Einführung in ein herausforderndes Thema
Das Thema heute ist ein wenig schwierig, weil manchmal gerade die Themen am schwierigsten sind, die man eigentlich verstehen kann, und nicht die, die man nicht versteht. Jemand hat einmal gesagt: „Ich beunruhige mich nicht wegen der Bibelstellen, die ich nicht verstehe, sondern wegen der Bibelstellen, die ich verstehe.“
Daher gibt es heute einen Bibelabschnitt, den man gut verstehen kann, der aber für uns nicht so leicht umzusetzen ist. Das liegt zum Teil an uns selbst und zum Teil an der Umgebung und Gesellschaft, in der wir leben.
Obwohl wir uns immer noch im ersten Timotheusbrief befinden, sprechen wir heute nicht so sehr über die schlechten Einflüsse, vor denen man die Gemeinde schützen muss. Wir reden kaum über Gemeinde, Gemeindestrukturen oder Gemeindepraxis. Stattdessen geht es heute ganz einfach um Materialismus.
Materialismus ist ein Thema in unserer Gesellschaft, das so unsichtbar ist wie die Luft, die wir atmen. Deshalb lautet der Predigtitel heute auch „Die Luft, die wir atmen“. Es ist so selbstverständlich, dass wir in einer Gesellschaft leben, deren Wirtschaftsstruktur auf Materialismus aufgebaut ist.
Wir leben in einer freien Marktwirtschaft, in der es notwendig ist, materialistisch zu sein, um voranzukommen. Konkurrenz und Materialismus sind die Kräfte, die unsere Wirtschaft am Laufen halten. Deshalb bemerken wir das oft gar nicht, weil wir so tief darin leben, dass es für uns selbstverständlich geworden ist.
Kontext und Hintergrund im ersten Timotheusbrief
Paulus spricht am Ende des ersten Timotheusbriefes, also fast zum Schluss, über ein bestimmtes Thema. Wie kommt er plötzlich darauf? In den Kapiteln eins bis vier ging es hauptsächlich darum, dass es schädliche Einflüsse in der Gemeinde gab. Diese kamen zum Teil von außen, von Gruppen, die gerne Einfluss auf die Gemeinde nehmen wollten. Sie wollten Anhänger gewinnen, die an bestimmten Hoffnungen festhielten und vielleicht auch den einen oder anderen Gewinn daraus ziehen wollten.
Innerhalb der Gemeinde gab es auch Leute, die solche Lehren übernommen hatten, manchmal ohne sie richtig zu verstehen. Hauptsächlich versuchten diese Personen, sich selbst zu profilieren. Die Themen in den ersten vier Kapiteln des ersten Timotheusbriefes, sowohl von außen kommende als auch von innen verbreitete, waren vor allem alttestamentliche Themen. Es ging um bestimmte Regeln, die herausgegriffen wurden, mit der Behauptung, dass diese auch in der christlichen Gemeinde eine Rolle spielen müssten. Dazu kamen viele Spekulationen über das Alte Testament sowie zahlreiche Aspekte der Askese. Das waren die Hauptthemen der ersten vier Kapitel.
In den Kapiteln fünf und sechs ändert Paulus den Schwerpunkt etwas. Der Anlass dafür scheint eine andere Strömung zu sein, die in die Gemeinden kam. Diese Strömung vermittelte den Geschwistern, dass das Christentum auch eine soziale Veränderung bedeutet, quasi eine soziale Revolution. Wenn jemand vorher Sklave oder Knecht war, dann sei er durch Christus befreit. Deshalb müsse er sich auch von seinen Herren lösen und ein wenig aufbegehren. Besonders wenn es sich um gläubige Herren handelte, sei es nicht mehr möglich, dass diese weiterhin Befehle geben. Denn sie seien jetzt Brüder, und das könne so nicht bleiben.
Diese Bewegung war eine Art Befreiungstheologie, die viel mit materiellen Dingen zu tun hatte. Den Geschwistern wurde vermittelt, dass sie durch den Glauben eine andere soziale Stellung erhalten könnten. Sie hätten jetzt vielleicht mehr Möglichkeiten, an materielle Ressourcen zu gelangen, die ihnen als Sklaven oder Knechten vorher verwehrt waren. Hinter diesen Lehren standen aber auch ganz reale materielle Interessen derjenigen, die diese Ideen verbreiteten. Sie wollten selbst einen Gewinn daraus ziehen.
Wahrscheinlich traf das nicht nur auf die Verkünder der sozialen Revolution zu, sondern auch auf diejenigen, die in den Kapiteln eins bis vier alttestamentliche Lehren verbreiteten. Einige von ihnen wollten Anhänger gewinnen, diese vielleicht finanziell unterstützen und selbst davon profitieren.
Paulus nimmt dies zum Anlass, grundsätzlich etwas zum Thema Materialismus zu sagen. Das, was ich eben beschrieben habe, findet sich im ersten Timotheusbrief, Kapitel 6, ab der zweiten Hälfte von Vers fünf. Dort spricht Paulus von Leuten, die einen Defekt in ihrem Denken haben. Ihnen wurde ein Teil der Wahrheit genommen, und sie meinen, Gottseligkeit sei ein Mittel zum Gewinn. Sie hoffen also, gesellschaftlich, sozial oder materiell von ihrem Glauben, ihrer Lehre und Verkündigung zu profitieren.
Paulus sagt dazu: Das ist völlig falsch. Es geht nicht um materiellen Gewinn auf dieser Erde. Den größten Teil des restlichen Briefes widmet er dem Thema Geld, Materialismus und den Gefahren, die damit für Christen verbunden sind. Er erklärt auch, wie man richtig damit umgeht, falls man aus irgendeinem Grund Geld besitzt.
Der Brief endet nicht ganz damit. In den Versen 20 bis 21 fasst Paulus noch einmal kurz zusammen, dass der Schwerpunkt damals in Ephesus auf theologischen Irrlehren lag. Aber von Kapitel 6, Vers 6 bis Vers 19, entfernt er sich ganz von den Irrlehren und Gemeindethemen. Er spricht Timotheus ganz persönlich an. Das Thema ist auch für Timotheus und für alle Christen wichtig. Es ist ein Sog, in den man geraten kann, und dagegen muss man ankämpfen. Man muss darauf achten, dass man sich nicht von dieser Welt und allem, was man auf ihr erreichen oder besitzen kann, gefangen nehmen lässt.
