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Hausverwalter

1. Korinther 7,29-31
Die Welt ist wie ein Haus, das abgerissen werden soll. Wie gehen wir damit um? Wir sollen keine Hausbewohner, Hausbesetzer oder Hausinstandsetzer sein, sondern Hausverwalter mit Augenmaß, mit Zeitmaß und mit Ewigkeitsmaß. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

Stellen wir uns ein Haus vor, liebe Gemeinde, ein großes Haus, in dem viele Leute wohnen, ein schönes Haus, das immer wieder bewundert wird, ein solides Haus, mit viel Liebe und Sorgfalt einstens erbaut. Aber es ist ein altes Haus, sehr alt sogar, einfach uralt. Es kracht im Gebälk. Viele Träger sind morsch. Der Wurm ist drin. Deshalb will der Hausbesitzer nicht weiter investieren und beschließt den Abbruch. Alle Bewohner erhalten den knappen Bescheid: Das Haus wird abgerissen. Auch wenn das Datum noch nicht feststeht, an der Tatsache ist nicht zu rütteln: Das Ende steht bevor. Nun gibt es verschiedene Reaktionen:

"Wir müssen das Haus bewohnen!", sagen die einen. "Der Bescheid ist ein Hetzen Papier, den wir überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen." Sie lassen es sich wohl sein. Sie leben und laden Gäste ein. Sie feiern Feste und Partys. Jeder Gedanke an eine Kündigung ist Zeitverschwendung. Das also sind die Hausbewohner, die sich wie Hausbesitzer vorkommen.

"Wir müssen das Haus besetzen!", sagen die andern. "Der Bescheid ist eine Provokation, den wir nicht hinnehmen." Sie pflanzen die rote Fahne aufs Dach. Sie pinseln Schilder und Transparente. Sie propagieren ein alternatives Lebensprogramm. Das sind die Hausbesetzer, die sich gegen den Hausbesitzer aufspielen.

"Wir müssen das Haus instandsetzen!", sagen die Dritten. "Der Bescheid ist Schnee von gestern, der keinen Realitätsbezug hat." Sie nageln und hämmern. Sie malen und kleistern. Sie kippen den Bauschutt zum Fenster hinaus. Das sind die Hausinstandsetzer, die sich an Stelle des Hausbesitzers ans Werk machen.

Aber alle Reaktionen der Bewohner und Besetzer und Instandsetzer können die Aktion des Besitzers nicht bremsen. Das Haus steht auf der Abbruchliste. Das Gebäude ist nicht zu retten. Das Ende kommt.

Mit diesem Bild haben wir eine Illustration für diesen Text. Stellen wir uns die Welt vor, liebe Freunde, eine große Welt, in der viele Leute wohnen, eine schöne Welt, die immer wieder bewundert wird, eine solide Welt, mit viel Liebe und Sorgfalt einstens erschaffen. Aber es ist eine alte Welt, sehr alt sogar, einfach uralt. An allen Ecken kracht es. Nicht nur die Träger sind morsch. Der Wurm ist drin. Der Schöpfer will nicht weiter investieren und beschließt den Abbruch. Alle Zeitgenossen erhalten den knappen Bescheid: Das Wesen dieser Welt vergeht. Auch wenn das Datum noch unbekannt ist, die Tatsache ist jetzt bekannt: Das Ende steht bevor. Nun können wir sehr verschieden reagieren, etwa so wie die Hausbewohner:

"Dieser Brief ist ein Fetzen Papier, den wir überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Wir lassen es uns gut sein und tanzen nach der Melodie: Auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai." Irgendwie wird es schon weiterschaukeln, auch wenn der Globus quietscht und eiert."

Oder wir protestieren wie die Hausbesetzer: "Dieser Brief ist eine Provokation, die wir nicht hinnehmen. Wir zeigen Flagge und sprühen in rot: 'Gott ist tot!' Mit dem alten Prometheus feiern wir fröhliche Urständ: 'Ich kenne nichts Ärmeres unter der Sonne als euch Götter!'"

Oder wir lamentieren wie die Hausinstandsetzer: "Dieser Brief ist fernab von jeder Wirklichkeit. Wir wollen frei nach Heinrich Heine hier auf Erden schon das Himmelreich errichten. Einen bewohnbareren Planeten klopfen wir uns selber zurecht."

Aber all unsere noch so heftigen Reaktionen können die beschlossene Aktion des Schöpfers nicht aufhalten. Die Welt steht auf der Abbruchliste. Das Wesen dieser Welt vergeht. Die Erde ist nicht zu retten. Die Zeit ist zusammengedrängt. Das Ende kommt.

Doch, so eindeutig spricht die Bibel nicht nur an dieser Stelle. Johannes sagt es: "Die Welt vergeht mit ihrer Lust." Petrus sagt es: "Das Ende aller Dinge ist nahegekommen." Jesus selbst sagt es: "Himmel und Erde werden vergehen." Viele haben es seither bestätigt, neuerdings auch der eines biblischen Fundamentalismus gewiss unverdächtige Robert Havemann, wenn er von den biologischen und chemischen Prozessen schrieb, dass sie wie im schnellen Vorlauf eines Bandgerätes abliefen.

