Der zweite Korintherbrief – Vers für Vers. Eine Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt. Nachfolge praktisch: Dein geistlicher Impuls für den Tag.
Mein Name ist Jürgen Fischer, und heute beginnen wir mit dem zweiten Korintherbrief. Wir starten natürlich mit einer ganz allgemeinen Einführung, das ist ja irgendwie klar.
Die historische und kulturelle Situation Korinths
Korinth, die Stadt. Wenn wir uns die Stadt Korinth anschauen, in die Paulus gekommen ist, müssen wir zunächst Folgendes verstehen: Im Jahr 146 vor Christus wurde das alte Korinth zerstört. Lucius Mummius, ein römischer Konsul, hat die Stadt zerstört, die männlichen Einwohner getötet und die Frauen sowie Kinder in die Sklaverei verkauft.
Die nächsten hundert Jahre lag der Ort Korinth nahezu verödet da. Erst im Jahr 44 vor Christus entschied sich Julius Caesar, kurz vor seiner Ermordung, dort eine römische Kolonie zu errichten. Das war ein kluger strategischer Schachzug, denn die Stadt verfügte über zwei Häfen: Kenchrae und Lachaaeum.
Man muss verstehen, dass eine Stadt, die von einem römischen Kaiser neu errichtet wird, einen ausgeprägt römischen Charakter erhält. Als römische Kolonie hatte Korinth von Anfang an die Aufgabe, die Überlegenheit römischer Kultur, Religion und Werte darzustellen. Römische Kolonien sollten wie ein Mini-Rom sein, eine Art Anschauungsunterricht in Sachen Kultur.
Deshalb galt in Korinth römisches Recht, die Stadt wurde nach dem Vorbild Roms organisiert und es finden sich dort viele Inschriften in Latein. Caesar kolonialisierte die neue Stadt mit Freigelassenen und Soldaten. Das Ergebnis war eine ethnisch äußerst gemischte Bevölkerung: Griechen, ehemalige Sklaven aus aller Welt und nun ein römischer Mikrokosmos.
In der Zeit von Augustus und Nero erlebte Rom einen ungeahnten Bauboom, der Korinth zu einer der schönsten Städte Griechenlands machte. Allerdings darf die Schönheit der Stadt nicht täuschen. In Korinth gab es Schönheit neben Hässlichkeit, Reichtum neben Armut.
Auf der einen Seite herrschte ein ausgeprägtes Statusdenken der Wohlhabenden. Auf der anderen Seite bestand die Stadt zu einem Drittel aus Sklaven. So war Korinth: eine Stadt, die man heute als multikulturell bezeichnen würde. Sie bot viele Chancen, schnell reich und groß zu werden, ohne eine bestehende Aristokratie, aber immer mit dem Wunsch, etwas darzustellen.
Einer der Gründe, warum die isthmischen Spiele in Korinth stattfanden.
Paulus’ Ankunft und Wirken in Korinth
Wenn wir uns anschauen, wie Paulus in diese Metropole kam, finden wir in Apostelgeschichte 18 die Erzählung, die ich euch gleich vorlesen möchte. Korinth war als Ziel für Händler, Reisende und Touristen ideal für Paulus. Es bot ihm einen guten Ausgangspunkt, um eine neue Religion im ganzen römischen Reich bekannt zu machen. Gleichzeitig gab es ihm die Gelegenheit, als Zeltmacher zu arbeiten.
Lesen wir zunächst Apostelgeschichte, Kapitel 18, Verse 1 und folgende:
„Danach schied er von Athen und kam nach Korinth. Dort fand er einen Juden namens Aquilla, der aus Pontus stammte und kürzlich aus Italien gekommen war, sowie dessen Frau Priscilla. Denn Claudius hatte befohlen, dass alle Juden sich aus Rom entfernen sollten. Paulus ging zu ihnen und blieb bei ihnen, weil sie das gleiche Handwerk hatten. Sie waren Zeltmacher.