Dieses Thema wollen wir uns heute gemeinsam anschauen. Es ist besonders relevant in unserer westlichen Gesellschaft, die von der freien Marktwirtschaft geprägt ist. Spannend ist, dass dieses Thema offensichtlich schon damals aktuell war, wenn auch in einer etwas anderen Form. Das werden wir noch sehen. Damals war die Beziehung zwischen Reich und Arm vermutlich noch ausgeprägter als heute.
In Deutschland gibt es eine sehr starke Mittelschicht, sodass wir oft gar nicht so deutlich erleben, dass es ganz Arme und ganz Reiche gibt. Diese beiden Gruppen sind vergleichsweise klein. Die Mehrheit ist eher homogen. Damals war das wahrscheinlich anders: Es gab eine wohlhabende Schicht und eine sehr große arme Schicht, und der Unterschied zwischen ihnen war sehr groß. Das ist natürlich eine spezielle Situation, aber ich glaube, dass vieles von dem, was Paulus sagt, auch heute sehr relevant für uns ist.
Die Grundthesen zum Umgang mit Materialismus
Ich lese 1. Timotheus 6,6-8, beginne aber noch einmal kurz mit Vers 5b, dem Ende. Dort heißt es, dass manche meinen, Gottseligkeit – also die Verehrung Gottes – sei ein Mittel, um Gewinn zu machen. Dabei denken sie entweder an Gewinn in Form von Ehre oder, im hier gemeinten Zusammenhang, an materiellen Gewinn.
In Vers 6 sagt Paulus: „Die Gottseligkeit mit Genügsamkeit aber ist ein großer Gewinn.“ Er fährt fort: „Denn wir haben nichts in die Welt hineingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinausbringen können.“ Und weiter: „Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen.“
Hier stellt Paulus am Anfang drei Grundthesen auf – einfache Aussagen zu diesem Thema. Er sagt, manche meinen, man könne materiellen Gewinn aus der Religion schlagen. In Wirklichkeit aber ist es ein großer Gewinn, Gott zu kennen und mit ihm zu leben – besonders, wenn dies mit Genügsamkeit verbunden ist.
Warum ist das seine erste These? Das ist eigentlich ganz logisch. Wenn ich eine Beziehung zu Gott habe, macht mich das innerlich reich. Es bereichert auch meine Beziehungen. Wenn eine Familie gemeinsam an Gott glaubt, festigt das die Beziehungen untereinander. Wir gehören zu einer großen Familie, zur Gemeinde, zur weltweiten Gemeinschaft. Wir können mit allem zu unserem Gott kommen, und das ist ein großer Reichtum.
Paulus sagt aber vor allem, dass es ein Reichtum ist, wenn diese Beziehung zu Gott mit Genügsamkeit verbunden ist. Denn dann entsteht keine ständige Unzufriedenheit durch materielle Dinge, kein Neid auf das, was andere haben. Wenn wir eine gute Beziehung zu Gott und zu unseren Geschwistern haben, sind wir innerlich reich. Kommt dann noch Genügsamkeit hinzu, also die Zufriedenheit mit dem, was wir materiell besitzen, dann ist das eine Kombination, die reich macht.
Je unzufriedener man mit seiner materiellen Situation ist, desto mehr wird man innerlich belastet und verliert einen Teil des Reichtums, den man durch die Beziehung zu Gott hat. Das ist Paulus’ erste These: Das Leben mit Gott oder das Christentum ist kein Mittel, um materiell reich zu werden. Es ist vielmehr ein Reichtum an sich – vor allem, wenn wir nicht von materiellen Interessen, Neid und Unzufriedenheit getrieben werden.
In Vers 7 sagt Paulus etwas, das für uns selbstverständlich ist und das wir oft hören. Es gibt dafür sogar Sprichworte in Deutschland. Wir haben nichts in diese Welt hineingebracht und können auch nichts mitnehmen. Paulus betont das, weil wir es oft vergessen. Wir tun so, als könnten wir uns hier auf Erden etwas aufhäufen und ein kleines Imperium aufbauen, das für immer hält. Aber das stimmt nicht.
Wir können nichts mitnehmen. Was Paulus nicht ausdrücklich sagt, was aber für ihn sicher wichtig ist, ist, dass das Leben nach diesem irdischen Leben wichtiger ist. Es dauert länger, und daher ist es logischerweise bedeutender als die Zeit auf der Erde. Deshalb sollten wir gut überlegen, worin wir auf dieser Erde investieren. Denn wir können nichts mitnehmen in das Leben, das länger dauert und wichtiger ist.
Das ist seine zweite These: Überlege dir, wo das wirkliche und wichtigere Leben ist. Und bedenke, dass du nichts von dem, was du hier anhäufst oder dir erträumst, mitnehmen kannst.
Die dritte These kommt in Vers 8 und ist wirklich eindrucksvoll. Paulus sagt: „Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen.“ Das ist weit entfernt von unserer heutigen Lebensrealität. Wir können uns kaum vorstellen, dass man mit dem zufrieden sein kann, was ausreichend und ausgewogen ist, um gesund zu bleiben. Nahrung zu haben und Bedeckung – also Kleidung, die uns schützt, und ein Dach über dem Kopf – das ist eigentlich genug.
Der Ausdruck „Bedeckung“ ist mehrdeutig. Er kann bedeuten, dass wir etwas zum Anziehen haben, um nicht zu frieren, und ein Dach über dem Kopf – am besten mit vier Wänden, die unseren Bereich schützen. Paulus meint, das ist eigentlich ausreichend, um zufrieden zu sein.
Wir haben heute so viel mehr, dass wir uns kaum vorstellen können, mit so wenig zufrieden zu sein. Der Ausdruck kann auch so verstanden werden, dass wir im Rückblick damit zufrieden sein werden, selbst wenn wir nicht mehr hatten. Oder dass wir jetzt damit zufrieden sein sollten.
Warum sollten wir zufrieden sein? Paulus’ persönliche Erfahrung spielt hier sicher eine Rolle. Er musste oft mit wenig zufrieden sein. Viele Menschen damals, auch viele Geschwister, hatten kaum mehr als das Nötigste zum Überleben. Höhere Ziele waren für sie außerhalb der Realität. Paulus sagt, wenn wir damit nicht zufrieden sind, ist das auch ein wenig arrogant gegenüber denen, die nichts mehr haben und nichts mehr anstreben können.
Das sollte man sich bewusst machen.
Zusammenfassend stellt Paulus drei Grundthesen auf:
Erstens: Genügsamkeit trägt dazu bei, dass wir innerlich reich sind. Denn wir werden nicht von Sorgen, Neid und Trauer zerfressen, weil uns etwas fehlt.
