf uns selbst zu vertrauen. Und ich glaube, keiner von uns ist wirklich frei davon, andere zu bewerten, auf andere aufzusehen oder auf andere herabzusehen.
Wir schauen auf Menschen, die sich etwas aufgebaut haben, die vielleicht einen guten Job haben, einen adretten Ehepartner, nette, gut erzogene Kinder und einen gewissen Standard wahren. Menschen, die sich vielleicht auch im christlichen Kontext hervortun, weil sie in der Gemeinde bei Gebetsgemeinschaften perfekt formulierte Gebete sprechen, immer da und pünktlich sind, sich in der Bibel gut auskennen und vielleicht sogar ein wichtiges Amt bekleiden. Das sind Menschen, die wir achten und auf die wir schauen.
Auf der anderen Seite gibt es sicher auch Menschen, auf die wir vielleicht unbewusst eher herabschauen. Menschen, die weniger auf der Höhe sind, vielleicht viele Probleme haben. Das zeigt sich darin, dass wir die einen viel schneller begrüßen, ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken und bereit sind, ihnen zu helfen, wenn sie in Not sind. Die anderen hingegen lassen wir eher links liegen, denn bei denen scheint es sowieso keine Hoffnung mehr zu geben.
Wenn jemand etwas Schweres erlebt, haben wir Mitleid und sagen: „Das hat er nicht verdient.“ Doch oft denken wir auch: „Das ist ja typisch, die Person hat ganz sicher selbst Schuld.“ Ganz ehrlich, kennen wir das nicht? Deshalb hoffe ich, dass wir Jesu Worte hier nicht als neutrale Beobachter hören, denen das nichts zu tun hat. Vielleicht hören wir sie, um anderen zu helfen, die so sind. Nein, diese Worte sind für dich und ganz sicher auch für mich. Lasst uns diese Worte mit Demut hören und bereit sein, uns von Gott korrigieren und herausfordern zu lassen.
Nun betrachten wir das Gleichnis. Ich lese noch einmal die Verse 10 bis 13:
„Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: ‚Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.‘ Der Zöllner aber stand ferner, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: ‚Gott, sei mir Sünder gnädig!‘“
Wir bekommen gleich die beiden Protagonisten vorgestellt: ein Pharisäer und ein Zöllner. Beide gehen zum Tempel, um zu beten.
Nun besteht die Gefahr, dass wir durch unser Lesen des Neuen Testaments mit diesen Gruppen vertraut sind und die Pharisäer als Menschen ansehen, mit denen Jesus immer Streit hat – sie müssen böse sein. Die Zöllner hingegen erscheinen uns oft als Opfer, die bei Jesus besser wegkommen. So haben wir vielleicht automatisch Sympathien für den Zöllner und schauen kritisch auf den Pharisäer.
Doch das ist nicht das, was die ersten Zuhörer gedacht hätten. Für sie waren Pharisäer angesehene, fromme Leute, die die Gebote hielten und einen hohen gesellschaftlichen Stand hatten. Sie waren die Guten. Die Zöllner dagegen waren die Schlechten, die Bösen. Sie arbeiteten mit der feindlichen römischen Besatzungsmacht zusammen, um sich selbst zu bereichern, indem sie von ihren eigenen Landsleuten Zoll eintrieben und an die Römer weitergaben. Diese Menschen waren total verachtet.
In zwei Wochen werden wir den Zöllner Zachäus kennenlernen. Jesus begegnet ihm kurz darauf, und wir werden sehen, wie Zachäus nicht einmal in die Nähe von Jesus kommen kann, weil die Menschen ihn wegblockieren: „Der nicht in meiner Nähe!“ So muss er auf einen Baum klettern.
Um zu verstehen, was dieses Gleichnis für die ersten Zuhörer bedeutete, versuche ich, es in unsere Zeit zu übertragen. Das ist nicht Gottes Wort, sondern mein Versuch, die Worte Jesu in unsere heutige Zeit zu transportieren. Hör einfach mal zu:
Es kamen zwei Männer zum Gottesdienst. Der eine heißt Matthias, der andere Otto.
Matthias kam wie jeden Sonntag pünktlich zum Gottesdienst. Bevor er seinen Platz ganz vorne in der Gemeinde einnahm, blieb er einen Moment stehen, um zu beten. Dann setzte er sich und grüßte die Menschen um sich herum sehr höflich. Beim ersten Ton des Vorspiels verstummte er sofort und deutete an, dass nun Zeit zum Schweigen sei.
Bei den Liedern sang er mit, ohne Gesangbuch, denn er kannte alle Texte und Melodien. Er war sowieso bei jedem Gebetstreffen dabei, auch bei jedem Zoom-Gebetstreffen. Im Gottesdienst war er ein regelmäßiger Beter.
An diesem Sonntag dankte er dem Herrn. Er dankte dafür, dass der Herr ihn vor vielem Schlechten bewahrt hat, dass er im Vergleich zu vielen Freunden nicht dem Alkohol verfallen ist, dass er seine Ehe nicht gegen die Wand gefahren hat, dass er seine Zeit nicht mit Computerspielen vergeudet und keine krummen Dinge dreht. Er dankte dem Herrn für einen guten Job und dafür, dass er ihn befähigt hat, großzügig zu geben, einem Freund in großer Not zu helfen und auch diese Woche wieder die Gelegenheit zu haben, das Evangelium weiterzusagen.
All das brachte er in seinem Gebet vor.
Dann ist da Otto. Otto kam zu spät. Man roch sofort, dass er gerade noch eine Zigarette geraucht hatte. Man roch auch noch den Alkohol vom Vorabend. Otto war mal wieder arbeitslos. Um sich Zigaretten und Schnaps leisten zu können, hatte er die Unterhaltszahlung für seine zwei Kinder aus unterschiedlichen nichtehelichen Beziehungen eingestellt.
Er war mehrfach wegen Drogenhandel vorbestraft und fühlte sich in der Gemeinde relativ deplatziert. Er fand einen Platz in der letzten Reihe – eine gute Gelegenheit, um den kritischen Blicken anderer auszuweichen.