Er unterredete sich aber in der Synagoge an jedem Sabbat und überzeugte Juden und Griechen. Als aber sowohl Silas als auch Timotheus aus Mazedonien herabkamen, wurde Paulus durch das Wort gedrängt und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus sei. Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: ‚Euer Blut komme auf euren Kopf. Ich bin rein. Von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen.‘
Er ging von dort fort und kam in das Haus eines Gottesfürchtigen namens Titius Justus, dessen Haus an die Synagoge stieß. Christus, der Vorsteher der Synagoge, glaubte an den Herrn mit seinem ganzen Haus. Viele Korinther, die hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen.
Der Herr aber sprach durch eine Erscheinung in der Nacht zu Paulus: ‚Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen oder dir Böses tun, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.‘
Paulus hielt sich ein Jahr und sechs Monate dort auf und lehrte unter ihnen das Wort Gottes. Als aber Gallio Prokonsul von Achaia war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf, führten ihn vor den Richterstuhl und sagten: ‚Dieser überredet die Menschen, Gott entgegen dem Gesetz zu verehren.‘
Als Paulus den Mund öffnen wollte, sagte Gallio zu den Juden: ‚Wenn es ein Unrecht oder eine böse Handlung wäre, Juden, so hätte ich euch vernünftigerweise ertragen. Wenn es aber Streitfragen sind über Worte, Namen und das Gesetz, das ihr habt, so seht ihr selbst zu. Über diese Dinge will ich nicht Richter sein.‘
Er trieb sie von dem Richterstuhl weg. Alle aber ergriffen Sosthenes, den Vorsteher der Synagoge, schlugen ihn vor dem Richterstuhl, und Gallio kümmerte sich nicht um dies alles.
Nachdem Paulus noch viele Tage dageblieben war, nahm er Abschied von den Brüdern und segelte nach Syrien ab, mit ihm Priscilla und Aquilla. Zuvor hatte er sich in Kenchreä das Haupt scheren lassen, denn er hielt ein Gelübde.“
Die Situation nach Paulus’ Abreise und die Herausforderungen in Korinth
Bis dahin ist Paulus zum ersten Mal in Korinth. Die Frage ist: Was passiert, nachdem Paulus die Stadt verlassen hat? Er hat dort achtzehn Monate gedient. Was geschieht nun?
Erster Punkt: Aus unbekannten Gründen entsteht ein geistliches und administratives Vakuum. Es sieht tatsächlich nicht so aus, als hätte Paulus Älteste in der Gemeinde eingesetzt. Warum das so ist, ist nicht klar. Vielleicht gab es tatsächlich noch niemanden, der reif genug dafür war.
Zweiter Punkt: Nachdem Paulus abgereist ist, ermahnt er die Korinther und beantwortet ihre Fragen in zwei Briefen. Einer dieser Briefe ist verloren gegangen, der andere ist der erste Korintherbrief (1. Korinther 1,1-16,24).
Drittens: Timotheus bringt den ersten Korintherbrief nach Korinth und kehrt mit schlechten Nachrichten zu Paulus zurück. Diese schlechten Nachrichten lauten ungefähr so: In Korinth sind falsche Propheten angekommen, die Paulus’ Dienst und Charakter angreifen.
Das führt zu Punkt Nummer vier: Paulus wirft seine ursprünglichen Reisepläne über Bord und unternimmt einen Notfallbesuch in Korinth.
Problematisch ist, dass dieser Besuch sehr unerfreulich verläuft. So unerfreulich, dass Paulus wieder abreist, nach Ephesus zurückkehrt und einen weiteren Brief schreibt. Diesen nennt man den sogenannten Tränenbrief, von dem wir im zweiten Korintherbrief hören, der aber verloren gegangen ist.
Paulus schickt diesen Brief mit Titus nach Korinth. Titus ist praktisch der Briefträger.