Zweitens: Wir können nichts mitnehmen in das Leben, das wirklich zählt.
Drittens: Es ist angemessen und logisch, zufrieden zu sein. Wer an die Ewigkeit glaubt, für den ist Zufriedenheit eine vernünftige und passende Haltung.
Warnung vor den Gefahren des Reichtums
Paulus schreibt in Vers neun und zehn und man spürt, dass er viele Erfahrungen gemacht hat. Er kennt Situationen, in denen Christen wirklich Schiffbruch erlitten haben – sowohl im Leben mit Gott als auch im persönlichen Leben.
Es geht hier nicht nur um das Leben mit Gott, sondern auch darum, wie Christen durch das Streben nach Reichtum Schiffbruch erlitten haben. Paulus zählt verschiedene Dinge auf, und man hat das Gefühl, dass immer mehr Bilder in seinem Kopf entstehen. Bilder von Menschen, die er kennt oder kannte und bei denen er die Erfahrung gemacht hat, dass sie sich vom Materialismus haben einfangen lassen. Dieses Verlangen danach, mehr zu besitzen, zu einer anderen Gesellschaftsschicht zu gehören, hat ihnen massiv geschadet.
Man hat den Eindruck, Paulus will die Menschen warnen – Timotheus und durch ihn auch andere, letztlich auch uns. Er hat so viele Beispiele vor Augen, bei denen diese Haltung in eine Katastrophe führte. Menschen wurden unzufrieden mit dem, was sie materiell hatten, und ließen sich in ein immer stärkeres Streben nach mehr hineinziehen. Sie wollten sich immer mehr leisten können und mehr Sicherheiten haben. All das sind zentrale Aspekte des Materialismus.
Vor allem aber, und das spielte damals wahrscheinlich eine noch größere Rolle als heute, war der Wunsch, zu den Schönen und Reichen zu gehören. Dieses Verlangen führte oft dazu, Dinge anzuhäufen, die man sich vielleicht eigentlich gar nicht leisten konnte, nur um in der Gesellschaft akzeptiert zu sein. Paulus beschreibt das als eine sehr gefährliche Fahrt, auf der Christen wirklich Schiffbruch erleiden können.
In unserer Umgebung beobachten wir ähnliche Dinge: Reich sein, Karriere machen, sich Dinge leisten können – das sind starke Antriebe. Das Leben erscheint leichter, wenn man genügend Rücklagen hat, weniger Existenzängste spürt und sich viele schöne Dinge leisten kann. Das ist ein sehr starker Antrieb.
Wenn wir nun Vers neun und zehn lesen, sehen wir, dass Paulus Wortpaare verwendet, mit denen er die Gefahren deutlich macht, die er erlebt hat. Ich lese Vers neun: „Die aber, die reich werden wollen.“ Das sind Menschen, die materiell mehr haben wollen, als sie brauchen. Das ist Materialismus, das, was die Bibel Habsucht nennt. Es bedeutet, mehr zu haben, als man wirklich braucht, und daraus wird ein Lebensziel.
Paulus sagt, diese Menschen fallen in Versuchungen und Fallen. Man kann darüber nachdenken, was er damit meint. Welche Fallen gibt es für Christen, wenn sie sich zu sehr auf materiellen Gewinn konzentrieren? Wenn sie überlegen, wie sie beruflich aufsteigen, mehr verdienen oder ihr Geld investieren können, um noch mehr zu bekommen? Oder wie sie sich Dinge anschaffen, die sie angesehen machen in ihrer Umgebung?
Paulus warnt vor einem Verfallen auf diesem Weg. Er denkt dabei sicher an moralische Fallen: Wenn es mir wichtig wird, viel zu verdienen, ist die Versuchung groß, unehrlich zu sein, Geschäfte nicht korrekt abzuwickeln oder Dinge zu unterschlagen. Das ist eine große Gefahr.
Außerdem verdrängt man leicht, dass man sich wirtschaftlich rücksichtslos verhält, nur den eigenen Vorteil sucht und dadurch andere schädigt oder benachteiligt. Das passiert schnell, wenn das Materielle wichtig wird. Auch moralische Kompromisse, etwa im Umgang mit Geschäftspartnern oder bei Veranstaltungen, die nicht ganz korrekt sind, gehören dazu.
Das ist eine Ebene der Fallen, vor der Paulus warnt. Die zweite Falle ist, dass man falsche Prioritäten setzt. Man sucht vor allem den materiellen Vorteil, obwohl man eigentlich Gutes tun sollte. Das wirkt sich auch auf die geistlichen Prioritäten aus. Christen, die sich hauptsächlich um Karriere kümmern, vernachlässigen oft ihr geistliches Leben und ihre Verantwortung für Familie, Gemeinde und Menschen in ihrer Umgebung.
Paulus sagt, es gibt viele Versuchungen und viele Fallen, wenn materielles Vorwärtskommen wichtig wird.
Das zweite Wortpaar, das Paulus in Vers neun benutzt, lautet: „Sie verstricken sich in viele unvernünftige und schädliche Begierden.“ Oft fängt Materialismus damit an, dass man sich eine gewisse Sicherheit wünscht – ein bestimmtes Einkommen oder Rücklagen, um sich sicher zu fühlen. Das ist verständlich.
Doch Paulus warnt davor, dass man dann beginnt, sich immer mehr unvernünftige Dinge zu wünschen: ein größeres Auto, häufigere Urlaubsreisen, ein Haus, das nicht nur Platz bietet, sondern auch repräsentativ ist. So dreht sich alles immer mehr ums Materielle.
Besonders unvernünftig und schädlich ist es, wenn man sich Dinge leistet, die man sich eigentlich nicht leisten kann. Paulus denkt dabei sicher auch an Christen, die sich verschuldet haben und dadurch in schwierige finanzielle Situationen geraten sind. Sie wurden von ihren Wünschen, den Bedürfnissen ihrer Umgebung oder der Werbung immer weiter in diese Richtung gezogen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Wunsch, zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht zu gehören. Paulus hat wahrscheinlich Christen vor Augen, die dazugehören wollten zu Kreisen, die ein bestimmtes kulturelles und finanzielles Niveau haben. Sie wollten akzeptiert sein, eingeladen werden und als gleichwertig angesehen werden.
Solche Wünsche und Begierden sind oft schädlich. Paulus hat sicher oft erlebt, dass Menschen sich auf oberflächliche Beziehungen konzentriert haben, die auf gesellschaftlicher Zugehörigkeit basieren. Dabei haben sie wertvollere Beziehungen – etwa zur Familie oder zu „armen“ Geschwistern in der Gemeinde – vernachlässigt.