Während der Gebetsgemeinschaft wusste er nicht, was er machen sollte: stehen, sitzen bleiben, Hände falten? Er blieb stumm, hatte nichts zu beten. Doch tief in seinem Innern war ein Ruf: „Gott, gibt es noch eine Chance für mich?“
Was hältst du von diesen beiden? Ganz ehrlich, ich hoffe, du hast Sympathien für Matthias. Er ist doch ein guter Typ, ein feiner Kerl. Gegen sein Gebet kann man doch eigentlich nichts einwenden, oder? Schließlich dankt er Gott, so wie der Pharisäer es auch tat, dass er kein Räuber, Betrüger oder Ehebrecher ist. Er dankt für das Gute, das Gott ihm geschenkt hat, und für das Schlechte, wovor Gott ihn bewahrt hat. Das war eigentlich ein gutes Gebet. Ein bisschen Dankbarkeit hat noch nie geschadet.
Und es ist ja nichts falsch daran, Gott dafür zu danken, dass man seiner Frau treu ist. Wenn er in seinem Gebet auch noch vorbringt, wie Gott ihn befähigt hat, anderen zu helfen, großzügig zu geben und das Evangelium weiterzusagen, dann ist das doch aller Ehren wert, oder?
Ich möchte uns davor bewahren, hier zu schnell einen kritischen Blick auf Matthias, den Pharisäer, zu bekommen. Er ist ein guter Mann, wie ihn viele in unserer Gemeinde haben, nicht nur die, die Matthias heißen. Vielleicht bist du auch so einer. Von daher möchte ich uns ermutigen, nicht tief im Inneren zu sagen: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie Matthias.“
Auf der anderen Seite haben wir Otto. Solche Leute kennen wir doch auch, oder? Einer, der vielleicht alle Jubeljahre mal auftaucht, der schon vom letzten Mal bekannt ist. Abgerissen, gerochen, echt schwierig. Und dann kommt er immer wieder in den Gottesdienst, so wie er ist. Er könnte sich ja wenigstens mal zurechtmachen, wenigstens das Rauchen und Trinken lassen, seine Verantwortung für den ganzen Mist, den er gebaut hat, wahrnehmen. Und dann hat man den Eindruck, er meint, er sei so vor Gott in Ordnung. Wirklich, der soll erst mal anfangen, sein Leben in Ordnung zu bringen.
Kennst du dieses Denken? Ganz ehrlich, ist es dir noch nie in deinen Gedanken oder in deinem Herzen begegnet?
Ihr Lieben, ich hoffe, wir bekommen ein Gefühl dafür, wie dieses Gleichnis für die Zuhörer damals geklungen haben muss. Ich hoffe, wir sind mit dieser inneren Haltung bereit, zu hören, was Jesus nun zu sagen hat.
In Vers 14 lesen wir die Beurteilung:
„Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Ich bin mir sicher, die ersten Worte waren für die Zuhörer ein Schock. Jesus meint ganz klar den Zöllner, diesen Otto, als gerechtfertigt. Wie kann das sein? Dieser Otto, der Zöllner – wie kann der gerechtfertigt sein? Was an ihm ist denn gerecht? Das war doch ganz offensichtlich kein guter Mensch. Das kann doch nicht sein.
Der Schock wird noch größer bei den nächsten Worten: „Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.“ Was, der Zöllner gerechtfertigt und nicht jener, der Pharisäer? Dieser ehrenwerte Mann, dieser Matthias? Wie kann das sein?
Jesus beantwortet die Frage so: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Jesus macht deutlich, dass das Problem des Pharisäers genau darin liegt. Obwohl er scheinbar anerkennt, dass Gott ihm geholfen hat, das zu sein, was er ist und tut, dankt er nicht in demütiger Weise Gott. Nein, er erhöht sich selbst. Er sieht mit Verachtung auf Menschen wie den Zöllner herab: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, wie die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder gar wie dieser Zöllner.“ Dann verweist er stolz auf das, was er tut: „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Man fragt sich, wem er das eigentlich sagt. Brauchte Gott diese Erinnerung? Oder sagte er das, damit die Menschen es hören? Ich glaube, sein Gebet offenbart, worauf er vertraut: auf sich selbst. Er ist genau wie die Menschen, die Jesus in Vers 9 anspricht – diejenigen, die auf sich selbst vertrauen, dass sie gerecht seien, und die anderen verachten.
Das ist die Funktion dieser Aussage. Jesus spricht Menschen an und malt das Bild eines Pharisäers – genau diesen Menschen. Wir sehen in dem Schaubild, wie sich diese Menschen, diese Pharisäer, diese Matthias-Figuren oft eingruppieren: natürlich unter Gott, mit einer gewissen Distanz zu ihm, aber nah dran, fast am Ziel, und brauchen noch ein bisschen Unterstützung von Gott.
Dann gibt es die anderen, die da unten stehen – den Abschau, den Zöllner, den Otto, den Räuber, den Ehebrecher, den Betrüger. Das ist das Problem im Denken vieler Menschen: Sie überschätzen die Unterschiede zwischen den Menschen und unterschätzen die Distanz zu Gott.
Wie ist das bei dir? Bist du schnell dabei, dich zu vergleichen? Und vor allem: Wie trittst du vor Gott? Meinst du, Gott beeindrucken zu können oder vielleicht sogar beeindrucken zu müssen?
Jesus hat eine klare Botschaft für dich: Es ist sehr gefährlich, mit Selbstvertrauen zu Gott zu kommen. Denn „wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“
Jesus erzählt dieses Gleichnis, um deutlich zu machen, dass jede Form von Selbstvertrauen vor Gott zum Scheitern verurteilt ist. Jeder, der meint, vor Gott etwas vorweisen zu können oder zu müssen, hat noch nicht verstanden, warum Jesus gerade unterwegs ist – auf dem Weg zum Kreuz.
