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Dem geschickten und mit Weitsicht planenden Gutsbesitzer ist’s wohlig, denn er hat Erfolg. Aber er ist herzkrank und stirbt den Herztod. Davor will Jesus uns mit seinem Gleichnis bewahren. Ein gesundes und fröhliches Herz ist das Ziel seiner heutigen Ermahnungen. - Erntedank-Predigt aus der Stuttgarter Stiftskirche


Mittagessen in der Familie. Die Mutter hat alles schön aufgedeckt. Neue Kartoffeln dampfen auf dem Tisch. Aber die Buben ziehen den Mund schief und schielen nach dem Nachtisch: “Scho wieder Kartoffeln!” Weil eine handgreifliche Lektion nicht mehr zeitgemäß ist, erzählt der Vater aus seiner Jugendzeit: “Mit dem Handkarren zogen wir los, um einen Korb Kartoffeln zu betteln, zwanzig Kilo­meter weit zu Fuß über die Landstraße. Einmal, und ich erinnere mich noch genau, kamen wir leer zurück, dann standen der Oma die Tränen in den Augen. Zum Frühstück gab’s Röstkartoffel ohne Fett und eine Scheibe Brot ohne Butter. Hunger hatten wir, Bärenhunger.” Die Buben hören bei den “Erinnerungen eines alten Mannes” auf­merksam zu, aber ihre Augen scheinen zu fragen: “Papa, war das vor oder nach Christus?” Nein, das war genau vor 37 Jahren in der französischen Besatzungszone.

Wir wissen noch um das Danken. Wir wissen noch um das Erntedankfest. Wir wissen noch, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass das tägliche Brot auf dem Tisch liegt und nicht der leere Teller da steht wie an vielen Orten der Welt. Aber wir sollten einen Fehler nicht machen, nämlich den Kindern, und manchen Zeitgenossen auch, Vorwürfe machen und sagen: Wenn ihr wüsstet, was wir erlebt haben! Damit imponieren wir nicht. Wir dürfen nicht unsere Histörchen zum Besten geben, sondern müssen Jesu Geschichten weitergeben.

Und er erzählt von einem Bauern. Es handelt sich um keinen jungen Ökofanatiker, der frei nach Reinhard Meys Vers “Hier in der Stadt verkalkt man bloß, da auf dem Land, da ist was los” aufs Dorf gezogen ist. Es handelt sich auch um keinen kleinen Nebenerwerbslandwirt, der am Feierabend seine Milchziegen und Stallhasen füttert. Dieser Bauer ist ein großer Gutsbesitzer, der Felder und Wälder sein eigen nennt. Vom Frühjahr an, wenn die Äcker bestellt werden, bis zum Herbst, wenn die schwerbeladenen Wagen in die Scheunen fahren, ist er auf den Beinen, um nach dem Rechten zu schauen. Überall ist seine Anwesenheit gefragt. Aber jetzt ist er fertig, wenigstens mit der Hauptarbeit. Ein schönes Gefühl, wenn die Felder leer und die Speicher voll sind; ein guter Augenblick, wenn der Schweiß getrocknet und die Mühen vergessen sind; eine angenehme Stunde, wenn alles unter Dach und Fach ist. So recht wohlig ist’s ihm. Und es kann ihm auch wohl sein, denn er hat geschickte Hände; sie verstehen etwas von Landwirtschaft, von Samen und Dünger und Futter. Er hat scharfe Augen; sie haben alles im Blick, den Stall die Scheunen, das Gedinge. Er hat gute Ohren; sie hören, was läuft, im Haus, im Dorf, im Umkreis. Er hat einen klugen Kopf, der denken, rechnen und planen kann. Ein beneidenswerter Typ, dieser Herr Gutsbesitzer vom Hofe.

Nur eines, und daran dachte er nie, er hat ein krankes Herz. Abends sitzt er noch auf der Eckbank über dem aufgeschlagenen Hauptbuch oder auf der Garten­bank in der untergehenden Sonne. Überlegend, überschlagend, über­denkend, und wenige Stunden später ist er tot, Herzschlag, Herzstillstand, Herzinfarkt, wir wissen es nicht. Jedenfalls schlug das Herz nicht mehr.

Ums Herz geht es in dieser Geschichte. Ums Herz geht es in allen Geschichten. Ums Herz geht es Jesus immer. Auch wenn er damit nicht zuerst das muskulöse Hohlorgan hinter dem Brustbein meint, sondern vor allem den Zentralsitz unseres Denkens, Wollens und Wünschens, so will er uns doch vor diesem Herztod bewahren. Er hat ein brennendes Interesse daran, dass wir herzhaft leben, herzlich lieben und herzerquickend loben können. Ein gesundes und fröhliches Herz ist das Ziel seiner heutigen Ermahnungen. Sie lassen sich in drei Ratschläge zusammenfassen: Achtet auf Herzklopfen, Herzschmerzen und Herzkrämpfe.