Deshalb spricht Paulus von schädlichen Begierden und Wünschen. Man möchte dazugehören, vernachlässigt aber wichtige Beziehungen und verliert sie schließlich.
Das letzte Begriffspaar in Vers neun lautet: „Dinge, die die Menschen versenken in Verderben und Untergang.“ Paulus benutzt hier die Sprache der Schifffahrt. Er beschreibt, wie Menschen Schiffbruch erleiden – materiell, moralisch oder sozial.
Materieller Schiffbruch bedeutet, sich zu verschulden und die finanziellen Folgen nicht mehr bewältigen zu können. Moralischer Untergang heißt, sich auf Dinge einzulassen, die einen moralisch ruinieren, die Beziehung zu Gott und zum Partner zerstören können. Sozialer Untergang bedeutet, dass man in seinen Beziehungen instabil wird und wichtige Beziehungen verliert.
Man denkt an die Geschichte vom verlorenen Sohn, die Jesus erzählt hat. Der jüngere Sohn wollte reich sein, das Erbe seines Vaters haben, und erlitt moralischen, sozialen und finanziellen Schiffbruch. Er gehörte zu den Menschen, die Paulus vor Augen hat.
Paulus klingt sehr endgültig, wenn er sagt, diese Menschen sind untergegangen. Er hat viele Menschen erlebt, die so untergegangen sind. Deshalb warnt er Timotheus: Es ist gefährlich, reich werden zu wollen. Paulus hat viele Beispiele vor Augen, die das bestätigen. Man muss sich und andere davor schützen.
In Vers zehn heißt es: „Denn die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen.“ Das war damals ein bekanntes Sprichwort, wahrscheinlich nicht von Paulus erfunden. Die Liebe zum Geld ist eine Wurzel allen Übels.
Wir können vieles darunter verstehen, vor allem aber das, was Paulus in Vers neun angedeutet hat. Er sagt weiter: „Und einige, die dem Geld nachjagen, sind vom Glauben abgeirrt.“ In Kapitel eins spricht Paulus von Menschen, die durch Irrlehren vom Glauben abgeirrt sind. Hier verwendet er dasselbe Wort und meint, dass Menschen durch Materialismus vom Glauben abkommen. Sie lassen sich von der Liebe zum Geld verführen.
Paulus macht ein sehr plastisches Bild: Sie durchbohren sich selbst mit vielen Schmerzen. Man hat den Eindruck, dass Paulus an Menschen denkt, die ihm weh tun, weil er sieht, dass sie nicht glücklich geworden sind. Dieser Weg führt nicht zum Glück, vielleicht nicht einmal für dieses Leben.
Er hat viele vor Augen, die durch das Streben nach Geld unglücklich wurden, ihre Beziehungen zu Gott und zu anderen Menschen verloren haben. Deshalb warnt Paulus Timotheus eindringlich: Sich auf materielle Wünsche einzulassen und sich vom gesellschaftlichen Sog mitziehen zu lassen, ist gefährlich. Paulus hat es erlebt.
Persönlicher Appell an Timotheus
Nachdem Paulus diese allgemeinen Eingangsaussagen in den Versen 6 bis 8 gemacht hat und dann die eindringliche Warnung in den Versen 9 und 10, spricht er Timotheus nun ganz persönlich an. Hier folgt ein besonders spannender Abschnitt, ungefähr die Verse 11 bis 16, den wir etwas unterteilen wollen, da Paulus Timotheus sehr direkt anspricht.
Er beginnt mit den Worten: „Du aber, o Mensch Gottes.“ Damit sagt er: Du bist ein „Abermensch“. Du bist jemand, der zwar in dieser Gesellschaft lebt, aber nicht wirklich zu ihr gehört. Hoffentlich gibt es viele Menschen in deinem Umfeld, die ebenfalls solche „Abermenschen“ sind. Du, Mensch Gottes, gehörst nicht zu dieser Welt. Deine Ziele liegen nicht auf dieser Erde und erschöpfen sich nicht in irdischen Dingen. Du gehörst zu Gott.
Paulus beginnt diesen Abschnitt mit genau diesem Ausdruck: „Du aber, Mensch Gottes.“ Und er beendet ihn mit Aussagen über Gott. Das ist eine von zwei großen Stellen im ersten Timotheusbrief, an denen Paulus etwas über Gott sagt. Die beiden Stellen sind sich sehr ähnlich. Einmal in Kapitel 1, wo Paulus seine Begeisterung über Gott ausdrückt, der ihn trotz seiner Vergangenheit gerettet und in den Dienst gestellt hat. Und hier, in Kapitel 6, sagt er etwas über diesen Gott.
In diesem Zusammenhang fragt Paulus: Für was leben wir eigentlich? Für diese Erde oder sind wir Menschen Gottes? Menschen, die anders sind, die den Mut haben, anders zu sein, die sich nicht mitreißen lassen. Er sagt zu Timotheus: „Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge.“ Das ist ein Sog. Es ist so selbstverständlich in unserer Umgebung, dass viele für ihren Urlaub leben, für ihr Auto, ihr Haus, ihr Image oder ihr Portfolio.
Doch Paulus sagt: „Du aber, fliehe diese Dinge! Lass dich nicht mitreißen.“ Das geschieht so schnell und wird oft als normal angesehen. Du musst dich innerlich ganz bewusst davon distanzieren. Dabei meint er nicht, dass man sich immer äußerlich von jedem Menschen abwenden soll, der so denkt und lebt. Das meint er nicht mit „fliehen“. Natürlich müssen wir manchmal vor moralischen Sünden fliehen und den Kontakt zu Menschen abbrechen, die uns in Versuchung führen. Aber hier geht es um eine innere Haltung.
Du musst dich innerlich wirklich und bewusst distanzieren, Timotheus. Sonst funktioniert es nicht. Du hast die Verantwortung, anders zu sein, denn du bist ein Mensch Gottes. Du hast auch eine Vorbildfunktion. Du musst dich aus dem allgemeinen Trend herausheben. Dieses „Fliehen“ ist ein einfaches, aber intensives Wort. Paulus stellt es so dar: Du musst auf Distanz gehen.