Jesus erzählt dieses Gleichnis kurz bevor er nach Jerusalem kommt, um dort am Kreuz zu sterben. Er geht diesen Weg, gerade weil wir Menschen nichts haben, womit wir vor Gott bestehen können. Er kommt für Menschen, die das anerkennen. Er kommt für Sünder. Er kommt als Retter für Menschen, die ohne ihn völlig verloren wären.
Er kommt für Menschen, die das erkennen, was der Zöllner hier ohne Umschweife anerkennt. Der Zöllner versucht gar nicht, sich zu verteidigen. Er kommt mit leeren Händen – oder besser gesagt, mit all seinem Dreck – denn er erkennt an, dass er ein Sünder ist, der ganz und gar auf Gottes Gnade angewiesen ist.
Und das trifft auch auf uns alle zu. Wir alle verfehlen den Anspruch des heiligen Gottes meilenweit. Wir überschätzen die Unterschiede zwischen den ganz Moralischen und den ganz Sündigen, denken, es gäbe eine große Hierarchie. Aus Gottes Blickwinkel sind wir jedoch alle auf der gleichen Ebene – weit entfernt von Gott. Wir alle verfehlen seinen Anspruch.
Jesus allein erfüllt den Anspruch Gottes. Er ist der Einzige, der wirklich das getan hat, was getan werden musste. Er ist der Einzige, der es verdient, dass wir zu ihm aufsehen. Er hat das Leben gelebt, das wir hätten leben sollen. Er war wirklich vollkommen gut.
Er gab nicht nur einen Zehnten von allem, was er hatte, sondern gab sich ganz und gar Gott hin. Er fastete nicht nur zweimal in der Woche, um etwas für seine Beziehung zu Gott zu tun. Er lebte in intimer Gemeinschaft und ständiger Beziehung zu Gott, dem Vater. Kein Moment seines Lebens war ohne Lobpreis Gottes.
Dann ging er den Weg zum Kreuz, um dort die gerechte Strafe auf sich zu nehmen, die wir Sünder verdient hätten – die Otto verdient hätte, aber auch Matthias, der Pharisäer.
Er trug unsere Schuld, sodass jeder, der ihm seine Schuld bringt, sie ihm geben kann und weiß, Jesus nimmt sie an. Wir dürfen zu ihm kommen und sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Das ist, was der Herr Jesus Christus für jeden tut, der in Demut zu ihm kommt.
Wer meint, sich selbst erhöhen zu müssen, und sagt: „Du kannst etwas für mich tun, Jesus, vielleicht ein bisschen, aber ich bringe viel mit“, der hat sich selbst erhöht und wird erniedrigt werden.
Aber wer zu Jesus kommt und sagt: „Ich komme mit leeren Händen, nein, ich komme mit all meinem Dreck, mit all meinem Versagen und meiner Halbherzigkeit“, den nimmt Jesus an und wird ihn zu seiner Zeit erhöhen.
Ihr Lieben, deshalb ist jede Form von Selbstvertrauen vor Gott völlig fehl am Platz. Wir sollten eingestehen, dass wir Sünder sind – wir alle sind sowohl Matthias als auch Otto zugleich – völlig abhängig von Gottes Gnade.
Dann dürfen wir unser Vertrauen dahin setzen, wo es hingehört: nicht auf uns selbst, sondern auf Gott, auf unseren Herrn Jesus Christus.
Zum Abschluss möchte ich drei verschiedene Gruppen unter uns ansprechen. Ich denke, jeder von uns gehört mindestens in eine dieser Gruppen, vielleicht auch in mehr als eine.
Da sind zum einen die, die schon lange zur Gemeinde gehören, die sich für halbwegs gute Christen halten – natürlich nicht so wie Matthias, das haben wir gelernt –, aber vielleicht doch ein bisschen so. Diejenigen, die tendenziell auch mal auf andere herabschauen.
Solche Menschen, Menschen wie mich, ruft dieser Text zur Buße und Umkehr. Lasst uns den Herrn bitten, uns zu vergeben für unser völlig unangemessenes Vertrauen auf das, was wir bringen oder tun können.
Lasst uns den Herrn bitten, unsere Herzen zu verändern, damit wir nicht mehr überheblich sind und uns nicht über andere erheben. Denn letztlich sind wir alle Sünder, die vollkommen auf Gottes Gnade angewiesen sind. Selbst unsere besten Taten sind noch schmutzige Lumpen vor dem heiligen Gott.
Dann gibt es vielleicht eine andere Gruppe unter uns. Vielleicht gehörst du dazu. Du kommst schon eine ganze Weile in die Gemeinde, handelst vielleicht ein bisschen wie Matthias, bist aber tief in deinem Innern ziemlich verzweifelt, weil du weißt, dass du zwar eine fromme Maske aufsetzen kannst, aber dahinter nicht viel ist.
Weil dir bewusst ist, dass du die Menschen um dich herum blenden kannst, aber nicht Gott.
Diese Menschen möchte ich ermutigen und gleichzeitig herausfordern: Hör auf zu meinen, du müsstest dir Gottes Gnade verdienen. Auch diese Verzweiflung ist Ausdruck eines falschen Denkens.
Woran verzweifelst du? Meinst du, der Herr nimmt dich an, wenn du ein bisschen mehr betest, mehr tust, es schaffst, eine Sünde seltener oder gar nicht mehr zu begehen? Ist das die Grundlage deiner Hoffnung?
Dann vertraust du letztlich auch auf dich selbst.
Ich möchte dich ermutigen: Setze dein Vertrauen ganz und gar auf den gnädigen Gott. Wende dich ihm zu und schau von dir weg.
Ganz ehrlich, auch hier spreche ich aus eigener Erfahrung: Immer wenn ich denke, ich müsse mich verbessern oder etwas tun, ist das Krampf und führt zu Frust. Es nimmt jegliche Motivation.
