Phönicien
Phönicien, das 2 Makk. 3,5; 4,22; 8,8; 10,11; Apg. 11,19; 15,3; 21,2 genannte Land des auch für die Geschichte des Volkes Israel wichtigen Volkes.
1) Das Land, ohne feste Grenze im Norden u. Süden, vom Karmel bis zum Nahr el-Kebir ca. 200, vom Nahr ez-Zerka, südlich von Dora, bis in die Nähe von Laodicea ca. 350 km lang, ist im ganzen nur der schmale, durchschnittlich zwischen einer halben und 3 Meilen breite Landstrich zwischen dem Meer und dem Libanon. Das Gebirge selbst war den Phöniciern nicht untertan, wenn auch die höhere Kultur der Küstenbewohner die Bewohner des inneren Berglandes teilweise und zuzeiten sich dienstbar machte. Renan hat geradezu geäußert, Phönicien sei überhaupt nicht ein Land, sondern bloß eine Reihe von Hafenorten mit Zubehör von schmalem Terrain gewesen. Ebenen von einigem Umfang sind selten (in der Gegend von Tripolis, Beirut, Sidon, besonders nördlich vom Karmel). An manchen Stellen tritt das Gebirge so unmittelbar ans Meer heran, daß nicht einmal eine schmale Straße Raum hat, sondern künstliche Felsenwege haben angelegt werden müssen. Die Städte lagen entweder auf felsigen Eilanden vor der Küste oder unmittelbar am Strand auf halbinselartigen Vorsprüngen mit felsigem Untergrund. Durch die vom Schnee des Libanon gespeisten zahlreichen Bergflüsse war das Land vorzüglich bewässert: vgl. besonders den Nahr Litani oder Kasimije, nördlich von Tyrus, den Bostrenus, jetzt Nahr Awali, nördlich von Sidon, den Lykus, jetzt Nahr el-Kelb = Hundsfluß, nördl. von Beirut, und den Eleutherus, jetzt Nahr el-Kebir. Dank dem günstigen Klima und der reichen Bewässerung war Phönicien ein fruchtbares Land, reich an Getreide, Gartenfrüchten, Obst, Wein; der Libanon lieferte Zedern, auch Eisenerze hat er; ob Kupferbergwerke sich fanden, ist zweifelhaft. Die Küste lieferte für Glasbereitung die erforderliche Kieselerde, sowie die Purpurschnecke zur Färberei. In der Bibel werden von den phönicischen Städten erwähnt Akko, Achsib, Zor (Tyrus), Zarpath (Sarepta), Sidon, Gebal (Byblus), Tripolis, Orthosia, Sin, Arke, Simyra (Zemari), Arvad (Aradus), Hamath. —
2) Der von den Griechen gebrauchte Name Phönicien (lat. Phoenice; die Einwohner griech. Phoinix, plur. Phoinikes, lat. Phoenices) bezeichnet nicht das Land als „Palmenland“, sondern die Phönicier wurden damit von den Griechen als die „Roten“ entweder wegen der dunkelrötlichen Hautfarbe oder wegen der von ihnen gefertigten roten Zeugstoffe bezeichnet. Mit der ägypt. Bezeichnung Fenchu hat das Wort keinen Zusammenhang. Die röm. Bezeichnung der Karthager, Poeni, Puni, ist die ursprünglichere Form des Namens. Die Phönicien selbst nannten ihr Land Chna, das heißt Kanaan, sich selbst Kenaani, das heißt Kanaaniter (nach Augustin hießen sich noch die punischen Bauern seiner Zeit Chanani). So werden sie auch im Alten Testament bezeichnet, vgl Art. Kanaan. Gewöhnlich werden sie im Alten Testament wie bei Homer nach der ältesten Stadt Sidon (s. d. Art.) benannt. Die Phönicien sind eben ein Zweig des Stammes der Kanaaniter, der im engeren Sinn diesen Namen führt. —
3) Was die Herkunft der Kanaaniter und Phönicien betrifft, so sind die phönicische und die hebräische Sprache jedenfalls Mundarten derselben Sprache. Dunkel ist, wie die Gleichheit des Sprachstammes sich damit verträgt, daß im Alten Testament die Kanaaniter als Hamiten bezeichnet werden (1 Mo. 10,6. 15 f.). Diese Angabe wurde noch von Männern wie Ewald, Hitzig, Dillmann, Kautzsch als richtig festgehalten. Man macht dafür geltend: 1) die Notiz der Völkertafel läßt sich nicht aus Nationalhaß erklären, da die Verwandtschaft mit den Moabitern und Ammonitern nie bestritten wurde, auch die Israeliten mit den Phönicien zeitweise befreundet waren; 2) die Eigenart der Phönicien, ihre Neigung zum Handel und zur Kolonisation, ihre politischen Einrichtungen und ihre Religion zeigt keine semitischen Züge; 3) alte Nachrichten bei Herodot, Strabo u. a. lassen die Phönicien vom Erythräischen Meer, das heißt wohl dem Persischen Golf einwandern Damit nahm man zusammen, daß 1 Mo. 10,8 f. die Gründung des babylonischen Reichs auf den „Kuschiten“ Rimrod zurückgeführt wird; auch berührt sich die Kultur und Religion