Doch man kann nicht nur auf Distanz gehen, man muss ja auch irgendwohin fliehen. Deshalb sagt er noch ein weiteres einfaches Wort: „Strebe aber“ oder wörtlich „verfolge aber“. Nun nennt Paulus sechs Worte, auf die wir nicht alle einzeln eingehen können. Doch in der Mitte stehen Glaube und Liebe. Das ist häufig der Kern in Aufzählungen in 1. und 2. Timotheus oder auch im Titusbrief: Glaube und Liebe.
Das erinnert an den Anfang des Timotheusbriefes, Kapitel 1, Vers 5, wo Paulus schreibt: „Das Ziel des Gebots ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.“ Paulus fordert Timotheus auf, sich immer wieder zu überlegen, worum es im Leben eines Christen eigentlich geht. Distanzier dich von dem, wofür die Gesellschaft lebt, und konzentriere dich darauf, Liebe zu leben – Liebe zu Gott und zu deiner Umgebung – und wirklich Glauben zu leben, Gott vor Augen zu behalten. Das steht im Zentrum dieser sechs Begriffe.
Am Anfang steht Gerechtigkeit und Gottseligkeit, also die wahre Verehrung Gottes. Paulus fordert Timotheus auf, sich auf Gerechtigkeit zu konzentrieren, die richtigen Dinge zu tun und keine Kompromisse einzugehen. Fliehe den Materialismus, überlege, was wirklich gut ist, und sei anders.
Am Ende der Aufzählung steht das Ausharren. Das ist schwierig. Wie im Hebräerbrief steht: „Sie harrten aus, als sähen sie den Unsichtbaren.“ Wir haben das Problem, dass wir für etwas leben, das wir nicht sehen können, während wir von vielen sichtbaren, verlockenden Dingen überschwemmt werden. Paulus sagt: Strebe nach Ausharren, halte diese Spannung aus. Lebe nicht für das Jetzt, nicht für das Greifbare, nicht für das, was sich aufdrängt, sondern harre aus als Mensch Gottes und lebe für eine andere Welt.
Paulus beendet seine Aufzählung mit einem interessanten Wort: Sanftmut, die man auch mit Milde übersetzen kann. Bleibe dabei nicht verkrampft im Ausharren. Manche Menschen kämpfen so sehr, dass sie verbittert und unangenehm werden. Paulus sagt: Ja, es ist ein Kampf, ja, du musst danach streben, aber bleibe mild, auch in deiner Umgebung. Sei trotz allem Kampf und aller Aussagen manchmal locker und nett, auch zu deinen Geschwistern. Das ist ausgewogen und an dieser Stelle sehr interessant.
Also: Fliehe diesen Sog, lebe bewusst anders, lebe für andere Ziele und überlege dir, worauf es dir wirklich ankommt.
In Vers 12 heißt es: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen bist, und bekannte das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.“ Es ist ein Kampf, das Unsichtbare vor Augen zu behalten. Für das Ewige zu leben ist kein Selbstläufer.
Dann folgt ein Satz, der für Gläubige ungewöhnlich klingt: „Ergreife das ewige Leben.“ Normalerweise würden wir so etwas jemandem sagen, der kurz vor der Bekehrung steht. Aber Paulus sagt es Timotheus. Es ist eine Entscheidung: Für das Ewige zu leben, es festzuhalten und immer wieder zu ergreifen. So wie „fliehen“ und „verfolgen“ im vorherigen Satz Entschiedenheit ausdrücken, hat auch „ergreifen“ etwas mit Entschiedenheit und Energie zu tun. Man muss es wirklich tun.
Paulus erinnert Timotheus daran, dass er irgendwann das Bekenntnis abgelegt hat, für das ewige Leben zu leben. Er hat sich taufen lassen und gesagt: Mein Leben auf dieser Erde ist vorbei, jetzt will ich für Gott und die Ewigkeit leben. Wahrscheinlich hat Timotheus dieses Bekenntnis auch abgelegt, als er mit Paulus ausgesandt wurde.
Paulus fordert ihn auf, dieses Bekenntnis festzuhalten. Es ist nicht nur eine Entscheidung am Anfang des christlichen Lebens oder an Kreuzungspunkten, sondern etwas Bleibendes. Timotheus, du hast bekannt, dass du so leben willst – bleib dabei! Es ist ein Kampf, es ist nicht leicht, aber wichtig, denn du hast eine Verantwortung.
In Vers 13 schreibt Paulus: „Ich gebiete dir, ich dränge dich.“ Eigentlich heißt es: „Ich dränge dich wirklich.“ Timotheus, vor Gott, der alles am Leben hält, und vor Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bekannt hat, sollst du das Gebot unbefleckt und unsträflich bewahren bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus.
Es geht um Reinheit. Nicht nur darum, nicht für Materielles zu leben, sondern auch um Reinheit, unbefleckt und ohne Tadel zu sein. Wenn du diese Perspektive für die Ewigkeit nicht hast und sie den Geschwistern nicht immer wieder vermitteln kannst, wird das nicht funktionieren. Dann fehlt die Motivation, rein und heilig zu leben.
Wenn man nur für diese Erde lebt, hat Reinheit und Heiligkeit keinen wirklichen Wert. Das bringt einen nicht weiter. Wenn du die Perspektive für die Ewigkeit und den unsichtbaren Gott verlierst, wird auch die Heiligkeit nicht halten – bei dir nicht, bei den Menschen, für die du verantwortlich bist, und auch nicht bei der Lehre selbst.
Die Perspektive auf die Ewigkeit und das Unsichtbare ist ein Schlüssel, Timotheus. Ein Schlüssel für alles, wofür du verantwortlich bist: dein eigenes Leben, deine Umgebung, die Lehre, die du bewahrst, und die Gemeinden, für die du verantwortlich bist und sein wirst. Es ist der Schlüssel, damit alles so funktioniert, wie Gott es möchte. Damit die Ewigkeit etwas Reales bleibt, auch wenn wir sie nicht sehen können. Das ist sehr wichtig.
Paulus stellt Timotheus hier nochmals vor Gott. Er sagt: „Ich dränge dich, ich beschwöre dich vor Gott und Christus Jesus.“ Wir stehen jetzt gemeinsam vor Gott. Paulus macht das in seinen Briefen öfter: Er erinnert Timotheus daran, dass sie gemeinsam vor Gott stehen. Wenn du diese Zeilen liest, stehst auch du mit ihnen vor Gott.
Viele Menschen wollen das Leben auf dieser Erde genießen. Gott ist nicht gegen Genuss. Aber du musst dir bewusst sein, dass wir vor dem Gott stehen, der das alles überhaupt möglich macht. Alles Schöne auf dieser Erde hat er geschaffen, und er will nicht, dass wir für diese Erde leben und dass sie unser Endziel wird.