Aber wenn ich erkenne, dass Gott mich bedingungslos liebt, dass er mich angenommen hat – nicht für etwas, das ich leiste –, dann werde ich freigesetzt. Freigesetzt zu einem veränderten Leben, freigesetzt, immer wieder aufzustehen, wenn ich gefallen bin, weil ich weiß, dass mein gnädiger Gott mich aufrichtet.
So kann ich mich von Gott verändern lassen – nicht weil ich muss, damit er mich noch mehr liebt, sondern weil er mich liebt und mich verändern möchte.
In zwei Wochen werden wir zu dem Zöllner Zachäus kommen. Er erlebt die Gnade des Herrn Jesus Christus ohne eigene Leistung und darf erleben, wie die Gnade Jesu ihn verändert. Das wünsche ich dir von Herzen.
Hör auf zu denken, du müsstest etwas leisten, und du wirst erleben, dass du kannst.
Vielleicht gehörst du in eine dritte Gruppe. Für dich macht das bisher Gesagte noch nicht viel Sinn. Du hörst Jesu Worte, dass er die, die sich selbst erhöhen, erniedrigen wird, und die, die sich selbst erniedrigen, erhöhen wird, und fragst dich: Was soll das mit Erhöhen und Erniedrigen?
Was Jesus hier andeutet und bereits mehrfach im Lukasevangelium angedeutet hat, ist, dass er nicht nur am Kreuz sterben wird, sondern von den Toten auferstehen wird.
Er wird auffahren in den Himmel zum Vater und eines Tages wiederkommen, um zu richten die Lebenden und die Toten.
Dann wird er die Menschen anschauen. Diejenigen, die meinen, etwas zu ihm bringen zu können, die auf sich selbst vertrauen, wird er fragen: „Zeig mir, was du hast!“ Er wird sagen: „Das reicht nicht.“ Diese Menschen werden erniedrigt werden – in den Abgrund des ewigen Verderbens.
Die aber, die zu ihm kommen und sagen: „Ich habe nichts, ich habe Jesus, ich klammere mich an ihn und bitte um deine Gnade“, die wird er aufrichten, erhöhen und sagen: „Komm, komm in meine Gegenwart, komm in die Herrlichkeit des Herrn für alle Ewigkeit!“
Lieber Freund, dieser Tag wird kommen, und ich möchte dich ermutigen: Nimm das ernst!
Das mag dir jetzt noch weit weg erscheinen, aber eines Tages wird es Realität sein.
Ich möchte, dass du an diesem Tag die Herrlichkeit des Herrn genießen darfst. Deshalb lade ich dich ein, mit dem Zöllner zu beten und dem Herrn das zu bringen, was seinem Anspruch nicht genügt: all die Gedanken, Worte und Taten, die nicht von Liebe, Heiligkeit und Güte Gottes geprägt waren.
Bring sie ihm und sage: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Ich bete mit uns:
Himmlischer Vater, danke, dass du uns durch dein heiliges Wort herausforderst und uns einen Spiegel vorhältst. Danke, dass du deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt hast. Jesus hat nicht nur so gelebt, wie wir hätten leben sollen – voller Liebe, Güte, Gehorsam und Gerechtigkeit –, sondern durch ihn hast du auch zu uns Menschen gesprochen.
Danke für dieses Gleichnis und dass Jesus es nicht scheute, die Menschen zu konfrontieren. Danke, dass dein Wort lebendig und kraftvoll ist und auch uns heute herausfordert.
Wir bitten dich, dass dein Wort auf fruchtbaren Boden fällt, unsere Herzen erreicht und verändert. So kommen wir nicht überheblich und mit falschem Selbstvertrauen zu dir, sondern voll Vertrauen auf den Gott, der Sündern gnädig ist.
Danke, dass du dieser Gott bist. Danke für deine freie Gnade. Gepriesen seist du dafür.
In Jesu Namen, Amen.
Die Zielgruppe Jesu: Menschen mit Selbstvertrauen und Verachtung
Zuerst zu Vers neun: Hier erfahren wir, wen Jesus konkret anspricht. Die Lutherübersetzung, die ich gerade gelesen habe und die wir hier typischerweise verwenden, hat diesen Vers leider recht schlecht übersetzt. Wir schätzen die Lutherübersetzung, aber bei diesem Vers ist leider einiges schiefgelaufen. Fast alle anderen Übersetzungen geben diesen Text einhellig anders wieder.
Deshalb möchte ich uns den Text noch einmal nach der Schlachterübersetzung vorlesen. Ihr seht ihn auch gleich auf der Folie eingeblendet. Dort heißt es: Jesus sagte aber auch zu etlichen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien und die übrigen verachteten.
Jesus spricht hier zu Menschen, die auf sich selbst vertrauen, die sich für gerecht halten und die andere Menschen verächtlich anschauen. Nun stellt sich die Frage: Was hat das mit uns zu tun? Was bedeutet das ganz konkret für dich und für mich?
Ich denke, wir alle sind durch unsere Umwelt geprägt. Wir sind darauf getrimmt, auf uns selbst zu vertrauen. Und ich glaube, keiner von uns ist wirklich frei davon, andere zu bewerten, auf andere aufzusehen oder auch auf andere herabzusehen.
Wir bewundern Menschen, die es geschafft haben, die vielleicht einen sehr guten Job haben, einen adretten Ehepartner und nette, gut erzogene Kinder. Menschen, die einen gewissen Standard wahren. Auch im christlichen Kontext gibt es solche, die sich hervorheben: Sie sprechen in der Gemeinde bei Gebetsgemeinschaften perfekt formulierte Gebete, sind immer da und pünktlich, kennen sich gut in der Bibel aus und bekleiden vielleicht sogar ein wichtiges Amt. Das sind Menschen, die wir achten und zu denen wir aufblicken.
Auf der anderen Seite gibt es sicher auch Menschen, auf die wir vielleicht nicht ganz bewusst, aber doch eher herabsehen. Menschen, die einfach ein bisschen weniger haben oder viele Probleme mit sich herumtragen. Das zeigt sich darin, dass wir die einen viel schneller begrüßen und ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Die anderen lassen wir eher links liegen.