In der Zwischenzeit muss Paulus wegen eines Aufstands, der durch Demetrios verursacht wurde, Ephesus verlassen und reist weiter nach Troas. Er hatte Titus mit dem Tränenbrief nach Korinth geschickt und möchte unbedingt wissen, wie sich die Lage entwickelt hat. Deshalb reist er ihm nach Troas entgegen.
Titus kommt jedoch nicht, und Paulus reist weiter nach Mazedonien, immer in der Hoffnung, auf Titus zu treffen.
Siebtens: Titus kommt schließlich tatsächlich zurück und berichtet Paulus von der guten Entwicklung in Korinth.
Das ist dann achtens der Anlass dafür, dass Paulus den zweiten Korintherbrief schreibt und ihn ebenfalls mit Titus nach Korinth zurückschickt.
Das ist in aller Kürze der Ablauf dessen, was nach den achtzehn Monaten in Korinth passiert ist.
Die kulturellen Herausforderungen und das Problem mit Paulus
Lasst mich versuchen, das Problem in Korinth noch etwas deutlicher zu machen. Welches Problem haben die Korinther mit Paulus?
Ich glaube, wir müssen verstehen, dass die Schwierigkeiten, die die Korinther mit Paulus hatten, nicht allein – und wahrscheinlich nicht einmal primär – theologischer Natur waren. Die Probleme hatten ihren Ursprung in den kulturellen Werten der Korinther. Werte, die sich eben nicht so einfach mit ihren neuen christlichen Überzeugungen vereinbaren ließen.
Stellt euch kurz eine aufstrebende Handelsmetropole vor, eine Mischung aus New York, Las Vegas und Shanghai. Eine Stadt, in der das Motto „Anything goes“ gilt und jeder den Aufstieg schaffen kann. Seit hundert Jahren wird dieses Prinzip durch diejenigen bewiesen, die Erfolg haben.
Natürlich schauen die oberen Zehntausend aus Rom auf diese Emporkömmlinge herab. Als ehemaliger Sklave wurdest du nie ganz akzeptiert, egal wie reich du warst. Aber das war in Korinth einfach egal.
Hey, was soll's? Dann zeigt man eben, was man hat und wer man ist. Man veranstaltet große Partys, richtet die isthmischen Spiele und andere Wettkämpfe aus, wird Sponsor eines neuen religiösen Kultes, lässt Statuen aufstellen oder präsentiert die Menge seiner eigenen Sklaven. In dieser Stadt spielen Selbstdarstellung und Statussymbole eine ganz, ganz große Rolle.
Die Herausforderung des Kreuzes für die Korinther
Paulus kommt und predigt das Evangelium von Jesus. Jesus ist die Nummer eins im Universum, König der Könige, Herr der Herren. Er war der mit Macht und Herrlichkeit – genau das, was man in Korinth so sehr schätzte. Deshalb war es für die Korinther auch so verlockend, gedanklich falsch abzubiegen, was sie dann auch prompt taten.
Deswegen kann Paulus schon im 1. Korinther 4,8-10 den Korinthern einen Vorwurf machen und folgendes formulieren. Er sagt zu ihnen, und das ist nicht positiv gemeint, sondern ein Vorwurf: „Schon seid ihr satt, schon seid ihr reich geworden, ihr seid ohne uns zur Herrschaft gekommen. Oh, dass ihr doch wirklich zur Herrschaft gekommen wäret, damit auch wir mit euch herrschen könnten! Denn mir scheint, dass Gott uns Apostel als die Letzten hingestellt hat, wie zum Tod bestimmt. Denn wir sind ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln als auch Menschen. Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber klug in Christus; wir schwach, ihr aber stark; ihr geehrt, wir aber verachtet.“
Kann man den Gegensatz heraushören? Die Korinther herrschen, sie sind reich, klug, stark und geehrt. Natürlich ist das nicht die Realität, aber so sehen sie sich, so wollen sie sein. Paulus hingegen gehört zu den Letzten, ist ein Schauspieler, ein Narr um Christi willen, schwach und verachtet.