1. Achtet auf Herzklopfen …

… das beim Wunsch entsteht: Das will ich im Leben. Dem Herrn Gutsbesitzer jagen am Feierabend noch allerlei Gedanken durch den Kopf. Drüben sah er den neuen Silo des Nachbarn, der die letzten Sonnenstrahlen auffing und spiegelnd übers abgeerntete Land schickte. Und was hatte er für altmodische Kornböden, sie sich unter der Last des Getreides nur so bogen. Türme, Speicher, Silos, das will ich! Dann kam ihm ein Gespräch in den Sinn, wie ein Bauer von automatischer Viehfütterung sprach. Und welche Mühen hatte er mit hieven, karren und gabeln. Rollen, Bänder, Automatik, das will ich! Auf einem Prospekt haben ihm die neuen Traktoren ins Auge gestochen. Und was für einen veralteten Fuhrpark kutschiere ich! Maschinen, Motoren, Vollernter, das will ich!

Nicht einmal kam ihm der Gedanke: Frau und Kinder, Haus und Hof, Äcker und Vieh, Essen und Trinken, das hab ich und dafür bin ich dankbar. Vor ihm standen Wünsche und Pläne, Absichten und Aussichten, Anbauten und Umbauten, Wagen und Maschinen: Das will ich im Leben und dieses Wollen ließ sein Herz höher schlagen.

Aber ich frage: nur seines? Wer kennt nicht dieses Herzklopfen? Wer kennt nicht diese Herzenswünsche? Drüben steht das schmucke Häuschen des Nachbarn, das er sich hinstellen konnte. Und in was für einer Falle von Mietskaserne muss ich vegetieren? Eigentumswohnung, Reihenhaus, Eigenheim, das will ich! Dann kam man im Gespräch auf Verdienst und Gehaltsfragen. Was muss ich mich für meine zwei Tausender abstrampeln? Zulage, Erhöhung, BAT II, das will ich! Auf dem Autoprospekt stechen einem die neuen Modelle ins Auge. Mein Baujahr 80 muss jetzt weg. PS, Ein­spritzer, Turbo, das will ich! Wer sagt noch: Mein Essen habe ich, mein Auskommen habe ich, mein Dach überm Kopf habe ich, und mein Wochenende und meinen Urlaub und meinen Feierabend habe ich auch und dafür bin ich Gott so dankbar? Wer denkt nicht das und das und das und das auch noch will ich! Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln. Ihr sollt euch nicht Schätze zulegen. Ihr sollt keine Schatzsucher sein.

Der alte Denker hatte schon recht, wenn er in seinen Aphorismen sagte: “Schätze gleichen dem Seewasser: Je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.” Und Martin Luther hatte schon richtig verstanden, wenn er in den Deutschen Schriften darauf hingewiesen hat: “Schätze sind die allerkleinste Gabe, die Gott einem Menschen geben kann. Darum gibt unser Herrgott gemeiniglich Reichtum nur den groben Eseln, denen er sonst nichts gönnt.”

Weil wir alle miteinander so unzufriedene und raffgierige Gesellen sind, obwohl dieser Herr auch in diesem Jahr nach einem übernassen Frühjahr und einem überheißen Sommer wieder einen überreichen Tisch gedeckt hat, deshalb achtet auf Herzklopfen, das beim Wunsch entsteht: Das will ich im Leben.

2. Achtet auf Herzschmerzen …

… die beim Willen entstehen: Das brauche ich zum Leben. Dem Herrn Gutsbesitzer kamen bei seinem feierabendlichen Gedankenflug weitere Erkenntnisse. Der neue Silo ist alles andere als ein Prestigeobjekt. Nur erstklassige Agrarprodukte sind auf dem schwierigen Markt überhaupt abzusetzen. Türme, Speicher, Silos, das brauch’ ich! Und die automatische Viehfütterung ist wahrlich kein Spielzeug. Nur durch Einsparung von Arbeitskräften bleiben wir wettbewerbsfähig. Rollen, Bänder, Automatik, das brauche ich! Und die neuen Traktoren sind offenkundig keine Luxusmobile. Nur durch Investieren und Expandieren können wir noch existieren. Maschinen, Motoren, Vollernter,das brauche ich! Opas Landwirtschaft ist tot. Heute muss anders gearbeitet werden. Ein moderner Betrieb kann nur zukunftsorientiert überleben. Selbst wenn die Finanzierung bei der gegenwärtigen Hochzinspolitik einige Herzschmerzen bereitet, so muss es im Hinblick auf diese Dinge dabei bleiben: Das brauche ich im Leben!

