Kolosserbrief
Kolossä, Kolosserbrief. Während der drei Jahre, die Paulus der Gemeinde von Ephesus widmete, drang das Evangelium auch in die im Binnenland liegenden Städte der Provinz. Drei derselben, die nah beisammen im Tal des Lykus lagen, Laodicea, Hierapolis u. Kolossä werden uns durch den Kolosserbrief als die Heimat christlicher Gemeinden bekannt, Kol. 4,13; 2,1. Paulus selbst war zwar nie bei diesen Gemeinden gewesen; er war aber mit den Männern, die hier die Missionsarbeit taten, als ihr geistl. Vater und Führer persönlich bekannt. Von den Kolossern standen Epaphras u. Philemon in dieser persönlichen Gemeinschaft mit ihm, Kol. 1,7; 4,12. 13; Philem. 19. In den Jahren, als Paulus gefangen war, wahrscheinlich während der römischen Gefangenschaft, war Epaphras zu Paulus gereist und für längere Zeit sein Gehilse u. Begleiter. Das gab den Anlaß, daß Paulus Tychikus, als er ihn nach Ephesus schickte, auch einen Brief an die Kolosser und einen andern an die Laodicener mitgab, Eph. 6,21. 22 = Kol. 4,7. Der Kolosserbrief wurde also gleichzeitig mit dem Epheserbrief verfaßt und dies zeigt sich auch darin, daß die beiden Briefe sowohl in ihrem Grundriß als in zahlreichen einzelnen Worten zusammentreffen. Da aber wegen der Anwesenheit des Epaphras bestimmte Nachrichten über die Haltung der Christen von Kolossä zu Paulus gekommen waren, gab er diesem Brief im Unterschied vom Epheserbrief ein besonderes Ziel, damit er den Kolossern in den sie bewegenden Anliegen diene. Bei ihnen hatte sich die große religiöse Bewegung geregt, die damals unter den vorderasiatischen u. griechischen Völkern weit verbreitet war, die das Ziel der Religion in die Verbindung mit den Geistern und Engeln setzte und diesen Verkehr mit den unsichtbaren Mächten durch ein System von Kasteiungen und Reinigungen herzustellen suchte. Es war unvermeidlich, daß es vielen, die zwar unter den Einfluß der christl. Predigt kamen, ihr Ziel aber nur unvollständig erfaßten, vorkam, das Christentum sei mit diesen religiösen Unternehmungen verwandt und verbindbar; es sei eine besonders kräftige Form dieser sogen. „Erkenntnis“, da uns ja das Wort Jesu in die Gemeinschaft mit unsrem himmlischen Herrn versetzt. Darum hatte Paulus bei seinem Brief die Absicht, den Kolossern den Christenstand so vollständig darzustellen und so tief zu begründen, daß ihnen sein unvereinbarer Gegensatz gegen jene Unternehmungen der vorchristlichen Frömmigkeit deutlich werde. Darum stellt er ihnen nach dem Eingangsgebet, Kol. 1,3-12, die Vollkommenheit der Gottessohnschaft Jesu dar, die ihn zum Mittler des ganzen göttlichen Werks, auch des Schöpferwerks, und zum Haupt aller, auch der himml. Gewalten, macht, woraus sich auch die Herrlichkeit seines Kreuzes ergibt, durch das er alle, Himmlische und Irdische, in Gottes Frieden bringt, Kol. 1,13-23. Damit wird der Gemeinde auch deutlich, was für ein großes Werk dem Apostel damit übergeben ist, daß er jeden Menschen zur Gemeinschaft mit Christus führen kann, Kol. 1,24-29. Wenn aber die Gemeinde die Herrlichkeit Jesu wahrnimmt, dann sucht sie nicht bei Engeln und Geistern Hilfe u. begehrt nicht noch nach andern Heilsmittlern, sondern sieht, daß ihr Anteil am Christus ihr die ganze Fülle Gottes verschafft, so daß sie sich einzig an Jesus mit vollständigem Glauben zu halten hat, und dann ist sie auch von allen Satzungen, die den Menschen durch heilige Tage und heilige Speisen und Mißhandlung des Leibes vollkommen zu machen suchen, befreit. Durch ihren Anteil an Christus ist sie der Welt gegenüber abgestorben und dadurch zum freien Gebrauch der natürlichen Dinge ermächtigt, soweit sie uns unentbehrlich sind, Kol. 2,1-3, 4. Wenn nun Paulus auch hier wie im Epheserbrief einen Grundriß der christlichen Lebensführung entwirst, so hatte dies für die Kolosser besondere Wichtigkeit. Er zeigt ihnen dadurch, wozu sie ihre Gemeinschaft mit Christus zu verwenden haben, nämlich dazu, um alles Böse zu überwinden und in der Kraft der Liebe ihre Gemeinschaft miteinander rein und vollständig zu machen. Darum offenbart sich die Kraft des Christentums auch in der Reinigung und Stärkung der natürlichen Verbände, wie sie zwischen den Gatten, den Eltern und Kindern, den Herren und Knechten bestehen, Kol. 3,5-4,6. Die gegen diesen Brief gerichteten Zweifel, ob er wohl wirklich von Paulus herstamme, sind der Vergangenheit zu überweisen, da sie nur aus unreifen Urteilen entstanden. Paulus hat Jesus nie anders verkündigt als so, daß er ihm die vollständige Teilnahme an der göttlichen Regierungsgewalt zuschrieb, und darin liegt auch der Anteil am Schöpfungswerk, und die Übereinstimmung mit dem Epheserbrief ist nicht so groß, daß sie nicht in der gleichzeitigen Abfassung der beiden Dokumente ihre natürliche Erklärung erhält.