Man merkt, welches Problem die Korinther mit dem Kreuz haben. Ein Stück weit ist das Kreuz ihnen suspekt, es passt nicht zu ihrer Vorstellung eines respektvollen Lebens. In ihrem Herzen finden sich eine tief verwurzelte Sehnsucht nach Selbstdarstellung und nach Status. Und was ist das Kreuz? Das Kreuz ist ein Skandal, nichts, womit man sich profilieren könnte.
Glaubt ihr an einen Schwerverbrecher? Haltet jemanden, der auf schlimmste Weise hingerichtet wurde, für den Sohn Gottes, ja für Gott selbst, der Mensch wurde? Das ist unter normalen Umständen schon schwer vorstellbar. Aber in Korinth?
Habt ihr euch mal gefragt, warum Paulus von den Korinthern kein Geld nahm? In den Augen der Korinther macht er doch alles falsch. Als Gemeindegründer stellt er so wenig dar. Wo es ihnen um eine attraktive Präsentation geht, schreibt er in 1. Korinther 2,1-2: „Und ich, als ich zu euch kam, Brüder, kam nicht, um euch mit Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich nahm mir vor, nichts anderes unter euch zu wissen als nur Jesus Christus und ihn als gekreuzigt.“
Paulus’ Absicht und das Wesen des Evangeliums in Korinth
Paulus ist bei den Korinthern besonders darauf bedacht, nicht als der Überapostel wahrgenommen zu werden. Der Grund dafür liegt darin, dass er seine Gemeinde in Gefahr sieht, das Evangelium nicht richtig zu verstehen. Insbesondere erkennt er, dass sie möglicherweise nicht begreifen, welche Auswirkungen das Evangelium auf das Leben hat.
Das Evangelium setzt Jesus auf den Thron, macht aus den Nachfolgern Jesu aber keine kleinen Könige oder Königinnen. Stattdessen werden sie zu Sklaven, Knechten, Jochgenossen, Dienern und Arbeitern. Paulus möchte, dass die Korinther durch sein Vorbild verstehen, dass das Evangelium eine Gegenkultur darstellt. Wenn sie sein Leben, das von Schwäche, Leiden und Ablehnung geprägt ist, nicht wertschätzen können, wie sollen sie dann die Schwäche und das Leiden Christi verstehen? Noch weniger werden sie Christus als Vorbild auf ihr eigenes Leben anwenden können.
Paulus macht den Korinthern immer wieder deutlich: Nur wenn wir unser Kreuz auf uns nehmen, können wir den Fußspuren Jesu folgen. Nur wenn wir bereit sind, einen Weg des Leidens und der Erniedrigung zu gehen, kann der Herr Jesus sein Werk durch uns vollbringen.
In Kapitel 12 wird Paulus schreiben: „Wenn wir schwach sind, dann sind wir stark.“ Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir schwach sind, dann ist Jesus mit uns dort, wo er mit uns hin will. Denn nur dann kann er durch uns stark sein.
Der zweite Korintherbrief als Verteidigung und Predigt vom Kreuz
Der zweite Korintherbrief ist weit mehr als nur eine Verteidigung des Apostels Paulus gegen Angriffe auf seine Person. Er ist einmal mehr eine Predigt vom Kreuz.
Das Kreuz steht für vieles, wenn wir es zum Zentrum unseres Glaubens machen. Es steht für einen neuen Lebensstil, der sich von der Weisheit dieser Welt abwendet und sich der Torheit des Kreuzes zuwendet. Dieser Lebensstil findet sein herausragendes Vorbild in einem Apostel, der für die erfolgsorientierten Korinther wenig hergibt, der aber in Gottes Augen ein ganz Großer ist.
Das war es für heute. Morgen geht es mit dem zweiten Korintherbrief weiter. Das Skript zum Vortrag findest du auf frogwords.de oder in der App.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