Den einen sind wir bereit, immer zu helfen, wenn sie eine Not haben. Die anderen haben sowieso immer Nöte, da kann man nichts mehr machen. Wenn die einen etwas Schweres erleben, haben wir Mitleid und sagen: Das hat er nicht verdient. Bei den anderen sagen wir eher: Typisch, das hat ganz sicher mit ihr selbst zu tun.
Ganz ehrlich, kennen wir das nicht? Von daher hoffe ich, dass wir Jesu Worte hier nicht wie neutrale Beobachter hören, als wären sie für Menschen, mit denen das eigentlich nichts zu tun hat. Vielleicht können wir sie ja noch einmal anhören, weil sie uns helfen, denen, die so sind, zu Recht zu helfen.
Nein, diese Worte sind für dich und ganz sicher auch für mich. Lasst uns diese Worte so hören – in einer gewissen Demut und mit der Bereitschaft, uns von Gott korrigieren und herausfordern zu lassen.
Das Gleichnis im Original: Pharisäer und Zöllner im Tempel
Und so möchten wir das Gleichnis nun betrachten. Ich möchte uns noch einmal die Verse 10 bis 13 lesen:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute – Räuber, Betrüger, Ehebrecher – oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Der Zöllner aber stand ferner, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“
Ja, wir lernen hier gleich die beiden Protagonisten dieses Gleichnisses kennen: einen Pharisäer und einen Zöllner. Beide gehen zum Tempel, um zu beten. Nun besteht ein gewisses Risiko, dass wir durch unser Lesen des Neuen Testaments mit diesen beiden Gruppen schon vertraut sind. Wir neigen vielleicht dazu, die Pharisäer als Menschen zu sehen, mit denen Jesus immer Streit hatte, und sie deshalb irgendwie als böse einzustufen. Die Zöllner hingegen erscheinen uns oft in einem besseren Licht bei Jesus.
Dadurch entsteht möglicherweise eine automatische Sympathie für den Zöllner und eine gewisse Missachtung oder ein kritisches Urteil gegenüber dem Pharisäer.
Das ist jedoch nicht das, was die ersten Zuhörer des Gleichnisses gedacht hätten. Für sie war klar: Pharisäer waren richtig gute Leute, angesehene Menschen, die viel erreicht hatten. Es waren fromme Leute, die die Gebote hielten und sehr darauf bedacht waren. Sie hatten einen hohen gesellschaftlichen Status und galten als die Guten.
Die Zöllner dagegen waren die Schlechten, die Bösen. Das waren Menschen, die in der Gesellschaft kaum einen guten Job bekommen konnten und sich dann dazu entschieden hatten, das zu tun, was eigentlich nicht akzeptiert wurde: mit der feindlichen Besatzungsmacht zusammenzuarbeiten. Sie schlugen sich auf die Seite der Römer – nicht, weil sie die Römer toll fanden, sondern weil es ein Weg war, sich selbst zu bereichern.
Das heißt, sie kooperierten mit den Römern und nahmen von ihren eigenen Landsleuten Zoll ein, um es dem Feind zu geben. Diese Menschen wurden total verachtet; sie waren der Abschau der Gesellschaft.
In zwei Wochen werden wir einen weiteren Zöllner treffen: Zachäus. Im Fortgang wird Jesus ihm begegnen. Wir werden sehen, wie Zachäus nicht einmal in die Nähe von Jesus kommen kann, weil die Menschen ihn wegblockieren und sagen: „Der nicht in meiner Nähe!“ So muss Zachäus schließlich auf einen Baum klettern, um Jesus sehen zu können.
Das Gleichnis in unsere Zeit übertragen: Matthias und Otto
Ich möchte uns helfen, noch besser zu verstehen, was dieses Gleichnis für die ersten Zuhörer bedeutet haben muss. Dazu habe ich versucht, es in unsere Zeit zu übertragen. Das ist nicht Gottes Wort, sondern einfach mein Versuch, die Worte, die Jesus hier spricht, in unsere heutige Zeit zu transportieren. Hör einfach mal zu!
Es kamen zwei Männer zum Gottesdienst. Der eine, nennen wir ihn Matthias, der andere Otto. Matthias kam wie jeden Sonntag pünktlich zum Gottesdienst. Bevor er seinen Platz ganz vorne in der Gemeinde einnahm, blieb er einen Moment stehen, um zu beten. Dann setzte er sich und grüßte die Menschen um sich herum sehr höflich. Beim ersten Ton des Vorspiels verstummte er sofort und deutete an, dass nun Zeit zum Schweigen ist.
Bei den Liedern sang er mit, ohne Gesangbuch, denn er kannte alle Texte und Melodien. Er war sowieso bei jedem Gebetstreffen dabei, auch bei jedem Zoom-Gebetstreffen war Matthias dabei. Und auch bei der Gebetsgemeinschaft im Gottesdienst ist er ein regelmäßiger Beter.
An diesem Sonntag dankte er dem Herrn. Er dankte ihm dafür, dass der Herr ihn vor vielem Schlechten in seinem Leben bewahrt hat. Er dankte dafür, dass er im Vergleich zu vielen seiner Freunde nicht dem Alkohol verfallen ist, dass er seine Ehe nicht gegen die Wand gefahren hat, dass er seine Zeit nicht mit Computerspielen vergeudet und auch keine krummen Dinge dreht.
Er dankte dem Herrn für einen guten Job und dafür, dass er ihn so befähigt hat, großzügig zu geben. Er konnte einem Freund in großer Not helfen und hatte auch diese Woche wieder die Gelegenheit, das Evangelium weiterzusagen. All das brachte er in seinem Gebet vor.
