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Auslegen

Auslegen, Träume (1 Mo. 40,8; Ri. 7,15), Gesichte (Dan. 8,16), das Zungenreden (s. d. Art.) = die Bedeutung dieser Dinge deutlich machen, 5 Mo. 1,5 — verkündigen. Wichtig und näher zu besprechen ist die Auslegung des Wortes Gottes (vgl. Sir. 14,22; Luk. 24,27; Apg. 18,26). Bei der hohen Bedeutung, welche die ev. Kirche der Bibel für die Predigt und für den Privatgebrauch des Einzelnen zuschreibt, sind die Winke, welche sie selbst über ihre Auslegung gibt, sehr zu beachten. Das Bedürfnis einer Auslegung findet sich teils schon bei den ersten Hörern der göttlichen Offenbarung, vgl. zum Beispiel die Gleichnisse Jesu (Mk. 4,34); noch vielmehr springt dasselbe in die Augen bei späteren Lesern, vgl. den Kämmerer aus Mohrenland (Apg. 8,30 ff.). Eine Schrift a. heißt nun im allgemeinen den Sinn der Worte deutlich machen, wie ihn teils der Verfasser verstanden wissen wollte, teils die ursprünglichen Hörer und Leser wirklich verstanden haben. Diese Aufgabe ist nun bei der Bibel Sache des Unterrichts in hohen und niederen Schulen und erfordert Bekanntschaft mit Sprache und Geschichte der Verfasser und ihrer Zeit, sowie überhaupt Verständnis für so einzigartige, dazu relig. Schriften. Eine solche schulmäßige Auslegung, aber freilich eine recht schlechte, übten zur Zeit Jesu die Schriftgelehrten. Jesu und der Apostel Aufgabe war es nun aber nicht, eine bessere schulmäßige Auslegungskunst zu schaffen und zu lehren, sondern den ewigen Wahrheitsgehalt der Schrift ihren Zuhörern und Lesern aus Herz zu legen, zur Gründung und Erbauung einer Gemeinde. Und es gehört zu der eigentümlichen Geistesbegabung Jesu und der Apostel, daß sie, obwohl ihnen eine schulmäßige Auslegungskunst nicht zu Gebote stand, oder sie nur die schlechte der damaligen Schriftgelehrten benützen konnten — doch den Wahrheitsgehalt der alttestamentl. Offenbarung mit unfehlbarer Sicherheit heraushoben und mit stets treffender Geistesmacht im Dienst der Gemeinde verwendeten. Statt also daran Anstoß zu nehmen, wenn Jesus und die Apostel einzelne Stellen des Alten Testaments schulmässig nicht genau ausgelegt haben (zum Beispiel Mk. 12,37; Mt. 8,17; 1 Kor. 9,9; Gal. 4,22 ff. usw.), sollte man vielmehr darin einen Beweis ihrer göttlichen Sendung erblicken, daß sie durch ihre Freiheit der Auslegung nie von der Wahrheit abgeleitet wurden. Diese einzigartige Geistesausrüstung stand nun aber den folgenden Zeiten der Kirche nicht mehr zu Gebot; sie war vielmehr darauf angewiesen, durch fleißige Ausbildung einer besseren schulmäßigen Auslegungskunst sich das richtige Verständnis des Auslegen u. N. T. zu erhalten. Leider wurde dies vielfach versäumt. Aus der Freiheit des Geistes wurde häufig Willkür und Spielerei des eigenen Gutdünkens; die allegor. Auslegung, das heißt die geistliche Ausbeutung äußerer Geschichten und Einrichtungen, überwucherte namentlich das Alte Testament. Erst die Reformation hat allmählich die Auslegung der Bibel auf den rechten Weg zurückgeführt; treue, demütige Benützung aller dienlichen Hilfsmittel und hingehende Versenkung in den Geist der Offenbarung haben in der Gegenwart reiche Früchte für ein besseres Verständnis der Schrift getragen, als es je früher vorhanden war.

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