Du bist diesem Gott verantwortlich. Jede Minute, die du genießen kannst, kommt von ihm. Willst du das genießen, ohne an ihn zu denken? Timotheus, du bist ein Mensch Gottes, und Gott hat alles gemacht und erhält alles am Leben. Die Reichen könnten keinen Moment ihres Reichtums genießen, wenn Gott ihnen nicht etwas gegeben hätte.
Du musst vor Gott stehen. Wir stehen gemeinsam vor Christus Jesus. Weißt du, was das gute Bekenntnis ist, das Jesus vor Pontius Pilatus bekannt hat? Er sagte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Dieses Bekenntnis ist hier gemeint.
Timotheus, du kennst es. Du weißt, dass Jesus sagte, sein Reich sei nicht von dieser Welt. Wir stehen gemeinsam vor Gott, der alles Schöne macht, und vor Jesus, der sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Paulus drängt dich, die Ewigkeit vor Augen zu halten und dafür zu kämpfen, dass die Ewigkeit für dich und die Gläubigen, für die du verantwortlich bist, eine Realität wird.
Es ist ein guter Kampf, und du hast das gute Bekenntnis abgelegt, diesen Kampf führen zu wollen. Bleib dabei! Es war ein gutes Bekenntnis. Kämpfe den guten Kampf!
Nun sagt Paulus: „Du bist ein Mensch Gottes.“ Und da ist Gott. Wir sehen jetzt noch nichts von der Ewigkeit. Wir sehen Gott nicht, wir sehen Jesus nicht. Du hast ihn nicht gesehen, und ich auch nicht. Aber wie ist Gott? Wenn wir sagen, wir sind Menschen Gottes, um welchen Gott geht es? Wessen Menschen sind wir?
Paulus sagt etwas Großartiges über Gott: Bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, die zu ihrer Zeit zeigen wird, wer der selige und alleinige Machthaber ist, der König der Könige und Herr der Herren. Wir sehen es noch nicht, aber es wird sichtbar werden. Jesus wird erscheinen, und der ewige Gott wird es offenbaren.
Wir werden Jesus dann sehen, wir werden Gott ein Stück weit sehen. Vor allem aber werden wir sehen, dass sich der Kampf um das Unsichtbare gelohnt hat. Dass es sich gelohnt hat, sich gegen den Sog zu stellen und ein „Abermensch“ in dieser Gesellschaft zu sein, der nicht mit den gleichen Zielen läuft.
Wir werden es sehen, und Gott wird es zu seiner Zeit offenbaren. Timotheus, es ist schwierig, es zieht sich hin, aber der Zeitpunkt wird genau richtig sein.
Paulus sagt noch einige Dinge über Gott: Er ist der selige Gott, man kann auch sagen, er ist der glückliche Gott. Wir hatten das schon in Kapitel 1. Es gibt viele Parallelen zwischen Kapitel 1 und Kapitel 6. Wer Zeit hat, kann diese beiden Kapitel vergleichen.
Paulus sagt: Gott ist der glückliche Gott. Timotheus, Menschen denken, sie können auf dieser Erde glücklich werden, wenn sie mehr Reichtum haben. Ich habe das schon einmal erzählt: Es gab eine Umfrage in Amerika, bei der verschiedene Menschen gefragt wurden, wie viel Einkommen sie bräuchten, um glücklich zu sein.
Die große Mehrheit antwortete letztlich alle gleich: „Ich brauche ein bisschen mehr, als ich jetzt habe.“ Egal ob reich oder arm – jeder hatte das Gefühl, etwas mehr zu brauchen, um glücklich zu sein.
Paulus sagt: Weißt du, wer unser Gott ist? Gott ist der glückliche Gott. Wenn du dauerhaft glücklich sein willst, geht das wohl nur mit diesem Gott. Vergiss das nicht: Es gibt kein Glück außerhalb von Gott.
Er ist der glückliche Gott, der alleinige Machthaber, König der Könige und Herr der Herren. Wenn du darüber nachdenkst, wie du reich werden kannst oder zur gehobenen Gesellschaft gehören möchtest, gibt es nur einen, der dir den Eintritt gewähren kann. Er ist der alleinige Herrscher.
Timotheus, zu welcher Gesellschaft möchtest du gehören? Zu den Reichen in Ephesus oder zu dem alleinigen Herrscher, der bestimmt, wie viel wir haben und wo wir dazugehören? Er ist der alleinige Herrscher. An ihm musst du dich orientieren und von ihm eingeladen werden. Verliere das nicht aus den Augen.
Paulus sagt weiter: Er ist der Einzige, der Unsterblichkeit besitzt. Das ist die größte Sehnsucht des Menschen. Wir versuchen, uns so schön wie möglich zu machen und möchten das am liebsten für immer. Wir sehnen uns nach Sicherheit und wollen, dass es uns auch in Zukunft gut geht. Das Beste wäre, wenn das Gute nie enden würde.
Paulus sagt: Unser Gott ist der einzige, der Unsterblichkeit hat und uns wirklich ewiges Glück schenken kann. Timotheus, vergiss das nicht.
Dann sagt Paulus etwas ganz Spannendes: „Der ein unzugängliches Licht bewohnt, den keiner der Menschen gesehen hat und sehen kann, dem Ehre sei und ewige Macht. Amen.“
Ich vermute, Paulus hatte ein Bild vor Augen: Die armen Menschen in der Stadt – ein großer Teil lebte sehr einfach, war arm, Knechte, Sklaven, Tagelöhner. Sie wohnten in einfachen Hütten und hatten abends nur eine Öllampe, um ihr Haus etwas zu erleuchten, wenn die Sonne unterging. Das Licht war schummrig und wurde oft nur kurz angemacht, um noch über den Hof zur Toilette zu gehen und dann schnell wieder gelöscht.
Diese Menschen gingen aus ihrer Haustür und sahen das hell erleuchtete Haus eines Patriziers, der seine Freunde eingeladen hatte. Das ganze Haus war erleuchtet mit vielen Fackeln und Lichtern. Es war ein großes Fest für die, die dazugehören, für die, die zur gehobenen Gesellschaftsschicht gehören.
Viele würden so gerne dazugehören, Timotheus, und viele unserer Geschwister würden gerne eingeladen sein in dieses Haus, das vom Licht erleuchtet ist und in dem die Gesellschaft verkehrt und Reichtum herrscht.