Jetzt müssen wir es richtig zur Kenntnis nehmen, dann werden wir bei dem Satz: "Das Wesen dieser Welt vergeht!" das, was wir sein sollen: nämlich keine Hausbewohner, Hausbesetzer oder Hausinstandsetzer, sondern Hausverwalter mit Augenmaß, mit Zeitmaß und mit Ewigkeitsmaß.

1. Hausverwalter mit Augenmaß

Ein Hausverwalter mit Augenmaß wird jetzt nicht die Zwangsräumung in die Wege leiten. Zum Gerichtsvollzieher hat uns niemand geschickt. Auf Rollkommandos mit Plastikschilden und Wasserwerfern wird hier verzichtet. Ein Hausverwalter mit Augenmaß wird auch nicht in schlimmer Panikmache auf jedem Stockwerk Weltuntergangsstimmung verbreiten. Angst kommt über die Antenne genug ins Haus. Furcht hockt in jeder Ecke. Und der Hausverwalter mit Augenmaß wird erst recht nicht Hals über Kopf aus dem Haus fliehen. Anderswo ist er nicht besser aufgehoben. Die Abbruchliste umfasst ja alle Häuser. Der Mann mit dem richtigen Augenmaß wird vielmehr danach sehen, dass das Licht brennt, das Wasser läuft, die Heizung funktioniert, das Dach in Ordnung ist, kurzum, dass das Leben im Hause am Leben bleibt. In den Wohnräumen soll gelebt, in den Arbeitsräumen soll geschafft und in den Geschäftsräumen soll gekauft werden. Ein Haus voller Leben, das will der Hausverwalter. Eine Welt voller Leben, das will der Herr.

Schon viele Unheilspropheten haben zur Räumung aufgerufen, um auf einer Insel der Seligen selig zu werden. Schon viele Katastrophenapostel haben den schwefelgelben Welthorizont beschrieben, um den Leuten Angst einzujagen. Schon viele Rechtgläubige, gerade aus dem Schwabenland, sind Hals über Kopf geflohen, um in Russland oder Amerika das Ende zu überleben.

Aber Gott will kein Leben im Abseits. Er rettet seine Leute nicht aus den Ghettos heraus. Mitten in der Welt, das ist ihr Platz. Wohnräume soll es geben, in denen nicht nur zwei zur Probe zusammenziehen, als ob man Ehe ausprobieren könnte wie ein Auto, sondern in denen es zwei miteinander wagen auf Gedeih und Verderb. Also Platz für Familien und Kinder, die sich aneinander freuen und gelegentlich auch miteinander weinen. Esszimmer und Kinderzimmer sind gewollt. Arbeitsräume soll es geben, in denen nicht nur Kaffee getrunken und gegammelt wird, weil ja der Stress die Wurzel allen Übels sei, sondern in denen angepackt und geschafft wird, also Platz für Handwerker und Angestellte, die noch für eine Arbeitsstelle dankbar sind. Werkstätten und Büros sind gewollt. Und Geschäftsräume soll es geben, in denen Besitz nicht als überholter Rest bürgerlichen Denkens in Misskredit gebracht wird, sondern in denen ein ehrliches Wirtschaftsleben möglich ist, also Platz für Kaufleute und Handelsleute, die jederzeit ihre Bilanzen vorzeigen können. Kaufläden und Banken sind gewollt. So wird es dem Hausverwalter mit Augenmaß nicht langweilig. Er hat alle Hände voll zu tun, um die Dinge am Laufen zu halten. Jede Stunde ist kostbare Zeit. Mit diesem Wissen ist auch er das andere, nämlich ...

2. Hausverwalter mit Zeitmaß

Er realisiert wohl, dass seine Uhren dauernd im Kreise gehen, aber dass auf eines andern Uhr ihm die Stunde schlagen wird. Wenn er jetzt durchs Haus geht, weiß er: Diese vier Wände sind nicht Endstation, sondern Durchgangstation. Wenn er jetzt in die Wohnräume hineinhört, ist ihm klar, dass auch das Streiten und Leiden seine Zeit hat. Wenn er jetzt in die Arbeitsräume hineinschaut, wird ihm deutlich, dass die Berufslast nicht ewig drücken wird. Wenn er jetzt in die Geschäftsräume hineinblickt, ist es offenkundig, dass nicht immer Geld die Welt regiert. Alles erscheint in einer andern Beleuchtung. Im Morgenglanz der Ewigkeit fliehen die dunklen Schatten. Das Haus ist ein Interim, damit lebt der Hausverwalter.