Dann ist da Otto. Otto kam zu spät. Als er durch die Tür kam, roch man sofort, dass er gerade noch eine Zigarette geraucht hatte. Man roch auch noch den Alkohol vom letzten Abend. Otto war mal wieder arbeitslos. Um sich Zigaretten und Schnaps noch irgendwie leisten zu können, hatte er die Unterhaltszahlung für seine zwei Kinder eingestellt, die aus unterschiedlichen nichtehelichen Beziehungen stammen. Er war mehrfach wegen Drogen und Dealerei vorbestraft und fühlte sich in der Gemeinde relativ deplatziert.
Aber er fand einen Platz in der letzten Reihe. Das war eine gute Gelegenheit für ihn, um den kritischen Blicken anderer Menschen auszuweichen. Während der Gebetsgemeinschaft wusste er nicht, was er machen sollte. Soll er aufstehen, sitzen bleiben, Hände falten? Was tue ich überhaupt? Er blieb stumm, natürlich. Er hatte nichts zu beten. Aber tief im Innern war da so ein Ruf: „Gott, gibt es noch eine Chance für mich?“
Was hältst du von diesen beiden? Ganz ehrlich, ich hoffe, du hast Sympathien für Matthias. Er ist doch echt ein guter Typ, ein feiner Kerl. Und gegen sein Gebet kann man doch eigentlich nichts einwenden, oder? Schließlich dankt er Gott, so wie der Pharisäer das ja auch getan hat. Er dankt dafür, dass er eben kein Räuber, Trüger oder Ehebrecher ist. Er dankt für das Gute, das Gott ihm geschenkt hat, und für das Schlechte, vor dem Gott ihn bewahrt hat.
Das war eigentlich ein gutes Gebet. Ein bisschen Dankbarkeit hat man nie geschadet. Es ist ja nichts Falsches daran, Gott dafür zu danken, dass er seiner Frau treu ist. Und wenn er in seinem Gebet auch noch vorbringt, wie Gott ihn dazu befähigt hat, anderen zu helfen, großzügig zu geben und das Evangelium weiterzusagen, dann müssen wir sagen: Das ist doch aller Ehren wert, oder?
Ich möchte uns einfach davor bewahren, zu schnell einen kritischen Blick auf Matthias zu werfen, auf den Pharisäer. Das ist ein guter Mann, einer, wie ihn viele bei uns in der Gemeinde haben. Nicht nur die, die Matthias heißen, viele andere auch. Vielleicht bist du einer wie Matthias, ich bin so einer.
Von daher möchte ich uns ermutigen, nicht tief im Inneren schon an die Stelle zu kommen, wo wir sagen: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie Matthias.“
Und auf der anderen Seite haben wir Otto. Solche Leute kennen wir doch auch, oder? Einer, der vielleicht alle Jubeljahre mal auftaucht. Wir kennen ihn schon vom letzten Mal, da kam er auch drei, vier Mal. Abgerissen war er, gerochen hat er, echt schwierig. Und dann kommt er immer wieder in den Gottesdienst, so wie er ist. Er könnte sich ja wenigstens mal ein bisschen zurechtmachen, wenigstens mal das Rauchen und Trinken sein lassen, mal seine Verantwortung für all den Mist, den er gebaut hat, wahrnehmen.
Und dann hat man so den Eindruck, dass er meint, er sei irgendwie so vor Gott in Ordnung. Also wirklich, der soll erst mal anfangen, sein Leben in Ordnung zu bringen. Kennst du das Denken? Ganz ehrlich, ist es dir noch nie passiert, in deinen Gedanken, in deinem Herzen?
Ihr Lieben, ich hoffe, wir bekommen ein Gefühl dafür, wie dieses Gleichnis für die Zuhörer damals geklungen haben muss. Und ich hoffe, dass wir uns mit dieser inneren Haltung jetzt bereit machen können, um zu hören, was Jesus nun zu sagen hat.
Die Auslegung des Gleichnisses: Rechtfertigung und Warnung
In Vers 14 lesen wir die Beurteilung. Jesus sagt: „Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.“ Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Ich bin mir sicher, die ersten Worte kamen für seine Zuhörer wie ein Schock. „Ich sage euch, dieser“ – ganz klar meint er den Zöllner, diesen Otto. „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“ Wie kann das sein? Dieser Otto, der Zöllner – wie kann der gerechtfertigt sein? Was an ihm ist denn gerecht? Das war doch ganz offensichtlich kein guter Mensch. Das kann doch nicht sein!
Richtig schockiert sind die Zuhörer dann bei den nächsten zwei Worten: „Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.“ Was? Der Zöllner gerechtfertigt, der – und nicht jener, der Pharisäer? Dieser ehrenwerte Mann, dieser Matthias – wie kann das sein?
Jesus beantwortet diese Frage, indem er sagt: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Jesus macht damit deutlich, das ist das Problem des Pharisäers. Obwohl er scheinbar anerkennt, dass Gott ihm irgendwie dabei geholfen hat, das zu sein, was er ist, was er hat und was er tut, schallt kein dankbares Lob zu Gott. Nein, er erhöht sich selbst.
Er erhöht sich selbst, indem er voll Verachtung auf Menschen wie den Zöllner herabsieht. „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, wie die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder gar wie dieser Zöllner.“ Und dann verweist er stolz auf das, was er ist und tut: „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Dann stellt sich die Frage, wem er das eigentlich gerade sagt. Musste Gott das noch einmal gesagt werden? Brauchte Gott die Erinnerung daran? Oder sagte er das vielleicht, damit die Menschen das auch hören?
Ich glaube, sein Gebet offenbart, worauf er vertraut: Er vertraut auf sich selbst. Er ist genau wie die Menschen, die Jesus in Vers 9 anspricht – die etlichen, die auf sich selbst vertrauen, dass sie gerecht seien, und die übrigen verachten.
Das ist genau die Funktion dieser Aussage hier. Jesus spricht Menschen an und malt das Bild eines Pharisäers – und das ist genau dieser Mensch. Wir sehen in dem Schaubild genau das: Wir sehen, wie sich diese Menschen, diese Pharisäer, diese Matthiasfiguren oft eingruppieren, natürlich unter Gott. Natürlich ist da eine Distanz zu Gott, aber sie sind nah dran, sie haben es im Prinzip fast geschafft und brauchen noch ein bisschen Unterstützung von Gott.