Doch unser Gott wohnt in einem unzugänglichen Licht. Dieses Patrizierhaus ist für uns vielleicht unzugänglich, wir gehören nicht dazu, wir werden nicht eingeladen. Die Versuchung ist groß, sich Reichtum zu erarbeiten und dazuzugehören.
Aber wir gehören zu einem Gott, der in einem Haus wohnt, dessen Licht unzugänglich ist für all diese Reichen, wenn sie den Herrn nicht kennen. Wir gehören dazu, wir sind eingeladen, das ist unser Gott.
Wir sind Menschen Gottes und leben in dieser Hoffnung. Ein großer Inhalt unseres Lebens ist, wie diese Verse enden, diesen Gott zu verehren.
Einmal werden wir in diesem unzugänglichen Licht sein, wir werden eingeladen sein in dieses Haus. Timotheus, wir müssen diese Spannung aushalten, die Spannung zwischen dem Jetzt und dem, worauf wir hoffen und was auf uns wartet bei diesem glücklichen Gott, bei diesem alleinigen Machthaber, bei diesem Gott, der ein unzugängliches Licht bewohnt und der allein Unsterblichkeit hat.
Timotheus, das musst du festhalten. Darum musst du kämpfen, bei dir selbst und bei den Geschwistern, damit ihr nicht in den Sog des Materialismus geratet und diese Perspektive verliert.
Umgang mit Reichtum: Ein Aufruf an die Wohlhabenden
Nach diesem sehr persönlichen Appell an Timotheus und indirekt an die Geschwister kommt Paulus noch einmal kurz auf ein anderes Thema zu sprechen. Es ist interessant, dass er dies erst an dieser Stelle tut. Zuvor hatte er über die Gefahren gesprochen, reich werden zu wollen, und jetzt wendet er sich denen zu, die bereits reich sind.
Man könnte meinen, Paulus hätte seinen Brief lieber mit dem dramatischen Appell an Timotheus abgeschlossen. Doch das hätte nicht gepasst, weil Timotheus nicht reich war und dieser Appell nach dem Abschnitt über die Reichen nicht mehr stimmig gewesen wäre. Außerdem kann Paulus den Abschnitt über die Reichen nutzen, um einige Prinzipien durch Wiederholung zu vertiefen.
Darum spricht er erst jetzt, fast am Ende seines Briefes, über die Reichen. Manche sind reich, ohne etwas dafür zu können. Vielleicht haben sie geerbt oder sind in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und haben das Geld einfach bekommen. Sie müssen verantwortungsvoll damit umgehen. Andere haben Berufe gewählt, in denen man viel verdient. Vielleicht haben sie den Beruf nicht wegen des Geldes ergriffen, sondern weil er ihnen gefiel. Jetzt verdienen sie mehr, als sie brauchen. Die Frage ist: Wie geht man damit um, mehr zu haben, als man braucht, ohne in die Versuchung zu geraten, reich werden zu wollen? Man ist es plötzlich einfach.
Paulus hat zu diesen Leuten etwas zu sagen. Es ist interessant, dass er ihre Sprache findet. Im Abschnitt von Vers 17 bis Vers 19 verwendet Paulus Begriffe, die mit Investitionen zu tun haben. Ich beginne mal mit Vers 19 zu zitieren: „Indem sie sich selbst eine gute Grundlage für die Zukunft sammeln, damit sie das echte Leben ergreifen.“ Er benutzt Wörter, die Investoren vertraut sind. Wie investiere ich das, was ich habe? Das war die Sprache, die die Reichen verstanden haben, gerade in Krisenzeiten.
Paulus spricht von „echtem Leben“. In Krisenzeiten ist es gut, wenn mein Portfolio etwas enthält, das echt und real ist. Man kann an der Börse spekulieren mit Derivaten oder Wetten, aber dahinter steckt nichts Reales. Das ist krisenanfällig und risikoreich. Aber man kann auch einen Teil seines Portfolios in etwas Echtes investieren. Zum Beispiel in Gold, das man in einem Tresor oder Bankschließfach aufbewahrt, oder in Immobilien. Das sind reale Werte.
Er sagt also: Wenn ihr reich seid und euch mit Investitionen beschäftigt, wisst ihr, dass es gut ist, einen Teil eures Vermögens in etwas Echtes anzulegen. Paulus gibt einen Tipp, wie man in etwas Sicheres investieren kann – so wie man normalerweise in Krisengebieten investiert, weil man dort lebt oder Interessen hat. Eine sichere Grundlage für die Zukunft soll man sammeln. Es ist schlecht, nur in Krisengebieten zu investieren. Man braucht eine Basis, die auch nach Katastrophen noch Bestand hat. Diese Sprache verstehen Investoren.
Paulus sagt, er hat eine solche Investition: etwas Sicheres, Reales und krisenfestes. Es ist interessant, wie er das formuliert. Ebenso bemerkenswert ist, dass der Heilige Geist entschieden hat, diesen Abschnitt über die Reichen gerade in diesen Brief aufzunehmen. Er hätte in jeden anderen Gemeindebrief gepasst, denn das Thema steht nicht eng mit den Hauptthemen dieses Briefes in Verbindung.
Paulus schreibt nicht einfach an die Philipper: „Die Reichen unter euch, denkt mal darüber nach.“ Denn meiner Erfahrung nach gibt es kaum jemanden, der sich selbst als reich bezeichnet. Wenn man jemanden mit viel Geld fragt, ob er reich ist, wird er meist verneinen. Meine Eltern beispielsweise hatten ein eigenes Haus und ein kleines Mietshaus und konnten gut von ihrer Rente leben. Wenn ich ihnen gesagt hätte, sie seien reich, hätten sie das weit von sich gewiesen. Sie sagten: „Nein, wir sind nicht reich.“ Es gibt Reiche in der Welt, aber sie selbst fühlten sich nicht so.
Wäre Paulus einfach an die Reichen direkt herangetreten, hätte sich vielleicht niemand angesprochen gefühlt. Deshalb sagt er zu Timotheus: Beurteile du, wer reich ist, und sprich mit diesen Menschen. Sie müssen sich nicht selbst in diese Schublade stecken, sondern Timotheus soll überlegen, wen er so einordnet. Dann richtet Paulus seine Worte an die Reichen.
In Vers 17 heißt es: „Den Reichen in dem gegenwärtigen Zeitlauf gebiete ...“ oder auch „Die Reichen bedränge.“ Paulus fordert Timotheus auf, den Reichen klarzumachen, was wichtig ist. Ich frage mich, wie Timotheus das umgesetzt hat: Er überlegt, wer in der Gemeinde reich ist, und spricht diese dann an. Das ist spannend, aber ich weiß nicht genau, wie er es gemacht hat.