So wie bei unserem Häuschen, das immer wichtiger wird, weil uns die Mietswohnung jederzeit gekündigt werden kann. Eigentumswohnung, Eigenheim, Reihenhaus, das brauch ich! So wie bei unserem Geld, das in inflationären Zeiten hinten und vorne nicht reicht: Zulage, Erhöhung, BAT II, das brauche ich! So wie bei unserem Auto, das bei solchen Benzinpreisen Sprit sparen muss; ein sparsames Auto, das brauch ich zum Leben.

Was wir nicht alles zum Leben brauchen, zu Weiterleben, zum Überleben. Aber wer denkt noch an die Kraft, die in unsere Glieder kommen muss, an die Gesundheit, die uns auf den Beinen hält, an die Zuversicht, die uns vor Depressionen be­wahrt? Wer denkt noch an den Schutz, den wir vor allen Gefahren brauchen, an die Wegbegleitung, die uns auf guter Straße führt, an die Vergebung, die uns vom Ballast der Schuld befreit? Wer denkt noch an den Glauben, der nicht bricht, an die Liebe, die nicht aufhört, an die Hoffnung, die nicht wankt?

Liebe Freunde, ohne eigenes Dach über dem Kopf kann ich schon leben, aber nicht ohne den Himmel, der sich über meiner Existenz spannen muss. Ohne die Aufwertung meines Gehalts kann ich schon leben, aber nicht ohne den Mehrwert göttlicher Liebe. Ohne das Überangebot von tausend Dingen kann ich schon leben, aber nicht ohne das Sonderangebot seiner Gnade. Sammelt euch Schätze im Himmel. Bemüht euch um Gaben der Ewigkeit. Ringt im Gebet um den Segen von oben. Nur der lebt zukunftsorientiert und zukunftsgesichert, der auch in Zukunft von unserem Herrn abgesichert ist. Deshalb achtet auf Herzschmerzen, die beim Willen entstehen: Das brauch’ ich zum Leben.

3. Achtet auf Herzkrämpfe …

… die beim Glauben entstehen: Darin steckt das Leben. Dem Herrn Gutsbesitzer blieb schließlich ein Gedanke, der ihn fesselte und in die Nacht hineinbegleitete. Aus dem Silo kommen nicht nur Körner, die sich zum Mahlen eignen, sondern Samen, die man ausstreuen kann. Sie keimen und wachsen und tragen wieder Früchte. Also das Leben steckt drin. Und im Stall stehen Tiere, die Wolle und Fleisch und Milch geben. Sie sind für unsere Existenz lebensnotwendig. Also das Leben steckt drin. Und über den Feldern dröhnen die Motoren, die das Land aufreißen, umpflügen und neu beschicken. Sie machen die neue Ernte erst möglich. Also das Leben steckt drin. Ehrfurchtsvoll schaut der Bauer seine Dinge an, still werdend über solchen Schätzen, anbetend vor so viel eingefangenem Leben, ja sein Herz krampfte vor tiefer Freude bei diesem Abendgebet, das so viele im Blick auf ihr Haus, auf ihr Gehaltskonto, auf ihr Auto oder Motorrad nachsprechen: “Liebe Seele, du hast einen mächtigen Schatz; hab nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut. Amen.” Und ein anderer sagt: “Arme Seele, du hast dich mächtig verschätzt; hab nun Friedshofsruhe, iss und stirb und habe guten Todesmut.” Amen, es werde wahr. Der Herr Gutsbesitzer erlebte den neuen Morgen nicht mehr.

Immer dann, wenn wir das Leben in den Schätzen suchen, machen wir sie zum Mammon. Immer dann, wenn wir die Schätze zum Letzt­wert erheben, dann treiben wir Götzendienst. Immer dann, wenn wir vor Letztwerten knien, sind wir reif fürs Gericht. Deshalb macht eure Schätze nicht zu Schätzen. Ihr könnt nicht Gott dienen und den Schätzen. Ihr könnt nicht Gott dienen und den Götzen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Achtet auf Herzkrämpfe, die beim Glauben entstehen: Darin steckt das Leben.

Liebe Gemeinde. An Herzbeschwerden soll keiner leiden. An Herzgeschichten darf keiner sterben. Am geistlichen Herztod muss keiner zugrunde gehen. Gott selbst will sich darum mühen. Jede volle Schüssel ist im wahrsten Sinne eine schöne Bescherung dieses Schöpfers. Jede runde Kartoffel ist ein handfester Beweis seiner Zuwendung. Jeder frische Apfel ist eine Kostprobe seines Könnens. Mögen wir die Waren in verschiedene Preisklassen sortieren, alle gehören zur einen Güteklasse unseres Herrn. Ja, dieser ganze Herbstreichtum will zu dem Gott hinführen, der uns in Jesus Christus an den Blutkreislauf seiner Liebe anschließt, der uns versorgt. Er ist das Herzmittel schlechthin, der uns von Herzen sagen lässt: Mein Herz ist fröhlich über deiner Güte.

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]