Und dann gibt es diese anderen, die da unten stehen – den Abschau, die Zöllner, den Otto, Räuber, Ehebrecher, Betrüger.
Das ist das Problem im Denken vieler Menschen: Sie überschätzen die Unterschiede zwischen den Menschen und unterschätzen die Distanz zu Gott.
Wie ist das bei dir? Bist du schnell dabei, dich zu vergleichen? Und vor allem: Wie trittst du vor Gott? Meinst du, Gott beeindrucken zu können oder vielleicht auch beeindrucken zu müssen?
Die Botschaft Jesu: Warnung vor Selbstvertrauen und Einladung zur Gnade
Jesus hat eine klare Botschaft für dich: Es ist sehr gefährlich, mit Selbstvertrauen zu Gott zu kommen. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.
Jesus erzählt dieses Gleichnis, um deutlich zu machen, dass jede Form von Selbstvertrauen vor Gott zum Scheitern verurteilt ist. Jeder, der meint, vor Gott etwas vorweisen zu können oder auch zu müssen, hat noch nicht verstanden, warum Jesus gerade unterwegs ist – auf dem Weg zum Kreuz.
Jesus erzählt dieses Gleichnis kurz bevor er nach Jerusalem kommt, um dort am Kreuz zu sterben. Er geht diesen Weg gerade, weil wir Menschen absolut nichts haben, womit wir vor Gott bestehen können. Er kommt für Menschen, die das anerkennen. Er kommt für Sünder. Er kommt als Retter für Menschen, die ohne ihn völlig verloren wären.
Er kommt für Menschen, die das erkennen, was der Zöllner hier ohne Umschweife anerkennt. Der Zöllner versucht gar nicht erst, etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen. Er kommt mit leeren Händen – oder vielleicht richtiger: Er kommt mit all seinem Dreck, denn er erkennt an, dass er ein Sünder ist, der ganz und gar auf Gottes Gnade angewiesen ist.
Und, ihr Lieben, das trifft auch auf uns alle zu. Wir alle verfehlen den Anspruch des heiligen Gottes meilenweit. Wir überschätzen oft den Unterschied zwischen den ganz moralischen und den ganz sündigen Menschen. Wir denken, es gibt eine große Hierarchie. Aber aus dem Blickwinkel Gottes sind wir alle auf der gleichen Ebene – weit weg von ihm.
Wir alle verfehlen den Anspruch Gottes. Jesus allein erfüllt diesen Anspruch. Er ist der Einzige, der wirklich das getan hat, was getan werden musste. Er ist der Einzige, der es verdient, dass wir zu ihm aufsehen. Denn er hat das Leben gelebt, das wir hätten leben sollen. Er war wirklich vollkommen gut.
Er gab nicht nur einen Zehnten von allem, was er hatte. Er gab sich voll und ganz Gott hin. Er fastete nicht zweimal am Tag oder zweimal in der Woche, um irgendetwas in seiner Beziehung zu Gott zu tun. Er lebte in intimer Gemeinschaft, in ständiger Beziehung zu Gott, dem Vater. Es gab keinen Moment, in dem sein Leben nicht Lobpreis Gottes war.
Und dann ging er den Weg zum Kreuz, um dort die gerechte Strafe auf sich zu nehmen, die wir Sünder verdient hätten – die Otto verdient hätte, aber auch Matthias, der Zöllner und der Pharisäer. Er trug unsere Schuld, sodass jeder, der ihm nun seine Schuld bringt, ihm die Schuld geben kann und wissen kann: Jesus nimmt sie an.
Wir dürfen zu ihm kommen und sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Das ist das, was der Herr Jesus Christus für jeden tut, der zu ihm kommt in Demut. Wer meint, sich selbst erhöhen zu müssen und sagt: „Du kannst was für mich tun, Jesus, vielleicht ein bisschen, aber ich bringe mal ganz viel mit“, der hat sich selbst erhöht und wird erniedrigt werden.
Aber wer zu Jesus kommt und sagt: „Ich komme mit leeren Händen, nein, ich komme mit all meinem Dreck, mit all meinem Versagen, mit all meiner Halbherzigkeit“, den nimmt Jesus an. Den wird er zu seiner Zeit erhöhen.
Ihr Lieben, deswegen ist jede Form von Selbstvertrauen vor Gott völlig deplatziert. Wir sollten eingestehen, dass wir Sünder sind. Wir alle sind – Matthias und Otto zugleich – völlig abhängig von Gottes Gnade. Und dann dürfen wir unser Vertrauen dahin setzen, wo es hingehört: nicht auf uns selbst, sondern auf Gott, auf unseren Herrn Jesus Christus.
Ansprache an verschiedene Gruppen in der Gemeinde
Und so möchte ich zum Abschluss dieser Predigt drei verschiedene Gruppen unter uns ansprechen. Ich denke, jeder von uns gehört mindestens einer dieser Gruppen an, vielleicht sogar mehreren.
Zum einen gibt es diejenigen, die schon lange zur Gemeinde gehören. Das sind Menschen, die sich für halbwegs gute Christen halten – natürlich nicht so wie Matthias, das haben wir jetzt gelernt –, aber vielleicht doch ein bisschen so. Es sind diejenigen, die tendenziell auch mal auf andere herabsehen. Solche Menschen, Menschen wie mich, ruft dieser Text zur Buße und zur Umkehr.
Lasst uns den Herrn bitten, uns zu vergeben für unser völlig unangemessenes Vertrauen auf das, was wir bringen können, auf das, was wir tun können. Lasst uns den Herrn bitten, unsere Herzen zu verändern, sodass wir uns nicht mehr überheben und uns nicht über andere erheben. Denn letztendlich sind wir doch alle so wie der Sünder – Menschen, die vollkommen auf Gottes Gnade angewiesen sind. Selbst unsere besten Taten sind noch schmutzige Lumpen vor dem heiligen Gott.