Paulus spricht über Investitionen. Er gibt den Reichen nicht persönlich den Auftrag, sich selbst als reich einzustufen, sondern sagt seinem Mitarbeiter Timotheus, wen er als reich ansehen soll und was er diesen sagen soll.
Wenn wir ab Vers 17 lesen, fällt auf, dass Paulus bestimmte Schlüsselwörter verwendet, die für Reiche wichtig sind. Er sagt den Reichen, sie sollen nicht arrogant sein und nicht auf die Unsicherheit des Reichtums hoffen. Wenn man einem Investor sagt, seine Investition sei unsicher, geht eine Alarmglocke los. Investoren wollen ihr Geld vermehren oder zumindest behalten.
Der Vorwurf, nicht arrogant zu sein, sich nicht zurückzulehnen und nicht zu glauben, was gestern sicher war, sei morgen noch sicher, ist für Menschen, die viel mit Geld zu tun haben, ein wichtiger Hinweis. Sie haben Angst, zu selbstsicher zu werden, und fürchten unsichere Investitionen.
Paulus spricht sie genau dort an und versucht, Timotheus zu motivieren, sie ebenfalls so anzusprechen. Die Reichen sollen auf eine sichere Grundlage setzen und nicht auf die Unsicherheit des Reichtums hoffen. Stattdessen sollen sie ihre Hoffnung auf Gott setzen.
Paulus sagt: „Der uns alles reichlich darreicht zum Genuss.“ Die Reichen müssen keine Angst haben, dass Gott ihnen alles wegnehmen will. Gott gönnt ihnen, dass sie ihren Reichtum genießen können, ohne dass er sie dadurch zerstört hat.
Er gibt uns reichlich – das steht auch im Griechischen so – damit wir genießen können. Ihr müsst keine Angst haben, dass Gott nur mit total armen Menschen handelt oder dass man erst alles weggeben muss, um von Gott gesegnet zu werden. Jesus hat das in einem bestimmten Zusammenhang gesagt, aber das ist keine allgemeine Lehre.
Gott gibt uns zum Genießen. Doch Paulus verwendet eine bemerkenswerte Formulierung: Er sagt nicht einfach, dass Gott den Reichen alles reichlich gegeben hat, sondern „der uns alles reichlich darreicht zum Genuss.“ Damit zeigt er, dass man den Reichen sagen kann, sie dürfen genießen, aber sie sollten erkennen, dass man für Genuss viel weniger braucht, als sie sich je vorstellen konnten.
In Vers 6 haben wir schon die Genügsamkeit betrachtet. Paulus fordert: Sagt den Reichen, sie sollen nicht auf unsichere Investitionen hoffen, sondern auf Gott. Gott ist nicht jemand, der alles wegnehmen will, sondern der uns erlaubt und befähigt zu genießen, auch wenn wir nicht im Überfluss leben, sondern genügsam sind.
Was sollen sie tun? In Vers 18 heißt es: Gutes tun, reich sein an guten Werken. Gutes tun wird in der Bibel oft mit sozialem Engagement verbunden. Paulus macht klar, dass es nicht nur um materiellen Reichtum geht, sondern um einen anderen Reichtum: Engagement für Menschen, auch für geistliche Arbeit.
Für Reiche ist es wichtig, sich zu überlegen, wie sie ihr Engagement gestalten. Reich an guten Werken zu sein bedeutet auch, sich Gedanken zu machen, wo man Menschen hilft und finanziell unterstützt. Dabei sollte man Nachhaltigkeit im Blick haben. Kann ich jemandem so helfen, dass er langfristig auf eigenen Beinen steht? Paulus tippt hier auf ein wichtiges Thema an.
Gleich danach sagt er: „Und sie sollen freigiebig sein und mitteilen.“ Manchmal geht es nicht nur um nachhaltige Hilfe, sondern auch darum, einfach etwas wegzugeben – spontan und ohne lange zu überlegen, wie der Empfänger damit umgeht. Manchmal muss man loslassen und einer akuten Not begegnen.
Es ist schön, dass dies direkt vor Vers 19 steht: Freigiebig sein und mitteilen, indem sie sich selbst eine gute Grundlage für die Zukunft sammeln. Paulus sagt: Wenn du gibst, sammelst du. Wer dort gibt, wo Gott es ihm aufs Herz legt, sammelt an einem anderen Ort, wo das Echte ist, das Dauerhafte. Ergreife das wahre, echte Leben.
Timotheus hat gesagt: Ergreife das ewige Leben. Hier sagt Paulus den Reichen: Ergreift das echte Leben. Das echte Leben ist ewig, und das ewige Leben ist das wirkliche Leben. Das klingt fast wie ein Abschluss des Timotheusbriefs.
Paulus verlässt die aktuellen Probleme in der Gemeinde und sagt, dass es Schwierigkeiten gibt, die einzelne Geschwister betreffen und das Leben in einer solchen Gesellschaft erschweren. Dennoch sollen sie den Blick für das Unsichtbare bewahren und nicht im Sog des Sichtbaren untergehen.
Genügsamkeit und Zufriedenheit im materiellen Bereich sind für Christen ein großer Gewinn. Reich werden zu wollen oder bestimmten Kreisen angehören zu wollen, kann eine große Falle sein und für Christen extrem gefährlich werden. Wir müssen darum kämpfen, die Perspektive zu behalten: Das hier ist nicht das echte Leben.
Manchmal müssen wir uns das gegenseitig sagen. Ein Zitat aus einem Film lautet: „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, das ist nicht das echte Leben.“ Dort geht es um Traumwelten, aber vielleicht sollte das auch unser Wahlspruch sein. Wir sind hier, um uns daran zu erinnern, dass das nicht das wirkliche, echte Leben ist.
Gott beschenkt uns. Er beschenkt uns manchmal, damit wir genießen können, und wir dürfen das ohne schlechtes Gewissen tun. Manchmal beschenkt er uns, damit wir investieren können – dort, wo unsere Investition Bestand hat.
Vielleicht ist das eine wichtige Botschaft für uns, die wir in einem immer noch so reichen Land leben. Wir wissen nicht, ob das in ein paar Monaten noch so sein wird, aber momentan ist es so. Diese Botschaft war Paulus wichtig. Er war überzeugt, dass sie für Timotheus und die Geschwister damals wichtig war und dass der Heilige Geist sie als zeitlos relevant erkannt hat.
Wir sollten diese Botschaft ernst nehmen. Amen.
