Landpfleger
Landpfleger heißen
1) im persischen Reiche die mit der selbständigen Verwaltung größerer oder kleinerer Gebiete beauftragten Statthalter. Unter der Oberaufsicht desjenigen Beamten, dem die sämtlichen westlich vom Euphrat liegenden Länder unterstellt waren, erhielt die nach Judäa zurückgewanderte Kolonie ihren eigenen Landpfleger, der öfters aus der Mitte der Juden selbst genommen wurde. Der erste derselben war Serubabel, später hatte Nehemia dieses Amt (Neh. 5,14). —
2) Cyrenius heißt Landpfleger (Luk. 2,2) als römischer Statthalter für Syrien. —
3) Mit demselben Namen nennt Luther den römischen Prokurator für Judäa. Mit der Absetzung des Archelaus durch Augustus ging der letzte Rest von Selbständigkeit für Judäa verloren, es wurde nun der römischen Provinz Syrien beigefügt und erhielt einen eigenen römischen Verwalter, dessen nächste Oberbehörde der Statthalter von Syrien war. Der Landpfleger befehligte die im Lande anwesenden römichen Truppen, dirigierte die Finanzen des Landes und verwaltete die hohe Gerichtsbarkeit. Im übrigen blieben die Gerichte und Gesetze des Volkes unverändert, nur durfte kein Todesurteil vollzogen werden ohne die Genehmigung des Statthalters (Joh. 18,31). Auch wohlwollenden und rechtlichen Männern bot das Landpflegeramt in Palästina große Schwierigkeiten. Judäa war dem Römer eine fremde Welt, die ihm unverständlich blieb. Er stieß überall auf Anschauungen, die er nicht faßte, er sah das Volk von Motiven getrieben, deren Kraft er nicht ahnte. Dinge, die sonst überall ohne Anstand geschahen, erregten hier den heftigsten Unwillen. Durch die ganze übrige Welt marschierten die röm. Truppen mit ihren Feldzeichen ohne Widerspruch, in Judäa betrachtete man die Feldzeichen wegen der Kaiserbilder an denselben als ein unerträgliches Unglück und Tausende waren bereit, lieber ihr Leben zu lassen, als die Kaiserbilder in der Stadt zu dulden, damit in Jerusalem kein Bild noch Gleichnis sei. Überall sonst ließ sich der Zensus ruhig durchführen, hier erregte er einen furchtbaren Kampf, und fragte der Landpfleger warum? so berief man sich auf die Geschichte Davids; aber was bedeutete David für einen Landpfleger? Dazu kam der Römerstolz einerseits, der Judenstolz andererseits. Jener fühlte sich als Herr der Welt und betrachtete das kleine Völklein verächtlich als Unterworfene, die gehorchen sollten, dieser sah im Landpfleger und seinen Beamten lediglich die unreinen, gottlosen Heiden und in sich selbst nur das auserwählte Volk des Herrn. Vollends drückend wurden die Verhältnisse dadurch, daß die meisten dieser Beamten in die Provinz kamen, um reich zu werden, und deshalb ein gewalttätiges, oft grausames Erpressungsregiment führten. Zwar hielten sich die Landpfleger in kluger Anpassung an die Situation von Jerusalem fern, sie residierten in Cäsarea und kamen nur zeitweilig, besonders auf die Feste, nach Jerusalem. Die Lage wäre zweifellos noch schwieriger geworden, wenn der Landpfleger und der hohe Rat unmittelbar nebeneinander in Jerusalem regiert hätten. Aber auch so trieb schließlich die Erbitterung gegen die Landpfleger Judäa in den letzten Kampf hinein, der Jerusalem den Untergang brachte. —
4) Landpfleger heißt auch der Beamte des Königs Aretas in Damaskus, der die Juden in der Verfolgung des Paulus unterstützte und die Bewachung der Stadt anbefahl (2 Kor. 11,32). Es ist nicht wahrscheinlich, daß der in Petra residierende Araberfürst Aretas die Stadt damals in seinen Besitz gebracht hatte; wahrscheinlicher ist, daß die in Damaskus wohnenden Araber als eine eigene Korporation organisiert waren und unter einem von ihrem König ernannten Häuptling standen, der leicht die Truppen stellen konnte, die zur Bewachung der Tore nötig waren.