der Phönicien mit der babylonischen. Man nimmt dann an, daß die Phönicien ihre hamit. Sprache mit der semitischen vertauscht haben. Die meisten neueren Forscher jedoch, wie Movers, Ed. Meyer, Pietschmann, entscheiden sich dagegen bestimmt für die semit. Herkunft der Phönicien (vgl. Pietschmann, Gesch. der Phönicien, S. 109 ff.). Man macht jenen Gründen gegenüber vor allem geltend, daß die Sprache eine semitische und mit der hebräischen nahe verwandt war und es schwer vorstellbar sei, wie es zu einem Sprachtausch gekommen sei; die Religion zeige auch Ähnlichkeiten (Gottesnamen wie El, Eljon, die heiligen Steine u. dgl.). —
4) Eine zusammenhängende Geschichte Phöniciens läßt sich nicht entwerfen. Es ist unbekannt, wann die Phönicien ihr späteres Gebiet besetzten. Die Tyrier selbst setzten die Erbauung ihrer Stadt und des Melkarttempels um 2750 v. Chr. an. Sidon war noch älter. Viel später beginnen geschichtliche Nachrichten. Die ältesten sind enthalten in ägyptischen Denkmälern von Tutmes I. bis auf Ramses II. Vom 15.—12. Jahrh stand Phönicien unter der Oberherrschaft Ägyptens. Für die Unterwerfung unter die Pharaonen entschädigten sich die Phönicien durch die lebhafte Förderung ihrer Handelsinteressen, welche die Verbindung mit Ägypten mit sich brachte. Unter den verschiedenen phönicischen Städten behauptete schon frühe Sidon eine Art Hegemonie und deshalb wird in der Völkertafel, 1 Mo. 10,15, Sidon der Erstgeborene Kanaans genannt. Es muß zu dieser Zeit die mächtigste Stadt gewesen sein. Lebhaft blühte der Handelsverkehr, der die Phönicien nach Cypern, an die Küsten Kleinasiens, ins Ägäische Meer führte und zahlreiche Niederlassungen zur Folge hatte. Doch haben sie aus dem Ägäischen Meer sich wohl schon im 13. Jahrh. wieder zurückgezogen. Später gingen ihre Fahrten weiter nach Westen über Sizilien, Malta, Nordafrika nach Spanien (Tarschisch), ja über die Straße nach Gibraltar hinaus nach Britannien und in die Nordsee (schwerlich die Ostsee), während andererseits phön. Schiffe Afrika umsegelt haben sollen. Diese Unternehmungen in dem Westen des Mittelmeers gingen mehr von Tyrus aus, das etwa seit 1000 Sidon zu überflügeln begann. Ob eine Steigerung der Kolonisationstätigkeit mit der Einwanderung der Israeliten in Kanaan zusammenhing, läßt sich nicht sicher ausmachen: von feindlichen Berührungen der Israeliten und Phönicien erfahren wir nichts. Zur Zeit Davids und Salomos regierte Hiram von Tyrus (969-936? s. d. Art.), der zu den Bauten Beihilfe leistete und an den Ophirfahrten sich beteiligte. Sein 6. Nachfolger war Ethbaal (887-856), der Vater der Isebel, der Gemahlin Ahabs von Israel. Seit Mitte des 9. Jahrhunderts teilte sodann Phönicien mit ganz Syrien das Los und kam der Reihe nach unter die Herrschaft der asiat. Monarchien, zunächst unter die assyrische; in der Schlacht von Karkar, 854, wurde auch der mit Ahab und Benhadad verbündete König von Arvad geschlagen. Das Handelsvolk bequemte sich leicht zu Tributzahlung. Eine wichtige Episode war der Kampf der abgefallenen Tyrier gegen Salmanassar IV. und Sargon gegen Ende des 8. Jahrhunderts, wobei Tyrus eine 5 jährige Belagerung aushielt und so hart bedrängt wurde, daß Jes. 23 die gänzliche Vernichtung mit Bestimmtheit erwarten konnte (ca. 725-720). Schließlich scheint sich Tyrus auch ergeben zu haben. Aber schon Sanherib muß 701 wohl gegen denselben König zu Felde ziehen, offenbar nicht mit durchschlagendem Erfolg. Dagegen führte ein Aufstandsversuch Sidons zur Zerstörung der Stadt durch Asarhaddon 678, und das wieder abtrünnige Tyrus wurde von Assurbanipal zur Unterwerfung gezwungen. Auch unter der babylonischen Herrschaft regten sich Unabhängigkeitsgelüste: 13 Jahre lang (585-573) blockierten Nebukadnezars Truppen nach Jerusalems Fall Tyrus, dem $$Hesekiel Kap. 26-28::Hes 26-28$$ den Fall ankündigte: wir wissen über den Ausgang der Velagerung nichts; die Stadt scheint nicht erobert worden zu sein. Der babylonischen Oberhoheit folgte 538 die persische. Diese war nicht drückend und wurde lange ohne Widerstreben getragen: die Phönicien wurden rücksichtsvoll behandelt, da die phön. Flotte bei den kriegerischen Unternehmungen den Kern der persischen