Die Welt ist ein Interim, damit sollen wir leben. Auch unsere Uhren sind nur Sekundenzeiger auf Gottes großem Zifferblatt, auf dem die Zeiger der letzten Stunde entgegenlaufen, wo die Posaunen emporgehoben werden und der Vers heißt: "Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk die Ewigkeit." Wenn wir jetzt durch die Welt gehen, sollen wir wissen, diese Dörfer und Städte, diese Bungalowsiedlungen und Betonklötze, diese Hüttenkolonien und Slumgürtel sind nicht Endstation, sondern Durchgangsstation. Wenn wir jetzt in unseren Wohnungen leben, soll es uns klar sein, dass Probleme mit unserer schwierigen Ehe, Konflikte mit unseren heranwachsenden Kindern, Sorgen mit unseren kranken Eltern ihre Zeit haben. Wenn wir jetzt in unseren Werkstätten arbeiten, soll uns deutlich werden, dass die Akkordarbeit und der Konkurrenzkampf und die Terminnot nicht ewig drücken wird. Wenn wir jetzt in unseren Kontors stehen, soll dies offenkundig sein, dass das Jagen nach Geld und Gold nicht der Sinn des Lebens sein kann.

Es wird nicht ewig gejagt. Es wird nicht ewig geschuftet. Es wird nicht ewig gesorgt. Seit Jesus den neuen Tag angekündigt hat, erscheint alles in einer andern Beleuchtung. Seit der Apostel diesen Termin unterstrichen hat, fliehen noch so dunkle Schatten im Morgenglanz der Ewigkeit. Seit viele Zeugen bei diesem Thema geblieben sind, ist sonnenklar: Die Welt ist ein Interim.

Warum leben wir immer so alternativ: entweder wohnen oder ausziehen, entweder arbeiten oder nichts tun, entweder verdienen oder verschenken? Paulus sagt: Wohnen, als wohnte man nicht, arbeiten, als arbeitete man nicht, verdienen, als verdiente man nicht. Das ist der Pulsschlag dessen, der in königlicher Freiheit mit Zeitmaß der Ewigkeit entgegengeht.

Das Letzte klingt hier an:

3. Hausverwalter mit Ewigkeitsmaß

Ein Hausverwalter mit Ewigkeitsmaß hat den festen Glauben, dass er am Schluss nicht kurzerhand vor die Tür gewiesen wird.

Einer, der noch gar nie den Hausbesitzer kennengelernt hat und ihn als herzlosen Spekulanten verachtet, mag mit einem zeitgenössischen Lyriker sagen: "Manchmal trete ich vor die Tür, atme aus und ein, reibe die Augen, halte Ausschau, ob Hoffnung ist. Ich beobachte die Luft, stelle die Färbung des Windes fest, bestimme den Stand der Sonne über meinem Haus, prüfe die Verlässlichkeit der Straße. Wo soll ich es ablesen? Die Freundlichkeit der Passanten ist veränderlich, auch die Zeitungsfrau bringt keine Gewissheit. Oder sollte es am eigenen Herzschlag liegen, am Kalziumgehalt meiner kleinen Philosophie? Manchmal trete ich vor die Tür, um zu sehen, ob Hoffnung ist und greife blind in den Morgen."

Der Hausverwalter aber greift nicht blind, sondern sieht klar in den Morgen. Sein Herr hat noch ein großes Haus, in dem alle Menschen Platz haben, ein schönes Haus, das mit Edelsteinen aufgeführt ist, ein solides Haus, mit Liebe und Sorgfalt geschaffen. Und es ist ein neues Haus, ganz neu sogar, einfach brandneu. Darin gibt es keine Glastüren mehr, such keine Trennwände und Gitter. Alle Räume sind zugunsten eines einzigen Saales aufgehoben, in dem nicht mehr gelitten, sondern nur noch gefeiert wird. Nach allem Schreien und Klagen wird nur noch ein Jubelton zu hören sein. Jeder wird die Wahrheit der Verheißung mit eigenen Augen nachprüfen können: "Siehe, ich mache alles neu!"

Ich verstehe jene Sehnsucht eines Paul Gerhardt:

"O wär ich da, o stünd ich schon
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen.
Da will ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen."

Gott will keine Obdachlosen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Gott will keine Tippelbrüder, die keinen Unterschlupf mehr finden. Gott will keine Zigeuner, die am Rande des Universums kampieren, auch wenn Jean Monod es so meinte. Dieser Schöpfergott will Heimatlosen eine Heimat geben. Deshalb baute er dies Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Deshalb schickte er seinen Sohn, der nach Tod und Auferstehung als Quartiermacher vorausging: "Ich gehe hin euch die Stätte zu bereiten." Deshalb muss keiner, der Jesus kennt und liebt, das Zukünftige fürchten.

Wer mit Augen-, Zeit- und Ewigkeitsmaß misst, vermisst sich nie.

Amen

Wer mit Augen-, Zeit- und Ewigkeitsmaß misst, vermisst sich nie.


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]