Dann gibt es unter uns vielleicht noch eine andere Gruppe. Vielleicht gehörst du in diese Gruppe. Vielleicht bist du jemand, der auch schon eine ganze Zeit in die Gemeinde kommt, vielleicht sogar ein bisschen so handelt wie Matthias, aber tief in deinem Inneren eigentlich ziemlich verzweifelt ist. Du weißt, dass du zwar eine fromme Maske hinkriegst, aber dahinter nicht viel ist. Und weil dir bewusst ist, dass du vielleicht die Menschen um dich herum blenden kannst, aber nicht Gott.
Den möchte ich einerseits ermutigen, aber andererseits auch wirklich herausfordern. Hör auf zu meinen, dass du dir Gottes Gnade irgendwie verdienen musst. Denn auch dieses Denken, selbst diese Verzweiflung, ist ein Ausdruck davon, dass du falsch denkst. Woran verzweifelst du? Meinst du, der Herr nimmt dich an, wenn du ein bisschen mehr betest, wenn du irgendetwas ein bisschen mehr tust, wenn du es schaffst, eine Sünde etwas seltener zu begehen oder gar nicht mehr? Ist das die Grundlage deiner Hoffnung? Dann vertraust du doch letztendlich auch auf dich.
Ich möchte dir ermutigen: Setze dein Vertrauen ganz und gar auf den gnädigen Gott. Wende dich ihm zu und schau von dir weg. Und ganz ehrlich, auch hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Immer da, wo ich meine, ich muss jetzt etwas tun, ich muss mich jetzt verbessern – das ist Krampf. Es führt nur zu Frust und nimmt mir jegliche Motivation.
Aber dort, wo ich erkenne, dass Gott mich bedingungslos liebt, dass er mich angenommen hat, nicht für irgendetwas, das ich leiste, da werde ich freigesetzt. Da werde ich freigesetzt zu einem veränderten Leben. Da werde ich freigesetzt, immer wieder aufzustehen, wenn ich gefallen bin, weil ich weiß, dass mein gnädiger Gott mich aufhebt. So kann ich mich von Gott verändern lassen – nicht weil ich muss, damit er mich noch weiter liebt, sondern weil er mich liebt und mich verändern möchte.
In zwei Wochen werden wir zu dem Zöllner Zachäus kommen. Er erlebt die Gnade des Herrn Jesus Christus ohne eigene Leistung. Und er darf dann erleben, wie die Gnade Jesu ihn verändert.
Das wünsche ich dir von Herzen: Hör auf zu denken, du musst, und dann wirst du erleben, dass du kannst.
Einladung an Suchende und Unentschlossene
Aber vielleicht gehörst du in eine ganz andere Kategorie. Vielleicht macht für dich all das, was ich bisher gesagt habe, noch nicht so viel Sinn. Vielleicht hörst du Jesu Worte, dass er die, die sich selbst erhöhen, erniedrigen wird, und die, die sich selbst erniedrigen, erhöhen wird, und fragst dich, was es damit überhaupt auf sich hat. Was soll dieses Erhöhen und Erniedrigen?
Nun, was Jesus hier andeutet – und was er auch zuvor im Lukas-Evangelium schon mehrfach angedeutet hat – ist, dass er eines Tages nicht nur am Kreuz sterben wird, sondern auch von den Toten auferstehen wird. Er würde auffahren in den Himmel zum Vater. Und von dort würde er eines Tages wiederkommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.
Dann kommt der Moment, in dem er die Menschen anschaut. Die Menschen, die dann meinen, etwas zu ihm bringen zu können und auf sich selbst vertrauen, wird Jesus sagen: „Zeig mir, was du hast.“ Er wird ihnen sagen, dass das nicht reicht. Sie werden erniedrigt werden und in den Abgrund des ewigen Verderbens fallen.
Aber die, die zu ihm kommen und sagen: „Ich habe nichts, ich habe Jesus, ich klammere mich an ihn und bete um deine Gnade“, die werden aufgerichtet und erhöht werden. Jesus wird zu ihnen sagen: „Komm, komm in meine Gegenwart, komm in die Herrlichkeit des Herrn für alle Ewigkeit!“
Lieber Freund, dieser Tag wird kommen, und ich möchte dich wirklich ermutigen: Nimm das ernst! Das mag dir alles noch ganz weit weg erscheinen, aber eines Tages wird es Realität sein. Ich möchte, dass du an diesem Tag die Herrlichkeit des Herrn genießen darfst.
Deshalb lade ich dich ein, mit dem Zöllner zu beten. Bring dem Herrn das, was nicht seinem Anspruch genügt: all die Gedanken, all die Worte und all die Taten, die nicht geprägt waren von Liebe, Heiligkeit und Güte Gottes. Bring sie ihm und sage: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“
Schlussgebet
Ich bete mit uns. Himmlischer Vater, danke, dass du uns durch dein heiliges Wort herausforderst und uns einen Spiegel vorhältst. Danke, dass du deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt hast. Jesus hat nicht nur für uns so gelebt, wie wir hätten leben sollen – voller Liebe, voller Güte, voller Gehorsam und Gerechtigkeit –, sondern du hast auch durch deinen Sohn Jesus Christus zu uns Menschen gesprochen.
Danke für dieses Gleichnis. Danke, dass Jesus es nicht scheute, die Menschen zu konfrontieren. Und danke, dass dein Wort lebendig und kräftig ist und auch uns hier und heute herausfordert.
Wir wollen dich bitten, dass dein Wort auf fruchtbaren Boden fällt und unsere Herzen erreicht und verändert. So kommen wir nicht überheblich und nicht mit falschem Selbstvertrauen zu dir, sondern voll Vertrauen auf den Gott, der Sündern gnädig ist.
Danke, dass du dieser Gott bist. Danke für deine freie Gnade. Gepriesen seist du dafür, in Jesu Namen. Amen.