Streitmacht bildete. Doch empörte sich Sidon, das in der pers. Zeit wieder als Vorort erscheint, gegen Artaxerxes III. und wurde 351 eingeäschert. Tyrus wurde 332 durch Alexander zerstört. Neben Tyrus und Sidon übte in der pers. Zeit Arados eine Oberhoheit über ein größeres Gebiet aus. Aus Kolonien dieser drei Städte entstand zu ungewisser Zeit Tripolis, wohin in der Perserzeit die Mutterstädte Vertreter zur Beratung über gemeinsame Angelegenheiten schickten. Übrigens hat es eine selbständige Bedeutung nie gehabt. Später fiel Phönicien an Syrien (daher Syrophöniken, vgl. Mk. 7,26, im Gegensatz zu den Libyphöniken Afrikas). 64 wird es von Pompejus zur röm. Provinz Syrien geschlagen; in der spätern Kaiserzeit heißt das ganze mittlere Syrien Phoenice I u. II (Libanensis): ersteres im allgemeinen das alte Küstenland Phönicien, das zweite Cölesyria mit Damaskus, Palmyra, Emesa usw. —
5) Kultur. Weniger original und produktiv in den eigentlichen Geisteswissenschaften, haben die Phönicien vor allem in Handel und Industrie ihre Bedeutung gehabt. Doch haben sie auch durch die Erfindung der Buchstabenschrift der geistigen Entwicklung der Menschheit ungemein genützt. Zwar haben die Ägypter schon vor 3000 v. Chr. den Grund dazu gelegt, indem sie zu den Zeichen für ganze Wörter und Silben, mit denen sich die babylonische Schrift begnügte, besondere Bildzeichen für die einfachsten Bestandteile der Rede, die Buchstaben, erfanden; aber die Ägypter hatten die Buchstaben nur zusammen mit den Wort- und Silbenzeichen verwendet. Die Phönicien haben zuerst um 1000 v. Chr. den großen Schritt getan, die Schrift allein auf diese Buchstaben (die Konsonantenzeichen) zu beschränken. Von ihrem Handel war schon die Rede: neben dem Seehandel, von dem sich die Alten wohl übertriebene Vorstellungen machten, ging ein Landhandel her, der von Armenien, Babylonien, Arabien, später von Persien und Indien die Waren ans Meer führte. In der Industrie waren sie von den Alten vor allem als Erfinder der Purpurfärberei bewundert. Ihre Glasarbeiten, ihre Webereien und Buntwirkereien, ihre Töpferwaren und Geschirre waren berühmt. Doch waren sie auf diesem Gebiet nicht die ersten Erfinder: Glasfluß und Fayencesachen hat man in Ägypten früher hergestellt. Auch in der Verarbeitung der Metalle zu Geräten, Waffen und Schmucksachen taten sie sich hervor. In der eigentlichen Kunst haben sie sich aber an Ägypter und Assyrer angelehnt (nach den vorhandenen Sarkophagen, Mumien u. Götterstatuen zu urteilen). Die Verfassung war aristokratisch, mit einem König an der Spitze; Priester bildeten einen engeren Staatsrat. Tyrus und seine Kolonien hatten Suffeten (Shofetim), Richter. —
6) Die Religion der Phönicien ist uns nur unvollkommen bekannt. Sie verehrten die alles Leben hervorbringende Naturkraft als eine männliche und eine weibliche Gottheit, für die sie gewöhnlich keinen Eigennamen hatten, sondern die sie nach dem Ort der Verehrung bezeichneten. Die männliche Gottheit wurde als der „Herr oder Besitzer“ (Baal) oder „Gebieter“ (Adon) oder „König“ (Moloch) der einzelnen Städte bezeichnet, also Baal von Sidon usw.; die weibliche wurde selten als Baalat, meist als Astarte bezeichnet. Der Baal und die Astarte sind Gottheiten der irdischen Fruchtbarkeit; daneben erscheint der Baal auch als Himmels- und Sonnengott, Astarte als Himmels- und Mondgöttin, auch als Kriegsgöttin. Ihr war der heilige Baum oder Pfahl, die Aschera geweiht. Andere Götternamen wie Melkart, der „Stadtkönig“ von Tyrus, oder Moloch, dem mit Menschenopfern gedient wurde, scheinen keine wesentlich verschiedene Gottheiten zu sein. Der Gottesdienst der Götter hat einen finsteren Charakter dadurch, daß Menschenopfer dargebracht werden; er fordert ausschweifende Freude und wilden Schmerz. Zu Ehren der Astarte, der Göttin der Liebe und Zeugung, müssen sich die Jungfrauen preisgeben; daneben fordert die Göttin Entmannung und blutige Kasteiung. Heilige Sagen, wie die vom Tod des von der Astarte geliebten schönen Jünglings Adonis (Thamus, Hes. 8,14), erklären diese Gebräuche. Der üppige und finstere phön. Naturdienst drohte dem reinen Jahvehkultus Israels besonders gefährlich zu werden unter Ahab und Isebel.